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Harald Birgfeld, Webseite seit 1987/ Website since 1987

 

da liegt mein Herz, Geschichten aus Niemandsland 2022 -2024 (im Entstehen)

z.B.: 100 Jahre „Kafka“, eine herrenlose Fundsache (neu)

 

Aufruf

 

zu Olympia – olympische Spiele!

 

 

Alle Veröffentlichungen,

online und im Buchhandel

 

Gedicht der Woche,

Lyrik, Prosa und Ingenieurarbeiten

 

 

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Bildergalerie

 

 

 

 

 

Großes Liebestestament Cover.jpg

Im vorliegenden Gedichtband,

„Großes Liebestestament“, sucht der Autor mit seiner zeitgenössischen Lyrik Wurzeln der Liebe. Beispielhaft seien dafür aus den 68 Gedichten genannt:

 

Er las Voltaire“,

 

Frost im Wüstensand“,

 

Wahre Liebeund

 

Odysseus war doch auch viel jünger als Penelope

 

 

Großes Liebestestament

 

Lyrik, 2017

 

Harald Birgfeld

 

Jetzt „Großes Liebestestament“ direkt online bestellen  sowie im Buchhandel,

144 Seiten, Format A5.

 

€ 6,99 inkl. MwSt.

 

Zum Buchshop

ISBN 9783743175938

 

„Großes Liebestestament“ ist auch in den USA, Großbritannien und Kanada unter obiger ISBN und bei abweichenden Preisen bestell- und lieferbar.

 

Auch als E-Book,

€ 4,49

 

Zum Buchshop

ISBN 9783744803632

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

Copyright, Urheberrecht 2017 beim Autor, Herausgeber, Redakteur: Harald Birgfeld,

e-mail: Harald.Birgfeld@t-online.de

 

 

"Es lohnt sich, einmal einen heutigen Dichter kennen zu lernen, der mit der deutschen Sprache einen faszinierend fremden Weg betritt und trotzdem dem Leser Freiraum lässt für eigene Gedankengänge, ohne dass die Probleme in erhobener Zeigefingermanier zu zeitkritischen Trampelpfaden werden." (1986: Gutachten)

 

Inhaltsverzeichnis:

 

Lyrik

 

Aleppo mon amour

Als wenn es gestern wäre

An diesem Wochenende im Hotel

Auf der Flucht

 

Begegnung auf den ersten Blick

Bigamie

Blutiglieben

 

Das Engelstor

Deines Gärtners Kunst

Der Himmel kam zu mir

Der Jasmin

Die Dichterin

Die Morgenröte einer Schwangerschaft

Die Verliese einer gartenbunten Bluse

Dschungelland

 

Eine feine Ungewissheit

Ein kinderleichtes Spiel

Ein preisgekröntes Lied

Ein wunderbares Schluchzen seiner Träume

Er las Voltaire

Es ist immer noch wie Sommer hier bei uns

 

Frauenduft

Frost im Wüstensand

 

 

 

 

Gegenglück

Glasmenagerie

Goldene Verzierung

Großes Liebestestament

 

Hoffen auf Erfüllung

 

Ich hab mich sehr an dir verletzt

Ich hatte mich von mir getrennt

Ich hatte nichts

Ich hatte mich im Arm

Ich würde dich zu gerne fragen

Im Übergang zur jungen Frau

In Galaxien einer fremden Frau

 

Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir

 

Lebensretter

Liebe auf den ersten Blick

Liebesbiss

Liebesstraße in Paris

Lust auf Märzenbecher

 

Mama war jetzt Nacht für Nacht woanders

Mein Liebesspiel mit einer Parallelfigur

Meine Art von Liebesleid

Meine Liebe galt dem Kind

Meine Schönheit

Melusine

Mit einer wunderbaren Technik

 

 

 

Noch im Dämmerlicht verblasst die Silhouette

 

Odysseus war doch auch viel jünger als Penelope

 

Ohne irgendwelche Angst

 

Polygame Schlinggewächse

Puppenhaus

 

Selbstverliebt

Sie waren beide völlig unerfahren

Suche nach versagtem Liebesleben

 

Tannenhäuser

Tor der Welt

 

Undine

 

Viel der Sehnsucht, wenig Liebe

Vogelweibchen

Voller Liebessehnsucht

Von Liebe wurde nie gesprochen

Von Sonnenlicht betrieben

 

Wahre Liebe

Wie schade, ach, wie schade

 

Zuhause angekommen

Zweimal Traurigkeit

 

 

 

 

Der Jasmin

 

Der Jasmin, den ich mir gestern in die

Vase stellte, lässt schon heute seine

Blüten hängen.

Seine letzte Kraft verschenkte er mit

Duft, der mir Erinnerung

Bescherte.

Süß war meine Zeit mit dir und

Kurz.

 

 

 

Ich schenkte dir ein

Kettchen, darin Gold und

Mondscheinsteinchen, die an Schaukeln hingen,

Dass dir meine

Sehnsucht in die Augen schwingen, springen

Musste.

Die trugst du bei einem

Abendmahl und hingst ein

Kreuz daran.

 

 

 

 

Blutiglieben

 

Mein selbstzufriednes Blutiglieben

Musste enden, und ich stürzte mich in meinen

Spiegel, der war aus

Metall und nicht aus Glas

Und raubte mir die Illusion von einer andren

Seite oder spitzen

Scherben.

 

 

 

Später fand ich mich davor

Und auch darin

Ganz unversehrt und ohne

Blut.

 

 

 

 

Glasmenagerie

 

Du kamst zurück von einer kleinen

Reise, die versprach ich dir.

Du wolltest außer dem Besuch auch

Fraulichkeiten für dich kaufen.

Auf dem Bahnhof deiner Rückkehr

Küssten wir uns leidenschaftlich,

Und ich legte meinen Arm um deine

Hüften.

Das war viel, weil andere, die jünger waren,

Sich ganz anders fassten und uns mit

Erstaunten Blicken auf die Ränge

Ganz nach hinten schoben,

Wegen unsres Alters.

Du sahst nichts davon, doch ich bemerkte es

Und ließ nicht nach an dir.

 

 

 

Zuhause hattest du viel zu berichten

Und erzähltest mit den Händen, die auf meinen

Finger landeten, wie um sich

Auszuruhen.

 

 

 

 

In Gedanken zeichnete ich einen

Akt von dir, das war sehr leicht für mich,

Doch meine Liebe

Brach sich ihren Weg und ließ, sobald du sie

Bemerktest, dich als körperloses Wesen,

Die zerbrechlichste Figur in einer

Glasmenagerie, die in dir wuchs, in eine

Durchsichtige, abgeschlossene Vitrine

Für Museumsstücke

Flüchten.

 

 

 

Liebesbiss

 

Am Menschenbahnhof ihrer Rückkunft,

Wo ich sie erwartete,

Sie in den Arm genommen werden wollte,

Fand sie mich in Einzelteilen unter Vielen vor,

Und sah mich in den anderen von hinten und

Erkannte mich an den Bewegungen,

Die mir zu eigen waren,

Dann, den Irrtum fast beweinend,

Hörte und erkannte sie mich endlich an der

Stimme, die ihr

Mut und Sicherheit verlieh.

So konnte nur ein Teil von mir sie in die

Arme nehmen

Alles andere lag irgendwo verstreut und

Schien verloren.

 

 

 

Sie verstand und akzeptierte den Verlust.

Ich aber hielt ihr plötzlich mit den Händen

Und von hinten beide Augen zu.

Sie wand und sie entriss sich mir

In schneller Drehung ihres Kopfes

Und beschwor mich laut:

„Ich kann nicht deine Einzelteile lieben

Und dich dir als Ganzes überlassen“,

Und sie sammelte wie jedes Mal zuvor

Trotz Angst und Schrecken,

Das was sie ergreifen konnte ein,

Schuf sich ihr Bild

Und nahm mit einem Liebesbiss in meine

Hand

Besitz von mir.

 

 

 

 

Ohne irgendwelche Angst

 

Unsre Liebe war im Anfang klein.

Sie überraschte uns.

Es war, dass wir nun endlich

Aufeinander träfen, sahen ihre

Leuchtkraft blitzen aus der

Zarten Zufallsperle einer Muschel.

 

Sie war uns Geheimnis,

Das wir hüten wollten,

Und versenkten sie, im

Fleisch verwachsen,

Tief in uns.

 

Dafür bedurfte es nicht

Meer und Boot.

 

 

 

 

Wir gingen abends an die Küste unsrer

Heimlichkeiten,

Glaubten an Erfüllung,

Dass wir Liebe leben könnten,

Sie uns unbeschadet bliebe,

Sahen nicht mehr links und rechts.

 

Wir saßen auf den

Muschelpfählen nah am Strand.

 

Wir hatten ständig Angst um unsre Liebe,

Angst sie aus Versehehen zu zerstören,

Auch, dass sie uns aus den

Augen kommen könnte,

Dass sie nicht mehr selbstverständlich sei

Und gingen nun von Stund an

Hand in Hand,

Als müssten wir einander führen.

 

 

 

Unsre Liebe, wussten wir, war ungefähr,

Wuchs in Bescheidenheit

Und dauerte.

 

Andre sahen uns jedoch als Wassertropfen

Die nicht ineinanderlaufen

Und zerrinnen wollten.

Es blieb ihnen unverständlich,

Dass wir uns so lange und so heftig und so

Unbekümmert lieben konnten

Ohne irgendwelche Angst zu haben.

 

 

 

Auf der Flucht

 

Auf der Flucht vor dem Regime,

Vor Terror, Angst, Zerstörung,

Mord und Vergewaltigung,

Trat unser Hunderttausendfüßler, Menschenwurm,

Den Weg durch fremde, weit entfernte

Nie gesehne Länder an.

Wir waren nur die Vorhut.

Viele ließen wir zurück,

Die aber hatten uns gedrängt zu gehen.

Zukunft und Vergangenheit begleiteten als

Denken enger Wünsche unsren Marsch durch

Regen und durch Kälte.

 

„Weiter, weiter“ hieß es und wir trieben uns,

Mal bäuchlings kriechend

Unter frisch verlegte von uns hochgezerrte

Drahtverhaue, Gitterwände, über Stacheldraht,

Dann stießen, schleppten wir uns über

Knöcheltief mit Schlamm bedeckte

Trampelpfade, mit den Wenigkeiten unsrer Habe,

Andere mit Leben im Gepäck.

Wir aßen und wir tranken, was uns Fremde gaben,

Was wir früher selber Armen spendeten.

 

 

 

Wir schliefen unter freiem Himmel,

Und in unsren Ohren war viel Kinderweinen.

Wir verrichteten die Notdurft auch im Freien.

Alles das ist nun Erinnerung und Ankerstein

In meinem Kopf.

 

So sagte mir die Frau, die,

Angekommen, einen Schatz in Händen hielt,

Den wollte sie verkaufen.

Mir war er nichts wert, doch sie war außer sich,

Weil die Bewahrung bis hierher, ihr

Rettung, Sicherheit versprochen hatte.

Das gestand sie mir.

 

Dann aber ging sie langsam fort.

Ich sah ihr nach.

Die Augen blieben viel zu lange an ihr hängen.

Nein, ich hätte sie auch niemals um ihr Heiligstes

Gebracht.

Da drehte sie sich um und kam zurück:

„Ich schenk dir meinen Traum vom neuen

Heil.

Wenn es mir schon kein Glück bereitet,

Soll es dich, nur wenn du willst, begleiten“.

Dabei legte sie das Päckchen vorsichtig in meine

Hände.

 

 

 

Unsre Sprachen waren dabei stumm,

Wir redeten in Gesten,

Die sich gleich verstanden,

Und es war ihr Blick, die Lider, die sich senkten,

Der mich ohne jede

Abwehr sie in meine Arme nehmen ließ.

 

Sie litt, und beide waren wir nicht frei,

Doch wurde uns in diesem Augenblick

Gemeinsamkeit zur neuen Wirklichkeit,

Ihr Gastland wurde mir zum Ankunftsland.

 

Es war nicht richtig, was wir taten,

Ich, als die Willkommenshand, hielt sie,

Vielleicht für immer, fest in meinen Armen,

Sie, als Flüchtling, war nicht registriert.

Doch wer, der auf der Flucht ist,

Kommt schon pünktlich an.

 

 

 

Meine Liebe galt dem Kind

 

Ich las erst einen Kurzbericht in einer Tageszeitung,

Dann gab man mir Einblick ins Vernehmungsprotokoll

Und ins Geständnis.

Das geb ich so wieder:

 

Neben mir gedieh mein Sohn, den ich

Allein erzog.

Mein Partner hatte mich am Anfang

Meiner Schwangerschaft verlassen.

Das war mir ganz recht, er hatte sich zu

Einem Rohling, der mir gegenüber

Grob Gewalt anwendete, entwickelt.

 

Meine Liebe galt dem Kind, dem blonden

Jungen, der mit himmelblauen Augen

Seine Welt und meine sich

Zu eigen machte.

Kaum im Alter eines frühen Jugendlichen

Irritierten mich und andere sein großer Wuchs

Und seine Männlichkeit.

Das wusste er und gab sich so.

Er war sehr stark und übersah sein Leben

Wie es schien, schon als Erwachsener.

Er hing trotzdem an mir,

Das war mir lieb.

 

Als Mutter gibt man alles her,

Nur nicht sein Kind.

 

 

 

Ich war sehr stolz,

Doch eines Tages stand er hinter mir

Und griff mir an die Brust.

Ich dachte, dass es ein Versehen sei

Und wies ihn gleich zurecht.

Da zog er mir das Hemd und alle

Kleidungsstücke mit nur einem

Handgriff von den Schultern,

Dass sie mir als Ring um meine Füße fielen

Und blieb dabei sanft und freundlich:

„Ich will deine Brust“,

Und schmiegte sich mit seinem Mund an sie.

Es war für mich zu eigenartig, was geschah,

Ich konnte mich dem nicht entziehen.

Plötzlich ließ er nach und schob mich nur

Beiseite.

Nein, wir sprachen nicht darüber.

 

Zwei, drei Tage später kam er doch zu mir

Und sagte:

„Es ist immer, dass der Sohn die Mutter liebt,

Ich will dich ganz“!

Und zerrte mir, als Unhold nun, erneut die

Kleidung und die Jeans vom Leib.

Ich stand entblößt vor ihm.

Dann schubste er mich auf das große Bett.

Er war sehr schnell.

Ich war gelähmt und konnte mich nicht

Wiedersetzen.

Nein, ich dachte nicht ans Schreien.

Auch nicht, als sich alles beinah täglich

Wiederholte.

Er war danach immer gut gelaunt und kindlich froh.

 

 

 

Von außen gab es keine Hilfe, weil ich

Schwieg und schwieg und schwieg.

Nach einem Jahr bemerkte ich die

Schwangerschaft an mir

Und wusste keinen Rat.

 

Als wir dann eines Tages auf dem

Bahnsteig standen

Und die Bahn sich näherte,

Er stand vor mir, ganz dicht, an erster Stelle,

Stieß ich ihn mit wenig Kraft und festem Willen

Vor den Zug.

Er taumelte bevor er auf die Gleise fiel.

 

Mehr sah ich nicht, und wollte ich nicht sehen,

Drehte mich danach dem Bahnhof zu.

 

Als Mutter liebt man doch sein Kind,

Will immer nur sein

Bestes.

 

 

 

Odysseus war doch auch viel jünger als Penelope.

 

Sie war sehr arm und auf der Flucht,

Nicht einer Flucht die Menschenleben retten sollte

Und zugleich das Leben, wie es war, verloren ging,

Nicht einer Flucht vor Krieg und Tyrannei

Und Dingen und Geschehnissen die nur

Erzählen kann, wer sie durchlebte und sie überlebt.

 

Als sie zu Atem kam, wir uns begegneten,

War sie schon zwanzig Jahre alt,

Ich hörte später, dass sie weitaus jünger war,

Sie gab es nur nicht zu.

Ich schien dagegen blutig jung und fühlte mich

Als Jugendlicher, der das erste Mal

Begegnung hatte.

Eine wahre Sonne färbte

Alles, was sich in mir regen konnte.

 

 

 

Ich verbot mir immer jede Spielerei mit einer

Frau, und diese war so über mir, so

Überlegen und zog mich zugleich so an,

Dass ich dies eine Mal nur meine

Hand auf ihre nackte Schulter legte,

Sie dann, weil kein Widerstand erfolgte,

Tiefer gleiten ließ und ihre Brust berührte.

 

Nein, wir waren nicht allein.

Der Raum war klein und

Die Familie saß daneben und man hielt den Atem an.

Man war dagegen, dass ich so

Erfahrung sammeln sollte,

Das stand in den Augen,

Man verließ uns stumm und ging

Mit dem Gesicht nach unten.

 

Es war nicht nur ihre Schönheit

Sondern ihre Wirklichkeit und

Weiblichkeit, die in mich glitt.

Sie schenkte mir den Glauben an mich selbst

Und hatte sich in diesem Augenblick mit mir

Verbündet, gegen alle anderen.

 

 

 

Sie hatte sich auf ihrer Flucht in mich verkrochen,

Ließ den Mantel ihrer Angst sofort dort fallen und

Verwandelte sich in ein warmes Wesen.

 

Mein Verlangen war ihr recht.

 

Die Armut, die sie bei sich trug, verlieh ihr

Anmut, Ausgeglichenheit und Mut.

Auf unsrer Jagd nach Treibgut waren wir uns

Einig, sie mit festem Blick und ich

Mit Schnelligkeit.

Die war nicht gut,

Denn ich stieß auf ein Fundament in mir:

Ich war für mich noch viel zu jung.

Sie aber, tief in mir, verspürte schmerzlich,

Dass der Mantel Angst sich nun um meine

Schultern legte und umschloss.

 

Sie kannte dies Gefängnis zu genau

Und sprengte es in einer Eingebung.

Sie zeigte selbstzufrieden mit den Händen erst auf mich

Und dann auf sich und flüsterte:

Odysseus war doch auch viel jünger als Penelope.

 

 

 

Dschungelland

 

Sie kam aus Dschungelland zu uns.

Sie kannte unsre Kleidung nicht und

Wusste nicht, was Schuhe sind,

Hielt unsre Körperpflege und die Mittel

Für verbürgte Tradition, für eine Art von

Körpermalerei, vielleicht als

Schutz vor Krankheit oder bösem Zauber,

Darin kannte sie sich aus.

Sie kannte aber weder Geld noch diese kleinen

Goldnen Karten für ein wunderbares

Nehmen alles dessen was man brauchte,

Die den Himmel auf die Erde brachten.

Handel, sah sie, kannte keiner hier, und keiner ging

Auf Jagd, und Frauen wurden nicht gefangen

Wie in ihrer Heimat, denn

Dort herrschte Frauenmangel.

 

Sie war aus Versehen bei uns eingetroffen,

Unbeschadet und ganz ungewollt,

Und suchte einen Wald, wie sie ihn kannte,

Zum Versteck.

Sie fand jedoch nur einen Park, der wachte über jeden

Busch und Baum und Tiere gab es kaum.

 

 

 

Die Leute, denen sie auf ihrer Flucht begegnete,

Und die sie wegen Kälte kleideten und ihren

Durst und Hunger freundlich stillten, konnten

Nicht erkennen, was sie suchte und vor was

Sie floh.

 

Man fragte so die Klugen und die Einfallsreichen,

Die mit Spenden einen echten Wald für sie

Eroberten,

Der aber lag sehr weit entfernt in einem andren Land,

Das war auch denen fremd, so dass sie

Forschen mussten.

 

 

Jene Frau aus Dschungelland erklärte sich,

Sie sei auf Suche nach dem einen Mann

Der ihr versprochen war und der schon alle

Prüfungen zur Manneswerdung

Überstanden hatte.

Danach war und blieb er unauffindbar.

 

 

 

Als man sie genauer fragen konnte,

Weil sie mehr und mehr verstand,

Begriffen alle, dass sie vor dem eignen

Vater, in die Welt geflohen war.

Sie hatte keine Mutter mehr,

Und er verlangte nun von seiner eignen Tochter

Ihn zu ehelichen.

 

Alle Helfer waren tief besorgt um sie und 

Brachten diese junge Frau,

Die ihnen mit der dunklen Haut der Königsblume,

Der Natürlichkeit des Augenaufschlags

Und dem Sanftmut ihrer Stimme

Augenblicke lang

Als feenhaftes Wesen aus der andren Zeit erschien,

In einem ganz geheimen Schutzprogramm, auf ihren

Weg in neues Dschungelland.

 

Dorthin gelangte vor nicht allzu langer Zeit,

Berichteten sie ihr,

Auf gleichem Weg ein andrer Angespülter,

Dessen Namen aber niemand kannte,

Und man würde immer weiter, immer wieder

Helfen, wenn man konnte.

 

 

 

Mein Liebesspiel mit einer Parallelfigur

 

Ich saß am Tisch,

Vor mir stand Bier, vielleicht war es auch Wein,

Und hatte meine Tagesarbeit

Gut gemacht.

Zufriedenheit, die kleine, rosa Wolke

Eigenglück, hing über mir.

Es war schon später Abend.

 

In der Dunkelheit des Zimmers

Sandte eine Porzellanfigur, nicht höher

Als die Länge meines Unterarmes,

Ihre strahlend, weiße Silhouette in die

Dämmerung

Und zeigte eine Frau mit einem

Teller, den sie über ihren Kopf erhob,

Auf welchem Trauben lagen.

 

Ungeschützt von irgendwelcher Kleidung,

Schuhen, Zweigen, Ornamenten oder

Goldnen Kanten,

Setzte sie sich in verspielten,

Weichen Windungen,

Der Phantasie, den Blicken,

Des Betrachters aus,

Verharrte so im Tanz auf Zehenspitzen,

Hielt das Spielbein leicht nach hinten

Ausgestreckt.

 

 

 

In meinem Rücken spürte ich den

Körper einer Frau, die war vielleicht nicht

Wirklich hier,

Sie ließ mich aber wissen,

Dass sie wusste, wann ich mich in andere

Figuren schwärmte

Und beschreiben würde.

Einerseits war sie von Eifersucht besessen,

Andrerseits von Lust getrieben,

Daran teil zu haben.

 

Sie blieb hinter mir,

Zog dann mein dünnes Hemd nach oben,

Um mir in die Haut zu beißen.

Das verstand ich gut,

Der Schmerz war

Wirklichkeit und tat mir wohl

Und brachte Lust, mit der ich sie

Bedrängen wollte, ihr den

Liebesbiss zu geben.

 

 

 

Das ließ sie nicht zu.

Sie wollte nur

Mein Liebesspiel mit einer

Parallelfigur zerstören, es

Für sich gewinnen.

Das verstand ich auch

Und wandte mich der Unsichtbaren

Langsam zu.

Ich folgte ihr.

 

Noch spät danach schlich ich jedoch

Zurück zur Porzellanfigur und

Rührte mit den Fingern und dem Mund

An ihre bloßen Stellen zwischen

Traubenteller und dem

Spitzentanz.

 

Mit meinen Zähnen hinterlass ich niemals eine

Spur auf kaltem Porzellan.

 

 

 

Liebesstraße in Paris

 

Wir liebten uns,

Nicht, wie man sagt, dass „man sich liebt“,

Wir liebten uns direkt und Tag für Tag

In jener Stadt der Liebe,

Wo die Liebe anders als

Woanders ist.

Hier waren oder wurden Frauen

Neu geschaffen und zu

Wesen, die für ihre Liebe mit der

Gestik ihrer Hände und der Füße

Unaufhörlich neu Erklärung brauchten,

Danach suchten und damit beschäftigt waren.

Männer nickten, stimmten zu,

Und was sie einzuwenden hatten,

Musste Schleusen ihrer Worte

Vorsichtig passieren.

Dann galt es zu warten

Ob die Frauen ihre Nähe suchen

Würden.

 

 

 

Sie und ich, wir machten Urlaub mit den anderen,

Die wir nicht kannten,

Und die waren so wie wir.

Sie machte sich mit angeborenem

Talent zur Einheimischen,

Nahm sofort die Sprache an

Und legte abends im Spaziergang ihren Kopf

An meine Schulter.

Süße Worte sprudelten nun heiter

Als ein kleinster Bach, in den sie ihre

Hände tauchte, um darin zu spielen,

An mein Ohr.

 

Ganz plötzlich wurd sie selbst zu

Einem Sturzbach, stolperte und fiel

Geräuschlos auf das Straßenpflaster,

Mir zu Füßen, ohne sich noch zu

Bewegen.

Halb riss sie mich mit zu Boden,

Dann erst hörte ich den Schuss,

Danach wurd eine Salve abgefeuert,

Und ich warf mich neben sie.

 

 

 

Sie war im Kopf getroffen, der war

Hinten offen, und ich musste sie so

Sehen.

 

Um mich her sah ich nun all die andren

Auf dem Boden liegen,

Das Gesicht nach unten.

 

Männer, die in ihren Händen

Automatische Gewehre und Pistolen

Hielten, sprangen über uns hinweg

Und schossen weiter auf die

Ahnungslosen, die noch aufrecht liefen.

 

Mit dem Finger tastete ich vorsichtig in ihre

Wunde, weil ich es nicht glauben

Wollte.

