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Harald Birgfeld, Webseite seit 1987/ Website since 1987

 

da liegt mein Herz, Geschichten aus Niemandsland 2022 -2024 (im Entstehen)

z.B.: 100 Jahre „Kafka“, eine herrenlose Fundsache (neu)

 

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Cover Ausschnitt Die Frau des Terro....jpg

Der vorliegende Gedichtband spannt in 53 zeitgenössischen Gedichten einen schillernden Facettenbogen von jeweils 3 Gedichten zu insgesamt 19 berührenden, menschlichen Anliegen und zwischenmenschlichem Verständnis.

 

 

DIE FRAU DES TERRORISTEN

Lyrik,

53 zeitgenössische Gedichte.

Dieses ist der zweite Band einer Trilogie von Facettengedichten.

 

1. Band der Trilogie: Im Reißverschluss der Illusion, 57 zeitgenössische Gedichte.

3. Band der Trilogie: Die Insassinnen, Epos.

 

 

Jetzt DIE FRAU DES TERR0RISTEN direkt online bestellen sowie im Buchhandel,

96 Seiten, Format A5.

€ 7,90 inkl. MwSt.

 

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ISBN 9783748130055

 

DIE FRAU DES TERR0RISTENist auch in den USA, Großbritannien und Kanada unter obiger ISBN und bei abweichenden Preisen bestell- und lieferbar.

 

Auch als E-Book,

€ 4,99

 

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ISBN 9783748153412

 

Buchtitel,

Inhaltsverzeichnis nach Themen,

Inhaltsverzeichnis, alphabetisch.

 

Copyright 2018 beim Autor, Harald Birgfeld, alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne schriftliche Erlaubnis des Herausgebers, Harald Birgfeld, reproduziert werden. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmung und Einspeicherung sowie Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Herausgeber, Autor, Redakteur: Harald Birgfeld, e-mail:.       Harald.Birgfeld@t-online.de

 

 

INHALTSVERZEICHNIS nach Themen

 

Das Loch im Fell der Zeit

Die Vergangenheit   

Die Gegenwart   

Die Zukunft  

 

Der Maler und sein Modell

In einem französischen Atelier

In einem englischen Atelier

In einem deutschen Atelier

 

Der Tod und das Kind

Die Rufe eines jungen Kirschbaumes

Omayra Sanchez   

Ein Augenblick der fürchterlichen Stille

 

Der verkaufte Verkäufer

Der verkaufte Verkäufer I

Der verkaufte Verkäufer II

Der verkaufte Verkäufer III

 

Der Wunsch der Wünsche

Das Anbieten

Die Erfüllung 

Das Verlangen

Die Frau des Terroristen   

In der Asche

In der Flamme   

In der Glut

 

Die Frau, die sich verließ   

Aus sich heraus   

Aus der Leiblichkeit   

In einer Enge eng an eng   

 

Gläserein

Vom Leben in dem Glasgehäuse

Vom Aufbau einer Glaslandschaft

Einbruch in das Glasgehäuse

 

Im Gebet    

Der Versuch 

Die Versuchung   

Das Unversuchte   

 

Im Geröll   

Abgerutscht 

Ausgerutscht

Nur gestolpert

 

In der Liebe       

Am Morgen

Am Mittag  

Am Abend 

 

In der Zelle        

Zwischen Fenster und Fenster     

Zwischen Wand und Wand

Zwischen Tür und Tür

 

Irgendeine Einsamkeit

Die stumme Einsamkeit

Die Einsamkeit, die schreit

Die unbewusste Einsamkeit

 

Kunst und Körper

Die Körperkünstlerin

Der Körper einer Kunst

Die Kunst als Körper

 

Künstler   

Der Maler   

Der Komponist     

Der Dichter

 

Raum und Räumlichkeiten

Die Stärkung

Die Schwächung     

Ich leerte meinen Raum

 

Sinne

Sehen

Hören

Riechen       

 

Wird die Nacht zur Nacht

Ein später Abend    

Eine Nacht verdreifacht

Nach der Dunkelheit

 

Zarter Kuss in grellen Farben

Die Verschmelzung 

Die Begrüßung       

Ein gespaltener Kuss   

 

 

Inhaltsverzeichnis, alphabetisch

 

Abgerutscht  

Am Abend    

Am Mittag    

Am Morgen   

Aus der Leiblichkeit   

Aus sich heraus   

Ausgerutscht

 

Das Anbieten

Das Unversuchte   

Das Verlangen   

Der Dichter   

Der Komponist   

Der Körper einer Kunst     

Der Maler     

Der verkaufte Verkäufer I   

Der verkaufte Verkäufer II

Der verkaufte Verkäufer III

 

Der Versuch      

Die Begrüßung   

Die Einsamkeit, die schreit

Die Erfüllung 

Die Gegenwart   

Die Körperkünstlerin   

Die Kunst als Körper   

Die Rufe eines jungen Kirschbaumes

Die Schwächung   

Die Stärkung

Die stumme Einsamkeit   

Die unbewusste Einsamkeit

Die Vergangenheit   

Die Verschmelzung   

Die Versuchung   

Die Zukunft  

 

 

Ein Augenblick der fürchterlichen Stille

Ein gespaltener Kuss

Ein später Abend   

Einbruch in das Glasgehäuse

Eine Nacht verdreifacht

 

Hören 

 

Ich leerte meinen Raum

In der Asche 

In der Flamme   

In der Glut

In einem deutschen Atelier

In einem englischen Atelier

In einem französischen Atelier    

In einer Enge eng an eng

 

Nach der Dunkelheit   

Nur gestolpert   

 

Omayra Sanchez   

 

Riechen        

 

Sehen

 

Vom Aufbau einer Glaslandschaft

Vom Leben in dem Glasgehäuse

 

Zwischen Fenster und Fenster

Zwischen Tür und Tür

Zwischen Wand und Wand   

 

 

 

 

Die Frau des Terroristen

 

In der Asche

 

Er hatte es an ihr getan

Und hatte ihr nichts angetan

In einer stillen Gartenecke,

Dahin kam sonst niemand.

Beide waren sehr, sehr jung.

 

Damals hatte er gesagt, er sei Soldat

Und sei verpflichtet, seine Frau,

Und sei sie auch noch nicht die Frau von ihm.,

Zu seiner Frau zu machen. Dann erst würde man ihn ziehen,

Dann erst würde man ihn, den Soldaten.,

Zum Soldaten machen.

Das, so hatte er gesagt,

Sei ein Gesetz bei den Soldaten,

Und sie hatte über ihn gelacht,

Und ihm ins Haar gebissen,

Und sie gab sich hin

Aus Spaß, aus Liebe, aus Gott weiß wer was.,

Und irgend etwas war an ihm,

Das sie erleben wollte.

Und sie dachte wie im Blitz,

Es hätt' sie auch ein andrer nehmen können.

 

Dann war es vorbei.

Sie wollte das Erlebnis

Unter allem, was es gab,

Zu Ende leben.

Sie war auch gewiss,

Dass ihr nichts bliebe,

Wenn ihr gar nichts blieb.

 

Er durfte schließlich gehen.

 

Jahre später,

Keine Nachricht kam,

Kein Zeichen, dass sie sich erinnern konnte,

Zwang man sie zum Ort des Schreckens.

Einen abgerissnen Vogelflügel,

Der am Straßenpflaster klebte,

Hatte sie sich stehlen können.

Sicher war der Vater ihres Kindes...

Blut an Glas in Leichenteilen

in der Abflughalle,

Leichenteile unter Planen.

 

Nichts mehr wird sie von ihm wissen dürfen.

Und sie selbst ist nichts

Und darf nichts sein,

Und er, weiß sie,

Ist tot, auf irgendein Kommando,

Und es dämmert tief in ihr

Ein irres Licht.

Es mochte sein,

Dass sie den eignen ausgerissnen Flügel

Aufgefunden hatte.

Viel zu lose hatte er gesessen all die Zeit.

Und sie ist immer noch sehr jung

Und hofft voll Übermut

Auf eine Flugprothese.

 

 

 

 

In der Flamme

 

Alles hatte sie sich vorgestellt,

So wie es ist,

Und sie ist ansehnlich

Und einflussreich

Und kommt vom Gegenlager,

Das hat sie geliebt

Und dies nun auch

Und lebt mit ihrem Lebenslänglich

In der Freiheit,

So wie er mit seinem Tod,

Den sprach man vielfach über ihn

Und hat ihn auch an ihn heran getragen. 

 

Sie, das musste sie sich sagen lassen,

Ist die Frau danach.

Die Frau davor kam um,

Die Frau dazwischen fand den Tod.

 

Sie ist sehr blond und groß und aufgeschlossen,

Hat studiert

Und will das Studium nicht unterbrechen

Und vertraut auf ihr Geschick

Und baut auf seine Stärke,

Und sie sieht sich letzten Endes

Auch als Bindeglied,

Das soll sich noch bewähren.

Sie bleibt unfruchtbar.

Ihr Schoß gähnt sich

In Leere aus.

Die Medizin versuchte sich

Für eine Zeit an ihr.

Das war umsonst.

An ihm, das weiß sie, liegt es nicht.

 

Und überhaupt, denkt sie,

Ist zwischen allem eine dünne

Aber zähe Haut,

Die müsste man durchstoßen lernen,

Und sie selbst sieht sich

Als Loch im Fell der Nacht,

Als Tagesstern,

Dem hängen alle mit dem Fernrohr nach,

Der ist so leuchtend hell,

Trotz seiner roten Spur,

Die scheint,

Als hätte man sie angehängt an ihn,

Als ließe sie sich

Kinderleicht entfernen.

 

 

 

 

In der Glut

 

Ihre Stärke

Sollte seine Stärke sein, wünscht sie,

Und sie verfluchte, nicht als Mann zu leben.

Keine Frau hätt ihr mehr

Etwas über Männer sagen dürfen,

Und sie bräuchte sich nicht länger zu bewegen,

Über Schliche nachzudenken,

Ihn zu etwas zu bewegen,

Was sie selber nicht bewegen konnte.

 

Ja, ja, schreiben könnte sie und planen,

Und es würde keiner lesen,

Oder reisen.

Er dort aber sitzt

Und sagt kein Wort,

Und alle hören zu

Und wissen, was, wovon

Und auch weshalb er schweigt und spricht,

Und immer wieder unterlässt er es

Zu handeln.

Tausendmal hat sie ihn dafür umgebracht.,

Auf seinem Platz erschossen

Und erschoss sich selbst dabei.

 

Die Rücksicht, die sie auf ihn nahm,

Nahm sie auf sich,

Das war ihr großer Fehler.

Fehlerfrei zu sein, denkt sie,

In einer fehlerhaften Zeit,

Das schafft wohl keiner.

Wenn dann seine Hände nach ihr griffen,

Und sie seine Hände nach sich greifen ließ,

Verließ sie sich auf sich.

Sie glühte für ganz andre Dinge,

Als für das Zusammensein.

 

Dann sicherte sie sich schnell ab,

Dann fand sie die Gelegenheit,

Und schlug blitzschnell

In seinem Ohr die Zelte auf

Und war nun tausendfach in ihm

Und war die Frau, die ihn bewohnte,

Und er sagte "Ja"

Und wieder "Ja"

Und "Du hast recht",

Und er bestätigte ihr Wort,

Und er bedrängte sie

 

Und dachte auch:

"Sie ist die Feder meines Motors,

Schlecht wär es um mich bestellt,

Hätt' ich sie nicht,

Und ohne ihre Spannung,

Ohne ihre Ruhe und Besonnenheit,

Wär alles längst umsonst",

Und sie erschoss ihn wieder nicht,

Und er verstand sie wieder nicht,

Und sie verstand ihn nicht,

Und er war wirklich nicht für sie,

Und sie war wirklich nicht für ihn,

Und andre hatten schließlich auch

Ein Stimmrecht,

Und wer wusste schon,

Wem sie sich noch

Zu ganz geheimer Wahl als Urne bot,

Und er bedachte auch die Zeit,

Die stand zu still für ihn.

 

 

 

Raum und Räumlichkeiten

 

 

Die Stärkung

 

Sie setzte sich an ihren Tisch

Und suchte ihre Speise,

Und der Tisch war voller Speisen,

Und sie suchte nach dem Trinken,

Und der Tisch ertrank darin,

Und an dem andren Ende saß ein Mann,

Der war ihr Mann und sprach:

"Nun iss und trink, es gibt ja alles reichlich",

Und es gab den Reichtum wirklich reichlich,

Nicht nur auf dem Tisch,

Und zwischen ihm und ihr

Befanden sich auf jeder Seite

Drei Soldaten, die bezahlte er,

Die waren schwer bewaffnet,

Und sie standen ordentlich

Und kümmerten sich nicht

Um die Gespräche,

Und sie achteten nur auf Befehle,

Die sie kannten,

Und sie richteten die Waffen

Niemals gegen ihren Herrn

Und niemals gegen ihre Herrin

Und nicht gegen sich

 

Und hatten ihre Augen überall,

Und sie stand auf und sagte noch einmal:

"Ich finde meine Speise

Und mein Trinken nicht auf diesem Tisch,“

Und er verlachte sie,

Und sie ging auf die Straße,

Und er ließ sie gehn

Und teilte die Soldaten ein,

Und drei von ihnen folgten ihr,

Die anderen beließ er, wo sie waren.

Sie betrat nun ein Geschäft,

Dort kannte man sie gut.

Sie selbst war hier das erste Mal

Und kannte sich nicht aus

Sie ließ die Wache draußen,

Die vertraute ihr

Dort drinnen gab sie ihren Schmuck

Und alle Kleider, die sie trug, als Pfand,

Und kaufte sich sofort ein Billigkleid,

Das sollte sie nicht mehr bezahlen,

Weil es übrig war, es wurde ihr geschenkt,

Das zog sie einfach an.

Sie löste ihre Haare auf

 

Und ließ sie pfleglos hängen

Und ging aus der Tür,

Die Wache wachte nicht,

Die lehnte mit den Augen nur an der Frisur,

So konnte sie sie nicht erkennen,

Und sie ging an einen Stand

In einer andren Straße,

Kaufte sich ein Brot, das nahm sie mit,

Und ein Getränk, das war noch warm,

Und setzte sich,

Nun von sich selber ausgesetzt,

Auf eine Parkbank, um zu essen.

 

So begann ihr Leben,

Und es fing mit einer Stärkung an.

 

 

 

 

Die Schwächung

 

Er hatte einen Traum,

Der wiederholte sich

Und setzte ihn, wenn er ihn träumte,

So in Angst,

Dass seine Frau ihn wecken musste,

Weil er rief

Und sich vor sich im Bett versteckte,

Und er tat ihr leid,

Sie gab ihr Schlafen auf,

Und lange Zeit begriff er diesen Traum,

Den er zu träumen hatte,

Den er morgens erst erzählte, nicht.

 

Es war ein Traum, der blieb kein Traum

Und wiederholte sich

Und war ein kurzer Traum.

