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Harald Birgfeld, Webseite seit 1987/ Website since 1987 …da liegt mein Herz, Geschichten aus Niemandsland 2022 -2024 (im
Entstehen) z.B.: 100 Jahre „Kafka“, eine herrenlose
Fundsache (neu)
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zu Olympia – olympische Spiele! |
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online und im Buchhandel |
Lyrik, Prosa und Ingenieurarbeiten |
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Es werden Gedichte vorgestellt, die in ausgewählten Anthologien
veröffentlicht wurden, sowie der lyrische Zyklus: „Namenlos
von meiner Insel, 42 Briefe“, z.B.: Alles ging sehr schnell: In einem nahen, fernen Ausland, wo
ein Menschenleben rasch verblühte, Nahm man mich gefangen. Einer Schuld war ich mir nicht
bewusst, Ich wurde nicht befragt, Und ich gestand. |
Im Buchhandel und online: Gedichte, veröffentlicht
in ausgewählten Anthologien,
und Namenlos von meiner Insel, 42
Briefe 108 Seiten, Format A5 3. Auflage Harald Birgfeld Online bestellen sowie im Buchhandel, € 8,90 inkl.
MwSt. Zum Buchshop ISBN 978-3-73-22-4803-2 Der
vorliegende Gedichtband ist auch in den USA, Großbritannien und Kanada unter obiger ISBN und bei abweichenden Preisen bestell- und lieferbar. Auch als E-Book € 6.99 Zum Buchshop ISBN 978-3-73-22-7798-8 |
Inhaltsverzeichnis, Gedichte, veröffentlicht in ausgewählten
Anthologien
und
Inhaltsverzeichnis, Namenlos von meiner Insel,
42 Briefe
"Es lohnt sich,
einmal einen heutigen Dichter kennen zu lernen, der mit der deutschen Sprache
einen faszinierend fremden Weg betritt und trotzdem dem Leser Freiraum lässt
für eigene Gedankengänge, ohne dass die Probleme in erhobener Zeigefingermanier
zu zeitkritischen Trampelpfaden werden." (1986: Gutachten).
Harald Birgfeld, von Beruf Diplom-Ingenieur, schrieb die meisten seiner Gedichte während der morgendlichen Fahrt mit der Hamburger S-Bahn zur Arbeit. Seine Texte entstanden fast immer bereits in endgültiger Form.
Copyright 2014 beim Autor, Harald
Birgfeld, alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne
schriftliche Erlaubnis des Herausgebers, Harald Birgfeld, reproduziert werden.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmung und
Einspeicherung sowie Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Herausgeber, Autor,
Redakteur: Harald Birgfeld, e-mail:. Harald.Birgfeld@t-online.de
Gedichte,
veröffentlicht in ausgewählten Anthologien
(2009:
„Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München,
„Ausgewählte Gedichte XIII“) (2012: „Jahrbuch
für das neue Gedicht“ der Frankfurter
Bibliothek der Brentano – Gesellschaft, ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die
besten Gedichte) (2007: „Liebe in all ihren Facetten“ des Lichtstrahlverlages, 99853
Gotha) (2009: „Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166
Gräfelfing/München, „Ausgewählte Gedichte VX“) (2006: „Jahrbuch
für das neue Gedicht“ der Frankfurter
Bibliothek der Brentano – Gesellschaft, ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die
besten Gedichte) (2013:
„Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München,
„Ausgewählte Gedichte XVI“) |
(2013: „Jahrbuch
für das neue Gedicht“ der Frankfurter
Bibliothek der Brentano – Gesellschaft). (2013 ausgewählt
für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“) (2008: „Jahrbuch
für das neue Gedicht“ der Frankfurter
Bibliothek der Brentano – Gesellschaft). (2008 ausgewählt
für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“) (2009: „Jahrbuch
für das neue Gedicht“ der Frankfurter
Bibliothek der Brentano – Gesellschaft). (2009 ausgewählt
für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“) (2007: „Jahrbuch
für das neue Gedicht“ der Frankfurter
Bibliothek der Brentano – Gesellschaft). (2007 ausgewählt
für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“) |
(2010: „Poesiealbum neu“, Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik, e.V. Leipzig) (2008: „Poesiealbum neu“, Gesellschaft für
zeitgenössische Lyrik, e.V. Leipzig) (2008:
„Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München,
„Ausgewählte Gedichte XI“) (2010: „Jahrbuch
für das neue Gedicht“ der Frankfurter
Bibliothek der Brentano – Gesellschaft). (2010 ausgewählt
für die Frankfurter Bibliothek der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte“) (2010:
„Bibliothek deutschsprachiger Gedichte“, 82166 Gräfelfing/München,
„Ausgewählte Gedichte XIII“) Wir gerieten in den Gürtel der Meteoriten (2011: „Jahrbuch für das neue Gedicht“ der Frankfurter Bibliothek der Brentano – Gesellschaft, ausgewählt für die Frankfurter Bibliothek
der Klassikerausgabe: „Die besten Gedichte) |
Namenlos von meiner Insel, 42
Briefe
Namenlos von meiner Insel, 1.
Brief, Gefangennahme, Namenlos von meiner Insel, 2.
Brief, Auf dem
Reaktor-U-Boot, Namenlos von meiner Insel, 3.
Brief, Schmerzhaft Sehnsucht, Namenlos von meiner Insel, 4.
Brief, Namenlosigkeit, Namenlos von meiner Insel, 5.
Brief, Drei junge Frauen, Namenlos von meiner Insel, 6.
Brief, Schwere Blütendolden, Namenlos von meiner Insel, 7.
Brief, Kunst im Raum, Namenlos von meiner Insel, 8.
Brief, Auf der Speisetafel, Namenlos von meiner Insel, 9.
Brief, Angst mit Angst
bekämpfen, Namenlos von meiner Insel,
10. Brief, Sie kämmte sich Namenlos von meiner Insel,
11. Brief, Die drei Frauen, Namenlos von meiner Insel, 12. Brief, Ob ich Tango tanzen
könnte, Namenlos von meiner Insel, 13. Brief, Eine Probefreiheit, Namenlos von meiner Insel, 14. Brief, Kein Geräusch, Namenlos von meiner Insel, 15. Brief, Ausgeliefert, |
Namenlos von meiner Insel, 16. Brief, Im „Großen Haus“, Namenlos von meiner Insel, 17. Brief, Doppelgänger, Namenlos von meiner Insel, 18. Brief, Ein weiteres Geheimnis, Namenlos von meiner Insel, 19. Brief, Eine junge Frau, Namenlos
von meiner Insel, 20. Brief, Moderne
Technik, Namenlos von meiner Insel, 21. Brief, Mit honigsüßen Worten, Namenlos von meiner Insel, 22. Brief, Unterwasserspiele, Namenlos von meiner Insel, 23. Brief, Kannst du singen? Namenlos von meiner Insel, 24. Brief, Ein Spion, Namenlos von meiner Insel, 25. Brief, BioCurious Namenlos von meiner Insel, 26. Brief, Zwillingswesen Namenlos von meiner Insel, 27. Brief, Der Besuch des Gartens Namenlos von meiner Insel, 28. Brief, Morgen bin ich keine Zeit für dich Namenlos von meiner Insel, 29. Brief Schreib mich gut (2012, „winter märchen haft“, Winteranthologie,
novumverlag, Österreich) |
Namenlos von meiner Insel, 30. Brief Sie sind unser Ehrengast Namenlos von meiner Insel, 31. Brief Wären doch Soldaten alle
so wie Sie Namenlos von meiner Insel, 32. Brief Immer ist der Mensch allein auf dieser Welt Namenlos von meiner Insel, 33. Brief Nachts lieg ich an
seiner Seite Namenlos von meiner Insel, 34. Brief Meine Lust
zu malen Namenlos von meiner Insel,
35. Brief Neues aus
der Wissenschaft Namenlos von meiner Insel, 36. Brief In einem sogenannten
Notfall Namenlos von meiner Insel, 37. Brief Gerne
hätte ich ihr das geglaubt Namenlos von meiner Insel, 38. Brief Es war
nicht Platz genug in mir Namenlos von meiner Insel, 39. Brief Hilfe oder
Menschenraub Namenlos von meiner Insel, 40. Brief Das sagte
alles. Namenlos von meiner Insel, 41. Brief Die Sehnsucht schläft,
die Sehnsucht wacht Namenlos
von meiner Insel, 42. Brief Die Beine aber liefen mir vorweg |
Gedichte,
veröffentlicht in ausgewählten
Anthologien
Eigentlich war
es ganz anders. Immer wünschte ich mir jemanden, Der mich verstehen konnte, Und der Ansatz, dachte ich, Sei gut. |
Die Wahrheit aber war, Dass schon der Ansatz In die falsche Richtung zeigte. |
Auf dem Bahnhof standen meine Doppelgänger Überall herum. Sie waren nackt wie ich Und trugen auch darunter Keine Kleidung. Alle warteten Auf meine Ankunft. |
Und zwang mir harte Arbeit ab. In mir, vergaß ich zu erwähnen, Mussten die Gefangnen in den Steinbruch gehn Und durften über die Gefahren, Über diesen Zwang, Kein Sterbenswort erwähnen. |
