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Harald Birgfeld, Webseite seit 1987/ Website since 1987 …da liegt mein Herz, Geschichten aus Niemandsland 2022 -2024 (im
Entstehen) z.B.: 100 Jahre „Kafka“, eine herrenlose Fundsache (neu) |
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zu Olympia
– olympische Spiele! |
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online und im Buchhandel |
Lyrik, Prosa und Ingenieurarbeiten |
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Im
vorliegenden Band wird auf 136 Seiten in Anlehnung an „Geschichte eines
Außenlagers KZ Sasel“ der Hamburger Behörde für Schule, 1982, versucht
nachzuerzählen, was sich im KZ Sasel in den letzten Kriegsjahren ereignet hatte.
Es ist wichtig, der Jugend immer wieder davon zu berichten. Die Form eines
Epos scheint dem Autor dafür die dauerhafteste Art zu sein. |
Die Insassinnen GESCHICHTE EINES
AUSSENLAGERS, KZ SASEL *) Epos *) In Anlehnung an: „Geschichte eines Außenlagers,
KZ-Sasel“, Freie und Hansestadt Hamburg, 1982 Dieses ist der
dritte Band einer Trilogie von Facettengedichten. 1. Band der Trilogie: Im Reißverschluss der
Illusion, 57 zeitgenössische Gedichte, Facettengedichte. 2. Band der Trilogie: Die Frau des Terroristen, 53
zeitgenössische Gedichte, Facettengedichte. Jetzt „Die Insassinnen“
direkt online bestellen sowie im Buchhandel, 136 Seiten, Format A5. € 8,99 inkl.
MwSt. Zum Buchshop ISBN
978-3-7386-2528-8 „Die
Insassinnen“ ist auch in den USA, Großbritannien und Kanada unter obiger ISBN und bei abweichenden Preisen bestell- und lieferbar. Auch als E-Book, € 5,49 Zum Buchshop ISBN 9783739274560 |
Copyright 2015 beim Autor, Harald Birgfeld, alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser
Veröffentlichung darf ohne schriftliche Erlaubnis des Herausgebers, Harald
Birgfeld, reproduziert werden. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,
Übersetzungen, Verfilmung und Einspeicherung sowie Verarbeitung in
elektronischen Systemen.
Herausgeber, Autor, Redakteur: Harald
Birgfeld, e-mail:. Harald.Birgfeld@t-online.de
INHALTSVERZEICHNIS
Frau U., die
Lehrerin Steht
auch am Zaun, Und
die Gespräche gehen durcheinander, Sie
berichtet aus der Zeit, Das
ist die Zeit, von der wird hier berichtet, Als
die tausend Jahre Sich
schon zu dem Ende neigten, Und
das tiefe Schwarz Der
Winzigpunkte schwarzer Hemden, Die
einst ineinander liefen, Sich
im Raster wieder aufzulösen schienen, "Damals,"
sagt sie, "hatte ich die Wahl Und
hatte keine Wahl Und
hatte längst gewählt Und
war ein junges Mädchen, Das
versteckte seine Reize ordentlich, Und
meine Wahl galt nicht, Und
eine andre Wahl in meinem Herzen Durfte
ich nicht einmal mit dem Mund berühren. Ich
war noch im Studium, |
Da
fragte mich ein Schwarzhemd mit dem Rutenbündel, Und
es war sehr freundlich, Und
es war ein Mann. Ich
hatte oft von dem Versteck In
seinem Arm gehört Und
wählte aus der Wahl, die er mir gab: Die
war das Kettenwerk der Munitionsfabrik Am
Bahnhof Ochsenzoll, Um
Kriegseinsatz zu leisten, Und
ich brauchte so nicht in den Krieg, Und
andrerseits als Schaffnerin Auf
einer Straßenbahn, Die
hatte keinen Bunker, Und
ich würde meine Angst spazieren fahren. Und
ich ging mit anderen in die Fabrik, Dort
hatte man die Angst vor uns, Weil
wir noch gar nichts wussten, Und
man lehrte uns Die
Hände zu gebrauchen, Und
das, was wir selber hätten lehren können, |
Zu
vergessen, Und
wir lernten schnell Und
produzierten endlich Hülsen
für Granaten." Andrerseits
vom Zaun Erinnert
sich die Jugend nicht. Sie
wurde nie getötet, Nie
befreit, Sie
wurde nie beraubt, Beplündert
mit Gesetz und Ordnung, Und
man wird noch viel, viel schreiben müssen, Um
am Ende nichts zu schreiben, Weil
man's dann versteht Und
endlich kennenlernt Und
das Erkennen lernt. Frau
U. berichtet später über diese Angelegenheit, Die
sie betraf, Noch
ganz ausführlich, Und
es ist nicht nur die Angelegenheit, Die
sie betraf. |
Und
in einem Garten, Der
erlaubt nur junge Menschen, Lebten
fast in einem Paradies, Wenn
sie nicht wüssten, was hier vorher war. Auch
haben sie es nicht gelernt Sich
gegenseitig zu vermissen, Weil
sie, gänzlich ohne alle Sorgen, Niemals
umeinander Sorge hatten finden können, Ja,
sie möchten sich vermissen lernen. Und
ihr Heim liegt mitten in der grünen Landschaft, Die
ist gar nicht grün für sie, Weil sie das tote
Grau des Grauens Überhaupt nicht
kennen, Und sie leben in dem
Alstertal Und gehen an den
Gartenzaun Und horchen auf die
Steine Und auf die
Gespräche dieser Steine, Die befinden sich
noch In dem ersten Echo, Sind noch nicht so
alt, Man kann sie gut
vernehmen, Und die jungen
Menschen schreiben alles in der Eile auf, Die kommt nun fast
zu spät Und rettet doch noch
alles, Was sich schon auf
das Vergessen werden vorbereitete. Die Hast von damals
taucht vor ihnen auf, Und wo sie stehen, Stand zuvor ein
Lager, Das war aufgestanden Und zerfallen bis
auf einen Rest Und einen Stein, der
wurd' behauen Und ist nass von
immer neuen Tränen, Und er ist so grau, Dass man das Grün um
ihn herum erkennen kann. Das alles steht am
Zaun von Sasel, Darin liegt das
Alstertal, Das ist nichts
weiter als Geschichte, Die man vor dem
Untergang Noch schnell
befragt, Und so viel weiß man
noch genau, Das Grau, von dem
sie sprachen, Wird sich
schrecklich |
Mit dem Rot
vermischen, Dass man auf das
Grün, Um dessentwillen man
mit Steinen spricht, Wird kaum noch
hoffen können. Die, die leben Und die überlebten Werden an den Zaun
gerufen und befragt. Sie geben gleich als
erstes Eine Totenliste ab, Die haben sie in
Bergstedt Unter einem Stein
gefunden, Und sie wird
lebendig Ohne einen Gruß zu übermitteln. Keiner kann sich dem
Bericht entziehen, Keiner der dort
spricht Vermag mit seinem
wahren Namen Wahre Namen
aufzusagen, Und man kürzt sie
alle ab. Es spricht Frau I.,
Herr X., Frau H., Und Bilder die man
machen möchte, Werden nicht
belichtet, Das ist schrecklich
wahr, Weil eine wahre
Sonne ihnen, Nach nun fünfzig
Jahren Der Geburt der
Schwarzhelmtyrannei, Noch nicht zu
scheinen scheint. Von keiner Seite
wirft man einen Stein, Es steht ja auch der
Zaun dazwischen, Und die einen sind
zu jung, Die anderen
vielleicht zu müde, Und das Steine
werfen, sieht man ein, Trifft ausnahmslos
die Falschen, Und sich selbst
bewirft man nicht, Und Spiegel stellte
keiner auf. Die jungen Leute
haben eine Amtsperson, Die übersetzt die
Steingespräche, Das ist aus
Liszkowski in die Gegenwart. Und sie diktiert aus
den Gesprächen Von dem Tage der
Geburt, Die war vor fünfzig
Jahren. |
Die Geburt war eine
Sonnenfinsternis, Die fing mit einer
Sonnwendfeier an Und ließ die
Feuerräder von den Bergen laufen. Damals staunten
viele über diese Wende. Wenige von ihnen
waren später Noch als Zeugen zu
befragen Wie Herr X., Frau
I., Frau H. Die gaben auch nur
von dem Ende Den Bericht. Vor fünfzig Jahren
hatten die, Die in der Krippe
lagen, Sich als Wunder der
Natur allein gezeugt, Allein aus sich
heraus geboren, Sich allein genährt, Dann in der Folge
rascher Dieberei Die Brüste junger
Mütter andrer Kinder Ausgetrunken und
sie, wenn die Mütter schrien, Gezwungen sie zu
säugen, Bis zu deren Tod, Und tranken auch die
Muttermilch, Wenn sie nicht mehr
zu trinken war. Sie wählten sich
alleine aus Und hatten sich ein
Zeichen ausgewählt, Das war die Axt, Die trugen sie
versteckt im Rutenbündel, Das entdeckten die,
die auf sie trafen, Viel zu spät. Die anderen
entdeckten nichts Und sahen nicht in
das Versteck. Die Ausgewählten
kamen schon bekleidet auf die Welt Und trugen unter
ihrer Haut Die schwarzen
Hemden, Als ein
Fruchtbarkeitssymbol, Das legten sie nie
ab, Das war ein Panzer,
der das Überleben Garantieren sollte, Und der die
Verbreitung sicherte, Und ihren
Fortbestand. Den planten sie
sofort Auf über tausend
Jahre. |
Am
Zaun kommt
man nicht weiter, Und man fragt nun in
die Steine. Steine kann man
nicht befragen, Und man muss auf die
Gespräche lauschen, Die sie miteinander
führen, Und für Steine, die
hier liegen, Gibt es neben ihren
Urgesprächen, Auch die frischen
Narben. Für den Stein sind
tausend Jahre gar nichts, Und sie lachten, Als sie von den
schwarzen Hemden hörten, Die an tausend Jahre
dachten. Aus den Steinen
nimmt die Jugend den Bericht, Den muss sie von den
Urgesprächen trennen Und dann übersetzen
lassen, Und er wird
verlesen: "Wir, die
Steine, lagen nahe beieinander, Und wir lagen an dem
Türeingang der Villa, Und wir hörten
alles. In der Villa lebten
neben den Bewachern Auch die schwarzen
Hemden, Die mit eignen
Schwarzhemdfrauen schliefen. Über den Bewachern
wohnten ihre Wachen Und drei Könige,
Herr P., Herr T., Herr T., Und täglich zogen
sie zu den Baracken Hinter einem
Stacheldraht, Ein Aufenthalt für
fünf mal hundert Frauen, Um sich abzulösen. |
Und die Insassinnen
dort Belebten, nicht
bewohnten, Und bestarben sechs
Baracken. Einmal lag auf einem
Stein, auf uns, Ein Schwarzpapier, Das kam von dem
Kommando Neuengamme, Und die Insassinnen,
hätten Heime zu errichten, Heime für die Not, Die breitete sich
aus, Und Arbeit in der
Ziegelei zu machen Und die Trümmer zu
beseitigen; Sie selbst, so
schrieb man, Seien in dem Falle
ihres Todes zu beseitigen, Und die Bevölkerung, Die lebte gar nicht
weit entfernt, Sei streng von ihnen
abzuschnüren, Und man drohte ihr
und ihnen Harte Strafen an. Das Lager“, Wussten diese Steine
zu berichten, "Nahm im späten
Sommer, erstmals im August des Jahres '44, Und es war der
letzte Dieses Tausendjahrereiches, Seine Menschen auf Und war kein
Arbeitslager, Und im Wonnemonat
Mai darauf, Der konnte keinem
mehr Ein Wonnemonat sein Und wurde doch zur
Wonne dieser Tage, |
Wieder abgerissen Und dem Boden
gleichgemacht. In dieser Zeit
errichteten die Insassinnen Überall in Sasel
kleine Plattenhäuser, Davon steht noch
heute eins." Die Steine sprechen
dann von einem Lageplan, Den hätte man
gezeichnet, Und man fand ihn in
den Protokollen, Wo er
durchgestrichen war. Die Totenliste gab es
nirgends in den Protokollen, Und sie hatte
fünfunddreißig Namen, Und die Steine
wissen nichts davon Und sprechen sich
nicht weiter aus. Es gilt sich zu
erinnern, Ohne sich noch zu
erinnern, Und die Jugend weiß
nicht, Dass man das
Vergessen wollen kann. Man weiß nun von dem
Lager, Darin lagerte man
Menschen in Baracken, Und das Ende dieses
Krieges stand bevor, Das wusste keiner, Und die meisten
hofften es, Und die in schwarzen
Hemden Fürchteten den Tag. |
Und sie berichtet
viel. Die Jugend fragt in
ihr Gewissen, Und sie spricht von
ihrem Wissen, Und was sie von
allem wusste, Und was die
Bevölkerung gewusst, Gesagt, getan hat. Sie kennt sich noch
gut in Einzelheiten aus Und meint die
Einzelheiten nicht, Sie meint die
Glieder einer schlimmen Kette. Damals hatten sie
dort draußen Auf den Feldern
Licht entdeckt, Das war verboten Und war hier
erlaubt. Man sprach davon mit
vorgehaltner Hand. Am Tage mussten
Frauen, die von dorther kamen, |
"Plattenbüttel"
bauen, Das war eine Unterkunft
für Menschen, Die nicht
unterkamen. Diese Frauen durften
nicht dahin. Ihr Mann, erzählt
Frau B., Trug früher die
Geschehen Auf dem Friedhof
Bergstedt's In ein Grabbuch ein, Nun spielte er nur
noch die Orgel, Und er fand ein
langes großes Grab, Das war frisch
ausgehoben Und mit Stroh
gefüllt, Darinnen lagen
nackte Frauenleichen, Und er wusste ihre
Anzahl nicht, Sie waren nur noch
Haut und Knochen, Und die Köpfe waren
kahl geschoren, Und das Grab lag an
der Friedhofswand, Das war die Wand zum
Gasthof: "Zu der
Linde". |
Und er dachte, Was bleibt einem
Menschen, Wenn man ihm die
Haare raubt. Man sprach nun
wieder in die Hand, Dass davon eine wie
die andren Jüdin wär', Die wurden selbst
der Ruhe In dem Grab beraubt Und später nächtlich
wieder Ausgegraben. Für die Ruhelosen
gab es keine Ruhe, Und man hatte sie in
einen Tod gejagt Und jagte sie noch
nach dem Tod In einen neuen Tod Und wieder aus dem
Grab. Man konnte ihren Weg
nicht mehr Verfolgen. |
Ganz
benommen steht die Jugend, Und sie will es ja
mit eignen Ohren hören, Und Frau E. fällt
hier ins Wort-, Sie weiß noch mehr. Das Lager hatte
unweit ihrer Gartengrenze Seine Grenzen
aufgepflockt, Die Frauen waren aus
Rumänien Und aus Frankreich Und sie waren
strafgefangen, Und sie hatte Äpfel
in den Korb gelegt, Dann in den Weg, Und Brot im Busch
versteckt. Man hatte wenig
heimlich mitgenommen, Und nachher, Als man die
schwarzen Hemden |
Auf der Leine sah Und sich die Freude
noch nicht traute, Waren sieben von den
Frauen In ihr Haus
gekommen, Um sich zu bedanken, Und sie gab danach
noch Kleider ab, Die waren weder
schwarz, noch rot, noch braun, Nur eines hatte sie
für sich behalten, Und es sprach sie
eine an, Die
sprach die Sprache, Und
sie hatte ihre goldnen Zähne noch
im Mund, Sie sei Französin, Und sie hätte in
Paris, In ihrer Heimat, ein
Geschäft gehabt Und schwor nun
tausend Eide, |
Ihr die Dankbarkeit
zu zeigen, Und sie hatte Wort
gehalten Und ihr später Seife
und Parfum gesandt, Und alle Welt
bestand auf Reinigung des Leibes Und des Leibes Und des Leibes. Sie erzählte von
vier Wagen, Die mit Frauen aus
dem Lager fuhren Und es hätte sie ein
Polizist des Ortes aufgehalten, Und er hätt' sie
fliehen lassen, Und man wusste schon
nicht mehr, Wer wen bald fliehen
lassen würde, Wer bald zu den
Fliehenden gehören wurde. |
Von Frau K., die mischt sich ein, Erfahren nun die
Jugendlichen, Dass ihr Mann noch
in den letzten Tagen Aus der Stadt, die
brannte, Frauen bis nach Sasel
fuhr, es waren vielleicht neun, Dort traf er auf ein
Schwarzhemd, Das schlug auf ihn
ein Und ließ ihn
schließlich doch vorbei, Vielleicht, weil er
das Feuer sah, Das bis hierher die
Zunge streckte, |
Und die Frauen hielt
Frau K. Auf ihrem Boden ohne
Decken, Nur mit Kohl und
Mehl am Leben, Bis sie weiter
flohen. Später konnte sie
mit ihrem Mann Das Lager selbst
besichtigen, das stand nun leer Und war nur eine
Kette schmaler, tiefer Einzelzellen Ohne Licht, |
Zwei Meter lang und
aus Beton gestellt, Man sagte, in der
Zelle Habe es die Decke
und den Aborteimer geben dürfen, Und ein Arzt, Herr
Y. Der einer Frau in
schwerer Stunde hatte helfen sollen, Sprach von
unglaublichen Dingen, Und er schwieg
danach davon, Bis in sein Grab. |
Voller Angst und Sorge war Frau I., Und sie sah jeden
Morgen einen Zug Von zwei Mal hundert
Frauen, Der kam ihr
entgegen, Denen hätte sie ihr
Frühstück Gerne in die Reihen
fallen lassen, Und sie hatte es
sich nicht getraut, Und von den Frauen hätte
keine es gewagt, |
Sich nach dem Brot
zu bücken. Links und rechts und
überall War Schwarzhemd's
Gegenwart mit Rutenbüschel. Sie meint, Wenig hätte sie
gewusst, Doch von den
anderen, |
Die näher in der
Nähe, wie die Schreber In den
Schrebergärten wohnten, Wüsste sie, dass die
wohl alles wussten, Und die wohnten Tür an Tür mit
denen. Doch die konnte man
nun nicht mehr fragen, Alle waren längst,
längst tot. |
Weil er zu der Zeit
jung Und in Begeisterung
die Zeit erlebte, Und er war ein
Hitlerjunge, Der war überall und
nirgends Und gehorchte auf
das Wort, Wenn man' s ihm
sagte. Heute lehnt er an
dem Zaun Und weiß auch, wo
das Lager damals lag, Das war ganz in der
Nähe einer Stellung Mit Kanonen gegen
Luftkommandos An dem Feldblumenweg, Und er meinte, Dass es ein Jahr
älter wäre Als die Steine
sagten, Die verstünden von
so kleinen Zahlen nichts. Das Arbeitslager sei
ein Schutz der Flak gewesen, Nachts stand es im
Licht. Herr N. weiß auch Von fünf Mal hundert
Frauen Und dass viele krank
gewesen seien, Und er habe sie
gesehen, Wie man Menschen
sieht Und nicht, wie sich
ein junger Mann Die Frau ansieht. Sie waren Haut und
Knochen, Und sie trugen
Holzpantinen an den Füßen, Blau- und
weißgestreifte Kleidung, Und darauf stand eine
lange schwarze Nummer. Er hat sie gesehen,
als sie völlig ausgemergelt In der Waschbaracke
standen, Und er hat die
lauten schrillen Schreie |
Noch im Ohr. Man duschte sie mit
eisig kaltem Wasser ab. Er hatte durch das
eine Fenster Auf die Frauen schauen
können, Und sie hätten wegen
dieser vielen nackten Knochen Aneinander schlagen
müssen. Und ein Wachmann war
gekommen, Um ihn zu
vertreiben. Was Frau I.