 

Sie war viel zu still,

Lag leblos, ohne, dass ich Blut erkennen konnte,

Ausgestreckt auf unsrer

Liebesstraße in Paris.

 

 

 

Es ist immer noch wie Sommer hier bei uns

 

Mancher Flüchtling, der vorüber kam,

Sah sicher unter Tränen auf das Reihenhaus

In dem wir beide wohnten.

Ja, es mochte sogar sein, dass der vorüber ging,

Von dem wir wussten, dass er erst vor kurzem

Seine Frau im Heimatland durch einen

Terrorakt verloren hatte.

Später fand man nur die rechte

Hand von ihr,

Und die erkannte er sofort am Fingerring.

 

Ihr Wohnblock war zerbombt.

Das Stahlgeflecht stach nackt und

Krumm aus dem Beton,

Die Trümmerwände waren wenig später

Mit Graffitis, die den Krieg verherrlichten,

Und Kugelsalven, die darauf zerschossen wurden,

Übersät.

 

 

 

 

 

Es war Novembernacht bei uns und endlich

Schnee zum Wochenende angesagt.

Jetzt aber war die Hauswand immer noch von

Rosen überwachsen, die in Blüte standen.

Viele, viele Tage hatte unsre Sonne

Wärmend über allem und auf uns geschienen.

Nachts kam häufig wasserwarmer Regen

Der, mit milder Luft vermischt, zum

Draußen sitzen lud und drängte.

Dabei ließ ein leichter Wind die

Rosenzweige sich in Selbstzufriedenheit

Und mit dem Knarren der Genüsslichkeit

An hitzewarmer Hauswand scheuern.

Das Geräusch erinnerte an den

Geschmack von Abgekehrtheit und

An Nichtgestörtsein wollen.

 

Diesen Abend überfiel mich plötzlich, leicht und schnell,

Der Wunsch nach dir und meine Lust.

 

Ein eigenartiges Empfinden, ausgelöst,

Vielleicht entstanden, durch den lauen Regen und die

Aussicht auf den Schnee, das Eis,

Durch eine unbekannte Absicht auf Zerstörung

Und Recht zu behalten,

Stieg als fremder Duft und überraschte mich.

 

 

 

 

Ich wollte alles und zugleich, den

Regen, dass er mich umspült,

Die schwüle Luft, den Schnee, das Eis und dich

Als meine Königin,

War fest entschlossen, meiner

Sinnlichkeit und meinem Willen

Nachzugehen,

Aber du warst lange schon im Schlaf.

Ich ging trotzdem nach oben, trat in deine

Kammer.

 

Dort fand ich dich nur ein wenig zugedeckt,

Halb auf der Seite liegend.

Schwaches Licht und das Geräusch des

Regens vom Titandach, das uns schützte,

Ließ mich innehalten.

Eine Liebe so zu stören und

An mich zu reißen,

War nicht, was ich wirklich wollen konnte.

 

Das Geräusch des Scheuerns

All der Kletterzweige unsrer Rosen

Reichte bis hierher.

 

Die Wärme im November ließ mich

Seltsam träumen und den

Augenblick verträumen.

Ich stand unbeweglich still, als du

Erwachtest und ganz ruhig

Sagtest:

„Es ist immer noch wie Sommer hier bei uns“.

 

 

 

Wahre Liebe

 

Eine Jugendliebe ist ganz anders als

Die „wahre“ Liebe.

Damals, als wir uns nach Schulschluss trafen,

Weckte meine Scheu, sie anzufassen,

Ihre Angst, berührt zu werden,

Dabei sehnten wir nichts mehr als das

Herbei.

 

Das Frühjahr war vorüber und die ersten

Sommersonnentage machten

Schmetterlinge aus uns beiden,

Die im Schwindel ihres schnellen

Schaukelflugs, nicht voneinander

Lassen konnten.

So wie die, verfehlten wir uns stets,

Und waren doch in größter Nähe

Zueinander.

 

Andere, die ihre Blicke nach uns warfen,

Sagten später, dass wir nichts von dem,

Was um uns her geschah, noch

Wahrgenommen hätten.

Aus der Ferne konnte ich sie schon mit meinem

Ganzen Körper riechen,

Spürte ihre Nähe mit dem

Rücken meiner Hände, wenn sie endlich

Nah genug an meiner Seite ging.

Entferntes Läuten irgendwelcher

Kirchenglocken klang uns als

Bestätigung.

 

 

 

An einem dieser Tage

Legten wir uns in ein Roggenfeld,

Das schlug die Hände über uns

Zusammen.

Ihre Haare wurden unter meinen

Streichelhänden wieder glatt,

Und ich bewunderte den

Mut, der mich so plötzlich alle

Vorsicht übersehen ließ.

Es fuhr mein Finger die Konturen ihrer

Lippen nach,

Sie schloss die Augen.

Einmal sagte sie ganz leise:

„Nein“ und wieder

„Nein“.

 

Mit einem langen Halm strich sie mir

In den Hemdausschnitt und fragte:

„Kitzelt das“?

 

Mein Herz schlug, dass ich es in meinen

Schläfen hörte.

 

 

 

Danach legte sie die Hand um meinen Nacken

Und zog meinen Kopf auf ihre Brust,

Schob ihn dann weiter tief in ihren Schoß.

Sie roch jetzt völlig anders, nicht wie sonst.

Es war der Duft nach Weiblichkeit, den ich nun

Kennenlernte, der mich mit Zufriedenheit

Erfüllte und zugleich erröten ließ.

Sie spürte, dass ich mich veränderte.

 

Wir standen beide auf.

Sie lehnte sich an meine Schulter

Und war eins mit sich und mir

Und fragte trotzdem:

„Glaubst du, dass wir uns einander

Eines Tages heiraten“?

 

Das alles ist so lange her.

Ich denke oft, sehr oft zurück an sie

Und an die

Wahre Liebe.

 

 

 

Tannenhäuser

 

Es kennen mich nur wenige.

Für sie bin ich der Tannenhäuser,

Nicht nur, weil ich in den

Wäldern nahe an den schroffen Bergen lebe,

Sondern, denke ich, auch

Wegen meiner Armenkleidung,

Meines Aussehens und wegen meiner

Einfalt.

Die, so sagt man, ist mir angeboren,

Aber das ist falsch.

Ich weiß doch nur nicht meine Liebe

So zu zeigen, dass es Liebe

Bleibt.

 

Es war schon seltsam und auch selten,

Dass wir uns begegneten.

Wenn sie dann ihren Mund zum

Reden, Küssen, Lachen oder Rufen öffnete,

Sah ich die Dolche ihrer Säbelzähne,

Mir zur Furcht.

Wenn sie ihn aber schloss, erblühte eine

Symphonie aus Pfirsichhaut und

Engelshaar, gepaart mit zögerlichem, süßem

Lächeln unter dem verschämten

Dach der Augenlider, die sich senkten

Und von Unschuld sprachen.

Dann zog ich sie nah an mich heran,

Und sie wich mir nur wenig aus.

 

 

 

In meiner Liebe, die ich nicht an mir

Verstand, biss ich sie fest in

Arm und Schulter.

Sie schrie hell erschrocken auf,

Dass ich die Waffen ihrer Zähne sehen musste:

„Was machst du an mir!

Wir kennen uns doch kaum“,

Und gleich darauf fiel das Orchester ihrer

Leiblichkeit mit schmeichelhaften

Flötentönen wieder ein.

 

Mein Mund entgegnete zu meinem Staunen:

„Ich hab dich zum Fressen gern,

Das weißt du doch,

Und du bist meine erste Frau“.

 

Sie war blitzschnell im Wandel,

Dem versuchte ich mit einer

Rückwärtsdrehung zu entgehen und warf mich

Ins Gras.

Der Himmel über mir war frei und

Lud mich ein,

Sie aber spreizte ihre Beine und saß

Schneller fest auf mir als ich mich

Bäuchlings legen konnte.

 

Es gefiel mir, was sie mit mir machte,

Doch ich wusste mich nun nicht mehr zu enthalten,

Und was von mir kam, ließ ich zu Boden fallen.

 

 

 

Noch bevor ich mich erheben konnte,

Schrie sie und wies hinter sich:

„Dort liegt das Kind von dir,

Und es ist schön.

Und wenn du es nicht glaubst, hol ich den

Vater und die Freunde und die andren

Frauen, die beweisen deine Untat.

Ich war jungfräulich und rein.

Das bin ich jetzt nicht mehr.

Das ist dein Kind,

Und du gehörst nun uns“.

 

Ich sagte laut und musste

Auf die Dolche ihrer Zähne schauen:

„Niemals ist ein solches Kind von mir,

Ich lass es immer auf die Erde fallen,

Das weißt du genau,

Es kann nicht sein“,

Und warf mich auf den Bauch,

Dass sie mit ihrem hochgezognen Rock zur

Seite schlug.

 

Ich biss ins grüne Moos,

Das schmeckte schrecklich bitter,

Und erinnerte mich nicht mehr an die

Frau, nur an das Blau des Himmels

Und das Weiß der Wolken, die mich

Überschatteten.

 

Es ist für mich ganz eigenartig,

Menschen zwischen

Wald und Bergen zu begegnen.

 

 

 

Meine Schönheit

 

Man sagt so einfach: „Schön ist schön“,

Doch schön ist nicht gleich schön.

Ein Diamant, ein Baum, ein Text und ein

Gedanke, ja ein Leben können

„Schön“ für alle Zeiten sein.

Die Schönheit einer Frau, das Ganzheitliche,

Ihr Gesicht, der Körper, ihre Haltung,

Jede der Bewegungen, ist etwas

Völlig anderes, und meine Schönheit übertrifft die

Jeder anderen bei weitem.

 

Wahre Schönheit bleibt für alle Zeit,

In alle Ewigkeit, denn Schönheit wiederholt sich

Immer, immer wieder,

Wird und wurde tausend Mal

Besungen und gemalt,

In Stein gehauen, aus Metall gegossen,

Abgebildet, und man sandte sie als Botschaft in

Entfernte Welten.

Schönheit redet nicht, sie teilt sich

Ohne Worte mit, sie überdauert die

Jahrhunderte, ja die Jahrtausende.

Sie bleibt nicht lange unentdeckt, selbst

Wenn sie sich versteckt entfaltet.

 

Meine Schönheit aber, die, die mir

Zuteil geworden ist, kann nie von jemandem

Zu irgendeiner Zeit erreicht und

Übertroffen werden.

 

Wenn ich mich zum Beispiel von dem Stuhl, auf dem

Ich eben saß, erhebe, trägt er

Wärme, die gehört nicht mir,

Und sie ist unpersönlich.

 

 

 

Meine Schönheit aber, ist allein mein

Eigentum, ist mein Besitz.

Sie ist zerbrechlich und gefährdet.

Das macht sie mir wertvoll.

Meine Schönheit muss ich hüten, schützen,

Und ich leide um sie Schmerzen, mache alles,

Um sie zu erhalten, wehre jeden

Schaden von ihr ab,

Sie ist mein Schatz.

Ich liebe sie, mehr als mein Leben,

Das kann schnell vergehen.

 

Man vergleicht an mir das Ebenmaß der leichten

Schatten meiner Wangen mit den flachen

Tälern einer Mondlandschaft,

Das Senken meiner Augenlider und der Wimpern

Mit den zögerlichen Flügelschlägen eines

Schmetterlings, der Sonnenwärme suchend,

Auf dem Blütenrand verharrt,

Man schwärmt von meinen leuchtend hellen, dunkelbraunen

Augen, die Achaten gleichen, doch auf

Sonderbare Weise, ohne Worte,

Zu den Menschen sprechen können.

Meine Lippen zeichnen zarte

Rispenblätter junger, südländischer Früchte nach,

Die schlafend aufeinander liegen,

Und mein Mund, der seine Farben,

Die nicht jeder unterscheiden kann,

Im Wandel zwischen rosa, rötlich, dunkelrot und purpur

Zeigt, führt ein besondres Eigenleben.

 

 

 

Meine Schultern deutet man als erstes

Neigen junger Stängel weißer Frühlingsblumen,

Meine Haut ist ohne jeden Makel,

Ich empfinde sie als Kleid aus

Samt, das sich in alle Richtungen bestreicheln lässt,

Auf meinen Armen lässt der kleinste

Atem, nur der Hauch von einem

Lüftchen, Engelshaare, sonst nicht

Sichtbar, sich bewegen.

Mein Hüften, meine Beine, und mein ganzer Körper

Sind im goldnen Schönheitsmaß gewachsen.

Wenn ich einen Stoff, der kaum entrollt

Noch fest am Ballen hängt,

Aus Spaß an mir drapiere,

Habe ich bei andren, die ein

Zufall um mich ranken lässt,

Den Auftritt eines modischen Ereignisses.

Es halten dabei meine nackten Füße,

Wegen ihrer Schlankheit und Beweglichkeit,

Gleichzeitig rechts auf Zehen stehend, links in

Spielerischer Schaukel schwenkend,

Diese Schauenden in Atem.

 

Mancher Künstler hätt mich gern zu seiner

Muse auserkoren.

Doch das kann ich nicht erlauben.

Meine Schönheit gilt nur mir.

Darin ist weder Platz für ihn noch irgendeinen

Anderen.

 

 

 

 

Mama war jetzt Nacht für Nacht woanders

 

Ich bin ein Mädchen und schon neun.

Mein Bruder ist erst fünf, der ist noch klein.

Mein Papa hat im Hausflur eine fremde

Frau geküsst, die hatte kurzes, schwarzes

Haar und nicht wie Mama, langes blondes.

Sie war auch ein wenig kleiner.

Ihre Kleidung war so anders,

Die würd Mama niemals tragen.

Ich hab Mama das erzählt.

Da hat sie mich beruhigt:

„Das ist eine Nachbarin, die wohnt hier nebenan.

Sie hat den Papa gern“.

Ich habe Mama nicht geglaubt, denn sie hat viel

Geweint, und Papa schlief erst eine

Zeitlang auf dem Sofa,

Danach gar nicht mehr bei uns.

 

Ich finde, meine Mama ist sehr schön.

Sie schminkt sich vorsichtig.

Die andere ist auch sehr schön, doch färbt sie sich die

Lippen dunkelrot, das mag ich nicht.

Als Mama wieder weinte, hab ich sie gefragt, warum.

Sie sagte:

„Das ist wegen Geld, denn Papa kann uns nichts mehr

Geben, darum muss ich noch mehr arbeiten als sonst“.

Die Mama war jetzt Nacht für Nacht woanders und ging

Putzen, sagte sie.

 

 

 

Ich hatte zu viel Spielzeug, das lag nur herum,

Und ich beschloss es heimlich zu verkaufen.

Das erzählte ich nur meinem kleinen Bruder,

Weil er mich vermissen würde.

Doch der wollte mit,

Das konnte ich ihm nicht erlauben, falls sich Mama

Melden würde, sollte sie sich keine

Sorgen machen müssen.

So blieb er Zuhause.

 

Gleich zu Anfang kaufte mir ein Mann,

Der freundlich mit mir sprach, für jemand den

Er kannte, meine Lieblingspuppe ab.

Er fragte mich nach meinen Eltern, ob die das

Erlaubten.

Ich gestand, dass sie davon nichts wüssten, und dass

Mama, weil mein Papa nicht mehr für uns sorgen könnte,

Jede Nacht auf drei verschiednen Arbeitsstellen

Geld verdienen müsste, und dass ich ihr dabei

Helfen wollte.

Das verstand er gut, so sagte er,

Und gab mir Geld für meine Puppe.

 

Danach wollte er mich noch nach Hause bringen.

Weil ich aber ängstlich war, beruhigte er mich

Und schrieb mir seinen Namen auf,

Und wie er zu erreichen wäre.

 

 

 

Gleich am andren Tag gab ich der Mama meinen

Geldschatz und die Nachricht von dem Mann,

Und als sie fragte, sagte ich, dass ich ihr helfen wollte.

 

Da sah uns mein kleiner Bruder miteinander reden

Und verstand das alles falsch.

Er fragte:

„Will der Papa wieder bei uns schlafen“?

Mama aber sagte:

„Nein. Er wird uns aber oft besuchen“.

Das fand ich nicht gut und sagte:

„Wegen dieser Nachbarin? Die hat er doch geküsst“.

Mein Bruder war schon wieder fort und

Wollte nichts mehr von dem Papa wissen.

 

Meine Mutter aber rief den Mann, der meine

Puppe hatte, an, und sprach mit ihm.

Er wollte uns besuchen und die Puppe

Wiederbringen, weil und weil und weil…

 

In Mamas Augen sah ich Tränen,

Und die Wangen zuckten so wie immer, wenn sie

Lächeln musste.

Ihre Augenränder waren nicht mehr so gerötet.

 

In der Mädchengruppe meiner Klasse

Hatte ich ein neues Lied gelernt,

Das summte ich nun leise vor mich hin und

Dachte daran,

Dass ich bald Geburtstag haben würde.

 

 

 

Im Übergang zur jungen Frau

 

Sie war im Übergang zur jungen Frau

Und lebte tief im Süden, wo die

Wärme immer wohnte, gleich am

Rand der Großstadt.

Mädchen oder junge Frauen, konnten, durften,

So wie sie, mit leichten, kurzen Kleidern,

Dekolletierten Blusen, dünnen Trägerhemdchen

Draußen und im Freien sein.

Die älteren dagegen kleideten sich

Züchtiger und strenger.

Ihre Nachbarin, die Frau des Universitätsprofessors,

Stand dazwischen und verstand in ihrer Kleidung auch

Verführung.

Die war nötig, denn ihr Mann schien manchmal

Schülerinnen seiner Universität den

Langen Blick zu schenken.

 

Er war braungebrannt, trug kurzes, krauses

Fell als Haar, nicht nur auf seinem Kopf.

Das sah man gut, weil er die Hemden, wie es heute

Üblich ist, nicht bis nach oben knöpfte.

Gerne hätte manche Mädchenhand das wilde

Tier an ihm gekrault.

Zudem vergaß er oft sich zu rasieren,

Und er sprach mit Worten, die sich intensiven

Bildern gleich, in junge Frauenherzen tropfen

Und dort pflanzengleich ein Eigenleben führen konnten.

 

Jene junge Frau erfuhr von ihm,

Weil seine Frau, die sie nur selten sah,

Sie plötzlich für den kleinen Sohn in ihrer

Freizeit engagieren wollte,

Denn die Ehefrau war auch im Dienst.

In deren Haus war aber nichts zu tun.

Das Mädchen brauchte sich um nichts zu kümmern,

Weil das Kind woanders aufgezogen wurde.

Nur der Mann traf pünktlich nach der

Lesung ein und hatte angenehmen Zeitvertreib mit ihr.

Er legte ihr, nach viel zu langer Zeit, so dachte sie,

Fast wie versehentlich,

Die Hand auf ihre Schulter und,

Sofort danach die ganze Hand erst unter ihre

Schulterlangen, schwedenblonden Locken, dann um ihren

Nacken.

 

 

 

Sie trug einen knöcheltiefen Faltenrock, darüber eine Bluse,

Unterhalb der Brust geschnürt.

Der Rock, die Bluse waren spielerisch verziert mit Borten.

Dies und alles was sie auf dem Körper trug

War immer in Chamois und einem Hauch von Elfenbein.

Sie konnte andre Farben nicht ertragen.

Nun hielt sie die Lippen fest geschlossen,

Lauschte auf ihr Eigenes im Innersten, das schrie:

„Er liebt mich! Endlich, endlich liebt er mich“.

Ihr Herz schlug zum Zerspringen.

Langsam drehte er sich zu ihr hin

Und ihr Gesicht zu sich und fragte:

„Wenn du dir jetzt etwas wünschen dürftest,

Hier in diesem Augenblick, was wäre das“?

Sie sagte leise:

„Ich hab nur den einen Wunsch,

Ich möchte schöner sein, viel schöner als ich bin“.

Da zog er sie ganz nah zu sich und

Küsste sie so leidenschaftlich, dass

Das Frauenherz in ihr erwachte,

Und sie alle Schwärmerei für ihn vergaß.

 

Wenn er nicht kam und sie wie sonst alleine

In der Wohnung war,

Durchstöberte sie Schränke, Fächer,

Wäschekörbe und stahl ihm ein blaues

Tageshemd, das trug noch seinen Duft.

Sie hatte ihm damit, versteckt in ihrem eignen

Zimmer, einen kleinen Hausaltar errichtet,

Den beleuchteten die winzigsten Dioden.

 

Bei der Sucherei jedoch entdeckte sie in einer

Gut versteckten rosa Schachtel unter

Damenwäsche, viele Fotos.

Eines davon zeigte ihn mit ihr im Arm.

Das musste jemand heimlich aufgenommen haben.

Auf dem nächsten sah sie wie sich ihre

Mutter, fest von ihm umschlungen, küssen ließ.

Danach entdeckte sie ein Bild auf dem

Ihr Vater unbekleidet auf dem nackten Körper

Keiner andren Frau als der des

Universitätsprofessors in den ehelichen Betten lag.

 

 

 

Gleich hinter dieser Schachtel fand sie eine handliche

Pistole, wie für Frauenhände angefertigt,

Die nahm sie sich mit.

 

Nur wenig später sollte, wenn es etwas kühler wäre,

Zwischen allen eine kleine Gartenfestlichkeit

Den Tag beenden, dazu war sie erstmals eingeladen.

Das war Wunsch des Vaters und der Mutter

Und des Universitätsprofessors und auch seiner Frau.

Sie ging dort hin und schwieg und hatte nur noch

Augen für den Liebsten.

 

Alle waren sich im Schweigen einig.

 

Langsam zog sie dabei, das war nicht zu übersehen, die

Pistole aus dem Ärmel ihrer Bluse, zielte mit zwei

Händen, schoss, mehr aus Versehen, dem

Professor in die rechte Schulter.

Der brach gleich zusammen.

Alle andren liefen auf die Schützin zu

Als wollten sie ihr gratulieren.

Das und ihre Tat entsetzten sie. 

Sie schleuderte

Die Waffe weit von sich,

Lief dann zu dem Getroffenen

Und half als einzige nach besten Kräften

Ihn zu retten.

 

 

 

Voller Liebessehnsucht

 

„Warte nicht auf mich,

Ich bin nur kurz mal außer Haus“, ruf ich dir zu.

Du bist so lieb zu mir und

Immer freundlich, und ich sag dir oft,

Dass ich dich liebe.

Das geschieht jetzt nicht.

 

Ich höre dich, noch stehe ich im Flur,

Wie du mich mahnst:

„Es ist schon spät, sei bitte gleich

Zurück“.

 

Ich weiß nicht, was mich reitet, was mich treibt,

Mir klingt ein Satz im Ohr,

Der birgt Geheimnis und Verführung.

Dieser Satz stand in der

Tageszeitung mit der Überschrift:

„Vermisst“ vielleicht „Verschollen“, als man

Schrieb:

„Er wollte nur zum Kiosk auf der andren Straßenseite

Und ist nie zurückgekehrt“.

 

Mich treibt es fort von dir und allem.

Ja, es ging mir gut,

Das hatte ich mit dir genossen, und

Es gab nicht einen Grund zu gehen.

Liebe, die ich seitenlang von dir erfuhr,

Beschränkte mich auf dich.

Nun aber zieht es mich mit

Hunger vor die Tür, und auf der

Straße mache ich den ersten

Atemzug mit großem Appetit

Auf neue Freiheit, meine Freiheit.

 

 

 

Alle Rettungsanker meines Lebens,

Dich, du Insel meiner Wünsche,

Du Erfüllerin all dessen, was ich selbst nicht kannte,

Gebe ich nun auf.

Ich lasse sämtlichen Besitz zurück,

Die Ausweiskarten, bis auf einen

Impfausweis für unbedingten Nachweis,

Dass es mich auf Erden gibt,

Und lege, was ich je besessen habe

Auf den Tisch des

„Nichts mehr davon wissen wollen“.

Alles, was ich jemals kannte, hab ich

Aufgegeben, ist nun ohne mich.

An mir bin ich zum

Tier geworden, das sich eine

Ader nach der anderen mit festem Biss

Zerreißt,

Und schaue nicht zurück und drehe mich nicht um.

 

Vor mir liegt eine Illusion,

Die mir zur Wahrheit werden soll.

Dafür such ich den

Pilgerpfad, Vergessen,

Und den Bußweg, Abschied.

 

 

 

Ich hoff auf Verzicht und Qualen,

Einfachheit und Unbekanntes, welches meinen

Blick auf alles, was ich aufgegeben habe,

Schmerzlich richten soll.

Für alle Zeiten will lernen, diesen

Schritt tief zu bereuen,

Und verstehen,

Was ich Schlimmes tat, als ich von deiner

Liebe ließ, die mir mein Leben lang,

Mein Leben war.

Ich will durchtrennen und durchschneiden,

Was mich band und engte

Und Zufriedenheit verhieß.

 

Auf meiner Suche will ich Freude

An dem frischen Wasser eines kleinen

Baches finden, meiner

Selbstzufriedenheit den Rücken kehren.