Wenn mich jemand nach mir fragte, Und ich lügen musste, Drang oft weißer Staub nach außen, Blässe schoss in meine Wangen. |
Trotzdem hielt ich die im Steinbruch Abgeschnitten von der Welt Und achtete darauf, Dass sie kein Sterbenswort erfuhren. Sie erfuhren nichts Von einer andren Welt. |
Dem hatte man das Jesuskind Herausgeschnitten, Das lag auf dem Tisch Und wurde operiert. Die Ärzte waren zu beschäftigt, Um mich zu bemerken, Und ich selbst bemerkte nichts. |
Mit meiner Hand griff ich, Wie zum Beweis, Ins Leinwandloch, Das überwachte ein geheimes Auge, Und Alarm wär angesprungen Hätte man mich nicht im letzten Augenblick Zurück gerissen. |
Ja, man schalt mit mir, Ich sei voll Unvernunft, Dass ich in eine offne Wunde Hatte greifen wollen. |
Und seh mich um: Es ist erstaunlich. Die Bedienungsplätze vor den anderen Geräten Sind nicht mehr besetzt. Ich sehe, Dass sich die Geräte selbst bedienen. Ein Verdacht kommt auf. |
Ich seh mich an, Ich denk an mich, Ich denke, dass ich mich am besten Durch mich überprüfen lassen werde. Das hält an. |
Ich werde eines Tages eine Antwort Wissen. |
Außerhalb von
mir: Wo ich das
Gras vermutete, Wo früher
Halme wuchsen, Schoss jetzt
Draht aus Eisen Und Gestänge
aus der Erde. Es war
Wachstum, Das sich frei
verbreitete. |
Von drüben
kamen Fressmaschinen, Die auf
dieser Weide grasten, Üppig war das
Angebot. |
Ich steh der
Flucht entgegen, Den Maschinen
gegenüber, Meine
Fingerspitzen Zeigen
leichten Rost, Vielleicht
nur Flugrost. |
Gürtel der Meteoriten
10.000
Aufschläge, Aufschlag 7101 Drüben sollte ich mich an der Pforte melden und mit einem Messingreifen klopfen, Und ich sah genau, dass hinter dieser Pforte, die ein Rahmen hielt, sich weiter nichts
befand, |
Es stand dort kein Gebäude, Und es war kein Mensch zu sehen, Und man sagte mir, dies wäre eine Sache des Vertrauens, Und ich ging und klopfte an. Es war natürlich ganz umsonst, Und auf der andren Seite fühlte sich nicht einer Angesprochen. |
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Ich ging hinaus ans kleine Ufer
dieser Nacht, Und über mir, das dunkle Blech, Millionenfach durchstochen, Dass das Licht dahinter, Niederblitzte, Wölbte sich mir zu. Die Landschaft war allein. |
Von dir erfuhr ich nur, Weil wir zur gleichen Zeit Den Blick zum Großen Bären Richten wollten. |
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Hinterglasgemälde Draußen stand in einer Fensterhöhe, Oberhalb des letzten Häusergipfels, Außerhalb davon in einer grauen Wand aus Nebel, Leichtem Regen, Schnee, Ein Möwenvogel. |
Seine braunen Flügelränder schnitten In der kurzen Zeit des Augenaufschlags Eine Schrift, ein Zeichen, Fast ein wenig Wiedersehensfreude in die Luft, Den Fetzen von Erinnerung vielleicht, Das Staunen, noch in dieser Höhe auf Lebendigkeit Zu stoßen. |
Ich, in meinem einen Fenster, eines Tausendfensterfelsens, Wusste nicht, dass die Gemälde hinter Glas Nur in Gefangenschaft entstehen. |
Meinem
Wärter hing ich an, Der
lebte in dem Räderwerk Und
war mir unbekannt. Er
wusste davon nichts Und
wachte über mir Und
über mich. |
"Ihm,"
sang ich laut, "Sei
Lob und Dank. Ein
guter Wärter ist ein Schutzpatron. Ihm werde
ich die Füße, Nein,
die Sohlen seiner Füße küssen." Jeder
hörte, dass ich ehrlich war. |
In
meinem Falle Tauschte
man sofort den Wärter aus Und
tuschelte: "Die
stärkste Liebe Stirbt
an Trennung." |
Man schenkte mir zur Strafe Eine Reise an ein Meer. |
Das Meer war selbstverständlich Ohne Wasser, Und statt Palmen an der Küste Standen eng an eng, Als Gitterstäbe an dem Rand, Versteinerungen, alles Menschen, Die sich trotzdem immer noch Bewegen konnten. |
Aber, welch ein Leben führten sie. Sie waren völlig mit sich selbst Beschäftigt, Und sie ließen mich nicht durch Durch sich. |
Mein Schatten vor der Tür Und wollte heim, Zurück zu mir. |
Ich hatte ihn bis dahin Nicht einmal vermisst. |
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„Ich bin Delfin Und schwimm im Meer Dahin.“ |
Das ist ein Kinderreim, den hat sich Mama für mich ausgedacht, Sie hat mir auch noch beigebracht, Dass ich ein wenig anders bin als
andere. |
Ich habe eine Nylonschnur um meinen Hals, die hatten wir zu Anfang nicht
beachtet, Doch sie wird mich langsam würgen, Und sie hindert mich schon jetzt Zu schwimmen und zu springen Wie die anderen, und ganz zuletzt Werd ich, obwohl ich doch Ein Kind des Wassers bin, An ihr in meinem Meer, Ertrinken. |
Im ganzen Haus ist alles still. Der Künstler sitzt in seinem Atelier Und blickt auf das Modell In einer Ruhe, die nicht ruhig werden
will, Und seine Augen geistern über es hinweg Und nehmen hier den Arm, Ein Stück vom Leib beiseite, Legen ihre Beine fort Und schieben sie ihr auf den Rücken. |
Gut, dass sie nichts sieht von dem, Was er sich denkt, denkt sie, Sie fände sich nicht wieder. Ihre Haare fallen weich und lang, Das ist ein Anfang, wie er ihn sich
wünscht, Und diesmal will er alles mit dem
dritten Auge sehn, Das, hat er ihr erklärt, Sitzt hinter seiner Stirn Und reagiert auf Wärme. Rot wird er sie malen, Rot in allen Tönen, Rot in allen Farben, Und die Leinwand steht Als Halteschild dazwischen. |
Nun, so will er es, Soll sie sich auf den Körper malen
lassen, Und sie lässt es zu Und lebt ja auch mit ihm, Und aus dem Fenster ruft er In die menschenleere Straße seine
neue Welt, Und alle lädt er ein zu sich, Danach verlangt er Wein, Sie lebt schon lange so mit ihm
zusammen Und reicht ihm ein Glas Und denkt an das Vorher, Das wird nachher zum Jetzt, Das muss sie sich bewahren. |
Namenlos von meiner Insel, 42 Briefe,
Lyrik
Namenlos von meiner Insel, 1. Brief, Gefangennahme Alles ging sehr schnell. In einem nahen, fernen Ausland, wo ein Menschenleben rasch verblühte, Nahm man mich gefangen. Einer Schuld war ich mir nicht bewusst, Ich wurde nicht befragt, Und ich gestand. Man fällte noch in meiner Gegenwart das Urteil: Tod durch Erhängen, Und dann, als ein Kader Zweifel hatte, Wegen einer Sprachverwirrung: Lebenslängliche Verbannung. |
Meinen Namen hatte man mir aberkannt Und schickte mich auf eine Dieser kleinen Inseln tief im Süden, ohne Anschluss an die Welt. Ich durfte unter wenig Menschen leben. Man versicherte, mit keinem über meine Schuld zu reden. Einmal jährlich darf ich einen Text Verfassen, der erscheint, wie dieser, Irgendwo und ohne meinen Namen. |
Jetzt, mit dieser kleinen Freiheit, Wende ich mich an die Präfektur, An jede Obrigkeit, Und frage nach: Warum, weshalb, aus welchem Grund Hat man mir Solches angetan. Es geht mir wirklich gut auf meiner Insel Und ich klage nicht Und spreche schon mit einer Frau, Die mich versorgt, Und sicher bin ich schuldig, Aber ich erfahre nichts Und bitte die, die über mich Gericht gehalten
haben, Zu verzeihen: „Geben Sie mir meinen Namen Wieder.“ |
Namenlos von meiner Insel, 2. Brief, Auf dem Reaktor-U-Boot Es war ein böser Trick, Dass man mich von der Insel Einen Brief verfassen ließ, Man wollte Namen hören Und dass ich die Obrigkeit beschuldigte War dumm von mir, Da gab es kein Verzeihen. Man verbot mir jede Körperpflege Und verschleppte mich auf ein Das mit reichen Passagieren Bis in größte Tiefen tauchte. |
Wochenlang muss ich In dem Maschinenraum gewesen sein, Und Namen, die man hören wollte, Gab ich zu. Ich musste mich mit einer Lederpeitsche selber schlagen Bis das Blut austrat. Dann schickte man mich wieder heim Auf meine Insel, So, als wär nichts gewesen. |
Bei der Frau, die mich versorgte, Fand ich fast wie selbstverständlich Schreibzeug und Papier. Sie zeigte mir den hohlen Stein In einer Mauer eines Hauses. Dort versteckte ich den neuen Brief, Den schrieb ich gleich nach meiner Rückkehr, Der war schon am andren Tag in einer großen Zeitung Nachzulesen. Das bewies sie mir in einer Sendung, die sie täglich sah. |
Namenlos von meiner Insel, 3.