erzählte, Konnte er
bestätigen. An jedem Morgen
schleppte sich ein Zug Von zwei Mal hundert
Frauen Bis zum Bahnhof
Poppenbüttel. Dort verluden sie
sich in den Güterzug Und wurden in die
Stadt gefahren, Um die ausgebombten
Viertel Von den Trümmern und
den Leichen zu befreien, Und man habe sie mit
"Schnaps" gefüttert, Und die Übelkeit In ihnen unterdrückt. Man hatte dreißig
Männer Zur Bewachung
abgestellt, Die waren jeder um
die sechzig Jahre alt Und ausgerüstet und
bewaffnet Wie die
Schwarzhemdmänner. Einige von ihnen
hatten Schäferhunde. Schlimmer als das
Eis der Dusche Waren Schwarzhemdfrauen, Die sie auch
bewachten |
Und sich gar nicht
zierten Und mit scharfen
Schäferhunden, Schlimmen Peitschen,
blanken Stiefeln, Ihre Ordnung
hielten. Und die bildeten
sich viel Auf ihre blauen
Augen Und die kurzen
blonden Haare ein. Und jede war in einem Unersättlich reifen
Frauenalter Zwischen zwanzig,
dreißig Jahren. Und der Zug, der
durch die Straßen zog, Nahm immer wieder
einen andren Weg, Und viele Frauen,
andre Frauen, Legten Essen oder
ähnliches dahin Und ließen sich auch
von den Wachen Nicht bedrohen, Und man drohte oft
sie 'Abzuholen', Und das nahmen sie
und sie Nicht ernst, Und, wie es schien, Ließ dann die Wache
doch das eine und das andre zu, Und was das war, Das konnte selbst
Herr N. Der Jugend nicht
mehr sagen. Die Bewachung durch die
Männer War, so sagt Herr
N., nicht allzu streng, Sie waren im Vollzug Und sie vollzogen
nicht Wie mancher glaubte. |
Nun
erreicht die Jugend ein Gespräch, Das ist im Telefon Und alle hören mit, Man hat ein lautes
Sprechgerät Dazu geschaltet: "Hier sprech'
ich, Frau P., Ich möchte einiges
ergänzen und bestätigen Und kann nicht
selber zu euch kommen. Damals war ich noch
ein Kind Von zehn, elf
Jahren. Niemand der Familie
hatte je Kontakt Zu den KZ -
Insassen. Das war gar nicht
möglich, War viel zu
gefährlich Und da drang nun
wirklich gar nichts 'raus'. Und niemand blieb an
der Umzäunung Stehen, Und man fürchtete zu
Recht, Dass die Umzäunung
um sich greifen würde, Und sie würde einen
selbst umgreifen. Meine Mutter fuhr Mit ihrem Fahrrad
auf das Lager zu. Sie war nicht mutig Und man sah ihr
ihren Mut nicht an, Ihr Kommen war ein
Eilen, Fliehen, Und sie warf die
Reste Brot vom Tage Und was sie noch
hatte, |
Über deren
Stacheldraht Und warf sehr oft
daneben, Manches blieb im
Gitter hängen, Und sie war schon
fort Bevor sie kamen. Die dort drinnen
lebten nur Von irgendwelchen
Suppen, Die sie gar nicht
hatten, Oder gerne hätten, Das sah man von
weitem, Wenn sie in Kolonnen Hin zum Baden gehen
mussten. Nach dem Lager, Als das Lager nicht mehr
Lager war, Erlaubten meine
Eltern zwei Zigeunerinnen Mit dem Kind den
Aufenthalt In unsrem Haus. Sie hielten sich
nicht lange auf Und sie erhielten
etwas 'Anständiges', Das war Essen,
Kleidung, Trost, Und sie erzählten, Dass sie
Wassersuppen, Bohnensuppen Hatten essen müssen, Und sie waren fast
schon tot. Ich sah sie immer
wieder an, Und jemand sagte, Dass sie's nicht so
schlimm Wie die in
Neuengamme hatten. |
Hier in Sasel hatte
es die Kammern, Die aus ihren
Duschen Gas verströmten, Nicht gegeben. Hatte eine Frau
etwas "verbrochen", Wo es nichts mehr zu
verbrechen gab, Dann fügte man ihr
Wunden zu Und die bestreute
man mit Salz und Pfeffer, Oder stellte sie für
Stunden In ein Becken, Das war angefüllt
mit kaltem Wasser. Sonst verzichtete
man hier in Sasel Auf die Folter. Einer der Bewacher
sei ein Mensch gewesen, Und er habe oft den
Frauen Bei dem Tragen
schwerer Kannen mit geholfen, Und man holte damals
Milch Von einem Platz am
Markt in Sasel, Dort ist jetzt ein Lebensmittelsupermarkt
errichtet worden. Meine Eltern hätten
es niemals gewagt, Das Lager auf dem
Foto festzuhalten. Niemand hätte das
gewagt. Man hatte die Gefahr
gesehen, Hätte dann
vielleicht Gelegenheit bekommen, Alles ganz genau zu
sehen, Auch von innen, Um es in sich aufzunehmen." |
Konnte man noch
einen kurzen Vortrag Abgewinnen, Und er war schlecht
zu verstehen, Und er war doch so, Dass man ihn gut
verstand. |
Sie sprachen
zueinander: "Wir, die
Steine, haben ein Gebot: Von uns darf sich kein
einziger ent-setzen, Und dort, wo wir
stehen, Müssen wir
ver-stehen lernen. |
Das ist unsre Art
sich zu bewegen, Und be-greifen
werden wir nie können." |
Von Frau D. erhielt man einen Brief, Den wollte man nicht
mehr verlesen, Und er war doch lesenswert, Weil er den
Schlussstrich zog, Den zog so mancher
später, Als man einen
Schlussstrich gar nicht ziehen durfte, Und nachher, das ist
das Jetzt, Stand es, sagt einer
von den Jugendlichen, Stand es gar nicht
an, Den Strich von
damals immerzu zu wiederholen, Und sie wären
kopflos im Verstehen Wenn sie diesen
Schlussstrich ziehen müssten. |
Man las vor: "Von der
Familie hatte keiner Den Kontakt zu den
Insassinnen gehabt. Ich wusste aber von
den andren Frauen, Die, die Essenreste an
die Zäune brachten; Und wir sahen
täglich ihren Zug Durch Sasel bis zum
Bahnhof, Eine Wanderschnecke, Die in abgeschlossne
Wagen kroch. Die hatten nur die
Lappen an den Füßen, Und die hüllten sich
in Decken, Das war ihre
Kleidung. |
Und es waren Männer,
die sie überwachten, Dass sie sich nicht
nach den Essenresten bücken konnten, Ohne dass man auf
sie schlug, Und schlug sie auch, Wenn sich die
Schnecke in die Länge zog. Mit sechzehn,
siebzehn Jahren War mir alles gar
nicht so bewusst, Ich dachte auch, dass
das so sei Und müsste wohl so
sein, Und alles hätte
seine Ordnung." |
Als das Lager nicht
mehr Lager war, Befragte man zwei
Freigelassne Nach den Strafen,
die noch auf der Strafe lagen Und man hörte aus
den Steinen Zwei Berichte: Namentlich war uns
Frau M. bekannt, Das war die
Schwarzhemdfrau, Die sollte ihren
Mann im Krieg verloren haben, Und sie war erst
dreißig Jahre alt. Der Biss der
Peitsche reichte ihr nicht aus, Sie hatte einen
dritten Arm, Das war ihr Arm der
Rache, Und sie schlug so
oft es ging, Wohin es ging mit
einem Gummiknüppel, |
Und sie rächte sich
für sich Und nicht an sich, Und freute sich in
Quälerei an anderen. Die war die
Schlimmste, die dort stand. Sie spielte einmal
"Hinkefuß" Mit einer, die sich
in der Stadt Beim Steine laden
ihren Fuß verletzte, Und die musste bis
ins Arbeitslager Auf dem Bein, das
ihr geblieben war, Nach Hause hinken, Das war Kilometer
weit, Und keine durfte
Hilfe leisten, Und sie hatte kein
Zuhause, Und der Frau
erschien Das größte Ungemach
nun ein Zuhause, Und es kam, dass
sie, die Strafgefangne, |
Die Verschleppte,
den Verschleppern Auf dem Weg für
etwas Hilfe In die Arme hätte
fallen mögen, Und sie hätte sie in
Dankbarkeit geküsst, Und überhörte in den
Schmerzen Dass man sie
verhöhnte Und den Spott in
ihre Wunde träufelte. An Schlägen von Frau
M. Ist keine Frau
gestorben. Und die andere
Insassin: „Meines Wissens Hat es in dem Lager
keine Tötungshandlung Oder Selektion
gegeben. Allerdings schlug
man und viel.“ |
Fielen wieder in die
Urgespräche, Und es war wohl so, Dass sie für kurze
Augenblicke Viel zu lange
lebten, Und sie waren ja
schon dagewesen, Als die anderen vor
ihnen Noch nicht
existierten, |
Und sie dachten an
die Schlauen, An die
Tausendjährigen, Die standen doch mit
denen, Die die Zeit davor, Jahrtausende davor
das Land In Niedertracht und
Glück In Unglück und in
Schicksal aufgerichtet Und gerichtet
hatten, |
Eng im Bunde, Und sie hatten nach
dem Maß der Steine Nichts gebunden, Und sie blieben wie die
anderen davor Und davor und davor. Das musste man
bedenken. |
Es steht ein Zaun, Und diesseits stehen
Jugendliche, Die befragen Zeugen
und die Leute, Die noch etwas
wissen können Aus der Zeit davor,
die sind nun alle alt, Und stehen jenseits, |
Diesseits liegen
noch die großen Steine In dem Rasen, Die sind selber
Zeugnis. Eine Gruppe
Jugendlicher Hat sich
abgesondert, Um den Zaun zu
streichen, |
Das ist eine Tat, Die, meinen sie,
muss sein, Und niemand wagt es, Sie von ihrem Eifer,
ihrem Handeln Abzuhalten. |
Und horcht gespannt.
Man winkt von andrer
Seite ab, Man kann Erfahrung
doch nicht übertragen., Und die Jugend
möchte, Dass man alles
unterbricht Und zur Kantine geht Und sich ein wenig stärkt, Und eine von den
Älteren, Frau H. Ist noch im Telefon, Sie hätte nicht so
viel zu sagen, Und das, was sie
sagen wollte, Wäre eben grad'
gesagt: Die Jugend sollte
nicht zum Essen gehen, Denn sie wollte noch
den Hinweis Auf den Hunger
geben, Und der Hunger wäre
mehr als das Bedürfnis Und viel schlimmer, Und er wäre eine
Frage um die Existenz Und nicht die Frage
um den Preis, wie heute, |
Und das Frauenlager Ist von vielen
völlig übersehen worden, Und der morgendliche
Zug der Frauen War sehr langgezogen Und man hatte ihn
durchschreiten können Und man trat dabei
in offne Münder, Die nur flüstern
konnten, Und sie riefen:
"Hunger, Hunger!' Und die Wache rief
dazwischen-. "Lasst,
verdammt noch 'mal, das Betteln!" Und die Frauen
hatten sich Mit Farben
aufgeschminkt Und ihre Lumpen
aufgebauscht, Das taten sie zu
ihrem Schutz, Erfuhr ich später, Dass man sie nicht
aussortierte Und beseitigte. |
Es gab sehr viele, Die zu der Zeit
schon nichts mehr Von diesen Dingen
wissen wollten. Keiner Jugend dieser
Welt Wünsch ich den
Hunger als Erfahrung, Und ich sage euch, Ihr solltet bis zum
Abend hungern Und nichts trinken, Und ihr habt ein
neues Wort gelernt. An einem Ende hatten
Jugendliche Damit angefangen, Diesen Zaun zu
streichen, Und sie dachten in
dem Eifer nicht ans Essen Und ans Trinken, Und sie wollten ihre
Arbeit Wegen solcher
Kleinigkeiten Auch nicht
unterbrechen. |
Die Jugend war nun aufmerksam geworden Auf das neue Wort Und wollte 'Hunger'
kennen lernen, Weil es mehr sein
sollte, als sie kannten, Und ein Teil von
ihnen War ja mit der
Malerei am Zaun beschäftigt, Und sie legten von
den Steinen, Die sie nicht
verstanden, Einige zu einem
Stehpult aufeinander Um darauf zu stehen, Und die Steine
schrien auf, Weil sie ein Pult
wie damals bildeten, Und sie erinnerten
sich nun Und wussten auch die
Textpassagen, Die von dort
verlesen worden waren. Man schrieb mit Und hatte dann die
Übersetzung, Die verlas man so: "Bin euer
Schwarzhemdstandortarzt Und gehe allen
Klagen nach, Und man beklagt das
Essen. |
Essen wurde
untersucht, Die Werte, liegen
wenig unter Werten Wo die Werte für
Verpflegung liegen sollen. Reichen eben aus,
das ist genug. Gehalt an Kalorien
ist festgelegt, Ist wissenschaftlich
untersucht, Stellt ganz und gar
neutrales Amt zufrieden, Weicht nur wenig ab, Mit einer Toleranz
von vier Prozent nach unten, Andre liegen viel,
viel tiefer. Habe auch Vergleiche
mit Tabellen angestellt, Kann hier nur
gratulieren, Wollen ja nicht
Winterspeck ansetzen, Kleiner Scherz, Es ist nicht
angestrebt, Mit der Ernährung
zusätzlich Reserven Anzulegen, Kann nicht Sinn des
Arbeitslagers sein. Es sollen alle alles
geben Und nur wenig dafür
nehmen. Zubereitung,
Sauberkeit in dieser Häftlingsküche |
Ausgezeichnet, Spreche von
vorbildlich, Habe nichts
Bemerkenswertes, Meine Ungesundes, in
mein Protokoll Zu nehmen. Schwarzhemdstandortarzt
befindet alles "Sauber,
einwandfrei", Verwaltung ist
"gerecht"; Ein Glücksfall,
dieses Außenlager, . Andre Lager leben mit
ganz andren Kompromissen und
Entscheidungen. Wir singen jetzt ein
Lied: "Vernichtung
durch die Arbeit" Und danach: "Die Arbeit
macht euch frei". Die Frauen die ihn
hören mussten, Standen still Und lauschten auf
das Lied der Drossel, Die im Grün der
Büsche Spottete. |
Das ist Frau B., Die ist ganz stumm Und hält den Zettel
in der Hand, Den reicht sie durch
die Maschen zu den Jugendlichen, Darauf steht: "Ich bin nun
stumm Und habe noch ein
Band, Das ist ein Tonband, Wie wir es noch
kürzlich hatten. Heute habt ihr eure
Steinkristalle, Darin speichert ihr
die Welt Und ihr wisst alles, Und auf meinem Band
befindet sich ein Interview, Das haben wir, Herr
F., Frau F., Und ich gegeben, Und ihr könnt es
hören, wenn ihr wollt." Sie hat auch das
Gerät, es abzuspielen, Und die Jugendlichen
denken an das Essen, |
Das steht fertig, Und sie sollen es
sich noch nicht nehmen, Und sie wollen die
Geschichte mit dem Hunger Nicht mehr länger
akzeptieren. Man beschließt noch
dieses Band zu hören, Man beschließt zu
warten mit dem Essen, Dann kann die
Erfahrung mit dem Hunger, Die Erfahrung
werden, die noch fehlte, Und sie wollen es
nicht Übertreiben, Und sie einigen sich
auch mit denen, Die den Zaun
bemalen, Ohne deren
Einverständnis, Und die stehen immer
noch auf ihrem Steinpult, Und sind so
besessen, Dass sie nicht ans
Essen denken, Und sie lachen über
ihre "Fressgenossen", Und sie wollen ihre
Arbeit fertig bringen, Und die andre Seite
ihres Zaunes Ist ja auch noch
anzustreichen. |
So beginnt das Band,
es wird zurück gespult, Ein Interview mit
einer Frauenstimme, Und Frau B. hebt
ihren Finger, Das ist also sie: "Die Aufsicht
über jede Aufsicht Hatten drei der
Schwarzhemdmänner Und drei
Schwarzhemdfrauen. Zwei von ihnen
blieben stets im Lager, Vier begleiteten den
Zug der Frauen Nach dem Bahnhof
Poppenbüttel, Und die Aufsicht
über jede Aufsicht Wohnte in zwei
Wohnbaracken, In zwei Augen, Die in ständiger
Betrachtung, Nach den Frauen in
dem Lager trachteten. Sie hatten über
sich, Für das Willkommen,
einen Gruß: "Dies ist das
Arbeitslager Sasel, Stehen bleiben ist
verboten!" |
Der endete nun doch
mit Essen Und Gesprächen, Und der
Lebensmittelsupermarkt Erkannte die
Gelegenheit Und schenkte jedem,
der dort war, Ein Lunchpaket, das
sättigte, |
Und die, die draußen
standen, Das ist außerhalb
des Zaunes, Würden niemals
wieder satt, Die Jugendlichen
innerhalb des Gitters Spürten, dass die
Sattheit sich Unangenehm erinnerte Und die von ihnen, |
Die noch immer an
dem Gitter malten, Waren über alles Maß
erhaben Und verschlangen
ihre Mahlzeit Nebenbei, Und alle
überschliefen diesen ersten Tag Und trafen sich am
zweiten wieder. |
Wir
hören wieder in das Interview vom Band Und
auf Frau B., Die
fährt nun fort: Es
waren etwa vier Mal hundert Frauen in dem Lager, Und
zum Ende, als das Ende kam, Kam
noch ein Schub, Der
brachte zwei Mal hundert neu dazu. Die
Schwester von Frau B. Und
eine andre Frau begaben sich Nach
Poppenbüttel, Um
hier Nahrung den Insassinnen zu bringen. |
Als
die Schwarzhemdfrauen die Kontakte sahen, Schrien
sie ihre Lumpenmannschaft an, Und
doch schien es nach außen, Dass
sie sich nicht an den Häftlingen vergingen. Einer
von der Wache Sah
in eine weite Weite, Die
war intressant für ihn, Sonst
sah er nichts Und
wollte auch nichts sehen Und
er gönnte denen ihre Spenderinnen. Überwiegend
trugen die Insassinnen Den
gelben Stern, der wies sie aus |
Und
zeigte, dass sie Juden waren. Diese
Frauen schufen in Kolonnen., Und
sie bauten fünfzig Plattenhäuser, Daraus
wurden je zwei Eigenheime, Und
sie wurden denen, die sie schufen, Nicht
zu eigen und kein Heim Und
wurden doch sofort bezogen, Und,
die sie bezogen, Hingen
ihre Augen in den Heimen auf Und
sahen nicht nach draußen, Halfen
denen nicht, Die
hier geholfen hatten, Standen
in der Angst, Die
Hilfe könnte schaden. |
Interview mit dem Paar
F., (12 Fragen) Das wohnt noch in
dem Plattenhaus Am Pfefferminzkamp
Nummer (Fragezeichen) |
|
|
Erste Frage: Wie verstanden sie den
Bau des Hauses Und was wussten Sie
darüber Und was über dieses
Lager nebenan? Die Leute, die die
Trümmer ihrer Häuser Überstanden hatten, Konnte man zum Teil Hier unterbringen. Große Firmen
leiteten den Bau der Häuser Und es gab viel
Eigenhilfe. Zweite Frage an das Paar: Was dachten Sie denn
über Juden, Allgemein die Juden? Er sagt ganz
spontan: Ich hatte meine
eigenen Gedanken, Und ich glaubte
nicht, was man mir sagte, Überall traf man auf
Hass, Der richtete sich
gegen sie, Weil man von ihnen sagte, Dass sie an den
'Fäden' zögen, Ihre Finger hätten
sie in jeder Sache, Und vor der
Vertreibung wären sie als die Geschäftemacher und
Besitzer Aller Wäscherein und
Schuhgeschäfte Überall verschrien
gewesen. Danach hat man sie
verfolgt, Und fliehen konnten
nur die wenigen, Die Bargeld hatten, Und man machte Jagd
auf die und die Und fing sie ein. Das ist nicht nur
bei uns geschehen, Sondern überall wo
sich Ein Schwarzhemd
sehen lassen konnte. Und die eingefangnen
Juden Sprachen oft kaum unsre
Sprache, Und sie kamen aus
den andren Ländern. Über die im Lager Konnte man nur in
dem allerengsten Kreise Der Familie reden. Jeder Fremde, Jeder Außenstehende
stand im Verdacht, Uns zu verdächtigen, Es gab genügend
Leute, die 'gesessen' hatten, Und, wer das nicht
annahm Und nicht glaubte, Wollte es nicht
glauben, Oder war zu dumm. Bei den Kontakten
der Insassinnen Mit Außenstehenden Misshandelte man Diese Frauen, Und sie mussten
immer, immer arbeiten, Das nahm kein Ende. Dritte Frage: Wann begann und
endete der Bau Der Plattenhäuser? Diese Häuser hatten
einen kurzen Weg, Der dauerte ein
Jahr. Sie standen bis zum
Ende Dieses schlimmen
Krieges Nur am Kritenbarg
und an dem Pfefferminzkamp, Das sind kleine
Straßen. Als das Ende kam, Verschwanden alle
Insassinnen, Und sie konnten ihre
Plattenhäuser Nicht zu
Siegeshallen machen. Wenige und restliche
davon Errichteten dann
andere danach. Wir wissen nicht, Wohin die Frauen
gingen, Wohin sie entlassen
wurden, Ob man sie entließ, So dass sie ihrer
Wege gehen konnten, Oder ob man sie am
letzten Tag Noch in die Grube zu
den Brüdern Und den Schwestern
stieß Und sie verließ in
der Verlassenheit. Vierte Frage: Hat man die Besitzer
dieser Häuser Etwas übers Lager
wissen lassen, Was hat man erzählt, |
Was wussten Sie? Wir hatten nur
Vermutungen Und wussten nichts
genau Und waren auch in
einer Fremde, Fast so wie die
Frauen. Aber die, das sahen
wir im letzten Winter, Waren schrecklich
dran. In Eiseskälte gingen
sie mit 'Plunder' An den Füßen Und bekleidet mit
den Tüten für Zement, Sie sahen schlimmer
aus Als 'Penner‘, wie
wir heute sagen, Mussten auf den
Pritschen schlafen, Ohne Stroh, so wie
sie waren, Wurden morgens
hochgetrieben, Mussten an die
Arbeit, Dann zurück Und immer neu, und
immer neu Und Tag für Tag, Und schlimmer als
die Männer Waren
Schwarzhemdfrauen, Und er habe selbst
auch einmal Etwas
"eingefangen", sagt Herr F. Das hatte aber keine
Folgen, Weil er in dem
Schutz der Wehrmacht stand. Die
Schwarzhemdfrauen Schlugen in der
Kälte auf die Kälte Und sie schlugen,
was sie trafen, Und es tat sich
mancher Sprödbruch auf Und mancher neue
Riss Lief durch die Haut. Fünfte Frage: Wissen Sie" wie
lang' die Judenfrauen Täglich auf der
Arbeit waren?