Und anfangs hatte er ihr nichts

Von seinem Traum erzählt,

Auch weil er glaubte,

 

Dass ihm daraus Bilder fehlten,

Aber später achtete er ganz genau

Auf jede Einzelheit und jedes Wort,

Und alles stand so unzusammenhängend wie es war

In dem Zusammenhang.

 

Sein Traum begann mit einer Ruhepause,

Die verbrachte er allein

In einem gelben Sandbett,

Darin stand er angelehnt

An einen gelben Felsen,

Und, kaum dass er diesen Stein berührte,

Hörte er auch schon die Stimme,

Die ihn rief und aufrief,

Sich ihn melden ließ,

Wie um sich zu vergewissern, schien es ihm,

Und sagte:

"Du hast einen Mord begangen,

 

Aber eines ist gewiss,

Du bist der einzige, der davon weiß",

Und er versuchte gar nicht erst

Die Stimme zu entdecken,

Und er fühlte sich sofort entdeckt,

Das Wissen um die Schuld

Brach über ihn

Und warf ihn in den Sand,

Und Überdeckte seine Ungewissheit

Ob es eine Wahrheit für ihn gäbe.

In der Wachheit fragte er die Frau

Ob ihm aus seinem Mund

Die Maus gelaufen sei,

Und sie empfand die Frage noch

Als einen Teil des Traumes,

Und für ihn entstand

Tatsächlich das Gefühl für die Gefahr,

Entdeckt zu werden.

 

 

 

 

Ich leerte meinen Raum

 

Nachts, das weiß ich,

Steht das Tulpenrot

Nicht mehr in Flammen.

Ja, ich weiß so vieles

Und so vieles weiß ich besser,

Und ich gehe nachts trotzdem ins Zimmer,

Will, dass mich die Blumen überzeugen,

Und sie stehen in der Vase,

Und ein wenig Licht fällt durch die Fenster,

Und die Blumen in der Vase sind tiefschwarz,

Und mich täuscht nichts,

Sie bleiben schwarz

Mit einem Lichtpunkt in dem Kelch.

 

Ein eigenartiges und sonderbares Werben

Meinerseits setzt ein.

Ich denke an den Tag, der war,

Und ich stand an dem Rednerpult.

 

Vor mir hielt man mir

Eine große Rede,

Und man öffnete mir dabei

Eine Tür sehr weit

Und hatte mich alleine eingeladen

Einzutreten,

Und es war an mir, den neuen Raum,

In den sie alle schauten, auszufüllen,

Und ich wollte über mich nicht reden,

Und ich dachte an die Stunde vor der Rede,

Als der Saal noch leer war,

Und ich sprach darüber

Und beschrieb den Saal nach meiner Rede,

Wenn er wieder leer wär',

Und ich fragte, was denn diesen Raum

In seiner Zwischenzeit erfüllte.

Es war nur das Wissen um uns selbst

Und um die anderen,

 

Und dieses Wissen würde

Trotz des Besserwissens in uns bleiben,

Und wir alle würden eben nicht

Den Leerraum mit nach Hause nehmen.

 

Jeder einzelne füllt

Seinen körperlichen Raum ganz aus

Und kann ihn nicht um andrer,

Nicht um seinetwillen leeren.

 

Damit endete die Rede

Und ich leerte meinen Raum,

Und meine Räumlichkeit

Blieb ganz zurück bei denen,

Die die Rede hörten

Und mich mit sich nahmen.

 

 

 

 

Wird die Nacht zur Nacht

 

 

Ein später Abend

 

So, wie es sich zeigt,

Ist alles aus, und alles ist verloren.

Auf dem Sterbelager liegt die alte Frau.

Man spricht es noch nicht aus,

Und mich hat man gebeten

Weil ich sie doch so gut kannte,

Und sie hatte mich sehr gut gekannt,

Als Letzter den Besuch zu machen.

Es fällt mir nicht schwer,

Ich habe die Erinnerung an sie,

Und die ist gut,

Und irgendwann, so denke ich,

Lieg ich vielleicht an ihrer Stelle.

Alt ist dieser Mensch,

Und liegt im Krankenhaus,

Und ich geh' hin.

 

Man zeigt nur auf das Zimmer,

Lässt mich schon im Flur allein,

Und ich betrete ihre Kammer.

Von den Fenstern fällt die Dunkelheit

Herein.

Den Menschen kann ich kaum erkennen,

Und sie selbst erkenne ich nicht wieder.

Steil nach oben läuft ein Schlauch,

Es steht und fließt Urin darin,

Der Mensch, den ich nicht kenne,

Ist ganz ausgezogen,

Nur ein wenig zugedeckt,

Er war mir sehr vertraut.

Ich ordne etwas diese Ordnung,

Dann seh' ich es ein,

Die Frau ist weit, weit weg

Und in sich ab- und, aufgezehrt

Und kann schon nichts mehr sagen.

 

Einmal, zweimal schlägt

Ein dumpfer Laut

Die Lippen auf,

Nur einmal zuckt der Arm,

Den lege ich ihr wieder hin.

Ich sprech sie an, die alte Frau,

Und habe keine Traurigkeit in mir

Und sehe das Geschehen, das geschieht,

Und spreche aus der Ruhe auf sie ein

Und tröste und vertröste sie auf morgen

Und bin schon im Gehen,

Und in dem Gesicht steht als ein Hilfeschrei

Der Schrecken,

Der bleibt stehn.

Ich wende mich im Flur

An eine Kraft,

Die weist auf eine andre Tür,

Dahinter ist es leer,

Und ich beschließe hier zu warten.

 

 

 

 

Eine Nacht verdreifacht

 

Es ist die Nacht,

In der sich eine Nacht verdreifacht

Und nicht niederfällt

Und sich nicht senkt

Und sich als überschwere Wolke

In der Höhe hält.

Sie lässt sich nicht herunter starren,

Sie ist lang,

Und man beginnt sie einzuteilen,

Viel zu heiß ist es im Bett.

Den Menschen, dort im Nachbarbett,

Will man nicht stören,

Und er ist es eigentlich, der stört

Im Gleichmaß seiner Atemzüge,

Das beruhigt auch und widerspricht.

 

Die Nacht

Gönnt keine Ruhe.

Man hat alles, hatte alles,

Und die Finger gleiten, tasten in Gewohnheit

Über diesen Eigenkörper.

Sie ertasten plötzlich

Eine ungewohnte Stelle,

Die ist schmerzlos, angeschwollen, dick

Und sitzt ein wenig in der Tiefe,

Dass man sie vielleicht schon länger hat?

Die Wachheit wird ganz wach

Und Schweiß bricht aus.

Noch einmal wird betastet

Und noch einmal.

Auf der andren Seite könnte Ähnliches...

Man weiß nicht so genau Bescheid.

Es könnte sein, dass die Verdopplung

Alles klären würde.

Nein, es ist nichts auf der andren Seite,

 

Nein, es ist dort nichts zu spüren.

Dann der Blitzgedanke:

"Wach schon auf, wach auf, du

Schläfst." Kontrolle, Blick auf eine Uhr.

Der Biss in einen Finger...

 

Und der andre ist gestört, man will nicht

Stören,

Und im Licht am Morgen

Findet man ja kaum die Stelle wieder.

Und man spricht noch nicht davon.

Das Telefon...

Für diesen Nachmittag...

Den Arzttermin...

"Und denken Sie an den besondren Schein

Dafür..."

 

 

 

 

Nach der Dunkelheit

 

Es war ein Film,

Der war ein Dokument,

Und viele sahen ihn

Und sahen gar nicht hin,

Und andre kommentierten ihn

Und hätten ihn viel lieber nicht gesehen,

Und sie wandten ihren Blick nicht ab,

Das ließ nicht nach,

Und ich gehörte auch dazu

Und sah auch zu

Und habe zugeseh'n.

 

Die Hauptdarstellerin war eine junge Frau,

Und als sie kam,

Mit einem Hund im Arm,

Verriet mir die Bewegung, die sie machte,

Eine Handbewegung,

Die dem Tier in ihren Händen galt,

Und die beruhigend und liebevoll

Den Kopf umgriff und es im Nacken kraulte.

Als sie kam, verriet mir diese Handbewegung

Eine Sympathie,

Und ich war sicher, dass ich diese Frau

Schon lange kannte, ohne sie zu kennen.

 

Sie ging mit dem Tier,

Es war ein junges Tier, an eine Schachtel,

Die war offen,

Und das Tier im Arm versuchte zu entkommen,

Sie sprach lieb zu ihm

Und liebte es ganz kurz

Und machte es nicht frei.

Sie setzte es mit einer Armbewegung in den Kasten,

Und das Tier stand still.

 

Sie strich ihm übers Fell,

Und mit der andren Hand biss sie ganz flink

Die Klammer einer Elektrode in sein Ohr,

Dann sprach sie noch ein Wort.

Der Hund stand wieder still und jetzt,

In einer Stille, die nur ihn umfing,

Sie legte einen Deckel über alles,

Hakte einen Haken ein,

Es war ein Haken, der verhakte nichts

Und war unlösbar,

Und man sah nicht mehr ins Innere.

 

 

"Da drinnen ist es völlig dunkel,"

Sagte sie zu uns aus ihrem Film heraus.

Sie ging sehr schnell an einen Schrank

Und schaltete den Schalter.

 

Eine kleine Uhr lief über

Wenige Sekunden ab,

Das waren Stunden,

Und sprang dann zurück.

 

Sie hakte ihren Haken wieder auf

Und löste von dem toten Hund die Elektrode,

Packte ihn am Fell

Und legte den Kadaver auf ein Fließband,

Das sprang extra dafür an.

 

Sie gab auch Zahlen an

Für uns aus ihrem Film heraus,

Und zeigte auf den Nebenraum:

"Dort tötet man die Katzen,

Und im Grunde tut man diesen Tieren

Großes Unrecht an".

 

 

 

 

Irgendeine Einsamkeit

 

 

Die stumme Einsamkeit

 

Vor kurzem war sie noch

Als Lehrerin an einer Schule.

Nun hilft sie in einer Bibliothek,

Darf unentgeltlich Bücher ordnen.

"Wir sortieren nach dem Alphabet,

Das werden sie wohl können",

Rufen ihr die jungen Mädchen zu,

Die grade angefangen haben

Und ihr sagen dürfen,

Was sie hier zu machen

Und zu lassen hat.

Die kleine Niedertracht

Will sie ertragen.

 

Damals, als sie noch im Lager waren,

Stahl sie die Kartoffelschalen

Aus der Küche,

Und die klebte sie sich unter ihren Anstaltskittel

Auf die nackte Brust

Und trug sie heimlich an den Zaun.

 

Vom Männertrakt kam dann ihr Mann,

Wenn er es schaffte,

Dem gab sie die Fracht.

Der saß hier ein wie sie.

Dem hielt sie manchmal auch sekundenlang

Das Kleid mit Absicht etwas offen.

Das ging lange gut,

Und immer wieder, dachte sie,

Fügt sich doch alles irgendwie.

 

Er ist inzwischen tot,

Sie hat nur noch die Kinder.

 

Als sie in dem Lager waren,

War sie, Gott sei Dank,

Zu alt, um jung genug zu sein,

Und heute fühlt sie sich

Zu jung für dieses Alter.

 

 

Zweimal schon saß sie allein

In ihrem Klassenzimmer

Auf dem groben Holzstuhl, tief versteckt,

Mit hoch gezognen Beinen

Zwischen Wand und Schrank.

Das erste Mal als Schulanfängerin,

Das zweite Mal mit diesem Abschiedsbrief

Vom Amt

In ihren Händen.

 

In der Bücherei, das fällt ihr ein,

Muss sie, wenn sie um etwas fragt,

Die Wörtchen "bitte", "danke" sagen,

Nein,

Ein drittes Mal

Dürft niemand sie mehr

Auf den Holzstuhl jagen.

 

 

 

 

Die Einsamkeit, die schreit

 

Nun hat sie noch das Kind,

Und er hat eine andre Frau,

Die ist, weiß sie, genau wie sie,

Wie sie zu Anfang war.

 

Vor ihrem Fenster ist die Einkaufsstraße,

Und es könnte sein,

Dass er mit ihr an ihr vorüber zieht

Und sieht nicht einmal hoch.

 

Sie liebt ihr Kind

Und ist so maßlos ungerecht zu ihm,

Und rächt sich so an ihm,

Sie weiß, er liebt es auch, das Kind,

Und will die Kleine nicht mehr sehn,

Und so vor ihrer Mutter schützen.

 

Auf den Pflastersteinen

Wird das Knirschen seltener.

Nun geht sie vor die Tür

Und eilt mit festem Schritt

Und doch so schnell es geht

Ins andre Viertel, dort erkennt sie keiner,

Und kauft ein.

 

Danach geht es ihr besser.

 

Dann kommt wieder eine Nacht.

Sie achtet jetzt auf jeden Mond.

Wenn er die volle Pracht entfaltet,

Trinkt sie Alkohol

Und redet sich, sie kann dann sowieso

Nicht schlafen,

Schlimme Dinge ein.

 

Sie klettert auf das Bett

Und hat sich nicht entkleidet

Und er kommt herein,

Wie er es immer tut, wenn sie das denkt,

Und reißt ihr alles ab vom Leib.

Sie zerrt an sich

Und wirft sich hin

Und liegt nun auf dem Boden,

Spürt ihn über sich

Und will ihn wieder nicht

Und weiß, dass er sie auch nicht will,

Und klammert sich erst recht an ihn

Und schimpft auf ihn

 

Und flucht auf seine Mutter

Und auf seinen Bruder

Und sie weint um sich,

Am Morgen ruft sie ihn

In seiner Firma an,

Nachdem sie ihn zu Hause nicht erreichte,

Und sie hätte nun Beweise,

Und er hätte sie mit jedem Male

Mit Gewalt gezwungen.

Und er legt den Hörer auf

Und denkt ans Kind

Und hätte es beinahe selber gern',

Dass dies der Grund gewesen sei,

Dann gäb' es bald ein Ende.

 

 

 

 

Die unbewusste Einsamkeit

 

Von ihm weiß ich nicht viel.

Er geht mich auch nichts an,

Und manchmal steht er

Wie gepflanzt am Nachbarzaun,

Und redet auf mich ein,

Das tat er früher nie.

Ein Gruß von ihm, von mir,

Ein schnelles Wort, bis jetzt,

War alles.

Sonst war nichts,

Und nun begießt er mich mit seinen Worten.

 

Und vor zehn, zwölf Jahren

Tranken wir am selben Zaun,

Fast an derselben Stelle,

Nur aus Übermut

Ein Glas.

Er lebte damals noch

Mit seiner zweiten Frau,

Die hat ihn dann verlassen.

Seine Kinder gingen ohne große Worte

Aus dem Haus,

 

Zwei schöne Mädchen,

Denen sah ich lange nach,

Und, das hat er mir auch erzählt,

Davor war eine andre Frau gewesen,

Die war lange tot.

Er hatte einen Sohn von ihr gehabt,

Der starb mit achtzehn Jahren.

