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Harald Birgfeld, Webseite seit 1987/ Website since 1987

 

Bestseller: Zeit, was ist das“, ausschnittsweise veröffentlicht in

#kkl, online-Magazin, Initiative für Kunst, Kultur und Literatur,

2023 „Leitsterne und Irrlichter“, 2023 „Klarheit“ und 2024 „Präsenz“.

 

Aufruf

 

zu Olympia – olympische Spiele!

 

 

Alle Veröffentlichungen,

online und im Buchhandel

 

Gedicht der Woche,

Lyrik, Prosa und Ingenieurarbeiten

 

 

Galeriebild der Woche und

Bildergalerie

 

 

 

 

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Es werden Gedichte vorgestellt, die in ausgewählten Anthologien veröffentlicht wurden, sowie der lyrische Zyklus: „Namenlos von meiner Insel, 42 Briefe“, z.B.:

 

Alles ging sehr schnell:

In einem nahen, fernen Ausland, wo ein

Menschenleben rasch verblühte,

Nahm man mich gefangen.

Einer Schuld war ich mir nicht bewusst,

Ich wurde nicht befragt,

Und ich gestand.

 

 

 

 

Im Buchhandel und online:

 

Gedichte, veröffentlicht in

 

ausgewählten Anthologien, und

 

Namenlos von meiner Insel, 42 Briefe

 

108 Seiten, Format A5

3. Auflage

Harald Birgfeld

 

 

Online bestellen sowie im Buchhandel,

 

€ 8,90 inkl. MwSt.

 

Zum Buchshop

ISBN 978-3-73-22-4803-2

 

 

Der vorliegende Gedichtband ist auch in den USA, Großbritannien und Kanada unter obiger ISBN und bei abweichenden Preisen bestell- und lieferbar.

 

Auch als E-Book

 

€ 6.99

 

Zum Buchshop

ISBN 978-3-73-22-7798-8

 

 

Inhaltsverzeichnis, Gedichte, veröffentlicht in ausgewählten Anthologien

und

Inhaltsverzeichnis, Namenlos von meiner Insel, 42 Briefe

 

 

"Es lohnt sich, einmal einen heutigen Dichter kennen zu lernen, der mit der deutschen Sprache einen faszinierend fremden Weg betritt und trotzdem dem Leser Freiraum lässt für eigene Gedankengänge, ohne dass die Probleme in erhobener Zeigefingermanier zu zeitkritischen Trampelpfaden werden." (1986: Gutachten).

 

Harald Birgfeld, von Beruf Diplom-Ingenieur, schrieb die meisten seiner Gedichte während der morgendlichen Fahrt mit der Hamburger S-Bahn zur Arbeit. Seine Texte entstanden fast immer bereits in endgültiger Form.

 

Copyright 2014 beim Autor, Harald Birgfeld, alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne schriftliche Erlaubnis des Herausgebers, Harald Birgfeld, reproduziert werden. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmung und Einspeicherung sowie Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Herausgeber, Autor, Redakteur: Harald Birgfeld, e-mail:.     Harald.Birgfeld@t-online.de

 

 

Inhaltsverzeichnis,

Gedichte, veröffentlicht in ausgewählten Anthologien

 

 

Dann wurde ich bestraft

(2009: „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München, „Ausgewählte Gedichte XIII“)

 

Die Landschaft war allein

(2012: „Jahrbuch für das neue Gedicht“ der Frankfurter Bibliothek der Brentano – Gesellschaft, ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte)

(2007: „Liebe in all ihren Facetten“ des Lichtstrahlverlages, 99853 Gotha)

(2009: „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München, „Ausgewählte Gedichte VX“)

 

Eigentlich war es ganz anders

(2006: „Jahrbuch für das neue Gedicht“ der Frankfurter Bibliothek der Brentano – Gesellschaft, ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte)

 

Heute Morgen lag

(2013: „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München, „Ausgewählte Gedichte XVI“)

 

 

Hinterglasgemälde

(2013: „Jahrbuch für das neue Gedicht“ der Frankfurter Bibliothek der Brentano – Gesellschaft).

(2013 ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“)

 

Ich stand vor dem Marienbild

(2008: „Jahrbuch für das neue Gedicht“ der Frankfurter Bibliothek der Brentano – Gesellschaft).

(2008 ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“)

 

Ich wache auf

(2009: „Jahrbuch für das neue Gedicht“ der Frankfurter Bibliothek der Brentano – Gesellschaft).

(2009 ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“)

 

Ich war bei mir im Lohn

(2007: „Jahrbuch für das neue Gedicht“ der Frankfurter Bibliothek der Brentano – Gesellschaft).

(2007 ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“)

 

 

 

In einem deutschen Atelier

(2010:Poesiealbum neu“, Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik, e.V. Leipzig)

 

Mein schönstes Delfingedicht

(2008:Poesiealbum neu“, Gesellschaft für zeitgenössische Lyrik, e.V. Leipzig)

 

Meinem Wärter hing ich an

(2008: „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München, „Ausgewählte Gedichte XI“)

 

So geschehen

(2010: „Jahrbuch für das neue Gedicht“ der Frankfurter Bibliothek der Brentano – Gesellschaft).

(2010 ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“)

(2010: „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München, „Ausgewählte Gedichte XIII“)

 

Wir gerieten in den Gürtel der Meteoriten

(2011: „Jahrbuch für das neue Gedicht“ der Frankfurter Bibliothek der Brentano – Gesellschaft, ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte)

 

 

 

Inhaltsverzeichnis,

Namenlos von meiner Insel, 42 Briefe

 

 

Namenlos von meiner Insel,   1. Brief,

Gefangennahme,

Namenlos von meiner Insel,   2. Brief,

Auf dem Reaktor-U-Boot,

Namenlos von meiner Insel,   3. Brief,

Schmerzhaft Sehnsucht,

Namenlos von meiner Insel,   4. Brief,

Namenlosigkeit,

Namenlos von meiner Insel,   5. Brief,

Drei junge Frauen,

Namenlos von meiner Insel,   6. Brief,

Schwere Blütendolden,

Namenlos von meiner Insel,   7. Brief,

Kunst im Raum,

Namenlos von meiner Insel,   8. Brief,

Auf der Speisetafel,

Namenlos von meiner Insel,   9. Brief,

Angst mit Angst bekämpfen,

Namenlos von meiner Insel, 10. Brief,

Sie kämmte sich

Namenlos von meiner Insel, 11. Brief,

Die drei Frauen,

Namenlos von meiner Insel, 12. Brief,

Ob ich Tango tanzen könnte,

Namenlos von meiner Insel, 13. Brief,

Eine Probefreiheit,

Namenlos von meiner Insel, 14. Brief,

Kein Geräusch,

Namenlos von meiner Insel, 15. Brief,

Ausgeliefert,

 

 

Namenlos von meiner Insel, 16. Brief,

Im „Großen Haus“,

Namenlos von meiner Insel, 17. Brief,

Doppelgänger,

Namenlos von meiner Insel, 18. Brief,

Ein weiteres Geheimnis,

Namenlos von meiner Insel, 19. Brief,

Eine junge Frau,

Namenlos von meiner Insel, 20. Brief,

Moderne Technik,

Namenlos von meiner Insel, 21. Brief,

Mit honigsüßen Worten,

Namenlos von meiner Insel, 22. Brief,

Unterwasserspiele,

Namenlos von meiner Insel, 23. Brief,

Kannst du singen?

Namenlos von meiner Insel, 24. Brief,

Ein Spion,

Namenlos von meiner Insel, 25. Brief,

BioCurious

Namenlos von meiner Insel, 26. Brief,

Zwillingswesen

Namenlos von meiner Insel, 27. Brief,

Der Besuch des Gartens

Namenlos von meiner Insel, 28. Brief,

         Morgen bin ich keine Zeit für dich

Namenlos von meiner Insel, 29. Brief

         Schreib mich gut

(2012, „winter märchen haft“, Winteranthologie, novumverlag, Österreich)

 

 

Namenlos von meiner Insel, 30. Brief

          Sie sind unser Ehrengast

Namenlos von meiner Insel, 31. Brief

Wären doch Soldaten alle so wie Sie

Namenlos von meiner Insel, 32. Brief

Immer ist der Mensch

allein auf dieser Welt

Namenlos von meiner Insel, 33. Brief

Nachts lieg ich an seiner Seite

Namenlos von meiner Insel, 34. Brief

Meine Lust zu malen

Namenlos von meiner Insel, 35. Brief

Neues aus der Wissenschaft

Namenlos von meiner Insel, 36. Brief

In einem sogenannten Notfall

Namenlos von meiner Insel, 37. Brief

Gerne hätte ich ihr das geglaubt

Namenlos von meiner Insel, 38. Brief

Es war nicht Platz genug in mir

Namenlos von meiner Insel, 39. Brief

Hilfe oder Menschenraub

Namenlos von meiner Insel, 40. Brief

Das sagte alles.

Namenlos von meiner Insel, 41. Brief

Die Sehnsucht schläft,

die Sehnsucht wacht

Namenlos von meiner Insel, 42. Brief

Die Beine aber liefen mir vorweg

 

 

 

Gedichte, veröffentlicht in ausgewählten

Anthologien

 

 

Eigentlich war es ganz anders.

 

Immer wünschte ich mir jemanden,

Der mich verstehen konnte,

Und der Ansatz, dachte ich,

Sei gut.

 

 

 

 

Die Wahrheit aber war,

Dass schon der Ansatz

In die falsche Richtung zeigte.

 

 

 

 

Auf dem Bahnhof standen meine Doppelgänger

Überall herum.

Sie waren nackt wie ich

Und trugen auch darunter

Keine Kleidung.

 

Alle warteten

Auf meine Ankunft.

 

 

 

Ich war bei mir im Lohn

Und zwang mir harte Arbeit ab.

 

In mir, vergaß ich zu erwähnen,

Mussten die Gefangnen in den Steinbruch gehn

Und durften über die Gefahren,

Über diesen Zwang,

Kein Sterbenswort erwähnen.

 

 

Wenn mich jemand nach mir fragte,

Und ich lügen musste,

Drang oft weißer Staub nach außen,

Blässe schoss in meine Wangen.

 

 

Trotzdem hielt ich die im Steinbruch

Abgeschnitten von der Welt

Und achtete darauf,

Dass sie kein Sterbenswort erfuhren.

Sie erfuhren nichts

Von einer andren Welt.

 

 

 

Ich stand vor dem Marienbild,

Dem hatte man das Jesuskind

Herausgeschnitten,

Das lag auf dem Tisch

Und wurde operiert.

 

Die Ärzte waren zu beschäftigt,

Um mich zu bemerken,

Und ich selbst bemerkte nichts.

 

 

Mit meiner Hand griff ich,

Wie zum Beweis,

Ins Leinwandloch,

Das überwachte ein geheimes Auge,

Und Alarm wär angesprungen

Hätte man mich nicht im letzten Augenblick

Zurück gerissen.

 

 

Ja, man schalt mit mir,

Ich sei voll Unvernunft,

Dass ich in eine offne Wunde

Hatte greifen wollen.

 

 

 

 

Ich wache auf

Und seh mich um:

Es ist erstaunlich.

Die Bedienungsplätze vor den anderen Geräten

Sind nicht mehr besetzt.

Ich sehe,

Dass sich die Geräte selbst bedienen.

Ein Verdacht kommt auf.

 

 

Ich seh mich an,

Ich denk an mich,

Ich denke, dass ich mich am besten

Durch mich überprüfen lassen werde.

Das hält an.

 

Ich werde eines Tages eine Antwort

Wissen.

 

 

 

 

So geschehen

Außerhalb von mir:

Wo ich das Gras vermutete,

Wo früher Halme wuchsen,

Schoss jetzt Draht aus Eisen

Und Gestänge aus der Erde.

Es war Wachstum,

Das sich frei verbreitete.

 

 

Von drüben kamen Fressmaschinen,

Die auf dieser Weide grasten,

Üppig war das Angebot.

 

 

Ich steh der Flucht entgegen,

Den Maschinen gegenüber,

Meine Fingerspitzen

Zeigen leichten Rost,

Vielleicht nur Flugrost.

 

 

 

Wir gerieten in den

Gürtel der Meteoriten

10.000 Aufschläge, Aufschlag 7101

 

Drüben sollte ich mich an der

Pforte melden und mit einem

Messingreifen klopfen,

Und ich sah genau, dass hinter dieser

Pforte, die ein

Rahmen hielt, sich weiter nichts befand,

 

 

 

 

Es stand dort kein Gebäude,

Und es war kein Mensch zu sehen,

Und man sagte mir, dies wäre eine

Sache des Vertrauens,

Und ich ging und klopfte an.

Es war natürlich ganz umsonst,

Und auf der andren

Seite fühlte sich nicht einer

Angesprochen.

 

 

 

 

Die Landschaft war allein.

 

Ich ging hinaus ans kleine Ufer dieser Nacht,

Und über mir, das dunkle Blech,

Millionenfach durchstochen,

Dass das Licht dahinter,

Niederblitzte,

Wölbte sich mir zu.

Die Landschaft war allein.

 

 

 

Von dir erfuhr ich nur,

Weil wir zur gleichen Zeit

Den Blick zum Großen Bären

Richten wollten.

 

 

 

 

Hinterglasgemälde

 

Draußen stand in einer Fensterhöhe,

Oberhalb des letzten Häusergipfels,

Außerhalb davon in einer grauen Wand aus Nebel,

Leichtem Regen, Schnee,

Ein Möwenvogel.

 

 

 

Seine braunen Flügelränder schnitten

In der kurzen Zeit des Augenaufschlags

Eine Schrift, ein Zeichen,

Fast ein wenig Wiedersehensfreude in die Luft,

Den Fetzen von Erinnerung vielleicht,

Das Staunen, noch in dieser Höhe auf Lebendigkeit

Zu stoßen.

 

 

 

Ich, in meinem einen Fenster, eines

Tausendfensterfelsens,

Wusste nicht, dass die Gemälde hinter Glas

Nur in

Gefangenschaft entstehen.

 

 

 

Meinem Wärter hing ich an,

Der lebte in dem Räderwerk

Und war mir unbekannt.

Er wusste davon nichts

Und wachte über mir

Und über mich.

 

 

"Ihm," sang ich laut,

"Sei Lob und Dank.

Ein guter Wärter ist ein Schutzpatron.

Ihm werde ich die Füße,

Nein, die Sohlen seiner Füße küssen."

 

Jeder hörte, dass ich ehrlich war.

 

 

In meinem Falle

Tauschte man sofort den Wärter aus

Und tuschelte:

"Die stärkste Liebe

Stirbt an Trennung."

 

 

 

Dann wurde ich bestraft.

Man schenkte mir zur Strafe

Eine Reise an ein Meer.

 

 

Das Meer war selbstverständlich

Ohne Wasser,

Und statt Palmen an der Küste

Standen eng an eng,

Als Gitterstäbe an dem Rand,

Versteinerungen, alles Menschen,

Die sich trotzdem immer noch

Bewegen konnten.

 

 

Aber, welch ein Leben führten sie.

Sie waren völlig mit sich selbst

Beschäftigt,

Und sie ließen mich nicht durch

Durch sich.

 

 

 

Heute Morgen lag

Mein Schatten vor der Tür

Und wollte heim,

Zurück zu mir.

 

 

Ich hatte ihn bis dahin

Nicht einmal vermisst.

 

 

 

 

Mein schönstes Delfingedicht

 

„Ich bin Delfin

Und schwimm im Meer

Dahin.“

 

 

 

 

Das ist ein Kinderreim, den hat sich

Mama für mich ausgedacht,

Sie hat mir auch noch beigebracht,

Dass ich ein wenig anders bin als andere.

 

 

 

Ich habe eine Nylonschnur um meinen

Hals, die hatten wir zu Anfang nicht beachtet,

Doch sie wird mich langsam würgen,

Und sie hindert mich schon jetzt

Zu schwimmen und zu springen

Wie die anderen, und ganz zuletzt

Werd ich, obwohl ich doch

Ein Kind des Wassers bin,

An ihr in meinem Meer,

Ertrinken.

 

 

 

In einem deutschen Atelier

 

Im ganzen Haus ist alles still.

Der Künstler sitzt in seinem Atelier

Und blickt auf das Modell

In einer Ruhe, die nicht ruhig werden will,

Und seine Augen geistern über es hinweg

Und nehmen hier den Arm,

Ein Stück vom Leib beiseite,

Legen ihre Beine fort

Und schieben sie ihr auf den Rücken.

 

 

 

Gut, dass sie nichts sieht von dem,

Was er sich denkt, denkt sie,

Sie fände sich nicht wieder.

 

Ihre Haare fallen weich und lang,

Das ist ein Anfang, wie er ihn sich wünscht,

Und diesmal will er alles mit dem dritten Auge sehn,

Das, hat er ihr erklärt,

Sitzt hinter seiner Stirn

Und reagiert auf Wärme.

Rot wird er sie malen,

Rot in allen Tönen,

Rot in allen Farben,

Und die Leinwand steht

Als Halteschild dazwischen.

 

 

 

Nun, so will er es,

Soll sie sich auf den Körper malen lassen,

Und sie lässt es zu

Und lebt ja auch mit ihm,

Und aus dem Fenster ruft er

In die menschenleere Straße seine neue Welt,

Und alle lädt er ein zu sich,

Danach verlangt er Wein,

Sie lebt schon lange so mit ihm zusammen

Und reicht ihm ein Glas

Und denkt an das Vorher,

Das wird nachher zum Jetzt,

Das muss sie sich bewahren.

 

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 42 Briefe,

Lyrik

 

Namenlos von meiner Insel, 1. Brief,

Gefangennahme

 

Alles ging sehr schnell.

In einem nahen, fernen Ausland, wo ein

Menschenleben rasch verblühte,

Nahm man mich gefangen.

Einer Schuld war ich mir nicht bewusst,

Ich wurde nicht befragt,

Und ich gestand.

Man fällte noch in meiner Gegenwart das

Urteil:

Tod durch Erhängen,

Und dann, als ein Kader Zweifel hatte,

Wegen einer Sprachverwirrung:

Lebenslängliche Verbannung.

 

 

 

 

Meinen Namen hatte man mir aberkannt

Und schickte mich auf eine

Dieser kleinen Inseln tief im Süden, ohne

Anschluss an die Welt.

Ich durfte unter wenig Menschen leben.

Man versicherte, mit keinem über meine

Schuld zu reden.

 

Einmal jährlich darf ich einen Text

Verfassen, der erscheint, wie dieser,

Irgendwo und ohne meinen Namen.

 

 

 

 

Jetzt, mit dieser kleinen Freiheit,

Wende ich mich an die Präfektur,

An jede Obrigkeit,

Und frage nach:

Warum, weshalb, aus welchem Grund

Hat man mir Solches angetan.

Es geht mir wirklich gut auf meiner Insel

Und ich klage nicht

Und spreche schon mit einer Frau,

Die mich versorgt,

Und sicher bin ich schuldig,

Aber ich erfahre nichts

Und bitte die, die über mich Gericht gehalten haben,

Zu verzeihen:

„Geben Sie mir meinen Namen

Wieder.“

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 2. Brief,

Auf dem Reaktor-U-Boot

 

Es war ein böser Trick,

Dass man mich von der Insel

Einen Brief verfassen ließ,

Man wollte Namen hören

Und dass ich die Obrigkeit beschuldigte

War dumm von mir,

Da gab es kein Verzeihen.

Man verbot mir jede Körperpflege

Und verschleppte mich auf ein
Reaktor- U-Boot,

Das mit reichen Passagieren

Bis in größte Tiefen tauchte.

 

 

 

 

Wochenlang muss ich

In dem Maschinenraum gewesen sein,

Und Namen, die man hören wollte,

Gab ich zu.

Ich musste mich mit einer

Lederpeitsche selber schlagen

Bis das Blut austrat.

Dann schickte man mich wieder heim

Auf meine Insel,

So, als wär nichts gewesen.

 

 

 

 

Bei der Frau, die mich versorgte,

Fand ich fast wie selbstverständlich

Schreibzeug und Papier.

Sie zeigte mir den hohlen Stein

In einer Mauer eines Hauses.

Dort versteckte ich den neuen Brief,

Den schrieb ich gleich nach meiner Rückkehr,

Der war schon am andren

Tag in einer großen Zeitung

Nachzulesen.

Das bewies sie mir in einer

Sendung, die sie täglich sah.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 3. Brief,

Schmerzhaft Sehnsucht

 

Ich war so maßlos traurig

Und so voller Hoffnungslosigkeit.

Ich durfte meinen Namen

Nicht benennen

Und ich wurde nicht danach gefragt.

 

Am Tisch fand ich die

Frau, die mich versorgte.

Mit ihr saßen dort vier Männer,

Die sich friedlich zeigten,

Bei der Mahlzeit.

Denen teilte sie sich auf,

Sie waren Brüder.

 

Mit dem Winken ihrer Hand

Bat sie mich hin zu sich

An ihre rechte Seite, wo noch Platz war,

Auf die Bank.

 

 

 

 

Die Männer schauten unbeschwert auf mich,

Und einer gab mir seine Hand.

Sie aber beugte meinen Nacken

Tief in ihren Schoß.

Ich drehte mein Gesicht zu ihr

Und sah sie von dort unten an.

 

Sie öffnete ihr Kleid

Und beugte sich leicht über mich.

Sie gab mir ihre Brust.

Ich hatte schmerzhaft Sehnsucht

Nach ein wenig Weiblichkeit,

Die stillte sie auf diese Weise.

Wunderbar durchströmte mich,

Was sie mir tat,

Und warme Dankbarkeit

Stieg in mir auf.

 

 

 

 

Die Männer nahmen das Geschehen

Wahr und ließen es gelassen zu.

 

Mein dritter Brief, in dem ich

Dieses alles schreiben würde,

Lag nur wenig später fertig

Auf dem Tisch,

Und einer ihrer Männer nahm

Ihn mit.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 4. Brief,

Namenlosigkeit

 

Vielleicht ist dies das letzte,

Was von mir nach außen dringt.

Man holte mich zurück

Von meiner Insel,

Denn die Richter über mich

Verfügten, dass der erste Spruch

Doch gültig sei:

Tod durch Erhängen.

Die Vollstreckung wurde aber

Ausgesetzt.

Begründung gab es keine.

 

 

 

 

Eine Frau vom Komitee nahm mich

Beiseite

Und sie sagte mir, ich sollte

Alles nicht persönlich nehmen,

Weil ich durch den ersten Richterspruch

Zur Namenlosigkeit

Doch keinerlei Persönlichkeit mehr hätte.