Brief, Schmerzhaft Sehnsucht Ich war so maßlos traurig Und so voller Hoffnungslosigkeit. Ich durfte meinen Namen Nicht benennen Und ich wurde nicht danach gefragt. Am Tisch fand ich die Frau, die mich versorgte. Mit ihr saßen dort vier Männer, Die sich friedlich zeigten, Bei der Mahlzeit. Denen teilte sie sich auf, Sie waren Brüder. Mit dem Winken ihrer Hand Bat sie mich hin zu sich An ihre rechte Seite, wo noch Platz war, Auf die Bank. |
Die Männer schauten unbeschwert auf mich, Und einer gab mir seine Hand. Sie aber beugte meinen Nacken Tief in ihren Schoß. Ich drehte mein Gesicht zu ihr Und sah sie von dort unten an. Sie öffnete ihr Kleid Und beugte sich leicht über mich. Sie gab mir ihre Brust. Ich hatte schmerzhaft Sehnsucht Nach ein wenig Weiblichkeit, Die stillte sie auf diese Weise. Wunderbar durchströmte mich, Was sie mir tat, Und warme Dankbarkeit Stieg in mir auf. |
Die Männer nahmen das Geschehen Wahr und ließen es gelassen zu. Mein dritter Brief, in dem ich Dieses alles schreiben würde, Lag nur wenig später fertig Auf dem Tisch, Und einer ihrer Männer nahm Ihn mit. |
Namenlos von meiner Insel, 4.
Brief, Namenlosigkeit Vielleicht ist dies das letzte, Was von mir nach außen dringt. Man holte mich zurück Von meiner Insel, Denn die Richter über mich Verfügten, dass der erste Spruch Doch gültig sei: Tod durch Erhängen. Die Vollstreckung wurde aber Ausgesetzt. Begründung gab es keine. |
Eine Frau vom Komitee nahm mich Beiseite Und sie sagte mir, ich sollte Alles nicht persönlich nehmen, Weil ich durch den ersten Richterspruch Zur Namenlosigkeit Doch keinerlei Persönlichkeit mehr hätte. Dies wär auch der eigentliche Grund Warum das Urteil nicht Vollzogen werden könnte. All die andren hätten das ganz schnell Verstanden und auch richtig Darauf reagiert. Ich könnte, wenn ich wollte Heim auf meine Insel Oder würde namenloses Opfer meines eignen Handelns werden. |
Auf dem Tisch, an dem ich mich Entscheiden sollte, lagen Bleistift und Papier. Ich schrieb den vierten Brief. Man wartete nun meine Zeilen ab, Die wollte aber niemand lesen, Steckte meinen Brief in einen Umschlag Adressierte ihn und übergab ihn Einem seriösen Boten Zur Beförderung an eine große Zeitung. Mich verbrachte man erneut auf Meine Insel. |
Namenlos von meiner Insel, 5.
Brief, Drei junge Frauen Angekommen auf
der Insel Brachte man mich
in ein neues Haus. Das Haus war ein
Geschenk für mich. Es hatte keinen
Namen an der Tür. Die Frau, die
mich versorgte Fragte mich nach
meinem Alter, Und ich wagte
keine Antwort, Ihretwegen. Die vier Männer,
denen sie sich teilte, Waren nicht
dabei. Am andren Tag
bekamen wir Besuch von Fremden in
Begleitung, Die befragten
mich in ihrer Sprache. Wenig später
holte man mich wieder ab Und brachte mich
erneut Auf das Reaktor-
U-Boot Und behandelte
mich besser als die Luxuspassagiere. Der
Maschinenraum, in dem ich früher An den
Dampfturbinen Arbeit machte, Blieb für mich
verschlossen. |
Dann gab man mir gute Kleidung, Legte Wert auf Sauberkeit Und abends war ich mit drei jungen Frauen Gast bei einem Mann, der über allem stand. Die Frauen hielten Einigkeit und Nacheinander, jeweils für drei Abende, War ich auch Gast in ihren abgedunkelten Kabinen. Jede zeigte Leuchten in den Augen Mit verheißungsvollen Blicken, Und ich blieb die Nächte. Jede Frau erzählte mir dabei von einem Schicksal, Das sie hatte, dass sie sich von mir Ein Liebesglück versprach, Das sie, ich wüsste schon warum, Sonst niemals haben könnte, Und sie wollte nur ein Kind von mir. Ich wäre namenlos und hätte doch nichts Zu verlieren. |
Ich gab alles zu Und übersah nicht die Gebrechlichkeit Der amputierten Leiber unter mir. Man brachte mich nach dieser Zeit Zurück auf meine Insel, zu der Frau, Die mich versorgte, Und sie schwor, dass auf der Insel Nie ein neues Haus gestanden hätte. Bis hier schrieb ich meinen fünften Brief Und ließ ihn einfach liegen. Der war, wie von mir erwartet Schon am nächsten Morgen Fort. |
Namenlos von meiner Insel, 6. Brief, Schwere Blütendolden Die Frau, die mich versorgte, War sehr lieb zu mir. Ich glaube nicht, dass sie mich einfach Liebte, es war viel, viel mehr. Ihr Blick verriet mir, dass sie sich Geborgen bei mir fühlte, Dass sie meine Nähe suchte. Eines Tages schaute sie mich an Und bat mich, sie ins Inselland Zu führen. Ich war überglücklich, Und es war die Sehnsucht nach dem Schönen, die mich leitete. Ich traute ihr und legte ihren Arm In meinen. Sie bedankte sich mit einem Mädchenhaften Blick zu mir, Doch den verstand ich nicht. |
Sie schlug mir
einen Kurzweg vor Und führte uns
in einen Garten voller Unbekannter
Blumen. Schwere
Blütendolden streiften unsre Arme, strichen
über die Gesichter Als ein leiser
Hauch Von zartester
Berührung. Deren Leichtigkeit
und warmer Duft Verführten uns,
dass wir uns an den Händen halten
wollten. Sie stand
plötzlich still Und schloss, mir
zugewandt, die Augen. Als in einer
leeren Kirche standen wir In feierlicher
Ruhe, Und ich gab ihr
einen Kuss Und wusste nicht
mehr, Dass sie sich
vier Männern teilte. |
Diesen sechsten
Brief schrieb ich Nicht auf. Er hing trotzdem
bei meiner Rückkehr An der Innenwand
der Tür zu meinem Raum Und wurde auch
nicht abgeholt Wie all die
anderen. Die Frau, die
mich versorgte Spielte nebenan
auf einer Okarina ihre
Melodien. |
Namenlos von meiner Insel, 7.
Brief, Kunst im Raum Am andren Morgen wurde ich in aller Frühe wach. Ich hörte Männerstimmen Und die Stimme einer Frau. Man drang in meine Wohnung Und erteilte mir Befehle in der fremden Sprache. Ich gehorchte und mit etwas Kleidung führte man mich ab ins Freie. |
Draußen kam die Frau, die mich versorgte, Ebenfalls aus ihrer Wohnung, Und sie sah mich an und sah durch mich hindurch. Gelangweilt biss sie ab von einer Frucht in ihrer
Hand. Ich eilte auf sie zu und wollte etwas sagen, Aber sie blieb fremd und schaute in die Leere. Gestern hatte ich sie noch geküsst. Nun lag in ihren Augen Abgewandtheit, Die mir jedes Wort im Hals erstickte. An der Mauer stand ein Reisigbesen. Den sie nahm, damit den Weg zu fegen, Doch dann stützte sie sich darauf ab Mit einem neuen Blick auf unsre Gruppe, So als sähe sie zum ersten Mal ein Kunstwerk, Über das sie staunte. Ohne sich zu rühren wurde sie auf diese Weise Selbst zur Kunst im Werk, im Raum. Und ich, zur Namenlosigkeit verurteilt und zu Lebenslänglicher Verbannung, Konnte nur noch demutsvoll verharren. |
Wenig später brachten mich die Männer und die
Frau Erst auf ein Boot zum Übersetzen, Dann an einen Zug und in ein Abgesperrtes, isoliertes Sitzabteil. Man gab mir dort, was ich benötigte. Die Reise endete nach einem Tag und einer Nacht in ungewisser Fahrerei direkt in einem Berg weit unter Tage. Hier, in einem großen Raum mit vielen Menschen und sehr wenig Licht, Erhielt ich eine neue Bleibe. Die war nur ein Drahtgestell als Bett mit festem Stoff bespannt. Als ich mich umsah Fand ich unter dem Gestell in einem Umschlag Unbeschriebenes Papier und einen Stift. Ich schrieb den siebten Brief, Den hob mein Bettennachbar wortlos auf Und trug ihn als ein Bote fort. |
Namenlos von meiner Insel, 8.
Brief, Auf der Speisetafel Aus dem Berg war kein Entkommen, Aber niemand wurde hier bewacht. Allein der enge Schienenstrang Gab eine Richtung an. Dorthin verschwanden manchmal Leute. In dem Berg war ich zum Küchenpersonal Gerufen worden, ohne Zwang und ohne Mich zu drangsalieren. Niemand nahm sich meiner oder eines andren an. Es gab auch Frauen, die wie wir behandelt wurden. Sie entschieden sich in jeder Sache selbst. In meiner Küche gab es kaum ein Wort zu sagen, Niemand gab Befehle, Niemand hörte zu, falls jemand redete. Das Essen selbst war pünktlich aufgetischt Und wurde abgeräumt von Frauen, Männern, Die man sonst nicht sah. Sie sprachen eine fremde Sprache unter sich. |
Beim Essen stellte sich bald eine Enge Bindung ein, vielleicht, weil jedes Essen Eigentlich ganz harmlos einen Namen hatte. Manchmal aber standen „Blut“, dann „Leber“, „Herz“ und „Nieren“ oder „Lunge“ Auf der Speisetafel. Das entsetzte uns. Wir wichen blitzschnell aus, als ein gejagter
Fischschwarm, Und entflohen. Dann, bei einem der Tumulte, stieß ich in ein
Messer Und verletzte mich in Panik an der linken Hand. Zurück blieb eine Narbe. Damals zählte ich die Tage und die Nächte Und blieb länger als ein Jahr und sah kein
Sonnenlicht. Dann wurde ich, als hätte man mich irgendwo Gefunden, wieder heimgebracht auf meine Insel. |
Dort erwachte ich am hellen Tag Aus tiefstem Schlaf und sah Die Frau, die mich versorgte, neben mir am Bett. Ich wollte ihr erzählen und sie fragen, Sie jedoch bestand auf den Besuch der Nachbarin,
die einen Tag vor meinem Abtransport ein Kind geboren
hatte, Das war jetzt und heute keine vierundzwanzig
Stunden alt. Ich sah auf meine Narbe an der Hand Und auf die Frau, die mich versorgte. Sie verneinte mit dem Kopf. Ich schrieb, in mich gekehrt, den achten Brief, Den trug sie augenblicklich fort. |
Namenlos von meiner Insel, 9.