Schwer, erinnere ich mich, trug dieser Mann daran.

Man hatte gar nicht helfen können.

 

Damals kam ein andrer Nachbar

Auch noch an den Zaun.

Der wusste von den Einzelheiten,

Die schwieg er bedächtig an.

 

Das alles liegt so weit zurück für mich

Und ging mich auch nichts an,

Und ich bekümmer mich

Nur wenig um die Leute.

 

Manchmal frage ich mich nur,

Warum sie dann und wann,

Wenn ich daneben steh,

Von meiner Tür das Namensschild

Herunterreißen.

 

Meine Tage sind nicht lang, nicht kurz,

Sie fallen mir nur irgendwann,

Ganz plötzlich ein,

Und schlimm ist auch,

Dass ich die Namen, viele, viele Namen,

Längst vergessen habe.

Manchmal denke ich,

Dass alles völlig unwahr ist

Und dass ich es nicht bin,

Von dem ich rede

Und mit dem ich lebe.

 

 

 

 

Im Gebet

 

 

Der Versuch

 

Einen Tag lang gab er sich kein Essen,

Einem freien Tag,

Den nahm er, um ihn sich zum freien Tag zu machen,

Und den nächsten auch.

 

Am Abend gab es etwas Tee zum Trinken,

Und es stand der zweite Tag bevor,

Den wollte er wie diesen ersten fasten.

Zwischen beiden lag die Nacht.

Er wollte seinem Gott ganz nahe kommen.

Was es war, dass konnte er nicht wissen.

Ob er einen Glauben damit meinte,

Oder sich zum Zeugen machen wollte

Für ein übermenschliches Geschehen,

Für die Überlieferung,

Für eine Religion,

Dass sie sich nun in ihm vollziehe

Wiederhole, widerspiegele,

Er wusste nichts davon.

Und schon am ersten Abend

Zitterten ihm seine Hände.

 

Ungewohnt und schwach

Stand er dem eignen Willen gegenüber.

Der stand schnell in Frage.

 

Er gab niemals nach.

 

Die Nacht war voller körperlicher Quälerein

Und Andacht kam nicht auf,

Und die Gedanken kreisten

Nicht um ein Gebet

Und nicht um eine Gottesnähe,

Und sie kreisten nicht um die Vergangenheit,

Dass man Besinnung hätte,

Nicht um irgendeine Zukunft, die wurd fade,

Sondern nur um seine wahre Gegenwart,

Um seinen Leib,

Das wurde schrecklich deutlich.

 

 

Gegen Morgens trank er noch einmal

Und füllte etwas Zucker in den Tee

Und sprach zum ersten mal in sich

Das Wort: "Verzeih",

Er sah sich als Betrüger.

Der Betrug wog schwer.

Sein Zittern hatte sich gelegt,

Und er stand auf.

Erst abends aß er seine erste feste Speise,

Vorsichtig und voller Andacht

Und mit würdevoller Freude

Aß er trocknes Brot

Und trank noch einmal von dem Tee,

Und sprach zu niemandem davon,

Denn alle hatten viel und reichlich,

Hätten ihm auch gerne viel und reichlich abgegeben,

Selbst sein eignes Haus

War übervoll davon.

 

 

 

 

Die Versuchung

 

Sie dachte an das Buch der Bücher

Und an andre Bücher,

Die sich auch die Bücher aller Bücher nannten,

Und zum Schluss, so sagte sie,

Ist alles ein Verzagen und Versagen

Und sich Gehenlassen,

Und man hält sich selber nicht zurück,

Und andre schieben einen hin zu anderen,

Die machen grade ihren Schritt

In eine andre Richtung,

Und der Mann, den ich in meiner Nähe wünschte,

Bleibt nur eine Illusion,

Er lässt sich von mir küssen

Und wischt sich trotzdem mit seiner Hand

Die feuchte Stelle ab.

Und der, der meine Nähe ist,

 

Küsst mich sogar wo mir die schwarzen Blätter wachsen,

Und ich halte mich an meinem Laken fest

Und stehe nachher lange unter einer Dusche,

Kann und kann es nicht verwinden.

 

Alles ist verkehrt,

Und alles kehrt sich in sich vor mir um:

Ich in der Liebe dieser beiden Männer.

 

Der mich lieben darf,

Liebt meinen Körper,

Und dem, der mich liebt,

Trag' ich ihn nach.

Er aber streift ihn von sich ab.

Er hat mir seine Liebe eingestanden

Und gestand mir noch,

 

Dass er in Treue lebe, treu im Glauben,

Und die Treue, die er

Einer anderen geschworen hätte,

Würde er nicht brechen.

 

Gut denn, gut,

Nun will ich sein wie er

Und will ihm schwören.

Er ist Inhalt meiner Beterei.

Doch der, der ihn im Glauben lässt,

Ist mir zu kläglich.

Ihm soll mein Gebet als Klagerei

Zum Himmel steigen.

 

 

 

 

Das Unversuchte

 

Sie hört ihm gerne zu

Und glaubt ihm jedes Wort,

Und einmal sprachen sie von einem Stern,

Der sollte im Labor gezündet worden sein,

Das, hatte er erklärt,

Wär' eine Folge ganz bestimmter Reaktionen,

Und es ginge dabei um die Strahlen,

Die entstünden,

Nicht um irgendeine Helligkeit.

Er hatte ihr ein Buch gezeigt,

Daraus las er ihr vor,

Und sie verstand ja nichts von dem.

 

Als Lesezeichen

Hielt er einen Zettel in der Hand,

Der fiel ihr auf, den las sie an,

Es war wohl ein Gebet.

 

Sie fragte ihn direkt,

Und er bestätigte es so und sagte:

"Alles, alles hat im Leben einen Anfang,

Ich bin ja ein Mensch,

Der weiß nicht viel,

Dies ist nur ein Versuch, der stammt von mir.

Was du in Händen hältst

Ist wirklich ein Gebet.

Und handelt dummer Weise

Nur von mir.

Ich hebe es mir auf

Als Kieselstein auf einem Weg,

Den jeder geht,

Und ich wohl auch.

Ich drück es nur ein wenig anders aus.

Es stimmte die Versuchsanordnung

Noch nicht ganz,

 

Und unversucht wollt' ich es auch nicht lassen,

Und ich denke immer wieder nach.

Ich bin stets in Versuchung."

 

Über soviel Worte lachte sie,

Weil nichts dahinter stand.

Sie konnte trotzdem, wenn er redete,

Das, was er sagte, nachvollziehn.

Sie hatte früher Ähnliches gedacht

Und aufgebetet, weil man betete.

Nun sah sie ganz verschämt auf ihren Frauenfuß,

Der war sehr schlank und elegant

Und voller Weiblichkeit

Und steckte doch in einem kleinen

Kinderschuh.

 

 

 

 

In der Zelle

 

 

Zwischen Fenster und Fenster

 

Gerne hätte sie die Rolle,

Die sie spielte, auch gespielt.

Vor zwanzig Jahren stand sie

Vor der Frage nach den nächsten

Zwanzig Jahren.

Schauspiel war ihr viel gewesen,

Mehr als allen andren, die sie kannte.

Ganz gewiss, das hatte sie gespürt und auch gewusst,

Doch, was ihr fehlte, war Besessenheit,

Es fehlten ihr die ruhelosen Nächte,

Die sie morgens übernächtigt

Als den Bleifluss

In den Tag gegossen hätten.

Sie verstand, es musste sich der Traum von einer Bühne

Ohne sie zu Ende träumen.

Sie begnügte sich allmählich mit den Posen,

Die sie aus der ersten Schauspielschule kannte,

Die sie aber immer wieder einstudierte,

Die sie nicht vergessen wollte;

Hatte ihren Brautstrauß

Sozusagen präpariert

Und holte ihn genau genommen

Viel zu oft hervor.

 

Sie stand dann so vor sich

Und in der Fensterscheibe.

Draußen hatte Regen aufgehört,

Und sie entdeckte sich sofort

In ihrer Nähe.

Sie erstarrte mit dem letzten Tropfen auf dem Glas,

Verharrte mit weit aufgesperrten Mund,

Dem einstudierten Schrecken im Gesicht.

Die flinken Augen kontrollierten ihre Züge,

Huschten über die gespannte Haut.

 

Sie sah, dass so, im Fensterspiegel

Und bei dieser Pose,

Ihre kleinen Falten völlig schwiegen.

Sie erschrak noch einmal,

Schreckensfreude breitete sich in ihr aus,

Ganz ohne Grund natürlich.

Eine Tür in ihrem Rücken

War ins Schloss gedrückt.

Sonst hielt sie diese Tür

Als Fenster offen,

Damit alle Welt sie sah.

Ja, mitten in Gesprächen verharrte sie,

Versteinerte zum Bild,

Das räumlich wurde,

 

Und genoss die Stille, die um sie entstand,

Dann hörte sie sich weiterreden,

Tat als wäre nichts geschehen,

Hatte sich verzückt

In den Gesichtern anderer gesehen.

Lange würde diese Wirkung dauern,

 

Dauernd war sie im Gespräch.

Bei Festlichkeiten passte sie die Kleidung

Ihren Posen an,

Das Publikum erwartete von ihr,

Das spürte sie,

Die Perfektion,

Die war schwer zu erreichen.

Immer wieder stellte sie sich

So die Frage nach den letzten

Zwanzig Jahren.

 

 

 

 

Zwischen Wand und Wand

 

In seinem Zimmer

Saß er an dem Tisch

Und ließ die Schwärme

Schöner Reden steigen,

Die umkreisten ihn

Und fielen wieder ein,

Und Worte, die er eigentlich nicht kannte,

Landeten auf seiner Zunge,

Dabei sprach er nicht.

Er redete mit stummen Sätzen

Eine Rede nach der anderen,

Er hätte sie so schnell nicht schreiben können.

Alles hatte er versucht.

Nur Brocken kamen aufs Papier.

Er stolperte beim Wiederholen

Und verzweifelte.

 

Es fiel ihm eine neue Rede ein.

Die hatte nichts zu tun mit der vorher.

Sie tat ihm trotzdem gut.

 

Sie hob ihn auf von seinem Stuhl,

Dass er die Stimme hob.

Sie war nur innerlich.

Die konnte er nicht mit den Ohren hören.

Darum sprach er einmal laut.

Das war ein Krächzen,

Das war unerträglich laut,

Er schwieg sofort zurück,

Dass er für sich erträglich wurde.

Nein, es machte nichts mehr aus,

Die Rede war nicht fest zu halten.

Und der Sinn?

Am liebsten hätt' er alles mitgeschrieben,

Doch das ließ er sein,

Es ging zu viel dabei verloren,

Und es war ja ohnehin die ganz und gar

Verlorne Rederei. 

Vom Klopfen an der Tür war nichts zu hören

Trotz der Totenstille.

Erst beim zweiten Mal

 

Schob er mit seiner Hand

Die Reden, die nun durcheinander gingen,

Schnell beiseite.

Niemand da, er hatte sich geirrt.

Er konnte weiter machen.

Redete von nun an mit dem nicht vorhandnen Gast,

Den er nicht kannte,

Und er stellte sich ihm vor.

Der wollte ihn nun reden hören,

War sehr aufmerksam,

Verstand ihn auch und richtig.

Er bedauerte an einer Stelle,

Ganz zu Recht und völlig überzeugt,

Dass es zu wenig Leute gäbe,

Die sich für die Reden andrer Leute

Intressierten.

 

 

 

 

Zwischen Tür und Tür

 

Sie war sehr alt

Und lebte in dem Altenzimmer.

Niemand hier war abgeschnitten

Von der Welt.

Sie hatte von den Gegenständen,

Die ihr lieb und wertvoll waren,

Sie an Wichtiges, Besonderes erinnerten,

Das Damals aufbewahrten,

Vieles aufbewahren können.

Auf dem Tischchen stand ein Telefon,

Das durfte sie benutzen,

Musste nur bei Ferngesprächen fragen.

Täglich führte sie ein Stadtgespräch.

Das richtete sie ein.

Sie führte es fast immer zu derselben Zeit,

Das wussten auch die anderen,

Die störten sie dann nicht.

 

Heut' hatte sie den Automaten

Für die Zeitansage angerufen.

Die war lang und langweilig,

Und nächstes Mal würd' sie sich wieder

Kochrezepte sagen lassen.

Immer rief sie Automaten an.

Sie redete dabei von Anfang an,

Und sie beschwerte sich.

Sie machte dabei Pausen,

Sich zu vergewissern,

Dass die Leitung noch bestand.

Sie fühlte sich nicht alt,

Sie hatte Einsicht.

 

Einmal hieß es, dass

Die Stimmen dieser Automaten

Selbst aus Automaten kämen.

 

Und in absehbarer Zeit

Bekämen sie die Möglichkeit,

Auf Fragen, wenn sie einfach wären,

Eine Antwort abzugeben,

Aber das, so glaubte sie,

Würd' sie nicht mehr erleben.

Sicher müsste man dafür

Auch einen Extrapreis bezahlen.

 

Eine ihrer Nachbarinnen

Fragte sie stets nach dem Telefongespräch,

Ob sie denn Neuigkeiten hätte,

Und sie musste, etwas aufgeregt,

Von dem Gespräch berichten.

 

 

 

 

Der Tod und das Kind

 

 

Die Rufe eines jungen Kirschbaumes

 

Ich weiß es,

Weil ich selbst der Baum war,

Der im weißen, roten, schwarzen Hemd

Ins Kinderzimmerfenster sehen konnte.

Weiß es,

Weil ich durch den Hauch der jungen Rinde

Jeden Kinderarm vernahm,

Der mich umschlang,

Und jeden Kinderrücken,

Der sich an mich lehnte,

Jede Kinderhand,

Die sich, an mich gestützt,

Die Kinderaugen zuhielt.

 

Weiß es,

Weil ich, der ich nie

Von dieser Stelle kam,

Sogar die Kinderreime lernte,

Die man über meinen jungen Wurzeln sang.

 

Nur, weil ich wie die anderen Bäume um mich her,

Zu schnell verwilderte,

Schlug mich ein Axthieb um.

Als grüne Feder fiel ich in das Gras.

 

 

Mir bleibt nur wenig Zeit.

 

Ich weiß,

Mich würde man,

So anders als bei einem Kinde,

Erst beweinen wollen,

Wenn ich hoch im Alter stünd'

Und stürb.

 

 

 

 

Omayra Sanchez

 

November 1985, Kolumbien, Arinero.

Nach dem Ausbruch des Vulkans, Nevado del Ruiz, stirbt die 12-jährige Omayra Sanchez in der überfluteten Ruine ihres Elternhauses, eingeklemmt in Beton und von ihrer toten Tante Adela unter Wasser festgehalten, bis zum Mund im Wasser stehend, nach 59 Stunden Überlebenskampf.

 

Unsre Zeit bedachte nicht

Die Ketten,

Die die Freiheit mit sich brachte.