Hoffen, dass mir eines Tages eine fremde Frau,

Ganz ohne Eigennutz,

Mit einer Geste, einem Blick, nur einer

Handbewegung, nur dem

Winken einer Locke ihres Haares,

Das ein Zufallswind bewegt, erlauben wird

Aus ihrer Liebestränke einen Schluck

Zu nehmen.

 

Voller Liebessehnsucht will ich sein.

 

 

 

Großes Liebestestament

 

Erstmals fand ich Mut genug

Den lange stillgelegten Flugplatz

Und die Landebahn

Seit jenem Unfall zu beschreiten.

Trauer trieb mich her.

Nach diesem Unglück, das vom

Himmel auf die Erde fiel, war er geschlossen

Worden.

 

Meine Liebste, alles was ich jemals hatte,

Blieb in Asche, Staub und weit verteilten

Trümmerteilen unauffindbar und verschollen.

 

Irgendjemand hatte an der Seite meines

Trauerweges ein paar Steine angehäuft,

Darein ein namenloses Kreuz aus Holz gesteckt.

Mehr konnte ich nicht finden.

 

So ging ich die Landebahn entlang, vorbei an

Meterbreiten und ganz kleinen Pfützen, darauf

Schimmerten die Farben dünner Plättchen,

Hingehaucht aus Öl und Kerosin.

Sie gaukelten mir Regenbögen vor,

Die überspannten Blumenstege.

Stählern kalt entstand das Blau des Korns vom Wegesrand,

Begrenzt durch grauen Feldrand einer Asphaltküste.

Neben mir erwachte Mädchenauge in zitronengelb.

Mit dunkler Iris, weiter vorne, hüteten die

Blütenblätter einer Sonnenblume ihren braunen

Teller voller Kerne.

 

 

 

Leichter Wind ließ sie in einer Brise,

Die der Segler auf der Wasseroberfläche einer

Überfahrt erkennt, vibrieren und den

Augenaufschlag lang verschwinden.

Dann erwuchsen sie erneut, verwandelten sich schnell in

Gelbe, rote, violette Rosen,

Deren grüne Blätter, Lotus gleich,

Mit jedem dieser kleinsten Seen

Verwachsen schienen und erzitterten.

 

Ich weinte lange schon nicht mehr.

Das Schluchzen hatte tiefen Seufzern Platz gemacht.

 

Mein Blick war weit zum Ende jener

Landebahn gewandert und kam nun zurück

In große Nähe.

Plötzlich sah ich seitlich auf dem Boden, eine

Daumennagelgroße Speicherkarte liegen.

Die erkannte ich sofort und nahm sie mit nach

Haus.

Dort angekommen öffnete ich sie

Und sah auf eine Vielzahl schneller Bilder, die

In einem Flugzeug aufgenommen worden waren.

 

 

 

Unbekannte hielten angefüllte, durchsichtige

Becher hoch und jubelten damit nach hinten.

Dann erkannte ich, erst als Verdacht

Und dann mit Sicherheit, dass alle

Meiner Liebsten und dem fremden Mann,

Der sie in seinen Armen hielt,

Den Zuspruch spendeten.

Die küssten und die herzten sich.

Sie trug ein weißes Kränzchen mit dem

Ansatz eines Schleiers auf dem Kopf.

 

Mein Herz versank in einer endlos tiefen Grube,

Und ich war der Ohnmacht nahe.

Was war nur geschehen.

 

Diesen Urlaub wollte sie, erinnerte ich mich,

Ganz zögerlich und nur vielleicht, allein verbringen,

Und ich hatte sie ermutigt,

Bis sie sich dazu entschloss.

 

Den Urlaub hatte sie,

Das wurde schmerzlich wahr,

Von Anfang an als

Abschiednehmen eingeplant.

 

Ich wünschte mir trotzdem nun wirklich,

Dass sie einer wahren, süßen

Liebe voller Zuversicht begegnet war,

Und wünschte ihr,

Dass ich ein

Großes Liebestestament

Bewahren konnte.

 

 

 

Begegnung auf den ersten Blick

 

Ich fuhr auf einer völlig leeren Autobahn

Und war sehr schnell.

Es ging bergauf, und früher hätte ich

Darüber nachgedacht, doch jetzt erfüllte

Jede Automatik meine Zuversicht,

Als sich ganz plötzlich ein

Gesicht vor meine Augen schob.

 

Es war das Bildnis einer jungen Frau.

Die war als Model einer Frühjahrskollektion

Auf dem Prospekt des Modehauses

Abgebildet, und ich hatte sie mir

Nachgezeichnet.

 

Noch in der Sekunde, als ich ihr

Gesicht das erste Mal in Hochglanz wahrnahm,

Wurd sie meine Muse.

Ihre schrägen Augen, leicht gewölbten Lippen,

Und der freche, rechte Ohrrand, der die

Lockenwand der vollen, langen, schwarzen

Haare als ein kleiner Wink durchbrach,

Der heimlich lauschte,

Und der den Verlauf der Haare, die weit über ihre

Schultern auf die Haut und in den

Blusenausschnitt fielen,

Zu verfolgen schien,

Verführten und elektrisierten mich.

Ich musste sie sofort in Kohle, nicht in Farbe,

Zeichnen. 

 

 

 

Wochenlang blieb sie mein Werk,

Bis ich sie hängen konnte.

Jedes Mal, wenn ich an ihr vorüber

Ging, rief sie mir etwas nach.

Sie schien mir lebenslang bekannt,

Und war Begegnung auf den ersten Blick.

 

Sie wollte, so empfand ich es,

Dass ihre Lippen noch mit etwas

Rötel überzogen werden sollten,

Doch das ließ ich lieber sein.

 

Als ihr Gesicht nun auf der

Autofensterscheibe, mir vor Augen,

Sich bewegte, sie die Haare in den Nacken strich

Und mit mir sprach,

Vermochte ich nicht zwischen

Irrealität und meiner Wirklichkeit zu unterscheiden,

Denn sie rief, ich hörte ihre Stimme gut:

„Fahr links von dieser Fahrbahn ab,

Mach schnell was ich dir sage“.

Das war völlig ungewöhnlich, denn die

Abfahrt war sonst immer rechts.

Mir fiel in diesem Augenblick auch auf,

Dass alles auf der falschen Seite stand.

Die Richtungsschilder sah ich nur von

Hinten auf der Fahrerseite,

Und der breite Streifen für den Nothalt

Lag am linken Straßenrand statt rechts.

Ich nahm, wie sie es wollte, gleich die

Erste Abfahrt links.

 

 

 

Schon nach nur kurzem Weg

Erkannte ich den schlimmen Fehler,

Wechselte von meiner Gegenfahrbahn

Auf die rechte Seite dieser Ausfahrt.

 

Meine Muse saß jetzt auf dem

Rücksitz,

Ich erkannte sie im Spiegel,

Dann saß sie wie selbstverständlich

Neben mir und legte ganz behutsam ihre

Hand aufs Lenkrad.

Das bewegte sie, so dass ich halten musste.

Sie stieg wortlos, lautlos durch das Fahrzeug aus

Und wurde wesenlos.

 

Ich fuhr auf andrem Weg zurück

Und ging gleich in mein Zimmer,

Mich zu vergewissern.

 

Sie hing so wie immer an der Wand

Mit eindringlichem Blick auf mich.

Sie rief jedoch nie mehr

Nach mir.

 

 

 

Frauenduft

 

Es war sehr spät in dieser Nacht.

Ich saß im großen Raum des Hauses.

Niemand wachte außer mir.

Von einer Treppe, die nach oben führte,

Sanken Schleier schwacher Düfte

Bis zu mir herab,

Und sie bestanden wechselweise aus

Jasmin, Lavendel, Moschus, Hyazinthe,

Rosen, Sandelholz und einem,

Der vereinte sie zu etwas ganz

Besonderem.

Sie setzten sich in köstlicher Erinnerung auf meine

Zunge, dass ich schmeckte, wie es damals war,

Als ich nach Mädchenhaftem Ausschau hielt

Und dabei Frauenduft entdeckte.

Der ließ mich nicht los,

Ließ mich nach innen horchen,

Wo etwas geweckt und aufgerufen wurde.

Flügel wuchsen mir.

 

 

 

Ich schwärmte aus und hörte

Nachts am Bach auf den Gesang der Nachtigall.

Ihr Schluchzen wurde ferner Glockenklang in meinem Ohr.

 

Mein Herz versuchte Ruhe in der

Dunkelheit zu finden.

 

Jetzt lebst du in meiner Nähe,

Liegst dort oben und deckst dich vielleicht gerade zu,

Schickst dein Parfum zuvor auf Reisen,

Sendest einen späten Abendgruß

Zu mir.

Du weißt, dass ich die halbe Nacht noch

Warten werde, bis ich neben dir zur Ruhe komm.

 

Wir staunen beide über

Unsre ungestüme Liebe,

Die treibt dauernd neue Blüten.

Meine wird nie satt an dir, sagst du,

Und deine, sage ich,

Ist völlig anders, die dreht dich

Mit allem was du liebst, um mich.

 

 

 

Ich habe heut gezählt.

Du hast mich mehr als

Sechsmal vorsichtig und doch mit

Fester Absicht in den

Rücken, Hals, die Hand und meinen Arm gebissen

Und mich deine Zähne leicht wie

Kirschen naschen spüren lassen.

Jeder Biss war etwas schwächer als ein

Zarter Liebesbiss.

Es ging mir gut dabei,

Ich schüttelte danach mein Innenfell,

Das reizte dich erneut.

 

Ich aber stahl mir dreimal das, was du

Zugleich am liebsten und am zögerlichsten

Mir zu schenken willens bist.

Du schworst dabei, dass du mich auf der

Stelle töten wirst,

Wenn ich in meinem Leben jemals einer

Menschenseele nur ein Sterbenswort

Davon erzähle.

 

 

 

Hoffen auf Erfüllung

 

Er verließ sein Auto, weil er ein

Bedürfnis spürte und ging in den

Öffentlichen Raum dafür.

Der war in einem großen Kaufhaus,

Erst versperrt durch Drehkreuzgitter, welche

Geld verschluckten,

Dann dahinter hell mit weißem Marmor ausgekleidet.

Leise hörte man Musik, und eine

Mitarbeiterin war aufmerksam um

Unauffälligkeit bemüht.

Er sah ihr ins Gesicht, als sie ganz plötzlich

Vor ihm stand.

Sie war ihm schon von weitem aufgefallen,

Hatte flinke Augen, und er zögerte, als sie die

Auf ihn richtete.

An diesem Ort, erinnerte er sich, macht man

Bestimmt nicht die Bekanntschaft einer Frau.

Sie aber lehrte ihn mit ihrem Blick das Gegenteil.

Er sah nun die Gelegenheit und fasste Mut und

Schämte sich zugleich für seine Dreistigkeit,

Sie anzusprechen,

Sie jedoch war schneller, hauchte,

Noch bevor er etwas sagen konnte, mit der größten

Selbstverständlichkeit:

„Ich komm gleich raus.

Ich dusch mich noch, dann bin ich draußen,

Warte bitte dort auf mich“.

 

Er musste oft an seinen Namensgeber denken:

David, Held im Buch der Bücher, als der noch kein

König war und nicht mehr an die

Königswürde glauben konnte.

Er war nicht wie der ein Krieger, und er hatte keine

Nebenfrau und ging nie fremd und blieb

In allem Allem treu,

Empfand sich aber so wie jener

Immer wieder hingehalten.

Nur das Hoffen auf Erfüllung hatte ihn niemals

Verlassen.

Was sich ihm erfüllen sollte, schien sich nun zu zeigen,

Wahr zu werden.

Sie erschien ihm hell im Licht, das seinetwegen

Angezündet worden war,

Sie wurde Gegenwart, ein warmes, weiches Glücksgefühl,

Das er bei ihrem ersten Anblick schon empfunden hatte.

 

 

 

Sie war bescheiden, angenehm gekleidet,

Ging in Jeans und hatte

Schulterlange blonde Haare, die in Locken fielen,

Roch nach Flieder, schien es ihm,

War nicht geschminkt, vielleicht ein wenig.

Und sie stimmte zu.

 

Er kannte sich nicht aus,

Die Gegend war ihm fremd,

Doch jede erste, beste Möglichkeit wär recht.

So gingen sie in ein Hotel mit

Restaurantbetrieb.

Dort war es ruhig, und man hätte sie

Dezent und a la carte bedient.

Da meinte sie:

„Mir wäre eine schlichte Gastlichkeit viel lieber,

Hier fühl ich mich nicht so wohl“.

Das war ihm recht, und er bedankte sich bei ihr,

Dass sie es besser haben könnten,

Und sie gingen wieder.

 

Bei dem kleinen Essen, das sie dann

In einem Gasthof unter vielen

Menschen zu sich nahmen, sagte er:

„Ich lebe nicht allein“.

Sie ging darauf nicht ein und schwor:

„Ich bin heut glücklich und es könnte

Gar nicht schöner sein, als hier mit dir zu sitzen.

Du musst nur verstehen, dass ich mich nicht

Ausgehalten wissen möchte“.

Das verstand er gut, so sagte er,

Und bat trotzdem um diesen Freiraum.

 

Spät am Abend, auf dem Weg zurück, liebkoste er sie vielfach,

Küsste ihren Mund, den Hals und wanderte hinab

Bis auf die Schulter, dann in Leidenschaft zurück.

Sie hingen aneinander als sie voneinander

Abschied nahmen.

Jeder hatte viel gewonnen,

Das versicherten sie sich, und er rief ihr noch nach:

„Ich liebe dich. Ich werd dich immer finden.

Morgen treffen wir uns wieder“.

Sie kam schnell zurück und lachte:

„Das ist leicht, ich freue mich“.

Das war den beiden Pflaster und Versprechen.

Dann entfernten sie sich voneinander.

 

 

 

Heimgekommen hätte er gern seiner Frau erzählt

Von seiner neuen Liebe, wie er sich so

Leicht getragen fühlte und in seinem Leben

Endlich angekommen sei.

Doch das versagte er sich alles.

Seltsam fremd wurd nun das Haus für ihn.

Er staunte aber, wie sich alles fügte.

 

Gleich am nächsten Tag erschien er wieder

In dem Kaufhaus vor den Drehkreuzgittern.

Doch die und der Raum dahinter waren

Zugehangen.

Nur ein übergroßes Schild gab Auskunft:

„Bis auf weiteres für unbestimmte Zeit geschlossen“.

Er war sicher sie mit einem Zettel zu erreichen.

Darauf stand, und er vermied es seinen oder

Ihren Namen zu erwähnen:

„Bitte melde dich im Gasthaus,

Wo wir gestern Abend saßen!

Ich vermisse dich, ich liebe dich“!

Den klebte er an eine Werbung,

Die hing an der Seite.

 

In dem Gasthaus hinterließ er eine Nachricht,

Doch sie meldete sich nicht, und alles war verloren.

Da verstand er schweren Herzens,

Dass er wiederum nur hingehalten worden war.

Und langsam, fast schon gegen seinen Willen,

Wuchs in ihm erneut das

Hoffen auf Erfüllung,

Irgendwann einmal, vielleicht.

 

 

 

Liebe auf den ersten Blick

 

Liebe auf den ersten Blick,

Das sagten andre über ihn,

Doch mehr verriet sein Schweigen,

Sie trug Kopftuch.

 

 

 

Allzu gerne hätte er ihr

Alles anvertraut,

Ihr seine Liebe eingestanden.

 

 

 

 

Ich hatte mich von mir getrennt

 

Gestern Abend kam ich heim.

Ich hatte mich von mir getrennt,

Ich wusste nicht warum und wie und wann.

 

 

 

Mein Freund und meine

Freundin sagten:

„Wir sind ‚bi‘, das ist nun einmal so.

Gewöhn dich endlich dran“.

 

 

 

 

Ich hatte mich im Arm

 

Gestern Abend kam ich heim.

Ich hatte mich im Arm.

Ich war so glücklich, dass ich mich entdeckt,

Mir einfach, ohne Vorankündigung

Begegnet war.

 

 

 

Mein Freund und meine

Freundin sagten:

„So wirst du in deinem

Spiegelbild ertrinken.

Das ist aller

Welt bekannt“.

 

 

 

 

Ich hatte nichts

 

Gestern Abend kam ich heim.

Ich hatte nichts und

Niemanden im Arm.

 

 

 

Mein Freund und meine

Freundin sagten:

„Wir sind einzigartig“.

 

 

 

Dann erwählte mich mein Freund.

Die Freundin gab sich fest in meinen Arm,

Im Rücken aber suchte ihre Hand nach seiner

Zärtlichkeit.

 

 

 

Selbstverliebt

 

Eingebettet in das lichte Grün der

Langen Blätter stehen deine Tulpen,

Schleierrosa und in tischtuchweiß,

Seit Tagen auf dem Tisch.

Sie bilden oberhalb der Glaskaraffe einen vollen

Kreis aus Tänzerinnen, die sich im Verbeugen, in der

Körperdehnung ihrer Stiele, mit den schweren

Blüten, zu dem

Tisch darunter neigen und in Zärtlichkeit,

Im Stillstand, an ihn stoßen.

 

Im Zusammenspiel beschützen sie die beiden

Unbenutzten Kerzen, deren Wachs du scheinbar aus dem

Meer gezogen hast, fast farbengleich und

Eng geschmiegt an sie, als Wachsoldaten.

Lange habe ich in dieser Nacht in deinem

Zimmer zugebracht.

Zwei warme Deckenleuchten weckten es aus seiner

Dunkelheit.

 

 

 

Erinnerung, von der du gar nichts wissen

Kannst, und die dich nicht verletzen soll,

Steigt auf.

Ein Mädchen, damals war ich zwölf, vielleicht ein

Wenig älter, kleidete sich, um zu Tanzen, vor mir aus.

Es war, schien mir, mit seinen vierzehn Jahren,

Eine Frau.

Mit jedem Schwung der Kleider, die von ihrem

Körper glitten, spülte sich der Duft, der

Frauen eigen ist, die ihre

Mädchenhaftigkeit verlassen haben,

In den Wellen einer sanften

Dünung an den Strand.

 

Sie hielt die Augen plötzlich dicht vor meine,

Wandte sich schnell wieder ab und

Schaute lange durch die

Finger ihrer Hand, als Fächer;

Drehte sich danach in Sprüngen,

Zu Musik vielleicht, die ich nicht hören konnte.

 

Niemals hätte ich dabei gestört,

So heilig sah ich sie.

Sie tanzte barfuß, auf den nackten Sohlen,

Und für einen Atemzug stand sie auf

Zehenspitzen.

 

 

 

 

Seitlich lag, von spitzen Fingern

Hingetragen, ihr geliebtes weißes

Oberkleid aus luftig, leichtem Stoff,

Daneben das, was sie darunter als die

Kleinen, rosafarbenen Flamingoinseln,

Abgestreift und diesen Vögeln gleich,

In Vorsicht hatte landen lassen.

 

Sie erschien jetzt sich und mir in der ihr

Eigenen und unbedeckten Schönheit,

War mit mir und sich allein und sang entzückt und

Selbstverliebt:

„Ich fühle mich viel wohler so“.

 

Sie hatte mich zu ihrem Publikum erkoren,

Zeigte mir ihr Können einfach so.

 

Als ich nun spät den Raum verlasse

Stoße ich versehentlich mit meiner

Hand an ein paar Tulpenblütenblätter,

Die sich lösen, niederfallen und als unbewegte

Schaukeln liegen bleiben.

Danach gehen beide Leuchten langsam automatisch aus

Und Weiß und Rosa weichen.

 

Etwas abseits sehe ich in einem

Mondlichtweißen, bauchigen

Behältnis einen Strauß Narzissen,

Der im Wachsen dieser Nacht

In Spiegelbildern strahlend gelbe

Blüten, die aus grünen Knospen züngeln,

Treiben wird.

 

 

 

Sie waren beide völlig unerfahren

 

Über Jahre hatte sie nun schon studiert.

Ihr Traum war Medizin gewesen, doch die

Mutter drängte sie ins Lehramt,

Die war selber Lehrerin,

Und schließlich blieb der

Traum ein Traum.

 

Die Eltern sparten wo sie konnten,

Und sie selbst half nach, als sie in einem

Kaufhaus in den Ferien alles Mögliche sortierte.

 

Wenn sie fertig wäre, könnte sie sich etwa

Mit dem Juniorchef des großen

Grabmalinstitutes treffen.

Der warf ihr die langen Blicke hinterher

Und hatte auch konkrete Pläne.

Irgendwie fand sie das viel zu kurios und sah sich,

Unter Lachen, einen Kinderwagen zwischen

Marmornen Figuren schieben,

Unter Trauernden, im Staub des Steinmetz,

Windeln wechseln.

Er blieb trotzdem freundlich, fast ein wenig

Brüderlich und väterlich.

Es fehlte ihm Begehren und an

Lust auf sie,

Dass sie sich trösten musste:

„Ich bin schließlich auch nicht Schönheitskönigin“.

 

Das Studium war lang, und diese Aussicht auf die

Zukunft ging dabei verloren.

 

 

 

Kurz vor ihrer Prüfung, die sie äußerst jung, fast

Mädchenhaft und mit der Sympathie der

Lehrer und Dozenten leicht bestehen würde,

Lief sie einem Lehrling, der auf einer

Schiffswerft tätig war, bei ihrer besten

Freundin in die Arme.

Die beruhigte sie gleich:

„Der ist aus erstem Haus, hat aber für die

Pläne seiner Eltern kein Gehör.

An ihm ist alles auf Rebell,

Und einzig auf der Werft fühlt er sich wohl.

Studieren kommt ihm auch nicht in den Sinn

Und nicht in Frage“.

 

Sie empfand, als sie das hörte,

Nie gekannte Leidenschaft, geradezu Verlangen, fühlte sich,

Als wär es immer so gewesen,

Zu ihm hingezogen, gegen

Jede Klugheit und Vernunft.

 

 

 

 

Mit einem ersten Blick,

Der sie nach einer Rückwand tasten ließ,

Gab er ihr seine Hand, kam nah an ihr Gesicht

Und wollte sie am nächsten Tag

Gleich heiraten.

Das war viel mehr als wacher Traum.

Sie spürte, wie ein kalter Blitz die Lippen überzog

Und gleich danach ihr Blut in alle

Körperwinkel schoss.

Sie schloss die Augen, sah und hörte

Tief im Innersten das

Herz in ungeahnter Hoffnung pochen,

Plötzlich und wahrhaftig Frau zu werden.

 

Eltern, Freunde rieten ab und brachten Gründe an,

Die sie nur noch darin bestärkten.

Kurz vor ihrer Prüfung, die sie später gut

Bestand, lag sie an seiner Seite.

 

Doch sie hatten das Problem der ersten

Nacht, das konnten sie nicht ahnen.

 

Später sagte ihr und ihm der Frauenarzt:

„Das habe ich in meiner langen Praxis nicht

Erlebt.

Der Eingriff ist nicht schlimm, und keinen

Trifft hier Schuld.

Die Manneskraft hat ihre Grenzen und der

Frauenkörper schützt sich manchmal

Ziemlich stark“.

 

Sie waren beide völlig unerfahren.

 

 

 

Goldene Verzierung

 

Damals, noch in jugendlichen Jahren,

Sah er sich als

Forscher und Entdecker,

Nicht von Ländern, Meeren oder

Andersartigem Getier, nein als

Erforscher wirklich

Großer, einmaliger Liebe.

 

Paare, die im öffentlichen

Raum posierten, wurden ihm

Zu ungreifbaren Wesen, weil nur

Freunde und Bekannte aus der nächsten Nähe,

Deren wahre Wahrheit wissen, sie betrachten

Und beschreiben konnten.

 

Niemals gab es mehr für ihn als eine

Kleinnotiz, vielleicht, ganz selten, einen überregionalen

Aufschrei oder Liebesseufzer aus der Presse.

Das verdross ihn sehr und brachte ihm kein

Forscherglück.

 

Er war enttäuscht und ging, sich

Abzulenken, manchmal in die Oper oder ins Ballett,

Hielt den Instinkt dabei hellwach,

Lag stets auf Lauer, sah in sich den

Jäger, der versteckt und unauffällig

Beute machen wollte,

Hielt den Atem an, um

Finderglück zu haben auf der

Suche nach zwei

Menschen, die in ehrlicher und

Denkbar engster Liebesbindung zueinander standen.

 

 

 

So besuchte er auch einen Opernball

Mit großer Tanzeinlage einer

Tänzerin und eines Tänzers eines Staatsballetts

Und traf, als sie den Höhepunkt ertanzten,

Endlich auf die freigelegte, goldene

Verzierung seiner Vorstellung von

Glück und Liebe.

 

Tänzerin und Tänzer waren eine

Einheit und bewiesen Eintracht in

Beweglichkeit und Harmonie,

In liebvoller Sanftheit und in Rücksichtnahme, im

Verständnis für den anderen.

Er ließ sie federleicht und sanft nach Hebungen zu

Boden gleiten, und sie überließ ihm

Mit Geschmeidigkeit die Führung, die den

Ausdruck unterstrich und ihn

Zum Kunstwerk steigerte.