Dies wär auch der eigentliche Grund

Warum das Urteil nicht

Vollzogen werden könnte.

All die andren hätten das ganz schnell

Verstanden und auch richtig

Darauf reagiert.

Ich könnte, wenn ich wollte

Heim auf meine Insel

Oder würde namenloses Opfer meines eignen

Handelns werden.

 

 

 

 

Auf dem Tisch, an dem ich mich

Entscheiden sollte, lagen

Bleistift und Papier.

Ich schrieb den vierten Brief.

Man wartete nun meine Zeilen ab,

Die wollte aber niemand lesen,

Steckte meinen Brief in einen Umschlag

Adressierte ihn und übergab ihn

Einem seriösen Boten

Zur Beförderung an eine große

Zeitung.

 

Mich verbrachte man erneut auf

Meine Insel.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 5. Brief,

Drei junge Frauen

 

Angekommen auf der Insel

Brachte man mich in ein neues Haus.

Das Haus war ein Geschenk für mich.

Es hatte keinen Namen an der Tür.

Die Frau, die mich versorgte

Fragte mich nach meinem Alter,

Und ich wagte keine Antwort,

Ihretwegen.

Die vier Männer, denen sie sich teilte,

Waren nicht dabei.

 

Am andren Tag bekamen wir Besuch von

Fremden in Begleitung,

Die befragten mich in ihrer Sprache.

Wenig später holte man mich wieder ab

Und brachte mich erneut

Auf das Reaktor- U-Boot

Und behandelte mich besser als die Luxuspassagiere.

Der Maschinenraum, in dem ich früher

An den Dampfturbinen Arbeit machte,

Blieb für mich verschlossen.

 

 

 

 

Dann gab man mir gute Kleidung,

Legte Wert auf Sauberkeit

Und abends war ich mit drei jungen Frauen 

Gast bei einem Mann, der über allem stand.

Die Frauen hielten Einigkeit und

Nacheinander, jeweils für drei Abende,

War ich auch Gast in ihren abgedunkelten Kabinen.

Jede zeigte Leuchten in den Augen

Mit verheißungsvollen Blicken,

Und ich blieb die Nächte.

Jede Frau erzählte mir dabei von einem Schicksal,

Das sie hatte, dass sie sich von mir

Ein Liebesglück versprach,

Das sie, ich wüsste schon warum,

Sonst niemals haben könnte,

Und sie wollte nur ein Kind von mir.

Ich wäre namenlos und hätte doch nichts

Zu verlieren.

 

 

 

 

Ich gab alles zu

Und übersah nicht die Gebrechlichkeit

Der amputierten Leiber unter mir.

 

Man brachte mich nach dieser Zeit

Zurück auf meine Insel, zu der Frau,

Die mich versorgte,

Und sie schwor, dass auf der Insel

Nie ein neues Haus gestanden hätte.

 

Bis hier schrieb ich meinen fünften Brief

Und ließ ihn einfach liegen.

Der war, wie von mir erwartet

Schon am nächsten Morgen

Fort.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 6. Brief,

Schwere Blütendolden

 

Die Frau, die mich versorgte,

War sehr lieb zu mir.

Ich glaube nicht, dass sie mich einfach

Liebte, es war viel, viel mehr.

Ihr Blick verriet mir, dass sie sich

Geborgen bei mir fühlte,

Dass sie meine Nähe suchte.

 

Eines Tages schaute sie mich an

Und bat mich, sie ins Inselland

Zu führen.

Ich war überglücklich,

Und es war die Sehnsucht nach dem

Schönen, die mich leitete.

Ich traute ihr und legte ihren Arm

In meinen.

Sie bedankte sich mit einem

Mädchenhaften Blick zu mir,

Doch den verstand ich nicht.

 

 

 

 

Sie schlug mir einen Kurzweg vor

Und führte uns in einen Garten voller

Unbekannter Blumen.

Schwere Blütendolden streiften unsre

Arme, strichen über die Gesichter

Als ein leiser Hauch

Von zartester Berührung.

Deren Leichtigkeit und warmer Duft

Verführten uns, dass wir uns an den

Händen halten wollten.

 

Sie stand plötzlich still

Und schloss, mir zugewandt, die

Augen.

Als in einer leeren Kirche standen wir

In feierlicher Ruhe,

Und ich gab ihr einen Kuss

Und wusste nicht mehr,

Dass sie sich vier Männern teilte.

 

 

 

 

Diesen sechsten Brief schrieb ich

Nicht auf.

Er hing trotzdem bei meiner Rückkehr

An der Innenwand der Tür zu meinem Raum

Und wurde auch nicht abgeholt

Wie all die anderen.

 

Die Frau, die mich versorgte

Spielte nebenan auf einer

Okarina ihre Melodien.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 7. Brief,

Kunst im Raum

 

Am andren Morgen wurde ich in aller Frühe wach.

Ich hörte Männerstimmen

Und die Stimme einer Frau.

Man drang in meine Wohnung

Und erteilte mir Befehle in der fremden Sprache.

Ich gehorchte und mit etwas

Kleidung führte man mich ab ins Freie.

 

 

 

 

Draußen kam die Frau, die mich versorgte,

Ebenfalls aus ihrer Wohnung,

Und sie sah mich an und sah durch mich hindurch.

Gelangweilt biss sie ab von einer Frucht in ihrer Hand.

Ich eilte auf sie zu und wollte etwas sagen,

Aber sie blieb fremd und schaute in die Leere.

Gestern hatte ich sie noch geküsst.

Nun lag in ihren Augen Abgewandtheit,

Die mir jedes Wort im Hals erstickte.

An der Mauer stand ein Reisigbesen.

Den sie nahm, damit den Weg zu fegen,

Doch dann stützte sie sich darauf ab

Mit einem neuen Blick auf unsre Gruppe,

So als sähe sie zum ersten Mal ein Kunstwerk,

Über das sie staunte.

Ohne sich zu rühren wurde sie auf diese Weise

Selbst zur Kunst im Werk, im Raum.

Und ich, zur Namenlosigkeit verurteilt und zu

Lebenslänglicher Verbannung,

Konnte nur noch demutsvoll verharren.

 

 

 

 

Wenig später brachten mich die Männer und die Frau

Erst auf ein Boot zum Übersetzen,

Dann an einen Zug und in ein

Abgesperrtes, isoliertes Sitzabteil.

Man gab mir dort, was ich benötigte.

Die Reise endete nach einem

Tag und einer Nacht in ungewisser

Fahrerei direkt in einem Berg weit unter Tage.

 

Hier, in einem großen Raum mit vielen

Menschen und sehr wenig Licht,

Erhielt ich eine neue Bleibe.

Die war nur ein Drahtgestell als

Bett mit festem Stoff bespannt.

Als ich mich umsah

Fand ich unter dem Gestell in einem Umschlag

Unbeschriebenes Papier und einen Stift.

Ich schrieb den siebten Brief,

Den hob mein Bettennachbar wortlos auf

Und trug ihn als ein Bote fort.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 8. Brief,

Auf der Speisetafel

 

Aus dem Berg war kein Entkommen,

Aber niemand wurde hier bewacht.

Allein der enge Schienenstrang

Gab eine Richtung an.

Dorthin verschwanden manchmal Leute.

 

In dem Berg war ich zum Küchenpersonal

Gerufen worden, ohne Zwang und ohne

Mich zu drangsalieren.

Niemand nahm sich meiner oder eines andren an.

Es gab auch Frauen, die wie wir behandelt wurden.

Sie entschieden sich in jeder Sache selbst.

In meiner Küche gab es kaum ein Wort zu sagen,

Niemand gab Befehle,

Niemand hörte zu, falls jemand redete.

Das Essen selbst war pünktlich aufgetischt

Und wurde abgeräumt von Frauen, Männern,

Die man sonst nicht sah.

Sie sprachen eine fremde Sprache unter sich.

 

 

 

 

Beim Essen stellte sich bald eine

Enge Bindung ein, vielleicht, weil jedes Essen

Eigentlich ganz harmlos einen Namen hatte.

Manchmal aber standen  „Blut“, dann „Leber“,

„Herz“ und „Nieren“ oder „Lunge“

Auf der Speisetafel.

Das entsetzte uns.

Wir wichen blitzschnell aus, als ein gejagter Fischschwarm,

Und entflohen.

Dann, bei einem der Tumulte, stieß ich in ein Messer

Und verletzte mich in Panik an der linken Hand.

Zurück blieb eine Narbe.

Damals zählte ich die Tage und die Nächte

Und blieb länger als ein Jahr und sah kein Sonnenlicht.

Dann wurde ich, als hätte man mich irgendwo

Gefunden, wieder heimgebracht auf meine Insel.

 

 

 

 

Dort erwachte ich am hellen Tag

Aus tiefstem Schlaf und sah

Die Frau, die mich versorgte, neben mir am Bett.

Ich wollte ihr erzählen und sie fragen,

Sie jedoch bestand auf den Besuch der Nachbarin, die einen

Tag vor meinem Abtransport ein Kind geboren hatte,

Das war jetzt und heute keine vierundzwanzig Stunden alt.

Ich sah auf meine Narbe an der Hand

Und auf die Frau, die mich versorgte.

Sie verneinte mit dem Kopf.

 

Ich schrieb, in mich gekehrt, den achten Brief,

Den trug sie augenblicklich fort.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 9. Brief,

Angst mit Angst bekämpfen

 

Meine Briefe fanden nirgends Echo,

Dass, obwohl sie nachzulesen und zu hören waren.

Niemand fand es sonderbar,

Von einem Namenlosen ohne jeden

Umweg etwas zu erfahren.

Die Erlaubnis, Briefe zu verfassen, ohne

Dass man an den Schreiben

Etwas änderte, erfüllte mich mit Mut.

In Zukunft würde ich mich gleich an jeden

Und an alle in der Heimat wenden

Und um Hilfe bitten.

 

Ich sprach mit der Frau, die mich versorgte,

Und erfuhr, dass meine Briefe schon von Anfang an

Für jeden zugänglich und öffentlich gewesen waren.

Dass das Urteil über meine Namenlosigkeit

Und lebenslängliche Verbannung als persönliches Geschick

Und meine eigne Schuld empfunden wurde.

Niemand würde sich je um mich kümmern wollen.

 

 

 

 

Als die Frau, die mich versorgte,

Meine Angst erkannte, riet sie mir,

Ich sollte Angst mit Angst bekämpfen,

Und sie sagte:

„Willkür ist der schlimmste Terrorismus“.

Das verstand ich nicht.

 

Dann aber kam sie eines Abends,

Legte sich entkleidet auf mein

Bett, als wollte sie sich mir beweisen.

Das verwirrte mich, und ich war traurig

Und sah hoffnungslos auf sie herab.

Sie aber zeigte mir mit ihrem Finger

An der Taille eine schwarze Tätowierung,

Die mich tief erschrecken ließ,

Es war das mittelalterliche Zeichen

Von der Tür zu einem an der Pest Erkrankten.

„So kannst du dich schützen“, sagte sie.

Dann sah sie mich sehr lange an.

Ich hätte sie gern lieben wollen,

Und mein Herz war wach,

Doch das, was ich die Seele nannte,

Wog in mir so schwer wie Stein.

Ich dachte auch daran,

Dass sie sich in vier Männern teilte.

 

 

 

 

Nun schreib ich den neunten Brief

Und hoffe auf kein Wunder,

Denn ich spüre die Gefahr

Um die Organe meines Körpers.

 

Einer ihrer Männer hat mir das Tatoo gestochen.

Er war freundlich und entgegenkommend.

 

Dieser Brief blieb ein paar Tage unentdeckt,

Dann war er fort wie all die anderen.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 10. Brief,

Sie kämmte sich

 

Am neuen Morgen schienen alle meine

Spuren wie verweht, verwischt.

Ein Ungefühl nach völliger Verlassenheit

Stand mir im Hals.

Im Haus lag nichts, stand nichts

Und es gab nichts, was mich an mich

Erinnerte.

Im Nachbarhaus war niemand, und die

Frau, die mich versorgte, gab es scheinbar nicht.

Ihr Haus war leer und ohne Möbel,

Kein Gerät und keine Gegenstände.

Nichts bezeugte, dass hier jemals jemand ein

Zuhause hatte oder hatte haben können,

Und es steckte auch kein Schlüssel in der Tür.

 

Ich ging zum Strand und dort entdeckte ich,

Dass meine Spur von mir vor mir im Sand

Zum Wasser führte,

Das entfernte sich mit jedem Schritt

Und immer schneller in die Ferne.

 

 

 

 

 

 

Ich begann dem nachzulaufen, doch es

Floh mit wachsender Geschwindigkeit.

Da blieb ich stehen.

Statt nun selbst zu fliehen, hielt ich fest an

Diesem Augenblick der Leichtigkeit in mir

Und hatte keine Angst.

 

Mit einem Helikopter brachte man mich

Heim auf meine Insel.

Nichts an meinem Körper hatte sich verändert,

Lediglich ein kleines Pflaster auf dem Oberschenkel

Überdeckte einen Einstich.

Von der Frau, die mich versorgte, sah ich bei der

Ankunft gleich den Rücken und die federnd

Dunkelroten Haare, die in langen Locken

Fast bis zu den Hüften reichten.

Ihr Gesicht sah ich im Spiegel, und sie kämmte sich.

Sie sah daraus voll Freundlichkeit  zu mir.

Ich hätte meinen Mund, die Nase und die Hände gerne

In ihr Haar gedrückt.

 

 

 

 

Da kam sie langsam auf mich zu und

Drehte mir, ganz nah, den Rücken zu.

Mit ihrer rechten Hand schob sie die Haare aus dem Nacken

Über mein Gesicht und über meinen Hals,

Und sah mich von der Seite an.

Die Leute, die mich brachten, nahmen

Nicht Notiz davon.

Es war als stünden wir auf einer Bühne

Ohne jedes Publikum.

Mein Herz schlug schnell,

Es war der engste Schritt in unsrem Tanz.

 

Ich schrieb danach den zehnten Brief und

Rätselte nicht um Erklärungen.

Ich weiß auch nicht, wer diesen Brief und wohin

Weitertrug.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 11. Brief,

Die drei Frauen

 

Ohne Vorbereitung holte man mich ab von meiner Insel.

Die Bewacher kannten mich,

Doch ihre Sprache blieb mir fremd.

Ich zeigte keinen Widerstand,

Und war ergeben in mein Los:

Zu lebenslanger Namenlosigkeit verurteilt.

 

Der Transport war eigentlich mehr eine

Reise, weil man höflich zu mir war und

Mich in keiner Weise drangsalierte.

Mehrfach wendete man sich an mich mit

Fragen oder mit Bemerkungen,

Doch die verstand ich nicht.

 

Wir kamen wieder zum Reaktor-U-Boot.

Das war aufgetaucht auf hoher See, und ich gelangte

Aus dem Helikopter über eine Einstiegsluke in das Schiff.

Man hatte mich erwartet, und man brachte mich

In eine aufwendig gestaltete Kabine,

Wo ich, wie das zweite Mal davor,

Zur Körperpflege und zur Kleidung alles passend fand.

 

 

 

 

Am ersten Abend hatte ich

Begegnung mit dem Mann, der über allem stand.

Der lud mich freundlich ein zu einem Essen mit den

Frauen, die ich von dem zweiten Treffen her

Noch kennen sollte.

Das gefiel mir nicht, weil man mir damals

Keine Wahl gelassen hatte, und ich nacheinander

Mit drei amputierten Frauen für drei Nächte

Unfreiwillig schlafen musste.

 

Die drei Frauen kamen auf mich zu

Und gaben mir fast schuldbewusst

Ein wenig Selbstvertrauen, weil sie mich in meiner

Sprache grüßten und nach meinem

Wohlbefinden fragten.

Ihre Hände lagen dabei voller Stolz

Auf ihren Unterleibern.

Eine trat heraus und sagte mir, wie

Glücklich sie nun wären, und sie kämen

Aus dem Land, wo Männermangel herrschte,

Ja, ich sollte alle drei in dieses Land, das hoch in

Kalten Bergen liegt, begleiten,

Und ich wäre sofort frei.

 

 

 

 

Sie überreichte mir drei Fotos von den Ungeborenen.

An meinem Urteil über lebenslange Namenlosigkeit

Vermochten sie zwar nichts zu ändern,

Aber sie versprachen Wohlstand und dass ich mit

Allen drein gemeinsam leben dürfte.

Alle gratulierten mir zu diesem Glück,

Und Tränen standen ihnen in den Augen.

 

Ich verfluchte aber diesen Augenblick

Und sehnte mich sekundenlang nach Selbstkasteiung.

 

Eine Antwort gab ich nicht.

 

Ich ging statt dessen aus dem Raum durch eine Tür,

Die war ein wenig angelehnt,

Und stand vor meiner Unterkunft auf meiner Insel,

Vor der Frau, die mich versorgte.

Sie nahm mir die Fotos aus der Hand

Als wüsste sie Bescheid.

 

Ich schrieb den elften Brief

Und gab ihr den dazu.

Sie wandte sich mit einem Lächeln ab

Und ließ mich wortlos stehen.

 

Mir im Rücken spürte ich die

Unzufriedene Gesellschaft.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 12. Brief,

Ob ich Tango tanzen könnte

 

Die Frau, die mich versorgte,

Saß in meinem Zimmer auf dem Stuhl

An meinem Bett.

Ich stand davor und sah auf sie herab.

Ich wusste nicht, wie weit ich ihr

Vertrauen durfte, und ich hätte sie sehr gerne

Sehr begehrt.

Da stand sie auf und fragte, ob ich mit ihr

Tango tanzen würde, ob ich

Tango tanzen könnte.

Dabei senkte sie den Kopf und

Blickte mich von unten stolz und sehr ernst an

Und legte meinen rechten Arm an ihre

Taille und begann mit ihrem linken Fuß

Den Takt zu stampfen.

 

Ich war irritiert, mir fehlte die Musik.

Doch ihre Schritte und ihr Leib, und weil ich ihre

Körperliche Enge, Haut an Haut, verspürte,

Ließ ich sie sich von mir drehen und sich an mich reißen,

Und ich wurde ihr zum Halt

Und sie mir meine einzige Trophäe.

 

 

 

 

Sie trug eine luftig weite, ärmellose, weiße Bluse,

Ihre blanke Stirn warf Sonnenlicht zurück,

Und in der Anmut der Bewegungen

Ließ sie die Blicke

Mir nicht aus den Augen gleiten.

So gab sie sich ihrem Tänzer hin,

In unsrem Atem waren wir vereint.

Wir tanzten kurz und schnell

Bis sie sich plötzlich ganz aus meinen

Armen rollte und zurückgedreht, wie leblos

Mir zu Füßen sank.

 

Ich war wie sie erschöpft und half ihr auf.

 

Es roch nach Sperma.

 

Meine Frage nach Vertrauen stellte sich nicht mehr.

 

 

 

 

Sie tänzelte noch für Minuten durch den

Raum, als müsste sie ein Puzzle

Stück für Stück und Schritt für Schritt

Zusammensetzen und zusammenfügen,

Eine Kette von zerrissenen Ereignissen

Für sich noch einmal nacherleben.

Dann gab sie mir flüchtig einen Kuss

Und stützte sich dabei auf meinen

Armen ab.

 

Der zwölfte Brief lag tagelang auf meinem

Tisch, als sollte ich mir alles gründlich überlegen.

Danach war er fort.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 13. Brief,

Eine Probefreiheit

 

Ich wurde wieder abgeholt.

Es sollte neu verhandelt werden.

Sicher zweifelte nun keiner mehr an meiner

Unschuld und ich käme frei.

Die Frau, die mich versorgte,

Wollte einfach mit mir kommen,

Und man hatte scheinbar nichts dagegen,

Doch man tat als gäbe es sie nicht.

Ich kam erneut vor ein Gericht.

Die Frau, die mich versorgte,

Sprach als Übersetzerin zu mir

Und ließ mich wissen, dass man mir

Zur Probe, also auf Bewährung,

Meine Freiheit geben wollte.

Diese Probe, diese Freiheit, hätte nichts

Mit mir zu tun und änderte auch nichts an meinem Urteil,

Nein, sie wäre eine Probefreiheit meiner alten Welt.

Die sollte sich bekennen.

 

Das verstand ich nicht.

 

 

 

 

In meiner alten Heimat angekommen

Sah ich gleich, dass an der Eingangstür

Ein fremder Name stand, und Nachbarn, die

Ich kennen musste, gab es nicht.

Man sprach mich aber an und fragte,

Ob ich der sei, der im Ausland zwar begnadigt,

Aber schuldig und verurteilt worden sei.

Die Frau, die mich versorgte,

Sagte mir, dass diese Leute nur das Wissen hätten,

Das ich selbst in meinen Briefen mitgeteilt

Und fortgegeben hätte.

Niemand hier bezweifelte die Schuld an mir

Und dass es alles schon mit rechten Dingen

Zugegangen sei.

Man wendete sich ab.

Es hieß sogar, dass man mich hier nicht haben wollte,

Und man kehrte mir den Rücken.

 

 

 

 

Auch die Frau, die mich versorgte, war kein Trost,

Im Gegenteil.

Von ihr erfuhr ich nämlich, dass man mir die Heimkehr

Auf die Insel offenhielt, ich brauchte dem nur zuzustimmen.

Namenlos in meiner Heimat, sollte ich mich wie in der Verbannung

Unfreiwillig und doch freiwillig dem

Urteil, dass ich nicht verhindern konnte, beugen,

Und mich fremdbenutzen lassen.

 

Einzig in der Frau, die mich versorgte, sah ich

Noch die Hand, die sich mir bot,

Und floh in Angst mit ihr zurück auf meine Insel.

 

Diesen vielleicht letzten Brief schrieb ich

In großer Eile, und er wurde, wie noch feucht,

Mir aus der Hand gesogen und verschwand.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 14. Brief,

Kein Geräusch

 

Diesen Morgen schlief ich lange

Und erwachte von der Ruhe um mich her.

Von draußen drangen keine Laute, kein Geräusch zu mir,

Es schien als wäre alles das, was mich umgab, in

Stoffe, Tücher, Watte eingeschlagen.

Dumpfe Stille hielt den Atem an.

Ich ging an meine Haustür

Um hinauszuschauen,

Doch sie war verklemmt,

Es drückte sie von außen etwas zu.

Ich sah durch einen Spalt

Und fand ganz eng ans Haus gewachsenes

Gestrüpp, dahinter Bäume, aufrecht und gestürzt,

Die ich zuvor noch nie gesehen hatte.