Über Satelliten waren wir vor Ort,

Den konnten wir sonst nicht erreichen

Und betrachten,

Und die Augen von millionen Kettengliedern

Sahen auf das Mädchen nieder,

Dem stand brakig Wasser an den Mund,

Und kläglich rief die Stimme,

Die von unten eine tote Anverwandte

Nicht mehr aus den Händen ließ:

"Wenn ihr das Leiden sehen könnt

Und helft,

Sterb ich doch nicht umsonst."

 

Dem Mann der Feuerwehr,

Der mit den eignen Armen

Dieser Armen auch nicht helfen konnte,

Dessen Hirn schon stumpf vom Wissen

Um die fünfundzwanzigtausend Toten einer Nacht

Nichts mehr vollbrachte,

Machte sich und diesem Mädchen Mut

Und zündete sich einen Zigarettenrest

Von Neuem an.

 

 

Es kam kein Material,

Die Ketten rissen nicht,

Und tödlich wurd' die Dunkelheit,

Die stand dem Kind nun an.

 

 

 

 

Ein Augenblick der fürchterlichen Stille

 

Ein Augenblick der Unaufmerksamkeit

Ein Augenblick, den wünschte man

Im selben Augenblick zurück,

Ein Aufschlag,

Kurz ein Knirschen,

Bremsen bremsen viel zu spät,

Vorbei der Augenblick,

Den man von nun an sieht,

Ein Augenblick

Der fürchterlichen Stille,

Des Nichtgglaubenwollens,

Eines Stillstands jedes Schreies vor dem Mund,

 

Der atmet nicht, ist schreckensweit,

Und traut sich nicht zu sehen, was er sieht,

Auf grauem Teer

Ein wenig Flüssigkeit

Und etwas Blut

Und abgewinkelt diese kleinen Arme,

Diese kleinen Beine,

Abgewinkelt auch der Kopf

In einer Ahnungslosigkeit,

Die lässt für nichts mehr Raum,

Und wird zur Hässlichkeit an sich.

 

Und jede Rettung,

Jedes liebe Wort

Und jeder Kuss

Sind schon zu spät

Gesprochen und versucht

Und ganz vergebens. 

 

 

 

 

Der Wunsch der Wünsche

 

 

Das Anbieten

 

Du bist ein Kind, denk' ich.

Und du hast einen Herzenswunsch.

Es ist dein Wunsch der Wünsche,

Den soll man,

Den will ich dir erfüllen.

Und ich nehme deine kleine Hand

Und führe dich mit kleinen Schritten,

Fast im Stillstand, fast im Stehenbleiben,

In das Glücksland,

Dort soll man dir helfen.

 

Und die Kinderaugen

Irren von dem einen Wunsch zum andren,

Zwischen Puppenköniginnen, Zotteltieren,

Automatischen Familien,

Über Bilderbücher, die sich selbst erzählen

Und bebildert mit dir reden, hin zu

Häusern aus der Phantasie,

Die sind für Kinder zum Bewohnen,

Und nur Kinder kennen sich in ihnen aus,

Und über Kissen,

 

Die genau im rechten Augenblick

Das Gutenachtlied an der einen Stelle,

Die so lieblich klingt,

Unmerklich wiederholen,

Über Tastsensoren, die dem Streicheln

Der von dir geliebten Hände

Zum Verwechseln ähnlich sind.

 

Die Kinderaugen irren, irren, irren,

Und sie füllen sich mit Tränen,

Und die kleinen Hände suchen nach

Ich weiß nicht was,

Und ziehen aus der Tasche meines Mantels,

Ach, ich steckte ihn

Nur aus Gewohnheit ein,

Den komischen und unansehnlichen "Melasche".

 

"Der", so sagt das Kind,

"Ist auch aus einer andren Welt,

Den liebe ich am meisten."

Und das Kind erzählt mir draußen

Wieder neu von seinen Wünschen:

"Die sind riesengroß,

die kann man nicht

So leicht erfüllen, wie die sich das denken."

 

 

 

 

Die Erfüllung

 

Du liegst jetzt unter mir, denk' ich,

Und bist nicht mehr so schön wie eben.

Ja, ich brach das Wort zu meiner Frau,

Du weißt es, deinetwegen, ganz allein um deinetwillen.

Dafür wirst du mich noch töten wollen,

Und ich tat an dir, was Männer gerne tun,

Wenn sie es wollen,

Und ich wollte es, und tat nur dies,

Mehr tut kein Mann,

Und tat mir selbst am meisten an,

Und vorher schon bestrafte ich mich dadurch,

Dass ich mich von dir bereden ließ.

 

Und nun hältst du die Augen auf,

Bist heller wach als ich

Und quirlst im Fieber über,

Schneller kann man Leben nicht erwecken,

 

Bist jetzt über mir

Und beißt mit zarten Bissen,

Willst mir das Gewissen, das du siehst,

Vom Leibe zieh'n,

Und bist ein junges Tier,

Das wirft sich auf den Rücken,

Scheuerst dich an mir

Und schlägst noch einmal Funken,

Willst als Drache steigen,

Und mich stellst du an die Schnur.

 

Ich weiß schon jetzt,

Du wirst, dass es dir alles glückt,

Wie du es denkst,

Und ich versteh' mit Absicht

Nicht ein Wort von den Gedanken,

Die du heimlich in dir trägst und die du mir,

Damit ich sie dann doch begreif',

Mit Fingernägeln auf die Arme schreibst,

 

"Dass du es weißt, ich will ein Kind von dir",

Du wirst nicht lange fragen.

 

Gebe doch ein Gott, dass einmal nur ein Wunsch,

Den man erfüllt,

Auch die Erfüllung ist.

 

Denn wenn es glückt, was du dir denkst,

Auch wenn du es noch leugnest,

Wird mich nun ein Leben lang

Papier von dir begleiten.

 

 

 

 

Das Verlangen

 

Wenn der Augenblick

Des Wunsches aller Wünsche naht

Und man ihn sprechen muss und weiß,

Es ist das letzte Mal,

Dass jemand oder man sich selber fragt,

Und vorher sprach uns niemand darauf an

Und auch nicht so direkt

Und nicht so rücksichtslos

Und schlimmer noch,

Wohl die Erfüllung dieses Wunsches meint

In einer Zeit danach,

Von der man gar nichts wissen kann...

 

Wie bin ich arm,

Zu diesem letzten Wunsch

Fällt mir nichts ein.

 

Ich könnt' mir etwas

Für die andren wünschen.

Dafür wär' zuvor Gelegenheit

Genug gewesen,

Nein, es sollte für mich ganz alleine sein;

Und für mich selber

Wünschte ich mir schon die ganze Zeit,

Dass Unerfüllbarkeit erfüllbar wäre,

Das ist wenig wert, ich weiß.

 

 

Und soll ich mir für die nach mir

Im Vorweg etwas wünschen,

Das mag recht, das mag auch unrecht sein.

Ich schrecke in dem Zimmer auf.

Von meinem Dach, das ist sehr schräge,

Rutscht der Schnee

Von einem Augenblick zum andren

Mit Getöse ab.

Von draußen ist es nicht zu hören,

Und was auf die Wege fiel,

Werd ich mit einer Schaufel

An die Seite kehren,

Bis es von alleine schmilzt.

Im Sommer wird mich nichts

An dies Geräusch erinnern.

 

 

 

 

Die Frau, die sich verließ

 

 

Aus sich heraus

 

Sie war sehr alt

Und war nicht alt genug

Und ging auf Reisen

Und besuchte junge, fremde Leute weit entfernt,

Die wohnten in der Nähe

Einer alten Dame, die sie kannte,

Und sie wusste nicht viel mehr

Und wurde magisch angezogen,

Und es zog an ihr die Kraft,

Die sie erkannte,

Und die konnte sie sich nicht erklären.

 

Auf der Reise las sie einen Brief

Von ihrem Mann,

Der war seit einer Ewigkeit

Nicht mehr am Leben,

Und in ihrem Alter

Zählte eine Ewigkeit nicht viel.

 

Sie hatte einen schweren Atem,

Wenn sie an die Söhne dachte.

Alle waren tot,

Gestorben und erschossen und gefallen.

 

Damals, als sie selbst Familie waren,

Fiel ihr ein, war eine alte Dame zu Besuch bei ihr.

Die war ganz fremd, die kam Gott weiß woher,

Die kannte ihre Mutter.

Und es schien ihr fast,

Dass alte Damen reisten,

Um sich einzuholen.

Heute kämpften sie mit der Gebrechlichkeit

Und morgen mit den letzten

Zwanzig, dreißig Jahren.

 

Dann war sie am Ziel,

Und wurde vorgestellt,

Und alles war wie damals,

Als sie selbst die alte Dame bei sich hatten,

Und sie war erneut die junge Frau,

Die war ein wenig überfordert,

Und ihr Mann war nicht so überzeugend,

Ja, drei Söhne hatten sie,

Und spät am Abend trank man Wein.

 

So einfach, dachte sie,

Lässt sich das Leben wieder wiederholen.

Endlich fuhr sie heim

Und schrieb noch einen Brief

Und einen Dank an diese jungen Leute

Und sie schrieb, sie hätte auf der Rückfahrt

Oft geweint und auch warum.

Und in demselben Umschlag

Steckte auch die Karte über ihren Tod.

Die hatte jemand gleich dazu gesteckt

Und einmal Porto hatte man dabei gespart.

 

 

 

 

Aus der Leiblichkeit

 

Sie hatte einen Doktorgrad erworben,

Und obwohl sie durch die Studien

Lange Jahre ihrer Jugend

Außerhalb der Jugend stand,

War ihr ein jugendliches Aussehn

Und die Unverbrauchtheit ihres Leibes

Eine Leiblichkeit geworden,

Die sie über alles liebte,

Und sie hielt sich oft in ihrer Nähe

Vor dem Spiegel auf.

 

Dann kam ein Dauerlauf dazwischen,

Weil sie sich auf einen Mann besann,

Es ging Hals über Kopf,

Und Kinder kamen,

Ohne dass sie sich besinnen konnte,

Und sie wusste schon nicht mehr

Warum sie diesem Mann,

Den man im Grunde gar nicht lieben konnte,

Aufgesessen war.

 

Nach außen trug sie steinern

Die Fassade einer handgeschliffnen Frau,

Die rührte man nicht an,

Die rührte selber auch an nichts,

Und in der Ehe brach ein Grad

In der Verwüstung aus,

Der war die absolute Fremde,

Und sie wuchs mit ihm,

Und Schläge, die sie trafen,

Trafen nicht nur sie.

Sie wehrte sich nach Kräften,

Die verließen sie sehr schnell

Und alles wurde in ihr aufgezehrt.

 

Er war ein Schläger und ein Trinker

Und ein grober Mensch

Und warf sie auf den Teppich ihres Zimmers

Und er hielt sein Glied auf sie

Und urinierte über sie.

 

Sie schrie im Fieber, das brach aus,

Und sie mit ihrem Fieber.

 

In dem überfüllten Frauenhaus

Nahm man sie auf.,

Und dort sah sie das erste Mal

Seit Wochen ihre Kinder wieder,

Und sie fragte, wie die Kinder denn

Hier her gekommen seien,

Wo sie abgeblieben wären, all die Zeit.

Und, die sie nun betreuten, kannten das

Und hatten sich mit anderen besprochen,

Und sie fassten immer wieder neuen Mut

In ihrem bodenlosen Fass.

 

 

 

 

In einer Enge eng an eng

 

Eines Tages dachte sie darüber nach,

Und andre hatten auch schon nachgedacht,

Und einige, das wusste sie,

Die dachten viel zu lange nach

Und überschritten einen Punkt;

Und dächte man zu wenig nach,

Und eigentlich an sich,

Dann kam man nicht zu sich

Und blieb im Sande stecken.

 

Sie kam aus dem Sand,

Den klopfte sie nun aus den Kleidern,

Die gehörten gar nicht ihr.

Von ihm kam alles Geld

Und alles, was man so als Tagesdecke hatte,

Und er konnte es von einem Augenblick

Zum anderen

Von ihrem Leibe ziehn,

Das war die Wirklichkeit.

 

Sie fasste allen Mut

Und sprach zu ihm von ihr,

Die kannte sie nicht lange,

Das fiel ihr sehr schwer,

 

Und er war fassungslos

Und hätte einen fremden Mann bekämpft,

Wenn sie ihn hätte,

Ganz bestimmt wär' ihm

Noch irgendetwas eingefallen,

Aber so, zu einer andren ziehn,

Und ihn verlassen wollen,

Wegen einer andren Frau,

Das war nicht zu verstehen.

 

Und er dachte einen Augenblick

An tiefe Frauenfreundschaft,

Meine Güte,

Aber dies war, wie sie sagte, etwas anderes,

Und in der Wut

Zog er sie in den Schmutz,

Und sie beschmutzte ihn in keiner Weise,

Er war hilflos,

Und sie sah ihn fallen

Und beherrschte ihn in seinem Fall,

Das wollte sie nun wirklich nicht

Und tat es doch ausdrücklich,

 

Und sie zeigte ihm

Wie schwach die Wut auf seiner Seite war,

Und bot sich ihm ganz einfach an,

Zum Abschied sozusagen,

Und sie hatte recht

Und spielte hoch,

Und erst im letzten Augenblick

Besann er sich

Und warf sie ohne Rücksicht,

Ohne irgendetwas aus der Tür.

 

Sie ging sofort.

 

Und draußen, sah er,

Nahm sie jemand in Empfang.

Und zueinander liebevoll geneigt

Und eng an eng

Entfernten sich zwei Frauenköpfe.

 

 

 

 

Der verkaufte Verkäufer

 

 

Der verkaufte Verkäufer, I.

 

Sein Lebtag wollte er Verkäufer sein,

Und das, so dachte er, sei gut.

 

Es gibt im Leben nichts,

Das nicht auf irgendeine Weise

Angeboten, angefragt, benötigt

Und verzweifelt abgestoßen wird,

Und immer muss ein zweiter sein,

Der will genau das Gegenteil.

 

Der edlere Verkäufer

Ist nun nicht so plump

Und bietet an und handelt ein,

Der wartet auf Gelegenheit,

Die fädelt er in unsichtbare Ösen

Und verwandelt sie zu einem Band

Mit dem er seine Sache näht.

 

Er kann dann den Verdienst allein bestimmen,

Und es hält zusammen,

Und es mehrt noch seinen Ruf,

Und es beflügelt ihn zu größerem Gelingen.

 

Eines aber, hat er schnell erkannt,

Ist nicht zu übertreffen.

Wenn man es versteht, die Käufer

In der Angelegenheit allein zu lassen,

Wenn sie sich mit ihrem Herzen,

Ihrer Seele etwas wünschen

Und ihm den Verdienst,

Weil sie ans Gute in ihm glauben,

In die Wohnung tragen,

Und ihm dankbar sind,

 

Und er noch oben drauf,

Auf das, was er verdiente,

Ganz verschämt die Dankbarkeit

Verzinsen lassen kann,

Sie sich als Rente ständig ohne neue Arbeit bringen lässt,

Dann, denkt er, hat man wohl

Sein Ziel erreicht,

Und fühlt sich als ein edler Mensch.