 

Das konnte nur durch

Körperliche Einigkeit und

Selbstverständnis einer Partnerschaft

Geschehen, wurde hier in aller Öffentlichkeit

Ausgetanzt.

 

 

 

Er sah sich nah am Ziel,

Und letzte Zweifel schwanden, als die beiden,

Gegen Ende ihres

Auftritts mit dem kurzen

Und doch viel zu engen Liebeskuss

Das Publikum verzaubert hielten.

Das, verstand er, konnte nur ein

Traumpaar zeigen.

 

Danach nahm er sich trotzdem

Noch Zeit und die Gelegenheit

Herauszufinden wie sie wohl

Zusammen lebten, wenn die

Bühne nicht Zuhause war,

Und lauschte, was man redete,

Und suchte Presse danach ab.

In einer las er schließlich, dass sie sich

Privat nicht kannten, jeder

Einen eignen Rückweg

Zu Familie und nach Hause ging.

 

Dies konnte auch ihr Manager in einer

Konferenz bestätigen und gab noch preis,

Dass es sich um ein Paar mit außerordentlichen

Darstellungstalenten handle.

 

 

 

Lust auf Märzenbecher

 

Du wünschtest dir von mir

Zu dieser Zeit des Vorfrühlings

Die Zeilen,

Die dich gut beschreiben,

Deine Sehnsucht nach, ich weiß nicht was,

Doch so genau, dass du dich darin sofort

Wiederfindest.

 

Gut.

Ich weiß, ich bin zu alt für Puppen,

Deshalb dreh ich ihnen meinen Rücken zu.

Sie wohnen in der Puppenstube, hinter mir,

In einem großen Fach im Bücherschrank,

Das hab ich ihnen frei geräumt.

Sie schauen über meine Schultern,

Wollen wissen, was ich mache und womit

Ich mich befasse.

 

 

 

Wenn ich Blumen male, sind sie nah bei mir

Mit ihren Wünschen und Ideen,

Wie ich es besser, anders machen kann,

Aus Japan, Russland, Schweden, aus dem Zirkus

Einem Märchenwald und einer Hexenwelt.

Die höre ich mir an.

 

 

 

Doch jetzt, zum Ende dieses Winters,

Schauen sie mit Neugier aus dem

Fenster, ob es etwas gibt, das sie von ihm

Den Abschied gerne nehmen lässt,

Und das sie außerdem erfreut.

 

Sie warten deshalb auch voll Spannung

Ob ich ihre Wohnung, wie in jedem

Jahr, mit einer kleinen, weißen, angefüllten

Vase schmücke, ihre

Lust auf Märzenbecher

Wieder stille.

 

 

 

Frost im Wüstensand

 

Ich floh aus einem Land, in welchem blutig

Krieg vom Herrscher und den

Helfershelfern angezettelt worden war.

Die hohen Häuser, selbst die kleinsten Hütten,

Männer, Frauen, Kinder standen hell in

Flammen,

Die entstanden aus dem Feuer eines

Bruder-, Schwester-, Kinderkrieges, und,

Wer seine Habe oder nur den Rest davon,

Wenn überhaupt, verkauft bekam,

Um Schleuser, Meeresüberfahrt

Und rote Rettungswesten zu bezahlen,

Floh, so lang er noch am Leben war.

Den meisten aber bot man ihr Entkommen

Nur mit Drangsalierung und Erpressung an.

 

Zu viele waren viel zu krank, zu alt, zu schwach

Und ließen andre für sich gehen,

Halfen ihnen wo sie konnten, machten Mut und riefen:

„Meldet euch und kommt gelegentlich zurück,

Dass wir von jenem Land, das euch die

Hand entgegenstreckt,

Aus erster Hand erfahren.

Wir hier harren aus und warten auf ein Ende,

Das ist sicher und gewiss“.

 

Sehr viele starben vor der Überfahrt,

Und viele andere ertranken im ersehnten Meer.

Das hatten einige noch nie gesehen.

Erst danach begannen wahre Flucht

Und Leid.

 

 

 

Das Land, aus dem ich floh,

Zerrissen glühende und explodierende Granaten,

Bomben, die ein schwarzer Himmel

Aus der Hand des Herrschers, ehemals

Verbündeten und wieder neuen

Helfern, auf die Städte fallen ließ.

 

In Hinterhalten saßen Schützen, die, gespickt mit

Automatischen Gewehren, zielten und auf alles

Und auf jeden schossen, was und wer sich

Rührte und bewegte,

Oder, wenn sich weiter nichts ergab,

Versuchten, Ornamente in Beton zu schießen,

Kugelsalven auf Verlassenes zu feuern,

Weiße Vasen, die in Fensterhöhlen standen,

Und Geräte, die Verhassten einst gehörten,

Kühlschranktüren, Lampen und Regale in den

Aufgeplatzten Wohnungen, zu treffen.

 

Morgen könnte alles anders und zurück erobert sein.

Darauf vertrauen konnte aber keiner.

 

Meine Füße und die vielen andrer

Mussten durch den heißen

Sand, um zu entkommen,

Schlossen sich darin zu einem Wurm.

Der wuchs und wuchs und wuchs

Und schob sich über Dünen und

Verschwand dahinter,

Doch wir hörten unsre Fährtenleser sagen:

„Nur noch dieses kleine Stück,

Das Meer liegt gleich dahinter“.

 

 

 

Durst und Hunger machten nur des

Nachts ein wenig Rast,

Der Frost im Wüstensand ließ sie nicht zu,

Auf uns saß Angst, nur Angst.

Erst morgens wachte auch die

Hoffnung wieder auf und

Schürte neuen Mut.

 

Wir kamen an die Küste

Und erkannten sie nicht gleich.

Ich aber sah noch weit davor im

Wüstensand den Quader stehen, ganz aus Eis

Und gläsern durchsichtig,

Ein wenig größer als ein Mensch.

Darin stand eingefroren, eingeschlossen eine

Frau, die lehnte sich an seine

Vorderwand, als wollte sie sich vom

Geschehen nichts entgehen lassen.

 

Ich ging aus dem Treck, so dicht es möglich war

An sie heran, erkannte voller Zweifel,

Wollte es nicht glauben, meine eigne Frau.

Sie schien mir zuzuschauen und zu sagen:

„Sei ganz ohne Angst,

Der Eisblock wird nicht schmelzen

Bis du wiederkommst“.

Ihr Lächeln, voller Zuversicht,

Umflutete die Lippen.

 

 

 

Viel der Sehnsucht, wenig Liebe

 

Das Familienglück zu dritt, mit

Vater, Mutter, Kind, war ihm vor

Langem Leben höchster Wunsch

Und wahres Ziel gewesen und erreicht.

Doch dieses Dreigestirn verblasste

Schnell und dauerhaft.

 

An seinem Himmel waren neue

Sonnen aufgegangen:

Firma, Außendienste und als hellste,

Die Geliebte.

Wenn es unbedingt geschehen musste,

Und selbst die Geliebte es nicht zu verhindern wusste,

Fiel trotzdem so mancher Tag zurück in alte Rollen.

Er war dann der Mann im Haus

Und kannte sich dort kaum noch aus.

Die Tochter war im Studium

Und konnte sich für nichts entscheiden,

Aber sich inzwischen einiges erklären,

Das sie sehr empörte.

 

Seine Frau verstand ihn aber irgendwie.

Sie sah, wie schwer er sich bemühte, leider um die

Falschen Dinge und ergriff, mit ihrer

Tochter eng im Bund, die Zügel, um das

Steuerrad herum zu reißen.

 

Sie erfand mit seinem besten Freund, dem Hausarzt

Einen kleinen aber ungesunden

Freundschaftsdienst.

 

 

 

Damit ihr Mann zurück in seine Heimat fände,

Sollte der ihm Karzinom der Lunge

Diagnostizieren, weil er sowieso an Hustenreizen litt,

Und dass er nicht mehr lang zu leben hätte.

Das bescheinigte er ihm tatsächlich,

Zeigte Bilder, gleich mit intensiven

Mahnungen verknüpft.

 

Der Schock saß tief und ließ ihn plötzlich

Häuslich werden und sein Leben, wie er es denn

Führte, überdenken.

 

Die Familie wahrte ihr Geheimnis, bis der

Arzt, in Angst um seine Freundschaft,

Lug und Trug gestand.

 

Er konnte das nicht fassen und

Bestand auf einen zweiten, anderen

Bescheid und glaubte, dass man ihn

Nur schonen wollte.

 

So erhielt er aus dem Krankenhaus die neue

Diagnose, die war, wie von ihm befürchtet

Und so schrecklich wahr.

Davon erzählte er Zuhause nichts

Und nahm sich jetzt ein Zimmer

Ohne der Familie die Adresse mitzuteilen.

 

 

 

Die Geliebte war auf seiner Seite und

Schwieg ebenfalls, zerrissen zwischen

Wut und Panik.

Frau und Tochter blieben ihm zwar nah,

Doch wollte er von ihnen und dem

Arzt nichts wissen.

 

Er entschied sich, letzte Tage seines

Daseins, als die eines Unsinns,

Dem nicht zu entgehen war, in

Losgelöstheit zu verbringen,

Sämtliche Verpflichtungen, die

Körperlichen Hürden und die

Medizin zu ignorieren und stattdessen

Auf gut Glück zu leben.

 

Nur den wenigen Studenten, die bei seinem

Umzug mitgeholfen hatten, schenkte er Vertrauen

Und gab gutes Geld,

Besorgte ihnen alle Unterlagen und die

Vollmacht seine Asche anonym in einem

Friedwald beizusetzen.

Der erlaubte einen kleinen Hinweis,

Ohne Namen, ohne Jahreszahlen, sonst

Wie er es wollte.

Darauf sollte der Besucher einzig lesen können:

„Viel der Sehnsucht, wenig Liebe“.

 

 

 

Eine feine Ungewissheit

 

Ich bin Eismeerhai und lebe in

Sehr großer Tiefe, dort wo

Finsternis, so hörte ich,

Selbst Licht verschlucken soll.

Doch davon weiß ich nichts,

Ich bin fast blind, und wo ich lebe

Würde Sehen nichts bedeuten,

Auch die Wesen, die im Eigenlicht erscheinen,

Täuschen dies nur vor.

In Wahrheit sind es schwache

Wellen, die sie senden, und die mir den

Weg zu ihnen weisen, dass ich sie zur leichten

Nahrung wähle, denn ich

Jage nie wie andere.

Sie ändern ihre Lage kaum,

Bewegen sich in einem Stillstand,

Den ich nur durch noch mehr

Langsamkeit und Ruhe, hohen Spürsinn,

Überlisten kann.

Ich sammle und fang auf was niederfällt.

 

Gerüche, die sich um mich legen,

Schützen mich vor kleinsten Tieren,

Saugnapfrunden Egeln,

Die in ihrer Vielzahl töten könnten,

Würde ich mich aus der Wolke schälen.

 

 

 

Sonst leb ich allein und spüre nichts von

Einem Eisgebirge über mir,

Das manchmal bis in bodenlosen Abgrund taucht.

Ich komme kaum voran und

Werde über lange Zeit bewegungslos zu einem

Teil des Grundes,

Warte dort auf eine Neuerung,

Die ich nicht kenne und mir sonst auch nicht

Beschreiben könnte, wenn es nicht die

Hoffnung auf Begegnung und Gelegenheit,

Auf eine

Gleichgesinnte in der Dunkelheit zu stoßen,

Gäbe.

 

So hält mich zu andrer Zeit

Ein fremder und doch wohlbekannter

Eigenartgeschmack in Schwebe und

Erzwingt den Antrieb, der mich eine ganz bestimmte

Richtung treiben lässt.

 

 

 

An meiner Haut befinden sich sensible Felder,

Die beschützen mich vor

Unachtsamkeit und bereichern mich zugleich.

Durch sie erahne ich die

Suche nach dem Wohlbekannten,

Wohlvertrauten, das ich scheue und mir doch

Ersehne.

 

Neugier treibt mich immer tiefer,

Dorthin wo die Flüssigkeit zu Gegenständlichem

Und kaum noch zu Durchdringendem

Zu werden scheint,

Und damit langsamste Eroberung begünstigt,

Einzige Voraussetzung in einem

Liebesspiel, das beiden das

Entkommenmüssen zum verspielten

Bleibenwollen wandelt.

 

Dieses oberste Erreichen meines

Lebenszieles lockt mich sehr.

 

Auch eine feine Ungewissheit

Treibt in wunderbarem

Wohlgeruch zu mir, ob ich sie finden,

Auf sie treffen werde, ob wir in Gemeinsamkeit,

In Stillstand und in Langsamkeit,

Das uns Bekannte und Vertraute,

Gegen Neues, Unbekanntes

Tauschen werden?

 

 

 

Gegenglück

 

Er machte sich an diesem Abend spät auf seinen

Weg nach Hause.

Viel in seinem Leben war nicht

Wunschgemäß.

Er wäre gerne Arzt geworden oder Lehrer und

Begnügte sich stattdessen damit, nun in seiner

Firma Handbuch Nummer drei neu zu verlegen.

Das erleichterte den Arbeitern im Ausland

Komplizierte und einmalige Zusammenhänge.

Er vermisste manchmal so ein Handbuch für sein

Eignes Leben.

Immer schlummerte in ihm ein Mangel, den er selber

Nicht benennen und beheben konnte.

 

Heute fuhr er nicht mit seinem Wagen, brauchte

Zeit für sich.

Vielleicht würd er an einem Imbiss etwas zu sich nehmen,

Dachte kurz an sein Zuhause, seine Frau und

An die Kinder, das erschien ihm fast als

Werbespot, der grad gesehen, schon vorüber war.

Und war doch nicht vorbei,

Kam jeden Tag erneut, war ohne Unterschied zu

Gestern Abend oder dem vor fünf, sechs Tagen,

Wochen oder Monaten.

 

 

 

Er suchte, um sich zu erleichtern, in dem

Kaufhaus die Toiletten auf, die waren sauber,

Und um diese Zeit wär er alleine dort.

Das war ihm wichtig.

Andre Männer an der langen Reihe

Weißer Stände hinderten ihn sein Bedürfnis zu entrichten

Ohne ihm den Zwang zu nehmen.

 

Es stand niemand vor den Becken.

Doch schon bei dem Eintritt fiel sein

Blick auf eine Frau, die hier mit

Abgesenktem Blick für Sauberkeit und

Ordnung sorgte, dann jedoch mit einem

Augenaufschlag nach ihm sah.

Ihr Blick verwirrte ihn, und er vergaß sofort

Die Absicht seines Eintritts.

Es kam neue Kundschaft und

Sie waren so nicht mehr allein, doch

Keiner nahm Notiz von ihnen.

 

Er entschloss sich und ging langsam auf sie zu.

Dann sagte er, fast scheu und wie entschuldigend:

„Darf ich Sie etwas fragen?“

Dabei dachte er, vielleicht versteht sie meine

Sprache nicht und bangte für den

Bruchteil eines Augenblicks.

Doch ihre Stimme öffnete ihm neue

Himmel als sie sagte:

„Bitte“.

Er, und immer noch verlegen, sagte:

„Falls Sie es erlauben, würde ich Sie

Gerne und auch nur auf eine Tasse

Kaffee oder Tee, aus dieser Räumlichkeit

Entführen wollen,

Es ist mir ein großer Wunsch“.

 

 

 

Sie sagte leise und mit einer Stimme, die die

Glöckchen seines Himmels läuten ließen:

„Dafür brauch ich etwas Zeit.

Ich komme gerne, und wir treffen uns gleich

Vor dem Eingang, ich will nur schnell

Duschen“.

Ihm entschlüpfte:

„Ich werd draußen auf Sie warten,

Danke“.

 

In dem Restaurant mit Speisekarte und

Sehr freundlicher Bedienung wurden sie sich

Aber einig, lieber einen

Kiosk um die Ecke, wo sich Leute drängten,

Aufzusuchen.

 

Auf dem Weg dorthin verschmiegte sie sich fest in

Seinen Arm als wäre sie bei ihm Zuhause,

Und ihm schlug das Herz im Hals

Wie damals vor so langer Zeit,

Bei seiner ersten, unerfüllten Jugendliebe.

All die Jahre hatte er daran gedacht und

Hätte nie geglaubt, das gleiche noch einmal

Zu finden,

Die Erinnerung und deren

Gegenwärtigkeit dagegen schien ihn nun direkt

Und ohne Umkehr in die Arme

Dieser Frau geführt zu haben.

 

Solches Glück war unermesslich

Und ein Gegenglück zu dem, was ihm bisher

Beschieden war.

Das wuchs in ihm,

Das wollte er für alle Zeit zum

Blühen bringen.

 

 

 

Er las Voltaire

 

Er las Voltaire und den

Verhängnisvollen Satz:

„Die Welt in der wir leben,

Ist die beste, die es gibt“.

 

Das zu verstehen fiel ihm anfangs leicht,

Denn seine Frau war ganz im Gegenteil zu ihm

Sehr reich.

 

Er hatte sich in sie verliebt, geheiratet,

Und ihren jugendlichen Sohn, so gut es ging,

Als Treibgut, dem er gerne sein Vertrauen schenkte,

In die Ehe einbezogen.

Seine Frau jedoch bewies ihm schon im zweiten Jahr,

Wie sie, von Herrschsucht gradezu besessen,

Ihn zuerst in aufgestautem Zorn und später schon

Bei Kleinigkeiten schlug.

Er aber lebte in dem Satz des Philosophen,

Dachte über einen Ausweg niemals richtig

Nach.

 

Als dann ihr Sohn an ihm die blauen

Flecken sah und sich

Zusammenhänge zu erklären suchte,

Schwor er seinem Gott, dem Philosophen,

Endlich ab.

 

 

 

Er glaubte nun an eine bessre Welt

Und dass die Frau sich ändern könnte,

Wenn er sie in ihrem Firmenstress

Zuhause mit ein wenig mehr

Verständnis und Geduld und Umsicht in der

Haushaltführung unterstützen würde.

 

Er verteidigte sich vor sich selbst,

Und ihrem Sohn schwor er, dass es ein

Unfall an der Haustür, auf der Treppe war,

Dass er gestolpert sei und gegen eine

Tür gelaufen wäre.

Das ging lange gut, weil er auch keinen

Ausweg fand und neuerdings,

Nur und zusammen mit dem Sohn,

Der einen neuen Vater in ihm wollte,

Beider Leben überleben sehen wollte;

Und zugleich erkannte er, dass dieses

Liebenswerte Treibgut sich in seinen

Rettungsring verwandelte,

Und noch etwas geschah,

Denn er verstand, dass immer nur die

Welt, in der man lebt, die beste war

Und nicht die beste die, in der man

Grade lebte.

 

 

 

Er war fest entschlossen, auszubrechen und ging

Mit dem Jungen in den Bäckerladen, wo sie reichlich

Frühstück zu sich nahmen, und er dann gestärkt

Von einem Arzt die Folgen häuslicher Gewalt sich

Attestieren ließ.

 

Zuhause schwor die Frau nun endlich

Besserung und so etwas würd sich nie

Wiederholen.

Doch sie herrschte ihren Sohn in alter Weise an:

„Du bleibst bei mir, du bist mein Kind

Und ich bestimme über dich“.

Der aber blieb in seinem Willen fest

Und wollte seinem Vater Hilfe geben, die ihm

Selbst in all den Jahren nicht zuteil geworden war.

 

Er dachte oft noch über Philosophen nach

Und deren Doppelzüngigkeit.

Und seiner Frau, die er zusammen mit dem Sohn

Verlassen hatte,

Wünschte er Erwachen wie es ihm

Geschehen war.

 

 

 

Bigamie

 

Er las die Mahnung eines

Marcel Proust.

In dessen Werk vertiefte er sich während tagelanger

Überfahrten seines Schiffes von den

Küsten Deutschlands zu den

Inseln Schottlands und zurück.

Die Touren waren immer gleich.

Er las ihn nun zum zweiten Mal.

Der Autor schrieb in langen

Schachtelsätzen, Ausführungen und

Verästelungen, die sich selbst anschickten,

Eigenständige Erzählungen zu werden.

 

Der Band sechs war überschrieben,

Sodom und Gomorra.

Dabei fiel ihm ein brillanter Satz ins Auge,

Der in seiner Kürze und der Klarheit,

Unvermutet als ein Blitz vom

Stein der Krone eines Königs,

Eines Würdevollen unter den Missratenen,

Nur ihn betraf, ihn ganz persönlich:

„Achte darauf, dass dein Herz nicht kalt wird“.

 

Heimlich lebte er in Bigamie und war

Geschickt darin.

In beiden Heimathäfen traf er seine Frau.

Er liebte sie aufrichtig,

Sprachprobleme gab es für ihn nicht.

Das Geld war reichlich für die zwei

Familien, denn er war auch Vater

Dies- und jenseits der oft stürmischen

Gewässer.

 

 

 

Was hier teuer war, kam auf der andren

Seite sündhaft billig, und, was er verdiente,

Hüllte er in Schweigen.

Das ging viele Jahre gut.

Das Schiff schien sein Zuhause,

Nur das eine und das andre Mal wär er am liebsten

Und für alle Zeit in einem Land bei seiner

Frau geblieben und empfand sein neues Fortgehn

Dann als eine Art Bestrafung.

Seine erste Frau warb anfangs mit Verstehen und riet

Unumgängliches doch anzunehmen.

 

Unerwartet überraschte ihn ein

Angebot der Reederei, als drittes Land zusätzlich

England anzulaufen.

Das gäb größeren Verdienst.

Es sollte jedoch niemand sich zu schnell

Entscheiden oder gar gezwungen fühlen.

 

Diese Möglichkeit eröffnete ihm neue

Dimensionen, und er hätte ganz auf sein

Geschick vertraut, wenn nicht seit dieser Mahnung

Angst dazugekommen wäre,

Angst ums eigne Glück.

So wollte er nicht selbst entscheiden

Sondern seinen beiden Frauen jeweils die

Entscheidung überlassen.

Damals wurde mit dem Ratschlag seiner ersten

Frau bei ihm auch die Idee zur Bigamie

Geboren.

 

 

 

Die Gefahr, dass eine ihm dazu,

Die andere dagegen raten würde,

War sehr groß.

Und was wär dann?

Und alles zu belassen wie es war?

 

Natürlich waren beide Frauen, unabhängig

Voneinander, gegen jede Änderung,

Egal auf welche Weise.

Das betonten sie und sagten jede fast im Scherz:

„Das kannst du schriftlich von mir haben,

Wenn es sein muss“.

Das gefiel ihm sehr und unter einem

Vorwand, dass die Reederei auch etwas in den

Händen halten müsse,

Gab ihm jede schriftlich, dass sie

An dem Lebensumstand ihres Mannes

Nichts verändert sehen möchte,

Dass sie darum bittet,

Alles sollte bleiben wie es ist und war.

 

Die Briefe nahm er mit an Bord

Und hing sie, unter Glas gerahmt,

Im Raum etwas versteckt

An die Kabinenwand.

 

Dort wollte er in Abgeschiedenheit und

Freude über so viel Liebesglück,

Doch auch in Selbstzufriedenheit

Sie immer wieder lesen.

Trotzdem öffnete sich ihm nicht mehr die

Tür in diesem Wartesaal, die in ein warmes

Zimmer führte.

 

 

 

Deines Gärtners Kunst

 

Sie sah im Innenhof dem Gärtner bei der

Arbeit zu.

Es schien, dass sein Gesicht sich hinter einem

Atemschutz verbarg,

Der stellte sich sehr schnell als

Bart heraus, der Mund und Wangen

Überwucherte.

Von einer Leiter aus schnitt er die langen

Äste vieler knospenreicher Bäume

Unter heller, warmer Frühlingssonne.

Mochte sein, dass sie dadurch geblendet war.

 

Schon als sie ihn entdeckte, wurde ihr die

Leiter zur Umarmung,

Und sie lehnte sich daran.

Es war ein eigenartiges Empfinden.

Unter weiße Haut in Blut getaucht,

Ließ es die Wangen spüren.

Ja, es stach so deutlich,

Dass sie es beschreiben könnte,

Ihre Lippen aber überzogen sich

Sekundenlang mit Trockenheit und Kälte.

 

Er bemerkte sie sofort und stieg

Herab mit einer Frage, die er stellen wollte,

Sie kam ihm zuvor:

„Beschneidest du die schönen Bäume,

Die sind nur noch Stunden vor der

Blüte, das versteh ich nicht, das ist so schlimm“,

Und sie verstand, ihr Traum vom Blühen wurde jäh

Zerbissen und fand dafür keine Worte,

Dachte einen Augenblick an Weinen.

 

 

 

Aber würde sie die Tränen überhaupt als

Schmerz um den Verlust der Blüten

Oder um den Mann, der ihr so nahe war,

Verstehen, oder gar als Selbstmitleid,

Weil sie in einer Trauerfalle steckte?

 

Wortlos bückte sich der Mann mit einem Seitenblick zu ihr.

Vom Boden nahm er einen Zweig mit ersten

Rosaroten Blütenrändern.

Die zerrissen, schon im Aufbruch, ihre grüne

Knospenwand.

 

Sie schluchzte einmal auf.

Das tat so gut.

Dann nahm sie seinen kleinen Ast

Und schloss im Puppenschlaf die Augen.