Urwald hatte sich dort ausgebreitet.

Durch das Fenster war ein starker Ast gewachsen,

Der stieß an die Zimmerdecke.

Jenen kleinen Sandweg, der zu meiner

Haustür führte, hatte sich Natur zurück erobert.

Ich stieg an dem Ast ins Freie.

Niemand war zu sehen.

Weit zu gehen traute ich mich nicht,

Ich hatte Angst, es war mir alles fremd.

 

 

 

Ich kletterte zurück ins Zimmer.

Es war dunkel hier und Lampen funktionierten nicht.

Ich setzte mich zurück aufs Bett.

Da öffnete sich eine Tür, die ich zuvor noch nie

Gefunden hatte, neben meinem Bett in einen andren Raum.

Der war mein ursprünglicher Wohnraum in Kopie,

Ganz gleich und ohne diesen Wildwuchs.

Alles dort war so wie ich es kannte, so wie immer.

Etwas seitlich hielt die Frau, die mich versorgte,

Mit der rechten Hand den Türgriff,

Und mit ihrem linken Zeigefinger winkte sie mir zu,

Dass ich ihr folgen sollte.

Dann verschwand sie hinter ihrem Türblatt.

Ich stieg übers Bett nach drüben, doch sie hatte diesen Raum

Schon durch die Eingangstür verlassen.

Ich trat ebenfalls nach draußen und fand alles

Unverändert und vertraut wie eh und je.

Der Sandweg führte als ein Rinnsal auf die

Haustür zu, und alles war verlässlich.

Die Geräusche waren mir gewohnt, und nebenan

Sprach jemand laut, ein anderer sang eine kleine Melodie.

Die Zwischentür zum ersten Raum war zugeschlagen.

Ich ging wieder hin und öffnete sie weit, um nachzuschauen,

Was ich dort verlassen hatte.

Urwald hatte sich tatsächlich bis hier ausgebreitet.

 

 

 

Ich stand noch im Rahmen dieses Durchgangs

Als die Frau, die mich versorgte, wieder eintrat.

Die vier Männer, denen sie sich teilte, waren auch dabei.

Sie gaben mir ein Zeichen, dass ich mich entscheiden sollte.

Ich ging in den neuen Raum.

Sie wollten nun den Durchgang wie mit Fensterläden schließen.

Das war mir zu grob und viel zu unwirklich.

Das spürte wohl die Frau, die mich versorgte.

Sie sprach mit den Männern und nahm mich in freundschaftlicher

Führung mit sich weit nach draußen bis hin zu den Blumengärten.

Nirgends sah ich Wildwuchs oder Urwald.

Erst am späten Abend kamen wir zurück.

Die Männer hatten in der Zwischenzeit die Öffnung

Sowie jede Spur zu einem andren Raum beseitigt,

Und auch draußen konnte ich nichts finden.

 

In dem neuen Zimmer schrieb ich alles auf,

Was mir seit diesem Morgen widerfahren war.

Ich suchte nicht nach Fragen oder Antworten.

 

Dem Brief gab ich die Nummer Vierzehn.

Er lag tagelang in meinem Zimmer neben meinem Bett,

Dann hatte man ihn abgeholt.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 15. Brief,

Ausgeliefert

 

Das Urteil stand mir hoch als Wand vor Augen:

Ohne Schuld war ich in einem fremden Ausland

Erst zum Tod durch Hängen abgeurteilt worden,

Später, wegen einer Sprachverwirrung,

Namenlos verbannt auf diese Insel.

Hier war ich der Willkür Unbekannter ausgeliefert.

In der Heimat hatte ich noch Schlimmeres erlebt:

Man wollte mich dort nicht mehr haben,

Weil man mich für schuldig hielt.

 

 

 

 

Die Rückkehr war mir so vereitelt worden.

Nirgends konnte ich Vertrauen fassen,

Auch nicht zu der Frau, die mich versorgte.

Lange dachte ich darüber nach.

Ich wusste nicht, ob sie und die vier Männer,

Denen sie sich teilte, einer Obrigkeit gehorchten.

 

 

 

 

Diesem, meinem neuen Brief, gab ich die Nummer fünfzehn,

Und ich wusste nicht, für wen, für was ich alles festhielt.

Draußen mochte es noch jemand geben,

Der viel Schlimmeres erlebte und erfuhr,

Doch konnte mir das Trost sein und Vertrauen schenken?

Worauf konnte ich noch hoffen?

 

Gleich nach seiner Niederschrift war dieser Brief

Verschwunden.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 16. Brief,

Im „Großen Haus“

 

Ich verließ das Haus

Und ging spazieren.

Da fuhr neben mir ein Wagen auf.

Der wurde von der Frau gelenkt, die mich versorgte,

Und sie fragte, ob ich sie begleiten wollte.

Sie war auf dem Weg zum „Großen Haus“.

Das kannte ich noch nicht.

So stieg ich zu ihr ein.

Sie sah ein wenig anders aus als sonst.

Ich sah sie von der Seite an, mir fiel jedoch nichts weiter auf.

Wir fuhren zu dem „Großen Haus“.

Es schien sehr herrschaftlich.

Von weitem sah ich viel Geschäftigkeit.

In nächster Nähe gingen dann zwei Frauen,

Die der Frau, die mich versorgte, zum Verwechseln

Glichen.

Ich war irritiert,

Die Frau saß neben mir und war auch draußen.

Eine von den beiden sah ein wenig jünger aus,

Die andere schien älter.

 

 

 

 

Meine Fahrerin blieb ungerührt.

Wir traten ein.

Gleich hinter dem Empfang stand ich.

Ich stand dort zweimal,

Einmal so wie ich vor Jahren ausgesehen hatte

Und daneben ganz genau wie jetzt.

Ich wollte mich verstecken.

 

In dem ganzen Haus war reges Tun und auch viel Lässigkeit.

Ich traf auf immer neue Doppelgänger.

Keiner staunte, alle waren ungewöhnlich frei.

Ich kannte mich bald nicht mehr aus.

Die Frau, die mich versorgte und den Wagen

Hergefahren hatte, konnte ich nicht mehr entdecken.

Sie war in zu viele gleiche Frauen eingetaucht.

Da wurde ich von einem meiner Doppelgänger angesprochen.

Er sah mich sehr freundlich an.

Er sprach jedoch nicht meine Sprache,

Und ich lächelte verständnislos zurück.

Ein wenig aber spürte ich Vertrauen,

Und ich hatte Lust ihn zu berühren.

 

 

 

 

Viele Wochen lebte ich im „Großen Haus“.

Wir gaben uns an Kleidung, Essen, Überflüssigem

Und an Erforderlichem was wir brauchten.

Immer war jedoch schon alles angetan und

Stand bereit für mich, für alle meine Ichs

Und für die Doppelgängerinnen von der Frau,

Die mich versorgte, und sie selbst darunter.

 

Eines Tages redete von denen eine ganz vertraut mit mir,

Dass ich „der in Verbannung“ sei,

Sie führe wieder heim und wenn ich wollte..

Ich war gleich dabei und sagte: „Ja“,

Doch trauen konnte ich ihr nicht.

 

So fuhren wir zurück.

 

Zu Hause angekommen

Stand die Frau, die mich versorgte, uns im Weg,

Und ohne Staunen öffnete sie mir die Wagentür.

Sie fragte nur, ob ich im „Großen Haus“ gewesen sei

Und sah gelangweilt auf die Doppelgängerin.

Die grüßte sie und fuhr, als wäre nichts, davon.

 

Mein neuer Brief erhielt die Nummer sechszehn,

Und er wurde schon am andren Tag

Von jemand wortlos abgeholt.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 17. Brief,

Doppelgänger

 

Die Frau, die mich versorgte,

War bei mir am späten Vormittag zu Gast und

Sprach von großem Glück, das uns beträfe.

Ich verstand sie nicht.

Sie wollte deshalb mit mir leise dieses

Haus verlassen und zum „Großen Haus“,

Wo unsre Doppelgänger lebten, fahren.

Für Sekunden hatte ich mir anderes von ihr

Versprochen, und ich hätte sie so gern geliebt.

Das spürte sie und gab mir zu verstehen,

Dass sie etwas wüsste, was für sie und mich

Und die vier Männer, denen sie sich teilte,

Wichtiger und von Bedeutung sei.

Sie sah mich dabei aber an, dass ich sie in die

Arme nehmen musste.

Für den Augenblick fing ich sie auf,

Doch sie gab sich als Frau und wollte keinen

Trost.

Wir liebten uns das erste Mal.

Das dauerte bis in die Dämmerung.

Dann aber wollte sie mir zeigen, was sie wusste,

Und wir fuhren los.

 

Nicht weit vom „Großen Haus“ entfernt

Versteckten wir uns hinter  einem Busch.

Doch das war gar nicht nötig.

 

 

 

 

 

Ich erkannte Schreckliches.

Es lagen alle Leiber unsrer Doppelgänger leblos

Vor dem Haus.

Sie waren noch zum Teil bekleidet, aufgestapelt und an vielen

Stellen ihre Körper aufgeschlitzt und schlimm

Entstellt.

Wir sahen Kinder unter ihnen, aber wagten uns nicht

Nah an sie heran und nicht, sie zu berühren.

 

Links vom „Großen Haus“ erkannte ich die Männer,

Denen sich die Frau, die mich versorgte, teilte.

Die vier Männer trugen Schutzanzüge, und es schien,

Dass sie die toten Leiber sammelten, um sie zu

Transportieren.

Einer von den Vieren schrieb an einer Liste.

 

„Uns“, so sagte sie, „hat man verschont, weil wir die wahren

Körper haben.

Unsre Doppelgänger waren scheinbar ein Versuch,

Sie hatten aber wahres Leben,

Denn sie hatten Kinder.

Das war mir seit langem schon bekannt.“

 

 

 

 

Ich hielt bei dem Gedanken an die Kinder meinen

Atem an, das Herz schlug mir im Hals.

Ich fühlte mich als Vater und empfand doch keine

Trauer.

 

Sie stand lange still und schlug dann vor

Zurück zu fahren:

„Wir sind hier umsonst, wir können und wir konnten

Gar nichts machen.

Keiner von uns weiß, warum sie sterben mussten.“

 

Diesmal gingen wir zu ihr nach Hause,

Und wir liebten uns ein zweites Mal in

Tränenreichem Wiedersehen, in Verzweiflung und in

Abschied.

 

Tage später schrieb ich,

Alles auf und gab dem

Brief die Nummer siebzehn.

Der lag lange unbeachtet hinter meinem Bett

Bis ich ihn fast vergessen hatte.

Eines Tages aber wollte ich das „Große Haus“ erneut besuchen,

Doch es gab nichts mehr, kein Haus, kein Grab und keine Spur.

Seitdem war auch mein Brief

Verschwunden, so wie all die anderen davor.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 18. Brief,

Ein weiteres Geheimnis

 

Meine Liebe, die ich zu

Mir hatte, ging verloren,

Ich empfand mein Lieben

Nicht mehr liebenswert

Und dass ich mit der Frau,

Die mich versorgte und die sich

Vier Männern teilte, Liebe hatte, war

Mir ein Geschenk in aussichtsloser Lage.

Sie war mir ein Himmel, den ich in der

Kleinsten Wasserpfütze sah.

 

Ich war am Rande des Betruges,

Des Verrats an mir.

Ich hasste mich und dankte allem

Über mir zugleich, dass es dies wunderbare

Wesen gab.

Wir hatten kein Geheimnis

Voreinander und vor niemandem,

Und doch war es für andere nicht nur, als

Wäre nichts, es war viel weniger, es

Intressierte sich nicht einer für uns zwei,

Und selbst die Frau, die mich versorgte,

Die mir nun so nahe stand, war

Unpersönlich, höflich,

Und sie fragte mich nach gar nichts aus.

Ich drängte sie, mir zu erzählen,

Was sie fühlte, was sie dachte,

Und vor allen Dingen, wie sie hieß.

Die Frage schien ihr fremd,

Als wüsste sie nicht, was ich meinte,

Aber sie war aufgeregt

Und wollte mir ein weiteres

Geheimnis zeigen.

 

 

 

 

Also fuhren wir in eine

Gegend dieser Insel, wo sich Wellen

Ohne Sturm an einer Küste brachen

Und zu Wassersäulen türmten.

Es war tosend laut.

Sie schrie mir zu und flüsterte zugleich:

„Darunter leben sie versteckt

Und können rasend schnell nach

Oben kommen.

Niemand ist vor ihnen sicher,

Sie bestimmen über alles!“

 

Ich war überrascht und

Konnte eine solche Technik nicht

Verstehen.

Doch vor meinen Augen brachen

Gischt und Wassersäulen in ein Nichts

Zusammen, und der Felsenboden senkte

Sich nach unten ab, dort sah ich

Glasverdeckte Häuser, die im Kunstlicht

Standen.

Dann verschloss sich alles wieder,

Und die Wassersäulen stiegen auf.

Ein leichter Wind trug

Wassernebel her zu uns.

 

 

 

 

Er schmeckte nicht nach Salz.

 

Wir fuhren heim und saßen lange

Auf dem Bett in meinem

Zimmer.

Keiner von uns beiden

Wusste etwas zu erklären.

Keiner wagte das Gesehene zu

Deuten.

 

Wieder schrieb ich alles auf

Und gab dem Brief die Nummer achtzehn.

Als die Frau, die mich versorgte,

Spät am Abend ging,

Nahm sie den Brief vom Tisch

Und nahm ihn wortlos mit sich fort.

Ich rief ihr meine Frage nach.

Doch schien es mir als wäre plötzlich

Eine jeden Laut verschluckende und unsichtbare

Trennwand zwischen uns.

 

Sie konnte mich nicht hören.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 19. Brief,

Eine junge Frau

 

Die Frau, die mich versorgte und die sich

Vier Männern teilte, kam, mich zu

Besuchen.

In der Hand hielt sie die Okarina, die sie

Eigenwillig spielte, und sie fragte dann,

Ob mir ihr Spielen recht sei.

Ihre Melodie war leicht und sanft,

Sie rührte mich in fremder Weise,

War das Trippeln einer Frau in buntem, engem Rock

Auf hölzernem und doch gedämmtem Boden.

Diese Frau, von der ich keinen Namen wusste,

Hatte ich geliebt und war doch nicht in

Leidenschaft zu ihr,

Es war, als lägen unsre Zimmer auf dem selben Flur,

Ganz nah, und doch so weit entfernt,

Es schien, wir müssten uns von uns

Erlaubnis holen, um uns zu besuchen.

 

Ihre Melodie klang aus.

Sie wollte wissen, ob ich auch ein

Instrument zu spielen wüsste,

Und ich hatte keine Antwort, denn mir war sie nicht

Die Spielerin auf einem Instrument,

Sie war viel mehr die Bringerin von

Liebessehnsucht.

Ihre Frage ließ ich liegen.

 

Hier in meinem Zimmer war es eng, und

Sie war nah an mir,

Ich wagte aber nicht, sie zu berühren.

Ja, ich spielte auch ein Instrument und

Sagte es ihr jetzt.

Sie aber sprach von etwas anderem,

Und sagte, dass sie eine Frau an ihrer

Seite hätte, und die würde draußen warten.

Diese Frau wär ein Beweis, ein schlimmer leider,

Aber sie wär noch am Leben.

 

 

 

 

Ich verstand kein Wort und wurde hart aus meiner

Kleinen Harmonie gerissen.

 

Ich ging vor die Tür nach draußen.

Dort stand eine junge Frau mit einem leichten

Seidentuch um ihren Kopf, das nur zwei grüne Augen

Ausschau halten ließ.

Sie sprach mich holperig in meiner Sprache an,

Entschuldigte sich aber gleich dafür.

Sie zeigte Anmut, und das Tuch

War Teil von einer feinen Schönheit.

Dann jedoch zog sie das Tuch wie einen

Schleier langsam vom Gesicht.

Das war entstellt, gleichzeitig aber so verheilt,

Als hätte sie ein viel zu festes, weißes Tuch um

Ohren, Nase und den Mund gezogen.

Ihr, so sagte mir die Frau, die mich versorgte,

Hätte man die Lippen, Ohren, Nase einfach abgeschnitten

Und sie ihrem Schicksal überlassen.

Das tat mir unendlich leid.

 

Ich nahm sie ohne Worte und mit großer

Vorsicht in die Arme.

Sie jedoch war fest und unbeirrt und wies den

Trost von sich.

„Ich habe Schlimmeres erlebt als das,

Was ich dir zeige“, sagte sie und

Zog den Schleier des Erbarmens

Wieder über ihr Gesicht und ihren Kopf.

 

 

 

 

Es war schon spät am Abend,

Und die Frau, die mich versorgte,

Ging mit ihr voran und mir an ihrer Hand,

In meine Wohnung.

„Keiner hat mehr Umgang mit der Frau“,

Sprach sie wie zu sich selber, aber laut.

 

Die Frau war still und setzte sich in

Artigkeit auf einen Stuhl.

Die Frau, die mich versorgte, sagte noch im Gehen:

„Diese Frau hat niemanden, sie bleibt

Nur ein paar Tage.

Sie vertraut in allem ganz auf dich

Und danach wirst du nie im Leben wieder

Etwas von ihr hören.“

Da verstand ich meinen Auftrag

Und bedachte alles sehr genau.

 

Aus Mitleid wollte ich die Frau nicht haben,

Dazu war sie auch zu stolz.

Sie wollte sich jedoch in ihrer Not von einer andren

Not durch mich befreien lassen.

 

Nach fünf Tagen war sie früh am Morgen

Wieder fort.

Ich hatte sie sehr gern an meiner Seite.

 

Alles schrieb ich wieder auf und gab dem

Brief die Nummer neunzehn.

Den nahm sie bei ihrem Auszug

Heimlich, ohne mich zu fragen, mit.

 

Die Frau, die mich versorgte,

Hatte einen langen Blick für mich.

Der schien gemischt mit Neugier und mit

Aufmerksamer Dankbarkeit.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 20. Brief,

Moderne Technik

 

In meiner hoffnungslosen Lage

Tastete ich vorsichtig nach etwas Glück.

Ich lebte namenlos verbannt in

Unbekannter Fremde auf der Insel, und in meiner

Heimat glaubte man dem Urteil über mich, zu dessen

Grund mir niemand jemals etwas hatte

Sagen wollen.

Meine Heimat nahm mich nicht mehr auf.

 

Ich war ein Todeskandidat,

Und nur durch eine Sprachverwirrung

Blieb das Todesurteil ausgesetzt.

Man wandelte es um in lebenslängliche Verbannung

Und in Namenlosigkeit.

Von da an war ich fremdbestimmt,

Und es verfügten Unbekannte über mich

In ungebremster Willkür,

Und seit kurzer Zeit empfand ich Mut zur

Gegenwehr und dachte weit zurück

Und sehr weit in die Zukunft, denn die hätte

Ich vielleicht zusammen mit der Frau, die mich

Versorgte und die sich vier Männern teilte,

Finden können, doch sie blieb mir trotz

Der körperlichen Nähe unvertraut.

 

 

 

 

Ich ging zu ihr und fragte sie nach technischen

Verbindungen in meine Heimat.

Davon hatte sie erfahren und sie führte mich

Sehr weit zu einem kleinen Haus.

In dem fand ich moderne Technik, deren

Umgang und Benutzung sie mir zeigte.

Es war nichts Verbotenes dabei.

Wenn ich die Nummer oder Anschrift eines

Adressaten wüsste, könnte ich hier alles

Nutzen,

Der Empfänger müsste lediglich zur

Kostenübernahme Einverständnis geben.

Darin sah ich kein Problem und rief aus alter

Zeit die erste Nummer des Vertrauens auf.

Als die Verbindung stand und ich auf einem

Bildschirm die Person im Kreis von Freunden

Sehen konnte, lehnte man dort jede Kostenübernahme

Strikt und einfach ab.

Die Stimmen hörte ich sehr gut, und auch das Bild

War einwandfrei.

Mich aber konnten sie nicht hören,

Keiner wollte mit mir sprechen.

Es war kein Betrug.

 

 

 

 

Die Suche nach ein wenig Glück

Nahm eine sonderbare Wende.

Unglück in der Fremde und in meiner

Heimat hielten sich so gleichgewichtig

In der Waage, dass mich Ausgeglichenheit,

Zufriedenheit und nie gekannte Glücksgefühle

Überkamen.

 

Eine reiche Stille breitete sich in mir aus

Und ließ mich schweben.

So nahm ich die Frau, die mich versorgte,

An die Hand, und auf dem Weg zurück

War ich ein freier Mann.

Ich fühlte in mir Sicherheit erwachsen

Und es schien, dass ich nicht einem Menschen mehr

Nur das Geringste schuldete.

 

Zuhause schrieb ich alles wieder auf,

Der Brief erhielt die Nummer zwanzig.

Und noch während ich die Zeilen schrieb,

Erstarkten meine Glücksgefühle, und es blieb

Nicht nur Erinnerung an einen schönen

Augenblick, es wuchs in mir Vertrauen in die

Zukunft.

 

Dieser Brief lag lange unbeachtet in dem Zimmer.

Irgendwann verlor ich ihn aus meinen

Augen.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 21. Brief,

Mit honigsüßen Worten

 

Das Leben, das ich führte, nahm mich in

Beschlag, und es schien alles gut.

Ich hatte mich daran gewöhnt und musste mich um

Gar nichts kümmern,

Und die Frau, die sich vier Männern teilte,

Sorgte sich um mich mit größter Freundlichkeit

Und manchmal auch mit Liebesnähe,

Doch sie sprach kein Wort darüber.

Was sie dazu trieb blieb ein Geheimnis.

Wünsche, die ich hatte, nahm sie ernst

Und half nach Kräften.

 

Ungeachtet dessen, sah sie ganz gelassen zu

Als mich erneut drei Männer holten

Und gefesselt in ein Auto zerrten.

Ich versuchte diesmal Widerstand, den gab ich aber sehr

Schnell auf.

Die Männer setzten sich im Fahrzeug Atemmasken auf,

Und ich erwachte erst bei Dunkelheit in einem fremden Raum.

Mir war ein wenig übel.

Mit der Fessel an den Handgelenken tastete ich

Meinen Körper ab.

Ich suchte nach Verletzungen, nach Narben, die vielleicht

Entnahmestellen wären oder nach Verbänden.

Dabei bohrte ich mir aus Versehen mit dem freien Fesselende

In den Leib und fürchtete das Schlimmste.