Brief, Angst mit Angst bekämpfen Meine Briefe fanden nirgends Echo, Dass, obwohl sie nachzulesen und zu hören waren. Niemand fand es sonderbar, Von einem Namenlosen ohne jeden Umweg etwas zu erfahren. Die Erlaubnis, Briefe zu verfassen, ohne Dass man an den Schreiben Etwas änderte, erfüllte mich mit Mut. In Zukunft würde ich mich gleich an jeden Und an alle in der Heimat wenden Und um Hilfe bitten. Ich sprach mit der Frau, die mich versorgte, Und erfuhr, dass meine Briefe schon von Anfang an Für jeden zugänglich und öffentlich gewesen waren. Dass das Urteil über meine Namenlosigkeit Und lebenslängliche Verbannung als persönliches Geschick Und meine eigne Schuld empfunden wurde. Niemand würde sich je um mich kümmern wollen. |
Als die Frau, die mich versorgte, Meine Angst erkannte, riet sie mir, Ich sollte Angst mit Angst bekämpfen, Und sie sagte: „Willkür ist der schlimmste Terrorismus“. Das verstand ich nicht. Dann aber kam sie eines Abends, Legte sich entkleidet auf mein Bett, als wollte sie sich mir beweisen. Das verwirrte mich, und ich war traurig Und sah hoffnungslos auf sie herab. Sie aber zeigte mir mit ihrem Finger An der Taille eine schwarze Tätowierung, Die mich tief erschrecken ließ, Es war das mittelalterliche Zeichen Von der Tür zu einem an der Pest Erkrankten. „So kannst du dich schützen“, sagte sie. Dann sah sie mich sehr lange an. Ich hätte sie gern lieben wollen, Und mein Herz war wach, Doch das, was ich die Seele nannte, Wog in mir so schwer wie Stein. Ich dachte auch daran, Dass sie sich in vier Männern teilte. |
Nun schreib ich den neunten Brief Und hoffe auf kein Wunder, Denn ich spüre die Gefahr Um die Organe meines Körpers. Einer ihrer Männer hat mir das Tatoo gestochen. Er war freundlich und entgegenkommend. Dieser Brief blieb ein paar Tage unentdeckt, Dann war er fort wie all die anderen. |
Namenlos von meiner Insel, 10.
Brief, Sie kämmte sich Am neuen Morgen schienen alle meine Spuren wie verweht, verwischt. Ein Ungefühl nach völliger Verlassenheit Stand mir im Hals. Im Haus lag nichts, stand nichts Und es gab nichts, was mich an mich Erinnerte. Im Nachbarhaus war niemand, und die Frau, die mich versorgte, gab es scheinbar nicht. Ihr Haus war leer und ohne Möbel, Kein Gerät und keine Gegenstände. Nichts bezeugte, dass hier jemals jemand ein Zuhause hatte oder hatte haben können, Und es steckte auch kein Schlüssel in der Tür. Ich ging zum Strand und dort entdeckte ich, Dass meine Spur von mir vor mir im Sand Zum Wasser führte, Das entfernte sich mit jedem Schritt Und immer schneller in die Ferne. |
Ich begann dem nachzulaufen, doch es Floh mit wachsender Geschwindigkeit. Da blieb ich stehen. Statt nun selbst zu fliehen, hielt ich fest an Diesem Augenblick der Leichtigkeit in mir Und hatte keine Angst. Mit einem Helikopter brachte man mich Heim auf meine Insel. Nichts an meinem Körper hatte sich verändert, Lediglich ein kleines Pflaster auf dem
Oberschenkel Überdeckte einen Einstich. Von der Frau, die mich versorgte, sah ich bei der Ankunft gleich den Rücken und die federnd Dunkelroten Haare, die in langen Locken Fast bis zu den Hüften reichten. Ihr Gesicht sah ich im Spiegel, und sie kämmte
sich. Sie sah daraus voll Freundlichkeit zu mir. Ich hätte meinen Mund, die Nase und die Hände
gerne In ihr Haar gedrückt. |
Da kam sie langsam auf mich zu und Drehte mir, ganz nah, den Rücken zu. Mit ihrer rechten Hand schob sie die Haare aus
dem Nacken Über mein Gesicht und über meinen Hals, Und sah mich von der Seite an. Die Leute, die mich brachten, nahmen Nicht Notiz davon. Es war als stünden wir auf einer Bühne Ohne jedes Publikum. Mein Herz schlug schnell, Es war der engste Schritt in unsrem Tanz. Ich schrieb danach den zehnten Brief und Rätselte nicht um Erklärungen. Ich weiß auch nicht, wer diesen Brief und wohin Weitertrug. |
Namenlos von meiner Insel, 11.
Brief, Die drei Frauen Ohne Vorbereitung holte man mich ab von meiner
Insel. Die Bewacher kannten mich, Doch ihre Sprache blieb mir fremd. Ich zeigte keinen Widerstand, Und war ergeben in mein Los: Zu lebenslanger Namenlosigkeit verurteilt. Der Transport war eigentlich mehr eine Reise, weil man höflich zu mir war und Mich in keiner Weise drangsalierte. Mehrfach wendete man sich an mich mit Fragen oder mit Bemerkungen, Doch die verstand ich nicht. Wir kamen wieder zum Reaktor-U-Boot. Das war aufgetaucht auf hoher See, und ich
gelangte Aus dem Helikopter über eine Einstiegsluke in das
Schiff. Man hatte mich erwartet, und man brachte mich In eine aufwendig gestaltete Kabine, Wo ich, wie das zweite Mal davor, Zur Körperpflege und zur Kleidung alles passend
fand. |
Am ersten Abend hatte ich Begegnung mit dem Mann, der über allem stand. Der lud mich freundlich ein zu einem Essen mit
den Frauen, die ich von dem zweiten Treffen her Noch kennen sollte. Das gefiel mir nicht, weil man mir damals Keine Wahl gelassen hatte, und ich nacheinander Mit drei amputierten Frauen für drei Nächte Unfreiwillig schlafen musste. Die drei Frauen kamen auf mich zu Und gaben mir fast schuldbewusst Ein wenig Selbstvertrauen, weil sie mich in
meiner Sprache grüßten und nach meinem Wohlbefinden fragten. Ihre Hände lagen dabei voller Stolz Auf ihren Unterleibern. Eine trat heraus und sagte mir, wie Glücklich sie nun wären, und sie kämen Aus dem Land, wo Männermangel herrschte, Ja, ich sollte alle drei in dieses Land, das hoch
in Kalten Bergen liegt, begleiten, Und ich wäre sofort frei. |
Sie überreichte mir drei Fotos von den
Ungeborenen. An meinem Urteil über lebenslange Namenlosigkeit Vermochten sie zwar nichts zu ändern, Aber sie versprachen Wohlstand und dass ich mit Allen drein gemeinsam leben dürfte. Alle gratulierten mir zu diesem Glück, Und Tränen standen ihnen in den Augen. Ich verfluchte aber diesen Augenblick Und sehnte mich sekundenlang nach
Selbstkasteiung. Eine Antwort gab ich nicht. Ich ging statt dessen aus dem Raum durch eine
Tür, Die war ein wenig angelehnt, Und stand vor meiner Unterkunft auf meiner Insel, Vor der Frau, die mich versorgte. Sie nahm mir die Fotos aus der Hand Als wüsste sie Bescheid. Ich schrieb den elften Brief Und gab ihr den dazu. Sie wandte sich mit einem Lächeln ab Und ließ mich wortlos stehen. Mir im Rücken spürte ich die Unzufriedene Gesellschaft. |
Namenlos von meiner Insel, 12.
Brief, Ob ich Tango tanzen könnte Die Frau, die mich versorgte, Saß in meinem Zimmer auf dem Stuhl An meinem Bett. Ich stand davor und sah auf sie herab. Ich wusste nicht, wie weit ich ihr Vertrauen durfte, und ich hätte sie sehr gerne Sehr begehrt. Da stand sie auf und fragte, ob ich mit ihr Tango tanzen würde, ob ich Tango tanzen könnte. Dabei senkte sie den Kopf und Blickte mich von unten stolz und sehr ernst an Und legte meinen rechten Arm an ihre Taille und begann mit ihrem linken Fuß Den Takt zu stampfen. Ich war irritiert, mir fehlte die Musik. Doch ihre Schritte und ihr Leib, und weil ich
ihre Körperliche Enge, Haut an Haut, verspürte, Ließ ich sie sich von mir drehen und sich an mich
reißen, Und ich wurde ihr zum Halt Und sie mir meine einzige Trophäe. |
Sie trug eine luftig weite, ärmellose, weiße
Bluse, Ihre blanke Stirn warf Sonnenlicht zurück, Und in der Anmut der Bewegungen Ließ sie die Blicke Mir nicht aus den Augen gleiten. So gab sie sich ihrem Tänzer hin, In unsrem Atem waren wir vereint. Wir tanzten kurz und schnell Bis sie sich plötzlich ganz aus meinen Armen rollte und zurückgedreht, wie leblos Mir zu Füßen sank. Ich war wie sie erschöpft und half ihr auf. Es roch nach Sperma. Meine Frage nach Vertrauen stellte sich nicht
mehr. |
Sie tänzelte noch für Minuten durch den Raum, als müsste sie ein Puzzle Stück für Stück und Schritt für Schritt Zusammensetzen und zusammenfügen, Eine Kette von zerrissenen Ereignissen Für sich noch einmal nacherleben. Dann gab sie mir flüchtig einen Kuss Und stützte sich dabei auf meinen Armen ab. Der zwölfte Brief lag tagelang auf meinem Tisch, als sollte ich mir alles gründlich
überlegen. Danach war er fort. |
Namenlos von meiner Insel, 13.