Das blieb ihm verborgen

Als er zu ihr sagte:

„Jeden dieser Bäume wird mein

Können hoch erfreuen und ihn tausendfach

Erblühen lassen.

Dabei wünsch ich mir, dass du den einen kleinen

Ast in eine Vase stellst und an mich denkst, wenn er

Bei dir in Rosarot und Gelb erwacht.

Das kann schon heute Abend oder

Morgen in der Frühe sein.

Ich wäre gern dabei“.

 

 

 

Sie blinzelte ins Sonnenlicht und

Sah darin die violetten, blauen, grünen

Blitze und dazwischen kleinste schwarze Punkte,

Die sich nicht erhaschen ließen,

Blickte sich dann nach dem

Redner um, weil sie ihm eine

Antwort geben wollte.

 

Aber der, die langen Leitern, die Geräte,

Die er bei sich hatte, waren fort,

Als hätte es das alles nie gegeben.

Nur die endlos vielen, gleichen Blütenbäume

Ließen ihre langen Äste sich in einem

Windhauch heben und dann wieder senken.

 

Spät am Abend erst sah sie den Gärtner wieder.

Der kam aus der Ferne auf sie zu.

Bei jedem Schritt im Näherkommen

Zündeten die Bäume lichterloh als

Blütenfackeln gelb und rot, und Flammen,

Die bis in die Kronen schossen,

Mischten sich im Licht des

Sonnenuntergangs.

 

Es schien ihr alles nur für sie zu sein.

 

Er stand jetzt dicht vor ihr

Und bat um ihre Hand:

„Ich will mit dir in deiner Vase

Nach dem Ast der Blüten schauen,

Dir die schöne Last des Zweiges,

Wenn du es erlaubst,

Durch deines Gärtners Kunst

In leichtes, süßes Flügelschlagen

Wandeln“.

 

 

 

Der Himmel kam zu mir

 

Wir kannten uns erst ein paar Wochen.

 

In mir völlig fremder Sprache,

Sang sie gerne Lieder in der Freizeit,

Ganz vielleicht, mir zu gefallen, denn sie

Sprach sonst meine Sprache.

Dabei züngelten auf ihrer Stirn die

Kleinsten Fältchen als ein Feuer, das mir

Bilder von Verlassenheit und

Sehnsucht nach Geborgenheit und Obhut zu

Beschreiben schien.

Ich hörte zu,

Und manchmal drängte sich mein eigner Text hinein,

Der hätte passen können,

Doch ich wusste nichts von ihrem Land

Und hätte mich auch nicht

Auf Filme und Erzählungen berufen können.

 

Ihre Melodien enthielten viele halbe Töne,

Schluchzten oft in schnellem

Rhythmus, dass mich eine Traurigkeit

Erfasste, grade und nur so, dass sich ein

Seufzer über meine Lippen hätte stehlen können,

Doch verhaspelte sich der sofort in

Dünnen Gräsern meines:

„Nein, das kann nicht sein, sie wirbt um mich“!

 

Sobald wir miteinander sprachen, kam sie mir

Sehr nah und doch nicht näher.

Meine Scheu vor ihr war groß.

Ich würde niemals Gärten andrer

Unerlaubt betreten.

 

 

 

Wenn sie sang, sang auch ihr Körper mit.

Die Hände wurden schlangengleich zu

Fängerinnen.

Ihre Fingerspitzen huschten

Ausgestreckt und weit vom Körper als

Gespaltne Zungen vor und rollten dabei immer wieder

In die Mulden ihrer Hände.

Ihre Hüften konnten sich im Gleichklang

Schnell und sehr, sehr langsam

Heben, senken, die Bewegung in den

Oberkörper fließen lassen.

 

Ihre schwarzen, hochgesteckten Haare hielt ein

Rot und grün lackierter Kamm, vielleicht ein

Schnitzwerk, so zusammen, dass doch etliche

In Lockenform entwichen, auf die

Schultern rollten und den Schlangentanz ergänzten.

Auf dem schlanken Hals verschob sie ihren Kopf

Sekundenlang in Anmut,

Ohne ihn zu neigen, hin und her.

 

An einem dieser Tage machte ihre beste Freundin

Unverhofft Besuch und zog sich gleich,

Als sie uns sah, ein weißes Tuch im Schleier

Über Lippen und die Nase,

Senkte ihren Blick in Scham und

Drehte sich zurück zur Eingangstür.

 

 

 

Mit einer Geste ihres linken Arms, den sie

In Richtung ihrer Freundin streckte,

Winkte sie der zu, das Singen und das Tanzen zu

Beenden, hauchte dann ein Wort der Abwehr:

„Nein“ und noch einmal.

Das war in allen Sprachen zu verstehen.

 

Sie jedoch kam nun direkt auf mich

Und öffnete ihr langes Kleid.

Sie schenkte mir den Blick

Auf ihre ganze Freiheit.

Die hätt ich mir gerne selbst erobert,

Doch verschleierte sie sie sehr langsam wieder hinter

Einem Hauch Batist des Unterkleides.

Eng an ihr, fing es die Augen, zu Verführen, ein.

 

Sie stützte sich auf meinen Unterarm,

Hob ihr Gesicht und gab mir einen Kuss,

Der füllte meinen Mund

Und sank tief in die Brust.

 

Was für ein köstliches Geschenk.

Sie trug mir ihre Liebe an.

Der Himmel kam zu mir,

Nicht umgekehrt, dass mich ihr

„Ja“

Den Himmel hätte finden lassen sollen.

 

 

 

Tor der Welt

 

Eigentlich wollt ich nie wieder davon

Sprechen, dass das

Brot sich auf dem

Dreieck deiner Schenkel besser aß

Als deine Liebe, die, ein Nimmersatt,

Der Hagerkeit die Wangen

Küsste.

 

 

 

Du lagst dabei ausgestreckt auf

Tagessterneübersäter Wiese,

Die du pausenlos bereutest.

 

Trotzdem grünte sie in einem fort.

 

Im Speisen lernte ich noch ihre

Gänseblümchen mit den Zehen zu

Ergreifen und zu pflücken.

 

 

 

Jeden Stängel dieser weißen

Küsse ritzte ich mit meinen Fingernägeln,

Sie dann, gegenseitig dort hinein gefädelt,

Mir im Kranz ums

Tor der Welt

Zu legen.

 

 

 

Lebensretter

 

Lebensretter retten immer nur die eine

Seite, die sie packen und erfassen können.

 

Er, ein vaterloser Jugendlicher, war fast wie verliebt in seine

Mutter, die ihn darin unterstützte, und sie machte

Keinen Hehl aus ihrer Gegenliebe.

Als er älter wurde, wuchs nicht nur die Liebe aus zu Liebe,

Sondern Hass und Abscheu, die sich eingeschlichen hatten,

Wuchsen mit.

Er wollte und er konnte sich ihr nicht entziehen,

Fühlte sich als ihr Beschützer, nur vor was,

Sah einzig sich als die Gefahr, die drohte.

Stets war sie um ihn besorgt und immer

Aufmerksam und freundlich,

Statt der Mutterliebe sollte in ihm Frauenliebe zu ihr reifen,

Ihre Weiblichkeit ihn dabei leiten.

Das tat ihr so gut.

 

 

 

Sie sah sich dennoch auch als Opfer,

Weil sie irgendwie auf irgendwas verzichtete.

Im Bad, bei ihrer Körperpflege, bat sie ihn zunächst um

Kleinigkeiten, dass er ihr ein Handtuch reichte,

Später wusch er ihr den Rücken, und sie führte seine

Freie Hand, die festen Halt versprach, an

Wohlgeformte, weiche Stellen ihres Körpers.

Das tat ihm so gut.

 

Er konnte sich trotzdem nicht mehr

Ertragen und las in gewagten Büchern nach,

Wie man sein eignes Leben enden lassen könnte

Und entschied.

Er machte aber alles falsch.

 

 

 

Der Pfeiler, gegen den er mit dem Wagen raste,

War die Schranke einer

Einfahrt, die ihn fast erdolchte.

Erste Helfer und viel Medizin mit ihrer Technik

Konnten ihn zwar retten, doch den

Rollstuhl würde er nie mehr verlassen.

Noch im Krankenhaus gestand ihm seine

Mutter unter Tränen, dass sein

Vater sie in zweiter Ehe früh verlassen hätte,

Und er sei in Wahrheit Sohn von dessen

Erster Frau, und sie beteuerte, dass sie ihn wirklich liebe.

Das jedoch wurd ihm zum wahren Dolch;

Der traf ihn aus dem Hinterhalt und saß von nun an fest

In seinem Rücken.

 

 

 

Vogelweibchen

 

Du quältest dich, und letzten Endes

War es doch umsonst.

 

Du siehst gewissenhaft und langsam in den

Spiegel, und was von dir ist.

 

Du fragst die Wand dahinter,

So verwirrt bist du.

Du siehst jedoch, wie sich die

Reflexionsschicht, die dein Bild ermöglicht,

Auflöst und mit dir zu

Boden sinkt.

 

Du denkst sekundenlang an jenes

Märchen von der schönen Königin

Und ihrer Tochter, die stets

Schöner ist als sie.

Doch noch wächst deine Schönheit,

Wird mit tausend Worten

Aufgewogen.

 

Trotzdem, wenn du ganz alleine bist mit dir

Und ohne deine ewig dumme

Gegenwart, die sich in teure Kleider hüllt,

Hebst du mit beiden Händen deine

Brüste an, bist dir so schrecklich

Selbstverliebt, dass du den Leib an seinen

Spitzen Enden küssen musst.

 

 

 

Das bringt dir aber keine Lust,

Auch der Gedanke nicht,

Du hättst dich besser dafür hingegeben.

 

Allzu gerne würdest du der Welt verraten

Wie man dich um dich betrügt.

Es ginge anders besser, leichter und gerechter,

Wenn es einer hören könnte;

Und so lügst du weiter in dein

Spiegelbild und summst ein

Kinderlied, das fällt dir grade ein.

Es singt von einer Unschuld, die im Hochverrat

Durch falsche Rufer und durch

Nachtlaternen an dem andren Ufer,

Unterging.

 

Dann schaust du wieder in den unscheinbaren

Boten, der dich nicht berühren kann.

Und nähmst du ihn zu dir, ja, fräßest du ihn auf,

Er bliebe nur das Teil von dir,

Das du ihm gönnst.

 

 

 

Dann tritt ein Mann, den deine

Stimme rührte, in das Zimmer

Und kommt grade recht.

Er steht an deiner Seite und wie du im gläsernen

Gewand.

Ihr könntet nichts von euch und nichts

Vor euch verbergen, und die weißen

Federn, die ihm überall am

Nackten Körper wachsen,

Würdest du ihm lassen,

Alles dafür tun,

Dass er sich ungeschoren aus dir tränke,

Seine Körner aus den Mulden hole,

Die du sonst verstecktest,

Wenn er dich nur für sein

Vogelweibchen hielte.

 

Deine Käfigtür steht dabei weit, weit

Offen.

 

 

 

Polygame Schlinggewächse

 

Für die beiden Schwestern, die sich liebten und vertrauten,

Sich um knapp ein Jahr im Alter unterschieden,

Stand schon früh in ihrer Kindheit fest,

Dass sie nur einen Mann,

Sie beide einen und denselben Mann

Gemeinsam haben wollten.

Dafür würden sie auf einiges verzichten,

Heirat und den Kindesvater nennen, falls es

Kinder gäbe, oder ihn benennen, wenn es denn sein

Wille wäre.

 

Er, den sie sich schließlich auserkoren hatten,

War noch etwas größer als die beiden, die ganz

Schlank und hochgewachsen, andre überragten

Und sich sonst in dem, was sie für richtig hielten,

Äußerst einig und im Aussehn, der Gestalt,

Sehr ähnlich waren.

Beide konnten mit den blonden Haaren,

Streng zurück gekämmt und

Dann, als Lockenpracht in Blütenschalen

Sich im Nacken öffnend,

Unter Sonnenlächeln andere mit sich beschenken.

 

Er war stolz, weil er die beiden

Gradezu mit Leichtigkeit für sich gewann,

Es nahm ihm fast den Atem, den Verstand.

Die Schönen sahen ihn mit

Herzen in den Augen an und scheuten sich

In keiner Weise ihre Liebe gegenseitig

Und ihm zu gestehen.

 

 

 

Anfangs lagen alle drei des Nachts zusammen,

Dann entschieden seine Frauen eine

Trennung, die sie oft nicht ordneten, weil

Eine erst nur eine Nacht und später auch die nächste

Nah an seiner Seite liegen wollte,

Und die andere sich freundlich danach richtete.

Er fragte dann nicht viel und dachte,

Warum nicht.

 

Sie lebten in dem großen Haus, das beide Frauen,

Um dem Ziel der Wünsche nah zu kommen,

Sich ersparten und erbauen ließen.

Jede wurde zweimal Mutter, und er glaubte an die

Liebe, die ihn oft erfüllte, und an die Gedanken,

Die ihn nach der Wirklichkeit in seiner Liebe fragen ließen.

Dafür fand er seinen Freiraum durch die

Forschungsarbeit vor den weit entfernten

Inseln tief im Südpazifik.

Dort erweckten Polygame Schlinggewächse, deren

Art zuvor noch nie beschrieben wurde, sein Intresse.

Ihr Erscheinen und so plötzlich,

Übersprang die Regeln jeglichen Verstehens.

 

Hier, bei seiner Arbeit suchte er Erholung

Und den Abstand, den er brauchte.

Seine eigentliche Frage aber, wer vielleicht

Erfahre Unrecht und von wem in seinem Leben,

Beide Schwestern, weil er glaubte sie zu lieben,

Oder er, weil sie ihn sich zum Treffer machten,

Blieb ihm ohne Antwort und ein Rätsel.

 

 

 

Der Verdacht jedoch, dass einerseits ihn

Eine unbewusste Neigung

Ungewollt zu ihrer Marionette machte,

Und die Frauen stark erregte,

Und dass, Machenschaften andrerseits und

Egoismus im Komplott, das Werk, ein Kunstwerk,

Dieser beiden sei,

Ließ ihn nicht los.

 

Im Forscherdrang geriet er aus

Notwendigkeit bei einem großen Fest zu nahe

An die Tochter eines Stammesfürsten.

Jetzt erfuhr er erstmals jenes Wohlgefühl des Mannes,

Den die Liebe plötzlich streift.

Er sonnte sich darin.

Es wurde später Abend und man hatte das

Geschehen rundherum bemerkt.

Die junge Frau ließ sich, weil es so unumstößlich

Brauchtum war, mit einer Demutsgeste vor den Ältesten,

Zu seiner Frau erklären;

Und in deren Tradition war es nur gut,

Dass er auch anderswo gebunden war.

Das sprach für ihn.

So ließ sie über ihren Vater sagen,

Dass sie ihm in allem folgen wollte und die

Beiden jüngeren der Schwestern auch.

Sie zogen alle vier ins Haus der Braut.

Hier nahmen sich die Schwestern rücksichtsvoll und

Frauensanft gemeinsam ihres Gatten an.

 

Er träumte einen Augenblick von großer

Liebe zu nur einer Frau.

Doch der Gedanke war schnell auf der

Flucht vor dem, den Anfang einer neuen

Welt auf solche Weise zu verpassen.

 

 

 

 

Undine

 

Er radierte schon ein Leben lang die

Liste seiner Liebe.

Dort vermerkte er nur die, die keine

Ware brachten.

Übergroß und überschwer war seine Körperfülle,

So behäbig, dass er seine

Kleidung machen lassen musste.

 

Eine andre Liste gab es nicht, und dieser

Liste nahm er ihre letzten Namen.

Alle machte er zu abgestorbenem

Gestrüpp, das einem Feuer armer

Sammler überlassen bleiben sollte.

Seine Sehnsucht, eines Tages anzukommen,

Lag begraben neben seiner

Einsicht, für die eigne Unvollkommenheit

Gezeichnet und verantwortlich zu sein.

 

Er war sehr reich und hatte nie die

Qualen des Erreichens eines eigenen

Erfolges spüren sollen.

Sein „lieb Mütterlein“,

Bescherte ihm den Wohlstand,

Auch wie er zu nutzen sei

Und auch mit wem, das hieß für sie mit

Niemandem.

 

 

 

Er setzte sich, als sie verstorben war, im

Krankenhaus auf eine Bank im Flur,

Gleich neben eine junge Frau, die saß aus

Blei gegossen, ohne Regung.

Ihre Haare fielen schulterlang in goldnen

Ähren, die die Zugluft dieses Ganges

Als ein Teil des Feldes aus Getreide, langsam

Und in leichten, langen Wellen hin und her

Bewegte.

 

Dabei wandte sie den Kopf mit großer

Kraftanstrengung sehr, sehr langsam zu ihm hin

Und sagte, zu bedächtig für sein Ohr:

„Ich bin Undine“,

Dabei sprach ihr Mund mit

Flügeln eines Schmetterlings, der auf der

Blüte ruht, den Nektar saugt und zwischen

Ein, zwei schnellen Flügelschlägen in

Verzögerung verfällt, im Stillstand wartet.

 

Er sah ihren Mund,

So feucht, so lieb, so nah und ihre

Wangen rosig, Kirchenfensterglas vor Abendsonne.

 

Sie behielt die Ruhe der Bewegung bei

Und drehte ihren Kopf zurück.

Als redete sie zu den Knien,

Entschlüpfte ihr:

„Wir können nichts mehr tun,

Wir sitzen beide vor den Sterbezimmern“.

 

 

 

Dann, als fiele ihr noch etwas ein:

„Wenn ich mich schnell bewege oder zu schnell rede,

Überschlagen sich bei mir der Wille und die

Unbewusste Steuerung.

Ich bin nicht krank, so wie man krank ist,

Was ich brauche ist ein starker Stamm,

Der sich und mich in seinen

Zweigen wohnen lässt“.

 

Sie war sehr gut gekleidet,

Darin kannte er sich aus.

 

Sie schälte sich noch einmal aus der

Bleifigur, und wollte sich erheben.

Da erkannte er den Kurzschluss zwischen ihrer

Absicht und der körperlichen Möglichkeit,

Und fing sie auf.

Sein ungeübter Griff jedoch ließ sie im

Schmerz sich wieder niedersetzen.

Ihr Gesicht verriet ihm nichts, doch

Er war über sich entsetzt.

 

Er zog sie nun, an sich gestützt, mit

Vorsicht und ganz leichter Hand, und so

Behutsam wie es ging,

An seine übergroße Brust.

Er sagte leise in ihr Ohr:

„Wir gehen jetzt gemächlich, Hand in Hand,

Aus diesem Haus.

Das ist, so glaube ich, der schnellste Weg

Und auch der sicherste,

Und nichts wird uns mehr halten“.

 

 

 

 

Suche nach versagtem Liebesleben

 

Ohne Absicht hörte ich, wie andere

Von einem Garten als von einem

Wundergarten sprachen, dessen

Bäume, Pflanzen, Blätter

Schattenspiele schufen,

Die durch Winde angeregt,

Ein Eigenleben führen konnten.

Menschen, die in ihm spazieren gingen,

Ahnten, rochen und erfuhren manchmal, wie sie

Teil von einer Handlung wurden, die nicht zu

Begründen und nicht zu erklären war.

 

Der Garten reizte, ihn an warmen, lauen Tagen,

Nicht nur in den Abendstunden, zu begehen.

Dann war aber trotz der vielen Menschen keiner zu

Erblicken, ausgenommen der und die,

Die man zu sehen wünschte, und

Natürlich fand sich jeder selbst.

 

An einem solcher Abende entdeckte ich nicht nur den

Garten sondern darin dich.

Ich sah dich unter den Gesichtern blasser Frauen segeln.

Ihre Lichtgestalten, angehellt von

Mondschein und der fernen Stadtbeleuchtung,

Beugten sich fast zum Berühren bis zu dir herab.

 

 

 

Tief unter hohen Bäumen, deren Kronen

Abendwolken über Blätterschatten auf dem

Boden ziehen ließen,

Stilles Wasserkräuseln auf der Oberfläche,

Fuhrst du deinen Kahn mit Ruderblättern und

Bewachtest über dir die Frauenbildnisse.

Sie schienen zwar vertraut,

Doch trauen durftest du den Bildern nicht,

Denn bald schon traf dich starker

Wind von ihnen,

Ließ das Boot beinahe kentern.

 

Du triebst ganz alleine auf dem Wasser,

Niemand hätte helfen können.

 

So erfuhrst du, als sie dich im Sturm erfassten,

Ihren Willen dir zum Herrn zu zwingen,

Unterwarfen sich jedoch dafür sogleich

Mit schleiervoll verhängten Blicken jeglichem

Verlangen, das du für sie hegen solltest.

 

Abendstille strömten sie nun aus.

 

 

 

Sie machten scheinbar sich dir zum Geschenk,

Doch müsstest du von nun an dich

In allem in sie teilen.

 

Da entschiedst du dich für Flucht in

Schatten schwerer, süßlich, duftender Gewächse,

Die das Ufer endlos säumten,

Und als Anfang einer Dunkelheit in unbestimmter

Ferne mit der Nacht verschmolzen.

 

Ich nahm letzte Tropfen einer faden

Silberfährte auf dem Wasser wahr, dann löschte

Finsternis die Spur,

Und du verschwandst mir aus den Augen.

 

Einzig wusste ich, dass du alleine lebtest.

 

Einmal traf ich noch auf Segel

Irgendeiner Nachtfahrt unter den

Gesichtern blasser Frauen.

Deren fahles Leuchten irrte hin und her,

Vielleicht in neuer

Suche nach versagtem

Liebesleben.

 

 

 

Von Liebe wurde nie gesprochen

 

Die Geschichte eurer Liebe scheint so

Intressant, dass ich sie von euch hören möchte.

Alle Welt spricht über sie.

Man weiß, dass ihr vor etwa zwanzig

Jahren zueinander fandet.

War das Zufall oder Schicksal?

 

Ich bin Journalistin und besuchte sie,

Die mit der Tochter, sonst allein, auf ihrer

Südseeinsel leben.

Er stieg aus, mit sehr viel Geld, und sie

Kam an, mit nichts.

Sie suchten etwas,

Das sie nicht erzwingen konnten

Und doch beide in sich trugen.

 

Seine Tochter aus der anderen

Verbindung klagt:

„Sie zahlt nicht einen Cent und raucht mir meine

Zigaretten weg.“

Ihn rührt das nicht.

Mit einer Selbstgedrehten schräg im Mund

Trinkt er daran vorbei,

Zieht neue Saiten auf die Holzgitarre und

Versendet liebevolle Blicke,

Redet dann durch seine

Schulterlangen Haare:

„Wer sagt, dass es Liebe war.

Ich nahm und nehme alle auf, die zu mir

Kamen und die kommen.

 

 

 

Sie war eines Tages auch dabei.

Und blieb und blieb.

Nur einmal habe ich sie rausgeschmissen.

Das war mitten in der Nacht.

Da war sie aber weiter nicht als bis zum

Strand gekommen.

Morgens war sie wieder da.

Ob ich sie liebe, weiß ich nicht.

Von Liebe war bei uns noch nie die Rede“.

Seine Frau hört ruhig zu und unterbricht ihn nicht,

Dann sanft und liebevoll:

„Als ich hier ankam, war das Kind noch klein

Und seine Mutter war davon gelaufen.

Er hat nicht um sie geweint.

In allem hab ich mich ihm angepasst.

Das war ganz leicht, weil ich doch

Gar nichts hatte.

Ich bin einfach so bei ihm, und ob es Liebe ist,

Hab ich nie hinterfragt.

 

Du willst doch für die

Zeitung schreiben, aber sicher möchte niemand

Das erfahren oder lesen.

 

Wenn wir miteinander schlafen, könnte

Jedenfalls das eine und das andre Mal

Für mich auch anders sein.

Ich habe viel darüber nachgedacht

Und schwärme dann im stillen

Kämmerlein für einen Mann mit festem

Handwerk.

 

 

 

Gerne hätte ich auch eine Frau in meiner Nähe,

Als ein geistverwandtes Wesen, um mich

Auszutauschen.

Nein, von Liebe wurde nie gesprochen.

 

Wir sind aber gleichermaßen stark und

Lang verliebt in dieses Bild dort drüben,

‚Kleiner Ausschnitt eines Gartens‘, mit dem

Aufgeblühten, dem Betrachter zugewandten

Orange-gelbgeflammten, tellergroßen

Zwillingsmohn vor weißer

Wand, darunter braunbemooster Fels,

Zwei Sonnen nahe aneinander,

Die, umrankt von früh verwelktem Flieder,

Kleinen, roten Rosen, himmelsblauem

Steppensalbei und umkränzt von

Grünen, transparenten, aderreichen Blättern,

Schwankend fast, im

Liebesglühen stehen.

 

Ihre beiden tiefblauschwarzen Kelche

Lenken jeden Blick auf sich.

 

Ein wenig abseits, fast am Rand des Bildes,

Wartet die Laterne auf die

Dämmerung“.