Aber ich fand nichts und unterdrückte meine Angst.

 

Ich schlief danach sehr lange weiter, bis man mich in fremder

Sprache weckte und die Fessel von den

Handgelenken schnitt.

Man führte mich in einen Raum mit anderen und gab mir

Trinken und zu Essen.

Über mir in allen Zimmerecken sah ich winzige Geräte, die mich

Gleich beim Eintritt in den Raum erfassten, sich

Geräuschlos und synchron mit mir bewegten.

Nach dem Essen führte man mich in den ersten Raum zurück,

Und ließ mich dann allein.

 

 

 

Ich sah nun, dass die Liege recht bequem,

Fast komfortable war,

Es standen unerwartet viele schöne Möbel zum Benutzen.

Eine Tür war angelehnt und führte in ein Bad mit Dusche

Und den Dingen, die ich gern zur Körperpflege hatte.

Oben, an der Zimmerdecke aber hingen

Wieder die Geräte, die mich stumm erfassten

Und verfolgten.

 

Es war hell, und ich erkannte nicht

Ob ich im Kunstlicht oder in der Sonne stand.

Es lagen Kugelschreiber und Papier auf einem Tisch.

Mit einem Regler ließ sich die Beleuchtung steuern.

 

Tagelang und regelmäßig nahm sich jemand meiner an,

Und führte mich zum Speiseraum und auch zu einem Pool,

Doch keiner konnte mich verstehen.

 

Eines Abends aber sprachen mich zwei unscheinbare und doch

Auffällige, junge Frauen freundlich und in meiner Sprache an.

Sie hatten beide schulterlanges Haar mit Locken, die

Kastanienfarben schimmerten.

Es waren Zwillinge, in allem zum Verwechseln gleich.

Sie flöteten mit honigsüßen Worten,

Und sie geizten nicht mit eleganten Künsten ihrer

Augen und mit Handbewegungen in ihre Haare und mit

Großen Gesten, die bis nah an meine Schultern reichten.

Fast wie selbstverständlich kam es dann, dass sich die eine

Sanft entschloss, und mir im Beisein ihrer Nachbarin das

Angebot, sie zu begleiten, unterbreitete.

Das war verlockend und mir mehr als recht.

Die ganze Nacht verbrachte ich mit ihr.

 

Am zweiten Abend ließ sich ihre Schwester mit mir ein.

Ich konnte sie jedoch von ihrer

Zwillingsschwester überhaupt nicht unterscheiden.

Dann verbrachte ich die dritte Nacht mit beiden,

Weil sie es so wollten.

Beide waren dabei sehr gesprächig.

 

 

 

Ich erfuhr von ihnen, dass sie in den letzten

Vorbereitungen zu einer Reise in den Orbit waren,

Und hier machten sie nur kurz Station.

Die Reise würde viel zu lange für ein

Menschenleben dauern, deshalb wollten oder mussten sie im

Raum Familie gründen und durch sie den Flug

Zu Ende führen lassen.

 

Sie erzählten völlig unbeschwert, dass sie

Geschlechtsneutral geboren worden wären

Und dass dieser Umstand erst die Reise möglich machte.

Weiter sagten sie, sie könnten

Sperma lebenslang in sich lebendig aufbewahren

Und gezielt zu jeder Zeit ein Ei damit befruchten,

Dass sie das Geschlecht bestimmen und sogar

Dem Nachwuchs ihre eignen Fähigkeiten und den

Samenvorrat mit vererben konnten.

Ich als Namenloser hätte dabei nichts riskiert.

Ich könnte nichts verlieren

Und durch sie im Grunde nur gewinnen.

Alles wäre denkbar ohne dass ich einen

Nachteil haben würde.

Von dem neuen Wissen wollten sie mir weiter nichts erzählen.

 

Ich sah mich nicht nur von beiden Schwestern schwer

Betrogen sondern auch von mir verraten,

Denn ich hatte mich das Opfer meiner eignen

Eitelkeit und Lust und Dummheit werden lassen.

 

Anderntags war keine Spur mehr von den Zwillingen zu finden.

 

Wieder schrieb ich alles auf und gab dem Brief die

Nummer einundzwanzig.

Dem galt lange kein Intresse

Bis ich ihn vergessen hatte und nicht wieder fand.

 

Ich wohnte lange völlig unbehelligt weiter in dem Haus

Und hatte freie Zeit, die wollte ich für die Erkundung nutzen.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 22. Brief,

Unterwasserspiele

 

Man hatte mich gefesselt und verschleppt.

Es schien, dass mein Verschleppen eine Sache war, die ich nicht mit

Gefangenschaft verwechseln durfte,

Denn die Fessel war mir bei der Ankunft abgenommen worden.

Niemand zeigte Grenzen auf,

Man zwang und drängte mich zu nichts.

 

Der Raum, in dem ich mich befand,

Und der zuerst für mich Gefängniszelle war,

Der Speisesaal und auch der Pool

Verloren langsam mit den vielen Wochen Aufenthalt,

An Fremdheit.

Dass sich niemand zu erkennen gab, und

Niemand meine Sprache sprach,

Ertrug ich schwer.

Ich wusste nicht, wie ich mich orientieren sollte.

Ich vermisste auch die Frau, die mich versorgte,

Und die sich vier Männern teilte.

Ich vermisste meine Insel.

Aus der Orientierungsnot jedoch wuchs

Neugier für die Welt, die Niemandswelt,

In der ich mich befand.

 

Ich wollte wissen, welche Leute außer mir in diesem Haus

Zuhause waren und begab mich auf Erkundung.

Überall entdeckte ich, dass Menschen sich ganz

Nebensächlich grüßten oder ignorierten und zugleich

Erlebnisleben führten, die ich so nicht kannte.

Hohe lichterfüllte Räume reichten allseits bis in weite Fernen,

Landschaft wandelte sich nahtlos um in Unterwasserlandschaft,

Und ich sah sie tief im Raum verschwinden.

Bäume allerdings und Sträucher gab es nur als

Meerespflanzen, die sich ohne jeden Wellengang

Und ohne Strömung, ohne Wasser um sie her, in sanften

Schwingungen bewegten.

Zwischen ihnen schwebten, flogen

Große, kleine Meerestiere, die in Schwärmen oder

Einzeln kamen und verschwanden.

 

 

 

 

Jemand neben mir sah mein Erstaunen, und in meiner

Sprache sagte er: „Was du hier siehst, ist alles wahr,

Du kannst es glauben. Nichts ist Illusion.“

Das war von jenen Männern einer, die mich oft begleiteten und

Sonst in meiner Sprache nichts verstehen wollten.

 

Ich durchstreifte Raum um Raum, und sah in ihnen viele

Männer, Frauen, Kinder wie sie miteinander spielten.

Ihre Kleidung war mir fremd und immer eng anliegend.

 

Auf sehr großen, supergroßen

Tischen und darüber lagen und bewegten sich mir

Völlig fremde Meerestiere frei von allem Wasser,

Aber so als wären sie in ihrem Element und doch gefangen.

Eine Art Gehege ohne Zaun war offensichtlich diesen

Tieren vorbehalten, und mir schien, sie trügen nur zur

Unterhaltung der Besucher bei.

Man achtete jedoch nicht viel auf sie.

 

Ganz hinten aber sah ich, dass sich Menschen drängten

Und vor einem übergroßen Fenster standen,

Das war leicht gewölbt nach draußen.

Hinter diesem Fenster sah ich Meeresgrund und Meer, und darin

Menschen, die noch eben neben mir gestanden waren, wie sie

Diese fremde Welt für sich eroberten und dort spazieren gingen.

 

Sie betraten und verließen Meeresgrund und Meer durch eine Wand,

Die schien wie Glas zu sein.

Sie gingen beim Betreten einfach auf die Fläche zu, und die

Umhüllte sie sofort und gab sie beim

Verlassen unbeschadet wieder frei.

 

Ich sah sie dort im Meer in großen, durchsichtigen

Blasen, die das Meer zu ihrem Schutz verdrängten,

Sah sie laufen, springen, gehen,

Sah die Blasen sich vereinen, wenn sie sich zu nahe kamen,

Und sich wieder voneinander trennen.

 

 

 

 

In den Blasen war kein Auftrieb, sondern nur die

Hüllen weiteten sich oben sehr und wurden

Bodennah auf angelegten Wegen

Festgehalten oder fest geführt.

Die Wege, die man zu beschreiten hatte, waren

Ausgeleuchtet,

Meerestiere, deren Wege sich mit diesen

Blasen kreuzten, wurden von mir unbekannten

Kräften leicht und sicher abgelenkt.

 

Es waren Unterwasserspiele in sehr großer Tiefe,

Viele Menschen nahmen daran teil.

Dabei entstanden blitzschnell kaum noch wahrnehmbare neue

Formen, schillerten und flackerten in größter Nähe

Farben auf, die wieder Farbenschatten warfen.

Alles folgte einem Rhythmus leiser Melodien, vielleicht aus Walgesang,

Gespielt auf unsichtbaren und mir nicht bekannten

Instrumenten.

 

Weit davon entfernt, in einem anderen Bereich der

Unterwasserstadt, entdeckte ich die Vorbereitung einer übergroßen Feier.

Schriften, die ich lesen konnte, kündeten vom

„Tag des wahren Lebens.“

Dann, so hieß es, wollte man die Ankunft einer echten Rose, die

Zwei Tage nicht verwelkte, feiern.

Allen sollte sie ein Zeichen sein.

Ich atmete, wohl nur in Sehnsucht und Erinnerung,

Den warmen, süßen Duft.

 

Als ich zurück in meine Räume kam, erwartete man mich

Und sagte, dass ich heim auf meine Insel sollte.

Es blieb wenig Zeit.

Ich schrieb in Eile alles auf und gab dem Brief die Nummer

Zweiundzwanzig.

Der war aber nicht zu retten und blieb achtlos liegen.

Später, nach der Heimkehr, fand ich einzig noch die

Fessel meiner Hände, ein Stück Nylonband,

Das durchgetrennt in meiner Tasche lag.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 23. Brief,

Kannst du singen?

 

Heim auf meiner Insel

Dachte ich nicht mehr an Widerstand,

Ich fand mich ab mit dem, was mir geblieben war,

Und glaubte auch, dass Frieden mir am meisten

Dienen konnte.

Gleich nach meiner Rückkunft,

Hatte ich die Frau, die mich versorgte,

Und die sich vier Männern teilte,

Zu Besuch.

Wir liebten uns,

Doch hatte ich zu wenig Leidenschaft und liebte sie wie eine

Viel zu gute Freundin.

In mir mahnte Vorsicht zu Verhüten, und

Ich wusste nur von einer Weise:

Ganz zum Schluss ließ ich es

Nicht in ihren Körper dringen.

Das bemerkte sie

Und wies mich sanft zurück:

„Die Männer, denen ich mich teile,

Brauchst du nicht zu fürchten.

Das beweis ich dir“, und rief nach ihnen.

Wenig später waren sie in unsrem Zimmer.

Mit nur einem Blick von ihr verwandelte sie alle vier zu

Marionetten, die den Kopf, die Arme

Kraftlos hängen ließen.

Dann, als fielen sie aus Seilen,

Klappten sie in sich zusammen.

 

Ich verstand das nicht und lief aus meiner Wohnung.

Um vielleicht herauszufinden, was um mich herum geschah,

Floh ich ins Freie, doch Erklärung fand ich nicht.

Als ich zurückkam, saß die Frau, die mich versorgte,

Immer noch auf meinem Bett.

Sonst waren wir allein.

 

 

 

 

Wir schwiegen lange, bis sie eine

Frage stellte:

„Kannst du singen?

Ja, man möchte wissen, ob du singen kannst“.

Ich wollte wissen, wer das fragte,

Aber sie beschwor mich,

Dass ich alles sehen und erfahren würde,

Wenn ich mit ihr käme.

 

Auf der Straße stand ein Fahrzeug,

In ihm saß ein fremder Fahrer, der schon nach uns

Ausschau hielt.

Wir fuhren lange, bis zum Sonnenuntergang,

Und machten Halt vor einem steinernen

Gebäude, einer leeren Schule oder einem alten

Krankenhaus.

Das hatte nur noch rahmenlose Fensterhöhlen,

Türen waren kaum vorhanden,

In den Angeln hingen Reste.

Draußen lauerten zwei Zivilisten,

Die uns bis ins Innere des Hauses führten.

So gelangten wir in einen hohen Raum,

Der spärlich ausgeleuchtet war.

Trotzdem erkannte ich darin sehr viele

Männer mit und ohne Uniformen,

Die auf Stühlen saßen, sich an Wände lehnten

Und auf Tische stützten.

Alle schauten auf bei meinem Eintritt,

So als hätten sie darauf gewartet.

 

In der Halle sah ich

Köpfe, drei, vier, fünf, sechs, auf dem Boden liegen, ohne

Rumpf und blutverkrustet.

Jeder sah wohl, dass mir übel wurde,

Und man überließ mich kurzer

Augenblicke der Besinnung. 

 

Neben mir bewegte sich ein junger Mann.

Der hielt ein Notenblatt in seiner Hand,

Das übergab er mir.

Ich konnte eine Männerschola,

Die in mittelalterlichem Text geschrieben war,

Mit ihren Noten, gut erkennen.

Alles war verfasst und festgehalten in vier Zeilen.

 

 

 

 

Niemand hier war also in der Lage

Abzusingen, und ich horchte tief nach innen,

Ein vielleicht verschüttetes Talent in mir zu finden. 

Dann trat plötzlich Ruhe ein.

Ich konzentrierte mich nur noch auf meine Sache

Und begann wie einstudiert zu singen,

Ich trug jede Silbe, jedes Wort und jeden Ton

Von Anfang an so deutlich, laut und kräftig wie ich konnte, vor

Und machte schließlich eine Pause, weil das Stück zu Ende war.

Ich wollte neu beginnen.

Doch bevor es dazu kam

Erklang das Lied als Echo von den vielen Männern.

Sie erhoben es zu lautem, donnerndem Gesang,

Das ich erschrak.

 

Man brachte mich hinaus.

Ich wurde hier nicht mehr gebraucht.

Zusammen mit der Frau, die mich versorgte,

Wurde ich zurückgefahren.

 

Als wir ganz alleine waren,

Wollte ich ihr Fragen stellen, doch sie legte

Sich ganz kurz den Zeigefinger auf den Mund,

Hob meine Hand und küsste sie.

Das war mir fremd und nicht von mir gewollt.

Sie hatte keine Tränen in den Augen

Sondern einen sternenklaren Blick.

Den hielt sie Wimpernschläge lang

Auf mich gerichtet.

 

Später schrieb ich alles auf und gab dem Brief die Nummer

Dreiundzwanzig.

Doch ich wusste nicht, wohin damit und überließ ihn

Einem Windstoß, der ihn mit sich

Nahm.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 24. Brief,

Ein Spion

 

Auf der Insel ging ich viel spazieren ohne

Je ein grenzenloses Meer zu sehen.

Wasser gab es immer wieder, doch ich sah nur auf die

Fernen Ufer andrer Inseln.

 

Als es einmal spät geworden war, und ich mich in dem

Himmelblauen, dann azur- und königsblauen Dach

Weit über mir verlor und Träumen nachhing,

Schaute ich direkt in einen Lichtstrahl,

Der war viel zu hell für einen Tagesstern,

Zu grell für irgendeine Flugmaschine und als Zufall

Äußerst unwahrscheinlich,

Denn er kam und schwand, pulsierte ohne jeden Rhythmus,

Und er rückte nicht von seiner Stelle.

Formen waren keine zu erkennen,

Und nach wenigen Sekunden war es schon vorbei.

 

Zuhause sprach ich mit der Frau, die mich versorgte

Und die sich vier Männern teilte, über das Gesehene.

Sie wusste gleich Bescheid und warnte fast, als sie mir

Sagte:

„..weder Fluggerät noch Stern, das ist ein Lichtschirm.

Der fängt Sonnenwind, so heißt es.

Nur wenn Sonneneruptionen Sturm erzeugen,

Schaltet er sich ab und wird dann sichtbar.

Wer ihn sieht, wird auch von ihm gesehen.

Wer ihn sieht ist ein Spion und wird gefoltert.

Dieser Strafe kann kein Mensch entgehen.“

„Was heißt Strafe“, fragte ich.

 

 

 

 

Sie sah mich wissend an und sagte dann:

„Sie lassen dich nie mehr aus ihren Augen.

Überall und jederzeit spürst du, wie sie dich

Überwachen.

 

Tag und Nacht und beim Intimsten

Schauen sie dir zu.

Du gehst daran zugrunde.

Das Gefühl, dass man dir zuschaut, wird zur Folter.“

 

Dabei dachte ich mir gar nichts Schlimmes

Und ging heim, mich umzuziehen, denn ich war

Verschwitzt.

Nur kurze Zeit danach verspürte ich die größte

Übelkeit, ich musste mich erbrechen,

Und mein Puls ging rasend schnell, dass ich die

Frau, die mich versorgte, rufen musste, mir zu helfen.

Doch sie wusste keinen Rat und brachte mich ins Bett.

Es wurde aber immer schlimmer und ich fasste mit dem

Letzten Willen den Entschluss, mich aller

Kleidung, aller Wäsche zu

Entledigen, und was mich körperlich berühren konnte,

Vor die Tür zu werfen und dort zu verbrennen.

 

Sie aber hielt mich fest zurück:

„Nicht so!“,

Denn sie verstand sehr schnell und schickte die vier

Männer, denen sie sich teilte, los mit einem ganz geheimen

Auftrag.

Als die wiederkamen, trugen sie ein totes Schwein in einem

Sarg, der war noch offen.

 

 

 

 

Dort hinein verstopften sie die Gegenstände, meine Kleidung,

Bettzeug, und was ich zur Körperpflege nutzte.

Sie verschlossen dann den Kasten

Und begaben sich mit mir im Schlepp,

Ganz eng und nackt an sie geduckt, zum Ufer, wo ich jenes

Licht zuvor gesehen hatte.

 

Tief in eine Grube, die sie schaufelten 

Und die sich schnell mit Wasser füllte,

Legten sie den Sarg und mich für kurze Zeit,

So wie ich war, darauf.

Dann wurde ich mit Tüchern überdeckt, zurückgezogen

Und vom Sarg getrennt.

Es wurde alles wieder eingeebnet, und sie stellten noch ein

Schild darauf:

„Ein Namenloser“.

Darauf gingen wir nach Hause,

Doch die Frau, die mich versorgte,

Musste mich noch stützen.

 

Die vier Männer aber waren fort als hätte Nebel sie verschluckt.

Ich spürte, wie sich mein Gesundheitszustand

Besserte.

 

Von nun an schaute ich nur noch mit Augenschutz zum

Himmel.

 

Wieder schrieb ich alles auf,

Und gab dem Brief die Nummer vierundzwanzig.

Diesen legte ich ganz offensichtlich auf den Sand, sehr nah am Sarg,

Und legte einen Stein darauf.

Ich weiß nicht, was daraus geworden ist.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 25. Brief,

BioCurious

 

Einmal wollte ich die

Frau, die mich versorgte und die sich

Vier Männern teilte, ganz für mich.

Ich spürte Leidenschaft und konnte mir noch

Immer nicht erklären, dass ich ihren

Namen nicht erfuhr.

Mich hatte man zu lebenslänglicher

Verbannung und zu Namenlosigkeit verurteilt

Und auf eine dieser kleinen Inseln tief im Süden abgeschoben.

Ich war schuldlos und sehr oft durch Akte schriller

Willkür zu bedenkenlosem Tun gezwungen worden,

Oft erfuhr ich Hilfe von der Frau.

Doch stets, wenn es mir schien, dass ich vertrauter mit ihr wurde,

Wurde sie in Wahrheit fremder, unnahbarer,

Trotz der körperlichen Zuwendung und Nähe, die wir hatten.

 

Ich besuchte sie und lud sie ein zu einer

Fahrt entlang der Küstenstraße, wo ich eine

Reihe kleiner Häuser mit Garagen, die oft größer als die

Häuser waren, wusste, und an einigen, so hatte ich gelesen,

Warb man laut mit „BioCurious“, was immer das auch war.

 

Sie kam mit mir und lächelte mich wissend, glücklich an:

„Ich freue mich.

Ich wusste nicht, dass du dich dafür intressierst.“

Das irritierte mich, ich wusste nicht wovon sie sprach.

 

Wir fuhren, und ich malte mir viel

Zweisamkeit, Beisammensein und Enge mit ihr aus.

Sie lehnte ihren Kopf und ihre braunen

Haare ganz vertraut an meine Schulter,

Und ich sah im Spiegel ihre weichen Locken.

Dann erreichten wir die Häuserreihe.

Hier warb man mit viel zu großen Schriften an fast allen

Häusern und Garagen für das Gleiche:

„BioCurious“.

 

Wir hielten und entschieden uns zu einem Eintritt.

Drinnen bot man uns als selbstverständliches Willkommen

Zucker an, in Tüten und in aufgelöster Form.

 

 

 

 

Die Frau an meiner Seite, nahm sofort von dem

Getränk und trank es gierig aus.

Ich ließ mir eine Tüte geben, die ich in die Jackentasche steckte.

Dann begleitete man uns an einen Eingang.

 

Wir betraten die Garage, Wagen standen nicht darin.

Gleich hinter dieser Eingangstür

Begrüßte uns die Frau die mich versorgte.

Ich stand hinter ihr.

Wir lächelten einander an und ließen uns vorbei.

 

Die Frau, die mich von Anfang an begleitet hatte,

Übernahm die Führung:

„Wir sind biologische Maschinen und seit neuestem

Veränderbar“.

Sie hob dabei voll Stolz den Zeigefinger über sich.

Ich sah dann Leute, jeden Alters, die sich emsig an

Mechanischen Maschinen, Mikroskopen und sehr vielen

Menschengroßen Gläsern mühten.

Es war alles hell erleuchtet.

„Hier“, so sagte sie noch weiter, „kann ich dir verraten,

Dass wir alle über Notausschalter jederzeit erreichbar sind,

Das macht uns unabhängig, und wir bleiben den

Gesetzen unterworfen.

Wir sind wie normale Bürger.“

Sie ließ mit zufriedenem Gesichtsausdruck

Die Augen auf mir liegen

Und zog mich mit sanfter Hand zu einem Ausgang, der in einen

Wohnbereich entführte.

„Nun sind wir allein und ungestört.

Du wolltest doch mit mir alleine sein“.

Erst jetzt sah ich mich in der Liebesfalle, die ich selbst gestellt,

Gefangen.