Das ging mit dem Hahnenschrei. Sowie die Sonne kam Und sich die erste
Helligkeit Nach draußen wagte, Hatten sie Appell,
dann ging es ab, Und mit dem
Dunkelwerden Waren sie zurück. Die Arbeitszeit
empfand man als normal, Es gab auch
Arbeitspausen, Und die Frauen
machten harte Männerarbeit, Das war schwere
Erdarbeit. An Flucht war nicht
zu denken. Sechste Frage: Hatten Sie nun
selber Fragen Auf der Zunge, oder
haben Sie gefragt, Und mussten Sie sich
nicht Gedanken machen Über das, was Sie
vor Augen hatten? Wenn man zu viel
fragte, Hätte man die
Antwort Sicher bald aus
erster Hand gewusst, Das wollte niemand. Sonst erhielt man
eine gute Antwort: "Alles bestens. Hier ist alles
bestens, Kümmern Sie sich
nicht darum." Die Wachen gingen An der Fragerei
vorbei, Und richtig
informieren Konnte man sich
nicht. Die siebte Frage: Hatten Sie
Verbindung Zu Insassinnen? Verbindung gab es
nicht. Die Judenfrauen
waren schüchtern, Und sie waren
eingeschüchtert, Und sie wussten ja
Bescheid Was kommen würde, Wenn sich andere auf
sie beriefen Und mit dem Bescheid
an vorgesetzte Stellen gingen, Und sie konnten
unsre Sprache kaum Und waren nie
allein, Sie standen stets im
Schatten einer Wache. Manchmal haben wir
von unsrer Suppe, Erbsensuppe,
abgegeben, Und wir konnten sie
an zwei, drei Frauen geben, Und die hatten keine
Zeit zum Essen, Nicht zum Schlingen, Sondern haben ihre
Suppe Weggeschluckt, das
dauerte Sekunden. |
Achte Frage: Haben Sie den
Abtransport Von Judenfrauen
miterlebt?
Wir wissen davon
nichts. Hier waren etwa
hundertfünfzig Frauen, Die dieselben
blieben, Und die waren
stationiert im Lager. Das war kein KZ, Das war ein
Arbeitslager. Neunte Frage: Haben Sie gesehen, Dass die Judenfrauen
im Kommando lebten Und die Arbeitsplätze
wechseln mussten, Transportierte man
sie ab? Transporte haben wir
gesehen, Aber niemand wusste
ihren Weg. Ja, wir vermuteten
Verschiedenes Und dachten uns, Die müssen wohl nach
Ochsenzoll, Das ist nicht weit
von hier, Und sollen dort die
Hülsen für Granaten schmieden Oder Panzerketten
bauen. Zehnte Frage: Sagen Sie, wie
wurden die verladen Und wie sahen Züge
aus, Die diese Züge
transportierten? Man nahm alte
Eisenbahnwaggons, Nicht mehr als einen
oder zwei, Die hielt man frei
für Judenfrauen. Jeder Wagen war von
außen abschließbar. Man fuhr nicht mehr
als fünfzig Frauen. Eine Flucht war
ausgeschlossen, Wachen waren
überall. Ich weiß auch nicht, Ob alle wiederkamen. Wenn sie standen, Schwankten sie auf
wackeligen Beinen, Das kam nicht von ihrer
Fahrerei, Das kam von ihrer
Schwäche, Und sie waren nur
noch Haut und Knochen. Manchmal sahen wir
sie sich Um Reste prügeln,
zanken, Die sie aus dem Mist
gezogen hatten, Der war angehäuft, Das ekelte uns an. Die elfte Frage Ging ums Essengeben
an die Frauen, Was die Wache dazu
sagte, Und es hing ganz von
der Wache ab, Die wechselte sehr
oft. Die letzte Frage dieses Interviews: Erinnern Sie siehe Ob man ihnen die
Begründung nannte Für die Arbeit, Die doch so
unmenschlich war, Warum man keiner Essen
geben durfte? Sehen Sie, Die
Schwarzhemdmenschen Hatten eine
Propaganda, Die war, wie sie
sagten, eine Herzensstimme, War die Stimme
unsres Volkes, Die bestimmten sie, Es war die Stimme
eines einzigen, Und diese Stimme
sagte, Dass es sich bei diesen
Menschen Nicht um Menschen
handelte: "…denn das sind
keine Menschen". Sie bekamen nur das
Notwendigste, Und das Volk erhielt
ja auch nicht viel. Wer aus den Wachen Stumpfe Pfeile
machen wollte, Lenkte deren Wut Auf diese
Judenfrauen. Wer hier helfen
wollte, Musste Essen,
Kleidung, Schuhe An die Straße
stellen, Und es war ja keine
Hilfe, wie man half. Die Frauen waren
nicht zu sprechen Und sie sprachen
nicht Und waren nie
allein. |
Aus dem Alstertal
gelaufen, Der bringt eine alte
Ladenkasse, Darin liegt ein
Kassenbuch, Und drückt man auf
die Öffnungstaste, Klingt die Glocke, Die ist eingebaut
und funktioniert noch immer, Und sie ist ein
Kuckucksruf In den Gesprächen, Und es liegt noch etwas
Geld in ihren Fächern. Aus dem Kassenbuch
entnimmt man Die Belege, Und der Jugendliche
sagt, Darunter liegt ein
Brief, den möchte er verlesen, Und den hat der
Kassenwart geschrieben. Der Bestand der
Kasse ist ganz abgerechnet, Und er liest nun
vor: "Die Regelung
und der Bestand: Die Arbeitszeit der
KZ-Außenstelle, Hamburg-Sasel Ist die Zeit vom Sonnenaufgang bis
zum Sonnenuntergang. Als Arbeit haben
alle Frauen Schwerstarbeit zu
leisten, Das ist
"Trümmerräumen" in der Innenstadt, Das sind die Erdarbeiten
für die Plattenhäuser Vor den Toren dieser
Vaterstadt, in Sasel, Das soll diesen
Frauen keine Stadt der Väter werden, Und sie sollen dort
im Pfefferminzkamp graben, Weiter haben sie im
Kettenwerk von Langenhorn Zu schaffen Und sind zu
verwenden In der Produktion
von Hülsen Für Granaten und
Kartuschen. Diese Frauen hat man
zu verbrauchen, Sind erschöpfend zu
verbrauchen, Für Verlegung
kleiner Loren zu den Plattenhäusern, Das sind kleine
Wagen, Die auf Schienen
fahren und geschoben werden, Und den Anfang
nehmen sie am Bahnhof Poppenbüttel, Und sie haben alles
gut zu warten Und zu reparieren. |
Weiter sind sie
einzusetzen In den
Atemschutzfabriken, Das sind Gummiwerke,
die in Barmbek stehen, Dort sind Masken zu
verkleben, Und sie haben
Bombenopfer einzusammeln, Aufzulisten Und in Ohlsdorf zu
begraben. Diese Arbeit kann
man heimatliche Frauen Nicht verrichten
lassen, Weil es eine Schande
wäre, Die fiel aufs
Regime. Beim Einsatz ist
kein Unterschied zu machen Zwischen männlichem und
weiblichem Geschlecht, Und jeder Häftling
ist dem andren gleich zu setzen, Und die Gleichheit
ist hier ausgesetzt, Und die Bekleidung
ist dem Ziel, Den Häftling
auszuschöpfen, anzupassen, Sie muss dürftig
sein, Auf Arbeitsschutz
soll man nun ganz verzichten. Unverzichtbar werden
Opfer unter ihnen sein, Die soll man nicht
beklagen, Sondern aus der
Liste streichen, Und es kann ein
Unfall bei der Lorenarbeit sein, In der Fabrik, Es kann ganz einfach
Krankheit sein." (In Sasel ist ein
Totenbuch geführt, man siehe auf die
Bergstedt- Totenliste. Von den fünfmal
hundert Frauen strich man Fünfunddreißig aus.) "Wir rechnen
für den Winter mit noch mehr, Die brauchen einzeln
nicht erfasst zu werden“. Dann beruft der
Kassenwart sich auf den Schwarzhemdhauptverwaltungsleiter
Pohl, Von dem ist ein
Befehl gegeben worden, Der liegt abgedruckt
dabei: „Entscheidung liegt
allein beim Lagerkönig. Anvertraute
Unvertraute sind erschöpfend Zu verwenden Und im wahrsten
Sinne zu verwerten, Zu erschöpfen, Leistung ist als Höchstmaß
zu erreichen |
Danach ist Ernährung
einzurichten, Darf nicht als
Reserve dienen, Ist nicht
Vorratshaltung. Beispiel Sasel lässt
sich gut verwenden". Soweit der Befehl. Der Kassenwart hat
Buch geführt Und keinen Lohn
gezahlt, So, zahlte der sich
aus. Er wurde abgeführt
an eine Schwarzhemdrechnerei. Von den Fabriken ist
pro Tag, pro Frau Ein Tagegeld von
vier Mark auszuzahlen, Das ergibt in einem
Monat Bei den fünf Mal
hundert Frauen, Fünfzigtausend Mark, Und Schwarzhemds
Kasse füllte sich, Und stärkte sie Für neue
'Wirtschaftsunternehmen" dieser Und auch andrer Art. Private Firmen, Und die Väter dieser
Stadt, Vermaßen sich, mit
diesem Maß zu messen Und gewannen
dadurch, Dass sie
Unermessliches verloren Und verloren, was
für sie nicht messbar war, Und waren doch die
Väter einer Stadt, Die waren viel
beschäftigt mit Verstoßen Und Vermessensein. Die Kasse hat noch
Groschen, Die sind nichts mehr
wert, Und sind ein Wert,
den kann kein Mensch bezahlen, Und man zeigt sie,
reicht sie sich Von Hand zu Hand, Lässt den Bericht
die Runde machen, Und man weiß, Es sind die echten
Zeilen. Besser wäre es für
sie gewesen, Dass es nie Papier Für ihre
Niederschrift hätt' geben müssen. So sah man in' s
Lager Als in eine
Wechselstube, Die das Blut direkt in
Groschen tauschte. |
War noch lange nicht
das Ende, Und der Anfang
dieses Endes War für viele noch
das Ende, Und man brachte in
den letzten Tagen Viele der
Insassinnen nach Bergen-Belsen. Keiner kann darüber Eine ganz genaue Auskunft
geben. In den letzten
Tagen, schreibt Frau K., Fuhr man noch Frauen
mit dem Wagen Aus dem Lager. Der Transport wurd'
unerwartet aufgehalten, Als ein Polizist ihn
stoppte, Und es flohen einige
der Frauen. |
Dieser Polizist, So meint Frau K. zu wissen, Wurde später von der
englischen Besatzungsmacht Verurteilt, Und die Gründe
blieben unbekannt. Der Frühlingsanfang
dieses Jahres War schon
überschritten, Und das Frühjahr war
genau vier Wochen alt, Als in dem Lager
etliche der Frauen starben, Das fiel auf, und
wir vermuteten, Dass man sie tötete, Weil sie von allem
zu viel wussten. |
Die Besatzungsmacht
kam näher Und die ersten
Schwarzhemdfrauen, Die die Wache
machten, Flohen in der
Kleidung Ihrer anvertrauten
Unvertrauten, In der Sträflingskleidung, Andere, das wusste
man genauer, Flohen in die
"Alte Mühle“, das war nahe bei, Und war ein
Fliegerheim gewesen. Kapitulation war das
Signal Für die
Besatzungsmacht, Die kam mit Jeeps
zum Lager. |
Unter denen auf der andren Seite Das ist diesseits
jenes Zaunes, Ist Herr N., der
hält sich nicht zurück Und schildert allen
wie es war Und sagt: "Die meisten
dachten so wie ich, so dachte ich, Und damals war ich
fünfzehn Jahre alt Und lebte in
Begeisterung In unsrer
Hitlerjugend. Wir erlebten, Wie das Lagertor
geöffnet wurde, Wie man diesen
Knoten aufschlug: An der "Alten
Mühle“ gab es einen Sportplatz, Der war lange schon
ein Abgesperrter
Übungsplatz für Schwarzhemds Leute,
die betreuten dort In Schlaf- und
Wohnbaracken Ihre fliegenden
Kommandos, Die entließen sie
nur nachts in ihren Himmel Um zu kämpfen, Und sie feierten
dort viele Feste Mit den
Schwarzhemdfrauen, Alle waren
stationiert in: "Fuhlsbüttel,
Einsatz für das Vaterland, Das braucht nun
jeden Mann." Mit diesem Ende gab
es plötzlich keine Schwarzhemdfrauen
mehr, Sie waren in ein
Nichts verschwunden, Übrig waren nur die
Wachen. Auch die Flak war
abgebaut und fortgeschafft, Wohin, vermochte
niemand mehr zu sagen, Und Herr N. war zur
Marine kommandiert. |
Viel später kam er
selbst Als Ende eines Endes
wieder, Und es war das Ende
dieses Krieges, Und er stieß auf die
Besatzungsmacht, Die war motorisiert
und fuhr mit Jeeps Und hatte den
Verdacht in Sasel: „…dass da
irgendetwas war“. Im Stacheldraht des
Lagers Hingen die
Gefangenen Und rissen an dem
Zaun, Der hielt der Freude
stand: "Wir sind nun
frei, Sind frei, Sind frei!" Und kamen doch nicht
frei, Weil niemand einen
Schlüssel Für das Tor des
Lagers hatte, Und die Menschen
standen auf der andren Seite Im Gelände und
erstarrten vor dem Zaun Und dem Geschrei, Und die
Besatzungsmacht nahm sich die Macht Und brach das Tor, Damit es sich den
andren endlich öffnete. Die Frauen stürmten
durch Und schrien und
riefen: „Tommys, hurra
Tommys“! Und verliefen sich nicht
in der Gegend Und verliefen sich
sofort, Und sie genossen
ihre Freiheit, Und es konnte
niemand Ruhe über sie vergießen, Und sie brachen aus Und brachen ein in
die Fabrik, ganz in der Nähe, |
Dort entdeckten sie Und wussten sie von
Marmeladefässern, Die zerrissen sie Und hungerten so
sehr nach Süße, Und es waren alles
Judenfrauen, Polinnen und auch
Zigeunerinnen. Dann fing man die
Frauen wieder ein, Sie medizinisch zu
versorgen, Und das Lager wurde
offiziell Erst ein paar Tage
später aufgeschlossen Und befreit. Man fürchtete ein
Chaos, Und man wollte es
vermeiden, Und es kamen
Angehörige aus andren Lagern: Auschwitz,
Buchenwald, Die Frauen
abzuholen. Das betraf jedoch
nur wenige, Und andre gingen
betteln, Und von einer Frau,
die das Dilemma sah, Weiß ich, dass sie
die Kleidersammlung Unter der
Bevölkerung ins Leben rief Und sie
organisierte. Andere beschwerten
sich, dass „die Zigeunerinnen
wieder stehlen, betteln kommen“. Einige Insassinnen
verbeugten sich Und zeigten
Peitschenstriemen, Die sie von den
Schwarzhemdfrauen hatten. |
Die alles wissen
wollten, Noch ein wenig mehr,
und er erinnert sich: Wir hatten zwei
Soldaten aufgenommen, Und mit ihnen ging
ich in die Tannenschonung, Um uns Holz zu
suchen, Als wir zwei
Kolonnen sahen, Darin schwärmten
jeweils fünfzig, sechzig Frauen aus. Die eine kam direkt
vom Wald , Und strebte auf die
Sportbaracke zu, Die andere vom
'Redder Mellingburg' Mit gleichem Ziel. Nun sahen wir noch
eine dritte, Die kam von der 'Alten
Mühle', Die entdeckte
jemanden, Der aus dem Fenster
fliehen wollte, Und es war die erste
Schwarzhemdfrau, Die griffen sie
sofort Und zerrten auch die
anderen aus der Baracke, Die war eingekreist, Und ließen ihre Wut
an ihnen aus Und schlugen auf sie
ein Und rissen ihre
Haare aus Und hielten eine nur In einem kleinen
Kreis geschützt, Die hatte ihnen nie
etwas getan, Geholfen, wo es
ging. Die andren mussten
dann ihr Strafgericht beenden, Weil die
"Tommies", ihre Retter, Sich zu falschen
Rettern machten, |
Und die luden sich
die Schwarzhemdfrauen Auf die Wagen. Heute sagt Herr N.