 

 

 

 

Meine Art von Liebesleid

 

Ich hab mich nicht getäuscht, denn

Als ich mitternachts vor meine

Haustür trat, sah ich den

Großen Bären senkrecht über mir,

Und du behieltst genau so recht, als du

Nur kurz zuvor von Blitzen sprachst, die du

Am Horizont gesehen haben wolltest.

Jetzt sah ich sie auch als Wetterleuchten.

 

Dir war diese Nacht zu kurz geworden, und du

Ließt mich unter meinem Sternendach

Allein mit mir in Dunkelheit, dass mich das alte

Leiden, Sehnsucht, wieder überkam.

Sie war mein neuer Schatten, der sich von mir

Trennen konnte und sich an mich heftete, ein

Tagtraum und ein Nachgespenst,

Und diesmal beides und zu gleicher Zeit.

 

Ich hatte dir davon noch nie erzählt.

 

 

 

Die Sehnsucht war mehr als Verlangen,

Hatte ein Gesicht, das öffnete sich jetzt im

Grellen Blitz, der schien dem

Siebenstern dort oben schräge Augen

Einer Eisprinzessin, die Verführung suchte, zu verleihen,

Ließ mir prachtvoll Silberhaare

Niederfallen.

Voller Lust griff ich in sie und stand doch still.

Das alles hatte nichts mit dir zu tun,

Nein, ich erinnerte mich nur an eine

Frühere Vergeblichkeit,

Denn Liebe war für mich stets Arzt

Auf den ich hörte, auch wenn ich ihn

Nicht vernehmen wollte.

 

 

 

Meine Liebe war beständig und versprach mir

Süße Leiden.

Ärzten und der Liebe gab ich leicht

Versprechen, doch gehorchen tat ich nur dem

Leiden.

Ja, ich weiß, dass du mich nachher fragen wirst:

„Warum bist du nicht gleich zu mir gekommen,

So wie jeden Abend“,

Und auch, dass ich keine Antwort geben kann.

Es hat ja nichts mit dir zu tun,

Es ist nur meine Art von Liebesleid.

 

 

 

Die Verliese einer gartenbunten Bluse

 

Sie ist eng mit mir zusammen und

Trägt Tuch und trägt es nicht,

Ich jedenfalls sah solches bisher nie an ihr.

Sie will mit ihren sechzehn Jahren,

Dass ich alles an ihr respektiere und

Nichts übersehe und Bescheid weiß und

Sie nicht verrufe und ihr liebes

Tuch, wie sie persönlich, achte und es als

Geschenk an mich betrachte.

 

Ich sprach ihre Mutter an, und die erklärte mir:

„Sie hüllt sich gerne in ihr Tuch, so sagt sie, doch hab

Ich es nie an ihr gesehen, und es wird so bleiben“.

Allerdings sei sie sehr oft die Frau, so jung sie ist,

Die andre Frauen und das Recht auf

Frau zu sein, verteidige.

Sie sprach mir Mut und sagte noch, dass ihre

Tochter mich sehr liebe.

 

 

 

 

Die Familie meiner Freundin ist sehr groß

Und auch sehr klein.

Ihr jüngster Bruder sprach mich an:

„Ihr Tuch ist ihr das wichtigste,

Sie trägt es Tag und Nacht.

Sei vorsichtig, dass du es nicht und sie damit verletzt“.

 

In meiner Neugier dachte ich, dass sie,

Versteckt vor mir, es nur woanders trüge

Und befragte sie.

Sie aber lachte und versicherte:

„Mein größtes Liebespfand würd ich doch

Nie vor dir verstecken.

Nein, ich trag es Tag und Nacht.

Sei vorsichtig damit, dass ihm und mir

Daran nichts Schlimmes widerfährt“.

Da gab ich mein Suche auf und wollte ihr

Gewissheit geben mit nur einem Kuss,

Den setzte ich, weil es in

Rötung strahlte, auf ihr rechtes Ohr,

Das war, so sah ich nun, von einem

Glitzerstecker fein durchstochen.

 

 

 

Rücklings hing daran der Anfang eines

Doppelfingerbreiten purpurroten Bandes, das

Bezog den Hinterkopf mit ein und fächerte

Vom Rinnsal aus zu einem süßen, flachen

Bach, der schlang sich einmal um den Hals,

Floss locker weiter über ihre Schultern und

Fiel vorne dann hinein in die Verliese einer

Gartenbunten Bluse,

Deren Beete waren eingerahmt von

Schmalen, weißen Seidensäumen.

 

Dunkle Kelche rosafarbenen und blauen

Mohns bedeckten ihren Ausschnitt, den der

Oberste der Perlenknöpfe

Pfortenartig und nur angelehnt ein wenig

Offen hielt.

 

 

 

Mit einer wunderbaren Technik

 

Sie war stolz auf sich.

Sie lebte im Verbund in Suaheliland,

In einem Fünfzehnhüttendorf,

Zusammen mit den Eltern in nur einem

Fensterlosen Raum.

 

Das Licht darin kam neuerdings aus einer

Plastikflasche, halb ins Wellblechdach gesteckt,

Die sammelte und spendete enorme Helligkeit.

Sie war ergänzt mit einer wunderbaren Technik,

Dass auch nachts bis hin zum frühen Morgen

Keine Dunkelheit entstehen musste.

Alles das verstand sie kaum,

Doch öffnete es ihr die Augen weit.

 

Sie wusste, dass sie alt genug für eine

Heirat war.

 

Mit zwölf war sie beschnitten worden.

Daran durfte sie nie wieder denken,

Denn es war für sie noch schlimmer

Als für jenes Mädchen, welches Frauen,

Weil sie sich dem widersetzte, für die Nacht

An einen Hügel mit Termiten banden.

Das war nicht zu überstehen.

Beides war so Tradition.

 

 

 

Sie durfte endlich mit dem jungen Mann

Aus einem etwa vierzig Hütten großen Nachbardorf

Die Hochzeit wagen.

Eines Tages, wusste sie, käm sie als Lehrerin zurück

An ihren Platz und würde alles, alles tun, mit dieser

Tradition zu brechen.

Um jedoch zu lernen, musste sie in Ehe leben.

Das war Schutz und Garantie für sie.

Der junge Mann bestand nicht auf

Beschneidung, aber es war Brauch, und

Anders hätte er sie nicht bekommen.

 

So nahm sie den langen Marsch zu ihrem Studium in einer

Holzbaracke täglich auf, aß Wegesfrüchte

Statt der Speisung in der Schule und sah ihren

Ehemann im Jahr nur, wenn die

Sonnenwende kam,

Ein andres Mal, wenn Regenzeit versiegte.

Er hielt an ihr fest, auch wenn sie wusste, dass er

Noch zwei andre Frauen aus dem

Fünfzehnhüttendorf zu seinen Liebsten zählte.

Das tat gut, weil es ihr zeigte, dass er viel

Verständnis für ihr Wohlergehen hatte und sie

Nicht bedrängte.

 

 

 

Selber hatte sie aus Neugier auch schon

Einmal auf dem Wochenmarkt ein

Zelt betreten, das ein wenig abseits stand.

Der Mann darin versuchte guten Rat zu geben,

War sehr einfühlsam und tat ihr gut.

Doch konnte er ihr die Verstümmelung

Von Frauenkörpern, scheinbar um die Liebeslust

Zu töten, nicht erklären.

 

In dem Studium war es für sie am wichtigsten

Die Strategien und alles Wissen über die

Beschneidung zu erfahren, um die

Wurzeln eines immer neuen Wachstums

Endlich auszutrocknen.

Dabei dachte sie stets an die

Plastikflasche in der Wellblechdecke

Und die Finsternis, die die vertrieb.

 

Sie traute sich von nun an alles zu.

 

 

 

Ein kinderleichtes Spiel

 

„Schmetterling, du kleines Ding,

Such dir eine Tänzerin“, sang man im

Chor der Kinder, Mütter und der

Kindergärtnerinnen.

Alle hatten sich im Kreis versammelt.

Mitten drin ein Junge, der sich suchend

Drehte und erkennen wollte.

 

Dem entließ die schnellste Mutter ihre

Blondgelockte, himmelssüße Tochter aus der

Hand in seine Arme.

Die war davon angetan, doch nah genug an ihm

Verstand sie gleich, dass seine Ausschau

Andrem galt und stampfte heftig

Mit dem Fuß.

 

 

 

Der Junge aber fand im

Kreis der Kleinen seinen wahren Freund.

Sie hakten sich im Gegenüber ein

Und tanzten federleicht im Kreis zu Reimen,

Die gesungen wurden,

Ließen sich dabei nicht aus den Augen

Strahlten über Kreuz einander an

Und hoben ihre freien Arme, tasteten dann mit den

Fingern, die sich Fühlern gleich

Zur Mitte über ihnen streckten und berührten,

Wechselten die Innenseiten schnell nach

Außen, dass die Körper flatterten und

Fortzufliegen drohten.

 

 

 

Alles ging so schnell zu Ende,

Welch ein kinderleichtes Spiel.

 

Die Kindergärtnerinnen und die Mütter

Und ein Gast am Zaun,

Erkannten augenblicklich die besondre Art der

Harmonie von

Freude beim Zusammensein

Und Ausdruck in gemeinsamen

Bewegungen.

 

Man klatschte ganz verhalten, und die beiden

Nahmen sich bescheiden in die

Arme.

 

 

 

Ein wunderbares Schluchzen seiner Träume

 

Er war immer dankbar gegenüber seiner

Mutter.

Sie beschenkte ihn mit großer Lebensfreude.

 

Seinen Vater hatte er nicht viel gekannt,

Der hatte viel zu viel gespielt mit ihm, mit

Anderen, mit Geld und allem, was ihm nicht

Gehörte, und ihm selbst gehörte schließlich

Nichts.

Das reizte ständig zu gewinnen.

 

Er, als Kind, verstand nur, dass der

Vater selten häuslich war, danach wurd er

Besuch und blieb dann schließlich aus.

 

Die Mutter liebte ihren Sohn und küsste ihn auch

Später noch auf seinen Mund.

Er legte dann die Hand auf ihre

Brust und war ihr so sehr nah, denn seine

Liebe galt nur ihr.

 

Sie hörte wie er Pläne schmiedete.

Die Welt war ihm zu klein.

Er wollte Großes leisten und lag immer

Noch auf seiner Wiese, eingebettet zwischen Felsen

Und versteckt im hohen Halmengras.

Er zählte graue Wolkenpferde, Reiter,

Denen gab er gelbe, rote Kleider,

Morgens oder wenn die Sonne unterging,

Dann wieder Fahnen, die dort oben wehten,

Sah gelockte Frauenhaare auf sich niederfallen,

Ihn berühren,

Sah, dass die Besitzerinnen

Seiner Mutter gar nicht ähnlich waren,

Die Gesichter sich jedoch in allem glichen.

 

 

 

Das erzählte er nun jedem der es

Hören wollte oder nicht, auch

Gräsern, Fischen und den Bäumen.

Einer dieser Bäume hatte langes Mädchenhaar,

Das klirrte wie es Birken tun.

 

Er lernte Solveig kennen.

 

Die lag neben ihm und lächelte ihn an,

Ließ seine Hand gewähren

Wie er es bei seiner Mutter tat.

Das weckte ihn jäh aus dem Traum.

Er hatte Angst vor Angst,

Er hasste Angst.

Die legte sich nun über ihn.

 

Die junge Frau war Wirklichkeit,

Und ließ sich gern von ihm entführen in sein Haus,

Wo sie die Mutter kennenlernte.

Beide fanden herzliches Gefallen aneinander,

Waren voller Liebe, die sie an ihn

Weitergaben, dass er nicht, nun eingeengt,

Sich ungewollt entscheiden müsste.

Doch er fand sein Glück nicht wieder

Und verwünschte sie und wünschte sich das

Böseste, den Teufel in die Welt,

In der er lebte.

 

Der war schnell zur Stelle.

 

 

 

Seine Mutter starb des Nachts in seinen Armen.

Solveig war dabei und sah ihn leiden.

Da ging er zu seiner Braut

Und sah an ihr die Liebe wachsen.

 

Aus der Tiefe ihres Mitgefühls sang sie für

Ihn ihr Liebeslied aus

Wolkentreiben, Frauensehnsucht und

Berührung.

Das drang in sein Ohr und wurde ihm ein

Wunderbares Schluchzen seiner Träume,

Die sie ihm sein Leben lang

Mit sich

Bewahren wollte.

 

 

 

Ich würde dich zu gerne fragen

 

Ja, ich würde dich zu gerne fragen,

Ob du dich erinnerst.

 

Aus dem Internet erfuhr ich kürzlich, dass du einen

Flug zu fremden Sternen

Unternommen hättest.

Du warst schließlich einmal

Vorstandssekretärin.

Damals sagtest du ganz nebenbei

Und trotzdem überzeugt:

„Das ist im Leben nichts für mich“, und

Deine Chefs behielten dich,

Vielleicht deswegen.

 

Jetzt nach vielen Jahren Sucherei

Entdeck ich dich auf einem Video im

Zwischenraum von Publikum

Und Dirigentenpult versteckt

Als Mitglied des Orchesters.

Dort bedienst du wieder eine

Schreibmaschine,

Weiß, getarnt als digitalisiertes Tasteninstrument,

Das ist an einen Synthesizer angeschlossen.

Elektronisches spuckst du zu einem

Dirigenten, der, wie damals deine

Vorgesetzten, mit den Fingernägeln auf den

Leeren Joghurtbecher trommelt.

 

Meine Liebe kannte keine Grenzen.

Sie galt dir, nur dir allein.

Gestehen konnte ich dir nichts,

Doch du erkanntest eine Chance für dich

Und wolltest mich mit der Pistole deines

Vaters töten, wenn ich nicht der Vater deines

Kindes würde.

 

 

 

Du und ich, wir hätten Treuebruch begangen,

Das bedeutete dir nichts,

Und du gestandst mir nebenbei:

„Ich hatte einmal eine Fehlgeburt von einem

Frauenarzt.

Der wusste immer alles besser.

Er nahm mich in seiner Praxis“.

 

Diesmal wolltest du von mir die

Vaterschaft um jeden Preis.

Ich hätte gern den Wunsch erfüllt,

Doch glauben konnte ich dir nicht,

Und deinem Mann, schien mir, war ich ein

Weiterer von vielen.

 

Deine Hände, deine Augen, deine

Lippen flöteten mir sanfte Lieder, die versprachen eine

Weiche oder herbe Liege, wie ich wollte,

Und dein Mann:

„Um den brauchst du dich nicht zu kümmern,

Der weiß alles und Bescheid“.

 

Ich konnte es nicht glauben und

Befragte ihn sogar.

 

Er gab dir recht und dass er deine

Liebe teilen würde, wenn ich dich nur

Lieben könnte.

 

 

 

Nichts zehrt mehr als unerfüllte Liebe.

 

Ich stand mir im Weg,

Und ihr umwuchst mich schlangengleich als ein

Geflecht aus Rosen und aus Dornen,

Redetet mir aber ein,

Ihr ebnetet für mich ein wunderbares Beet.

 

Ich sah mich schrecklich eingeengt in dieser Hecke,

Tief verkeilt im Zwiespalt zwischen Liebe

Und Betrug.

Die Scherben, die ich fand, verzerrten

Meine Wünsche, dass ich schließlich aufgab

Und bei fremden Leuten weinte.

 

Lange führten kleine, große Trümmer,

Trauer, Wut und Müdigkeit, ihr Eigenleben.

Nahrung dafür war genug in mir.

 

Heut leuchtest du als

Abendstern herüber.

 

Ich hab Tag für Tag an dich gedacht

Und würde dich zu gerne fragen.

 

 

 

Die Morgenröte einer Schwangerschaft

 

Sie fasste allen Mut zusammen,

Als sie zu ihm sagte:

„Ich bin neu verliebt“.

 

Er war nie herrisch, grob, gewalttätig.

Das war, was sie so an ihm liebte

Und auch hasste.

Niemals sagte er, was er in Wahrheit wollte.

Das war manchmal gut,

Und andre Male ließ es sie alleine stehen.

 

Jetzt, so dachte er, gesteht sie, dass sie mich

Von einer andren Seite lieben lernt

Und fand sich plötzlich äußerst liebenswert,

Und schließlich waren sie ein Paar seit fünfzehn

Jahren.

 

Sie ergänzte:

„Du verstehst mich nicht,

Ich will es dir erklären“.

 

Das gefiel ihm nicht, und er bestand auf

Überraschung, was sie sehr verwirrte.

Das war, was sie an ihm hasste.

Immer sah er alles positiv und lenkte ein.

 

 

 

Sie hatten keine Kinder.

Nein, sie hatte Kinder nie gewollt,

Es hätte eine Leere, die sie spürte,

Niemals ausgefüllt.

Doch nun, von einem Tag zum anderen, war diese

Leere fort und hatte nichts mit ihm zu tun.

 

Sie hatte neues Land betreten,

Eigentlich bekanntes Land verlassen,

Das versuchte sie ihm zu erklären.

Er verstand, dass sie um Worte rang

Und sah, wie Glut in ihre

Wangen schoss.

 

Er deutete, dass ihr die

Morgenröte einer Schwangerschaft das Herz

Geöffnet hätte und nahm sie in seine

Arme, flüsterte ihr unter Küssen liebe, warme

Worte auf den Nacken und die Schultern.

 

Sie entwand sich diesem Zugriff mit

Bescheidener Zurückhaltung

Und sagte dann noch einmal:

„Ich bin neu verliebt, dass musst du

Akzeptieren, und ich werde dich verlassen“.

 

 

 

Sie empfand sich nun tatsächlich schwanger,

Als unendlich liebesschwanger,

Und ihr wurde schwindelig.

Sie griff nach seinen Armen, den

Gewohntem Halt zu finden.

 

Ihn aber rief dies in die Wirklichkeit zurück.

Er fragte:

„Kenn ich ihn“?

Sie sagte nur:

„Wir reden später weiter.

Heute schlaf ich anderswo“.

Er wollte wissen:

„Wann ist bei dir später,

Wann bist du zurück“?

 

Zum Abschied hätte sie ihm fast noch einen

Kuss gegeben, das erwartete sie so von sich.

 

Doch als sie fort war, sah er aus dem

Küchenfenster, dass sie eine Fremde

In die Arme nahm, und sich die Frauen,

Eng umschlungen,

Küssten.

 

 

 

Ich hab mich sehr an dir verletzt

 

Am späten Abend saßen sie noch

Beieinander auf dem Bettrand im Hotel,

In dem sie wohnte.

Sie war seine ganz und gar vertraute Liebe.

 

Von Bekannten hatte er erfahren, dass sie

Eine seiner Freundinnen in Leidenschaft

Umarmt, geküsst und dann in einem

Haus mit ihr, so hieß es,

Übernachtet habe.

 

Als ihm dies zu Ohren kam, wurd seine

Welt zu einem Käfig, dessen Tür er

Nicht mehr finden konnte.

 

Sie stritt alles ab

Und senkte dabei ihre Augenlider,

Doch sein Mund war eine Schranke,

Die sich von alleine nicht mehr öffnete.

 

Sie hatte Schlangenzungen, die in kleinste

Spalten drangen und beim Züngeln winzigste

Aromastoffe gierig schmeckten,

Deren Spitzen tasteten den Mund

Nach einem Schlupfloch ab, um tief

Hineinzustoßen,

Und sie sagte zischend:

„Sei deswegen bitte nicht mehr böse“.

So verriet sie sich.

 

 

 

Er wollte widersprechen, doch es wurde nur ein

Kläglicher Versuch wie Gurgeln.

 

Das nahm sie als gutes Zeichen

Und begann ihm ihre ganze

Weichheit, Weiblichkeit und

Wärme in Geborgenheit zu bieten,

Dass ihn andere Gedanken nicht

Erzürnten und entkleidete erst ihn, dann sich von

Allem Überflüssigen.

 

Er konnte ihre Schlangenzungen aber nicht

Vergessen,

Die beherrschten Öffnungen des Kopfes,

Krochen in die Ohren und verliefen sich in

Seinem Mund.

 

Mit allerfeinsten Schuppen, die kaum

Seine Haut berührten, zog sie sich

Blitzschnell um seinen Körper.

 

Nichts wär ihm nun lieber, als der

Stich der Viper,

Er verlangte fast danach.

Es wäre jetzt ein köstliches

Geschenk und würde dieses Ringen

Enden lassen.

 

 

 

Sie jedoch gab sich ihm gänzlich hin,

Dass er ihr Sieger würde.

 

So verriet sie sich noch mehr,

Und seine Hitze schwoll zur Glut.

Mit Absicht ließ er

Alles auf das weiße Laken ihrer

Lügen fallen.

 

Das empörte sie zutiefst.

Es durfte niemand sie als das behandeln

Was sie war

Und schnellte auf zu ihrem Biss:

„Ja, du hast recht, es stimmt.

Ich liebe deine Freundin und auch deinen

Freund und beide lieben mich

Und sich“.

 

Da sagte er in Müdigkeit und voller

Abschied:

„Liebe, die ich für dich hege,

Kannst du nicht bezwingen,

Doch das Herz ist mir an dir zerronnen,

Und ein weiteres von dir an mir.

Ich hab mich sehr an dir verletzt“.

 

 

 

Zuhause angekommen

 

Jenes Land, aus dem sie kam,

Beherbergte, erzählten Reisende,

Nur ansehnliche, schöne Frauen;

Selbst die alten wurden von den

Männern gleichen Alters, wenn es welche gab,

Als schön bezeichnet.

Das lag viel an ihrem Äußeren,

Der Ebenmäßigkeit der Züge, den Bewegungen

Der Hände, Füße, ihres ganzen Körpers,

Doch beherrschten meistens

Ihre Liebenswürdigkeit und

Freundlichkeit sowie die Anmut, die von innen kam,

Die Wärme, die Bescheidenheit, gepaart mit

Unbestimmter Dankbarkeit das Bild, das sich in

Herzen prägte.

 

Viele Frauen und die Mädchen hatten Namen, die

In irgendeiner Weise mit Maria endeten, begannen

Oder damit in Verbindung standen.

 

Männer, die von auswärts kamen, suchten oft ihr

Glück bei ihnen und bemühten sich,

Wenn sie es fanden, solche Frauen

Heimzuführen.

Von den Fremden wusste keiner eigentlich

Genaues über sie.

Sie mussten sehr auf das vertrauen, was sie an

Erlebnissen geschenkt bekamen

Oder sich entdeckt zu haben glaubten.

 

 

 

Paare, die sich fanden, sprachen voller

Sehnsucht, häufig nur in dritter Sprache,

Miteinander über das, was kommen sollte.

Später, in der neuen Heimat löste jedoch manche der

Gewohnheiten der Liebsten, die ganz

Selbstverständlich handelte,

Verwirrung und Verwunderung bei beiden aus.

 

Zunächst erwarb der eine und der andere, um einen

Neuanfang zu wagen, Stühle, Sessel, kleine Tische, andre

Winzigkeiten, um den Schmerz an die verlassene und ferne

Heimat abzumildern und ging dann getrost auf

Reisen, weil er damit Unterhalt verdiente.

Das war schließlich seine Tätigkeit.

 

Kam er dann irgendwann, trotzdem so

Schnell wie möglich, heim, fand er bei seiner

Rückkehr seine Frau in einem Zelt,

Das hatte sie aus einem Tisch und umgedrehten

Stühlen, deren lange Finger sich in Andacht falteten,

Im Wohnraum eingerichtet.

Über allem lag die neue, leichte

Chinaseidendecke als ein Kopftuch,

Das verschleierte den Eingang.

 

Darin lebte sie,

Saß dort bequem und mit gekreuzten

Beinen auf dem handgeschnitzten

Schemelchen, das sie sich im Gepäck,

Fast aus Versehen, mitgenommen hatte.

 

 

 

Er entdeckte sie, ein wenig vorgebeugt,

Vor einer Art Kulisse einer Landschaft,

Die schloss scheinbar einen Altar ein.

 

Es lagen silberweiße Weihnachtskugeln aus dem

Fundus eines Pappkartons darin verteilt.

 

Sie hatte in die Löcher hoher, kürzlich erst erworbener

Designer-Salz- und Pfefferstreuer

Mit sehr viel Geschick und Gabe schlanke, grüne

Palmenblätter aus Papier gesteckt.

Darunter war das dunkle Holz der Griffe.

Alles war erhellt mit Flackerkerzen, die das

Licht aus Batterien bezogen.

 

Wasserschälchen, angefüllt mit

Leuchtend roten Rosen, die auf großen

Gelben Blättern schwammen, alles

Aus Papier geschnitten,

Standen an den Seiten.

 

Sie war glücklich hier zu leben, wo es

Solche Schätze gab und fühlte sich

Zuhause angekommen.

Irgendwann würd sie ihm sagen, dass sie eine

Tochter…doch das hatte Zeit,

Er würde es verstehen.

 

Selbstzufrieden und zugleich verliebt

Erwartete sie innig seine Rückkehr,

Um ihn in die neue Wohnung in der Wohnung,

In ihr Brautgemach, zu

Führen.

 

 

 

Von Sonnenlicht betrieben

 

Für ihn endete das Leben plötzlich

Mit dem seiner Frau.

Das Weiterleben über ihren Tod hinaus

War ihm mehr Tod als Leben.