Trotzdem blieb ich noch bei ihr und ließ sie machen.

Als ich dann an ihrer Hüfte kein Tatoo entdeckte,

War ich meiner Sache sicher,

Und ich fragte, „Wer darf deinen Schalter wie bedienen,“

 

 

 

 

Daraufhin verlachte sie mich laut:

„Natürlich keine biologischen Maschinen so wie ich.

Das können nur die Echten mit dem bloßen Denken“.

Da entschloss ich mich sie abzuschalten,

Und sie fiel als Kartenhaus in sich zusammen.

Auf dem Weg nach draußen ging ich an der

Frau, die mich versorgte und an mir vorbei.

Doch niemand hielt mich auf.

Die Rückfahrt unterbrach ich einmal um mich umzuschauen,

Aber weit und breit war ich allein.

 

Zuhause ging ich zu der Frau, die mich versorgte.

Sie war auch allein und wusste nichts von meinem

Ausflug.

Sie kam auf mich zu und hatte ebenfalls den langen

Blick auf mich gerichtet.

Sie war etwas aufgeregt, weil ich, so schien es ihr,

Vielleicht um ihretwillen Leidenschaft empfände.

Ja, das gab ich zu und nicht, dass ich nur einen

Blick auf das Tatoo erhaschen wollte.

Es war da.

Doch Leidenschaft empfand ich nicht.

 

Zurück in meiner Wohnung schrieb ich alles auf.

Ich war bedrückt und hatte keinen Halt gefunden.

Hätte ich mich doch mit allem endlich

Abgefunden, um ein wenig Glücksgefühl zu haben.

 

Diesem Brief gab ich die Nummer

Fünfundzwanzig und ließ ihn im Zimmer liegen.

Spät, schon in der Nacht, erhielt ich dann Besuch.

Ich machte keine Lampe an.

Es war die Frau, die mich versorgte, und sie legte sich

Zu mir.

Ich dachte nicht an Leidenschaft und war doch voll

Davon, ich wollte nichts mehr kontrollieren.

Nächsten Morgen ging die Frau nach unsrem Frühstück heim.

Von meinem Brief war keine Spur mehr aufzufinden.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 26. Brief,

Zwillingswesen

 

Die Frau, die mich versorgte und die sich

Vier Männern teilte, hatte mich zu sich geladen.

Draußen schien die Sonne.

 

Sie schlug vor, in ein Cafe zu fahren.

Das war schnell zu finden und

Wir fuhren los.

Das Haus mit dem Cafe lag völlig ruhig

In der Seitenstraße und war menschenleer.

Das überraschte mich, weil auch

Bedienung fehlte.

Das jedoch beflügelte die Frau an meiner Seite,

Denn sie kannte sich in allem aus.

Sie setzte sich zu mir an einen

Kleinen Tisch.

 

Obwohl sie Platz genommen hatte und dort saß,

Stand sie aus ihrem Sitzen auf und ging zur Küche:

„Ich mach uns ein wenig Tee.“

Die neben mir blieb weiter sitzen und sah hoch,

Sich selber hinterher.

Sie blickte mich danach aus ihren Augenwinkeln

Und ein wenig von der Seite an.

Wie sie zu mir, so schaute ich zu ihr und ihr

Dann nach.

Das schien sie hier bei mir im Sitzen

Und zugleich auf ihrem Weg zur Küche nicht zu stören,

Und ich schwieg dazu.

 

Sie kam zurück und goss in meine

Und in ihre Tasse Tee.

Sie fragte, ob ich Zucker wollte.

Die im Sitzen stimmte sich mit einem

Nicken zu.

 

 

 

 

Der Tee war gut und schmeckte mir nach

Datteln, Feigen und nach Äpfeln.

Die den Tee gemacht und eingegossen hatte,

Setzte sich zurück zu sich in sich,

Sie wurde wieder eins.

 

Ich holte eine Schachtel, die lag unweit auf dem

Nebentisch.

Darin befanden sich zwei Spiele für Erwachsene.

Wir spielten Brett, doch ich verlor,

Ich konnte mich nicht konzentrieren.

 

Neben mir, die Frau, sah auf das Brett vor sich

Und hatte ihre Augen auch auf mich gerichtet,

Zwei Gesichter, die ein Ganzes bildeten.

Dass diese Frau sich scheinbar teilen konnte,

Störte mich nicht mehr,

In allem blieb sie mir vertraut.

 

Sie stand noch oftmals auf und wurde zweifach,

Las in einem Buch auf ihrem Schoß

Und sah zu mir und sprach mit mir.

Sie fand sich selber immer wieder.

 

Plötzlich sagte sie wie nebenbei:

„Ich scheine nur getrennt und

Scheine nur vereint.

In Wahrheit bin ich eines dieser Zwillingswesen,

Die sich nicht genau zusammenfügen und nicht

Deutlich unterscheiden lassen,

Meine Trennung und Vereinigung

Sind das Bedeutsamste daran“.

Sie suchte ihren eignen Blick und stimmte sich

Zufrieden zu.

 

 

 

 

Ich wollte diese Irrfahrt lautlos

Enden lassen und entschuldigte mich für den

Augenblick.

Ich ging dann ohne Abschied fort und fuhr allein

Zurück.

 

Ich hielt die Ungewissheit nicht mehr aus und lief

Bei meiner Ankunft gleich zur Wohnung meiner

Nachbarin, der Frau, die mich versorgte.

Die begrüßte mich und fragte:

„Können wir zu Ende spielen?“

Auf dem Tisch erkannte ich das Brett.

Sie sagte dann:

„Du bist nicht konzentriert, du wirst verlieren.“

 

Sie war so wie immer, ging in ihre Küche,

Um uns einen Tee zu machen.

Dann kam sie zurück und goss in meine

Tasse und in ihre davon ein.

Sie fragte, ob ich Zucker wollte.

Dieser Tee war mir Erinnerung.

Er schmeckte gut, nach

Datteln, Feigen und nach Äpfeln.

 

Später las sie noch in einem Buch,

Das lag auf ihrem Schoß.

 

Ich konnte mich entspannen

Und verbrachte diese Nacht mit ihr bei ihr.

 

Zuhause schrieb ich alles wieder auf

Und gab dem Brief die Nummer sechsundzwanzig.

Anderntags lag eine abgestempelte

Kopie auf meinem Tisch.

Der eigentliche Brief war fort.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 27. Brief,

Der Besuch des Gartens

 

Der Besuch des Gartens hinter meinem Haus

War streng verboten.

Auch die Frau, die mich versorgte und die sich

Vier Männern teilte,

Hatte mich gemahnt.

 

An diesem Tag sah ich vor meinem Fenster fremde

Vogeltiere, deren Körper auf zwei

Muskulösen Beinen standen,

Die, mit einem langen Hals versehen, in mein

Zimmer hätten schauen können.

Ihre Schnäbel waren übergroß an sehr, sehr kleinen

Köpfen.

Ihr Gefieder schillerte und irisierte prächtig von

Karminrot über Kobaltblau bis zu Türkis.

Sie schienen mir aus einem Märchen,

So vertraut, dass ich mich für den Augenblick

Als Reiter auf dem Rücken eines dieser Tiere sah.

 

Voll Neugier öffnete ich beide Fensterflügel,

Und sie stießen gleich die Köpfe mit dem langen

Hals nach drinnen in den Raum.

 

Es waren drei.

 

Sie schnappten plötzlich gierig nach den

Gegenständen in dem Zimmer, rissen mir in

Windeseile große Stücke aus der Kleidung.

Dabei sah ich in den aufgesperrten Schnäbeln

Doppelreihen spitzer Zähne,

Die nach vorne und nach hinten standen.

Selber machten diese Tiere kein Geräusch.

 

Dann sprang von ihnen eines ganz herein,

Und stürmte auf mich zu, vielleicht um mich zu

Töten.

 

 

 

 

Dabei riss das Tier das ganze Fenster aus dem Rahmen

Und verklemmte sich darin.

Ich lief ins Nebenzimmer und entkam von dort

Durch dessen Fenster in den Garten,

Rannte fort so schnell, so weit ich konnte.

 

Aus den Augenwinkeln sah ich aber, dass jetzt alle drei in meiner

Wohnung waren.

Sie zerbissen und verwüsteten, was sie mit ihren

Schnäbeln und den Krallen packen konnten.

Dann entdeckten sie mich auf der Flucht.

 

Ich hörte ihre schnellen Schritte als ein

Stampfen hinter mir.

Es war kein Baum in meiner Nähe,

Und ich wusste nicht, ob ich hinaufgekommen wäre.

 

Ich besann mich auf die Küste,

Die war ziemlich nah, und lief direkt ins Meer.

Die Vogeltiere stoppten ihren Lauf am

Ufer und verfolgten mich mit ihren

Augen und dem Schwenken ihrer Köpfe.

In nicht allzu großer Tiefe blieb ich

Bis zum Hals im Wasser stehen.

So sah ich zu ihnen bis es dunkel wurde.

Sie verließen ihre Plätze nicht.

 

An einem Jucken auf der

Schulter und dem Rücken spürte ich jedoch,

Dass sich mein Körper langsam aus dem

Wasser schob.

Jetzt kamen auch die Vogeltiere näher.

Ich saß fest auf einer Sandbank,

Und das Wasser ging zurück.

In ein paar Stunden war ich ihnen sicher

Ausgeliefert.

Gegen Morgen aber war das Wasser wieder angestiegen,

Und sie zogen mit der ersten Helligkeit davon.

 

 

 

 

Die Angst, die Kälte und das Wasser hatten mich so sehr

Geschwächt, dass ich noch

Stunden wartete und mich erst dann zur

Küste schleppte und zurück nach Haus.

 

Dort fand ich meine Wohnung völlig

Unversehrt.

Kein Fenster war zerbrochen, und die

Tür zum Nebenraum war angelehnt.

 

Ich ging gleich zu der Frau, die mich versorgte,

Um ihr alles zu erzählen.

Meine Kleidung hing in Fetzen und ich

War durchnässt bis auf die Haut.

Das schien sie nicht zu sehen,

Denn sie sprach zu mir als wäre nichts mit mir:

„Die Männer, denen ich mich teile,

Sind dort draußen, um den hochfrequenten

Schutzzaun gegen Bios und die großen Tiere

Wieder einzurichten.

Der war ausgefallen.

Der ist nur zu unsrem Schutz und

Kann uns selbst nicht schaden“.

Dann ging ich zurück in meine Wohnung.

 

Heim in meinem Zimmer

Schrieb ich schließlich alles auf und gab dem

Brief die Nummer siebenundzwanzig.

Der blieb schon am nächsten Tag verschollen.

 

Niemals sah ich solche Tiere auf der

Insel oder gar in meinem Garten wieder,

Und ich würde auch kein zweites Mal versuchen

Die Erlebnisse der Frau, die mich versorgte,

Mitzuteilen.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 28. Brief,

         Morgen bin ich keine Zeit für dich

 

An einem Abend hatte ich Besuch von meiner

Nachbarin, der Frau, die mich versorgte

Und die sich vier Männern teilte.

Sie war mir sehr zugetan und weckte, wie so oft,

In mir die Sehnsucht nach Umarmung und nach

Liebe und nach ihrer Weiblichkeit.

 

Es wurde spät.

 

Beim Abschied nehmen sagte sie noch:

„Morgen bin ich keine Zeit für dich.“

Ich sagte:

„…hast du keine Zeit für mich.

Das ist doch nicht so schlimm.“

Sie aber:

„Nein, dann bin ich keine Zeit für dich.“

„Du willst verreisen?“

Ich war neugierig geworden.

„Du verstehst das nicht.

Doch, wenn du willst, besuch mich morgen einfach,

Dann will ich es dir erklären.“

Damit war sie fort.

 

Am andren Nachmittag ging ich zu ihr.

 

Sie saß entspannt auf ihrem Bett und

Bat mich ganz in ihre Nähe, fest an ihren

Arm und ihre Schulter.

Sie erzählte:

„Stell dir vor, dass du den Wurm, der in die

Erde kriecht, aus allernächster Nähe siehst

Und jede der Bewegungen.

Du merkst dir Einzelheiten, Kleinigkeiten,

Auch ein Sandkorn, dass von ihm verschoben wird.

Solange du ihn wahrnimmst, ist er

Teil von deiner Zeit,

Er ist dann Zeit für dich.

 

 

 

 

Nun stell dir vor, dass du an ihm

Vorübereilst.

Du weißt von seinem Tun und kannst doch nichts

Erkennen.

 

Nur in diesen kleinen Augenblicken des Erinnerns ist er

Zeit für dich, das ist fast nichts.

Du siehst nicht mehr wie er sich krümmt

Und sich bewegt.

Nun aber stell dir schließlich vor, dass du an ihm in einem

Jet vorüberfliegst.

Da wird das Denken an den Wurm

Und was er machen könnte, unwirklich,

Der Wurm ist nicht mehr Zeit für dich.

 

Ich werde mich jetzt viel, viel größeren

Geschwindigkeiten anvertrauen und

Sehr großen Räumen wie dem Orbit oder

Übergroßen Zwischenräumen.

Dann blick ich zurück auf meinen

Wurm und was ich sonst noch kannte.

Flüchtigstes Erinnern ist vielleicht was bleibt.

Versuch es auch.

Beginn ganz einfach mit dem

Wurm aus nächster Nähe.

Lehn dich fest an mich.“

Nach einer kleinen Pause sagte sie:

„Ich fürchte, du wirst frieren, zieh dich wärmer an.“

Ich machte, was sie sagte.

 

Schon nach kurzer Zeit befand ich mich in einem

Hyperraum, der war gebogen, nah und fern zugleich,

Und nichts bewegte sich in ihm.

Ich hörte auf die Stille,

Alles schien wie zeitlos festgehalten.

 

 

 

 

Ich befand mich tief in einem Meer, zugleich darüber.

Fische, Pflanzen standen neben mir, verharrten.

Wellenkämme brachen nicht und

Gischt blieb in der Luft.

Dann sah ich Schiffe, die auf Wellenbergen

In Bewegungslosigkeit verblieben.

Meine eigne Zeit schien angehalten.

 

So kam ich zurück und wusste nicht

Durch welchen Umstand oder Einfluss

Ich die Reise hatte machen können.

Dieser grenzenlose Freiraum,

Nur aus Stillstand und Ereignislosigkeit bestehend,

Wäre mir zuvor in meinem Leben niemals

Vorstellbar gewesen.

 

Es war weit nach Mitternacht.

Mir schien der Ausflug nur Sekunden lang,

Doch hatte er vom Nachmittag bis jetzt gedauert.

 

Wie zu Anfang saßen wir noch immer

Eng an eng auf ihrem Bett

Und fröstelten.

 

Sie unterbrach die Stille mit nur einem Satz:

„Ich bin jetzt wieder Zeit für dich.“

 

Ich wusste nicht mehr viel zu sagen,

Fragen wollte oder konnte ich nicht stellen,

Und ging langsam heim.

Dort schrieb ich alles auf.

Dem Brief gab ich die Nummer

Achtundzwanzig.

Der lag wochenlang auf meinem Tisch,

Dann war er eines Tages fort

Wie all die anderen zuvor.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 29. Brief,

         Schreib mich gut

 

Ich war sehr viel allein auf meiner Insel

Und die Frau, die mich versorgte,

Und die sich vier Männern teilte,

War schon wochenlang nicht anzutreffen,

War verschwunden ohne jeden Abschied.

 

Eines Tages, in den ersten Wochen, fuhr ein Fahrzeug vor,

Dem eine junge Frau entstieg.

Die eilte kurz ins Nachbarhaus,

Dann aber schnell zu mir.

Ich dachte meine Nachbarin wär wieder heim,

Und nahm sie, wegen ihrer Rückkehr sehr erleichtert,

Zur Begrüßung in die Arme.

Den Begrüßungskuss ließ sie ganz ohne

Abwehr gerne zu,

Sie klärte mich dann aber auf, sie sei nicht jene

Frau, die mich bisher versorgte,

Sondern sei die Neue.

 

Sie schien deren Zwillingsschwester,

Ihr in Stimme und in Sprache, in Gesicht und Körperbau,

Frisur der Haare und den Gesten völlig gleich.

Sie wollte mich wie jene andere,

Ganz ohne Unterschied in allem, wie es vorher war,

Versorgen,

Und sie bat mich um mein Einverständnis.

 

Als ich fragte, ob sie jemand schickte,

Antwortete sie offen „Nein“, auch über den Verbleib der Frau,

Die mich bisher versorgte, ließ sie keinen Argwohn zu.

Sie bot mir ihr Vertrauen unaufdringlich an

Und stellte sich mir vor:

„Ich heiße Siolon, das ist ein andres Wort für Glück“.

Ich spürte, dass sie ehrlich war und wunderte mich nicht.

Sie wusste, dass ich keinen Namen führen durfte,

Und sie wusste ebenso von der Verbannung.

 

 

 

 

Sie war ein Geschenk von unbekannter Seite,

Denn schon nach nur einem Tag

Verbrachten wir den Abend und auch bald die

Nächte in Gemeinsamkeit.

Dabei entdeckte sie mein

Schwarzes Pflaster zur Verhütung und zum Schutz

Und lächelte dezent:

„Das brauchst du wirklich nicht bei mir,

Du kannst mir glauben,“

Und entfernte es mit zarter Hand.

Sie roch sehr fein nach Moschus mit

Jasmin im Nachgeschmack.

 

Von da an liebte ich sie aufrichtig und mehr

Als jene andere und jede andere zuvor,

Denn meine alten Zweifel und die Frage

Ob und wie weit ich Vertrauen schenken oder fassen konnte,

Waren wie verflogen.

Große sehnsuchtsvolle Liebe flammte in mir auf.

In ihren Augen sah ich Herzchen,

Und ihr Lachen war ein süßes

Windspiel aufgehängter Glöckchen.

Ich erlebte eine Märchenfee.

 

Wir liebten uns und lebten ohne Zeit nur füreinander,

Gingen Hand in Hand und konnten uns von uns

Ganz ohne Angst und Scheu mit Leichtigkeit berichten.

Ich erzählte ihr von meinem ungerechten Urteil

Und dass ich dadurch zum Fremden in der eignen Heimat

Und sie mir, dass sie hier groß geworden sei.

Dass beide Frauen zum Verwechseln ähnlich waren,

War ein Streich des Schicksals,

Den ein Zufall aufgedeckt und der mit großem

Lachen von den beiden aufgenommen worden war,

Als diese nämlich

Unversehens wie im Spiegel voreinander standen.

 

 

 

 

Endlich konnte ich dem Urteil über mich die

Sonnenseite abgewinnen.

 

Plötzlich stand an einem dieser schönen Tage ein

Geparktes Fahrzeug vor der Tür.

Die neue Frau an meiner Seite löste ihre Hand

Mit einem leisen Aufschrei aus der meinen,

Lief sofort dort hin, stieg ein und rief noch:

„Schreib mich gut, du wirst doch alles niederschreiben, oder“?

Doch sie fuhr nicht ab.

So hatte ich Gelegenheit zu fragen, was

Geschehen war, wohin sie fahren wollte.

Nah genug am Fahrzeug sah ich aber keinen Menschen.

Überhaupt erkannte ich, dass dieses

Fahrzeug gar nicht fahren konnte,

Es war demoliert und selbst die Türen waren nicht zu öffnen.

 

Als ich suchend um mich schaute,

Stand die Frau, die mich versorgte

Und die sich vier Männern teilte,

Auf der Straße vor der Eingangstür.

 

Sie kam herüber, sah mir sicher die Verwirrung an.

Dann ging ich wie im Traum mit ihr in meine Wohnung.

Sie sah gleich das schwarze Pflaster

Und roch etwas, das sie kannte,

Denn sie sagte:

„Ach, das Pflaster hast du wirklich nicht

Gebraucht, man hat dir Siolon gegeben.

Das riech ich sofort.

Man wollte dich gesprächig und gefügig machen.

Hoffentlich hast du nicht allzu viel erzählt“.

 

Mein Herz war nur noch Asche,

Und ich hab geweint.

 

Nach ein paar Tagen hielt ich trotzdem alles wieder fest.

Ich gab dem Brief die Nummer neunundzwanzig.

Den tat ich in einen Schlitz des Fahrzeugs.

Das war schließlich fort.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 30. Brief,

          Sie sind unser Ehrengast

 

Vier Männer holten mich erneut mit einem Helikopter von der Insel,

Fesselten mich fest an Händen und an Füßen.

Widerstand war völlig zwecklos,

Doch ich wurde nicht betäubt.

Die Frau, die mich versorgte und die sich

Vier Männern teilte,

Sah aus einem Fenster zu.

Ich hatte große Angst, dass man mich einzig holte,

Um mich irgendwo von Bord zu werfen.

 

Der Pilot hob ab, und niemand sprach mit mir.

Wir flogen sehr, sehr hoch und

Schwebten schließlich über einer Landschaft

Voller Seen und Flüsse, Bergplateaus mit vielem Baumbestand,

Dann über Luxusvillen, über Pools

In aufwendigen Parkanlagen, über großen grünen Flächen.

Unser Landeplatz war hell markiert.

Dort setzte man mich einfach ab

Und schnitt zuvor die Fesseln durch.

Der Kapitän hielt einen Sender in der Hand,

Den gab er mir:

„Du kannst so lange bleiben wie du willst,

Und wenn du diesen Knopf bedienst,

Wirst du von uns zurückgeholt“.

Er sprach in meiner Sprache,

Dann war ich allein.

 

Ich ging auf eines der ganz großen Häuser zu.

Man musste mich erwartet haben,

Denn ich wurde höflich angesprochen,

Ob ich meine Kleidung wechseln möchte.

Dazu wurde ich in einen lichten, aufwendigen Raum geleitet,

Wo zur Auswahl neue Kleidungsstücke hingen.

Dort war auch Gelegenheit zu umfangreicher Körperpflege.

Danach wollte man, dass ich mich der Gesellschaft zeigte.

„Jeder Neuzugang ist uns willkommen,

Alle wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt,

Was Sie auch brauchen, halten wir für Sie bereit“.

Ich sollte mich bedienen und bedienen lassen.

 

 

 

 

In dem Haus stand Personal in schlichter Uniform an allen Türen,

Und man half mir umsichtig und

Fragte mich dezent nach meinen Wünschen.

 

Als ich fertig war, begab ich mich zu einer

Ansammlung von Menschen, nicht sehr weit entfernt von einem

Wasserfall, der schlug hier auf

Und bildete im Wassernebel Regenbögen.