nur: Damals sagten wir
nach vierzehn Tagen: "Alles ist
gelaufen, Alles hatte sich
verlaufen, Niemand war mehr in
dem Lager, Alle hatte man
entlassen. Die Baracken wurden
angesteckt Und abgebrannt, was
dort noch brennen konnte. Man verstand im
Nachhinein Die
Schwarzhemdfrauen nicht, Die sich so nahebei Versteckt gehalten
hatten. Die Bewohner Sasels,
sagt Herr N., Und er sah ab von
wenigen, Sind nicht in der
Partei gewesen, Sondern war'n
verschrien als "Sozis"
und als Kommunisten, Und sie hatten all
die Jahre ihren Mund gehalten: „Schweig“, wenn du
nicht immer schweigen willst, Wenn du nicht
willst, dass sie dich holen, Und die meisten
haben nichts gewusst, So sagt Herr N. Er selbst war damals
überzeugter Hitlerjunge, Und er war das Bild
an sich, Das man von einem
Hitlerjungen hatte, |
Und er idealisierte
es mit seinen blauen Augen Und dem blonden
Haar, Das hatte Auf der linken Seite
einen Scheitel, Und er dachte über die
KZ's: Die haben ihre
Ordnung, Und die haben ihren
Sinn, Und drinnen sitzen
nur die Minderwertigen Und Arbeitsscheuen Und die falschen
Rassen. Auch Herr N. sang
mit im Hitlerjugendchor Und zog mit dem Zwei Jahre an die
Front zu den Soldaten Und in Lazarette, 'Um die Herzen zu
erfreuen Und zu stärken,' Und man sang am
liebsten Lieder von „Blutroter Sonne, Die im Lande
aufging“, Und sprach danach
noch ein Gedicht, Das stand total im
Gegensatz zu dem, Was er zu Hause sah
und hätte sehen müssen Und nicht sah Und auch nicht
übersah. In Wahrheit zeigte
er mit seinen Liedern Die verkehrte Seite, Und er habe nie
darüber Nachgedacht, So sagt Herr N. |
Kaum noch Lieder. Einer Frau, die
später erst gehört wird, Fällt das auf, Und sie fragt nach. Sie meint sie hätte
früher Alle Strophen vieler
Lieder Auswendig gewusst, Und schöne Melodien,
erinnert sie, Hat sie gekannt, Die kennt heut'
keiner von den Jugendlichen mehr. |
Inzwischen haben
sich die Fragenden Mit denen, die die Antwort
geben, überall vermischt, Der Zaun trennt sie
nicht mehr, Und die, die es
bezeugen wollen, Dadurch, dass sie
von dem Zeugnis hören, Sind nun unter
denen, Die das Zeugnis
sind. Die andre Gruppe, Die den Zaun
anstreicht, Ist immer noch
besessen Und kommt gut voran |
Und malt auf beiden
Seiten, Und es haben sich
noch einige der Jugendlichen Angeschlossen, Und sie helfen mit Und fragen nicht
warum Und nicht, an was
sie helfen, Und sie helfen, um
zu helfen, Und erfreuen sich
daran. |
Von einem, der
zusammenfassen möchte Hört
man: "Immer
wieder gibt es Leute, Die
in Listen leben, Die
das Leben anderer durch Siebe gießen Und
den Rest betrachten, Den
vermerken sie, Und
sie vermerken, so wie hier, Die
Grausamkeiten, Sehen
auf das Massenelend, Und
es ist zu schwer für sie Und
fast unmöglich, Nur
ein Einzelschicksal zu erfassen. Was
man bisher hörte, waren Stimmen, Die
als Echo von den Wänden Auf
ganz junge neue Hörer trafen, Und
die Rufer selbst sind dabei Ungehört
geblieben“. |
Man
erinnerte sich ans Geschrei des Nachts, Ans
Schreien unter kalten Duschen, An
die Schreie: "Hunger, Hunger," Und
den Schrei, der sich auf alle Schreie legte: "Wir
sind frei, sind frei, sind frei!" Und
stumme Namensschreie Findet
man nur in den Friedhofslisten Bergstedts, Und
man weiß noch etwas über eine "Kleine Maria", Etwas
über eine Russin, Die
mit sechzehn Jahren in das Lager kam, Weil
sie den Ausweis nicht In
ihren Händen hatte, Weiß
noch etwas über eine unbekannte Jüdin, Die
sich später von Paris aus Bei
Frau K. bedankte. Hat
Adele Enoch hier das Kind geboren, Das
mit dreiunddreißig Tagen starb, War
sie es, der Herr Doktor Y. Den
Beistand bringen sollte? |
Jede
Suche nach dem Einzelschicksal Muss
verebben, Und
es war doch eine Flut, Die
lebte nur aus Einzelschicksalen. Trotzdem
versucht man nun in zwei Berichten, Davon
etwas aufzuzeigen: Erstens
schreibt Frau E. von sich Und
der verstorbenen Sulejka Klein. Dann
hören wir die Lehrerin, Frau U. Und
ihr Gespräch mit einer Unbekannten, Einer
Jüdin aus dem Balkan, nahm sie an, Die
lernte sie in einem Kettenwerk
in Langenhorn in Hamburg kennen. Ganz
am Ende steht dann noch Die
winzige Facette einer Jüdin, Die
aus Lodz berichtete, Dass
andere Insassinnen des Lagers heute in Australien,
in Amerika, in Israel und Frankreich Leben
sollen. |
Die ist Zigeunerin
und wohnte in Berlin Und wurde dort
vernommen Und dann
festgenommen Und nach Ravensbrück
verschleppt Und ins KZ gesteckt, Dort wurde sie zur
Straßenarbeit eingesetzt. In diesem Lager traf
Frau E., Das erste Mal auf
ihre eigene Kusine, Die war ungewöhnlich
schön Und hieß Sulejka. Eines Tages machte
eine neue Hoffnung Eine neue Runde
unter den Gefangenen: Man suchte, So berichteten die
Frauen, die es wussten, Ein paar Frauen als
Modell, Die würden als
Belohnung Ihre Freiheit ganz
und gar zurück erhalten, Und Frau E. verstand
sofort, Dass man wohl nicht
Modelle suchte, Sondern hübsche
Frauen fürs Bordell Und hörte auch, dass
diese Frauen Einem
Schwarzhemdkönig selbst gefallen mussten. Das verstand sie
alles richtig, Und sie lud sich
Abfall auf den Leib Und wälzte sich in
Asche, Und sie ging
freiwillig in die erste Reihe Zum Appell, Und man beschimpfte
sie: „Du alte
Drecksau" Und verjagte sie mit
einem Fußtritt, Das war eine
Rettung, Die sie für sich
wünschte. Von fünfhundert
Frauen, Die man fand, Und ihre eigene
Kusine war nicht unter ihnen, Kamen nur zwei
wieder. Alle andren wurden
in demselben Lager Gegen 'Krankheiten’
gespritzt, Man spritzte sie mit
Waschbenzin Zu Tode. Danach kam sie in
das Arbeitslager Barth in Pommern. Die Kusine blieb
zurück. |
Sie selber musste
Nieten lernen Und vernietete an
siebzehn, achtzehn Stunden täglich, Flugzeugteile, Und sie durfte nicht
den kleinsten Fehler machen. Jeder der nur einen
Fehler machte, War ein Saboteur Und wurde an die
Wand gestellt. Zwei junge Mädchen
hatten an dem Arbeitsplatz, Sie waren vierzehn
Jahre alt und fünfzehn, Aus Versehen und aus
Überforderung Ein Werkzeug
eingenietet, Und sie wurden noch am
selben Tag Erschossen. Dort blieb sie drei
Monate, Dann wurde sie ins
Kettenwerk Nach Langenhorn
gebracht. Dazwischen lagen
andere Transporte, Dabei wurde jedes
Maß an Grausamkeit, Unmenschlichkeit
erreicht Und überschritten. So wurd' den KZ-
Insassinnen gesagt, Sie würden ein paar
Stunden Unterwegs sein, Und man sperrte sie
in Wagen ein, Die schloss man
einfach ab Und ließ sie reisen, Und es waren
manchmal Wochen, Die sie in Waggons
verbringen mussten, So dass viele unter
ihnen starben, Die ließ man am
Boden liegen, Und es trieb sie
Durst und Hunger Zu den
Schreckenstaten, Dass sie Fleisch in
Fetzen von den Körpern rissen Und es aßen, Und sie tranken
ihren eigenen Urin. Die Leichen blieben
später in den Wagen. Nur in
Häftlingskleidung kam Frau E. Vom Langenhorner
Kettenwerk Zum KZ-Außenlager
Sasel. Dort traf sie noch
einmal auf Sulejka K. |
Die einst so schöne,
junge Frau Von siebzehn,
achtzehn Jahren Lag nun auf dem
Steinfußboden, Der war kalt, im
Sterben. Die Kusine war von
einem Schwarzhemd Vergewaltigt worden Und sie starb an
einer Totgeburt, Die hatte sie grad'
hinter sich. Sulejka hatte mit
der Mutter Einen Leidensweg
beschreiten müssen, Der begann in
Königsburg Und führte gleich
nach Auschwitz, Wo man ihre Mutter
von ihr trennte Und vernichtete. Das wusste ihre
Tochter nicht, Die war noch
arbeitsfähig, Und man steckte sie
nach Ravensbrück Und dann nach Sasel, Wo sie jämmerlich
zugrunde ging Und auch beerdigt
wurde, Das war in den
letzten Tagen dieses Krieges, Und sie hatte eine
Nachricht An die Mutter
hinterlassen, Die blieb bei Frau
E. Frau E. erlebte dort
das Ende mit, Als man das Lager
öffnete Und sie befreite, Und es hatte zu der
Zeit Um tausend Frauen
aufgenommen, Die aus ganz
verschiednen Lagern kamen Und in Poppenbüttel Plattenhäuser hatten
bauen müssen, Und sie wurden von
den Schwarzhemdfrauen
überwacht. Die flohen plötzlich In der
Häftlingskleidung, Und sie wurden
abgelöst von Zollbeamten, Die sehr nett und
freundlich Zu den Frauen waren. Die erwarteten das
'Rote Kreuz‘, Das sie in ihre
Heimat bringen sollte. Das geschah zum
großen Teil., Wenn es geschehen
konnte, Und das Lager wurde
abgebrannt, Und für Frau E. Ließ man doch eine
der Baracken stehen, Darin wollte sie von
nun an wohnen Und in Sasel
bleiben. |
Am Zaun ein wenig
eingerichtet, Und die Zeugen, die
ja Zeugnis waren, Wehrten sich ein
wenig, |
Eine Einrichtung zu
werden, Und sie gaben doch
Bericht, So gut sie konnten
und vermochten, Und die Jugendlichen
hatten sonst |
Ja nur die Steine, Die bewegten sich Nicht von der
Stelle. |
Und die berichtet
nun. Die Jugendlichen
hatten sie Schon einmal
angesprochen, Weil sie wussten,
dass die Frau Als junges Mädchen
in den Kettenwerken Einer Munitionsfabrik
am Bahnhof Ochsenzoll Im Zwang gestanden
hatte. Damals war der
Krieg, Und sie und andere
Studenten Hatten Kriegseinsatz
zu leisten, Und man hatte sie
gezwungen Und sie vor die Wahl
gestellt. Sie war sich schnell
mit ihrer Freundin einig Und entschied sich, Nicht als
Schaffnerin auf einer Straßenbahn zu
fahren. Ihre Angst vor
Bomben war zu groß. Als Schaffnerin auf
einer Straßenbahn, So dachte sie, Wär' nie ein Bunker
in der Nähe, Und sie ging zur
Munitionsfabrik. Hier kam sie in ein
Kettenwerk, In einen extra Raum, Der wurde den
Studenten zugewiesen, Und man wollte diese
jungen Mädchen Nicht sofort an die
Maschinen schicken, Und man bildete sie
aus, So gut es ging, So schnell es ging, Das dauerte zwölf
Wochen, Dann fand man sie in
den Hallen wieder. |
Und Frau U. war
klein, Die Hallen waren
riesengroß, Da drinnen standen
elf Maschinen, Die bis an die Decke
reichten. Die Maschinen
pressten Hülsen für Granaten, Und sie hatte deren
Größen nachzumessen. Alle Frauen die dort
saßen, Saßen auf dem Stuhl, Das war erlaubt, Und die Maschinen
warfen immer nur Die Hülsen aus Und spuckten sie den
zwanzig Frauen Vor die Füße, Fast in ihre Schöße. Sie und ihre
Freundin glaubten Unter Jüdinnen zu
sitzen, Und die Frauen sahen
nicht verwahrlost Und nicht
ausgemergelt aus Und waren hübsch und
gut genährt Und um die dreißig
Jahre alt. Die beiden durften
nicht Mit diesen Frauen
sprechen. Hinter den Maschinen
saßen Männer, Die sehr freundlich
auf sie schauten, Und sie glaubten
diesmal, Dass es Russen
wären, Und die schliffen
sich aus Abfallresten Heimlich scharfe
Messer, So dass sie sich
fürchteten, Das sei ihr
unheimlich gewesen, sagt sie schnell. |
Gespräche konnte sie
nur mit der Freundin führen. In der Halle war der
Lärm fast unerträglich. Mit den andren
Frauen durften sie nicht sprechen, Und am Eingang und
am Ausgang Wachten
Schwarzhemdfrauen, Die die Augen nicht
von ihnen ließen. Und die Frauen
fanden einen Weg, Dass sie doch
miteinander reden konnten, Trotz des Lärms und
trotz der scharfen Augen, Weil die Frauen So nicht miteinander
schweigen wollten, Und es unterhielten
sich die Freundinnen Und sprachen im
Gespräch, Was sie den andren
sagen wollten, Und sie sprachen
laut, Die andren sprachen
unter sich In einem anderen Gespräch Und unterhielten
sich so gut es ging Auf' diese Weise und
befragten sich. Sie stießen bei den
Frauen Nicht auf Bitterkeit
und Abwehr, Wie sie es
befürchtet hatten, Und die Sorge, Dass sie Abscheu
ernten würden, War umsonst. Die Frauen kamen aus
Rumänien Und aus Ungarn, Und sie baten gleich
um Kleinigkeiten, Die sie sehr
vermissten, Die erhielten sie,
indem die Freundinnen Sie
"zufällig" in ihrer Nähe Fallen oder liegen
ließen. |
Und sie erinnert
sich an eine Bitte, Die war
ungewöhnlich. Eine Jüdin hatte sie
nach der Ballade angesprochen, Die von Theodor
Fontane stammte, Und sie wusste nur
den Anfang Und auch den nicht
mehr genau, Sie meinte, dass sie
so begann: "Getragen hab'
ich's sieben Jahr..." Das war nicht ganz
getreu Und doch verstand
Frau U. sofort, Wovon sie sprach Und hatte keine
Möglichkeit, Den Text in die
Fabrik zu schmuggeln, Und sie lernte alle
dreiundzwanzig Strophen Und sprach sie ihr
vor So oft sie es nur
wollte. Ich selber und die
Freundin Wohnten in privaten
Häusern. |
Täglich hatten wir
acht Stunden In dem Kettenwerk zu
arbeiten, Und wir erhielten
Lohn dafür. Und ich empfand die
Arbeit, Die ich machen
musste, als unangenehm, Ganz unnütz, sinnlos
und "nervtötend", Wenn ich an den Lärm
in diesen Hallen denke. Frau U. wurd' nun
von vielen Jugendlichen Unterbrochen, die
von der Ballade, Von dem König Jacob
und dem Grafen Douglas Gar nichts wussten, Und man holte aus
der Bücherei das Buch Und las die Verse
allen vor, So dass man ahnen konnte, Welcher
Freiheitswille, Friedenswille, Welcher demutsvolle
Geist, Von einem freien
Stolz emporgehoben, In dem Kopf der
Jüdin leben musste. Und Frau U. fuhr
fort: |
Die Judenfrauen, Die zur Arbeit
kamen, Kamen nur zu dritt Und wir erfuhren
nicht, woher sie kamen, Wir vermuteten
daher, Dass sie auf dem
Fabrikgelände In Baracken wohnen
mussten, Und der Eingang, den
sie nahmen, War auch vom Gelände
aus. Gleich nach dem
"Zusammenbruch" Begegnete ich vor
der Kirche in Fuhlsbüttel, Die war evangelisch, Einer Jüdin, die ich
hätte kennen müssen, Und ich traute mich
doch nicht sie anzusprechen; War es Schamgefühl, Ich machte mir auch
Selbstvorwürfe, Ach, ich weiß es
nicht.. Ich hatte ja gehört, Wie es den Jüdinnen
ergangen war Und hätte ihr
vielleicht mit einem Mantel Helfen können.... |
Es entbrennt nun eine Diskussion Um das Gedicht, das
man gehört hat, Die soll ganz getreu Dem Leser
vorgetragen werden. Es ergibt sich
dieses Bild:. Die Häftlingsfrau
erkennt sich In dem Grafen
Douglas wieder, Der aus dem
Geschlecht der Douglas' stammt, Das lebt, vom König
Jacob unterdrückt, Im Elend, das ist
hier in Not Und auf verdammter
Erde. In dem König sieht
sie die Schwarzhemdnation, Die ist nur eine
einzige Person, Der steht sie
gegenüber, Die spricht ihre
Hoffnungen Und ihre Wünsche an. Sie hätte sich Frau
U. so gerne mitgeteilt, Das ging nicht,
wegen der Bewacherinnen, Und sie wünschte
sich, Wie es in dem
Gedicht geschah, Ein "Happy
End" für sich. Sie wollte ihr
Geschick als Judenfrau Nicht mehr ertragen, Ja, sie hätte sich
zu gerne Mit dem Wagnis auf
den Schultern Vor die
Schwarzhemdschar gestellt Und sie um Gnade
angefleht Und ihr die
Knechtschaft angeboten. Sie war innerlich
maßlos erschöpft Und in der
Lagerkleidung Unwürdig gekleidet Und verkleidet Und entstellt Und dachte dabei
auch an ihre Leidenskameradinnen. |
Sie hielt sich nicht Mit zweifelhaften
Fragen auf, Und gab die
übergroße Macht Des Königs Jacob zu Und auch, dass sie
in Schuld verstrickt, Nun vor ihm stehe. Diese Schuld, so
schien es, meinte sie, Sei zwar die Schuld
des Volkes, Und sie habe selber
nichts verbrochen, Doch sie wusste, Dass der König sie
nicht aus dem Kollektiv Entlassen würde, Und das wäre ihr
auch nicht genug, Und sie gab alles
zu. Der König aber gab
ihr selbst die Schuld am Krieg, Der sei um
ihretwillen Und um ihres Volkes
willen Ausgebrochen. Ihre Sehnsucht ist
die Hand des Königs, Die will sie
berühren Und ihn damit
rühren, Und ihn an die
Zeiten festen Friedens Zwischen ihren
Völkern denken lassen, Als die Völker
ineinander leben konnten, Wie es die
Geschichte Und das Wissen um
die Dinge Tausendmal bewiesen
haben. Und der König gab
dies zu Und ließ sie dennoch
auf den Knien liegen, Und verwies sie auf
ihr Judentum, Das wäre so nicht
abzutun, Es wäre wohl am
besten, Würde er sie
übersehen Und die Augen über
sie hinweg Ins Weite schicken, Dann müsst' er, der
König, |
Nicht die Nähe sehen Und sie töten. So, erinnern sich
die Alten, Die das Zeugnis
geben sollen, Haben viele sich
verhalten, So zum Beispiel
einige Bewacher, Die nicht sahen, was
sie sehen sollten. Diese kleine
Judenfrau Gibt noch nicht auf Und bietet ihrem
König ihre Hilfe an Und denkt an echte
Dienerschaft, Die soll ihr recht
sein, Und sie will nur
eines, Sie will frei, will
akzeptiert seine Und sie hofft, wie
in den Strophen, Auf die Geste, Die sie hoffen
lassen könnte, Und sie lebt von
dieser Hoffnung Und erfleht ein
Endenlassen dieser Grausamkeiten Und erfleht
Besinnung auf Gerechtigkeit In Frieden. So besprechen sie
nun alle, Was die Jüdin sich
beim Hören der Ballade Hatte denken können, Und sie sagen auch, Dass sich die
Wahrheit von der Illusion Sehr unterscheidet, Denn es hätten nicht
die Juden Diesen Grund gehabt, Sich schuldig zu
bekennen, Sondern jedes
Schwarzhemd, Das sie mit dem Bild
des Königs Jacob überdeckte, Und die hätten
eigentlich Um Gnade bitten Und in Wahrheit ihre
Schuld bekennen müssen. |
Die Jugendlichen und die anderen Begeben sich noch
einmal zu den Steinen, Und sie hören tief
hinein. Die Steine haben
einen Rhythmus, Der sich wiederholt, Verraten eine Kette
nur aus Worten, Eine dünne
unsichtbare Fährte, So, als könnten
Steine bluten, Und man übersetzt
den Singsang laut: |
"Aus
Hilfsbereitschaft, Scham und Angst, Gelassenheit und Abgestumpftheit,
Ahnungslosigkeit und
Schwarzhemdtragerei, Ergibt sich dieser
Tanz, Der macht uns Steine
schwindeln, Die Erinnerung
verblassen. Auskristallisiert
ist unser Blut, Ein Gut, Das kann man mit den
Händen fassen." |
Daraus lässt sich
eine schwere Klage fassen, Die nimmt man mit
heim Und lässt den
zweiten Tag sich auf die Steine setzen, Um mit sich allein
zu sein, Denn morgen ist ein
neuer Tag, Das ist der dritte
Tag, Den sollte man dem
Singsang widmen, Und man wird noch einmal
neu zusammentragen Und berichten
lassen. |
Mit einer
Lesestunde, Die ist gut für
alle, Und es ist durchaus
nicht gut für alle Was sie hören, Und sie hören es mit
Sorge Die hat nun die
Jugendlichen eingenommen, Und sie ist den
anderen Besitz, Den haben die
erhalten Oder achtlos liegen
lassen Und verloren. Dieses steht in den
Erinnerungen Des Herren D.: „Man hatte der
Besatzungsmacht Drei Tage für die
Plünderung der Stadt gegeben, Das war gleich im
Anschluss An das Ende dieses
Krieges. Der Bevölkerung
verbot man in der Zeit Die Häuser zu
verlassen. Diese Tage waren
schon vorbei, Da ging es vor den
Toren unsrer Stadt, Hier draußen, Doch noch
turbulenter zu. Wir hatten durch die
aufgelösten Lager Plötzlich neu zu
leiden, Und wir hatten kaum
von deren Existenz gewusst. Die Wachen hatte man