Brief, Eine Probefreiheit Ich wurde wieder abgeholt. Es sollte neu verhandelt werden. Sicher zweifelte nun keiner mehr an meiner Unschuld und ich käme frei. Die Frau, die mich versorgte, Wollte einfach mit mir kommen, Und man hatte scheinbar nichts dagegen, Doch man tat als gäbe es sie nicht. Ich kam erneut vor ein Gericht. Die Frau, die mich versorgte, Sprach als Übersetzerin zu mir Und ließ mich wissen, dass man mir Zur Probe, also auf Bewährung, Meine Freiheit geben wollte. Diese Probe, diese Freiheit, hätte nichts Mit mir zu tun und änderte auch nichts an meinem
Urteil, Nein, sie wäre eine Probefreiheit meiner alten
Welt. Die sollte sich bekennen. Das verstand ich nicht. |
In meiner alten Heimat angekommen Sah ich gleich, dass an der Eingangstür Ein fremder Name stand, und Nachbarn, die Ich kennen musste, gab es nicht. Man sprach mich aber an und fragte, Ob ich der sei, der im Ausland zwar begnadigt, Aber schuldig und verurteilt worden sei. Die Frau, die mich versorgte, Sagte mir, dass diese Leute nur das Wissen
hätten, Das ich selbst in meinen Briefen mitgeteilt Und fortgegeben hätte. Niemand hier bezweifelte die Schuld an mir Und dass es alles schon mit rechten Dingen Zugegangen sei. Man wendete sich ab. Es hieß sogar, dass man mich hier nicht haben
wollte, Und man kehrte mir den Rücken. |
Auch die Frau, die mich versorgte, war kein
Trost, Im Gegenteil. Von ihr erfuhr ich nämlich, dass man mir die
Heimkehr Auf die Insel offenhielt, ich brauchte dem nur
zuzustimmen. Namenlos in meiner Heimat, sollte ich mich wie in
der Verbannung Unfreiwillig und doch freiwillig dem Urteil, dass ich nicht verhindern konnte, beugen, Und mich fremdbenutzen lassen. Einzig in der Frau, die mich versorgte, sah ich Noch die Hand, die sich mir bot, Und floh in Angst mit ihr zurück auf meine Insel. Diesen vielleicht letzten Brief schrieb ich In großer Eile, und er wurde, wie noch feucht, Mir aus der Hand gesogen und verschwand. |
Namenlos von meiner Insel, 14.
Brief, Kein Geräusch Diesen Morgen schlief ich lange Und erwachte von der Ruhe um mich
her. Von draußen drangen keine Laute, kein
Geräusch zu mir, Es schien als wäre alles das, was
mich umgab, in Stoffe, Tücher, Watte eingeschlagen. Dumpfe Stille hielt den Atem an. Ich ging an meine Haustür Um hinauszuschauen, Doch sie war verklemmt, Es drückte sie von außen etwas zu. Ich sah durch einen Spalt Und fand ganz eng ans Haus
gewachsenes Gestrüpp, dahinter Bäume, aufrecht
und gestürzt, Die ich zuvor noch nie gesehen hatte. Urwald hatte sich dort ausgebreitet. Durch das Fenster war ein starker Ast
gewachsen, Der stieß an die Zimmerdecke. Jenen kleinen Sandweg, der zu meiner Haustür führte, hatte sich Natur
zurück erobert. Ich stieg an dem Ast ins Freie. Niemand war zu sehen. Weit zu gehen traute ich mich nicht, Ich hatte Angst, es war mir alles
fremd. |
Ich kletterte zurück ins Zimmer. Es war dunkel hier und Lampen
funktionierten nicht. Ich setzte mich zurück aufs Bett. Da öffnete sich eine Tür, die ich
zuvor noch nie Gefunden hatte, neben meinem Bett in
einen andren Raum. Der war mein ursprünglicher Wohnraum
in Kopie, Ganz gleich und ohne diesen
Wildwuchs. Alles dort war so wie ich es kannte,
so wie immer. Etwas seitlich hielt die Frau, die
mich versorgte, Mit der rechten Hand den Türgriff, Und mit ihrem linken Zeigefinger
winkte sie mir zu, Dass ich ihr folgen sollte. Dann verschwand sie hinter ihrem
Türblatt. Ich stieg übers Bett nach drüben,
doch sie hatte diesen Raum Schon durch die Eingangstür
verlassen. Ich trat ebenfalls nach draußen und
fand alles Unverändert und vertraut wie eh und
je. Der Sandweg führte als ein Rinnsal
auf die Haustür zu, und alles war
verlässlich. Die Geräusche waren mir gewohnt, und
nebenan Sprach jemand laut, ein anderer sang
eine kleine Melodie. Die Zwischentür zum ersten Raum war
zugeschlagen. Ich ging wieder hin und öffnete sie
weit, um nachzuschauen, Was ich dort verlassen hatte. Urwald hatte sich tatsächlich bis
hier ausgebreitet. |
Ich stand noch im Rahmen dieses
Durchgangs Als die Frau, die mich versorgte,
wieder eintrat. Die vier Männer, denen sie sich
teilte, waren auch dabei. Sie gaben mir ein Zeichen, dass ich
mich entscheiden sollte. Ich ging in den neuen Raum. Sie wollten nun den Durchgang wie mit
Fensterläden schließen. Das war mir zu grob und viel zu
unwirklich. Das spürte wohl die Frau, die mich
versorgte. Sie sprach mit den Männern und nahm
mich in freundschaftlicher Führung mit sich weit nach draußen
bis hin zu den Blumengärten. Nirgends sah ich Wildwuchs oder
Urwald. Erst am späten Abend kamen wir
zurück. Die Männer hatten in der Zwischenzeit
die Öffnung Sowie jede Spur zu einem andren Raum
beseitigt, Und auch draußen konnte ich nichts
finden. In dem neuen Zimmer schrieb ich alles
auf, Was mir seit diesem Morgen
widerfahren war. Ich suchte nicht nach Fragen oder
Antworten. Dem Brief gab ich die Nummer
Vierzehn. Er lag tagelang in meinem Zimmer
neben meinem Bett, Dann hatte man ihn abgeholt. |
Namenlos von meiner Insel, 15.
Brief, Ausgeliefert Das Urteil stand mir hoch als Wand
vor Augen: Ohne Schuld war ich in einem fremden
Ausland Erst zum Tod durch Hängen abgeurteilt
worden, Später, wegen einer Sprachverwirrung, Namenlos verbannt auf diese Insel. Hier war ich der Willkür Unbekannter
ausgeliefert. In der Heimat hatte ich noch
Schlimmeres erlebt: Man wollte mich dort nicht mehr
haben, Weil man mich für schuldig hielt. |
Die Rückkehr war mir so vereitelt
worden. Nirgends konnte ich Vertrauen fassen, Auch nicht zu der Frau, die mich
versorgte. Lange dachte ich darüber nach. Ich wusste nicht, ob sie und die vier
Männer, Denen sie sich teilte, einer
Obrigkeit gehorchten. |
Diesem, meinem neuen Brief, gab ich
die Nummer fünfzehn, Und ich wusste nicht, für wen, für
was ich alles festhielt. Draußen mochte es noch jemand geben, Der viel Schlimmeres erlebte und
erfuhr, Doch konnte mir das Trost sein und
Vertrauen schenken? Worauf konnte ich noch hoffen? Gleich nach seiner Niederschrift war
dieser Brief Verschwunden. |
Namenlos von meiner Insel, 16.
Brief, Im „Großen Haus“ Ich verließ das Haus Und ging spazieren. Da fuhr neben mir ein Wagen auf. Der wurde von der Frau gelenkt, die
mich versorgte, Und sie fragte, ob ich sie begleiten
wollte. Sie war auf dem Weg zum „Großen
Haus“. Das kannte ich noch nicht. So stieg ich zu ihr ein. Sie sah ein wenig anders aus als
sonst. Ich sah sie von der Seite an, mir
fiel jedoch nichts weiter auf. Wir fuhren zu dem „Großen Haus“. Es schien sehr herrschaftlich. Von weitem sah ich viel
Geschäftigkeit. In nächster Nähe gingen dann zwei
Frauen, Die der Frau, die mich versorgte, zum
Verwechseln Glichen. Ich war irritiert, Die Frau saß neben mir und war auch
draußen. Eine von den beiden sah ein wenig
jünger aus, Die andere schien älter. |
Meine Fahrerin blieb ungerührt. Wir traten ein. Gleich hinter dem Empfang stand ich. Ich stand dort zweimal, Einmal so wie ich vor Jahren
ausgesehen hatte Und daneben ganz genau wie jetzt. Ich wollte mich verstecken. In dem ganzen Haus war reges Tun und
auch viel Lässigkeit. Ich traf auf immer neue Doppelgänger. Keiner staunte, alle waren
ungewöhnlich frei. Ich kannte mich bald nicht mehr aus. Die Frau, die mich versorgte und den
Wagen Hergefahren hatte, konnte ich nicht
mehr entdecken. Sie war in zu viele gleiche Frauen
eingetaucht. Da wurde ich von einem meiner
Doppelgänger angesprochen. Er sah mich sehr freundlich an. Er sprach jedoch nicht meine Sprache, Und ich lächelte verständnislos
zurück. Ein wenig aber spürte ich Vertrauen, Und ich hatte Lust ihn zu berühren. |
Viele Wochen lebte ich im „Großen
Haus“. Wir gaben uns an Kleidung, Essen,
Überflüssigem Und an Erforderlichem was wir
brauchten. Immer war jedoch schon alles angetan
und Stand bereit für mich, für alle meine
Ichs Und für die Doppelgängerinnen von der
Frau, Die mich versorgte, und sie selbst
darunter. Eines Tages redete von denen eine
ganz vertraut mit mir, Dass ich „der in Verbannung“ sei, Sie führe wieder heim und wenn ich
wollte.. Ich war gleich dabei und sagte: „Ja“,
Doch trauen konnte ich ihr nicht. So fuhren wir zurück. Zu Hause angekommen Stand die Frau, die mich versorgte,
uns im Weg, Und ohne Staunen öffnete sie mir die
Wagentür. Sie fragte nur, ob ich im „Großen
Haus“ gewesen sei Und sah gelangweilt auf die
Doppelgängerin. Die grüßte sie und fuhr, als wäre
nichts, davon. Mein neuer Brief erhielt die Nummer
sechszehn, Und er wurde schon am andren Tag Von jemand wortlos abgeholt. |
Namenlos von meiner Insel, 17.