 

Beide wären sie in einem Alter,

Welches lang ersehnte Reisen

Hätte möglich machen können.

All die Jahre schwärmte sie von einem

„Land der Gegensätze“, das war bis zuletzt

Ihr Lebenstraum gewesen.

Seine Lust hingegen hielt sich sehr

Bescheiden, es genügte, was ihm still begegnete.

 

Nach dem Verlust war er zu oft allein

Und suchte ihre letzte Ruhestätte immer wieder auf.

Die Trauer aber nahm kein Ende und,

Er konnte seinen eignen Weg nicht finden.

 

Da beschloss er, ihren Traum zu seinem

Wunsch zu machen,

Und die Reise in das Land zu wagen,

Dass es irgendwie Erfüllung gäbe.

Zweierlei war dabei zu bedenken:

Einerseits besaß er reichlich Geld, das machte frei,

Und andrerseits war er unheilbar krank.

 

Man hatte seine Reise bestens vorbereitet, schien es,

Aber bei der Landung fand er alles ausgebucht und

Strandete an einem Ufer voller Zelte.

Eine Frau daraus, vielleicht ein wenig

Jünger als er selbst,

Bot ihm bei sich zu schlafen an.

 

 

 

Sie lebte zwischen selbstgeklebten

Schmetterlingen, daumen- und handtellergroß, die

Sich im Luftzug zu bewegen schienen,

Trug in Selbstverliebtheit grelle, gelbe, rote, blaue

Stoffe, die sie sich drapierte und mit kleinen

Klammern hielt und ging des Abends, unter einem

Sonnenschirm versteckt, spazieren.

 

Sie wurd ihm das Vögelchen, das zwitschernd, flatternd

Ohne jede Hast in seinen Ästen kletterte und

In der Krone wohnte,

Dabei stahl sie ihm, fast wie versehentlich, in einer

Nacht sein Herz, dass er ihr seine Liebe offenbarte.

Das empfand sie als ihr Frauenglück

Und ihn als wahren Schatz.

 

Sie lebten lange in dem Zelt, doch

Seine Leiden zwangen mehr und mehr zu einer andren

Bleibe, die wurd nun ein Wohnmobil, dem zwar der

Antrieb fehlte, welches aber komfortabel und

Gut zu begehen war.

Sie zogen um.

 

Im zeitvergessenen Beisammensein,

Im Miteinander, Füreinander, Zueinander,

Wuchs hier eine Art von Gleichheit, die nicht

Unterschied, denn jeder fühlte sich,

Auch körperlich, als Teil des anderen und

Dachte so und lebte so und liebte so.

Das war für ihn besonders und ergänzte jene

Zweisamkeit wie er sie kannte, wo zwar jeder um den

Andren lebte, aber auch sein Eigenleben führte.

 

 

 

Lange hofften sie auf einen Funken der

Genesung, anfangs voller Zuversicht, dann nur noch

Im Vertrauen auf die Medizin.

Erst sah er deutlich die Vergeblichkeit

Und dann, dass Abschied

Nun der beste und der letzte Ausweg war, um

Vor dem Ende anzukommen.

 

Schließlich wählten sie den Sonnenaufgang

Für die Trennung.

 

Kurz vor seinem Abflug schenkte er ihr noch ein

Büchlein, das, mit einem Schloss versehen,

Später erst von ihr geöffnet werden sollte.

Darin lag ein Umschlag mit der

Summe Geldes, die er für den Todesfall von der

Versicherung erhalten hatte.

Die verschmähte er und wollte davon nichts für sich.

Darüber lag ein kurzer Brief, den hatte er für sie geschrieben:

„Meiner Frau und ganz besonders dir

Verdanke ich ein zweites Leben.

Du und ich sind jeder Teil des anderen geworden“.

Auf dem ganzen lag ein transparenter

Schmetterling mit hochgestellten Flügeln.

Er schrieb weiter:

„Einmal losgelassen, wird das kleine Ding, von

Sonnenlicht betrieben,

Kinderleicht entfliegen“.

 

 

 

Aleppo mon amour

 

Es steht ein viel zu langes Video im Internet,

Das heißt „Aleppo mon amour“, und es ist gänzlich

Ohne Ton.

Ich kenne nur die Kriegsberichterstattungen aus

Nachrichten und meiner Tageszeitung

Und erfahre so von kellerbrechenden Granaten und von

Bomben, die sich selbst in neue Bomben sprengen.

 

Diese Stadt war eine Stadt, und wer sich dort

Bekämpft, weiß niemand mehr.

An Flucht ist nicht zu denken.

Auf dem Video sieht man die Krater in den

Häuserwänden, wenn sie denn noch stehen.

Gleich dahinter lauern Heckenschützen

Auf dem ersten Rang.

Darunter wachen und bewachen auch die

Wenigen, die überleben.

 

Drüben an der Hauswand steht ein junger

Mann, der plötzlich das Gewehr aus seinen

Händen fallen lassen muss, weil ihn die Kraft verlässt.

Im Niederstürzen tränken sich sein Hemd

Und seine Jeans mit Blut.

 

 

 

Er liegt sekundenlang, dann springt aus einer

Kellerwand die junge Frau, versucht ihn

Aufzufangen, und erkennt sofort wie wenig

Hilfe sie ihm bringen kann, in Angst umschlingt sie

Seinen Kopf.

Sie ist mit schwarzem Tuch

Verschleiert angekommen,

Doch jetzt reißt sie das mit einer

Einzigen Bewegung ganz vom Leib und gibt ihm

Ihre Brust.

 

Die Straße ist von Menschen leer.

Verzweifelt hebt sie seinen Kopf auf ihren Schoß.

 

Die Berge Schutt und das Zerstörte rundherum

Erwachsen in Reliefs zu Heiligtümern, und die

Stille dieses Videos zerschneidet jedes Schweigen,

Dass ich Schüsse, Schreie, Kinderschluchzen,

Explosionen und Sirenen höre.

 

Köpfe in den Häuserlöchern harren in

Bewegungslosigkeit, und Läufe der Gewehre werden

Eingezogen.

 

 

 

Jeder hier erkennt nun Liebende, die

Abschied nehmen.

 

Sie legt ihn behutsam auf die Straße und den

Schleier als ein Bündel unter seinen Kopf,

Sieht sich dann um und schaut zum Himmel.

Ruhe um sie her wird nochmals still.

Von oben droht ihr nichts, und

Häuserwände schwanken nicht.

 

Sie kommt ganz langsam hoch,

Hebt in der Blöße ihres

Oberkörpers das Gewehr vom

Boden auf, und schwenkt es in die Richtung

Wo der Schuss gefallen war.

 

Sie zielt, als ob es Absicht ist,

Zu lange und zu ungenau.

Sie fällt.

 

Drei Männer, die den Schutt als Deckung nehmen,

Und die weiße Helme tragen,

Wollen helfen.

Mit geübten Griffen ziehen sie den

Schwerverletzten unter ihrem Körper fort.

Sie drehen sie noch einmal zur Kontrolle

Auf den Rücken,

Doch es bleibt vergebens.

 

 

 

Die Dichterin

 

Man hatte mich, weil ich aus hohem

Norden stamme, angesprochen, ob ich als

Gesandter, eine Botschaft, die man mir jedoch

Nur mündlich übertragen könnte, dorthin

Übermitteln wollte.

Die wär der Empfängerin sehr wichtig,

Andrerseits stünd sie als

Abgeschlossenheit im Raum, und

Ihr Verlieren würde nichts bewirken, doch

Geschrieben könnte sie in falsche Hände fallen

Und viel Unglück stiften.

Meine Nachricht gälte einer Tochter, die mit ihrem

Vater und der Mutter einsam und am

Stadtrand lebte.

 

Ich war in Semesterferien und alle

Kosten würde man erstatten.

Auch am Ende bliebe noch ein guter

Rest für mich.

 

Mit neuer Technik, meinen Weg zu finden,

Traf ich schnell dort ein.

Ich stand vor einem leeren Haus,

Die Türen waren unverschlossen.

Ich trat ein und rief den Namen der

Empfängerin.

Das Schweigen und die Abgeschiedenheit,

Verrieten viel Vertrauen.

Bäume standen um das Haus und schnitten mit den

Aufgeregten langen Armen weite Fenster

In die abendliche Landschaft.

Drinnen waren alle Türen angelehnt, sie

Schauten voller Sehnsucht nach dem

Ankömmling und atmeten im Pendeln warmer Zugluft

Ein und aus.

 

 

 

Ich war willkommen und

Ließ ich mich auf einen Sessel fallen,

Schlief dort ein.

Doch in der Nacht wurd ich geweckt, nicht als ein

Eindringling, vielmehr als Gast, der die

Gepflogenheiten kannte.

 

Eine junge Frau, fast noch ein Mädchen,

Sicherlich die Tochter, fasste meinen Arm.

Ich wurde wach und sah mich um.

Sie stand allein vor mir und fragte gleich:

„Hast du nach mir gerufen“?

„Ja“, bestätigte ich ihr,

„Wenn du alleine bist, hab ich dir eine

Botschaft auszurichten“.

 

Sie darauf:

„Mein Vater und die Mutter

Schlafen hinten in der Kammer,

Aber gleich wird mich der Vater holen,

Und ich freu mich schon darauf.

Er ist mein Liebster“.

Das verwirrte mich,

Doch ich begann ihr mitzuteilen:

„Meine Nachricht an dich ist, dass man

Den von dir eingereichten Text,

Es handelt sich um ein Gedicht, aus

Tausenden als den herausgefunden hat,

Der wert ist, einer großen Allgemeinheit

Vorgestellt zu werden.

Du brauchst dem nur zuzustimmen“.

 

 

 

Ihre beiden Hände flatterten vor

Freude und vor Seligkeit auf ihre Augen, ihren Mund,

Verschlossen ihre Ohren, und sie

Hüpfte kinderartig in ganz kleinen Sprüngen,

Fiel mir schließlich um den Hals:

„Ich stimme zu; ja, ja, ich stimme zu.

Ich hab nur diese eine Strophe eingesandt.

Hör her,

Weil ich so glücklich bin,

Und weil ich keinen stören will,

Sing ich sie leise, leise in dein Ohr:

 

‚Die Dichterin,

Die nachts den

Schatten zu dem Vater in die Kammer schickt,

Sich zu ihm legt,

Von ihm empfängt,

Und ungeachtet ihrer Mutter

Sich von ihm zu Tode lieben lässt,

Die also, wie das tote

Armenkind die Risse an der Zimmerdecke zählt,

Zerreitet jene Tiere blutig,

Die uns tags die Wachheit

Hüten‘.

 

Nun geh schnell und fort von hier.

Mehr sag ich nicht.

Mein Liebster wird gleich zu mir kommen“.

 

 

An diesem Wochenende im Hotel

 

Wir, zwei Freundinnen, genossen

Eine Morgenfrühe in dem Garten des

Hotels.

Das Frühstück war verlockend, wurde uns

Gebracht, und wir ereiferten uns über

Andere, die waren nicht wie wir.

 

Der Freund der Freundin kam an unsren

Tisch und nahm sich aus dem

Brotkorb eine Leichtigkeit mit

Selbstverständlichkeit im Stehen.

Sie schob mit den Fingern ihrer linken Hand,

Vielleicht sich schön für ihn zu machen,

Dünnste Strähnchen ihrer Haare von der

Stirn und hinters Ohr.

Ihr Haar war etwas mehr als nackenlang,

Und schimmerte in Rötlich-Braun.

Zu Anfang war es glatt gekämmt,

Dann sprang es ganz am Ende, schon in

Schulternähe, herrlich auf zu Locken einer

Königlichen Krause.

 

Sie sah freundlich zu ihm hoch und sagte:

„Nur weil du mit mir geschlafen hast,

Darfst du noch lange nicht von meinen

Brötchen nehmen“.

Er ließ sein Gebäck sofort zurück ins

Körbchen fallen und bemühte ein

Zermürbtes Lächeln, weil er ihr nicht

Glaubte.

Darauf legte sie die rechte Hand darüber, dass er

Nicht auch noch nach Kaffee fragte.

Er ging fort.

 

 

 

Ich wagte einzuwenden:

„Gestern wart ihr euch noch einig,

Er dein Liebster und dein Schatz

Und plötzlich so“?

 

Sie aber:

„Ja, ich liebe ihn und trau mich nicht

Es ihm zu sagen.

Du verstehst es nicht und

Kannst es nicht verstehen.

Unsre Liebe könnte nur noch

Wochen halten, denn ich bin sehr

Krank, mein Herz versagt.

 

Ich wage nicht, ihn aufzuklären.

Besser ist, er glaubt, dass ich nur mit ihm

Spiele.

Doch in Wahrheit ist er meine übergroße Liebe,

Das beweis ich mir auf diese Art.

In seinen Armen, und nur dort

Bin ich daheim.

 

Stets wünschte ich ein Leben, das

Ich noch nicht kannte, grad wie dies.

Es wäre jedoch Lug und Trug, so wie ich bin,

Mit all der Liebe und dem

Glücklich-werden-wollen,

Mich ihm an die Hand zu geben.

Unsre Zukunft ist zu kurz für zwei

Und viel zu kurz für

Zwei Vergangenheiten.

 

 

 

Nur den Augenblick will ich

Erleben.

Nein, ich möchte ihn nicht

Leiden sehen.

Er soll lieber denken, dass ich mir nichts aus ihm

Mache“.

 

Ich entgegnete:

„Ist das nicht unerträglicher als deine

Wahrheit, und vielleicht gibt es noch

Eine Möglichkeit“.

 

Sie sagte ohne Trauer in der Stimme:

„Jede Aussicht haben wir geprüft,

Es gibt nur Aufschub, der ist

Ungewiss und sehr, sehr kurz,

Es liegt in meinen Genen,

Und ich frage nicht, was schlimmer ist,

Für mich zählt es, geliebt zu werden,

Aber mehr, viel mehr als das,

Bedeutet mir es, selbst zu lieben.

Er verzeiht mir, dass ich manches Mal,

Zu unnahbar und schroff,

Ihn scheinbar von mir weise“.

 

Meine Freundin starb an diesem

Wochenende im

Hotel.

 

 

 

Das Engelstor

 

Die Lippen dieser jungen Frau, harmonisch,

Engelsflügeln gleich,

Ein ungewohnter Blickfang,

Ließen oft die Kunden ganz kurz innehalten.

 

Manchmal, im Verkaufsraum, fiel ein

Schwaches, weißes Licht von Neonröhren

Auf die rosa Haut,

Dass jemand, der die Frau nicht kannte,

Darin Unwirkliches,

Überirdisches entdecken mochte.

 

Sie verbrachte ihre Zeit in einer

Schlachterei und weinte nachts darüber, dass

Die vielen Tiere, die sie kurz zuvor

Lebendig hatte sehen können,

Starben.

Sie aß niemals Fleisch und ihre blasse Haut

Schien ihre Engelsflügel einzufassen.

 

Nein, sie wollte keine Welt verändern,

Suchte nur nach Schutz für sich.

 

Der größte Kontrahent war ein

Gesundheitspolizist, der auf gesundes

Schlachten achtete.

Dem sah sie eines Tages voll Vertrauen

Offen ins Gesicht.

Ihm graute plötzlich bei dem

Anblick der verschreckten Tiere.

 

 

 

Sie jedoch wurd ihm zum

Reh, das lockte, ihn entführte in die

Niederungen sanfter Tagesstunden,

Bis sie einhielt und sich unversehens nur

Mit ihren weiten, braunen Augen über ihren

Engelsflügeln, die geschlossen blieben,

Offenbarte.

Er hätt sie nur allzu gerne fest in seine

Arme schließen wollen.

 

Doch sie war dem Schlachter eng verbunden,

Hatte ihm dreimal ein Kind geboren.

 

Ihre Liebe zu den Kindern könnte sie nicht teilen,

Wenn sie auch von nun an ihre neue

Welt als köstlichstes Geschenk, als Gabe

Einer Morgenfrühe packte,

An sich drückte und beschwor,

Sie nie in ihrem Leben wieder frei zu lassen.

Ihr stand allzu heftig Herz auf Kopf,

Und nie geträumte Hoffnung öffnete vor ihren Augen

Ungelebtes Leben,

Frei vom Töten aller Unschuld.

 

 

 

 

Er war sehr verständnisvoll und ließ ihr jeden

Freiraum, den sie brauchte,

Und hielt sich zurück.

Den aber nutzte sie geschickt, ganz eng und nah

Bei ihm zu sein.

Um ihr sein wahres Herz zu zeigen, schrieb er ihr

Gedichte.

Das war einfach und nahm ihre Traurigkeit

Den Tieren gegenüber, ernst.

Im Haus des Schlachters ging er ein und aus,

Der Schlachter hatte ihn darum gebeten, und

Verstand sich mit den Kindern gut.

Doch wohnte er schon lange fest in ihrem

Herzen wie sie Wohnung nahm in

Seinem.

Dann ließ sie die Engelsflügel frei bis sie als

Ganzer Engel bei ihm wohnen blieb.

 

Der Schlachter aber schlachtete und schlachtete,

Als ginge es für ihn

Um Leben und um Tod und machte den

Betrieb zum größten Schlachthaus

Weit und breit.

Das nannte man ganz allgemein

Das Engelstor.

 

 

 

Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir

 

Sie, Simone de Beauvoir, war ihm gewachsen,

Und sie wollte gleich ein Kind, ein

Kind von ihm.

Er aber, Sartre, war dazu nicht in der Lage,

Er war unfruchtbar.

Das machte sie zur Stärkeren, doch

Konnte sie ihn darum nicht verlassen, das

Verstieße gegen ihre eigne Freiheit, den

Zu lieben, den sie wollte,

Und sie sagte noch:

„Ich hasse meine Eifersucht, ich kann jedoch nicht

Ohne sie, ich liebe diesen Schmerz“.

 

Sie stritten sich, sie liebten sich, und

Gaben jedem seinen Freiraum, dass er das

Bekäme, was ihm groß und wichtig wäre.

So verfasste er:

„Das Spiel ist aus“,

Und sie verstand darin, dass er sich nicht

Vor ihr versteckte.

Sie erwiderte, dass sie nun endlich einen wahren

Mann gefunden hätte, der ihr geben könnte,

Was das „Spiel“ verlängern, und ihr

Schwangerschaft bescheren würde.

 

Sie wurd wahrhaft schwanger, aber nur mit einem

Neuen Buch.

 

Er brüllte auf vor Schmerz,

Das würde er ihr nie verzeihen.

 

 

 

Beide waren eng verstrickt in ihre

Herzensfragen,

Und der laut verkündete Verzicht auf

Gegenseitigen Besitz und Anspruch

Konnte nicht den tiefen Argwohn stillen,

Sich und dem Geliebten gegenüber

Wirklich zu entsagen,

Sondern baute, heimlicher und unbemerkter,

Herzenskäfige in ihnen aus,

Den anderen dort einzusperren,

Um ihn gänzlich zu beherrschen.

 

Beide waren sehr berühmt und

Weckten seltsam Neugier bei den

Völlig Unbeteiligten, auch weil sie

Ungemein gefräßig schrieben,

Und ihr Leben dem zu unterwerfen

Schienen.

 

Sie bemerkten lange schon nicht mehr, dass

Glück und Unglück, noch bevor es sie

Entzündete, die Tageszeitung überschwemmte,

Als Gerücht kursierte.

 

Sartre ging so weit,

Dass er sie nur noch seine Freundin hieß

Und schrieb in philosophischer Manier, dass

Sie dem Druck der individuellen

Freiheit ausgewichen sei und ihren

Wunsch nach Schwangerschaft auf seinem

Rücken abgeladen hätte.

Das verriete allen Ursprung

Freiheitlichen Denkens, wonach jeder

Seine Wirklichkeiten leben dürfe, und auch er den

Anspruch darauf hätte.

 

 

 

Man las ungeduldig und gefasst, dass sie ihn

Reuevoll um einen Neuanfang

Gebeten haben sollte,

Und von ihm, dass er ihr jüngstes Buch

Schon nach der zehnten Seite aus den

Händen legen musste, weil bei ihr von dem,

Was sie gemeinsam jahrelang bekämpft,

Umstritten und erlitten hätten,

Nichts zu finden sei.

Der Leser aber legte sich zu ihren

Füßen, bettelte um Niederwerfung,

Endlich fühlte er sich wahrgenommen.

 

Dann, von einem Tag zum andren, ging sie

Lautlos ihrer Wege.

Niemand sah sie wieder.

 

Er bekam den Großen Preis von weit her

Zuerkannt.

Doch den verschmähte er in einem

Kurzen Brief vom Grundsatz her.

Die Presse schwieg dazu, und

Man vergaß sie,

Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir.

 

 

 

Wie schade, ach, wie schade

 

Jenes Dorf, Worpswede, hoch im

Norden, eingebettet zwischen Torfabstich und Moorlagunen,

Sollte einer jungen Frau, zur Zufallsheimat werden.

Sie, die Fieber in sich spürte, suchte Kunst,

Und sie, die eigentlich die Kunst studierte,

Sich mit Malerei, Musik und Schreiben

Auseinandersetze, durfte keine Kunst studieren.

Man erlaubte ihr allein das Studium zur Lehrerin.

Das war sehr viel, und tapfer klemmte sie den

Fuß in diesen Spalt.

 

Sie war erneut auf Suche, als sie in Worpswede auf die

Bilder großer Männer traf, doch ihre

Sehnsucht galt nicht denen.

Angezogen ganz besonders von der Landschaft

Und den Menschen dort, den

Blumen, Bäumen und verschlungenen

Gewässern zwischen braunem Erdreich,

Lockte es sie, das und mehr zu malen,

In Gemälden festzuhalten.

Das jedoch war unwürdig für eine Frau.

 

Bei einem weiteren Besuch begegnete sie

Einem Künstler, Otto, und dem Freund, dem Dichter,

Der ihr seinen Namen und den seiner Anvertrauten

Kalligraphisch, Rainer-Maria und dann Clara,

Süß verknüpfte mit dem ihren, Paula.

Diese Botschaft legte er japanisch an als

Farbholzschnitt und ihr zu Füßen und in ihre Hände.

 

 

 

Er war unentschieden zwischen beiden

Und begnügte sich zunächst mit

Schwesterlichen Huldigungen:

„Du, die blonde Malerin, und du, die Dunkle“.

Otto galt ihr dennoch mehr, auch weil ihr

Malen ihm ein wachsendes Verstehen abgewann,

Und ließ sich von ihm heiraten.

Dabei behielt sie ihren Dichter fest verschlossen, tief im Herzen.

 

Sonst war man als Künstler unter sich, und

Frauen, war man einig, bis auf sie,

Vergeudeten mit Kunst und Malerei nur ihre Zeit.

Sie war poetisch und beschrieb die

Bienen und die Hummeln nach Gehör als Brummeln.

Das erschloss ihr neue Welten.

Überhaupt war sie auf Neue Welten aus.

 

Ihr Mann war älter, und er machte sie zur

Mutter seiner Tochter, die war klein.

Dem Drängen ihrer Eltern gab sie nach

Und glaubte fest an Liebe und an eigne Kinder.

Sie verhielt sich still, und ihren Schrei nach Freiheit

Nahmen beide Männer, die an ihrer

Seite standen, überhaupt nicht wahr.

Sie malte nicht, was sie studieren wollte

Sondern was das Herz, das Auge ihr bescherte.

Das war neu, und niemand fand es der

Beachtung wert.

Sie malte in Manier der unverbrauchten Schaffenden

Die weißen Birken, Kinder, schmale Wasserläufe,

Die sich durch die Wiesen hin zum

Torfstich schlängelten

Und folgte ihrer Tradition von Herzensfreiheit,

Wollte keinen damit schrecken.

 

 

 

Einige der Bilder trug sie in die nächste

Kneipe und verschenkte sie.

Der Wirt nahm sie aus Mitleid an

Und spendete ihr, weil sie Frau war,

Auch kein Bier.

 

Da nahm sie sich ein Herz und floh bis in die

Stadt der Liebe, freien Malerei und ausgelebter Poesie.

Dem Ehemann beschied sie nun getrennte Wege.

Das ging lange gut, weil man sie unterstützte,

Und sie malte Tag und Nacht.

Doch dann besuchte sie ihr Gatte,

Drängte und bedrängte sie.

Sie fragte sich bald nach dem eignen

Wohlergehen und gab unter Heimweh nach.

 

Zu dieser Zeit soll sich der Freund mit

Neueren Gedichten, die von nächster Nähe zu ihr

Schwärmten, fest in ihrem und dem Schatten ihres

Mannes aufgehalten haben.

 

Sie wurd endlich schwanger, sah

Familienglück als neuen Silberstreif,

Und sie entschied, das sollte in der schönen

Stadt den Anfang haben.

Sie bekam ihr Kind und war voll

Mutterschaft und Übereifer,

Der sich schrecklich rächte.

Als sie hörte, schon im Sterben, dass sie einem

Thrombus unterliegen sollte,

Sagte sie geschwächt zu ihrem Mann:

„Wie schade, ach, wie schade“.

 

 

 

Melusine

 

Alles hatte sie so aufgebaut, dass nichts

Zu sehen war und traf sich in der Stadt mit ihm.