vertrieben Oder sie nach Haus'
geschickt, Damit war die
Beköstigung im Lager Auch beendet. |
Außerhalb war alles
rationiert, Und harte Strafen Wurden für Verstöße
angedroht Und ausgeführt. In Trillup, auf dem
Hof, Verköstigte man
weiterhin Die russischen
Gefangenen. Die waren frei Und hatten die
Befreiung oft besprochen, Und die einen
freuten sich, Die andren hatten
Angst vor einer Heimkehr, Und man würde sie
vielleicht erneut Ins Lager stecken,
weil sie von dem Land, Aus dem sie kommen
würden, zu viel wussten, Und sie hatten von
Sibirien gehört, Das war für sie der
schrecklichste der Schrecken. Sie erbettelten sich
erst einmal ein Fahrrad, Um die Gegend zu
erkunden. Die Bevölkerung
erfuhr dann von dem Lager Auf dem Saselberg, Das hatte Jüdinnen
und Ukrainerinnen freigelassen, Die um Lebensmittel
fragen kamen, Und sie irrten in
der ganzen Gegend Hin und her." Herr D. erinnert
sich auch noch: „Ich ging zur Polizei
nach Hamburg In der
Dammtorstraße, |
Die vermittelte mir
eine Nummer der Besatzungsmacht, Die könnte ich im
Notfall schnell erreichen. Als nun zwanzig
Ukrainer kamen Und vor meiner Tür Und in den Fenstern
standen, Rief ich an Und ließ mich mit
dem Obersten verbinden. Fast im selben
Augenblick Erschien ein
Offizier im Hof, Und wenig später
zogen jene Ukrainer ab, So dass ich mich
beim Obersten entschuldigte Und ihn nicht kommen
ließ. Ich ahnte jedoch
nicht, Dass unsre
Wirtschaftsfrau, den Speck, Den wir noch hatten, Kräftig diesen
Männern aufgeschnitten hatte, Und der Offizier
verlangte nun von mir Zwei
„Springhens", Das sind fette
Hühner, für die Siegesfeier, Und ich lachte über
ihn, Und seine Hühner
müsste er sich selber fangen, Und ich sagte auch
von meiner Nachricht An den Obersten, Der müsste sehr bald
kommen, Und die Hühner
ließen sich nicht fangen, Und der Offizier
wollt' sich vom Obersten Nicht fangen lassen Und zog ab." |
Das war aus den Erinnerungen des Herrn D., Und alle haben zugehört, Und so viel ist
gewiss, Herr D. stand nicht
im Schock des Lagers Und war nicht
betroffen. In der Sorge um sich
selbst Vergaß er jedes
Mitleid Und erfasste nicht
die Tiefe des Problems Und hatte auch kein
Mitgefühl Und dachte an die eigenen
Probleme, Und ihn intressierte
wirklich nicht das Lager Und die Menschen,
die von dorther kamen. Noch im ersten
Atemzug der neuen Freiheit Starben zwei der
Lagerfrauen. Dass das Unrecht,
das gewesen war, Nun Unrecht blieb Und nicht
zurechtzubiegen war, Verstanden die, die
das beschrieben, Damals nicht, Und alles spielte
sich im Auge derer, Die es sahen, ab, Und die Bevölkerung, Die auch mit diesem
Auge sah, sah nichts. |
„Herr D." so
sagt ein Jugendlicher, „Schreibt nur seine
Wahrheit, Denn wir wissen ja, Dass viele die KZ-
Insassinnen an jedem Tage sahen, Nur, sie kannten
nicht die Hintergründe, Und sie sahen nur
den Vordergrund, Dass war die
Propaganda, Das, was jedes
Schwarzhemd sagte: „Die im Lager sind
nur eine Bande Kriegsgefangener und
Sträflinge." Und: „Das sind alles
Arbeitsscheue, Denen werden wir's
schon zeigen, Und wir bringen
ihnen bei Was Arbeit ist, Sie werden uns auf
Knien dafür danken!" Und sie sagten: "Es ist
nützlich, Wenn sie uns beim
Hausbau helfen, Und die Juden haben
uns geschadet, Und es ist gerecht
für sie Hier etwas wieder
gutzumachen," Und sie sagten: „Das sind
Untermenschen, Das sind fremde
Rassen, Die sind gar nichts
wert.," |
Und sagten: „Wir verstehen
nicht, Wo uns ein Vorwurf
treffen sollte, Lager mit gefangnen
Menschen Gibt es nicht bei
uns," Sie sagten zur
Bevölkerung: "Wir haben
große Sorge Um die tapferen
Soldaten. Diese Sorge teilen
wir mit euch. Wir müssen alle
standhaft sein Und dürfen uns von
Bomben Nicht mehr
überraschen lassen, Und wir müssen unsre
Nahrungsmittel Noch gerechter
teilen.“ „Und Herr D.",
so sagt der Jugendliche, „Ist wohl, wie die
meisten waren, Und die eigenen
Probleme waren nah genug, An andere kam er
nicht mehr heran Und wollte davon
auch nichts wissen. Man darf trotzdem
nicht vergessen, Dass es Menschen
gab, die helfen wollten Und es taten, Und sie taten es
entgegen dem Verbot." |
Es geht nun um den Spruch der Steine, Der soll Sinn
bekommen, Und "…das Blut, Das uns zum Gut
geworden ist, Das
auskristallisierte, Das man mit den
Händen fassen kann", Das sind die Steine
sicher selbst. Sie werden so als
Zeugen und als Zeugnis Liegen bleiben Bis auf einen, Der soll mit der
Steinschrift unsrer Sprache überzogen werden Und zur Mahnung an
der Straßenecke Feldblumen- und
Petunienweg Die Menschenwürde
fassen Und ein Schlüssel
bleiben. In den Protokollen, Die die Jugendlichen
gar nicht alle kennen, Wird die
Hilfsbereitschaft angesprochen, Die war häufig in
den Reihen armer Leute, Und die leisteten
die Hilfe auch. Es waren meistens
Frauen, Siedlerfrauen, Die aus eigner Not Die Not der anderen
erkannten Und zu mildern
suchten, Und die gaben von
dem wenigen, das sie besaßen, Ab an die
KZ-Insassinnen. Die Frauen zeigten
Mut Und zeigten Taten, Und die Männer
blieben stumm, Von ihnen steht in
den Berichten nichts. Auch findet man
nicht einen Hinweis Auf die Hilfe
reicher Leute. |
Die befanden sich
fast ausnahmslos in der Partei, Die war die Heimat
jeder Schwarzhemdträgerei. Selbst die, Die nur
Steigbügelhalter waren Brachten keine
Hilfe, Um sich selbst nicht
zu gefährden. Insgesamt erstaunt
das Ausmaß aller Hilfe, Doch es blieb nur
Milch, Die man im Dorf
verteilte, Die erreichte ganz
bestimmte Leute, Längst nicht alle. Von den anderen., Die sich auch ganz
'bestimmten Kreisen' Zugehörig fühlten,
wusste man, Dass sie sich heftig
gegen die Beerdigung Der Judenfrauen
zwischen 'ihren Reihen' auf dem Friedhof Bergstedts
wehrten, Und Herr D. lässt in
dem Auszug aus Erinnerungen Keine Zweifel an der
Meinung der Bevölkerung, "Dass diese
Frauen, Jüdinnen und die
Zigeunerinnen Wieder betteln
gingen." Frauen, die die
Hilfe gaben, Hatten häufig
Mitleid, Und sie hatten die
Insassinnen Zuvor im
Arbeitslager elendig Verkümmern sehen, Und der Anblick löste
mütterliches Wollen aus, Vielleicht berührte
er auch das Gewissen, Dass sie meinten: „Frauen müssen
Frauen helfen". |
Bei den Männern war
die Sorge Um den Arbeitsplatz
zu groß, Man hätte ihn
verlieren können, Und es lag ein Druck
auf ihnen. Insgesamt ergab sich
eine Nicht organisierte
Hilfeleistung, Die berührte nicht
das Übel. Man erzählte später, Dass die Frauen
weitaus weniger Ans
"Übermenschliche" der Schwarzhemdträger glaubten Als die Männer, Diese hatten denen Alle Arbeitsplätze
zu verdanken. Frauen waren auch
politisch Kaum zu motivieren Von der Propaganda
wurden sie Nicht allzu sehr
erfasst. Sie retteten sich so
ein Mitgefühl, Das ließ sie
menschlich bleiben. „Heute" sagt
ein Jugendlicher, „Sind wir auch schnell
Opfer einer Politik Und sollten uns doch
davor hüten Und uns Mitgefühl
bewahren Und uns unser Denken Nicht von anderen
verdenken lassen, Und wir sollten uns
viel häufiger besinnen Auf die
Menschenrechte, Die die andren
haben, Und es kann im Grunde
nur vereinte Hilfe Hilfe leisten Und das Unrecht
deutlich machen." |
Wird
vorgelesen: Von
Frau R. Erfährt
man etwas über Lena G., Die
dachte ganz aktiv an Unterstützung Der
Insassinnen Und
bettelte und bat die Nachbarinnen Um
die Lebensmittelreste, Damit
fuhr sie zum Berliner Tor in Hamburg |
Und
verstaute ihre Schätze In
dem Pappkarton, Den
warf sie von der Brücke, Unter
der die Frauen Schwere
Gleisarbeit verrichteten, Ganz
wortlos auf die Schienen, Und
den Frauen in der Tiefe Brauchte
sie nichts zu erklären. Heute
ist Frau Lena G. vergessen, |
Tot
vielleicht, Man
weiß es nicht. In
ihr erkennt man einen Ansatz. Großer
Hilfeleistung. Ihren
Mut nahm sie vielleicht aus sich, Vielleicht
war sie wie die Als
Fremde in der Fremde, War
vielleicht selbst eine Polin. |
Zeigt die Hilfe von
Frau K., Die hatte auf dem
Boden ihres Daches, In dem eignen Haus
Insassinnen versteckt. Die wurden mit der
Hilfe eines Otto G. Ernährt. Familie G. gab dazu
an: "Es war nicht
nur ein Arbeitslager, Sondern ein KZ und
galt als solches. Das wurd' nicht
geheim gehalten. Tags war niemand da. Ein Trupp von diesen
Frauen Wurde oft im Saseler
Mühlenweg gesehen. Herr A. S., ein
Bauer, Fuhr die Toten aus
dem Lager Zu dem Friedhof
Bergstedt's." Als Frau G. an einem
Tag im Wald mit der Kusine Auf die Frauen
stieß, Versteckten sie sich
hinter Bäumen, Weil die Scham sie
überkam, |
Sie schämten sich
fürs Vaterland Beim Anblick der
armseligen Gestalten. Wenn die starben, starben
sie nicht an der Folter Sondern vor
Erschöpfung Und an krassestem
Ernährungsmangel. Diese Frauen hatten
auf dem Friedhof Ohlsdorf Bombenopfer aus
Fuhlsbüttel zu begraben, Andre wurden in das
Gummiwerk in Barmbek Kommandiert. Die Frauen zeigten die
kaputten Beine, Das sah schrecklich
aus. Sie hatten immer
holzgeschnitzte Stiefel Tragen müssen. Eines Tages hieß es, Dass die Lager ihre
Tore öffnen würden, Und es brach ein
lautes Weithin dringendes
Geschrei der Frauen Von dort aus. Herr G. erhielt Besuch
von einer Lageraufsicht, Die empfahl, die
Türen zu verschließen, |
Denn die
freigelassenen Frauen Würden "alles
klauen, Was sie in die
Finger kriegten". G.'s bedachten, Dass es anders
besser wär', Und schlossen keine
Türen ab. Die Frauen kamen, Und es waren fünf
von ihnen, Die um Essen baten, Und erhielten von
den G.'s Auch Kleidung. Ganz zum Schluss
entließ man aus dem Lager Russinnen, Darunter war
"Maria", Die war sechzehn
Jahre alt und klein, Sie sprach ein wenig
diese Sprache Und erzählte G.'s,
bei denen sie nun öfter kam, Dass sie nur wegen
eines Passes, Den sie nicht zur
Stelle hatte, Festgenommen und
verhaftet worden war. |
Gab es Angst in der
Bevölkerung. Man konnte sich
nicht frei bewegen, Sich nicht frei
erkundigen, Warum das Lager
Nachts In einer
Lichterglocke stand. Die eine Zeugin
sagte, Dass ihr Mann bei
dieser Frage Seine Finger als ein
Gitter vor den Mund Gehalten habe. |
Eine andre Zeugin
sagte aus, Man hätte nie mit
den Insassinnen Auf ihrem Weg zum
Bahnhof Poppenbüttel Sprechen können; Dafür wurden sie zu
streng bewacht. Man wagte es nicht
einmal Sie genauer
anzusehen. Die Bevölkerung, so
sagt ein andrer Augenzeuge Zeigte auf den
Anblick dieser Judenfrauen |
Keine Reaktion. Sie wussten nicht, Ob es sich um
KZ-Insassinnen, Vielleicht um
Strafgefang‘ne aus Fuhlsbüttel Handelte. Man hatte selber
Angst, In das KZ gesteckt
zu werden. Einer Frau, die
diesen Frauen Brot in ihre Tasche
steckte, Hatte man das
angedroht. |
Das sind nun immer
noch die Protokolle, Wenn man will, Der Tanz, von dem
die Steine sprachen, Dieses Paar
berichtete, Dass die Insassinnen
an allen Plattenhäusern „Schuften"
mussten. „Wer den Frauen
Nahrung gab, Bekam sofort mit der
Bewachung Ärger, Und die drohte
Prügel an. Am schlimmsten und
verrufendsten Und am brutalsten
waren Schwarzhemdfrauen. |
Offiziell war gar
nichts zu erfahren. Von der Aufsicht Gab es keine
Antwort, höchstens: 'Alles bestens,
alles bestens, Kümmern Sie sich
nicht darum,' Und die Insassinnen
erhielten, Wenn sie etwas sagen
wollten, Schläge. Wir besprachen
damals, was wir sahen, Im Familienkreis, Der wurd' aus Angst
vor neuer Angst Sehr klein gehalten. |
Fremde standen im
Verdacht, Das was sie hörten, Gleich dem Schwarzhemd
anzuzeigen. Insgesamt war diese
Sache Nur im engsten Kreis
bekannt Und breitete sich so
nicht aus. In Volksdorf, das
ist nur ein wenig abgelegen, Wusste scheinbar
keiner etwas von dem Lager. Einige der Leute
fuhren mit dem Fahrrad Nah heran, aus
Neugier, um hinein zu sehen, Um den Frauen, die
im Duschraum standen, Zuzuschauen“? |
Des
Telefongespräches mit Herrn A., Der war zu der Zeit
fünfzehn Jahre alt: „Ich wusste Von dem Lager und
den Judenfrauen. Plattenhäuser rechts
der S- Bahn Haben sie gebaut, Mit Schaufeln,
Eimern mussten sie Die Fundamente
schütten. Andre fuhren in
vergitterten Waggons der S- Bahn In die Stadt. Wohin, das konnte
niemand sagen. Ich war damals in
der Lehre Und begegnete den Frauen
morgens Auf dem Weg zur Bahn Und abends auf dem
Weg ins Lager. Damals musste auch
ein Lehrling Zehn, elf Stunden
arbeiten. Die Kleidung der
Insassinnen war „Grau in Grau", Und Streifen waren
kaum erkennbar. An den Füßen hatten
sie nur Holzpantinen., Mit ein wenig Leder
übernagelt. Einer Herde Schafe
glichen sie. Ergeben in sein
Schicksal Schlurfte dieser
Frauenzug den Weg entlang, Es war ein Elendszug Von abgemagerten
Gestalten. Die Bewachung war
ganz schlecht, Und die Kolonne zog sich
weit durch Straßen," Und Herr A. verstand
es nicht, Warum auch heute
noch so viele sagten, Dass sie alles nicht
geahnt, gewusst, erfahren hätten. Er, so sagt Herr A., War allerdings total
verschüchtert, Dass er nicht einmal
die Frauen angesehen hätte, Und man hätte ihn
bestimmt „zusammengeschissen". „Jedes Schwarzhemd
war gefährlich, Und die steckten
überall Auch in der
Hitlerjugend, Und es ging um
Kleinigkeiten, Die zum Anlass
wurden: Koppel, das nicht
grade saß, |
Die Uniform war
nicht genau gewinkelt, Irgendwelche Maße
stimmten nicht. Man wurde völlig
nachgemessen Und verordentlicht, Das konnte einem
überall passieren, In der Schule, auf
der Polizei, Von Leuten, die beim
Luftschutz waren und von anderen. Herr A. litt damals
sehr viel Hunger. Prügelstrafen hat er
nicht gesehen, Und die Männer, die
die Wache hatten, Waren lange nicht so
schlimm, wie Frauen. Ja. Herr A. sagt,
dass die Männer 'milder' waren, Als das
Frauenpersonal. Die Angst der
Saseler in Sasel War nicht aus der
Luft gegriffen: Alle waren sie drei
Jahre vor dem Ende Dieses schlimmen
Krieges aufgerufen worden, Sich das gnadenlose
Tun der Schwarzhemdträger Anzuschauen und mit
eignen Augen Die Bedrohlichkeit
zu sehen. Eine Flucht kam
nicht in Frage. Wohin hätten sie
entkommen sollen. Niemand hätte sie
verstecken können Oder wollen. Alle lebten in der
Lethargie, In Abgestumpftheit,
Magerkeit der Sinne, Lebten in der Angst,
in innrer Spannung, Scham, Gelassenheit Und in Verbohrtheit,
Ahnungslosigkeit, In einem Tanz, Der alle alles
schwindeln machte. Niemand mochte
Fragen stellen, Ähnlich, wie es
heute im Nachbarland geschieht, Das ist kein
Nachbarland, Das ist das
Bruderland, Und ich, so sagt
Herr A., Wen sollte ich mit
fünfzehn Jahren fragen?" Durch den Vater, damals
„Sozi" und ein Demokrat, Sei er gleich mit
verschrien gewesen, Und sein Lehrer habe
ihn deswegen vor den Schülern Schwer gekränkt. Er habe deshalb nie
den Weg, In dem das Lager
lag, betreten, |
Und er habe Angst
gehabt, Und wollte kein
Intresse zeigen. „Damals hat man dies
Problem verdrängt. Der Hunger stand zu
nah, Man achtete auf
Luftangriffe Und auf
Bombentote." Immer wieder sah man Tote in der Stadt. Es wurde damals auf
Gut Hohenbuchen Eine Tötung
vorgenommen, Als der Pole A. S.
öffentlich Auf Anordnung der
Schwarzhemdträger Hingerichtet wurde, Und man machte nicht
viel Federlesens Und erhängte ihn. Der hatte eine
Liebschaft unterhalten. Das war jedem
Zwangsarbeiter Streng verboten, Nicht ein Wort hätt'
er an eine Frau Aus dieser Heimat richten
dürfen. Auch die Frau, um
die es ging, Erhielt drei Jahre
Zwangsarbeit in Ravensbrück, Die endeten fast zu
der gleichen Zeit Wie dieser Krieg. Frau B. war damals
auch dabei gewesen, Und sie gab nun an: „Der Pole hatte auf
dem Hof zu schaffen Und poussierte mit
dem Heimatmädchen, Das war schwer
verboten. Auch der Bauer warf
ein Auge auf das Mädchen, Doch das zog den
Polen vor. So zeigte er den
Polen an, Das machte er aus
Eifersucht, Dass der zu Tode
kam. Im Alstertal wurd'
dieser Mann gehenkt, Und alle, die im
Zwange standen, Mussten Zeuge sein, Man lud auch alle
Klassen einer Schule ein, Sich das mit
anzusehen. Als das „Reich der
Reiche", Weil es tausend
Jahre währen sollte, Dann zusammenbrach, Erhängte sich der
Bauer, |
Nun kommen noch zwei
Protokolle, Die
die Steine schwindeln machten, Die
Erinnerung verblassen ließen. So
erzählt Frau J.: „Ich
war wohl zwischen zehn und fünfzehn Jahre
alt, was ist das schon. Den
Kindern wird der Tisch gedeckt, Sie
fragen nicht warum, Und
alles steht bereit, Und
jemand sagt: „Iss deine Speise, Dass
du wächst." Wir
Kinder hatten kein Intresse „solche
Dinge" zu erfahren. Wir
verstanden „davon" nichts, Besonders,
wenn sich etwas zeigte, Das
ein schlechtes Licht aufs Arbeitslager warf. |
Man
sagte uns, Dass
Arbeitslager nützlich wären, Und
es gäbe gute Gründe ihrer Existenz. Wir
hielten es für ganz normal, Wenn
Hunderte von diesen Frauen Morgens
durch die Straßen, über Wege zogen, Und
man sie zur Arbeit führte. Viele
Leute hatte man 'evakuiert', So
hieß es damals. Das
geschah mit Menschen, Die
in einem 'solchen Staat nicht Oder
gar nicht mehr benötigt' wurden." Und
Frau J. erinnert sich an eine Freundin Aus
der Schule, Die
geriet ganz plötzlich in Verruf, Weil
sie von Juden stammte. |
Selbst
der Leiter dieser Schule Sprach
die Schülerinnen darauf an, Sie
sollten von dem Mädchen Abstand halten, Das
sei besser so. Trotzdem
verblieb das Mädchen Bis
zum Ende seiner Schulzeit An
der Schule. Leider,
sagt Frau T. von sich, Verstand
sie erst das Ganze richtig, Als
das Lager nicht mehr Lager war, Und
von den Schreckenstagen Hinter
diesem Lagerzaun Erfuhr
sie erst nach der Befreiung. |
Vom Bau der
Siedlung. Es war damals Herbst Und es wurd' Winter, Und er war noch
Schüler, wie Frau J. gewesen. Auf dem Weg sah er
die Frauen Und die Männer in
der Sträflingskleidung Schwere Arbeit
machen. Alle wurden streng
bewacht, Und die man dort
bewachte, froren, Und sie waren halb
verhungert. Niemand konnte mit
den Leuten sprechen, Und es hatte keiner
Lust dazu gehabt |
Und kein Intresse, Und es überwogen
andre Dinge, Andere Erlebnisse. Man trauerte um den
Verlust der Anverwandten, Stand von einem
Augenblick zum andren Vor dem Nichts Und hatte dabei doch
noch Glück gehabt. Man konnte auf die
Zwangsarbeiter Gar nicht reagieren,
wusste nicht einmal, Ob es die
Strafgefangenen aus Fuhlsbüttel Oder die Insassinnen
des KZ-Arbeitslagers Waren. Was die taten,
jedenfalls, war gut |
Und nützlich, Und die
Plattenhäuser sollten Ausgebombten Dienen, Und die mussten eine
Bleibe finden, Man empfand die
Arbeit als sehr notwendig Und hilfreich. Alles sah Herr J.