Brief, Doppelgänger Die Frau, die mich versorgte, War bei mir am späten Vormittag zu
Gast und Sprach von großem Glück, das uns
beträfe. Ich verstand sie nicht. Sie wollte deshalb mit mir leise
dieses Haus verlassen und zum „Großen Haus“, Wo unsre Doppelgänger lebten, fahren. Für Sekunden hatte ich mir anderes
von ihr Versprochen, und ich hätte sie so
gern geliebt. Das spürte sie und gab mir zu
verstehen, Dass sie etwas wüsste, was für sie
und mich Und die vier Männer, denen sie sich
teilte, Wichtiger und von Bedeutung sei. Sie sah mich dabei aber an, dass ich
sie in die Arme nehmen musste. Für den Augenblick fing ich sie auf, Doch sie gab sich als Frau und wollte
keinen Trost. Wir liebten uns das erste Mal. Das dauerte bis in die Dämmerung. Dann aber wollte sie mir zeigen, was
sie wusste, Und wir fuhren los. Nicht weit vom „Großen Haus“ entfernt Versteckten wir uns hinter einem Busch. Doch das war gar nicht nötig. |
Ich erkannte Schreckliches. Es lagen alle Leiber unsrer
Doppelgänger leblos Vor dem Haus. Sie waren noch zum Teil bekleidet,
aufgestapelt und an vielen Stellen ihre Körper aufgeschlitzt und
schlimm Entstellt. Wir sahen Kinder unter ihnen, aber
wagten uns nicht Nah an sie heran und nicht, sie zu
berühren. Links vom „Großen Haus“ erkannte ich
die Männer, Denen sich die Frau, die mich
versorgte, teilte. Die vier Männer trugen Schutzanzüge,
und es schien, Dass sie die toten Leiber sammelten,
um sie zu Transportieren. Einer von den Vieren schrieb an einer
Liste. „Uns“, so sagte sie, „hat man
verschont, weil wir die wahren Körper haben. Unsre Doppelgänger waren scheinbar
ein Versuch, Sie hatten aber wahres Leben, Denn sie hatten Kinder. Das war mir seit langem schon
bekannt.“ |
Ich hielt bei dem Gedanken an die
Kinder meinen Atem an, das Herz schlug mir im Hals. Ich fühlte mich als Vater und empfand
doch keine Trauer. Sie stand lange still und schlug dann
vor Zurück zu fahren: „Wir sind hier umsonst, wir können
und wir konnten Gar nichts machen. Keiner von uns weiß, warum sie
sterben mussten.“ Diesmal gingen wir zu ihr nach Hause, Und wir liebten uns ein zweites Mal
in Tränenreichem Wiedersehen, in
Verzweiflung und in Abschied. Tage später schrieb ich, Alles auf und gab dem Brief die Nummer siebzehn. Der lag lange unbeachtet hinter
meinem Bett Bis ich ihn fast vergessen hatte. Eines Tages aber wollte ich das
„Große Haus“ erneut besuchen, Doch es gab nichts mehr, kein Haus,
kein Grab und keine Spur. Seitdem war auch mein Brief Verschwunden, so wie all die anderen
davor. |
Namenlos von meiner Insel, 18.
Brief, Ein weiteres Geheimnis Meine Liebe, die ich zu Mir hatte, ging verloren, Ich empfand mein Lieben Nicht mehr liebenswert Und dass ich mit der Frau, Die mich versorgte und die sich Vier Männern teilte, Liebe hatte, war Mir ein Geschenk in aussichtsloser Lage. Sie war mir ein Himmel, den ich in der Kleinsten Wasserpfütze sah. Ich war am Rande des Betruges, Des Verrats an mir. Ich hasste mich und dankte allem Über mir zugleich, dass es dies wunderbare Wesen gab. Wir hatten kein Geheimnis Voreinander und vor niemandem, Und doch war es für andere nicht nur, als Wäre nichts, es war viel weniger, es Intressierte sich nicht einer für uns zwei, Und selbst die Frau, die mich versorgte, Die mir nun so nahe stand, war Unpersönlich, höflich, Und sie fragte mich nach gar nichts aus. Ich drängte sie, mir zu erzählen, Was sie fühlte, was sie dachte, Und vor allen Dingen, wie sie hieß. Die Frage schien ihr fremd, Als wüsste sie nicht, was ich meinte, Aber sie war aufgeregt Und wollte mir ein weiteres Geheimnis zeigen. |
Also fuhren wir in eine Gegend dieser Insel, wo sich Wellen Ohne Sturm an einer Küste brachen Und zu Wassersäulen türmten. Es war tosend laut. Sie schrie mir zu und flüsterte
zugleich: „Darunter leben sie versteckt Und können rasend schnell nach Oben kommen. Niemand ist vor ihnen sicher, Sie bestimmen über alles!“ Ich war überrascht und Konnte eine solche Technik nicht Verstehen. Doch vor meinen Augen brachen Gischt und Wassersäulen in ein Nichts Zusammen, und der Felsenboden senkte Sich nach unten ab, dort sah ich Glasverdeckte Häuser, die im
Kunstlicht Standen. Dann verschloss sich alles wieder, Und die Wassersäulen stiegen auf. Ein leichter Wind trug Wassernebel her zu uns. |
Er schmeckte nicht nach Salz. Wir fuhren heim und saßen lange Auf dem Bett in meinem Zimmer. Keiner von uns beiden Wusste etwas zu erklären. Keiner wagte das Gesehene zu Deuten. Wieder schrieb ich alles auf Und gab dem Brief die Nummer
achtzehn. Als die Frau, die mich versorgte, Spät am Abend ging, Nahm sie den Brief vom Tisch Und nahm ihn wortlos mit sich fort. Ich rief ihr meine Frage nach. Doch schien es mir als wäre plötzlich Eine jeden Laut verschluckende und
unsichtbare Trennwand zwischen uns. Sie konnte mich nicht hören. |
Namenlos von meiner Insel, 19.
Brief, Eine junge Frau Die Frau, die mich versorgte und die
sich Vier Männern teilte, kam, mich zu Besuchen. In der Hand hielt sie die Okarina,
die sie Eigenwillig spielte, und sie fragte
dann, Ob mir ihr Spielen recht sei. Ihre Melodie war leicht und sanft, Sie rührte mich in fremder Weise, War das Trippeln einer Frau in
buntem, engem Rock Auf hölzernem und doch gedämmtem
Boden. Diese Frau, von der ich keinen Namen
wusste, Hatte ich geliebt und war doch nicht
in Leidenschaft zu ihr, Es war, als lägen unsre Zimmer auf
dem selben Flur, Ganz nah, und doch so weit entfernt, Es schien, wir müssten uns von uns Erlaubnis holen, um uns zu besuchen. Ihre Melodie klang aus. Sie wollte wissen, ob ich auch ein Instrument zu spielen wüsste, Und ich hatte keine Antwort, denn mir
war sie nicht Die Spielerin auf einem Instrument, Sie war viel mehr die Bringerin von Liebessehnsucht. Ihre Frage ließ ich liegen. Hier in meinem Zimmer war es eng, und Sie war nah an mir, Ich wagte aber nicht, sie zu
berühren. Ja, ich spielte auch ein Instrument
und Sagte es ihr jetzt. Sie aber sprach von etwas anderem, Und sagte, dass sie eine Frau an
ihrer Seite hätte, und die würde draußen
warten. Diese Frau wär ein Beweis, ein
schlimmer leider, Aber sie wär noch am Leben. |
Ich verstand kein Wort und wurde hart
aus meiner Kleinen Harmonie gerissen. Ich ging vor die Tür nach draußen. Dort stand eine junge Frau mit einem
leichten Seidentuch um ihren Kopf, das nur
zwei grüne Augen Ausschau halten ließ. Sie sprach mich holperig in meiner
Sprache an, Entschuldigte sich aber gleich dafür. Sie zeigte Anmut, und das Tuch War Teil von einer feinen Schönheit. Dann jedoch zog sie das Tuch wie
einen Schleier langsam vom Gesicht. Das war entstellt, gleichzeitig aber
so verheilt, Als hätte sie ein viel zu festes,
weißes Tuch um Ohren, Nase und den Mund gezogen. Ihr, so sagte mir die Frau, die mich
versorgte, Hätte man die Lippen, Ohren, Nase
einfach abgeschnitten Und sie ihrem Schicksal überlassen. Das tat mir unendlich leid. Ich nahm sie ohne Worte und mit
großer Vorsicht in die Arme. Sie jedoch war fest und unbeirrt und
wies den Trost von sich. „Ich habe Schlimmeres erlebt als das, Was ich dir zeige“, sagte sie und Zog den Schleier des Erbarmens Wieder über ihr Gesicht und ihren
Kopf. |
Es war schon spät am Abend, Und die Frau, die mich versorgte, Ging mit ihr voran und mir an ihrer
Hand, In meine Wohnung. „Keiner hat mehr Umgang mit der
Frau“, Sprach sie wie zu sich selber, aber
laut. Die Frau war still und setzte sich in
Artigkeit auf einen Stuhl. Die Frau, die mich versorgte, sagte
noch im Gehen: „Diese Frau hat niemanden, sie bleibt Nur ein paar Tage. Sie vertraut in allem ganz auf dich Und danach wirst du nie im Leben
wieder Etwas von ihr hören.“ Da verstand ich meinen Auftrag Und bedachte alles sehr genau. Aus Mitleid wollte ich die Frau nicht
haben, Dazu war sie auch zu stolz. Sie wollte sich jedoch in ihrer Not
von einer andren Not durch mich befreien lassen. Nach fünf Tagen war sie früh am
Morgen Wieder fort. Ich hatte sie sehr gern an meiner
Seite. Alles schrieb ich wieder auf und gab
dem Brief die Nummer neunzehn. Den nahm sie bei ihrem Auszug Heimlich, ohne mich zu fragen, mit. Die Frau, die mich versorgte, Hatte einen langen Blick für mich. Der schien gemischt mit Neugier und
mit Aufmerksamer Dankbarkeit. |
Namenlos von meiner Insel, 20.