Offenbar war dies der Treffpunkt einer vornehmen Gesellschaft.

Alle waren bestens angezogen, schienen mir die Gäste eines großen Festes.

Von der Kleidung über Schmuck und die Frisuren

Boten sie ein unaufdringliches und doch auch

Undurchdringliches Erscheinungsbild.

Davor bemühte sich ein Fotograf in emsiger Geschäftigkeit,

Die Posen eines jungen, schöngewachsenen Modelles festzuhalten.

Das war weiß gekleidet,

Stand bedenklich nah am Rand des tobenden Gewässers.

Das Modell trug bodenlangen, schweren Stoff, mit einer Schleppe,

Die schon tief im Wasser hing.

Das sog sich unbemerkt von ihr in ihren Kleiderstoff.

Ich sah, wie es die junge Frau

Behinderte und sie nach hinten zog.

Sie wendete sich um und suchte nach dem Grund,

Verlor jedoch dabei das Gleichgewicht, fand keinen Halt und

Stürzte in das aufgewühlte Wasser.

Sie ging sofort unter, und ich sah sie und die Stoffe in die

Tiefe sinken.

Jemand sagte: „Ah“, ein andrer „Oh“

Und eine Frau ganz angetan: „Wie schrecklich schön“.

Der Fotograf nahm seine Objektive und Geräte,

Legte sie in Fassungen zurück.

Kein einziger ging an das Wasser,

Um nach ihr zu sehen.

Ich jedoch lief panisch hin und sprang ihr hinterher.

 

 

 

 

Schon weit, weit unter mir erkannte ich noch einen

Weißen Stoff, doch den erreichte ich nicht mehr.

Ich hatte Mühe mich nun selbst zu retten.

Keiner kam zu Hilfe.

Alle, die zuvor herumgestanden hatten,

Saßen nun auf Steinen oder feinen Stühlen,

Lehnten sich genüsslich gegen irgendetwas,

Hatten Gläser, angefüllt mit sprudelnden und farbigen

Getränken in den Händen,

Schalen, angefüllt mit Obst und Früchten, standen

Auf zerbrechlichen, geschnitzten Dreifußtischen

Zum Bedienen, und man plauderte.

 

Ich wurde angesprochen, meine nassen

Sachen in der schnell herbeigeschafften, luftigen

Kabine abzulegen

Und mich neu zu kleiden.

Drinnen fand ich alles vor.

Man nahm mir jeden Handgriff ab.

Dicht neben mir vernahm ich dann die Stimme einer Frau.

Sie wollte sich bei mir bedanken.

Das verstand ich nicht, denn das

Modell war sicher tot.

Sie aber sagte:

„Nein, Sie haben uns den Tag gerettet,

Wir sind alle dankbar.

Endlich gab es eine Unterbrechung.

Dafür feiern wir ein großes Fest,

Und Sie sind unser Ehrengast.

Der letzte Neuzugang hat so enttäuscht,

Dass wir uns davon wieder trennen mussten.

Na, Sie haben es ja miterlebt.“

 

Noch in derselben Nacht ging ich zum Landeplatz und

Löste meinen Sender aus.

Ich wurde gegen Morgen abgeholt.

Zurück auf meiner Insel schrieb ich alles auf

Und gab dem Brief die Nummer dreißig.

Der war schon am Tag darauf von meinem Tisch

Verschwunden.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 31. Brief,

Wären doch Soldaten alle so wie Sie

 

Die Frau, die mich versorgte,

Und die sich vier Männern teilte,

Schlief mit mir.

„Du brauchst dich nicht zu sorgen,

Denn die Männer bleiben fremd für mich,

Der Umgang, den ich habe, ist ganz anders

Als du denkst“.

Ich kannte ihren Namen nicht

Und meinen durfte ich nicht nennen.

 

Als wir noch beisammen lagen

Fing ich an ihr zu erzählen,

Dass nicht weit von hier ein kleines Dorf

Gebrandschatzt und die Menschen dort von einer

Soldateska massakriert und

Frauen vergewaltigt worden waren.

Vieles davon hatte ich ganz unbemerkt mit angesehen

Als ein Fremder unter Fremden,

Keiner hatte irgendwie Notiz von mir genommen.

Weiter sagte ich zu ihr:

„Von den Soldaten war ein einziger ganz anders,

Denn er half dort einer Mutter,

Der mit ihrer jungen, schönen Tochter,

Etwa sechzehn Jahre, ohne seine

Hilfe nicht die Flucht gelungen wäre“,

Und erzählte weiter, dass das Dorf

Verwüstet worden war.

Ich hatte den Verdacht, dass die Soldaten aus dem

Staatsheer stammen könnten und im Auftrag handelten.

Man nannte einen unter ihnen General,

Der scheinbar unbeteiligt und gelangweilt hier und da

Befehle gab.

Er schirmte ganz gezielt die Mutter und die Tochter ab.

Sie konnten so, durch ihn geführt, entfliehen

In ein abgelegenes und dem

Soldaten scheinbar wohlbekanntes Haus.

Die Mutter schien ihn auch zu kennen,

Hielt sich aber sehr zurück.

 

 

 

 

Ich folgte allen dreien und versteckte mich so gut es ging.

Die Frau und ihre Tochter nahmen

Trost von dem Soldaten an,

Und wähnten sich in Sicherheit, als sie das Haus erreichten.

Die Terrassenfenster ließen sich nicht schließen,

Das gewährte Einblick und Gelegenheit, sie zu belauschen.

 

Drinnen hörte ich das Mädchen sagen:

„Wären doch Soldaten alle so wie Sie,

Dann würd ich ihnen gerne alles geben

Und mein Herz dazu“.

Die Mutter ging ins Nachbarzimmer,

Um das nicht mit anzuhören.

 

Als sie fort war, ließ der General die Maske fallen:

„Dich nehm ich beim Wort“,

Und stieß sie gegen einen Tisch.

Sie schrie kurz auf vor Schreck und Schmerz

Und drehte ihm den Rücken dabei zu.

Da warf er sie mit einem Griff der rechten

Hand in ihren Nacken

Bäuchlings bis zur Hüfte auf den Tisch, und hielt sie

Fest darauf gedrückt.

Sie schrie erneut in Panik und vor Angst.

 

Er zog ihr mit der freien Hand die

Hosen fort vom Unterleib,

Und weil sie weiter schrie

Und mit den Armen auf die Platte schlug,

Nahm er jetzt seine beiden

Hände für den Nacken.

Plötzlich hörte ich ganz dumpf den Bruch,

Dann war es still.

Der General hielt ein in seinem

Tun und lauschte.

In dem Augenblick trat schon die

Mutter ein und schrie entsetzt:

„Was machst du da, was hast du unsrem

Kind getan.

Was hast du unsrer Tochter angetan“.

Sie lief zum Tisch und drehte ihre Tochter um.

 

 

 

 

Er rief fast leise und doch viel zu laut:

„Ich ahn ja nicht, dass du es bist!

Du hast ein Kind, ist das mein Kind, mein eignes Kind?“

Sie aber sah sich nicht mehr nach ihm um

Und kleidete den regungslosen Körper wortlos wieder an,

Dann stolperte sie aus dem Haus, an mir vorbei.

Sie sah mich nicht.

Es fiel ein Schuss im Hinterzimmer.

 

Als ich endete, erzählte mir die Frau, die mich versorgte:

„Ja, ich hab davon gehört und von den Toten in dem Haus

Und einer Frau, die man am Kliff gefunden hat.

Sie war gesprungen.

Man vermutet, dass es ein Familiendrama war.

Von einem Überfall durch eine

Soldateska hätten wir bestimmt erfahren“.

 

Da schwieg ich verwirrt, weil mir das nicht die

Wahrheit schien.

 

An einem nächsten Tag ging ich zu jenem Dorf,

Das ich zerstört gesehen hatte.

Vor dem Dorf auf einer Wiese lag noch immer

Weithin sichtbar qualmendes Gebälk.

Die Häuser aber sahen mir wie über

Nacht von Zauberhand errichtet aus.

An einigen war noch ganz frischer, feuchter Putz.

Zum Zeugnis drückte ich in eine solche

Wand die linke und die rechte Hand.

 

Es war kein Mensch zu sehen.

 

Danach schrieb ich alles wieder auf und gab dem

Brief die Nummer einunddreißig.

Den trug ich zurück und legte ihn auf das erloschene Gebälk.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 32. Brief,

Immer ist der Mensch allein auf dieser Welt

 

Die Frau, die mich versorgte, und die sich

Vier Männern teilte, war in meiner Wohnung

Als sie seufzte:

„Immer ist der Mensch allein auf dieser Welt.“

Das war nicht ihre Art, ich fragte nach, sie

Gab mir aber keine Antwort.

Wenig später machten wir, eng aneinander wie Verliebte,

Eine Ausflug ohne Ziel auf unsrer Insel.

Trotzdem fühlte ich mich fern von ihr, und ihre

Stummheit neben mir, stand zwischen uns.

 

Wir kamen schließlich an ein

Tal, das strahlte, von der Sohle wie beleuchtet,

Eigenartig blau bis an die Höhe, wo wir uns befanden.

Ich erkannte schnell darin ein Gas, das bis hier oben stand.

Es war sehr klar, fast durchsichtig, geschmeidig schwebend,

Zog in sanften, stillen Wellen über einen

Sandweg, der bergab verlief.

Tief unten waren Häuser, Bäume, Straßen, Türme schemenhaft zu sehen.

 

Hinter uns erschienen, kaum bemerkt, zwei weiß Gekleidete,

Ein Mann und eine Frau, die kannten sich wohl aus.

Sie meinten, als sie sahen, dass ich zögerte, den

Abstieg durch das Gas zu wagen und bezeugten, dass es

Ungefährlich sei und machten Mut:

„,Wir arbeiten dort unten, wir sind Pfleger.

Was du siehst ist überhaupt nicht giftig oder irgendwie gefährlich.“

So ging ich in Neugier los.

Die Frau, die mich versorgte, traute sich nicht recht,

Blieb lieber mit den anderen zurück.

 

Das Gas war angenehm zu atmen, und es wurde selbstverständlich,

Dass ich nicht mehr daran dachte.

Bis zum Grund des Tales wanderte ich über eine Stunde.

Unten angekommen traf ich keinen

Menschen, sah auch keine Tiere, hörte nur vereinzelte Geräusche.

 

 

 

 

 

Eine Turmuhr schlug im Zufall, läutete nicht mehr die Zeit,

Es war als riefe sie nach etwas.

Drüben stand ein Hochrad, an dem pendelten die leeren

Gondeln, ohne Schwung und ohne Schub.

 

Es wurde später Nachmittag.

Ich sah nach oben in ein scheinbar abendblaues Himmelsdach.

In Straßen und in Häusern gingen nacheinander Lampen an.

In einem großen Haus vermutete ich endlich Leben,

Weil ich Schatten über Fensterscheiben huschen sah und ging hinein.

Dort drinnen standen alle Türen offen.

Durch die Räume schwebten Zeitungen und anderes Papier

Als schwerelose Gegenstände.

Überall entdeckte ich Bestecke, wie für medizinische Behandlung.

Viele Zimmer hatten Betten mit Versorgungsschläuchen,

Waren hell erleuchtet und gewiss seit Jahren nicht benutzt,

Das zeigten schwere Schichten Staub

Und große, hohe Spinnwebnetze ringsherum.

Ich dachte an die beiden Pfleger, die hier ihre

Arbeit hatten haben wollen.

 

Wieder außerhalb erschien mir, was ich sah, in

Tageslicht getaucht und nicht in Blau.

So gab es letzte Flecken Sonnenlicht in Schatten unter grünen Bäumen.

Kleine Wasserläufe spiegelten die Farben wider.

 

In der Dämmerung verlief ich mich ganz plötzlich

Und verlor den Rückweg völlig aus den Augen.

 

Als ich aber einen schmalen Pfad entdeckte,

Brachte der mich vor die Glastür eines Liftes,

Der nach oben, eine Tunnelwand erklimmend, an den

Rand des Tales führte.

 

 

 

 

 

Ich war vorsichtig und drückte innen auf den Schalter für den

Aufstieg, der hieß Bergfahrt, dann auf den für

Rückkehr, der hieß Talfahrt, ohne einzusteigen.

Er fuhr an, der Lift verschwand nach oben

Und kam dann zurück.

Nun stieg ich selber ein und fuhr hinauf.

 

Nach wenigen Minuten Fahrt ging eine Tür in meinem

Rücken auf und gab den Ausgang frei.

Ich ging hinaus und er verschloss sich hinter mir sofort,

Er wurde Teil der Felswand.

Es gab nichts, was irgendwie auf eine Tür gedeutet hätte.

 

Nicht so weit entfernt sah ich die

Frau, die mich versorgte, angelehnt an einen Baum.

 

Ich musste an heut Morgen denken,

Wollte ihr vom Tal berichten

Und der Menschenleere, die dort unten herrschte,

Und war voller Sehnsucht.

 

Sie kam mir jedoch zuvor und sagte:

„Heute konnte man dort unten vieles äußerst gut

Erkennen und sogar die Leute sehen und die vielen Tiere.

Die zwei Pfleger sind dir gleich gefolgt,

Sie mussten ihre Schicht antreten.

Die dort unten haben es nicht leicht, sagt man,

Und eigentlich weiß niemand so genau

Was sie dort machen, auch bei guter

Sicht, kann man das nicht erahnen.“

 

Da ging ich mit ihr als

Fremder unter Fremden durch die Dunkelheit zurück.

 

Ich schrieb mir später alles wieder auf

Und gab dem Brief die

Nummer zweiunddreißig.

Den ließ ich an einem schönen Sonnentag,

Gefaltet, dass er segeln konnte,

Talwärts gleiten.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 33. Brief

Nachts lieg ich an seiner Seite

 

Die Frau, die mich versorgte,

Und die sich vier Männern teilte,

War mit mir auf einer Wanderung,

Die uns in Richtung Inneres der Insel führte.

Dabei sagte sie fast nebenbei:

„Ich nehme mir die nächsten Wochen frei.

Ich will mich um die Männer kümmern,

Denen ich mich teile“, und

„Es ist nicht wie du denkst“.

 

Obwohl sie niemals ihren Namen nannte

Und auch keinen Anspruch auf mich geltend machte,

Wurden mein Gefühl für sie und dass wir

Liebe miteinander haben konnten,

Sehr enttäuscht.

Sie sagte noch: „Sie wohnen oben in den Bergen,

Und ich bleibe jeweils eine Woche“.

Das schien mir zu lange, doch ich schwieg dazu.

Sie nahm mich wie zum Abschied in die Arme,

Und ich machte mich noch vor ihr auf den

Weg nach Hause.

 

Ich ging anders heim als wir gekommen waren

Und gelangte an ein Grundstück,

Dessen Tore offen standen und mit einem

Schild zur Einkehr und in ein Museum luden.

Ich war intressiert und ging die lange

Auffahrt bis zu einem Haus, das einsam stand, im

Mauerwerk verfallen, angegriffen war,

In anderen Details jedoch noch herrschaftliche

Farbenpracht entfaltete, und Steinfiguren in versteckten

Nischen zeigte, aufgestellt auf Simse, die weit vor die Wände reichten.

 

Um zu läuten, musste ich an einem Drahtseil vor der

Ornamentverzierten Eingangspforte ziehen,

Und, als hätte man dahinter nur auf mich gewartet,

Öffnete sich gleich die schwere Tür.

Es streckte sich mir einzig eine Frauenhand entgegen.

Diese bog sich wie zum Handkuss leicht herab, als

Blasses Schiffchen, dessen Segel sich verbargen.

 

 

 

 

Ich bediente mich und nahm die

Frau mit aufgestecktem Mähnenschopf dahinter wahr.

Sie war noch jung, dass ich nach ihrer

Mutter fragen wollte, aber sie zog mich, vertraut,

Voll Anmut und in Gastlichkeit ganz sanft ins Haus,

Dass ich bei ihrem mädchenhaften Charme

Nur noch dies eine Wesen sehen wollte.

 

Drinnen, schon im Flur, begann sie zu erzählen,

Dass sie hier mit ihrem Mann gelebt und beide voller

Hoffnung eine Zukunft hatten finden wollen.

Ihre Liebe war jedoch ein Bett der Ahnungslosigkeit

Aus dem sie schrill gerissen wurden,

Als ein militärischer Konflikt, von weit her kommend

Sich als Flächenbrand auf Haus und Hof ergoss.

Sie hatten nie davon gehört, und diese

Dinge waren ihnen nicht bewusst gewesen,

Die Gefahren nicht bekannt.

 

Ich fühlte mich sehr schlecht bei ihrer

Schilderung, nicht nur, weil die Erzählung mich berührte,

Sondern schlimmer, weil ich meinen Blick nicht von ihr lassen konnte,

Nicht von ihrer engen Taille und nicht von den Linien, die ihr zarter

Körper durch das Kleidchen drückte.

Von dem Bild besessen wünschte ich mir

Augenblicklich Kohle und Papier

Und dass sie mir Modell gesessen und gestanden hätte.

Wir gelangten in ein großes Zimmer, an ein

Fenster, davor stand ein Mann:

„Das ist mein Mann.

Hier wurde er erschossen, denn er wollte alles sehen,

Als die draußen waren.

Er ist jetzt aus lebensechtem Material gefertigt,

Weil wir ein Museum sind.

Ich habe ihn noch viele Male,

In der Küche und im Bett, im Keller,

Überall, wo er sich gerne aufgehalten hat“.

Sie zeigte mir das Doppelbett,

Er lag darin: „Und nachts lieg ich an seiner Seite“.

 

 

 

 

Durch ein Fenster blickte ich noch einmal auf das

Schild zur Einkehr und erfragte eine

Möglichkeit der Unterkunft.

Sie gab mir Antwort, aber meine Suche war umsonst.

Ich kam zurück und läutete erneut.

Als niemand kam, schob ich die angelehnte Pforte

Einfach auf und ging bis in das Zimmer.

An dem Fenster stand der Mann und diesmal neben ihm

Die junge Frau, wie er aus lebensechtem Material gefertigt.

Beide hatten Schussverletzungen im

Kopf und an der Brust.

Die Fenster waren nicht zersplittert, aber Einschusslöcher zu erkennen.

 

Ich ging weiter und sah beide wie lebendig, unbewegt

In ihrer Küche, unbekleidet in dem Badezimmer, dann

In ihren Betten.

 

Über allen Gegenständen, auf den

Tüchern, Teppichen und an den Wänden lag und hing ein feiner

Aschestaub wie von weit her geweht.

 

Von da an hielt ich mich versteckt auf meiner

Insel, bis die Frau, die mich versorgte, wieder eintraf.

Sie war völlig unbesorgt und sagte, dass sie und die Männer

Sanitätsdienst hatten leisten müssen.

Das beschämte mich.

Sie sagte auch: „Das Haus, von dem du mir erzählst,

Ist schon vor Jahren abgerissen worden, und die jungen

Leute wurden dort begraben“.

 

Trotzdem schrieb ich alles auf

Und gab dem Brief die Nummer dreiundreißig.

Den vergrub ich auf dem Grundstück wie auf einem

Friedhof.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 34. Brief

Meine Lust zu malen

 

Die Erlaubnis des Gerichtes,

Mich mit namenlosen Briefen an die Außenwelt zu wenden,

War ein Zugeständnis, das sofort Verdacht in mir erweckte.

Niemand würde die je zu Gesicht bekommen,

Ja, man gaukelte mir einen letzten Hauch von

Freiheit, Freiraum in Verbannung vor

Und suchte mich so auszuhorchen.

 

Alles aufzuschreiben war gefährlich, und ich wusste das,

Und ich schrieb gerne.

Meine Lust dazu wich aber eines Tages einer Tapferkeit.

Ich wurde völlig unerwartet von dem

Wunsch, zu malen und mich bildlich mitzuteilen, überrascht.

Ich hatte weder Pinsel, Staffelei noch Farben.

Doch ich spürte Eifer.

 

Um die Sache richtig anzugehen

Brannte ich mir Kohle, und statt einer

Leinwand und der Staffelei benutzte ich vom

Speicher einen Teil der Wandverkleidung meines Zimmers, eine

Holzspantafel, die sich förmlich anbot.

Eigelb, rote Läuse, brauner Wurzelsaft, gekochter Tee,

Besonders gelber Blütenstaub, ganz fein zerriebene,

Sehr weiche Steine, weiß und grün,

Ergänzten die Palette meiner

Möglichkeiten, Farben mit zerfetzten

Stoffen, die ich rollte, aufzutragen.

 

Mit der Frau, die mich versorgte, und die sich vier

Männern teilte, sprach ich über meine Absicht.

Sie durchschaute meinen Plan sofort und sagte:

„Ich bin nur bereit als Rückenakt Modell zu sitzen

Und vielleicht noch Kopf, Gesicht und Oberkörper im Profil.

Das ist geheimnisvoller als ein reiner Akt.“

Das war mehr als ich wünschen durfte.

Andrerseits war sie sich ihrer weichen

Schultern und des schlanken, langen Halses sicher.

 

Als sie meine Farben sah, erstaunte sie und

Hielt die für Geheimniskrämerei:

„Ich weiß, dass manche

Künstler ihre Farben selber mischen“.

 

 

 

 

Danach stand sie mir Modell.

Sie hatte viel Geduld und brachte offenbar Erfahrung mit,

Denn ihre Körperhaltung blieb stets gleich,

Und sie verzichtete darauf, sich zwischendurch den

Fortschritt meiner Arbeit anzusehen.

 

Ihre Pose war sehr raffiniert und brachte

Spannung durch Verstecken und durch wenig Zeigen.

So hielt sie den rechten Arm zwar angewinkelt vor den Bauch,

Gleichzeitig aber seitlich einen Spalt breit ab vom Körper, dass die rechte

Brust im Ansatz und dem Übergang zum Oberkörper

Durch zwei Blitze weißen Lichtes deutlich wurde.

Als Betrachter meinte man, sie fast von vorn zu sehen.

 

Tag für Tag stand sie für mich,

Und ich, in ihrem Rücken, schuf mir eine eigne Welt.

Ich änderte an Strichen und den Farben,

Die mir gute Dienste leisteten.

Der Rückenakt verlangte schließlich nach

Umarmung und ich fügte Landschaft, Blumen und ein

Sonnendach hinzu und gab der Arbeit einen Namen.

Dann hielt ich sie für beendet und die Frau, die mich versorgte,

Warf das erste Mal, verhalten und auch neugierig,

Den Blick darauf.