mit Augen Seiner Jugend, sagt
er, Und sein Protokoll
liest sich Ganz ähnlich wie das
von den Herren A. und N. Es war sehr schwer
für einen Zeugen Sachverhalte zu
erfahren, Und die Propaganda
war für ihn Nicht zu
durchschauen. |
Die Jugendlichen
haben ihren Zaun Gestrichen, Der hat seinen Sinn
fast ganz verloren, Weil er nichts mehr
trennt. Man hat ihn mehrfach
durchgebrochen, Jeder kennt sich gut Auf beiden Seiten
aus. Die Jugendlichen und
die Zeugen Wollen sich am
nächsten Morgen Wieder treffen. Dann erwartet sie, das
ahnen sie noch nicht, Ein neuer Zaun, |
Ein andrer Zaun, Den kann man nicht
mit Farbe übergießen, Daran können sich
die Jugendlichen Nicht erproben. Dieser Zaun wird
unsichtbar Vor ihnen wachsen, Und sie werden ihn
so stehen lassen müssen. Etwas anderes
beschließen sie noch heute: Die, die an dem
ersten Zaun gestrichen haben, Wollen nun beginnen, Eine Schrift für den
Granit zu finden. Die besteht, das
wissen sie schon jetzt, Aus einem Bild Und aus der Mahnung,
die soll Worte finden, |
Und die Worte, die
gefunden werden, Sollen Mahnung sein. Zusammen sollen Bild und Wort das
Leid der Menschen zeigen Und auch, Wie der Mensch
darunter leidet. Großes Glück Und großes Leid, so
denken sie, Entlassen ihre
Kinder nicht, Und morgen will sich
diese Gruppe Jugendlicher Jugendlich daran
versuchen. |
Es werden
Antiprotokolle, Das sind
Nicht-Nichtprotokolle, Vorgelesen,
vorgetragen, Und die Jugendlichen
und die Zeugen Können gar nichts
mehr verstehen. |
Nur die eine Gruppe
kümmert sich um nichts, Die sucht nach
Hebezeugen, Einen Felsen zu
bewegen, Und sie haben eine
Künstlerin Und einen Steinmetz, Und sie haben die
Idee, Die lässt sich nicht
vertreiben. |
Allen andren steht
ein neuer Zaun Im Weg, Der wird zur
Schranke, Die sie schrecklich In die Schranken
weist. |
Erstes
Anti-, erstes Nicht-Nichtprotokoll. Ganz sicher ist,
dass der, der dieses sagte, Sohn des
Schwarzhemdunterkönigs war, Der Sohn des
Gruppenleiters dieses Ortes, Der Partei. |
Der Sohn sagt so, Das konnte er
erklären: "Hier in Sasel
hat es nie Ein Arbeitslager
oder ähnliches Gegeben, Das hat niemals
existiert“. |
Ein Jugendlicher, Der ganz blass
geworden ist, sagt: "Ich bin auf
dem Lande groß geworden, So wie der spricht, Redet nur ein Pferd, Das gut im
Gnadenfutter steht.“ |
Zweites
Anti-, zweites Nicht- Nichtprotokoll. Es wird ein
Telefongespräch verlesen, Man erreicht den
Sohn des Arztes Doktor Y.: „Ihr Vater soll im
Lager, Damals, als es
dieses Lager gab, Als Arzt geholfen
haben, Und wir forschen
alles nach. Er selbst soll sehr
betroffen Über diese Zeit
berichtet haben. Können Sie uns
helfen, Wissen Sie etwas
davon?“ |
Der Sohn: „Ich kann mich
überhaupt nicht, Selbst beim besten
Willen nicht, An so etwas
erinnern. Damals war ich
dauernd im Gelände, Und ein Lager hab'
ich nicht gekannt. Mein Vater sprach
auch nie darüber. Sicher wird man
nichts Herausbekommen." Ein paar Tage später
kommt ein Rückruf. Doktor Y., der Sohn,
weiß etwas mehr: „Ich hab' mit meiner
Frau gesprochen, Die besprach das im
Familienkreis, |
Nun weiß ich etwas
mehr, Man wusste doch von
diesem Lager. Damals gab es einen
Unfall bei den Loren, Dabei wurde eine
Frau sehr schwer verletzt, Es waren ihre Beine. Mehr kann meine Frau
nicht sagen, Und sie weiß nicht
mehr, Und es ist sicher, Dass der Vater mit
Herrn Doktor Z. Gesprochen hat. Vielleicht kann der
nun weiterhelfen, Und mein Vater,
Doktor Y., Hat eine
Hilfeleistung nie verweigert." |
Drittes
Anti-, drittes Nicht- Nichtprotokoll. Ein Telefongespräch
mit Doktor Z., Den hielt man
anfangs für den Vater, Doch es war der Sohn
am Apparat: 'Wir haben eine
Frage, Die betrifft Herrn
Doktor Y. Der Sohn des Doktor
Y. verwies uns nun auf Sie. Wir sammeln alles, Was es aus dem Lager
Sasel Und darüber zu
berichten gibt, |
Und Ihnen soll Herr
Doktor Y. Berichtet
haben." Antwort: „Sie verwechseln
mich mit meinem Vater, Warten Sie." Es blieb die
Unterhaltung offen, Und der Sohn, so
dachte man, Wär' aufgestanden, Seinen Vater an den
Apparat zu holen, Und im Echo hörte
man die Fetzen Des Gespräches
zwischen einer Frau, sowie Zwei männlichen
Personen: |
„..würde ich nicht
tun," „..die schnüffeln
nur herum.“ Dann kam der Sohn
zurück: „Den Vater können Sie
heut' Leider nicht
erreichen, Kommen Sie doch
später wieder durch.“ So trist, So niederschmetternd
konnte eine Antwort sein, Die keine war. |
Viertes
Anti-, viertes Nicht-Nichtprotokoll. Drei Tage nach dem
letzten Anruf aufgenommen. Nun ist Doktor Z.,
der Vater selbst Am Apparat: Von seinem Sohn
hätt' er gehört, Was andre hatten von
ihm hören wollen, Und er müsste
einfach lügen, Wollte er vom Lager
etwas sagen, Weil er wirklich gar
nichts davon wüsste, Und Herrn Doktor Y.
hat er gekannt, Wie man Kollegen
kennt. |
Man kannte sich sehr
wenig, Und vertrauliche
Gespräche Hätten niemals
existiert Und nie ein Wort Und eine Kenntnis
über dieses Lager. Ja, Herr Doktor Y.
hat zweimal, dreimal Seine Sachen bei ihm
abgeholt, Mehr nicht. „Wir wissen etwas
mehr von Doktor Y., Dem Sohn des Doktor
Y." |
„Der muss sich
irren. Alles, was ich weiß,
weiß ich genau, Und das ist über
diese Sache nichts. Versuchen Sie doch
ein Gespräch in „..." Mit „... ", Der stand dem Doktor
Y. sehr nah', Ich wirklich nicht, Und nennen Sie um
Gottes Willen Meinen Namen nicht, Nicht meinen Namen
nennen, Meinen Namen
nicht." |
Fünftes
Anti-, fünftes Nicht- Nichtprotokoll, Das gilt als Schwarzhemd's
Taggebet: „Mit uns ist Gott, Gott ist mit uns, Weil er uns unsertwegen
schuf. Wir wollen und wir
sollen Rassen trennen. Juden, Polen, Russen
und Zigeuner Sind die Spreu im
Weizen, Die und alle
„Sozis" und die Kommunisten Werden wir
vernichten. Ihre Arbeitskraft
soll, wenn es geht, Uns nützen, |
Wenn es nicht geht,
oder nicht mehr geht, Soll sie sie selbst
nicht stützen, Weil wir sie
zertreten. Wir sind aus dem
Herrenvolk, sind Arier, Das ist unser Grund. Die anderen sind
minder zu bewerten. Juden haben Schuld
am Krieg, An der Zerstörung
durch die Bomben. Diesen Schaden haben
sie uns Wieder gut zu
machen. Wir sind, um zu
siegen, Siegen selbst im
Untergang. |
Und ihr, die ihr das
nicht versteht, Versteht es, wenn
ihr es wie wir versteht Und uns Gehorsam und
Vertrauen zeigt, Denn wir sind die
Beherrschenden, Und wir beherrschen
das System. Dafür verstehen wir
auch eure Angst Und eure
Abgestumpftheit, Denn mit uns ist
Gott, Gott ist mit uns Und sieht uns vor Und sieht vor uns Und ist uns
Vorsehung." |
Sechstes
Anti-, sechstes Nicht- Nichtprotokoll. Muss man die Retter
Lügen strafen? Wusste die
Besatzungsmacht, Die damals den
Prozess vornahm, so wenig? Konnten über hundert
Zeugen, Nur Insassinnen, das
nicht mehr wissen? Gab es etwas, Was man heute nicht
mehr wissen kann? „Wir sind von der
Besatzungsmacht Und haben die
Befreiung ausgerufen Und befreit, Und fragen die
Befreiten nach der Wahrheit, Dass sie andere
damit befreien Oder anderen die
Schuld zuweisen. Nebenlager Sasel,
Außenstelle Neuengamme, Wird gefragt. Wir fragen, Wer verstarb in
diesem Arbeitslager und warum, |
Und ihr seid
aufgerufen, Es zu sagen, Und wir haben euch
gehört, ihr sagtet so: In diesen Monaten Der Existenz des
Lagers Starben drei
Personen, Die wir aufgelistet
haben: Erstens starb Helene
D. Sie wurde von zwei Schwarzhemdfrauen,
L. und U. Gequält, misshandelt Und von ihnen aufs
„Revier" gebracht. Sie wurde nach dort
eingewiesen. Das verschrieb Herr
Doktor K., ein Sanitäter. Der routinemäßig
über Sasel kam. Man gab ihr Morphium
und Luminal Und spritzte sie
damit vielleicht Sogar zu Tode, weil
sie nach zehn Tagen starb. |
Zum zweiten starb
Adele E., die Polin. Von dem Wachmann K.,
ein Schwarzhemd, Wurde sie brutal
geschlagen, Dass sie im
„Revier" Den inneren
Verletzungen erlag. Zum Dritten und zum
Letzten Starb die Insassin
Frau Sledzik, Die litt unter TBC Und starb auf dem
Transport nach Bergen-Belsen, Wohin man sie,
krank, „evakuierte". Die Besatzungsmacht
gibt sich zufrieden Und erwähnt die
Totenliste Bergstedt's nicht, Die trägt die
fünfunddreißig Namen, Nummern,
Unbekannten. Niemand kann sie
noch zurück In die Verhandlung
reichen. |
Allen wurde neu die
Bergstedt-Totenliste Vorgelesen. Die
war jetzt erst aufgefunden worden. Unter
den Verstorbenen Befanden
sich fünf Polinnen aus Lodz. Die
Anti-, Nicht-Nichtprotokolle waren Schon
zu Ende, Und
die Jugendlichen drängten nun Heraus
zu finden, wie der schwere Weg der fünf Insassinnen |
Von
Lodz nach Sasel hatte führen können. Und
sie mussten sich das Wissen leihen Und
begannen noch einmal Die
Steine zu befragen. Jemand
sagte auch, Wir
müssen eine Übersicht gewinnen Oder
Abstand schaffen, Müssen
in ein Flugzeug steigen, Das
uns in die Höhe bringt Und
über alles blicken lässt, Das
zeigt mit einem Schlag |
Die
kümmerliche Enge enger Maschen Und
erklärt mit einem zweiten Schlag, Wie
schwer es war, den Maschen zu entkommen. Diese
Maschen waren selbst das Netz, Das
tötete. Das,
was die Steine dazu sagten, Las
sich später so: (Die
Jugendlichen nannten es die Überprotokolle). |
Es lebten in der
Großstadt Lodz Weit mehr als drei
Mal hunderttausend Juden. Die sofort zu
deportieren War nicht möglich, Und man plante, als
den ersten Schritt, Ein Ghetto. Nach Erledigung von
Vorarbeiten Und Beschaffung
großer Wachmannschaften, Wurd' von einem Tag
zum anderen Ein Ghetto
ausgerufen, Das verlief an
festgesetzter Linie, Wurde schwer
bewacht, Besetzt mit
Barrikaden, Und erhielt von den
Besetzern Eine
Selbstverwaltung. Drinnen sollten nur
noch Juden wohnen. Ghettos wurden die
Stationen Auf dem Weg zum Tod. Am Anfang ließ man
noch die Menschen An die Arbeitsplätze
zu den 'Ariern' gehen, Dann verriegelte man
alle Tore Und besetzte sie. |
Die Katastrophe fing
mit Nahrungsmangel an. Man wurde so dem
Hungertode Preis gegeben. In die überfüllten
Ghettos Pferchte man noch
immer wieder neue Menschen. Wer den Hungertod
nicht fand, Stand auf der
Warteliste für ein Ende, Das noch viel, viel
schlimmer werden würde. Man begann schon
bald darauf Mit Abtransporten. Das verstanden die
Gequälten falsch. Sie ahnten nichts
von den Vernichtungslagern. Was der Hunger nicht
vollbrachte Das vollbrachte dort
ein Gas. Die eingesetzten
Judenräte Zwang man,
Namenslisten mit den Kandidaten Zu erstellen. Anfangs meldete sich
mancher Obdachlose Ohne Zwang dafür, Weil man ein halbes
Brot versprach Und eine Dose
Marmelade. Welch ein
Himmelreich in dieser Hölle. |
Außerdem, so hörten
sie, Sei es nur eine
kleine Reise, Und das Elend in den
Ghettos war so groß, Dass selbst die
Schrecken der KZ's Davor verblassten, Und man hätte eine
Pritsche für die Nacht, So dachte man, Und ein Napf Essen. Später sammelte sich
über den Zurückgebliebenen Ein bitteres Gerücht
von Duschen, Denen Gas
entströmte. Mit brutalsten
Mitteln trieb man nun Die Menschen in
Waggons, Die in
Vernichtungslager fuhren. Viele starben auf
der Fahrt, Die blieben unter
denen, die noch standen, Liegen. Dann, im Sommer
1943, wurde fest beschlossen, Alle Lager
aufzulösen, Einzig Lodz war
ausgenommen. |
Der Abtransport der
Menschen aus dem Ghetto Fing mit einem
Formblatt an. Auf dem stand, was
sie mitzunehmen hatten: Proviant für nur
zwei Tage, Essnapf, Löffel, ja
kein Messer, Derbe Schuhe, warme
Kleidung Und zwei Decken. Alles im Gewicht auf
25 Kilogramm begrenzt, Ein Koffer noch, Auf den sie ihren
Namen schreiben mussten. Dies war der Beginn
des Endes. |
Auf der Straße
wartete ein offnes Auto Voller Menschen, Das nahm immerzu
noch neue Menschen auf. Der Wagen fuhr sie
in ein Sammellager Oder gleich direkt
zum Bahnhof, Wo die Güterwagen
standen. Jeder Zug bestand
aus bis zu 2o Wagen, Eigentlich für
Viehtransport gebaut, Und hatte
Stacheldraht verhaune Luken. Außen standen zwei
Personenwagen Für die
Wachmannschaften. |
Jeder der Transporte
fasste tausend Menschen. Diese Züge fuhren
mehrmals in der Woche ab Und kamen aus den
großen Städten in Europa, Die in Schwarzhemds
Händen lagen, Kamen aus den
Sammellagern. In dem Dunkel
überfüllter Züge Starben viele. Menschenzüge, Die nicht enden
wollten, Rollten so nur einem
Ziel entgegen; Das hieß Auschwitz. |
So las sich ein
Befehl, Ein Ghetto
aufzulösen: "Hiermit wird
bekannt gemacht, Mit Aushang vier-
zwei- acht, Das Getto zu verkleinern. Zusätzlich zu den
bisher gesperrten Wohngebieten, Das gilt nur für
Juden, Siehe Aushang vier-
zwei- sieben, Sind bis übermorgen
früh Um sieben Uhr noch
folgende Gebiete, Straßen, Wie ganz unten
aufgeschrieben, Zu verlassen. Danach darf sie niemand
mehr betreten. Wer trotzdem noch
angetroffen wird, WIRD STANDRECHTLICH
ERSCHOSSEN |
Das Gebiet begrenzt Im Westen, längs der
Siegfriedstraße Bis zur Nummer 85, Also Ecke
Sulzfeldstraße-, Siegfriedstraße, Bis zur Ecke
Siegfriedstraße-, Robertstraße; Dann begrenzt im
Norden längs der Robertstraße,
ungerade Nummern, Also Ecke
Siegfriedstraße-, Robertstraße, Bis zur Ecke
Robertstraße Und den
Polenjugendverwahrgebäuden; Begrenzt im Osten
längs der Max- und Ewaldstraße
, Das ist längs der Polenjugendverwahrgebäude, Längs dem Westzaun, Dann von dieser Ecke
weiterhin nach Osten, Längs der
Ewaldstraße bis zum Gettozaun, Begrenzt im Osten
längs des Gettozaunes Und im Süden durch
die Winfriedstraße, Also längs des
Gettozaunes, Und im Osten durch
die Konradstraße, |
Also längs des
Gettozaunes, Bis zur
Sulzfeldstraße, Und im Süden längs
der Sulzfeldstraße, Also Ecke
Siegfried-, Sulzfeldstraße Bis zur Ecke
Sulzfeld-, Konradstraße. Zur besonderen
Beachtung: Allen Arbeitern, die
in Geschlossenen Betrieben
Tätig sind, als
kasernierte Arbeiter, Ist es erlaubt, an
ihrem Arbeitsplatz zu
bleiben, Und in ihrer
Dienstpflicht Die Gebiete zu
betreten. Dies gilt auch fürs
Krankenhaus. Geheime Polizei des
Staates. Litzmannstadt, August des Jahres
1944." |
So schrieb J.