 

 

 

 

Der verkaufte Verkäufer, II.

 

So wurde er Verkäufer,

Und er sah hindurch

Und konnte das, was er verkaufen sollte,

Gar nicht lieben,

Ja, er hasste die Gespräche,

Die er führte,

Und er musste davon leben.

 

Seine Koffer packte er mit Sorgfalt

Jeden Tag,

Dass alles griffbereit

Und immer übersichtlich war.

 

Er selbst war nichts, ein Niemand,

Und er könnte, wenn er wollte,

Jemand sein,

Das aber eben mochte er von sich

Nicht wollen,

Und man kaufte nichts bei ihm,

Und was er anbot,

Machte niemanden zufrieden.

Die er doch zufrieden stellte,

Kauften nur um seinetwillen,

Und sie gaben es gleich wieder mit,

Und davon lebte er. 

 

Zum Schluss, so sah er sich,

War er ein ganz besonderer Verkäufer,

Der verkaufte sich

Und konnte eigentlich verkaufen,

Was er wollte.

 

 

 

 

Der verkaufte Verkäufer, III.

 

Er hatte die Idee,

Und die Idee an sich ist immer gut.

Er sagte so zu sich:

"Die Tür, die einerseits,

Wenn ich das Haus verlasse,

In die Freiheit führt,

Führt andrerseits,

Kehr' ich am Abend heim,

Ein zweites Mal in meine Freiheit."

 

Er begriff nun den Zusammenhang

Und auch was er bedeutete,

Und er erzählte es herum,

Und alle stimmten zu,

Und keiner hörte hin,

Und er begann, wie es geschrieben steht,

Das Wort zur Tat zu machen.

 

Lange dachte er darüber nach

Und wollte auch,

Dass jeder ohne eine Tat

Das Wort sofort verstand.

Nur wie,

Das wusste er noch nicht,

Bis er durch Zufall eines Abends

Seine Haustür offen fand.

Es traf ihn die Erkenntnis

Als ein Blitz,

Und ohne sich noch zu besinnen,

Schlug er Tür und Rahmen aus dem Haus

Und ging sofort danach die Runde,

Seinen Einfall zu verkünden,

Und er würde nun in seinem Leben

Niemals wieder seine Tür verschließen

Müssen.

 

Diese Freiheit, meinte er,

Begriffe jedermann

Sie führte ja in beide Richtungen.

Dann ging er in sein Zimmer.

 

Jeder wusste, dass er dort alleine lebte,

Und man brauchte sich

Nicht sehr um ihn zu kümmern.

 

Erst sechs Tage drauf

Fand man ihn tot in seinem Blut,

Erschlagen mit dem Türknauf,

Der war von ihm selber abgeschraubt,

Beim Ausbau.

 

 

 

 

Im Geröll

 

 

Abgerutscht

 

Zu Anfang sprach ich gern' mit dir,

Und seinerzeit, als ich das Sprechen lernte,

Sprach ich oft mit dir,

Und meine Sprache war ganz neu,

Du fandst sie ungeheuerlich.

Ich sprach vom Wort im Wort des Wortes

Und vom Ball im Ball des Balles,

Nirgends hatte man dir Ähnliches gesagt,

Und schwer würd ich es haben,

Ob ich mich denn selbst verstehen könnte,

Ob ich wüsste, was ich sage,

Und, obwohl doch ich es war,

Der diese Sprache lernte,

Warst du es, die immer wieder Fragen stellte

Und die immer weniger verstand

 

Und deren Neugier wuchs

Und der Verdacht,

Und andere befragtest du nach ihrer Meinung über mich

Und stelltest sie vor mich

Und überließt mich ihnen,

Und sie gaben sich verständnisvoll

Und waren mir und dir in allem überlegen,

Und ich merkte es zum Schluss

Und gab es auf

Und wurde leiser,

Sprach auch weniger

Und endlich schwieg ich ganz

Und sprach nun wieder so

Wie ihr es kanntet

 

Deine Freunde ließen mich,

Es gab im Grunde auch nichts mehr

Und dein Verdacht bestätigte sich nicht,

Und ich zog mich von dir zurück.

 

Mit beiden Füßen hing ich über einer Kante.

Oben auf dem Weg

Verlöschte auch das letzte Licht,

Es liefen noch die kleinen Steine nach

Und rollten über meine Hände,

Sonst bewegte sich auf diesem Hang

Nichts mehr.

Und hielte ich nun wirklich still,

Dann wäre das wohl die Gelegenheit

Zu überleben.

 

 

 

 

Ausgerutscht

 

Du hattest dich an eine Haut gelehnt

Und rutschtest von ihr ab.

In deinem Horoskop stand etwas

Von der großen Liebe,

Die käm auf dich zu,

Die würde dir zu dem Problem,

Das müsstest du nun selber lösen,

Und es stand nicht wie.

 

Der Lichtpunkt auf der Scheibe

Zeichnete mit seinem Auge

Unsichtbare Schleifen und Figuren,

Später sahst du,

Wie genau du dich im Blickfeld hattest,

Und du fragtest dich um Rat.

Du wolltest schreiben,

 

Und du wusstest, dass du immer

An die Wahrheit denken

Und nur schreiben würdest,

Was dir selbst begegnet war.

 

Du brauchtest Abgeschiedenheit

Und brauchtest das Erlebnis,

Das entstand in deinem Kopf,

Und du empfandst es nicht

Als eine Art Betrügerei,

Und halfst dir nicht dabei,

Und du erlebtest doch

Die größte Unwahrheit,

Die richtete sich gegen dich allein.

 

Die Haut, an der du lehntest,

Wurde zum Geröll,

Ein weites Feld,

Das dehnte sich unendlich aus

Und ließ dich keinen Schritt

Mehr machen,

Und in deinem Kopf entstanden

All die Bilder,

Die schriebst du nun nicht mehr auf

Und hattest es auch satt,

Mit deiner Lügerei, die keine war,

Obwohl du damit andere betrogst

Um eigene Gedanken.

 

 

 

 

Nur gestolpert

 

Auf dem Marktplatz

Stand die junge Frau.

Sie war in ihrer Heimatstadt.

Die Augen stiegen mit dem Schwarm

Der Tauben in das Himmelsgrau.

Dahinter, wusste sie,

Verbarg sich eine Sonne.

 

Ekelhaft kam es sie an,

Als in der Nähe jemand leise flötete.

 

Die Leichtigkeit der Töne

Und dass der, der flötete,

Sie gar nicht meinte,

War die Tür in ihrem Rücken,

Die flog unerwartet heftig zu.

 

Die Brücke war nun nicht mehr weit,

Und unten fuhren Züge.

 

Das Geländer hatte sie erkundet

Und sie war auch schon einmal

So weit gewesen,

Dass sie mit dem einen

Fast dem ganzen Bein....

Sie schauerte.

 

Man wusste ja auch nicht,

Wie lange alles dauern würde.

 

Sie war feige,

Das war ihr Problem,

War feige zu den anderen,

War feige zu sich selbst,

Es fehlte ihr an Mut,

Sonst hätte sie nicht immer wieder

Die Gedanken an die Brücke,

Oder würd' es endlich tun.

Sie schlenderte entlang am Gitter

Und der Zeigefinger ratschte über alle Sprossen,

Dass daraus ein Schwington kam,

Der sang ganz harmlos neben ihr,

Das kam gut an,

Und außerdem, wem könnte ihre Tat

Gefallen,

Wer würd' außer ihr

Die Bitterkeit bemerken,

Die auf ihrer Zunge lag,

Und wenn, so dachte sie,

Tu ich es nur an einem Sonnentag.

 

 

 

Gläserein

 

 

Vom Leben in dem Glasgehäuse

 

Er hat in seinem Haus ganz kleine Anker,

Winzig kleine Retter aus der Not,

Die hat er heimlich aufgestellt

Und wacht auch über sie,

Dass sie ihm nicht verloren gehen.

 

In der Küche, dort wo ständig

Nachrichten und schreckliche Berichte

Auf die Frühstücksbrote rieseln,

Wo das Radio sich völlig frei bewegt

Und alles sagen, alles bringen darf

Und sich als Zirkus mit Manege,

Mit Direktor,

Ja, mit Clown und Publikum serviert,

Wo selbst die Kinder

Schnell noch in der Zeitung lesen

Und beginnen vor dem Schulweg

Eine Politik,

Die sie zu diskutieren

Niemals die Gelegenheit bekämen,

Auszudiskutieren,

Hier in dieser Küche

Steht ein Porzellandelfin,

Nicht größer, als ein Kindermund,

Mit blauen Flossen

 

Und mit übergroßen Augen,

Die von einer Unschuld sagen,

Die er nicht versteht.

Vom Meer, das weiß er, weiß der nichts.

 

Er hat den Platz auf einem Küchenbord

Und neben ihm hat er zur Tarnung

Noch ein Püppchen stehn,

Das ist genauso klein

Und lenkt ein wenig ab

Und ist sehr schön

Und stimmt mit seinen Proportionen

Und mit seinen Farben überein,

Und hat für ihn doch kaum Bedeutung.

 

Oben gibt es noch das Zimmer,

Das wird kaum benutzt,

Hier schlafen er und seine Frau,

Und abends lässt er sich für eine Stunde

Oder zwei an seinem Schreibtisch nieder

Und verfällt auf allerlei,

Das schreibt er auf

Und lässt es auch veröffentlichen,

Und er schreibt auf diese Weise viel,

 

Und er bedenkt dabei unendlich viele Kleinigkeiten,

Die bedenkt sonst keiner,

Und auf seiner Fensterbank

Steht übers ganze Jahr,

Im Schatten der Gardinen,

Dieser Friedensengel, auch aus Porzellan.

 

Den kennen alle, der wird respektiert,

Und jeder setzt ihn,

Wenn er ihn versehentlich verschiebt,

Zurück an seinen Platz,

Und die erhobnen Hände, wissen sie,

Und das verlangt er,

Müssen zu dem Platz am Schreibtisch weisen.

 

 

 

 

Vom Aufbau einer Glaslandschaft

 

Schon in der Jugend hatte er begonnen

Seine Unterschrift zu üben,

Und sie sollte flüssig sein

Und etwas zeigen

Und ihm, wie man sagt, "aus seiner Feder fließen",

Und sie floss so eifrig

Und entfernte sich sehr schnell

Von ihrer Wirklichkeit

Und wurde bald unleserlich.

Das hatte er gewollt und beibehalten,

Und in all den Jahren hörte seine Überei

Nicht auf.

 

Am Ende schrieb er anfangs schließlich

Nur noch einen Haken,

Daran hing ein langes Band,

Das war sein Name.

 

Wer ihn kannte, kannte seine Unterschrift

Und konnte sie doch nicht erkennen,

Und das wollte er,

 

Und andere, das wollte er wohl auch,

Die sollten fragen, wer das sei

Und wer er sei

Und was er sei, wenn er das sei,

Und ihn beglückte das,

Auch wenn ihn niemand fragte.

 

Als die Unterschrift nun ausgeprägt

Und fertig war und ausgereift

Und ihm gelungen schien,

Ließ er im Hause alle Gläser,

Die er hatte, mit dem Namenszug gravieren,

Ließ ihn in die Kleidung sticken,

In Bestecke schneiden

Und in seinen Siegelring.

Die Muster für Gardinen, Teppiche

Und die Tapeten

Ließ er sich damit entwerfen,

Und der Türgriff seiner Haustür

War der Name selbst,

Er ließ sein Porzellan bemalen

 

Und verfasste eine Niederschrift,

Die Auskunft gab, wie seine Unterschrift

Entstanden war,

Und dass sie über viele Jahre

Hatte reifen müssen,

Und er ließ das Buch verlegen,

Und es wurde rasch bekannt.

Und seine Unterschrift,

Die fing ein Eigenleben an

Und löste sich sehr schnell von ihm,

Und irgendjemand machte

Ein Geschenk daraus für jedermann,

Und jeder kannte schließlich jedes über sie

Und hatte sie bei sich zu Haus,

Und ihm ins Haus trug man Prospekte,

Dass er nicht der allerletzte sei,

Der von der Unterschrift erfahre.

 

 

 

 

Einbruch in das Glasgehäuse

 

In seiner Hand befand sich eine kleine Vase.

Auf dem Schild, das außen an der Seite

Dieses Glas beschilderte,

Stand, dass man Kunst in seinen Händen halte,

Und im Inneren des Fußes stecke

Eine kleine Blase,

Diese sei dafür ein Zeichen,

Und das Ganze sei auch mundgeblasen,

Und er sah von außen auf die Perle,

Die im Innern saß und keine war,

Und sah auch die Entfernung bis dorthin,

Die war unendlich groß,

Weil man mit nichts dorthin gelangte.

 

Diese Vase ließ er nicht aus seiner Hand

Und stellte sie auf einen Tisch

Und setzte sich davor

Und sah auf ihren Mittelpunkt,

Der war nicht in der Mitte,

Und er konnte sich den Hohlraum

Nicht erklären,

 

Und der war doch auch mit Luft gefüllt,

Und böte einen Lebensraum,

Wenn man gar keinen Raum mehr hätte,

Und der wäre nicht genug,

Weil alles fehlte,

Und er würde schnell zum Un-Gemach,

Das hatte auch nur eine knappe Höhe,

Dass man sich nicht stellen konnte,

War so eng, dass man nicht liegen

Und nicht sitzen konnte,

Und es wäre Quälerei an sich.

 

Er sah die Kunst vor seinen Augen nicht

Und konnte in der Blase nichts entdecken,

Die war rein und säuberlich

Und statt der Luft, so dachte er,

War sie vielleicht mit einem Gas gefüllt,

Das wäre aus Metall entstanden,

Das wär in der Glut der Schmelze

Um sich her verdampft

Und hätte so den Ball gebildet,

Und er dachte an den Zwischenraum,

 

Der stand nun zwischen ihm und ihm

Und hinderte ihn daran

Die Gewissheit zu erfahren,

Und der Zwischenraum war auch aus Glas,

Und nach zwei Stunden

Hielt er alles nicht mehr aus

Und wickelte die Vase in ein Tuch

Und schlug mit einem Hammer

Auf die Stelle

Und zerschlug die Kunst

Und auch das Glas

Und wickelte begierig alles wieder aus,

Das waren tausend Scherben,

Die verrieten,

Zwischenraum und Blase hatten

Niemals existiert.

 

 

 

Zarter Kuss in grellen Farben

 

 

Die Verschmelzung

 

Man wusste von dem grünen Land,

Und alles,

Was man dort im Grünland kannte,

War auch grün.

Es gab in dieser Farbe keinen Unterschied,

Und eine Wissenschaft

Befasste sich mit jedem Grad der Grünheit,

Nur um festzustellen,

Ob es einen Regulator

Für die absolute Grünheit gäbe,

Oder eine Messbarkeit für etwas,

Was sich sowieso nicht änderte.