Brief, Moderne Technik In meiner hoffnungslosen Lage Tastete ich vorsichtig nach etwas
Glück. Ich lebte namenlos verbannt in Unbekannter Fremde auf der Insel, und
in meiner Heimat glaubte man dem Urteil über
mich, zu dessen Grund mir niemand jemals etwas hatte Sagen wollen. Meine Heimat nahm mich nicht mehr
auf. Ich war ein Todeskandidat, Und nur durch eine Sprachverwirrung Blieb das Todesurteil ausgesetzt. Man wandelte es um in lebenslängliche
Verbannung Und in Namenlosigkeit. Von da an war ich fremdbestimmt, Und es verfügten Unbekannte über mich In ungebremster Willkür, Und seit kurzer Zeit empfand ich Mut
zur Gegenwehr und dachte weit zurück Und sehr weit in die Zukunft, denn
die hätte Ich vielleicht zusammen mit der Frau,
die mich Versorgte und die sich vier Männern
teilte, Finden können, doch sie blieb mir
trotz Der körperlichen Nähe unvertraut. |
Ich ging zu ihr und fragte sie nach
technischen Verbindungen in meine Heimat. Davon hatte sie erfahren und sie
führte mich Sehr weit zu einem kleinen Haus. In dem fand ich moderne Technik,
deren Umgang und Benutzung sie mir zeigte. Es war nichts Verbotenes dabei. Wenn ich die Nummer oder Anschrift
eines Adressaten wüsste, könnte ich hier
alles Nutzen, Der Empfänger müsste lediglich zur Kostenübernahme Einverständnis geben. Darin sah ich kein Problem und rief
aus alter Zeit die erste Nummer des Vertrauens
auf. Als die Verbindung stand und ich auf
einem Bildschirm die Person im Kreis von
Freunden Sehen konnte, lehnte man dort jede
Kostenübernahme Strikt und einfach ab. Die Stimmen hörte ich sehr gut, und
auch das Bild War einwandfrei. Mich aber konnten sie nicht hören, Keiner wollte mit mir sprechen. Es war kein Betrug. |
Die Suche nach ein wenig Glück Nahm eine sonderbare Wende. Unglück in der Fremde und in meiner Heimat hielten sich so
gleichgewichtig In der Waage, dass mich
Ausgeglichenheit, Zufriedenheit und nie gekannte
Glücksgefühle Überkamen. Eine reiche Stille breitete sich in
mir aus Und ließ mich schweben. So nahm ich die Frau, die mich
versorgte, An die Hand, und auf dem Weg zurück War ich ein freier Mann. Ich fühlte in mir Sicherheit
erwachsen Und es schien, dass ich nicht einem
Menschen mehr Nur das Geringste schuldete. Zuhause schrieb ich alles wieder auf, Der Brief erhielt die Nummer zwanzig. Und noch während ich die Zeilen
schrieb, Erstarkten meine Glücksgefühle, und
es blieb Nicht nur Erinnerung an einen schönen Augenblick, es wuchs in mir Vertrauen
in die Zukunft. Dieser Brief lag lange unbeachtet in
dem Zimmer. Irgendwann verlor ich ihn aus meinen Augen. |
Namenlos von meiner Insel, 21.
Brief, Mit honigsüßen Worten Das Leben, das ich führte, nahm mich
in Beschlag, und es schien alles gut. Ich hatte mich daran gewöhnt und
musste mich um Gar nichts kümmern, Und die Frau, die sich vier Männern
teilte, Sorgte sich um mich mit größter
Freundlichkeit Und manchmal auch mit Liebesnähe, Doch sie sprach kein Wort darüber. Was sie dazu trieb blieb ein
Geheimnis. Wünsche, die ich hatte, nahm sie
ernst Und half nach Kräften. Ungeachtet dessen, sah sie ganz
gelassen zu Als mich erneut drei Männer holten Und gefesselt in ein Auto zerrten. Ich versuchte diesmal Widerstand, den
gab ich aber sehr Schnell auf. Die Männer setzten sich im Fahrzeug
Atemmasken auf, Und ich erwachte erst bei Dunkelheit
in einem fremden Raum. Mir war ein wenig übel. Mit der Fessel an den Handgelenken
tastete ich Meinen Körper ab. Ich suchte nach Verletzungen, nach
Narben, die vielleicht Entnahmestellen wären oder nach
Verbänden. Dabei bohrte ich mir aus Versehen mit
dem freien Fesselende In den Leib und fürchtete das
Schlimmste. Aber ich fand nichts und unterdrückte
meine Angst. Ich schlief danach sehr lange weiter,
bis man mich in fremder Sprache weckte und die Fessel von den Handgelenken schnitt. Man führte mich in einen Raum mit
anderen und gab mir Trinken und zu Essen. Über mir in allen Zimmerecken sah ich
winzige Geräte, die mich Gleich beim Eintritt in den Raum
erfassten, sich Geräuschlos und synchron mit mir
bewegten. Nach dem Essen führte man mich in den
ersten Raum zurück, Und ließ mich dann allein. |
Ich sah nun, dass die Liege recht
bequem, Fast komfortable war, Es standen unerwartet viele schöne
Möbel zum Benutzen. Eine Tür war angelehnt und führte in
ein Bad mit Dusche Und den Dingen, die ich gern zur
Körperpflege hatte. Oben, an der Zimmerdecke aber hingen Wieder die Geräte, die mich stumm
erfassten Und verfolgten. Es war hell, und ich erkannte nicht Ob ich im Kunstlicht oder in der
Sonne stand. Es lagen Kugelschreiber und Papier
auf einem Tisch. Mit einem Regler ließ sich die
Beleuchtung steuern. Tagelang und regelmäßig nahm sich
jemand meiner an, Und führte mich zum Speiseraum und
auch zu einem Pool, Doch keiner konnte mich verstehen. Eines Abends aber sprachen mich zwei
unscheinbare und doch Auffällige, junge Frauen freundlich
und in meiner Sprache an. Sie hatten beide schulterlanges Haar
mit Locken, die Kastanienfarben schimmerten. Es waren Zwillinge, in allem zum
Verwechseln gleich. Sie flöteten mit honigsüßen Worten, Und sie geizten nicht mit eleganten
Künsten ihrer Augen und mit Handbewegungen in ihre
Haare und mit Großen Gesten, die bis nah an meine
Schultern reichten. Fast wie selbstverständlich kam es
dann, dass sich die eine Sanft entschloss, und mir im Beisein
ihrer Nachbarin das Angebot, sie zu begleiten,
unterbreitete. Das war verlockend und mir mehr als
recht. Die ganze Nacht verbrachte ich mit
ihr. Am zweiten Abend ließ sich ihre
Schwester mit mir ein. Ich konnte sie jedoch von ihrer Zwillingsschwester überhaupt nicht
unterscheiden. Dann verbrachte ich die dritte Nacht
mit beiden, Weil sie es so wollten. Beide waren dabei sehr gesprächig. |
Ich erfuhr von ihnen, dass sie in den
letzten Vorbereitungen zu einer Reise in den
Orbit waren, Und hier machten sie nur kurz
Station. Die Reise würde viel zu lange für ein
Menschenleben dauern, deshalb wollten
oder mussten sie im Raum Familie gründen und durch sie
den Flug Zu Ende führen lassen. Sie erzählten völlig unbeschwert,
dass sie Geschlechtsneutral geboren worden
wären Und dass dieser Umstand erst die
Reise möglich machte. Weiter sagten sie, sie könnten Sperma lebenslang in sich lebendig
aufbewahren Und gezielt zu jeder Zeit ein Ei
damit befruchten, Dass sie das Geschlecht bestimmen und
sogar Dem Nachwuchs ihre eignen Fähigkeiten
und den Samenvorrat mit vererben konnten. Ich als Namenloser hätte dabei nichts
riskiert. Ich könnte nichts verlieren Und durch sie im Grunde nur gewinnen.