Goebbels, Oberschwarzhemd und
Vollstrecker, 1942 in sein
Tagebuch: "Es werden
jetzt aus dem Generalgouvernement
die Juden nach dem Osten Abgeschoben. Bei Lublin beginnen
wir damit. |
Man wendet dabei ein
barbarisches Verfahren an, Das ist nicht näher
zu beschreiben. Von den Juden selbst
bleibt nicht viel übrig. Von je hundert wird
man sechzig Liquidieren müssen Und nur diesen Rest
von vierzig In den
Arbeitseinsatz bringen können. |
Wir verlassen uns da
ganz auf Globocnik, Der leitete zuvor
Gau Wien, Der ist sehr
umsichtig Und wendet ein
Verfahren an, Das wirkt fast
unauffällig... Die in allen Städten
frei gemachten Gettos Werden wir mit
abgeschobnen Juden Aus dem Reich der
Reiche wieder füllen, Und es soll sich der
Prozess erneuern." |
In Auschwitz gab es
eine Dauerselektion, Die war die
Weichenstellung in den Tod. Man selektierte
Arbeitsfähige, Die fanden nun die
Hölle hier auf Erden, Mussten stundenlange
Strafappelle, In der Glut der
Sonne stehen, Oder schwere Säcke
schleppen, Darin war Zement, Und wurden so, auf
einem Umweg, In den Tod
geschickt. |
Man gab sie auch für
wenig Geld An Kohlegruben ab Und an die
Rüstungsindustrie, Die stellte manchmal
eigne Nebenlager auf. Die
„unbrauchbar" gewordenen Gefang'nen Hatten ihren Zweck
erfüllt Und wurden täglich
umgebracht, vergast, verbrannt, Und man ersetzte sie
sofort durch neue Aus den
Neutransporten. Aus dem Morden wurde
ein Geschäft. Man raubte allen
alles. |
Jedem nahm man seine
Werte ab Und alle Kleider; Tötete die
unbrauchbaren Angehörigen sofort, Benutzte jede
Arbeitskraft Bis zur totalen,
physischen Erschöpfung Und verstümmelte die
Körper, Führte medizinische
Versuche durch, Zog aus den Leichen
noch die goldnen Zähne, Machte Menschenasche Dann zu Dünger. |
Selektionen fanden
allgemein In Auschwitz statt. Im Lodz'er Ghetto
wurde Anfang 1942 „Umgesiedelt",
wie es hieß, Es war ein
Abtransport nach Chelmno. |
Im September dieses Jahres
endete man die Aktion Und zählte 55.000
Opfer. Zwei Jahr' später
wurde Lodz „evakuiert", Man deportierte über
27.000 Juden Aus den Lagern
östlich von der Weichsel In das Heimatland. |
Nur so sind Lodz'er
Frauen In dem Lager Sasel
zu erklären. Ihre Ankunft stand
direkt in dem Zusammenhang Mit einer Selektion
in Auschwitz Und der Einrichtung
des Lagers. |
Uns ist ein klein es
Bild bekannt, Das zeichnet mit nur
wenig Strichen Den
totalen Umfang der Tragödie auf, Die Selektion. |
Das Bild hat
Francois Reisz gezeichnet: Eine schmale lange
Reihe nackter Frauen Muss den
Schwarzhemdarzt passieren. Der sitzt auf dem
Stuhl Und lässt, bei jeder
seinen rechten Daumen Auf- und
niedersinken, Das heißt
Arbeitslager oder Tod. |
Die Frauenköpfe sind
geschoren. Eine Schwarzhemdfrau
in Uniform Steht neben jenem
Arzt, Und sie bewacht die
Szene. |
Dies hören wir von
Rudolf Höss(?): „Die Art und Weise, Wie wir unsre Opfer
wählten War wie folgt: |
Zwei Schwarzhemdärzte Waren im KZ in
Auschwitz tätig, Die
Gefangenentransporte gleich zu untersuchen. Alle hatten diese
Ärzte zu passieren, Die sie im
Vorbeimarsch Durch ein
Fingerzeichen selektierten. |
Die zur Arbeit
taugten, Kamen in das Lager, Andere sofort in die
Vernichtungsräume. Kinder, die im
zarten Alter standen, Wurden ausnahmslos
vernichtet, Da sie wegen ihrer
Jugend Keine Arbeit bringen
konnten." |
Justizminister
Doktor Thierack Schrieb von dem
Gespräch Mit dem Vollstrecker
Himmler: „Dies betrifft
soziale Elemente Aus dem
Strafvollzug: |
Sind alle
auszuliefern, Zur Vernichtung
durch die Arbeit, Restlos auszuliefern
sind die Sicherungsverwahrten,
Juden, Russen, Die Ukrainer, die
Zigeuner, Polen über drei
Jahr' Strafe, Tschechen oder Deutsche über acht
Jahr Strafe.... |
Meiner Regelung zur
Prügelstrafe, Die der Führer
wünschte, Wird ausdrücklich
zugestimmt.“ |
„Wir Steine sagen
euch, Aus welchen Ländern die
verstorbenen Insassinnen Gekommen sind. Wir hörten ihre
Sprachen. Unter ihnen waren Polinnen und
Ungarinnen, Deutsche,
Tschechinnen, Französinnen, Aus Jugoslawien eine
Frau Und eine kam aus
Griechenland." Die Totenliste wies
die Unbekannten aus Mit einem kargen
Zusatz: „Jüdinnen". Die hatten keine
Herkunft Und man wusste ihre
Namen nicht. |
Die Steine schwiegen
wieder Und man endete die
Fragerei an diesem Tag. Es ist der dritte
Tag, Der ging fast ganz
vorbei. Inzwischen haben
sich noch neue Zeugen Eingefunden, Die aus Briefen
ihren Beitrag Leisten wollen, Und man bittet sie, Und damit sind sie
einverstanden, Morgen ihre Sache,
vorzutragen. Im Gelände sieht und
hört man noch Die Gruppe
Jugendlicher, Die sich mit der
Künstlerin |
Und einem Steinmetz
über jene Steinschrift Und das Mahnbild
unterhalten, Das der ausgesuchte
Felsen tragen soll. Um den Granit ein
wenig flächig Zu gestalten, Will man ihn in
ganzer Länge spalten Und darauf ein
Tafelbild erstellen. Das ist nun
beschlossen, Und der Stein wird, Wenn er aufgerichtet
ist, die Höhe Eines ausgewachsnen
Mannes haben. Seine Mahnung soll „Die Unantastbarkeit
der Menschenwürde" sein, Auch das ist schon
gewiss. |
Gedenkt der toten
Insassinnen, Die auf Bergstedt's
Friedhof ruh'n. Es werden Briefe
vorgelesen. Dieses ist der erste
Brief, Es liest Frau B.: „In Sasel gab es
viele, viele Zwangsarbeiter, Die auf Bauernhöfen
ihre Arbeit machen mussten. Einer hatte heimlich
Unterschlupf Bei einer
Heimatfrau, das war Frau B." |
So liest Frau B., Man weiß nicht, ob
sie von sich selber spricht, „Er war Weißrusse, Und er sah an einem
Tag sehr traurig aus. So fragte ihn Frau
B., Was mit ihm los sei, Und er sagte, dass
er an dem Tag Zwei Frauen und ein
kleines Baby Mit dem Wagen auf den
Friedhof Bergstedt's Hatte karren müssen. Diesen Auftrag
musste er für seinen Bauern machen, Der erhielt den
Auftrag aus dem Lager |
Und bekam dafür die
Küchenreste Für die Schweine. Sicher hat der Russe
diese Fahrten Öfter machen müssen, Doch er stand wohl
in der Schweigepflicht Und durfte der Frau
B. Von keinem weiteren
Transport berichten". |
Der
zweite Brief kommt von Herrn X., Er schreibt vom
Bringen und Begraben Der verstorbenen
Insassinnen, Und er bedingt sich
aus, Dass niemand seinen Namen
nennen darf, Das ist ihm sehr,
sehr wichtig. "Anfangs
lieferte man die Verstorbenen In Särgen auf dem
Friedhof Bergstedt's an, Mit ihnen kamen
sämtliche Bescheinigungen. Da es sich bei jedem
Mal um eine Wohlfahrtserdbestattung
handelte, Wurd' mir nicht
klar, Dass es wohl Tote
aus dem Frauenlager Sasel, KZ-Neuengamme,
waren. Dann, am 21. April
im Jahre '45, Wurden wieder Frauen
angeliefert, Lagen ordentlich
geladen Auf dem Wagen (nicht
gestapelt!). Den Transport
begleitete auch eine Liste, Die vom Lagerarzt
geschrieben war, Die hatte er selbst
unterzeichnet. |
Auf dem Friedhof
hatten wir kein Personal, Die Frauen zu
begraben, Und wir fragten in
dem Lager an, Erhielten vom KZ
Bescheid, Dass man uns Frauen
zur Verfügung stellen würde. Alle toten Frauen
waren unbekleidet, Und sie schienen
ganz normal ernährt. Man hätte sich
schnell überzeugt, Dass keine äußeren
Verletzungen An ihnen waren, Und sie waren nicht
erschossen worden, Und es hatte nichts
von außen Auf sie eingewirkt. Wir hatten keine
Särge, Und die Bauern aus
der Nähe Mussten Stroh
besorgen. Das war für die Zeit
nicht unnormal. Man fragte auch den
Lagerarzt am Telefon, Warum, woran die
Frauen denn verstorben seien, Und der sagte
gleich, Die hätten zu viel Nahrung
aufgenommen. |
Diese Frauen hatte
man mit Zügen In das Lager
überführt, Und auf der Fahrt
war die Ernährung dürftig. Hier im Lager haben
sie sich dann mit Essen, Sehr vermutlich,
überfüllt. Das hat ihr Magen
nicht vertragen Und er ist geplatzt. Die Antwort dieses
Arztes Wurde durch die
Frauen, Die zur Hilfe kamen
unterstützt. Die hatten Kleider
an Und Schürzen
umgebunden, Reichlich Essen mit Und waren
wohlfrisiert und hatten Seife, Was uns alle sehr
erstaunte, Weil sonst niemand
welche hatte. Diese Frauen, etwa
acht bis zehn, Begleitete ein
Wachmann, Der war etwa 6o
Jahre alt. Und trug
Landjägeruniform. Vom Lager selbst und
den Insassinnen War dem für diesen
Friedhof Zuständigen Nichts bekannt, Er hatte beides nie
gesehen." |
Der
dritte Brief stammt von dem Propst H.P. Der liest nicht
selbst, Dafür ist er zu alt. Dies ist zu hören: „Meine große Achtung
gilt den Jugendlichen, Die sich den Besitz
-Erinnerung- Nicht rauben lassen
wollen. Kürzlich hörte ich
jedoch Auch einen andren
Satz: Erinnerung an diese
Dinge Ist der Tod für
diese Dinge, Weil das Wissen um
sie leben muss, Und das ist mehr, Als sich daran
erinnern. Daher bin ich davon
überzeugt, Dass die Bezeugung
mehr ist, Als das Fragen, Und es kann die Jugend
in die Welt von damals Führen. Ich bin alt Und muss mich jener
Zeiten schämen, Meiner Zeit, die war
dabei, Und will mich hüten, Daran nachträglich
noch Korrekturen vorzunehmen, Um vielleicht das
Bild ein wenig aufzuhellen. Bis zum 21. April
des Jahres '45 Habe ich von dem
Kommando Sasel nichts gewusst. Das mag damit
zusammenhängen, Dass ich
hauptamtlich in Volksdorf war, Und die Gemeinden
Sasel, Bergstedt, Kannte ich nicht so
genau, Ich kann daher auch
keine Auskunft geben, Wie die Menschen
sich den Insassinnen gegenüber Ausgenommen und
verhalten haben. Aber es ist richtig, Dass ich damals die
Verwaltung Dieses einen
Friedhofs Bergstedt hatte, |
Der gehörte den
Gemeinden Bergstedt, Ohlstedt,
Volksdorf, Poppenbüttel. Nun zurück zu jenem
Tag. Ein Wagen fuhr ganz
ohne jede Voranmeldung Auf den Friedhof, Und als Ladung wies
man uns zwölf tote Frauen, Jüdinnen. (Die Anzahl habe ich
aus Ihrem Brief entnommen, Weil ich sonst nicht
sicher bin. Die Anzahl ist ja im
Register nachzuprüfen.) Diese Ladung Und die Weise ihrer
Überstellung Zeigte die
Unmenschlichkeit Und die Brutalität
in größter Deutlichkeit. Die Leichen brachte
man uns nackt, So wie man Vieh
anschleppt, Das irgendwo
verendet ist. Mit diesen Toten gab
man uns nur ein paar Namen, Was man später nicht
mehr machte, Was sich später auch
nicht mehr erwirken ließ, Dann gab es nur noch
Häftlingsnummern. Die vom 21. April,
so hieß es, Seien auf dem Treck,
auf dem Transport Gestorben, Und als Gründe gab
man Überanstrengung Und die Erschöpfung
dieser Menschen an. Da wir von Sasel
noch nichts wussten, Hielten wir, was man
uns sagte, Wenigstens für
möglich, Und es kam auch die
Verlegung Irgendeines Lagers
aus dem Kriegsgebiet In Frage. Was wir später sahen Nahm uns jede
Illusion. |
Die neuen
Leichenüberführungen Belehrten uns
schnell eines andren. Ihre Fragen, unsre
Fragen, Ob die Frauen
umgebracht, getötet worden waren, Konnten wir nicht
klären, Offensichtlich war
jedoch Unmenschlichkeit am
Werk. Mich selber überfiel
ein großes Maß An Traurigkeit, Und völlig hilflos
stand ich vor den Toten, Und war derartig
gelähmt, Dass ich nichts
unternehmen konnte Und nicht wusste wie
schon früher, Was ich hätte
unternehmen können oder sollen. Brüderlichkeit war
es, Die mir blieb, Und die ich zeigen
wollte, Und die Toten
sollten nicht in einem Massengrab Begraben werden Und nicht abseits
ruh'n. Wir betteten sie
zwischen unsren Reihn In Einzelgräbern, So dass Einheimische
und Gefangne Abwechselnd begraben
waren. Das stieß unerwartet
auf den Widerstand „gewisser
Kreise", die dagegen protestierten, Dass die eignen
Toten Neben Juden ruhen
sollten. Mein
Erinnerungsvermögen hat sehr abgenommen. Ich bin über 8o
Jahre alt Und kann nicht
weiter Auskunft geben. Meine Grüße gelten
nun der Jugend, Dass sie wissend
werden möge.“ |
Die Jugendlichen sind nun aufgerufen Über das zu
sprechen, Was man ihnen
vorgelesen hat. Der Brief vom Probst
H. P. hat sie verwirrt. Sie meinen, dass er
sicher die Transporte Nicht mehr hatte auseinanderhalten
können, Und sein Brief stand
auch im Widerspruch Zu Zeugen, Die auf diesem
Friedhof tätig waren: So enthielt der
erste Wagen Wohl auch nackte
Frauenleichen, Allerdings mit
Namen, Und erst später
lieferte man Namenlose an, Und es entstand der
Eindruck Von
Unmenschlichkeit. Auch muss man
wissen, Dass die auf dem
Treck, Auf dem Transport,
Verstorbenen, Wie es der
Schwarzhemdmann Dem Probst noch
telefonisch sagte, Zu den ersten Toten
zählten Und nicht zu den
späteren. "Die Totenliste
Bergstedt's Weist in einer ganz
bestimmten Zeit Nicht einen Eintrag
aus. Das sind die Tage,
Wochen, Monate Vom 2o. November '44
bis zur Mitte März des
Jahres '45" „Ist es denkbar, Dass es keine
Todesfälle gab?“ „Es war ein schwerer
Winter, Nahrung war doch kaum
vorhanden, Die Bekleidung war
sehr mangelhaft.“ „Vielleicht hat man
die Toten Und das Sterben ganz
geheim gehalten, Die Bevölkerung
getäuscht." „In dieser Zeit, Das las ich im
Bericht des Doktor Trzebinski, Verstarben von
11.768 Frauen, Die in allen
Nebenlagern saßen, 95, Und von über 4o.ooo
Männern In der gleichen Zeit
6.ooo, Das sind
unvergleichlich Viel mehr
Männer." „Das ist kaum mehr
zu erklären." „Mag daran gelegen
haben, Dass man die
erschöpften Männer Aus den Nebenlagern
sammelte Und sie zurück nach
Neuengamme brachte. Und ersetzte. Die zurückgebrachten
Männer starben, Während man die
Frauen In ein andres Lager
brachte, Bergen-Belsen denke
ich, Denn Neuengamme war
ein Männerlager." "Bergen-Belsen
wurde mit dem Winter '44 Nur noch Krankenlager Und zog alle ein. Hier flossen
sämtliche Transporte ineinander, Und im März des
Jahres '45 War es überfüllt, Dass man es nicht
beschreiben kann." "Dies kann der
Grund gewesen sein, Warum man dann mit
den Beerdigungen Auf dem Friedhof
Bergstedt's Wieder weiter machen
musste." "Frauen sterben
einfach Nicht so schnell, Das hängt mit
biologischem Geschehen Eng zusammen." |
"Bei den Frauen In KZ- Kommandos
außerhalb von Neuengamme Handelte es sich um
Frauen, Die schon mehrfach Selektionen
überlebten, Die aus Lodz, in
Sasel, Hatten in den
Ghettos Lodz Und Auschwitz, Birkenau und
Ravensbrück die Selektionen überstanden, Während sich die
Männer in dem Lager Neuengamme Lange schon
befanden, Und sie wiesen einen
schlechteren Ernährungs- und
Gesundheitszustand auf, Das haben uns die
Herren Sch. und P. Gesagt." "Man mühte sich
sehr stark, Die Todesfälle
streng geheim zu halten. Anfangs wurden doch
die Frauenleichen Noch mit Särgen und
mit sämtlichen Papieren überbracht Und konnten bei den
Zuständigen dieses Friedhofs Und beim Pastor den
Verdacht Nicht wecken.“ "Und er
schreibt, Dass ihn die
nackten, namenlosen Frauenleichen So betroffen
machten, Weil sie plötzlich,
ohne Vorankündigung, Auf seinem Friedhof
lagen. Er erinnert sich an
diesen Tag, Es war der 21. April
des Jahres '45. Hilflos sah er
damals, Dass
Unmenschlichkeit am Werk war, Und aus andren
Protokollen Konnte man das nicht
entnehmen. Schließlich dachte
man an ähnliches Geschehen Bei den Bombenopfern, Die auch angeliefert
wurden Und bestattet werden
mussten. Das sah man als
nicht sehr Ungewöhnlich an. "Wie kann man
nur behaupten, Dass die Frauen, Die man zur
Bestattung brachte, Nicht ganz
ausgemergelt waren, Und es widerspricht
den anderen Berichten.“ "Und die Frauen
des KZ's, Die beim Begraben
helfen sollten, Trugen Kleider,
Schürzen, Hatten sogar Seife Und so viel zu
essen, Dass es wie ein
Proviant aussah.“ "Es ist doch
möglich, Dass es sich um
Schwarzhemdfrauen handelte, Um die Bewacherinnen
selbst, Und nicht um die
Insassinnen." "Vielleicht
versuchte man zu täuschen, Machte dies Manöver, Um von anderen
Geschehen abzulenken." "Dieser Tag,
der 21, April, Ist doch der Tag der
Kindermorde, Bullenhuser Damm, Und anderer
Erschießungen, Und ausgerechnet
diesen Toten Gab man keine Namen
mit." "Vielleicht
sind sie doch Opfer einer Hinrichtung Gewesen, brachte man
sie um, Um so noch Zeugen
einer Schreckensherrschaft Zu beseitigen?" |
"Wir müssen den
Verdacht bewahren Dürfen ihn nicht
einfach so Beiseite
legen." "Wer soll das
noch klären können?" "Die vom
Schwarzhemdarzt genannten Gründe, Dass der Magen
platzte, Sind in letzter
Konsequenz Auch möglich. Leider haben wir den
Schein Und seine
Unterschrift bisher Nicht finden können. Damals irrte eine
Vielzahl von Transporten Unter grausamsten
Bedingungen und Härten Durch den Norden
unsres Landes. Hunger, Krankheit
holte Tausende. Die Gräber dieser
Opfer säumen lange Wege.“ "Auf den
Trecks, das stimmt, Verstarben viele
Menschen. Das erfuhr man immer
wieder von den Flüchtlingen, Die aus dem Osten
kamen." "Wenn man das
bedenkt, Dass einer dieser
Menschen, Der am Ende seiner
Kräfte ist, Ganz plötzlich essen
kann, So viel er will und
hört nicht auf, Dann ist es
vielleicht denkbar, Dass sein Magen
platzt." "So
ausgehungert Und so ausgemergelt
sollen Die vom Treck auch
nicht gewesen sein." "Es herrschten
damals auch die Wirren Des Zusammenbruchs,
der stand bevor, Und der Verdacht
schwand schließlich sehr, Zumal der Arzt Doch eine Art
Erklärung abgegeben hatte, Und die Namen gab er
sowieso nicht her.“ "Die Menschen
waren nicht mehr fähig Höhere Intressen
auszumachen, Oder etwas zu
bemerken, Das geschichtliches
Erkennen nach sich zog.“ "Ich lese ein
paar Zeilen vor, Die sind von einer
Insassin, Und man erkennt, wie
wenig die Von dem Geschehen In dem Lager
wussten: 'Über das Verbrechen
einer Tötung Kann ich gar nichts
sagen. Ich war Insassin im
KZ-Sasel. Was ich weiß in dem
Zusammenhang, Beschränkt sich auf
die Häftlinge Mit ernsthaften
Erkrankungen. Darunter war auch
eine Häftlingsfrau, Die fiel in
Wahnvorstellungen Und wurde fort
gebracht, es hieß Nach Neuengamme. Wenn ein solcher
Abtransport erfolgte, Schloss man uns in
den Baracken ein. Ich weiß nicht, Was man wirklich mit
den Fortgeführten machte, Aber, wenn ich
danach ging, Wie es in Birkenau
geschehen war, Dann brachte man sie
um.“ |
Geht der vierte Tag
zu Ende. Morgen soll ein
Dokument verlesen werden, Das ist unerwartet aufgetaucht. Es meldete sich eine
ehemalige Insassin, Bat um's Wort. Man sprach mit ihr
in einem Interview, Das wird dann
vorgetragen. Heute diskutiert man
noch Die Folgerungen der
Gespräche, Manche Sätze klingen
lange nach, Und die Gedanken
lassen sich So schnell nicht
ordnen. Außenstellen, so wie
Hamburg-Sasel, Hatten einen ganz
bestimmten Zweck: Man gab den Lagern
auf, Die letzte Kraft aus
den Insassinnen zu saugen, Ohne der Bevölkerung |
Von dem System des
Grauens Etwas zu verraten. Auch die Herkunft
der Insassinnen, Dass sie aus Lodz,
aus Ravensbrück, Aus Auschwitz-
Birkenau gekommen waren, Sollte niemanden
bekümmern, Und die Ziele der
Transporte, Die "nur
Invaliden" mit sich führten, Die in Lager, wie
nach Bergen-Belsen Oder Neuengamme
gingen, Und das Sterben vor
Erschöpfung, Sollte niemand ahnen
können. Nur allein in
Hamburg gab es 13 oder 14 Außenstellen. Der Bestand belief
sich auf l0.000 Menschen, Den erneuerte man
unentwegt. Es schien den
Herrschenden gelungen, Ihre wahre Absicht
zu vertuschen. |
Mitgefühl und
Mitleid der Bevölkerung Und das Intresse an
der Wahrheitsfindung Drängten sie mit
Angst Und ihrer Propaganda
weit zurück, Dass viele
Augenzeugen heute noch In voller
Überzeugung nur von "irgendeinem
Arbeitslager" sprechen. Offenkundig haben
Saseler Von Auschwitz und
von Bergen-Belsen Nichts gewusst, Auch nicht, dass
dies für viele Schicksal wurde. KZ-Sasel war in
diese Leidenskette Eingespannt Und hatte gnadenlos
zu funktionieren, Und das Leiden
dieser Frauen, War für alle, die es
sehen wollten, Offensichtlich. |
Verlesung eines
nachgereichten Dokumentes. Dieses ist ein
Interview Mit einer ehemaligen
KZ-Insassin, |