 

Das einzige,

Was man an Farberei erkennen konnte,

Waren Lichtabweichungen,

Die durch den Sonnenstand

Und durch den Abend,

Durch die Nacht

Und durch den Morgen unabweichlich waren.

Das war ja naturbedingt.

 

Der Himmel und die Wolken

Waren einheitlich und grün.

Man sah sie nur,

Wenn man sich einen Filter

Vor die Augen setzte,

So entstanden ungewöhnlich schöne Farben,

Jede neue Farbe weitete das Wissen

Und die Farberei.

 

Sonst war das Leben so wie hier

Und anderswo.

 

Hier also,

Das vergaß ich wohl zu sagen,

Leben wir im Gelb,

Das ist total

Und hat ganz andre Möglichkeiten,

Ist viel wärmer und viel freundlicher

Und sonnenähnlicher,

Und Gelb war immer schon

Die schönste Farbe aller Farben.

 

Unser Wissen um die Möglichkeiten

Und die Existenz der andren Farben

Ist viel ausgedehnter,

Und wir haben unser Gelb in unsre Kunst,

In die Musik, in unser Wissen aufgenommen,

Ja. wir existieren mit uns selbst

Und lehnen uns nicht ab.

 

Wir haben auch ein Ideal,

Das ist das Wappen unsres Landes,

Und es neigt sich über eine junge gelbe Frau

Ein junger Mann mit unbekannter Farbe,

Und den Kuss, der zwischen beiden steht,

Trennt nur noch eine schmale Kante.

 

Dieses Bild erregt uns alle

Wegen einer Möglichkeit,

Die liegt in der Verschmelzung

Greller Farben.

 

 

 

 

Die Begrüßung

 

Er war Monteur und kam oft raus

Und lebte in der großen Stadt

Und kannte sich dort,

Wo er nicht Zuhause war,

Oft besser aus,

Und in dem einen Land

Befanden sich die Frauen,

Die aus dunklem Porzellan gegossen schienen,

Sehr im Aufbruch,

Und sie boten sich den Fremden an

Und waren tagelang

Zufriedene und demutvolle,

Dabei lebensfrohe Menschen,

Die bis in die Morgenstunden

Zur Verfügung standen,

Und er hatte eine, die, so dachte er,

Wär gut für immer,

Und sie hing ihm sehr, sehr an,

Und er beschloss

Und sie beschlossen sich

Und kümmerten sich um Formalitäten,

Hier bei ihr

Und hier bei ihm,

 

Und mit der Sprache

Kämen sie schon irgendwie zurecht.

 

Er reiste noch einmal zurück

Und wieder hin zu ihr

Und nahm sie schließlich mit

Und musste sie schon wieder lassen,

Und er überließ sie ihrem Glück

In ihrem neuen Glück

Und war gelassen und zufrieden,

Und man musterte den Mann,

Der soviel Mut besessen, so gehandelt hatte,

Und es gab auch andere,

Die hätten fast wie er gehandelt,

Und er überließ ihr seine Wohnung,

Und er musste ihr sie überlassen,

Die war völlig neu,

Das konnte er sich leisten.

 

Dann kam er das erste Mal zurück

Und sie empfing ihn

Mit dem sanften Wesen,

Das er an ihr liebte,

 

Und sie hatte alle Gegenstände eingerichtet,

So, wie sie es kannte,

Und im großen Zimmer standen

Seine Sessel umgekehrt

Um seinen neuen Tisch,

Darüber hingen Tücher, Decken, Laken,

Und sie kroch mit ihm hinein

Und hatte dort die ganze Zeit gelebt.

 

Er sah schon nicht mehr hin.

 

Mit Kerzen

Rund vor einem Schrein

Mit Ahnentafeln

Inszenierte sie für ihn

In ihrem Reich

Die Feier seiner Wiederkehr

Und die Begrüßung

Und das Wiedersehen.

 

 

 

 

Ein gespaltener Kuss

 

Sie hatte einen kleinen Zoo

Und liebte Tiere

Und erzog sie richtig,

Und sie hatte einen kleinen Affen,

Der war anfangs immer menschenscheu,

Dann ließ er nicht mehr nach,

Sich überall zu produzieren,

Und sie hatte einen Otter,

Der war flink und otterschnell

Und warf sich auf den Rücken,

Und die Hände

Hatten immer etwas in den Händen,

Und sie hatte neben zwei, drei Papageien

Zwei sehr schwere, schöne Schlangen,

Jede fast drei Meter lang

Und schwer zu tragen,

Und man sah nun,

Dass sie sich auch selber

 

Schlangengleich bewegte

Und sich diese Tiere

Um die Schultern legte

Und sie sich bewegen ließ,

Weil sie sich selbst bewegte.

 

Alle Tiere hatten Namen,

Und sie lebte vom Besuch mit ihnen

In den Schulen.

 

Sie trat unter einem Künstlernamen auf,

Natürlich als Solistin,

Und war "Schlangenküsserin"

Und küsste ganz zum Schluss

Die Schlangen wirklich auf den Mund,

Und aus den Spalten sah man auch

Die Schlangen ihre Spaltenzungen halten,

Dann verdrehte sie den Kopf der Tiere so,

 

Dass beiderseits,

Aus ihrem eignen Mund,

Die spitzen Zungen

Nun zu schnellen schienen,

Und es war ein grauenvolles Bild,

Das zeigte eine raffinierte Tiefe

Und auch eine große Liebe.

 

Sonst.,

Erzählten sich die Lehrerinnen

Und die Lehrer,

Lebt sie mit den Tieren

Tag und Nacht auf ihrem Zimmer,

Und Familie oder andre Hilfe

Hat sie nicht.

 

 

 

 

In der Liebe

 

 

Am Morgen

 

Sie fasste einmal Mut

Und ging zu ihm

Und wollte mit ihm reden,

Und sie liebte ihn ,

Nicht wie die andren Menschen einen Menschen lieben,

Und sie wusste auch nicht wie

Und kannte ihn nur wenig,

Und er war bekannt,

Und seit zwei Jahren hatte sie ihm wöchentlich

Zwei Briefe zugesandt,

Darin war alles aufgeschrieben,

Was sie sagen wollte,

Was sie für den Menschen, den sie wenig kannte,

Den sie kennenlernen wollte,

Den sie viel zu selten sah,

Empfand.

 

Zu sehen war er nur bei einem

Öffentlichen Auftritt,

Und es schirmte ihn dabei

Dieselbe Öffentlichkeit ab,

Man kam zwar nah an ihn

Und doch nicht nah heran.

 

Vielleicht bekam er viele Briefe,

Sehr viel Post.

Sie schrieb ihm, das war sicher lächerlich,

Auf seidenem Papier,

 

Das steckte sie in rosa Briefumschläge,

Aber, hoffte sie, die Briefe fallen auf.

 

Sie war auf ihrem Weg,

Das war der Weg zu ihm,

Und mehrmals hatte sie ein Bild von sich

In ihre Post gesteckt,

Und sie war schön und etwas still,

Das war nur gut,

Und an der Haustür stand ein kleines Namensschild,

Nicht mehr.

 

Es fragte jemand nach dem Läuten aus der Tür

Und vor der Antwort ging die

Automatisch auf,

Und oben auf der vierten Treppe

Stand sie ihm schon gegenüber.

 

Und er hatte recht

Und sprach sie so auch an,

Sie wäre sicher wieder jemand,

Der ihn aus der Nähe sehen wollte,

Und im Augenblick möcht' er auch keine Presse,

Und sie wusste nicht mehr ein noch aus

Und sagte dann ganz schlicht:

"Ich komme Ihretwegen

Und um meinetwillen,

Und es ist nicht mehr."

 

Sie dachte sich sofort,

Dass er wohl ihre Briefe

Nicht mehr las,

Und drinnen, sah sie, war ja keine Ordnung,

Und das gab ihr Sicherheit,

Und dieses Reich, das schwor sie sich,

Würd' sie auch niemals ändern wollen.

 

Und er gab ihr zu,

Dass er mit ihr vielleicht für ein Gespräch

In ein Cafe...

Und zögerte und sie verstand

Und lud ihn ein

Und er nahm an und schloss die Tür

In seinem Rücken ab.

 

Als er noch einmal öffnete

Und seinen Mantel holte,

Schob er mit dem Fuß die Post beiseite,

Sie sah unter ihr auch einen rosa Brief,

Der klebte fest, den ließ er liegen,

Wo er war.

 

 

 

 

Am Mittag

 

Die Ergänzung, die sie füreinander waren,

War die Fügung ihrer selbst,

Und jeder von den beiden kam bis hier,

Herausgelöst aus dem Gefüge,

Jeder schob danach sich wieder ein,

Und sie ergänzten sich

Und waren sich, wie man es sagt,

In Liebe zugetan

Und taten sich viel Liebes und in Kosenamen an

Und taten es sich selbst und ihrer Liebe an.

 

Man kannte sich zu kurz,

Man durfte in der Eile

Nichts mit der Vergangenheit vergleichen.

Hier mit ihm betrog sie ihren Mann,

Und konnte heftig, leidenschaftlich lieben,

Das hielt an,

Solange sie mit ihm zusammen war,

Und er gab ihr nicht das Gefühl,

Dass sie der Anlass eines Treuebruches sei,

Sie meinte eher, dass sie ihn

Aus einer Dauerquälerei befreite,

Und sie fragte auch nicht viel.

 

Sie hatten sich bei einem

Fluchtversuch getroffen,

Der war schon von vornherein gescheitert,

Und sie standen dabei eng im Zufall

Und eng aneinander

In dem Treppenaufgang des Museums,

Wo man die Besonderheit erklärte,

Und die Rücken ihrer Hände stießen aneinander,

Und sie sahen nicht dahin

Und wollten ihre Augen nicht

In eine falsche Richtung wenden,

Und vertrauten auf den Augenblick.

 

Sie schlug die Augen nieder,

Und er sah ihr ins Gesicht

Und rollte dabei seine Hand

Auf ihrer ab, sie blieb dabei,

Dann schoben sich die Hände ineinander,

Und er zog in seinem Glück,

Die Hand in seiner Hand

Ein wenig ab

Von ihrer Wand und hielt sie fest

Und gab sie dabei etwas frei,

Und sie erwiderte den Gruß,

Und an dem Treppenende

Sahen sie sich immer noch nicht an

Und sprachen bis zum Ende nicht

Und ließen sich nicht los.

 

Die Stadt war klein

Und groß genug,

Und er war unbeholfen,

Und er kannte diese Gegend nicht,

Und sie sprang ein,

Und beiden war ja alles unbekannt.

 

Sie mietete ein Zimmer,

Und das zahlte er und sagte gleich,

Sie kämen jetzt wohl öfter wieder,

Und er zahlte gut,

Sie lächelte zu dem Empfang

Und ihn in wahrer Freude an,

Und draußen hielt die Sonne für sie an.

 

Das Zimmer lag in Ruhe,

Und sie öffnete den Schrank

Und sah nur so hinein

Und schloss ihn wieder,

Und er hielt sie schon im Arm.

 

Sie sprachen nicht

Und als sie sprachen, sagte sie sofort:

"Sprich nicht von dir,

Ich möchte dich nach allem,

Was ich von dir wissen will,

Befragen."

 

Und er musste sagen,

Was er von ihr dachte,

Und er dachte viel und an sein Glück

Und nicht an das, was sie wohl dachte,

Und es war ein erster Tag für sie,

Der überstrahlte alles

Was es jemals gab an Sonnenstrahlen,

Und sie machten nachher

Gar nichts

Miteinander aus,

Und gingen ohne ihre Namen aufzusagen,

Und sie hatten ja die Kosenamen von vorhin.,

Die klangen noch im Ohr,

Und die bedeuteten nun alles.

 

Vor der Eingangstür,

Noch in der Dunkelheit des Flures,

Legten sie sich ihre Köpfe

Gegenseitig auf die Schultern,

Und sie roch an seiner Haut

Und er in ihrem Haar,

Und eine Nachricht, wenn es eine geben sollte,

Könnten sie bei dem Empfang erhalten

Oder hinterlassen,

Und es stand die Tür, weil sie als erste ging,

In seiner Hand ein wenig offen,

Und er sah ihr nach.

 

 

 

 

Am Abend

 

Wenn sie nicht so wäre, wie sie war,

Hätt' er sie nicht bis jetzt ertragen können,

Und sie liebte einmal nur sich selbst

Fast bis zur Selbstaufgabe,

Bis zur Selbstverleugnung,

Und sie lebte in der Eifersucht,

Bis an den Rand der Raserei.

Und er saß auf dem Spinnennetz der Weiblichkeit,

Das diese Frau verbreitete, gefangen,

Und er spann sein eignes Netz,

Das war viel klebriger als ihres

Und war doch direkt als Übergang zu ihr gebaut

Und ließ ihn schneller als in größter Eile,

Zu ihr hin,

Und sie war stets bereit

Und fand im Ende erst den Anfang,

Und sie warf ihm schon in kleiner Liebelei mit ihr

Die Blicke die er sonst noch hatte, vor,

Und alles sähe sie,

Und nichts ging' ihr verloren,

Und sie sähe gar nichts ein,

Und grob sei er und rücksichtslos,

Wenn er bei ihr und in Gedanken

Ganz woanders weile,

Ihre schönsten Jahre wären noch nicht um,

Und sie sei völlig ungebunden,

 

Und sie konnte tätlich werden,

Wenn er nicht mehr tätig war,

Und trieb ihn an,

Und ihm wurd ihre Welt zu seiner Welt

Und tat, was sie noch wollte,

Und sie hatte Fähigkeiten,

Die sprach er nicht aus,

Und sie beschrieb in diesen Augenblicken

Alles, wie es ihr die Worte gaben,

Und die waren ihm so fremd.

 

Dann endlich gab sie Ruhe,

Ging nach nebenan

Und holte sich vom Alkohol,

Und müsste sich, rief sie zurück,

Von ihm erholen,

Und er sei brutal und ohne ein Empfinden,

Und der Körper einer Frau

Sei Eisen unter seinen Händen,

Und sie kam zurück, ihm ihren nackten

Körper vorzuführen,

Und sie zeigte auf die Stellen,

Die nun wirklich rötlich waren

Und die würden blau,

Die könnte sie ja ihrer Freundin zeigen,

Doch sie würde gar nichts sagen,

Wie ein Mäuschen schweigen,

Wenn er jetzt noch einmal,

Noch ein letztes Mal....

 

Er rollte sich zur Seite

Aus dem Bett, und sie war stark

Und hockte sich auf ihn

Und wollte auf ihm reiten,

Und sie schrie ihn an,

Und schwach sei er und käme nicht voran,

Da schlug er zu

Und traf sie ins Gesicht,

Dass er sich vor sich selbst erschrak,

Das hatte er niemals gewollt,

Und sie bedachte ihren Schmerz,

Der tat ihr gut,

Das würde er sofort bereuen,

Und sie legte sich an seine Seite,

Zog mit ihren Armen

Seine Schultern tief zu sich herab,

Und dachte an das Glas im Nebenzimmer,

Das sah sie durch ihn und durch die Tür hindurch

Mit Freude an.