 

Sie zeigte sich zufrieden, gab trotzdem noch ihre

Meinung frei, die mich zu Nacharbeiten zwang.

Sie wollte, dass die Farben stärker, die

Strukturen auch in größerer

Entfernung vom Betrachter deutlicher

Erkannt und wahrgenommen werden könnten.

Sie verstand etwas von Malerei, das sah ich ein, ergänzte was sie meinte

Und beendete danach erleichtert das gemeinschaftliche Werk.

 

Am nächsten Morgen schauten wir noch einmal auf das Ganze.

Um uns zu erholen, machten wir dann einen Fußweg an die Küste.

 

 

 

 

Hier war Ruhe, kaum ein Lüftchen wehte,

Und das Meer war spiegelglatt.

Ich ging ins flache Wasser und sah Fische darin schwimmen.

Weiter draußen fiel mir etwas Buntes unter Wasser auf.

Es schien dort halb zu schwimmen und halb abzusinken.

Plötzlich schrie ich aber auf, es stockte mir das

Herz, als ich mein Bild erkannte.

Es schien mir im ersten Augenblick dort zu ertrinken,

Meine Farben hätten das nicht überstehen können,

Und ich ging, um es zu retten, es herauszuziehen.

Doch es war nicht meine Spanholzplatte, die ich packte,

Sondern nur ein übergroßer Bogen aus Papier

Darauf der „Rückenakt mit Landschaft“,

Wie das Bild nun hieß.

 

Die Frau, die mich versorgte, kam zu mir.

Ich hielt den Bogen hoch, das Wasser tropfte ab.

Die Farben waren unversehrt.

Sie rief:

„Das ist ein Flyer, sicher nicht der einzige.

Es sind bestimmt noch Hunderte im Wasser.

Möglich, dass man aus Versehen welche machte,

Und die gar nicht haben wollte.

Die sind dann ins Meer geworfen worden.

Sehr wahrscheinlich aber hat man dir das echte

Bild auch noch entwendet, und es ist jetzt in

Gefangenschaft, man hat es weggesperrt“.

 

Zuhause angekommen, war das Bild tatsächlich fort.

Statt dessen fand ich eine Staffelei, gerahmte Leinwand,

Feinste Zeichenkohle neben Farben, Pinseln und Paletten vor.

Ich musste mich erbrechen.

Meine Lust zu malen war zerstört und mir genommen.

Ich schrieb trotzdem später alles wieder auf

Und gab dem Brief die Nummer vierunddreißig.

Den versenkte ich, mit einem

Stein beschwert im Meer.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 35. Brief

Neues aus der Wissenschaft

 

In meinem Zimmer hing ein Spiegel,

Eingefasst in goldverziertem Rahmen,

In der Größe meines Oberkörpers.

Es war mir bis jetzt nicht aufgefallen,

Dass ich mich darin nicht sehen konnte.

Erst die Frau, die mich versorgte und

Die sich vier Männern teilte,

Und die sich darin betrachten wollte,

Wandte sie sich mir zu und sagte:

„In dem Spiegel seh ich fremde Menschen,

Fremde Köpfe und Gesichter, die sich frei

Bewegen, nur nicht mich.

Was soll das, ist das Elektronik oder Spionage oder sind das Filme.

Stimmen hör ich keine.“

Ich war irritiert und sah nun selbst hinein.

 

Es war schon Jahre her, seit man mich namenlos

Und fern von meiner Heimat auf dies Stückchen Fels im Meer verbannte

Und mich käfiggleich und ohne jede Schuld darauf gefangen setzte.

Niemand gab sich mir als wahrer Ansprechpartner zu erkennen, und die

Willkür unberechenbarer Obrigkeit brach zu oft

Unversehens über mich herein.

 

Ich ging, um mich das erste Mal bewusst im

Spiegel wahrzunehmen und fand mich sehr alt geworden.

Ich erschrak darüber und erkannte mich fast selbst nicht wieder.

Wollte sie mir das auf diese Weise sagen?

Ich betrachtete mich nah am Glas und stieß mit meiner Stirn dagegen.

Noch im selben Augenblick entwich mein Spiegelbild und machte

Platz den Menschen, die die Frau zuvor vielleicht gesehen hatte.

Ich bemerkte, dass der Spiegel sich zu einer

Doppeltür erweiterte, dann öffnete und mich hindurch ließ.

Wie im Abschied warf ich einen Blick zurück und sah die

Frau, die leicht gebückt, in Regungslosigkeit verharrte,

So als raste ich mit übergroßer

Schnelligkeit und doch im Stillstand von ihr fort.

Sie konnte mir nicht folgen.

Dessen ungeachtet hörte ich sie auf der andren Seite sagen,

Dass ich mit ihr kommen sollte.

Sie war drüben, ebenso wie ich.

Sie schien zutiefst bedrückt.

 

 

 

 

Sie war mir mehr als eine gute Freundin,

Und wir hatten uns schon oft geliebt.

Dagegen blieb sie mir nun fremd und war doch sanft,

Als sie mich an der Hand ergriff, um mich zu führen.

 

Wir gelangten über eine breite Straße mit vielspurigem Verkehr.

Das alles konnte nicht auf meiner Insel sein.

Ich wähnte mich auf Festland.

Menschen eilten hin und her und schienen feste

Ziele zu verfolgen.

Einige versammelten sich einem

Hochhaus gegenüber auf der andren Straßenseite.

Dorthin gingen wir.

Die Leute schauten wie gebannt nach oben, so als gäbe es am

Dach des hohen Hauses etwas zu entdecken.

Ich war neugierig und tat wie sie.

Da löste sich die Hand der Frau aus meiner.

Mit dem Rücken wischte sie sich Tränen von der Wange.

Das verstand ich nicht und fragte vorsichtig:

„Warum? Du weinst? Was ist?“

Sie legte mir den feuchten Finger auf den Mund

Und ging nach drüben in das Haus.

Ich blieb zurück.

 

Nach wenigen Minuten wollte ich sie suchen

Und sah noch ein letztes Mal zum Dach.

Da sah ich sie alleine oben auf der

Brüstung stehen, und sie machte ohne das geringste

Zögern den verhängnisvollen Schritt ins Nichts.

Sie stürzte lautlos in die Tiefe.

Meinen Aufschrei unterdrückte ich mit beiden Händen vor dem Mund,

Und als sie aufschlug, hielt ich mir die Ohren zu.

Es drängte mich, zu ihr zu laufen.

Aber neben mir hielt jemand seine

Hand auf meine Schulter und mich leicht zurück:

„Das ist bestimmt nicht gut, Sie sollten das nicht tun.“

Da blieb ich hier und sah nach wenigen Minuten Helfer einer Ambulanz,

Die sie in ein Behältnis legten,

Dann in einen weißen Wagen luden und sie mit sich nahmen.

 

 

 

 

Ich war schwer geschockt, sah keinen Grund

Und konnte nicht verstehen was geschehen war.

Nicht einmal weinen konnte ich,

Die anderen, die dieses Unglück mit gesehen hatten, gingen

Langsam auseinander.

Ratlos und verstört fand ich den Weg zurück

Und stieß sehr schnell auf jene Doppeltür, die auf der andren

Seite Glas gewesen war.

Sie ließ sich öffnen und ich ging hindurch.

In meinem Rücken schloss sie sich jedoch sofort

Und gab den Spiegel wieder frei.

Ich sah hinein und mich darin wie jeden Morgen,

Wenn ich mich rasierte.

In dem Spiegel sah ich auch die

Frau, die mich versorgte und die sich vier

Männern teilte, auf dem Sofa liegen.

 

Sie war nicht erstaunt und fragte, was geschehen sei:

„Du warst so plötzlich aus dem Zimmer“.

Ich war drauf und dran ihr alles zu erzählen.

Doch sie selber wusste etwas:

„Man berichtet Neues aus der Wissenschaft.

Es ist jetzt möglich, lebende Personen über weite Strecken, ohne jeden

Zeitverlust zu transportieren.

Dabei sollen sie die Räume wechseln können

Und als vollständig perfekte Spiegelbilder existieren“.

 

Da behielt ich das Erlebte ganz für mich und sagte nichts.

 

Ich war danach allein und schrieb mir alles wieder auf.

Ich gab dem Brief die Nummer fünfunddreißig.

Der hing über Tage angeheftet an dem Spiegel,

Bis er irgendwann verlorenging.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 36. Brief

In einem sogenannten Notfall

 

Eines Tages standen Männer vor der Tür, ein Fahrer in Zivil

Und zwei Bewacher, die verschleppten mich erneut.

Von meiner Nachbarin, der Frau, die mich versorgte,

Und die sich vier Männern teilte, kam Beruhigung,

Denn sie empfahl mir mich zu fügen, mich der Sache ganzen Herzens

Anzunehmen, als man mich in meiner Sprache wissen ließ,

Dass ich für eine Reise in den

Orbit vorbereitet werden sollte.

Das verstand ich nicht, weil ich mich stets für

Unsportlich und untrainiert gehalten hatte,

Ich verstand jedoch sofort, dass nur ein simpler

Grund auf mich die Auswahl hatte fallen lassen können:

Eine Reise ohne Wiederkehr stand mir bevor.

Die Toten hätte ich niemals gefürchtet,

Sicher aber waren einige von ihnen oben auf der Bahn,

Und denen wollten mich die Lebenden nun näher bringen.

 

Fast den ganzen Tag verbrachte ich in einem Fahrzeug,

Nur begleitet von den Leuten.

Das Gefährt, in dem ich saß, fuhr dann direkt zu einem

Flugzeugkörper, der mir übergroß erschien.

Ich wurde dort an einem Eingang abgesetzt

Und meinem Schicksal überlassen.

Niemand folgte mir.

Ich ging hinein und war in einem großen, runden

Raum und sah mich um.

Von hier aus konnte ich nur einen kleinen Ausschnitt überblicken,

Darin waren Treppen, die nach oben führten.

Fenster waren zwar verdunkelt,

Doch der Raum war hell erleuchtet.

Nacheinander zählte ich weit über zwanzig hilfsbereite

Stewardessen, die sich ganz dezent um jeden kümmerten.

Ich hörte keinen Triebwerklärm, und die von mir vermuteten

Geräusche von Motoren waren nur sehr schwach.

Mir wurden Sitzgelegenheiten angeboten, die ich in dem großen

Raum, mit bunten Sesseln, farbenfrohen Teppichen, mit

Tischen und Getränkeständen, allesamt aus edlem Holz gefertigt,

Wie auf einem Luxusschiff, in Anspruch nehmen konnte.

 

 

 

 

Die Maschine hob dann scheinbar senkrecht ab

Und ging in einen Steilflug über.

Hier im Flugzeug gab es viele Passagiere,

Frauen, kleine Kinder und vereinzelt Männer.

Niemand wurde angeschnallt,

Es konnte jeder sich bewegen, wie es ihm gefiel, wohin er wollte.

Alle wurden ganz persönlich und sehr

Freundlich, aufmerksam und umsichtig betreut

Und über alles Maß, fast liebevoll, verwöhnt.

Man gab uns weiche Kleidung, eigenartig feste Schuhe,

Fragte jeden vor der Mahlzeit nach den Wünschen und erfüllte die.

Dabei vernahm ich völlig unbekannte Sprachen

Und sah Speisen, deren Ursprung ich nicht deuten konnte.

 

Dieser erste Teil der Reise währte wohl drei

Stunden, und wir flogen in sehr großer Höhe,

Das gab man auf einem Lichtband, das den

Raum durchquerte, an.

Die dort gezeigten Dimensionen hatte ich zwar nie gehört,

Trotzdem verstand ich, dass wir außerhalb der

Erdanziehung waren, unsre Schwerkraft aber beibehielten.

Plötzlich nahm ich wahr, wie die von mir vernommenen

Geräusche ganz verstummten.

Danach wurden Fenster und die

Seitenwände automatisch fortgenommen.

Schwaches Licht von draußen fiel herein.

Die Reisenden und ich erfassten diesen Augenblick

Als große Sensation.

Wir alle schienen wie barrierefrei ein

Teil der Außenwelt und waren doch im Fluggerät.

Das Licht kam von der Sonne, die sehr klein geworden war.

Die Erde stand als weit entfernter, blauer

Ball mit weißen Feldern tief im schwarzen Raum,

Der war milliardenfach durchstochen von dem Lüsterglanz des

Perlennetzes einer weit entrückten Haarpracht.

Links verschmolz ihr Rand darin mit einer schmalen Schattensichel.

Es war mir ein kristalliner Anblick,

Der statt Ruhe Stille brachte und Erhabenheit, die ich sonst nur

Beim Anblick großer Bergmassive unter Eis verspürte.

 

 

 

 

Ja, es überkam mich eine ungewollt erfüllte und wie unter

Pein erlittene zugleich geschenkte Dankbarkeit in Demut,

Die mich ratlos, beinah hilflos machte.

Dieser zweite Teil der Reise ließ mich zu den

Auserwählten Menschen werden, denen sich das

Glück an ihre Fersen heftet, ohne dass sie etwas dafür tun.

Das tat unendlich gut.

 

Der Rückflug dauerte ein wenig länger und war lautlos wie zuvor.

Man holte mich am Bahnsteig wieder ab und fuhr mich heim.

Es wurde nicht mit mir gesprochen.

 

Als ich nach zwei Tagen spät auf meiner Insel eintraf, ging ich

Zu der Frau, die mich versorgte und erzählte ihr begeistert

Von dem Flug, dass ich dort Einzigartiges erlebt

Und ihn von vornherein ganz falsch beurteilt hatte,

Dass ich mich besonders ausgezeichnet glaubte.

Ihre gutgemeinten Worte klangen noch in meinem Ohr.

Sie aber sah mich an, als

Wüsste sie nicht wie sie es mir sagen sollte.

Es verging viel Zeit bis sie mehr flüsterte als sprach:

„Auf diese Reisen werden immer wieder

Ahnungslose einfach mitgenommen,

Manchmal dann missbraucht in einem

Sogenannten Notfall für Organentnahme.“

 

Darauf wurde ich ganz still und die

Gefahr, in der ich mich befunden hatte, wurde mir bewusst.

Sie hatte recht, es gab nur diesen einen Grund für meine Auswahl,

Und ich fühlte mich zutiefst gedemütigt.

 

Nach einer Woche schrieb ich trotzdem alles wieder auf

Und gab dem Brief die Nummer sechsunddreißig.

Den verklebte ich ganzflächig mit der Zimmerwand,

Doch schon andren Tag war er verschwunden.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 37. Brief

Gerne hätte ich ihr das geglaubt

 

Es überkam mich große Sehnsucht nach der

Frau, die mich versorgte und die sich

Vier Männern teilte.

Es war spät am Tag, ich wollte sie besuchen,

Ging und klopfte an die Tür.

Sie öffnete und freute sich verhalten,

Bat mich aber trotzdem in ihr Zimmer.

Sie war nicht allein.

Es saßen die vier Männer völlig teilnahmslos auf

Stühlen und auf einem Sofa, ohne sich um mich zu kümmern.

Sie verstand sofort, dass mein

Besuch nur ihr alleine gelten konnte,

Und sie sagte mit normaler Stimme:

„Tu doch so, als wären sie nicht hier.

Es gibt sie gar nicht in dem Raum.“

 

Sie hatte einen frischen

Blumenstrauß auf ihrem Tisch, den traf das Licht der Abendsonne,

Dass er noch in Gelb und Grün, Orange und Weiß erstrahlte.

Daraus zog sie eine gelbe Blüte, deren

Duft verbreitete sich bis zu mir.

Sie schob den Blütenstengel vorsichtig ins

Braune Haar, das glänzte leicht und hing weit über ihre

Schultern, fiel in festen Locken auf den Rücken.

Ihre Augen wandte sie zu einem großen Spiegel,

Ging dort hin und sah sich an.

Ich stand nun hinter ihr.

Mit leichtem Zucken einer

Augenbraue fragte sie mich etwas, was ich nicht erriet,

Es war fast wie die Bitte um Erlaubnis.

Ich trat dicht an sie heran und rätselte

Was sie wohl meinte, das ich ihr gewähren sollte,

Und was nicht schon längst mein eigner tiefer

Wunsch an sie gewesen wäre.

 

Dann erfasste sie, mit ihren Händen rückwärts tänzelnd,

Meinen Kopf, umschlang ihn liebevoll

Und beugte mein Gesicht zu sich herab.

 

 

 

 

Ich aber streifte ihr das dünne Hemdchen und das

T-Shirt hoch bis zu den Schultern.

Ihre Hände zogen alles über Kopf und Haar.

In ihrem Rücken ließ ich eine kleine

Schnalle aus den Häkchen springen.

Sie sah nun mit mir auf sich,

Die fein gebräunten Arme hielten, für

Sekunden vor der Brust verschränkt, die Kleidung.

Doch dann ließ sie alles fallen, drehte sich in meinen

Armen um zu mir und öffnete mein Hemd.

Sie ließ sich Zeit.

Ich küsste ihre Haut wo ich sie fand,

Und sie entwand sich nicht.

Wir legten unsre letzten

Kleidungsstücke ab und gingen auf ihr Bett.

Sie streckte sich und schloss die Augen.

Lange lagen wir so neben uns und

Waren frei, ein jeder an dem anderen.

Ich sah ganz kurz ins Zimmer zu den Männern,

Ob ich mich durch sie nicht nur gestört, vielleicht sogar

Bedroht gesehen haben müsste.

Doch die waren wie zuvor nur Gäste, die auf

Gar nichts warteten.

 

Ich gab mich neu der weichen, warmen Haut

In einem Liebesspiel mit vielen Küssen hin,

Bedachte dabei auch sehr flüchtig jenes

Kleine, schwarze Pflaster, zur Verhütung und zum Schutz.

Das wollte ich vermeiden,

Weil mich nichts mehr stören sollte.

Doch sie hielt es schon als Fähnchen in der

Hand und führte es vorbei an ihren Lippen,

Angereichert mit ein wenig ihres Speichels, dass es sich

Als hingehauchter Kuss auf meinem

Unterleib vorübergehend implantieren konnte.

 

Ich gestand ihr mehrfach meine Liebe, aber ihren

Namen wusste ich noch immer nicht.

„Den wirst du erst erfahren, wenn ich deinen weiß“.

 

 

 

 

Sie wusste, dass man mich zur

Namenlosigkeit verurteil hatte,

Und kein Name konnte deshalb richtig sein.

Aus Spaß ließ sie mich trotzdem raten, das blieb aber nur ein

Necken, ohne dass ich schlauer wurde.

Ich erfuhr auch nicht, ob sie mich liebte,

Denn das wagte ich sie nicht zu fragen.

In dem Augenblick jedoch, als wir uns

Liebten, sagte sie:

„Ich lieb dich auch“, und wiederholte diesen

Satz so oft, bis er in Schluchzen überging.

 

Die Männer blieben ungerührt und gaben kein

Geräusch von sich.

 

Wir hatten stundenlang zusammen

Eng an eng gelegen und uns viel berührt

Und unsre Liebe wiederholt.

 

Als ich am frühen Morgen heim in meine

Wohnung gehen wollte, fragte sie:

„Wie geht es dir“.

Ich sagte:

„Gut, sehr gut.

Ich lieb dich immer noch und immer wieder neu“.

„Dass du mich liebst, hör ich sehr gerne und ich glaube dir.

Ich bin mir aber sicher, dass es dir nicht gut geht

So wie du behauptest.

Meine Liebe in Gesellschaft der vier

Männer ist dir fremd geblieben, und sie haben dich gestört.

Vielleicht verstehst du eines Tages selbst,

Dass sie nicht wirklich hatten existierten können“.

Gerne hätte ich ihr das geglaubt.

 

Nach Tagen schrieb ich alles wieder auf

Und gab dem Brief die Nummer siebenunddreißig.

Den gab ich ihr später unverschlossen, dass sie alles lesen

Konnte und verlangte ihn von ihr auch nicht zurück.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 38. Brief

Es war nicht Platz genug in mir

 

Tagelang empfand ich mich von

Blank poliertem, dünnsten Glas umhüllt, in dauernder

Gefahr, es könnte jemand seinen

Fingerabdruck darauf hinterlassen oder nur ein

Tropfen seine lange Spur.

 

In dieser Zeit erreichte mich Musik, die wehte aus dem

Fenster eines der Gebäude ganz in meiner

Nähe bis hierher in meine Zimmer.

 

Die Musik klang fremd.

Es schien als ringe sie mit Ritual und Tradition

Vielleicht erfüllte sie den Wunsch nach

Lebenslust in unbekannter Art.

Es wurde dabei nicht gesungen sondern

Instrumente, wie Bandoneon, Klavier und

Violine spielten konzertant und zögerlich und

Leidvoll, immer wieder neu, sehr lange

Melodien.

Sie schienen sich zu unterstützen und sich zu ergänzen.

 

Ich bedachte mich in meinem

Glasgebäude, wusste nicht ob es mit mir darin

Gut gehen konnte oder ob es reißen würde.

Ich ging vor die Tür, vielleicht nur um

Gewissheit zu erhalten.

Da kam unerwartet meine Nachbarin, die

Frau, die mich versorgte und die sich

Vier Männern teilte, auf mich zu.

Sie schien das, was ich hörte, gar nicht wahrzunehmen,

Denn sie hatte ihre eignen

Instrumente auf den Lippen,

Hatte etwas auf dem Herzen und auch nicht.

 

 

 

 

Sie sprudelte heraus:

„Ich liebe diesen Tag und weiß doch nicht warum,

Ich liebe dieses Leben und ich möchte weinen.

Ich weiß nicht wohin damit,

Ich bin allein, auch wenn ich nicht alleine bin.“

 

Ich sagte:

„Hörst du die Musik, die kommt von drüben, aus dem großen

Haus.

Vielleicht wird dort gefeiert und getanzt.“

Sie aber hörte nichts und sah nicht hin,

Und ich verstand sie nicht und doch auch gut.

 

Ich wollte ihr vom gläsernen Gefühl

Erzählen, das von mir Besitz ergriffen hatte,

Ließ es aber sein und fragte:

„Brauchst du Trost“?

 

Ich hätte sie in Pflege nehmen können

Doch es war nicht Platz genug in mir für ihre

Wünsche oder Sehnsüchte.

So wurde sie für mich die Hand, die ihren Abdruck

Auf mein Glasgebäude drückte, die es ohne

Willen springen und zerbrechen ließ.

 

Sie sah, dass etwas in mir riss,

Und bot mir schnelle Hilfe an:

„Was ist, kann ich dir helfen,

Oder etwas für dich tun“?