Der Frau I. Sie war zu dem
Gespräch bereit. Es wurde alles
aufgeschrieben, Und beschreibt den
Leidensweg der Frau, |
Der nahm im Ghetto
Lodz den Anfang (Dort hielt sie fünf
Jahre aus), Sie war ein Kind zu
jener Zeit. |
Das Ghetto, sagt
sie, War ein Teil der
Stadt, Den hatte man
umzäunt Und darin sollten nun
die Juden wohnen. Anfangs gab es eine
Zeit, Da fanden sie noch
Arbeit außerhalb, Doch das wurd'
schnell verboten. In das Ghetto waren
Großbetriebe eingeschlossen. Alle Arbeitsfähigen,
so hieß es, Sollten dort
beschäftigt werden. Das, was 'arbeitsfähig'
war, Entschied die
Selektion. Die machte keinen
Unterschied Und schied die
Älteren (ab fünfzig Jahre etwa), Kleine Kinder, Kinder, die zur
Schule gingen, Alle Arten von
Behinderten Als gar nicht
arbeitsfähig aus. |
Frau I. war damals
erst zehn Jahre alt Und noch ein Kind, Und sie berichtet,
dass sich ihre Eltern Gegen das Kommando
stellten Und den Ausweis
ihrer Tochter fälschten, Und die Tochter
älter werden ließen. Mit zwölf Jahren Hatte man schon
Anspruch Auf die Arbeitskarte,
die war lebenswichtig, Nur mit dieser Karte
gab es Lebensmittel. Andre Kinder wurden
von der Schwarzhemdmannschaft
eingesammelt Und mit unbekanntem
Ziel verschickt. Es war schwer eine
Arbeitskarte zu erhalten, Und die Eltern
mussten ihre Tochter Oft verstecken, Die hielt hinter mit
Tapeten zugeklebten Türen aus Und wurde von den
andren mit ernährt. |
Die lebten selbst
von Winzigsten
Portionen, Die bestanden nur
pro Tag aus 30 oder 4o Grammen Brot und
braunem Zucker. Manchmal gab es einen
Pferdeknochen, Niemals Salz. Es kam oft vor, Dass man den ganzen
Tag in einer Schlange stand, Um seine
wöchentliche Menge abzuholen. Oft kam es zur
Prügelei um ein Stück Brot. Man stahl es sich
sogar in den Familien Gegenseitig, Und der Hunger war
so schrecklich groß. Fünf Jahre Hunger
können aus den Menschen Tiere machen. |
Getrennt von der
Familie Lebte die Frau I. Mit 12 bis 18 Jahre
alten Jüdinnen zusammen. In dem Ghetto
mussten sie In den
Metallbetrieben Munition herstellen, Oder in der
Sattlerei an ledernen Geschirren nähen, Die man für die
Pferde brauchte. Ihre Arbeitszeit
begann am morgen Um sechs Uhr und
endete erst abends Um die gleiche Zeit. |
Es hieß, die Juden
sollten sich ihr Ghetto Selbst verwalten, Das wurd' auch veröffentlicht. Die Herrschenden
verpflichteten die Juden So zur Mitarbeit Und machten sich die
Hilfe dieser Menschen Noch zunutze, Doch die wichtigen
Entscheidungen Beschloss die
Schwarzhemdschar. Im Lager gab es die
Bewegung Jugendlicher, Die sich heimlich
gegen jeden Rutenbündelträger
wehrte, Und sie sangen die
Befreiungslieder. |
Eines dieser Lieder, Das
Horst-Wessel-Lied, war ausgehöhlt: Man sang die
Melodie, Es war das
Schwarzhemdlieblingslied, Und unterlegte es
mit eignen Texten. Alle hatten eine
Hoffnung Auf die Außenwelt. Es sollte die
Befreiung durch die Russen Oder die Amerikaner
kommen; Anfangs dachte man
sogar an Menschen Aus dem Heimatland
der Schwarzhemdträger, Weil man die Kultur
bedachte, Die doch alle
trugen. |
Frau I. fährt fort: Wir lebten schon im
dritten Jahr, Als man noch
Tschechen In das Ghetto
brachte. Diese Menschen
konnten sich Nicht schnell genug
an unsre Not gewöhnen Und verstarben viel,
viel früher Als die andren
Juden. Wer sich die Ration
nicht richtig teilte Und das Wenige auf
einmal aß, |
Starb ganz gewiss
den Hungertod, Der kam sehr eilig. Hier ins Ghetto Lodz
Gelangten sogar
Männer, Frauen, Die aus Hamburg
stammten. Manchmal kamen
Überfallkommandos, Die nach Kranken,
Alten, Kindern suchten. Wer unfähig war zur
Arbeit, Wurde aussortiert Und gleich nach
Auschwitz transportiert. |
Von den Kommandos
kehrte niemand heim. Und niemand konnte
jemals eine Nachricht senden, Niemand hatte wieder
in Kontakt Mit den Verwandten
treten können. Wir misstrauten den
Kommandos sehr, Und jeder tat sein
Möglichstes, Um irgendwie gesund
zu scheinen. |
Plötzlich wurde
Lodz, Das Ghetto
(Litzmannstadt), Geräumt und
aufgelöst. Es konnten sich noch
fast 500 Menschen Mit im Untergrund
verstecken, Die befreite dann
nach Monaten Die Rotarmee. Es kam ein neues
Überfallkommando, Das durchsuchte auch
das Haus der Eltern Von Frau I. Sie lag versteckt in
einer kleinen Truhe Und die
Schwarzhemdmannschaft glaubte nicht, Dass sich ein Mensch
in diesem winzigen Behältnis Unterbringen und
verstecken konnte, Und sie gaben ihre
Suche auf. Frau I. kroch erst
nach Stunden aus dem Kasten, Aber ihre Eltern
waren fort. Sie suchte sie, Und als sie sie dann
fand, Wurd' sie mit ihnen
zum Transport gebracht. Die Eltern waren
streng Mit ihrem Kind
gewesen Und verlangten, dass
es erst einmal Die "Sprache
seiner Feinde" lernen müsse, |
Das könnt' Leben
retten, Und die Tochter
musste nächtelang Die Sprache pauken. Das war gut und half
ihr viel, Weil sie verstand, wann
die Kommandos Ihre Suche endeten
und wieder gingen. Zum Transport
erlaubte man, Dass sie sich ein
paar Sachen packen durften, Und es schien, Als würden sie nur
umgesiedelt. Alle mussten sie in
Güterwagen steigen, Die man wahllos
füllte, So dass viele der
Familien Nicht zusammenkamen, Und die Menschen
standen darin eng an eng, Es konnte keiner
sitzen, Und man fiel nicht
einmal um. Es gab auch keine
sanitären Möglichkeiten, Und die Reise
dauerte zwei Tage Und die Nächte. Selbstmord wollten die
Bewacher So verhindern Dass sie sagten und
versprachen, Jeder würde sein
Gepäck zurückerhalten Und sich bei der
Ankunft waschen können. Als die Reise
schließlich endete, Befanden sich die
Deportierten |
Innerhalb des Zaunes Eines neuen Lagers:
Auschwitz. Dort erblickten sie
gleich Kahlgeschorne
Frauen, Die in
Streifenkleidung gingen, Und man sagte ihnen,
weil sie fragten: "Das sind
Irre." Über einem
Eingangstor Stand die Parole
schwarz auf weiß: "Arbeit macht
frei." Die Ankunft brachte
gleich die Trennung Von dem Vater. Später trennte man
die Frauen, So dass Ältere und
Mädchen nicht Zusammen kamen. Danach mussten sie
sich Ganz entkleiden, Und wer nicht sofort
gehorchte, Wurde von den
Wachmannschaften Mit den Kolben der
Gewehre Auf den Kopf geschlagen Und dazu gezwungen. Danach fand die
Selektion der Frauen statt, Die endete im
sogenannten "Raum der
Säuberung." |
Sie verließen
schnell den "Raum der
Säuberung" Und waren selbst die
"Irren", Kahl geschoren und
in Streifenkleidung. Jeder drückte man am
Ausgang Eine Dose in die
Hand, Darin befand sich
Schweinefleisch, Pro Kopf ein halbes
Kilogramm. |
Frau I. nahm ihre
Dose, Und sie sollte davon
essen. Das war ihr
unmöglich, Ihre Mutter war grad
mit dem Kolben des Gewehres Auf den Kopf
geschlagen worden, Und man hatte sie
von ihr getrennt. Das Lager Auschwitz
war schon völlig überfüllt, Und die Insassen
mussten diese Herbstlich kühlen
Tage |
Und die nassen
Nächte Auf dem freien Feld
verbringen. Aus dem Hintergrund
vernahmen sie Musik Zur Unterhaltung der
Bewacherinnen, Die drang bis zu
ihnen. Die verbrachten ihre
Nacht in den Baracken. |
Morgens breitete
sich Panik aus: Insassinnen
berichteten, dass dort, Wo Rauch aufstiege,
Krematorien sein. Man flüsterte sich
zu: "Wer nicht mehr
kann, kommt dort hinein Und wird
verbrannt," Und zu Frau I. ganz
barsch: "Iss doch dein
Fleisch, Der Schornstein
steht nicht über einer Küche." Die Menschen nahmen
sich in Massen Selbst das Leben. Es genügte schon, dass
jemand, depressiv, Den Kampf ums
Stückchen Brot vermied. Er starb sofort vor
Hunger. Alle Häftlinge
versuchten trotzdem Ohne Unterlass sich
Mut zu machen Und sich
aufzumuntern, |
Und sie sagten: "Sicher kann
der Krieg Nun nicht mehr lange
dauern" oder "USA und
Russland müssen uns doch helfen," oder "Man kann doch
nicht einfach Krematorien bau’n Und aus den Menschen
Seife machen." Und Frau I. litt
schrecklich, Durch die Trennung
von der Mutter, Seelisch war sie
schon zerbrochen. Eine unbekannte Frau, Sie mochte selbst
die eignen Kinder So verloren haben, Gab sich sehr viel
Mühe, um sie aufzurichten. Die Bewacherinnen
waren, das fiel allen auf, Sehr dicke Frauen, Und sie waren
Schwarzhemdfrauen, Die behandelten die
Insassinnen Sehr brutal |
Und rücksichtsloser
als die Männer. Immer wieder schrien
sie Frauen an: "Du
Hurentochter, Haufen Mist," Und weitaus
Schlimmeres ergoss sich über sie. Auch hatten die
Bewacherinnen Eine große Lust an
Quälereien Und sie peinigten
die Insassinnen mit Genuss. Die Männer schlugen
einmal zu, Und dann war wieder
Ruhe. Hier in Auschwitz
war Frau I. Nur einen Tag und
eine Nacht, Dann brachte man sie
weiter zum Transport Nach Hamburg. Sie gehörte zu den
Arbeitsfähigen, Die sollten in der
Stadt Die Räumarbeiten machen. |
Frau I. kam in ein
andres Lager, Am Dessauer Ufer, Und man fuhr sie mit
dem Schiff Zu ihrem
Arbeitsplatz. Sie musste Kohlen
schaufeln und entladen, Musste Platten aus
Beton herstellen, Die verwendete man
für die Plattenhäuser, Musste Arbeiten
verrichten, Deren Sinn sie
oftmals gar nicht kannte. Hier im Lager traf
sie auf verschiedenste Nationen, Auch auf Menschen
dieses Landes. Alle trugen
Streifenkleidung. |
Diese Zeit, so sagt
Frau I. War äußerst grausam. Sie erinnert sich an
einen Bombenangriff. Es war Herbst des
Jahres '44. Sie blieb auf dem
Weg bewusstlos liegen. Eine
Leidenskameradin Trug sie in den
Bunker. In der Dunkelheit
erbrach sie sich Und hatte hohes
Fieber. Als dann, nach dem
Angriff, Eine Schwarzhemdfrau
das Licht anzündete, Vermisste die ein
Glas mit Marmelade, Und sie hatte den
Verdacht gleich Auf Frau I.
gerichtet, |
Weil die ja
erbrochen hatte, Und man schlug Frau
I. zusammen. Im Oktober gab es
wieder eine Selektion. Das Lager, das sie
dann bezogen, War ganz neu, Und die Baracken
waren unbenutzt Es war das
Arbeitslager Sasel, Und das nahm nur
Juden auf. |
In Sasel angekommen, Trennte man sofort
die Jüngsten Von den Älteren, Man brachte auch
Geschwister auseinander. Die Baracken schienen
nie zuvor Bewohnt gewesen. Niemand durfte die
Baracke Eines andren
betreten. Die Bewachung wohnte
außerhalb des Zaunes Auch in
Wohnbaracken. Jeden Morgen war
Appell, Es wurde
durchgezählt. Die Uhr war fünf, Und danach ging es
ab zur Arbeit. Jede Arbeitsgruppe
hatte einen eignen Weg Zu gehen, Und sie machten ganz
verschiedne Arbeiten. Die eine der
Kolonnen Ging zum Schienen
transportieren, Eine andere zum
Steinwerk. |
Viele mussten an den
Plattenhäusern bauen, Oder in der Ziegelei
die Ziegel formen. Bei dem Marsch zur
Ziegelei Bewegten sich die
Frauen, Immer fünf in einer
Reihe, Zwei, drei Stunden
lang, um hinzukommen. Hier erwartete sie
noch verhältnismäßig Leichte Arbeit, Denn sie fand in
einem Werkraum statt. Dann, abends tastete
man alle Frauen ab, Durchsuchte sie nach
Zeitungen, Nach Messern,
Gabeln, Scheren usw. Damit suchte man den
Selbstmord Der Gequälten zu
verhindern. Der geschah
trotzdem. Es warf sich eine
Lehrerin, So schnell, dass man
es nicht verfolgen konnte, Vor ein Auto, das
vorüber fuhr. Es drohte immer
wieder eine Selektion. Die Frauen
schminkten sich So gut es ging,
sowie sie davon hörten; Färbten sich mit
aufgelesenem Bonbonpapier, |
Dass sie nicht so
erschöpft Und nicht halb tot
aussahen. Ihre Zwangsarbeit
wurd' lockerer Wenn Männer sie
bewachten. Andrerseits geschah
mit den Bewacherinnen Folgendes: Es gab ganz in der
Nähe ihres Lagers Bauernhöfe, Darauf mussten
Italiener arbeiten. Die wohnten in
Baracken. Diese Menschen
kannten ihre Not Und halfen wenn und
wo sie konnten, Legten Äpfel und
Kohlrabi hin Und machten mit den
Frauen gleiche Arbeit In der Ziegelei. Wurd' eine der
Insassinnen nun Opfer Einer der
Bewacherinnen, dass die sie schlug, Ging einer dieser
Italiener zu ihr hin Und machte dieser
Schwarzhemdfrau Ganz eindeutige
Angebote, Und er sagte nur: "Amore, si
amore," Und verschwand mit
ihr, Fast immer für den
ganzen Rest des Tages. |
Hamburg wurde
ausgebombt. Die Insassinnen
mussten Straßen reparieren, Schutt und Asche
schaufeln Und beiseite räumen. In dem Lager gab es
manchmal einen Sonderposten: Saubermachen bei den
Schwarzhemdfrauen, |
Deren Wäsche
waschen, Oder Küchenarbeit
leisten. Das war alles leicht
zu schaffen. Manchmal hörte man
am Abend Aus der einzigen
Baracke für die Kinder Lieder und Gebete, Manchmal sangen sie
auch Revolutionäre Texte. Dann kam eine
Aufsicht, |
Die blies zum
Appell, Und wer dem Aufruf
nicht gleich Folge leisten wollte
oder schrie, Bekam sofort die
Peitsche, Die war
rücksichtslos Und kannte kein Erbarmen. Manchmal rief die
Aufsicht nur: "Macht weiter.“ |
Einmal übersahen die
Bewacher etwas, Das geschah mit
Absicht, Und es war den
Frauen eine Große Hilfe. Draußen waren sie im
Dauerregen bei der Arbeit, Und in der Baracke lagerte
Zement in Tüten. |
Dieser Tag war kalt, Die Frauen trugen
ihre nasse Sträflingskleidung, Und sie zogen sich
darunter Säcke der
Zementverpackung. Diese Säcke waren
wasserundurchlässig Und ein wenig warm. |
|
Eines Tages kam ein
Arzt in Uniform. Der brachte eine
heimatliche Krankenschwester
mit. In einem kleinen
Raum bewahrte man noch Medizin, das war
fast nichts. Frau I. war krank Und lag in dieser
Kammer, Und sie wurde
untersucht, Und man erklärte sie
für Untauglich zur
Arbeit, |
Und der Arzt gab ihr
Tabletten, Die er heimlich in
der Mütze aufbewahrte, Steckte sie ihr zu. Sie dachte, das sei
Gift, Doch es war echte
Medizin. Von diesem Arzt
erhielt sie eine Zeitung. Darin las sie, Dass der Krieg nun
bald zu Ende sei. Sie sollte neuen Mut
zum Überleben finden, Der ging durch die
schwere Krankheit |
Ganz und gar
verloren. Auch bewahrte sie
der Arzt davor, Als Kranke
aussortiert zu werden. Später traf sie ihn
in Bergen-Belsen wieder. Sie erfuhr erst nach
dem Krieg Von seinem Schicksal
mehr: Er war als Mann des
Untergrundes Sehr wahrscheinlich
noch in Bergen-Belsen Umgekommen. |
Die Schalen der
Kartoffeln aus dem Lager Wurden säuberlich
verpackt Und einem Bauern in
der Gegend abgeliefert. Wer Kartoffeln
schälen durfte, War bevorzugt, Weil man heimlich
von den Schalen essen konnte. Jeder aß nur wenig, Dass es nicht der
Wache auffiel, Die die Esserin
dafür bestrafte. Frau I. erfuhr
natürlich nicht, Ob alle aus dem
Lager auf die Reise mussten, Oder nur die
Jugendlichen, Die in der Baracke
vegetierten, Alle schwer, schwer
krank. Es wurde aber alles
eingepackt, |
Das sprach, so
dachte sie, Wohl für das Ende
dieses Lagers Sasel. Eines Tages fing man
an Das Lager
aufzulösen. Frauen mussten alle
Sachen, Die dem Militär gehörten,
auf Waggons verladen, Und Frau I.
versteckte sich mit Fluchtgedanken Unter den verstauten
Decken. Sicher würde dieser
Zug, so dachte sie, Die Fahrt auf einem
Abstellgleis beenden. Als sie endlich
wieder ausstieg, Hielt der Zug noch immer
in der Nähe ihres Lagers Und stand nun vor
einem Magazin. Hier wurde alles
umgeladen. Dann kam der April
des Jahres '45, Und die Insassinnen
wurden Ins
Vernichtungslager Bergen-Belsen Transportiert. |
Die
Schwarzhemdmannschaft hatte Jede Kleinigkeit
erstaunlich gut organisiert. Dort in Bergen-
Belsen Endete die
Leidensstraße der Frau I. Das Elend dieses
Lagers, sagt sie, Wurde oft
geschildert und beschrieben. Als dann die
Besatzungsmacht Die Tore öffnete, Versorgte sie die
Kinder medizinisch, Die man über Lübeck
zur Gesundung In das Ausland
brachte. Deren Leiden waren
Typhus, TBC, die Cholera Und schreckliche
Ödeme, die vom Hunger kamen. Sie, Frau I. War damals toter als
lebendig. |
Frau I. weiß wenig
über Selektionen In dem Lager. Kommissionen, sagt
sie, Die nach
arbeitsuntauglichen Frauen suchten, Kamen nachts. Man teilte kurz
vorher Den Kranken eine
Arbeit zu, Dass sie im Lager
bleiben durften. War Frau I. dann
krank, vernahm sie nur: "Wie lange soll
die da noch liegen bleiben!“ Wohin die Transporte
gingen, Hat sie nie gewusst. Im Lager selbst war
überhaupt nichts Zu erfahren. Von den Toten, die
auf Bergstedt's Friedhof ruhen, |
Weiß sie gar nichts, Und bestätigt nur, Dass die Insassinnen
auch Kleider hatten, Schürzen trugen, Einen Mantel haben
durften, Auf den hatte man
ein Gelbquadrat genäht, Und Seife war
vorhanden. "Wohlgenährte
Leichen" konnte sie sich Nur durch Hunger,
die Ödeme , Einen
aufgeschwemmten Leib erklären. Und an dem bewussten
Tag, Dem 21. April des
Jahres '45 War sie nicht mehr
in dem Lager Sasel. Sie erinnert sich
auch schwach An tagelange
Zählappelle, Das ließ auf die
Flucht von Frauen schließen, Jedenfalls darauf, Dass welche fehlten. |
Einzelheiten konnte
man Von niemandem
erfahren. Alles wurde damals
aufgeschrieben, Minutiös wurd' über
alles Buch geführt. Man wusste immer,
wer bei wem und wo In Arbeit stand, Und wie sie ihre
Arbeit machte; Führte die
Bestrafung jeder einzelnen Nach Art und Umfang
auf. Im Lager gab es, Fast vergleichbar
wie in Lodz, Die
Judenselbstverwaltung. |
Die Bevölkerung, Das konnte sie
bestätigen, Warf manchmal
Nahrungsmittel Über ihren Zaun, Und bei den
Plattenhäusern Konnte man auch
fündig werden. Nur, es durfte sich
kein einziger Nach diesen Schätzen
bücken. Alles wurde gleich
und hart bestraft; Und andrerseits kam
es auch vor, Dass sich
Insassinnen um Nahrungsmittel
prügelten. Der Wert der Hilfe,
die von außen kam, War schwach, sagt
sie, Und hatte nur
symbolischen Charakter. Viele Heimatliche
müssen uns Am Arbeitsplatz |
Und auf dem Weg
dorthin gesehen haben, Und ich kann es
nicht verstehen, so Frau I., Dass sie behaupten, Davon nichts gewusst
zu haben. Manchmal rief man in
den Trupp: "Wer seid denn
ihr?" Die Posten waren schnell
mit ihrer Antwort: "Alles
Arbeitsscheue, Huren Und
Verbrecherinnen." Jeder hätte uns am
Judenstern Erkennen müssen, Sagt Frau I. zum
Schluss. Der fünfte Tag Geht so als Monolog
zu Ende, Und am sechsten soll
der Monolith |
In einer Feierstunde
seinen Platz erhalten, Weil er fertig Und gestaltet ist, Und aller Augenmerk
ist nun Auf ihn gerichtet. In der morgendlichen
Feierstunde Wird er aufgerichtet
werden, Soll zum Schrei der
Mahnung werden, Soll mit Bild und
Schrift In die Gesichter
dringen, Dass in ihnen die
Gesichter der Insassinnen entstehen Und in ihnen wieder
die der anderen Und darin wieder die
der anderen Und darin andere Und ..... |
Beschreibung einer
feierlichen Stunde In der Gegenwart: Heut' wird ein tonnenschwerer
Stein errichtet, Und man stellt ihn
an der Stelle auf, Wo sich für Monate Das Frauenlager,
Außenlager Neuengamme, KZ-Sasel vom August
des Jahres '44 Bis zum Mai des
Jahres '45 Als ein bitterböses
Un-Gemach Befunden hatte. |
Der Gedenkstein ist
der Schlusspunkt Der Beharrlichkeit
und Fragerei Der Jugendlichen, Und er ist zugleich
die Antwort, Ist das Echo, Das die Bürger
Sasels ihren Jugendlichen gaben. Mahnung ist der
Stein Und Mahnung ist
Gedenken, |
Doch Gedenken wird
Versteinerung, Wenn es nicht lebt, Und Leben wird
Versteinerung Verweigert es
Gedenken. So steht auf dem
Stein zu lesen, Dass sich jedermann
erinnert Und bedenkt: "Die Würde Des Menschen Ist
unantastbar". |
das Heute wieder. Spatzen sitzen, Auf dem Stein, Im Gras davor
entdecke ich, Das eine und das
andre Mal, wenn ich vorüber geh', |
Ein schmales
Sträußchen Bunter oder weißer
Blumen. Mir bleibt
nachzutragen, Dass ich Zu den Ahnungslosen
zählte, Weil ich alles doch
erst jetzt erfuhr, Und mein Spazierweg
führte mich Seit Jahren durch
den Aalkrautweg, |
Der schneidet heute
den Bereich Des Frauenlagers in
zwei Teile. Häuser stehen hier, Und vor den Häusern
liegen kleine Gärten, Und mir ist Als riefen mich seit
Neuestem Versteckte
Frauenstimmen. |