 

 

 

 

Das Loch im Fell der Zeit

 

 

Die Vergangenheit

 

Sonntags ging er aus,

Mit einem kleinen Kind an seiner Hand.

Der Altersunterschied

War sehr, sehr groß,

Obwohl das Kind sich, siebenjährig,

Nicht mehr für ein Kind hielt:

"Ich bin jugendlich", so sagte es.

Es mochte sein.

 

Er hatte kürzlich erst beschlossen,

Häufiger mit diesem Kind

Das zu entdecken,

Was es für ihn lange nicht mehr

Zu entdecken gab.

Er kannte sich noch leidlich aus.

 

Das Kind an seiner Hand

Verstand es, viel zu fragen,

Und es konnte lange Strecken schweigen,

 

Dann sprach er

Und er bedachte, nicht so viel zu sprechen,

Und bedachte seine Worte,

Dass sie einfach blieben,

Einprägsam und bildlich

Und verständlich, also Worte,

Die das Kind verstehen konnte,

Ohne alles zu verstehen.

Eine Frage konnte ruhig offen bleiben.

 

Und das Kind befragte ihn nach Dingen,

Die es kannte, und er kannte davon wenig,

Und er wollte diesem Kind von dem,

Was er sehr gut verstand,

Was ihn, ein Leben lang

Umgeben und begleitet hatte,

Einiges erzählen.

 

Dazu sagte dieses Kind ein wenig zu erwachsen:

"Das weißt du von ganz, ganz früher,

Und das hat mir unsre Nachbarin

Genau wie du erzählt."

 

Er dachte nach

Und dachte, das sei seine Schuld

Und auch: so ist es eben.

Neben mir geht eine Zeit,

Die hat mich an der Hand,

Und sie ist meine Zeit,

Ich leb' in ihr

Und kann darin

Nur kleine Kinderschritte machen.

 

 

 

 

Die Gegenwart

 

Sie hatte den Geburtstag,

Und sie wollte feiern,

Und sie hatte eingeladen,

Und es kamen Freunde,

Und es kamen Freunde,

Die ihr keine Freunde waren,

Und sie nahm es hin und ihn,

Der sie ihr brachte,

Und sie lebte ab und zu mit ihm

Bei ihm und auch bei ihr,

Und übertrieben liebte keiner

Von den beiden,

Und sie hatten sich auch dauernd in Verdacht.

 

Er hatte etwas Geld,

Und sie war einfach schön,

Das fiel ihm an ihr auf,

Das schrieb er ihr in schönen Worten,

Und sie staunte über ihn

Und sagte sich:

 

"Sonst ist er doch recht schmerzlich primitiv"

Und sagte es zu ihm

Und konnte dabei lachen,

Und das faszinierte ihn,

Weil sie dabei die ganze Schönheit

Zum Entfalten brachte.

 

Abends gab es noch Musik

Und gutes Essen,

Und er blieb bei ihr,

Weil er vergessen hatte nichts zu trinken,

Wegen dieser Fahrerei.

Er war doch schon sehr laut.

 

Die Gäste waren langsam wieder fort,

Und er alleine fand kein Ende,

Und sie wollte schlafen gehen,

Und sie hätte ihn ertragen,

Und er trug sich nicht zu ihr,

Und störte in dem ganzen Haus

Mit Radiomusik die Ruhe,

 

Und sie ging entschlossen,

Wie es Frauen sind, die sich entschließen,

Mit der blanken Schere

An das Anschlusskabel,

Und sie schnitt es durch.

 

Es blitzte kurz,

Und die totale Ruhe kehrte ein,

Sie legte ihre Schere auf die Seite,

Ging ins Bett,

Er kam in Dunkelheit zu ihr und ließ sie sein

Und sagte nur:

"Du hast ein unverschämtes Glück gehabt.

Die Schere war doch Ganzmetall“.

Dann schliefen beide ein.

 

 

 

 

Die Zukunft

 

Würde man ihm einen Traum erfüllen,

Hätte er nur einen freien Wunsch,

Den würde er sich wünschen.

Immer hatte er die Antwort auf der Zunge,

Und er gäbe viel, viel her

Und hatte nichts zu geben.

 

Und er stellte es sich einfach vor:

Es würde jemand kommen

Und ihn fragen,

Ob er in die Zukunft reisen wollte,

Weil man sowieso die Reise machte,

Und es sei ein Platz noch frei,

Den könnte er nun haben,

Und er wollte gar nicht wissen,

Wie es in der Zukunft war

Und ob ihn Reichtum oder Glück erwartete.

Er wollte dieses Abenteuer,

Schneller als die Zeit zu sein,

Um seinetwillen,

 

Und er dachte sich:

Die Zeit verginge hier viel schneller

Als dort draußen,

Das war immer so gewesen,

Und er lebte in der Gegenwart,

Und seine Zeit stand still.

 

Das erste Jahr nach seinem Unfall

Hatte er auf der Station gelegen,

Alles war an ihm gelähmt

Und ohne Schmerzen, dann,

Nach mühevollem Mühen anderer,

Versetzte man ihn in den Rollstuhl,

Den fuhr auch ein anderer.

 

Man baute aber ein Gestell

An eine Seite, daran klemmte

Eine Zigarette, die war nah genug,

Die konnte er allein erreichen.

 

Seine Welt war klein und eng geworden.

Wäre er im "Boot",

So nannte er die Fähre in die Zeit,

Dann müsste man doch gradezu

Nach Leuten Ausschau halten,

Die sich nicht mehr selbst bewegten,

Und er wäre es zufrieden,

Würden ihn Maschinen

Bis zur Wiederkehr darin bedienen,

Und die Fähre mochte ihn und seine Zeit

Gern überdauern

Und für ihn nie wiederkehren.

 

 

 

 

Der Maler und sein Modell

 

 

In einem französischen Atelier

 

So sicher, wie sie seiner heute ist,

War sie noch nie.

 

Ein junges Ding, das gut gekleidet,

Etwas frech

In seinem Atelier zum Fenster schaut

Und sich die Schatten kleiner Blätter

In die Augen fallen lässt

Und das zugleich

In einem Sonnenausschnitt glüht

Und Wärme strahlt.

 

Er malt nur, was er sieht:

Die Mädchenfrau,

 

Die auf dem Schaukelstuhl, den es nicht gibt,

Sich selbst genug,

Die Finger über ihre Kleider schiebt,

Und mit den Blicken nach

Denselben Schattenblättern jagt,

Die sie besetzen,

Die im Auf und Ab der Schaukelei

Zu eignen kleinen Schaukeln werden.

 

Von den Bildern, die in ihm entstehen,

Ahnt sie nichts,

Und ihre Augen schauen munter wieder

Auf den Maler an der Staffelei.

 

Sie streckt sich unter ihren Gliedern,

Ja, das Atelier macht frei.

 

Sie würde gerne später,

Ließe ihr die Zeit noch Zeit,

Ihm etwas länger,

Etwas näher sitzen,

Und sie denkt gelassen ans Nachher,

Das will sie sich schon jetzt

Bewahren.

 

 

 

 

In einem englischen Atelier

 

In seinem Atelier

Vermeidet er direktes Licht.

Er mag es stimmungsvoll

Und sie, die junge Frau,

Sie kennen sich seit Jahren

Und nur sich,

Weiß um die Dinge.

 

Er will Größe, Tiefe malen,

Ihre Sonnen in den schwarzen Augen treffen,

Die Verstecke ihrer Haut,

Den langen Schatten, den ihr Körper auf den Boden wirft,

Das heimliche Verschwinden dieses Wesens

Hinter einem fremden Kaltstern,

 

Der schon fast im Explodieren steht,

Will alles auf die Leinwand bringen.

 

Sie dringt tief in ihn

Mit ihrem Schweigen

Und mit ihrer Duldsamkeit

Und einer reinen Landschaft,

Die lenkt jeden Blick auf sich.

 

Sie weiß von seiner Zeit,

Die rast im Flug vorbei

Und dauert dennoch eine

Ewigkeit, sie weiß auch,

Dass er heimlich ihre

Blumengärten erntet,

Die bepflanzt sie nur für ihn

 

Und lässt sich alles, was sie denkt, von ihm

Aus ihrem Munde rauben,

Nur um seinetwillen.

 

Dieses Jetzt ist das Nachher für sie

Von dem sie immer träumt,

Das will sie sich bewahren.

 

 

 

 

In einem deutschen Atelier

 

Im ganzen Haus ist alles still.

Der Künstler sitzt in seinem Atelier

Und blickt auf das Modell

In einer Ruhe, die nicht ruhig werden will,

Und seine Augen geistern über es hinweg

Und nehmen hier den Arm,

Ein Stück vom Leib beiseite,

Legen ihre Beine fort

Und schieben sie ihr auf den Rücken.

 

Gut, dass sie nichts sieht von dem,

Was er sich denkt, denkt sie,

Sie fände sich nicht wieder.

 

Ihre Haare fallen weich und lang,

Das ist ein Anfang, wie er ihn sich wünscht,

Und diesmal will er alles mit dem dritten Auge sehn,

Das, hat er ihr erklärt,

Sitzt hinter seiner Stirn

Und reagiert auf Wärme.

Rot wird er sie malen,

Rot in allen Tönen,

Rot in allen Farben,

Und die Leinwand steht

Als Halteschild dazwischen.

 

Nun, so will er es,

Soll sie sich auf den Körper malen lassen,

Und sie lässt es zu

Und lebt ja auch mit ihm,

Und aus dem Fenster ruft er

In die menschenleere Straße seine neue Welt,

Und alle lädt er ein zu sich,

Danach verlangt er Wein,

Sie lebt schon lange so mit ihm zusammen

Und reicht ihm ein Glas

Und denkt an das Vorher,

Das wird nachher zum Jetzt,

Das muss sie sich bewahren.

 

2010 erschienen in der Lyrikreihe, Poesiealbum neu, der Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik.

 

 

 

 

Künstler

 

 

Der Maler

 

Damals, als er ihr das erste Mal begegnete,

War er noch nicht so weit in seiner Malerei

Und hatte sein Archiv

Im Krieg verloren,

Selbst an seine Frau gewöhnte er

Sich kaum zurück.

Sie ließ ihn sehr schnell frei

Und trug ein Kind noch aus,

Das war von ihm,

Und sonst betrat er schon nicht mehr

Ihr Haus.

 

Er lebte nun mit einer Tänzerin,

Die brachte ihn voran

Und stellte bald das Tanzen ein

Und sich ihm völlig hinten an.

Er malte damals:

" Die entfernten Welten"

Und das Bild:

"Zweimal die Unendlichkeit",

Das war sein Widerspruch an sich,

Die Werke ließen sich auch nicht verkaufen.

Seine neue Liebe blieb ihm fest,

Er wollte auch im neuen Leben nie mehr

Unzufrieden sein,

 

Das war für sie zum Guten,

Denn sie war im Haushalt nicht viel wert,Er liebte sie darum

Und auch der andren Reize willen,

Die sah niemand außer ihm,

Und sie war immer still in seinem Schatten.

 

Leider stellte sich bei ihm sehr schnell

Ein Leiden ein, das war nicht mehr zu heilen,

Sie war stets um ihn

Und sie umsorgte ihn,

Seit damals geht er an zwei Stöcken.

 

Beide wurden langsam alt,

Er schneller mehr als sie,

Und malte die entfernten Welten

Hundertmal und neuer,

Und sie kamen ihm nicht nah,

Und besser, dachte sie,

Wär er bei den Portraits geblieben,

Die verkauften sich viel besser.

 

Seine ewig junge Hoffnung

Stiehlt ihm manchmal seinen Atem,

Und er denkt dann über Preisausschreiben nach

Und nimmt an ihnen teil

Und reicht ein Lichtbild neben seinen Bildern ein,

Und sonst verachtet er die Fragebögen,

Weil er meint, dass die nicht in die Kunst gehören,

Und man gibt ihm auch Bescheid,

Dass leider wegen der Formalität...

 

Er will sich einfach immer wieder zeigen

Und gesehen werden,

Und von meinem Sohn schuf er ein

Kleinportrait, das schenkte er ihm nebenbei.

Das ist, meint er, nun

"Zweimal die Unendlichkeit",

Das könnte jeder sehen,

Und es sei ein Meisterwerk.

 

 

 

 

Der Komponist

 

Gelesen habe ich von ihm,

Dass er ein rauer Vater

Und sehr mürrisch jederzeit gewesen sei,

Und in dem nahen Wald

Soll er beim Komponieren

Nur mit Bleistift seine Noten

Aufs Papier gekritzelt haben,

Ohne ein Klavier.

 

Kaum hatte er im Ernst

Die Hoffnung und den Glauben,

Die Musik, die er doch selber schriebe,

Würden seine eignen Ohren

Einmal zu Gehör bekommen,

Und er konnte sich von Hause aus,

Die Liebe zu den Noten leisten,

Und, als man ihn endlich brachte,

Mehr aus Trotz und reinem Zufall,

War er gleich verschrien.

 

Man sprach von einem musikalischen Gemetzel,

Und das konnte man so nicht zu Ende bringen,

Musik, meinte man, sei etwas anderes.

 

Für ihn war die Musik,

Was die Musik nun einmal war,

Und in die Ohren andrer Leute

Wollte er sich nicht versetzen,

Und er war bereit nun selbst zu dirigieren,

Und er stand in diesem Augenblick

Schon etwas über sich

Und wuchs dabei,

Sich wieder zu erreichen.

 

 

Seine Ohren, seine Hände

Schickte er in die Orchester,

Seine Augen herrschten fürchterlich

Und kannten keine Gnade,

Und die Garde hoch bezahlter Kritiker

Und wortgewandter Wissenschaftler

Schlachtete er wegen unbedachter Worte

Mit dem Dirigentenstab

Auf seinem Dirigententisch.

 

Er hatte etwas zu beweisen.

Ihn daran zu hindern,

Durfte niemandem gelingen.

 

 

 

 

Der Dichter

 

Er ging stets allein

Und ihm im Rücken seine Frau,

Die ließ ihn wie er wollte sein

Und richtete sich ein mit ihm

Nachdem sie seine Launenhaftigkeit

Verstanden hatte,

Und sich nichts mehr dabei dachte.

 

Früher hielt sie seine Schreiberei

Für eine seiner Launen,

Später, als sie ihn auch einmal lesen sollte,

Wollte sie den Augen nicht mehr trauen.

Die Gedanken, die sie aufgeschrieben fand,

Entsprangen einer völlig fremden Welt,

Die könnte sich im Leben nicht behaupten.

Seine Arbeit hatte sie

Auf ihren Tisch gestellt

Und weit verdrängt.

 

Sein Schreiben riss nicht ab

Und die Besessenheit nahm zu,

Und eine Ruhe ganz besondrer Art

Ging von ihm aus,

Die ließ den Alltag gänzlich

Ihr zu Füßen fallen,

Und er stand nicht von alleine auf.