Es war seit langem dies das erste Mal,

Dass sie die Nähe eines Mannes wieder

Suchte, und er sagte gleich:

„Ich liebe dich“.

Sie aber wusste mehr und tanzte erst mit

Ihm, und beide tranken auch ein wenig.

Alles ging ihr viel zu schnell, doch er bestand auf

Einem Wiedersehen.

Sie gab unter Zögern schließlich nach.

 

Sie trafen sich ein zweites Mal an einem Abend in

Derselben kleinen Diskothek.

Sie spielten unaufmerksam an

Geräten, die sie bei sich trugen.

So vermieden sie den festen Blick

Und hatten doch nur Augen für einander.

Das war unverfänglich und verliebt.

 

Sie suchte das Gespräch und sagte:

„Ich heiß Melusine, wie heißt du“?

Er horchte auf, der Name klang zwar fremd,

War aber auch bekannt.

Er sagte etwas stolz: „Ich heiße und bin Ritter“.

Freundlich lächelte sie zu ihm auf.

Das machte Mut, und er bedeckte ihre

Schönheit mit so lieben Sätzen wie:

„Ich seh dich gerne an“.

„Du strahlst für mich von innen“, und

„Ich möchte dich berühren, deine Haare riechen“,

Dabei legte er die Mulde seiner linken Hand

Auf ihre Wange, sie ihr federleicht zu streicheln,

Die war weich und warm und rosafarben, dann:

„Ich weiß noch viel zu wenig über dich, erzähl mir

Wie ich mich an dich gewöhnen kann und wie du bist“.

 

 

 

Sie schien darüber irritiert und sagte ihm:

„Ich bin nicht ganz, vielleicht nicht wie du denkst“.

Darüber staunte er:

„Was heißt nicht ganz, ich seh dich doch“.

Sie aber:

„Ja, ich mag es dir nicht sagen, weil es dich vielleicht

Verschreckt“.

Sie beugte sich dabei bis nah an seinen Mund und gab ihm

Langsam einen langen Kuss, doch das

Beruhigte ihn nicht.

 

Sie sprach dann weiter:

„Damals war es eine schwere Zeit für mich,

Ich wurde operiert

Und habe nur noch eine Brust“.

Er lachte über so viel Kleinigkeit und sagte:

„Ich will dich und nicht an deinen

Brüsten liegen“.

Daran mochte sie nicht wirklich glauben,

Doch sie war zu lange schon allein,

Dass alle Zweifel schwanden.

Nur mit einem letzen Aufbegehren sagte sie:

„Du darfst mich niemals dort berühren

Oder danach schauen, das verlange ich von dir“

Und willigte mit bangem und zugleich erglühtem Herzen

In ein Bündnis ein.

 

Sie lagen oft zusammen.

 

Er vermied es, ihre Brüste anzuschauen,

Auch, weil sie sie immer halb und halb bedeckte,

Und befolgte das Gebot.

Doch dann brach Neugier in ihm aus,

Und eines Nachts, als sie sich streckte

Und ihm alles überließ,

Schlich er mit sanfter Hand, verdeckt von ihrem

Kleid der Nacht, bis auf die

Milchhaut ihrer unversehrten Brust,

Die war ihm weicher als die Wange.

Die Berührung tat ihr unter schnellem Seufzen gut.

 

 

 

Sie legte einen Arm um seine Schulter,

Um den Hals, und seine Hand glitt weiter

Auf die andre Seite.

Die bestrich er mit der gleichen Sanftheit,

Hörte neue Seufzer, Schluchzen.

Sie gab sich der jungen Liebe völlig hin.

Er spürte sie, von sich gelöst, nach hinten in die

Kissen greifen,

Und ihr einstiges Verbot wurd nun zum Glöckchenklingen,

Das ließ sie die Nacht versingen.

 

Er jedoch erlebte seine Fähre,

In der Dunkelheit des Meeres ihrer Betten,

Strandend auf der schrecklich faltenvollen

Lederhaut des Schuppentieres.

All sein Liebeskleid gefror in diesem Augenblick,

Und ließ es Rüstung werden.

Die umschloss, verschloss ihn fest,

So fest, dass er sich würde nie davon

Befreien können.

 

Als sie aber früh am Morgen aufstand und ihn weckte,

Schmolz Metall.

Sie öffnete ihm stolz ihr Nachtkleid,

Zeigte auf die frisch vernarbte Brust in einem

Hauch von Alabasterfarben:

„Ich hab jetzt ein Implantat und in

Geringer Zeit ist es unspürbar gut verheilt,

Du wirst dann die verschämten Schwestern nicht mehr

Auseinanderhalten können“.

 

 

 

Puppenhaus

 

Sie lebte letztlich in der Welt, die ihr

Nichts andres übrig ließ, als Phantasie.

Darin war sie die Frau von ihrem

Tagesgegenüber, ihrem Chef, und lebte so

Fast ein Jahrzehnt, auch diesen Herbst,

In ihrem Puppenhaus.

Sie liebte ihn.

 

Er hatte außerhalb studiert, war Landwirt,

Und von ihrem Können überzeugt.

Auch sahen sie einander täglich,

Saßen schreibtischweise gegenüber

Und besprachen ihren Tagesablauf.

Dabei redete sie äußerst kompetent,

In ihrem Herzen aber Unwichtiges,

Das schloss ihre Puppenstube niemals ein.

Er intressierte sich sonst kaum für sie,

Zu ihrem Glück auch nicht für andre

Frauen.

Eingehüllt in einen Mantel der Bescheidenheit,

Erreichte sie es nicht,

Ihm die Befähigungen der verkannten Frau

Zu offenbaren, ihn sich zu gewinnen.

Nein, in ihrem Leben gab es für ihr wahres Leben keine

Hoffnung mehr,

Die hatte sie vor langer Zeit verloren,

Auch weil sie in einem Alter war, das

Heirat sinnlos scheinen ließ.

 

So lebten und verbrachten sie die

Tage, Wochen, Monate und Jahre abgeschieden

Auf dem größten Gut der Gegend, kannten außer

Ihrem Nutzvieh und ein wenig

Personal nur noch den Tierarzt.

 

 

 

Er, ihr Angebeteter, das wusste sie,

Bewunderte sie wegen ihrer

Urteilskraft und, wie versehentlich, auch wegen ihrer

„Lieblichkeit“, wie er es plötzlich einmal unvermutet nannte.

Sie war überrascht und fragte:

„Woran siehst du das“?

Sie konnte nichts mit „Lieblichkeit“ beginnen.

 

Er, das ahnte sie nun auch, war völlig unerfahren,

Jedenfalls was Fraulichkeit und Weiblichkeit betraf.

Und „Lieblichkeit“ war nicht sein Sprachgebrauch.

 

Das Wort war neu in seinem Mund, so neu,

Dass es ihn selbst verwunderte.

Er sah sich daraufhin sein Leben an

Und fragte sie ganz unvermittelt, ob sie

Ihres nicht mit seinem

Teilen wollte.

„Liebe“, sagte er ganz stolz, „ist dabei nicht

Im Spiel, doch die mag kommen“.

 

Sie war hell erschrocken über seine

Frage und die Worte und rang

Nächtelang mit sich.

Zugleich und instinktiv verstand sie aber,

Dass er es nicht besser wissen konnte, eine

Liebe, ihm ganz fremd, ihr zu gestehen.

Sie bedachte auch die Zeit, die schon

Vergangen und verloren war

Und horchte noch einmal in sich hinein.

Dort stand der Aufprall jener Echos seiner

„Lieblichkeit“ und seiner Frage

Und verebbte nur sehr langsam.

 

 

 

Sie entschied sich schließlich mit gesenktem Blick

Und sagte:

„Hättest du mich das nicht viel, viel früher

Fragen können“?

Dennoch wagte sie den Augenblick

Und nahm den Antrag an.

 

Sie schenkte ihm und sich als Spätgebärende

In schneller Folge eine Tochter und

Dann eine zweite, die gemeinsam Abbild ihrer

Eltern waren.

Erstere erblühte innerlich, hielt sich zurück und

Schwieg ihr Leben lang,

Die Zweite lebte scheinbar selbstvergessen an der

Welt vorbei.

 

„Im nächsten Frühjahr“, das entschied sie jetzt,

„Erschaffe ich mein Puppenhaus ganz neu.

In einem völlig andren Anfang

Wird er mir dann eine süß mit rotem Band

Verschnürte Schachtel schenken.

Daraus werd ich einen Ring entnehmen,

Den er mir als Überraschung

An den Finger steckt“.

 

 

 

Zweimal Traurigkeit

 

Sie war die Frau des

Lotsen, und er wollte diesen

Posten nur, um möglichst nah bei ihr zu sein.

Sie war sehr groß,

Das hatte er zu Anfang  nicht bemerkt.

Sie hatte weite, grüne Augen,

Überwuchs ihn körperlich,

Und ihre Schritte waren die des

Panthers, schleichend, langsam und sehr

Weich in ihren Fußbewegungen,

Es hoben sich die Ballen ihrer Füße

Rollend ab vom Boden,

Niemals hörte man nur ein Geräusch

Beim Schreiten.

 

Allzu fest verschlossne Dosen- oder Gläserdeckel

Öffnete sie elegant im Kreisen mit

Nur einer Hand, dass sie sich

Drehend fort bewegten.

 

Stand sie neben ihm, dann machte sie ihn

Mit erlauchten Handbewegungen,

Zu ihrem großen Mann.

Die Arme und die Hände wuchsen ihr dann zu

Erzählerinnen, die die Blicke auf sich lenkten.

Wenn sie ihr Theater öffnete, war er gefangen,

Und er liebte sie.

 

 

 

Auf ihr Erscheinen und ihr Spielen

Könnte er niemals verzichten.

 

Das gefiel auch anderen, die nur genießen durften

Und sonst schweigen mussten.

 

Seine Arbeit aber richtete sich nicht danach.

Er musste neuerdings auch über See

Und blieb dann lange.

Seine Frau vertraute ihm und sich.

 

Im fernen Schottland traf er unversehens eine

Frau, die war sehr klein und hatte Mitleid, weil er ihr

Verloren schien.

Sie spendete ihm Trost

Das tat sehr gut.

 

Sie hatte schmale Augen, die sie so sehr

Öffnen konnte, dass zwei

Spiegel daraus wurden, eigentlich

Zwei Seen in die man schauen musste.

Ihre kurzen Schritte machte sie auf

Zehenspitzen und erwuchs zur

Tänzerin, die Weite brauchte,

Räume füllte und mit hoch erhobenem

Gesicht die Augen anderer nach

Oben riss.

Sie schien sich selbst niemals genug.

 

 

 

All dies, gepaart mit ihren flinken Händen,

Liebte er von Anfang an.

Es waren Explosionen eigenartiger

Und ganz besonderer Verwandlungen der winzigsten

Ereignisse in große Illusionen,

Und sie machte ihn zu ihrem Publikum.

Er schenkte ihr dafür sein Herz,

Aufrichtige und wahre Liebe.

 

Später, auf der Heimfahrt, drückte ihn

Ganz unerwartet

Zweimal Traurigkeit.

Die konnte er sich nicht erklären.

„Lotsen“, kam ihm der Gedanke, „steuern

Fremde Schiffe immer sicher in den

Hafen,

Danach gehen sie von Bord“.

 

Zurück, bei seiner großen Frau, kam keine

Freude auf, und aus der Ferne

Traf ihn die Erinnerung an jene kleine

So verblasst

Als winke sie ihm wehe

Müdigkeiten nach.

 

 

 

Ein preisgekröntes Lied

 

Von seiner Mutter stammt noch das Büfett.

Das hatte er geerbt.

Es ist furniert mit

Durchsichtig lackiertem Kirschholz.

Seine Oberfläche schimmert in der Helligkeit des

Schmeichelglatten Bernsteins, den man einem

Sonnenuntergang entgegenhält.

Es ist weit über hundert Jahre alt.

Darauf steht eine weiße Vase und darin

Befinden sich die halb und weniger erblühten

Kelche eines Bundes aus Narzissen,

Gelb und weiß.

 

Es ist schon spät an diesem Abend.

Lampenlicht erhellt das

Gelb und Weiß zu kleinen

Sternenhaufen.

 

An der Wand darüber hängt ein

Ausgeprägtes, übergroßes Bild

Mit zwei Cellistinnen, die geben

Traumhaft und nicht wahrzunehmen, ein

Konzert, das zwingt und rührt,

Durch eigenartige Bewegungen im Stillstand, den

Besucher zu Gehör.

 

 

 

Vor dem Büfett steht sie an linker Seite

Und er rechts.

Erst schauen sie sich an,

Dann auf das Bild,

Und wenden dem Beobachter den Rücken zu.

Sie halten sich dabei an

Ihren Händen.

 

Neben ihnen liegen, unberührt,

Gespiegelt in der Oberfläche der Kommode,

Ihre Telefone.

Beide warten auf den Anruf.

Der, so ist sich der Betrachter sicher,

Wird erlösen und sie aus dem

Schock befreien.

 

Deutlich sieht man ihre

Herzen ineinander kriechen,

Und die suchen ein Versteck,

Das fände nur in einer Kammer Platz,

Die müsste sie gemeinsam bergen.

 

In der Kammer, die sich dem

Betrachter öffnet, sieht man auf zwei

Rosen, die in Blüte stehen.

Eine strahlt in hellem Weiß, die andere in

Purpur, in verstecktem Rot.

 

 

 

Man wird erst später über diese Liebe,

Dies Ereignis sehr viel schreiben und

Ein preisgekröntes Lied

Ersingen.

 

Man wird weiter unermüdlich

Eine Wahrheit suchen und

Zusammenhang erstellen wollen zwischen

Nichtgeschehen und Geschehen,

Ihm und ihr

Und dem Büfett,

Den bildgefangen, harrenden Cellistinnen

Und ihrem Stillstand in Bewegung und Musik,

Sowie dem Sternenleuchten der Narzissen,

Beiden Telefonen und der

Kammer mit der aufgeblühten Pracht.

 

Auch nicht die kleinste Kleinigkeit darf dabei

Übersehen oder

Übergangen werden.

 

 

 

Als wenn es gestern wäre

 

Heute spreche ich mit dir

Nach langen, langen Jahren, die wir uns nicht sahen:

„Du erinnerst dich vielleicht?

Ich schenkte dir zu jener Zeit ein

Zartes Gliederhalsband,

Das ist Ewigkeiten her.

Ich legte es dir um den rosabraunen Hals.

Es schmiegte sich behutsam in die dünnen, hellen

Locken deines Nackenhaares.

 

Seine Glieder, fingernagelgroße Splitter, wurden unsre,

Schaukeln, die, aus Glas, weit in den Himmel schwangen,

Wir mit ihnen.

Mit uns glitten Puppenlandschaften aus

Gelben, weißen, roten Steinchen,

Ferne und dann wieder nahe Böschungen.

Die Teile dieses Bandes schienen einzeln

Eingehängt in Perlenketten,

Darin sahen wir die aufgereihten Engelstränen,

Klein und wichtig

In geheimer, unbekannter Botschaft.

 

Glas galt uns als Diamant, die

Perlenkugeln ein Geschenk des Sternenhimmels.

Damit lebten wir“.

 

Du schweigst und siehst mich an.

 

Ich fahre fort im Überschwang:

„Wir wohnten Haut in Haut.

Wir schwammen, tauchten, liebten

In den warmen Wassern dieser

Seen.

 

 

 

Wir schufen an den Ufern

Hütten späterer Vergangenheiten,

Einige davon verschoben sich

Eng ineinander.

Damals lernten wir uns kennen und die

Neue Welt, die sich uns bot.

Es gab nichts weiter, außer uns,

Das mussten wir bewohnen und für

Alle Zeiten

Überleben lassen.

 

Etwas weiter abseits stehen heut noch unsere

Erinnerungen, die von ihrem

Uferleben gar nichts wissen oder wissen können.

Sie verkörpern uns gelebtes Leben außerhalb des

Gliederbandes.

Drüben auf der anderen Seite, hinter

Strand und Dünen, sehen wir, versteckt,

Schon fast begraben, aber immer noch nicht

Zugedeckt, wo wir versagten und uns

Zweifel, Angst und der Verlust

Um Freunde brachte, auch um

Liebenswerte Kleinigkeiten.

Die erwuchsen manchmal erst im Nachhinein zu

Großem Wert.

Die Glieder deiner Kette lassen mich an all das

Denken.

Ich erinner mich und dich“.

 

 

 

Du bist geneigt und sagst:

„Die Kette ist so schön bei Licht.

Ich liebe sie und trage sie sehr gerne.

Alle Steinchen waren anfangs

Liebesschaukeln, wurden dann zu

Trägerinnen meiner Tränen und jetzt,

Neuerdings ein hoffnungsvoller Pfad in eine

Unbeschwerte Zukunft und dazwischen,

Geb ich zu,

Ließ ich sie mir aus nicht geweinten

Tränen vielfach durch die Hände

Gleiten.

Manchmal bleibt dabei die eine und die andere der

Perlen in den Ringen meiner Finger

Hängen, dass ich innehalten muss.

 

Das Halsband, dein Geschenk

Als wenn es gestern wäre,

Möchte ich nie missen,

Und ich will es Ewigkeiten tragen“.

 

 

 

In Galaxien einer fremden Frau

 

Von ihrer Nachbarschaft, in der sie beide lebten,

Wussten und erfuhren sie nur wenig, eigentlich

War man sich fremd, obwohl es

Rundherum oft dörflich zuging.

Kaum, dass irgendwann das

Ungewöhnliche passieren würde.

Ihre Namen, er, genannt der Prinz, und sie als

Ariadne, waren auch nicht Beitrag für ein

Engeres Zusammenleben.

Er nahm ihretwegen, weil er davon einst gelesen hatte,

Einen neuen Namen an und taufte sich in

Theseus um.

 

Sie sahen auch in einer unverhofften

Einladung von einem Ehepaar, das sie nicht

Kannten, ein Versehen und ein Missverständnis.

Er erkundigte sich trotzdem dort und fragte nach,

Und man bestätigte, dass sie sehr wohl

Gemeint und sich die „Herrschaft“

Über ihr Erscheinen freuen würde.

Jemand käme um sie abzuholen,

Mit dem Hinweis, dieses sei das Fest der Feste,

Allerdings in kleinem Kreis, vielleicht mit zwölf Personen.

 

An dem Abend brachte sie ein Wagen vor ein

Schloss ganz in der Nähe, davon hatten sie noch

Nie gehört.

Die beiden waren aufgeregt in leichtem Fieber der

Begeisterung und Neugier.

Dennoch fühlten sie sich

Für den unbekannten Anlass richtig angezogen.

 

 

 

Andre Paare hatten sich, wie sie, in

Schlichte und dezente Eleganz gehüllt,

Doch das schien hier nicht wichtig.

Ariadne trug die lange Perlenkette ihrer toten Mutter

Auf der roseweißen Chiffonbluse.

Die war kinderschüchtern hoch geschlossen

Und doch fraulich dekolletiert.

Der Stoff verschleierte die Arme und lief bis zur Taille

Über ihre enge, schwarze Hose.

 

Nach dem aufwendigen Essen und der ungewohnten

Umsicht einer Dienerschaft, erschienen

Hausherr und die Hausherrin in feiner und nicht strenger

Kleidung und der Bitte an die Gäste

Sich einander vorzustellen und zu tanzen nach Belieben.

Das war allen recht.

Auch Ariadne und ihr Theseus zeigten unbeschwert im Tanz

Verliebtsein in Umarmungen und Küssen.

Einige der Paare, sahen sie, verhielten sich so ähnlich.

Auch das Paar, das eingeladen hatte,

War sich einig, schaute ohne Heimlichkeit zu anderen.

Die einen ließen sich nicht aus den Händen,

Die daneben tanzten in zu großem Abstand.

Ariadne und ihr Theseus suchten gegenseitiges Berühren,

Hatten süße Pfeile füreinander in den Augen.

Das fiel auf, und einige der Gäste

Schoben es auf die enorme

Jugend dieser beiden.

 

 

 

 

Spät, zu fortgeschrittner Stunde, rief die

Hausherrin zu kleiner Runde, und, ob alle etwas

Neues kennenlernen wollten, nämlich einen

Schicksalstanz.

Das hörte sich verwegen an und klang gefährlich.

Etwas Zukunftsangst rief leises

Zögern wach und barg vielleicht auch Zweifel.

 

Sie erklärte, dass die Paare sich zu

Anfang trennen müssten.

Jeder, jede sollte nun mit einem andren Partner tanzen.

Darauf sollten sie versuchen, wieder Eins zu werden.

Dafür würde die Musik das Tanzen

Dreimal nacheinander unterbrechen.

Alle dürften dabei erst mit drei, dann zwei und

Schließlich mit nur einem Schritt in

Jene Richtung, wie sie wollten, gehen,

Um erneut ein Paar zu werden.

Danach würde alles

Licht gelöscht und auch das

Fest der Feste sei vorbei.

 

Der Tanz begann, und schon beim ersten Stopp

Sah Ariadne wie ihr Theseus sich

In Galaxien einer fremden Frau entfernte.

Sie erblasste.

Schlimmer noch, gleich nach der zweiten Pause, stürzte

Ihre Liebe tief in die Verliese der Verzweiflung,

Als sie ihn nicht mehr erblicken konnte.

Weglos, ohne Halt, verlassen,

Sank sie still zu Boden.

Theseus aber, eine Handbreit hinter ihr,

Erreichte sie mit seinem

Letzten Schritt und fing sie auf.

Dann hüllte Finsternis sie alle ein.

 

 

 

Noch im Dämmerlicht verblasst die Silhouette

 

Ihre beste Freundin hatte einst als

Junges Mädchen in das

Poesiealbum geschrieben:

„Jungfrau sein ist doof“.

Das ist nun über zwanzig Jahre her,

Jetzt endlich steht sie vor dem Schritt der Schritte

Und vor einem leisen Bild.

Der Mittelpunkt des Bildes ist sie selbst.

Sie schaut sich auf den Rücken,

Sieht sich auf dem kleinen Holzsteg, welcher

Ein paar Meter, niedrig, her vom

Ufer übers Wasser reicht.

Das ist ein stiller See, der heute keine

Wellen hat.

Nur Plätschern ist vom Strand zu hören.

 

Sie steht dort als Braut im langen Kleid,

Die Hände rückwärts unterhalb der Taille

Fest vereint, gefaltet, scheinbar im

Gebet versteckt

Das Kleid fällt als der Glockenturm der leuchtend hellen

Tulpe, die den Kelch nach unten öffnet, glatt herab

Und lässt den Saum die Bretter nicht berühren.

Es entsteht ein Schwingen seines weiten Stoffes.

Den bewegt vielleicht das Säuseln eines Windes oder

Jene Ungewissheit, was sie wohl erwartet,

Die ein angenehmes Zittern überträgt.

 

Dem Bräutigam erklärte sie die kleine Flucht

Und das Alleinsein wollen.

 

 

 

Weit vom Horizont des andren Ufers schimmert

Gelblich rotes Feuer einer Abendsonne

Durch die flache, langgestreckte Nebelbank

Herüber.

Aus dem Gegenüber lässt sich eine Zukunft

Aber so nicht lesen.

 

Von der linken Seite treibt ein

Ruderloses, segelloses Boot heran.

Noch ist es ungewiss, ob Etwas oder

Jemand sich darin verborgen hält.

„Vielleicht“, so denkt sie, „werde ich

Von meinem Bräutigam geholt“.

Das Boot ist aber wirklich leer.

Es legt sich seitlich an den

Steg.

 

Mit einem festen Ruck hebt sie den Blick zum

Himmel.

 

Ihre überlangen, dunkelbraunen Haare

Ziert und bindet eine Blumenspange auf dem Hinterkopf.

Sie gleiten weiter als ein

Fall von Schatten auf die

Schultern und den Rücken,

Schmiegen sich gewunden und gebunden,

Werden nun zu einem Strauß von schwarzen Rosen,

Deren Knospen, kaum geöffnet, fast bis zu den

Händen reichen.

Unter allem kleidet sie ein

Ärmellanges, weißes Jäckchen.

 

 

 

Plötzlich werden ihre Augen feucht.

Sie ist nicht sicher ob von Tränen,

Nein, das wäre nicht gerecht,

Vielleicht jedoch vor Freude.

 

Jemand von den Gästen kommt in ihre Nähe

Und nimmt sie in ihrem Innehalten auf.

Er schämt sich aber wegen seiner

Neugier und der Störung dieser

Andacht.

Er geht schweigend wieder fort und

Löscht dabei das Video.

 

Die Braut löst ihre Hände und

Rafft eilig Saum und Rock des Hochzeitkleides,

Packt dann vorsichtig den Rand des

Bootes, hält es fest

Und steigt behutsam ein.

Dort nimmt sie Platz auf einer schmalen Bank

Und stößt sich ab.

 

Es treiben, fast im Stillstand, Boot und Passagier

Erst durch ein weißlich Grau und später

Rötlich Dunkelblau zum

Gegenüber.

 

Noch im Dämmerlicht verblasst

Die Silhouette.

 

 

 

 

ISBN 9783743175938