 

In meiner hoffnungslosen, aussichtslosen

Lage, erst zum Tod verurteilt,

Dann in Namenlosigkeit verbannt auf diese

Insel, konnte keine Hilfe Hilfe sein.

 

 

 

 

Die Scherben aber fielen nicht auf mich,

Sie trieben langsam weit hinaus,

Fast schienen sie den Orbit anzustreben.

Einige von ihnen standen lange still

Als warteten sie auf Beschleunigung.

Das alles weckte meine Neugier.

Mein Gefühl realisierte sich noch im Zerbrechen,

Das war neu für mich und

Hoffnung kehrte heim.

Ich wusste nun, dass ich die

Frau, die mich versorgte und die sich vier

Männern teilte, gut verstand und bot ihr

Unterschlupf in meinem Herzen an.

Ich wärmte sie, und wir gefielen uns in engster

Zweisamkeit.

 

Ich konnte ihre Glücksgefühle, ihre

Zweifel plötzlich gut verstehen.

Doch von meinem Glasgebäude sagte ich ihr

Nichts.

 

Die Musik spielte ohne Unterlass,

Und endlich stimmte sie auch mich mit mir

Zufrieden.

 

Es verging viel Zeit bis ich das alles

Niederschrieb.

Ich gab dem Brief die Nummer achtunddreißig.

Den hielt ich vor ihr versteckt.

Als ich ihn aber eines Tages wieder lesen wollte,

War er, wie die anderen davor, verschwunden.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 39. Brief

Hilfe oder Menschenraub

 

Man holte mich erneut von meiner Insel.

Diesmal waren es drei Frauen, die sich ohne

Waffen, ohne Uniform, ganz in Zivil in meine Wohnung drängten,

Aber dennoch militärisch waren.

Alle sprachen meine Sprache gut, dass ich

Vertrauen schöpfte.

Sie erklärten mir, dass sie auf meine

Hilfe angewiesen wären.

Durch mein Aussehn und durch mein

Erscheinen sei ich unauffällig und für eine gute

Sache bestens vorbereitet.

Weit entfernt, in einem Kriegsgebiet vermisste man ein

Kind mit seiner Mutter, das sei aufzufinden

Und zu retten.

Solch ein Einsatz müsste vorbereitet sein.

Die Frauen waren jeweils der Ersatz für jede andere.

So ging ich mit und nahm in ihrem Fahrzeug Platz.

 

Zu meiner Überraschung sollte auch die

Frau, die mich versorgte und die sich vier

Männern teilte, mit mir reisen.

Die war gar nicht überrascht:

„Das Kriegsgebiet liegt sehr weit weg,

Wir werden hingeflogen werden müssen“.

Die drei Frauen hielten sich von nun an sehr

Bedeckt und sagten nur das Nötigste.

 

Nach langer Fahrt erreichten wir die Küste und ein

Flightship mit dem Namen „Ground Effect“, ein Bodengleiter,

Der mit kurzen Flügeln, deren Enden sich nach unten senkten,

Auf dem Wasser schwamm, und stiegen ein.

Der Gleiter eilte nach dem

Start in knapper Höhe über Meer und Wellen,

Dann fast in Berührung über flaches

Land und Inseln, später wieder über

Wasser einem unbekannten Ziel entgegen.

Eine Laserschrift im Raum gab Reisewerte an:

Wir flogen nahezu mit Schallgeschwindigkeit.

Im Innern dieses Bodengleiters war viel Platz.

Die Einrichtung war äußerst komfortabel, und

Der Raum bot sehr viel Wohnlichkeit.

Ich spürte keinerlei Erschütterungen.

Gegenstände, Tassen, Gläser mit Getränken blieben

Ohne Zittern, wo sie standen.

 

 

 

 

Nach sechs Stunden sagte man die Landung an.

Die wurde von Soldaten überwacht und abgeschirmt.

Wir mussten unsren Gleiter schnell verlassen,

Und man führte uns vom

Flugplatz in ein luftiges Gebäude voller Schalter, Gates und

Tausenden von Menschen.

 

Die drei Frauen kannten sich hier aus und stellten sich und uns

An einen Schalter, der nur einzeln Passagiere zuließ.

Dort stand eine Frau mit einem kleinen Kind auf ihrem Arm.

Sie schien zu warten.

Plötzlich tauchte eine schwarz gekleidete Matrone auf,

Verlangte nach dem Kind und nahm es ihr wie selbstverständlich

Aus den Händen, drückte es an ihre übergroße

Brust, als wollte sie es rauben.

 

Für Sekunden schien der Mutter alles zu versagen,

Sie war einer Ohnmacht nahe und erblasste,

Hielt die rechte Hand auf ihren

Mund und unterdrückte einen Schrei.

Nach kurzen Augenblicken gab die Frau das Kind zurück,

Verschwand mit Tränen in den Augen unter all den Menschen.

 

Eine der drei Frauen klärte mich in Windeseile auf:

„Das war die Schwiegermutter, die ihr Enkelkind verliert.

Der Mann der Mutter ist schon lange ausgereist.

Man hält sie nun als Pfand mit ihrem Kind zurück.

Sie denken, dass er niemals wiederkommt.

Die beiden werden streng bewacht“.

 

Die Frauen schoben mich nun nah genug zur Mutter.

Die schrie auf, als sie mich sah, und fiel mir um den Hals.

Sie hielt mich für den wahren Ehemann

Und konnte meine Heimkehr gar nicht fassen.

Sie war überglücklich.

 

 

 

 

Die Bewachung wurden sofort aufgehoben, als man meinen

Passport prüfte und den Namen ihres Mannes darin fand.

Man brauchte sie als

Pfand nicht mehr und gab ihr ihre Pässe wieder.

Doch die Frau, die mich versorgte, sprang nun ein

Und gab sich aus als meine Ehefrau.

Das wurde von der Mutter völlig falsch verstanden.

Sie verklagte mich vor Ort der

Bigamie und ließ sich augenblicklich von mir scheiden.

Das schien alles gegen ihren

Willen zu geschehen, doch die drei Soldatinnen verstanden ihre

Rolle, Helferinnen in der Not zu sein, sehr gut

Und führten sie mit ihrem

Kind zum Bodengleiter.

 

Ich und auch die Frau, die mich versorgte, wurden vor ein

Schnellgericht gestellt.

In einem Eilurteil verwies man uns als unerwünscht des Landes.

Unsren Gleiter mussten wir sofort besteigen.

Die Bewachung wurde abgezogen.

Drinnen hörten wir, dass sich die

Mutter und das Kind bereits in Sicherheit befänden.

Dann begann für uns der Rücktransport.

 

Dies alles aufzuschreiben, fiel mir schwer.

Die Frau, die mich versorgte, half jedoch dabei.

War es nun Hilfe oder Menschenraub, was man uns abgefordert hatte.

Sicher würden wir das nie erfahren.

 

Meinem Brief gab ich die Nummer neununddreißig.

Tagelang blieb er im Zimmer liegen

Bis er eines Tages, wie die anderen, nicht mehr zu

Finden war.

Ich forschte auch nicht nach.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 40. Brief

Das sagte alles.

 

Es erreichte mich ein Brief aus alter Zeit,

Der nur die Anschrift trug:

„An Namenlos auf Alpha 7, 4“.

Sonst waren weder Absender noch Stempel auszumachen,

Und der Schreiber wäre mir für immer unbekannt geblieben,

Hätte ich nicht eine wohl vertraute Schrift erkannt:

Ich selbst war damals der Verfasser dieser Zeilen,

Die an mich gerichtet waren.

 

Damit ging ich zu der Frau, die mich versorgte

Und die sich vier Männern teilte,

Sie um ihren Rat zu fragen,

Wie und auch warum war dieser Brief zu mir gelangt?

 

„Hast du dir überhaupt noch einmal durchgelesen,

Was du seinerzeit an dich geschrieben hast,“

Erkundigte sie sich.

Ich war zunächst verlegen, gab dann aber meine Antwort:

„Ja“,

Und las noch einmal halblaut vor:

„Wenn ich mir jemals etwas wünschen darf, dann möchte ich als

Fremder unter Fremden und in

Einsamkeit auf einer Insel wohnen.

Namenlos und unerkannt und ungenannt

Will ich dort eine nie zuvor geahnte

Freiheit kennenlernen und mein Leben leben.

Ach was gäbe ich darum, dass es geschieht“.

 

Wir sahen uns für Augenblicke fragend an,

Dann sagte ich:

„Wie war ich damals dumm und unerfahren“.

Nur verhalten stimmte sie dem zu:

„Es ist doch immer sehr gefährlich, sich herbeizusehnen

Was man gar nicht kennt,

Denn dabei wird die Rückkehr nicht bedacht,

Und sei es nur Erinnerung an das, was man verlassen hat.

Erinnerung kann leicht zur Rückkehr in dein altes

Leben führen und zur Falle werden.“

 

 

 

 

Ich war sehr verwirrt und traurig.

Doch Erinnerung in mir war längst verblasst, und

Rückkehr war schon lange ausgeschlossen,

Denn in meiner Heimat glaubte man mir meine Unschuld nicht.

 

Die Frau, die mich versorgte, und die sich

Vier Männern teilte,

Holte ihre Okarina aus dem Schrank.

Sie spielte eigentlich darauf, wenn sie alleine war.

Dann konnte ich sie noch in meiner Wohnung hören.

Was sie aber spielte und der Rhythmus

Waren meistens ungewohnt für mich.

Die Okarina kannte ich trotzdem.

Sie war aus weißem, schwerem

Porzellan, verziert mit blauen Ornamenten, und sie

Wurde aufbewahrt in einer Schachtel.

Die ergriff sie nun und nahm das Instrument heraus.

Zu meiner Überraschung aber sah ich sie ein

Federleichtes, schillerndes Gerät entnehmen und an ihre

Lippen führen.

Darauf spielte sie nun Weisen, die wie süßer

Trost und Lobgesang in meine

Ohren spülten und mich wärmten.

Sie erinnerten an jene Tage, als ich

Selbst gesungen und mich voller Lebenslust auf einem

Instrument begleitet hatte.

 

Gerne hätte ich gewusst, woher die

Frau die Lieder kannte und sie so gut spielen konnte.

Ihre Finger schlossen oder öffneten in

Leichtigkeit und Schnelligkeit die

Löcher ihrer Okarina,

Und ich schaute auf den Mund der Frau, der Töne

Hauch um Hauch entstehen

Und der Ton um Ton mit ihrem Leib verschmelzen ließ.

Sie wurde selbst das

Schillernde und Bunte Ihrer Melodien, in

Gelb und Scharlachrot, Perlmutt und Ocker,

Karmesin und Grün, die trugen sie in Schwerelosigkeit,

Und sie, ihr Instrument und ihre Lieder, wurden eins.

 

 

 

 

Vor meinen Augen wurde alles, einem

Album aus der Tierwelt gleich, zu leuchtender

Unwirklichkeit.

 

Es reizte mich, was meine

Augen sahen, mit den Händen zu berühren.

Ich stand auf.

Nur mit der Spitze meines

Zeigefingers wollte ich etwas an ihr ertasten.

Dabei schien sie mich nicht wahrzunehmen,

Und bevor ich sie erreichte,

Löste sich die Okarina dicht an ihren Lippen auf in

Abertausend kleinste Mosaiken,

Und ihr Kopf, ihr ganzer Körper

Barst fast in Bewegungslosigkeit zuerst in eine

Farbenwolke, dann zu Staub

Und schließlich formte sich daraus ein Regenbogennebel,

Der im Raum verschwand.

In gleicher Langsamkeit verklangen auch die Weisen.

Plötzlich fand ich mich allein und in der größten Stille.

Auf dem Tisch erkannte ich nur noch die leere Schachtel.

 

Wie im Abschied ging ich heim in meine Wohnung,

Auch vielleicht, um sie zu suchen.

Doch beinahe wagte ich den Augen nicht zu glauben,

Als ich sie dort unbeteiligt auf mich warten sah.

Ich wollte sie befragen, aber sie trat nah an mich

Und legte mir den Zeigefinger auf den Mund.

Das sagte alles.

 

So schwieg ich und schrieb mir das Erlebte wieder auf.

Dem Brief gab ich die Nummer vierzig,

Und ich wunderte mich nicht, dass er nach ein paar

Tagen nicht mehr aufzufinden war.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 41. Brief

Die Sehnsucht schläft, die Sehnsucht wacht

 

Ich weiß nicht wie ich es erzählen,

Und wo ich beginnen soll, vielleicht fang ich am Ende an,

Weil es der Anfang ist.

 

Es klopfte eine Frau an meine Tür

Mit einem Kind im Arm.

Das Kind war noch sehr klein und konnte kaum die

Augen offen halten.

Seine Mutter sah sehr liebevoll auf es herab,

Als wollte sie auch meine Augen darauf lenken.

Wenig später aber schaute sie mich an,

Und ich war sicher sie zu kennen,

Mehr als jeden andren Menschen auf der Welt,

Doch konnte ich mich nicht erinnern.

Sie hingegen hatte das vielleicht erwartet,

Denn sie half mir, als sie sagte:

„Darf ich nicht mehr zu dir kommen?

Bittest du mich nicht herein?

Du tust, als sähst du mich das erste Mal“,

Und trat in meine Wohnung.

 

Dort nahm sie gezielt aus einem

Schrank ein Bündel Wäsche, Windeln,

Höschen, Jäckchen und begann ihr

Kind zu wickeln.

Zu mir sagte sie:

„Mach bitte schon das Fläschchen für den Kleinen.

Ach, wir haben dich die ganze Zeit vermisst,

Und du hast sicher schon vergessen, wo du

Alles findest, oder?“

 

Ich stand regungslos an meinem

Platz und ließ sie wirken.

Sie war flink, fand alles was sie brauchte und gab ihrem

Baby erst die Brust und dann ein wenig von dem Fläschchen,

Das sie dann, mit ihrem Kind im Arm, beiseite stellte.

Von den Gegenständen, die sie in die Hände nahm,

War mir in all den Jahren, die ich in Verbannung lebte,

Nie ein einziger begegnet.

 

 

 

 

 

Sie war stolz auf ihren Kleinen und bat mich ihn auf den

Arm zu nehmen.

Das war angenehm, ich tat es gerne.

Vorsichtig versuchte ich herauszufinden, wer sie war

Und fand die rechten Worte nicht:

„Woher, ich meine..“

Sie sah erst zurück auf ihren

Kleinen, dann auf mich und sagte:

„Er ist dir so ähnlich, wie aus dem

Gesicht geschnitten.

Denkst du manchmal noch an früher“?

Ich war irritiert, weil ich nicht wusste,

Was sie meinte, und ich sagte:

„Haben wir uns sehr geliebt, ist dies dein

Sohn, bin ich der

Vater deines Kindes“?

 

Darauf lachte sie und warf den Kopf zurück.

Sie hatte glattes, dunkelbraunes Haar, das sie als

Knoten trug, den hielt ein dünnes, schwarzes

Netz zusammen.

Von den schmalen Schultern fiel ein buntes

Trachtenkleid bis über ihre Knie.

Das hatte einen weißen,

Filigranen Ausschnitt, der dezent den

Ansatz ihrer Brust umschloss.

Wenn sie mich ansah, hatte sie in ihren

Augen Mütterliches, Frauliches und Liebes,

Das sie mir zutiefst sympathisch machte.

 

„Nein, mein Lieber, du erkennst mich wirklich nicht.

Ich habe einen Kinderwagen vor der Tür

Und gehe mit dem Kleinen meinen

Weg, den ich gekommen bin“.

 

Sie legte ihren Kleinen voller Umsicht in den Wagen

Und ging los.

Sie sagte nicht wohin.

Ich sah ihr nach, bis sie zum Punkt verschmolz.

Sie schaute sich nicht um.

Dann ging ich in mein Haus und wartete

Und dachte nach.

Die Frau kam aber nicht zurück.

 

 

 

 

 

Da ging ich schließlich zu der

Frau, die mich versorgte und die sich

Vier Männern teilte, und erzählte ihr von dem Besuch.

Die kam mit mir und fand in meinen

Schränken nichts von dem, was ich ihr

Aufgezählt und gestenreich beschrieben hatte.

Selbst die Babyflasche war nun fort.

Die Frau, die mich versorgte, fragte:

„Kann es sein, dass deine Mutter dich besuchen kam“?

Ich war empört:

„Die ist schon lange tot. Was meinst du denn damit“.

„Vielleicht kam deine Mutter dich mit dir

Besuchen, denn wer kennt schon seine eigne

Sehnsucht so genau“.

Dabei ließ sie die Träger ihres Kleides von den

Schultern gleiten, und ich sah, dass sie darunter

Gar nichts trug.

Sie kam ganz nah zu mir:

„Die Sehnsucht schläft, die Sehnsucht wacht,

Sie kommt und geht,

Sie weint und lacht“,

Und ihre Hände kletterten mit spitzen Fingern über meine

Brust und Schultern bis zum Hals

Und zogen mich zu ihr hinab.

 

An diesem Abend saß ich lange wach und

Schrieb mir alles wieder auf.

Dem Brief gab ich die Nummer einundvierzig.

Der lag tagelang bei mir, bis er fast unbemerkt

Von einer Unbekannten mitgenommen wurde.

 

 

 

Namenlos von meiner Insel, 42. Brief

Die Beine aber liefen mir vorweg

 

Am Strand der Insel lag ein Boot.

Es war aus Aluminium und vorbereitet wie für eine Überfahrt.

Ich sah mich um.

Es war kein Mensch zu sehen.

Ja, es stimmt, ich hatte oft an Flucht gedacht, doch immer nur mit

Halbem Herzen, denn die

Frau, die mich versorgte und die sich vier

Männern teilte, ließe ich zurück.

Ich liebte sie und wollte beides, sie und auch mein

Glück versuchen.

 

Ziemlich weit entfernt lag eine

Nachbarinsel, die ich gut erkennen konnte, die war zu erreichen.

An dem Boot entdeckte ich den Außenmotor,

Wagte aber nicht ihn anzuwerfen sondern nahm die

Ruderblätter, das war leise.

Die Gelegenheit schien günstig, alles war wie vorbereitet.

Ich kam schnell voran,

Doch fast schon auf der Gegenseite, schien man meine

Ankunft zu erwarten.

Eine Handvoll Frauen, die in edlen, langen, gleichermaßen blauen

Kleidern barfuß gingen,

Rafften ihre Röcke, um mein Boot ganz nah ans

Ufer und dann auf den Strand zu ziehen.

Sie begrüßten mich mit fremden

Worten, aber ich verstand sogleich, dass sie mich sehr

Willkommen hießen.

Ja, man freute sich,

In meinen Armen hielt ich noch ein Kleiderbündel, das schien mir

Verräterisch, und ich versteckte es im Boot.

 

Es war hier alles eigenartig leicht und transparent.

Die Kleider täuschten Fetzen eines

Himmels vor, der nach Ergänzung strebte, um als

Ganzes zu erblühen.

 

 

 

 

Ein paar Männer, strahlend weiß gekleidet, hüllten sie als

Wolken ein und blieben unauffällig stets in ihrer Nähe.

Man bewirtete mich überschwänglich,

Und es ging mir gut, denn ich nahm an, dass man mir

Helfen wollte.

 

Es verging nur wenig Zeit, dann kamen einige der

Frauen auf mich zu und führten mich in einen

Pinienwald und zeigten dann auf einen Weg.

Den sollte ich nun gehen.

Es erreichte mich von dort ein angenehmer, warmer

Duft nach Harz, Lavendel und nach Pilzen.

Jetzt erlaubte ich mir neu an Flucht zu denken,

Und sah vorsichtig zurück,

Die Beine aber liefen mir vorweg.

Die Menschen waren klein geworden,

Und von hier aus schienen sie mir ein umwölkter

Traum aus Kinderzeit zu sein,

Es traf nun Herz auf Seele.

 

Nach nur kurzem Weg begegnete ich einer neuen

Gruppe scheinbar in sich selbst vertiefter Menschen, deren

Frauen sich in langen Silberkleidern zeigten.

Die Gewänder leuchteten als

Mondschein in der Finsternis des Waldes.

Dieser Anblick rührte mich im Innersten,

Als wäre er ein Teil von mir.

Die Frauen gingen lichtergleich durch sich und mich hindurch,

Und zwei von ihnen wurden Eins und

Eines teilte sich in zwei.

Ich konnte sie und ihre Kleider spüren und das

Knistern ihrer Stoffe hören.

Ich befand mich mitten unter ihnen und in einem

Märchenwald,

Die Männer waren schwarz gekleidet und verschwanden

Fast in Dunkelheit.

Ich hatte viel Vertrauen und verspürte keine

Angst.

 

Ich dachte an das Boot.

Es lag wohl zu weit hinter mir.

 

 

 

 

Die ganze Gruppe wiegte sich in stillem

Tanz und schließlich war ich in der Mitte.

Jemand reichte ein Getränk herum.

Ich trank davon und atmete in

Seligkeit, dass ich nun auch das Tanzen wagte.

Einige der Männer kamen auf mich zu und lenkten meine

Schritte fort von allen anderen bis an die neue Küste.

Dort entdeckte ich ein Boot wie meines.

Darin sah ich gleich mein Kleiderbündel und noch reichlich

Speisen und auch Trinken.

Ich stieg ein und wortlos stieß man mich vom Ufer ab.

 

Es war noch immer Nacht.

Die Strömung nahm mich mit.

Ich fürchtete die Last des Motors und versenkte ihn.

Ein Ruder brauchte ich zum Steuern.

 

Gegen Morgen, rammte mich ein kleines

Frachtschiff, dass ich in Gefahr geriet,

Ich wurde aber schnell gesehen und an Bord geholt.

Man fragte nicht woher ich kam und

Nicht nach meinem Namen.

Ich erfuhr jedoch das Ziel der Reise.

Es war eine Hafenstadt im letzten

Zipfel meiner wahren Heimat.

Dort ließ man mich gehen, und ich wurde schließlich

Aufgenommen als ein Findelmensch wie viele andere,

Um die sich eine freundliche Gemeinschaft kümmerte.

Das war für mich besonders eine Frau, die sich vier

Männern teilte und mich fragte, ob sie mich versorgen dürfte.

In der Hand hielt sie ein

Bündel Briefe, die erkannte ich an meiner Handschrift:

„Die hab ich an mich genommen", sagte sie,

„Und aufbewahrt“.

 

Als wir alleine waren, nahm ich sie in meine Arme

Und gestand ihr meine lange, lange Liebe.