Sie packte alles an

Und brachte alles ganz alleine hoch,

Das fand er gut

Und gab auch seine Wandlung zu,

Und seine Ruhe brachte ihm zugleich Entsetzen,

Denn in einer unbekannten, harten Weise

Schreckte er von jedem äußeren Geräusch zusammen,

Und vor jedem Bild, das sich bewegte.

 

Seine Not, in der er sich befand war groß,

Und sie bedrängte ihn sehr schlimm,

Dass er, ihr zu entgehen,

Nur noch als ein Fremder

Unter lauter Fremden

In der Stadtbahn fuhr und schrieb.

Dort nahm man nicht Notiz von ihm,

Und er war unbekannt

Und wurde sich hier selber anonym,

Und nichts erreichte ihn.

 

 

 

 

Sinne

 

 

Sehen

 

In deinen Augen

Finde ich das Diadem,

Das könnte eine Königin

Als Stirnband tragen,

Und die Stirn, die sich als Segel wölbt,

Fängt etwas höher an.

In ihr steht ein Gedankenwind,

Der steigt als Funkenflug,

Als Streugut in die Augen anderer

Und heftet sich an jeden,

Der dich kreuzt.

 

Gebräunt ist deine Haut

Und jugendlich,

Und ohne Sorgen kannst du dich

In eine kleinste Kleinigkeit verlieben

Und darin die Welt umarmen.

Deine schmalen Schultern

Sind nur dafür da,

Die Kleider schulterfrei zu tragen,

Und es wächst dir eine zarte Brust,

Die, spürt man, ist ein Teil von dir

 

Und ist dir keine Last

Und ist ein Pol,

Um den sich alles an dir dreht,

Den hast du aufgeteilt,

Weil es sich so ergab,

Und sicher stehst du ab und zu

Vor dir in Willkür und in deiner Nähe

Vor dem Spiegel

Und bespiegelst dich in Eigenwonne,

Die kann dir kein andrer geben,

Die ist etwas anderes,

Als alles was es gibt und völlig nutzlos,

Und dein Leib darunter wächst,

Als schlängle er sich

Durch den Daumen und den Zeigefinger

Einer übergroßen Hand,

Die schließen einen Ring

Um deine Taille,

Und die Haut fließt weiter

Als ein Wasserfall,

Der unterspült ein Moos,

Das wächst gerade,

 

Und das ganze steht

Auf

Schlanken, jungen Birkenbeinen,

Die sind weiß und weißer;

Als den Anflug heller Wurzeln

Nimmt man deine Füße,

Die sind so verschont,

So unberührt geblieben,

Dass die Sohlen weicher sind

Als deine Innenhände,

Und sie sind geschmeidig,

Strecken sich als Tänzerinnen ausgestreckt

Weit über ihren Bogen

Und genießen bis in jede Zehenspitze

Ihre Freiheit,

Und man möchte sie in eine Höhe heben

Und als schwebende Erscheinung tragen

Und bewundern lassen.

 

 

 

 

Hören

 

Es war ein junger Mann,

Der kam zurück in sein Hotel.

Man hatte ihn gesandt

Geschäfte zu betreiben,

Und der Tag war lang gewesen,

Und von diesem Tag war nichts geblieben.

 

Müde war der Abend,

Der lag auf dem Bett

Und hatte sich von ihm in Müdigkeit

Getrennt,

Und er vermisste alles,

Was ihn hätte heimisch werden lassen,

Und es ging ja auch um den Erfolg,

Der schmeckte bitter,

Wenn man auf ihn warten musste,

Und es schwebte eine Großmaschine ein,

Die flog sehr niedrig,

Und die Fenster seines Zimmers

Standen offen.

 

Gegenüber sah er bei dem Lärm

In ein privates Zimmer,

Das hielt seine Augen an,

Und mit dem Pfeifen der Turbinen,

Das verebbte, klang von dort

Ein Saitenzupfen, das wurd deutlicher

Und war Musik, die ihn umarmte,

Und er selbst war Saitenspieler,

Das, so wusste er,

Vermisste er an diesen Abenden,

 

Und die Musik war sanft und weich

Und schnell und schwer

Und sehr modern

Und trotzdem jugendlich

Und voller Träume und voll Übermut,

Und viele Griffe konnte er

Mit seinem Ohr verfolgen,

Und er betete,

Dass nicht noch einmal ein Geräusch

Dazwischen käme,

Und er wollte die Musik genießen,

Und er dachte sich

Als Spieler dieses Instrumentes eine Frau,

Die musste hinter den Gardinen sitzen,

Und sie spielte sicher nicht vom Blatt

Und spielte alle Freiheit mit,

Die jemand haben konnte, 

Und es war ein Glück,

Dass sie nicht an das Fenster dachte,

Das stand herrlich offen.

 

Ihre Melodie beflügelte sich selbst

Und wuchs in hohes Klirren

Junger Birkenzweige aus,

Es war ein liebliches, ein leibliches Gespiel,

Das spielte ohne Unterlass,

Und es erinnerte an einer Stelle

An ein Seufzen, an das Schluchzen

Einer Nachtigall und an das Singen

Dieses Vogels.

 

In dem offnen Fenster machte er sich’s

Ohne einen Laut bequem,

Der Abend stand von seinem Lager auf,

Der Tag war jetzt ein Tag, der war.

Er fing nun an und nur für ihn,

Und seine Neugier war geweckt

Und eine wahre Scheu vor dieser Künstlerin,

Weil er die Schwierigkeiten kannte,

Und die Melodie verklang nun ganz natürlich

In der Stille, schlug noch einmal an,

Noch einmal nach,

Dann legte eine Hand das Instrument beiseite,

Und ein alter Mann zog in Bedacht

Den Vorhang vor das Fenster

Und verschloss es ganz

Und sah nicht weiter auf die Häuserreihe

Auf der andren Straßenseite.

 

 

 

 

Riechen

 

Sie ging schnell aus dem Haus

Und hatte vieles vor,

Und vieles war vor ihr,

Und ihre Augen sprangen als die Gummibälle

Von der einen Hand zur anderen,

Dass sie an alles dachte,

Alles mit sich hatte,

Und sie hatte auch Termine,

Und die saßen fest auf ihr,

Und über ihr, das sah sie im Beiseitesehen,

Stand der Flieder voll im Flieder,

Und es war der Duft, der sie erröten ließ,

Sie wusste nicht warum,

Und war vor sich ganz machtlos,

Und sie hätte sich beeilen müssen

Und blieb stehn

Und legte alles aus der Hand

Und sah sich um

Und niemand sah ihr nach

Und sog den Duft des Flieders,

Der im Flieder stand, mit Mund und Nase ein

Und zog den Zweig mit einer blauen Doppeldolde

Tief zu sich herab

 

Und wurde zu dem Katzentier,

Das schlich um eine Öffnung,

Und es wich nicht einen Schritt davon.

Der Duft des Flieders, der im Flieder stand,

War immer schon Verwirrung

Und die Zügellosigkeit für sie gewesen,

Und sie kannte sich

Und sah sich langsam wieder um,

Dass niemand auf sie achtete

Und schloss die Augen und schob ihre Nase

In die Blütenstände,

In das blaue Beet und kam zurück

Und zupfte mit dem Finger eine Blüte aus,

Die schob sie mit der Spitze in den Mund,

Und sog durch diese dünne Röhre

Süßen Blütenstaub.

Als Kinder hatten sie vom Honigsog gesprochen,

Der lag auf der Zunge.

 

Und sie sprang beherzt und in dem

Rausch der Sinne, fast besinnungslos, ins Blaubeet,

Biss, so schnell es ging,

So kräftig sie nur konnte zu,

Und bitterer Geschmack entzündete den

Mund zur Höhle,

Und sie stieß sich einen spitzen Zweig,

Den hatte sie nicht sehen können,

In die Unterlippe,

Und der Schmerz war stark und gut,

Und Blut quoll gleich heraus

Und überlief ihr Kinn

Und tropfte auf ihr Kleid,

Und ihre Hand verwischte es,

Und sie empfand darüber eine Freude,

Und sie stand noch in der Tür,

Und alles, was geschehen war,

Blieb hier und ein Geheimnis zwischen ihr und ihr.

 

Im nächsten Jahr,

So dachte sie,

Würd sie sich dafür

Unter neuen Wonnen

Rächen.

 

 

 

 

Kunst und Körper

 

 

Die Körperkünstlerin

 

Einmal war sie eingeladen,

Und sie hatte ihren großen Tag.

Es war der Tag,

An dem man diese Galerie

Mit ihr und einem anderen

Eröffnete.

 

Sie war bestimmt sehr tolerant,

Doch was ihr Kunstnachbar erbrachte,

Runden Käse an die Wand genagelt

Und mit blöden Zetteln ausgeschriftet,

Dazu der Gestank,

Der sich durch alle Räume zog,

Empfand sie doch als unerträglich,

Und sie sah in ihm nicht den Kollegen.

Aufgeblasen, dumm und ohne Können

Übersah er sie.

Ihr ging es nur um ihre Kunst,

Und wenigstens die Lüftung funktionierte.

 

 

Abends gab man ihr den Auftritt

Vor den Kameras.

Sie hatte alles ausprobiert

Und würde nicht viel Zeit gebrauchen,

Das war viel zu viel,

Und man versprach an diesem Abend

Zwei Minuten nur für sie zu reservieren.

 

Schrecklich ist die Enge,

Die man hat,

Wenn man in Weite lebt.

Sie war ja eine Körperkünstlerin,

Ihr Körper war ein Teil der Kunst.

Sie riss in einem kurzen Tanz

Papierne, angerissne Blätter von der Wand

Und fiel mit ihnen,

Mehr war wirklich nicht zu sehen,

Auf den Boden, wo sie sich entwickelte,

Und das Papier blieb unter ihr

Als ein Parkett.

 

Sie konnte es noch einmal machen

Dann war sie erschöpft.

 

Die Galerie war diesmal

Zwanzig Wochen auf,

Und umgerechnet auf den Tag,

Die Rechnung stellte sie tatsächlich an,

Besuchten sie

Zwei Komma so und so viel Leute,

Damit lag sie gut.

 

Sie hätte nur, ganz streng genommen,

Diese Zahl noch einmal teilen sollen,

Wegen des Kollegen.

 

 

 

 

Der Körper einer Kunst

 

Er achtet auf den Halt der Bahn,

In der er sitzt.

Als nächstes kommt der Hauptbahnhof,

Das ist dann die Station,

Auf der er diesen Vorortzug

Auf jeden Fall verlassen muss.

Dahinter liegt gleich die Museumsinsel.

Das ist nur "geweihtes" Land,

So könnt' man sagen,

Mitten in dem Land,

Das keine Weihen liebt,

Und das die Kunst an sich nicht leugnet,

Aber so an sich in Frage zieht,

Sie muss nicht sein,

Man sieht was sie verschlingt,

Und niemand denkt dabei an einen Künstler,

Der vielleicht daran zu Grunde ging.

 

Er kennt den Weg

Und lief ihn oft genug,

Weil manchmal nur Minuten fehlten

Bis zum Schließen.

 

An der schweren Drehtür holt er Luft,

Zahlt schnell die Eintrittskarte,

Dann die Treppe rauf,

Links in den Eingang,

Noch ein Stückchen durch die Galerie,

Dann wieder Stufen,

Die ihn abwärts führen,

Und nun sieht er ihre Füße schon,

Die stecken in den Schuhen,

Dann entsteht sie ganz vor ihm,

Ein Frauenbild, das ihn unendlich reizt

Und auch beruhigt.

 

Kleine Blumen zieren ihre Strümpfe,

Und sie steht kokett.

Sie trägt ein Mieder, das ist aus der Mode,

Und sie sieht auf den Betrachter,

Und der Mann an ihrer Seite, mit Zylinderhut,

Ist durch den Rahmen abgeschnitten,

Das war damals neu,

Und es betonte ein Technik,

Die die Malerei bedrohte.

 

Dieses Bild ist nur für ihn.

Es war zwar einmal ausgeliehn,

Das musste er verstehn,

Und sonst versteht ihn niemand hier.

Nur selten, im Vorübergehn,

Bemerkt ihn jemand.

Dieses Frauenbild, nein diese Frau,

Ist Öl für ihn

Und seine "Augerei",

So nennt er es,

Und sie erwartet ihn,

Sie sprechen miteinander,

Sagen etwas zueinander,

Schnell geht alles, schnell,

Dann dreht er sich schon um,

Verlässt sie und sieht nicht zurück.

Er schwört, er möchte niemals wiederkommen

Und kommt ganz bestimmt zurück

Und wartet auf den Augenblick,

Wo einer von den beiden

Sich vom andren trennen wird.

 

 

 

 

Die Kunst als Körper

 

Er stand nun so vor seinen Werken,

Und er fand sie gut.

Sie hingen an der Wand,

Und einige gerieten auf die Erde,

Die war angefahren worden,

Um das Irdische in seiner Kunst zu zeigen.

 

Heute war der dritte Tag,

Die Galerie war wieder leer.

Man hatte es ihm gleich gesagt,

Wenn er am ersten und am letzten Tag

Erscheinen würde, reichte es.

Das Haus, das ihn verkaufen wollte

Hatte viel Erfahrung.

Diese, das empfand er schnell,

War eine von den bitteren.

Er hatte sich noch gegen die Eroberer

Und Besserwisser wehren können,

Und er staunte, dass man trotzdem

Über ihn noch etwas schrieb.

 

Das schnitt er aus

Und klebte es in eine Sammelmappe.

Kaffee gab es hier genug

Und eine Halbtagskraft,

Die hatte keine große Kraft,

Und wusste nichts zu reden,

Und sie ließ nur immer wieder

Ihre schweren Augenlider

Langsam als die dunklen

Falterflügel fallen.

Das, so dachte er, wär' ein Modell,

Man müsste es als Mobile verarbeiten

Und seinen Mechanismus kennenlernen.

 

Und er kam am vierten Tag

Mit langen steifen Drähten,

Die verband er so im Gleichgewicht,

Dass sie zu schweben schienen,

Und sie hingen hoch im Raum,

Und zwei von ihnen mussten sich,

Wenn andre in die Höhe stiegen,

Langsam auf den Boden senken,

Daran klebten kleine Segel.

 

Unerwartet schied die Halbtagskraft

An diesem Tage aus

Und kam nicht wieder,

Und es war ihr vierter Tag gewesen,

Und er rief sie abends an

Und fragte sie am Telefon

Nach ihrem Mechanismus,

Den sie ihm erklären sollte,

Und er käme sonst nicht mehr voran.

 

Sie sagte auch,

Sie könne ihn sehr gut verstehen,

Und sie hatte einen Freund,

Und der verstünde nichts davon.

Da ließ er seine Fragerei an ihr

Und sah in ihrem Kopf in seinem Kopf

Sich die Gewichte schwerer

Augenlider senken

Und genauso langsam heben.

 

 

 

ISBN 9783748130055