Alles wäre denkbar ohne dass ich
einen Nachteil haben würde. Von dem neuen Wissen wollten sie mir
weiter nichts erzählen. Ich sah mich nicht nur von beiden
Schwestern schwer Betrogen sondern auch von mir
verraten, Denn ich hatte mich das Opfer meiner
eignen Eitelkeit und Lust und Dummheit
werden lassen. Anderntags war keine Spur mehr von
den Zwillingen zu finden. Wieder schrieb ich alles auf und gab
dem Brief die Nummer einundzwanzig. Dem galt lange kein Intresse Bis ich ihn vergessen hatte und nicht
wieder fand. Ich wohnte lange völlig unbehelligt
weiter in dem Haus Und hatte freie Zeit, die wollte ich
für die Erkundung nutzen. |
Namenlos von meiner Insel, 22.
Brief, Unterwasserspiele Man hatte mich gefesselt und
verschleppt. Es schien, dass mein Verschleppen
eine Sache war, die ich nicht mit Gefangenschaft verwechseln durfte, Denn die Fessel war mir bei der
Ankunft abgenommen worden. Niemand zeigte Grenzen auf, Man zwang und drängte mich zu nichts. Der Raum, in dem ich mich befand, Und der zuerst für mich
Gefängniszelle war, Der Speisesaal und auch der Pool Verloren langsam mit den vielen
Wochen Aufenthalt, An Fremdheit. Dass sich niemand zu erkennen gab,
und Niemand meine Sprache sprach, Ertrug ich schwer. Ich wusste nicht, wie ich mich
orientieren sollte. Ich vermisste auch die Frau, die mich
versorgte, Und die sich vier Männern teilte. Ich vermisste meine Insel. Aus der Orientierungsnot jedoch wuchs
Neugier für die Welt, die
Niemandswelt, In der ich mich befand. Ich wollte wissen, welche Leute außer
mir in diesem Haus Zuhause waren und begab mich auf
Erkundung. Überall entdeckte ich, dass Menschen
sich ganz Nebensächlich grüßten oder
ignorierten und zugleich Erlebnisleben führten, die ich so
nicht kannte. Hohe lichterfüllte Räume reichten
allseits bis in weite Fernen, Landschaft wandelte sich nahtlos um
in Unterwasserlandschaft, Und ich sah sie tief im Raum
verschwinden. Bäume allerdings und Sträucher gab es
nur als Meerespflanzen, die sich ohne jeden
Wellengang Und ohne Strömung, ohne Wasser um sie
her, in sanften Schwingungen bewegten. Zwischen ihnen schwebten, flogen Große, kleine Meerestiere, die in
Schwärmen oder Einzeln kamen und verschwanden. |
Jemand neben mir sah mein Erstaunen,
und in meiner Sprache sagte er: „Was du hier
siehst, ist alles wahr, Du kannst es glauben. Nichts ist
Illusion.“ Das war von jenen Männern einer, die
mich oft begleiteten und Sonst in meiner Sprache nichts
verstehen wollten. Ich durchstreifte Raum um Raum, und
sah in ihnen viele Männer, Frauen, Kinder wie sie
miteinander spielten. Ihre Kleidung war mir fremd und immer
eng anliegend. Auf sehr großen, supergroßen Tischen und darüber lagen und
bewegten sich mir Völlig fremde Meerestiere frei von
allem Wasser, Aber so als wären sie in ihrem
Element und doch gefangen. Eine Art Gehege ohne Zaun war offensichtlich
diesen Tieren vorbehalten, und mir schien,
sie trügen nur zur Unterhaltung der Besucher bei. Man achtete jedoch nicht viel auf
sie. Ganz hinten aber sah ich, dass sich
Menschen drängten Und vor einem übergroßen Fenster
standen, Das war leicht gewölbt nach draußen. Hinter diesem Fenster sah ich
Meeresgrund und Meer, und darin Menschen, die noch eben neben mir
gestanden waren, wie sie Diese fremde Welt für sich eroberten
und dort spazieren gingen. Sie betraten und verließen Meeresgrund
und Meer durch eine Wand, Die schien wie Glas zu sein. Sie gingen beim Betreten einfach auf
die Fläche zu, und die Umhüllte sie sofort und gab sie beim Verlassen unbeschadet wieder frei. Ich sah sie dort im Meer in großen,
durchsichtigen Blasen, die das Meer zu ihrem Schutz
verdrängten, Sah sie laufen, springen, gehen, Sah die Blasen sich vereinen, wenn
sie sich zu nahe kamen, Und sich wieder voneinander trennen. |
In den Blasen war kein Auftrieb,
sondern nur die Hüllen weiteten sich oben sehr und
wurden Bodennah auf angelegten Wegen Festgehalten oder fest geführt. Die Wege, die man zu beschreiten
hatte, waren Ausgeleuchtet, Meerestiere, deren Wege sich mit
diesen Blasen kreuzten, wurden von mir
unbekannten Kräften leicht und sicher abgelenkt. Es waren Unterwasserspiele in sehr
großer Tiefe, Viele Menschen nahmen daran teil. Dabei entstanden blitzschnell kaum
noch wahrnehmbare neue Formen, schillerten und flackerten in
größter Nähe Farben auf, die wieder Farbenschatten
warfen. Alles folgte einem Rhythmus leiser
Melodien, vielleicht aus Walgesang, Gespielt auf unsichtbaren und mir
nicht bekannten Instrumenten. Weit davon entfernt, in einem anderen
Bereich der Unterwasserstadt, entdeckte ich die
Vorbereitung einer übergroßen Feier. Schriften, die ich lesen konnte,
kündeten vom „Tag des wahren Lebens.“ Dann, so hieß es, wollte man die
Ankunft einer echten Rose, die Zwei Tage nicht verwelkte, feiern. Allen sollte sie ein Zeichen sein. Ich atmete, wohl nur in Sehnsucht und
Erinnerung, Den warmen, süßen Duft. Als ich zurück in meine Räume kam,
erwartete man mich Und sagte, dass ich heim auf meine
Insel sollte. Es blieb wenig Zeit. Ich schrieb in Eile alles auf und gab
dem Brief die Nummer Zweiundzwanzig. Der war aber nicht zu retten und
blieb achtlos liegen. Später, nach der Heimkehr, fand ich
einzig noch die Fessel meiner Hände, ein Stück
Nylonband, Das durchgetrennt in meiner Tasche
lag. |
Namenlos von meiner Insel, 23.
Brief, Kannst du singen? Heim auf meiner Insel Dachte ich nicht mehr an Widerstand, Ich fand mich ab mit dem, was mir
geblieben war, Und glaubte auch, dass Frieden mir am
meisten Dienen konnte. Gleich nach meiner Rückkunft, Hatte ich die Frau, die mich versorgte, Und die sich vier Männern teilte, Zu Besuch. Wir liebten uns, Doch hatte ich zu wenig Leidenschaft
und liebte sie wie eine Viel zu gute Freundin. In mir mahnte Vorsicht zu Verhüten,
und Ich wusste nur von einer Weise: Ganz zum Schluss ließ ich es Nicht in ihren Körper dringen. Das bemerkte sie Und wies mich sanft zurück: „Die Männer, denen ich mich teile, Brauchst du nicht zu fürchten. Das beweis ich dir“, und rief nach
ihnen. Wenig später waren sie in unsrem
Zimmer. Mit nur einem Blick von ihr verwandelte
sie alle vier zu Marionetten, die den Kopf, die Arme Kraftlos hängen ließen. Dann, als fielen sie aus Seilen, Klappten sie in sich zusammen. Ich verstand das nicht und lief aus
meiner Wohnung. Um vielleicht herauszufinden, was um
mich herum geschah, Floh ich ins Freie, doch Erklärung
fand ich nicht. Als ich zurückkam, saß die Frau, die
mich versorgte, Immer noch auf meinem Bett. Sonst waren wir allein. |
Wir schwiegen lange, bis sie eine Frage stellte: „Kannst du singen? Ja, man möchte wissen, ob du singen
kannst“. Ich wollte wissen, wer das fragte, Aber sie beschwor mich, Dass ich alles sehen und erfahren
würde, Wenn ich mit ihr käme. Auf der Straße stand ein Fahrzeug, In ihm saß ein fremder Fahrer, der
schon nach uns Ausschau hielt. Wir fuhren lange, bis zum
Sonnenuntergang, Und machten Halt vor einem steinernen Gebäude, einer leeren Schule oder
einem alten Krankenhaus. Das hatte nur noch rahmenlose
Fensterhöhlen, Türen waren kaum vorhanden, In den Angeln hingen Reste. Draußen lauerten zwei Zivilisten, Die uns bis ins Innere des Hauses
führten. So gelangten wir in einen hohen Raum, Der spärlich ausgeleuchtet war. Trotzdem erkannte ich darin sehr
viele Männer mit und ohne Uniformen, Die auf Stühlen saßen, sich an Wände
lehnten Und auf Tische stützten. Alle schauten auf bei meinem
Eintritt, So als hätten sie darauf gewartet. In der Halle sah ich Köpfe, drei, vier, fünf, sechs, auf
dem Boden liegen, ohne Rumpf und blutverkrustet. Jeder sah wohl, dass mir übel wurde, Und man überließ mich kurzer Augenblicke der Besinnung. Neben mir bewegte sich ein junger
Mann. Der hielt ein Notenblatt in seiner
Hand, Das übergab er mir. Ich konnte eine Männerschola, Die in mittelalterlichem Text
geschrieben war, Mit ihren Noten, gut erkennen. Alles war verfasst und festgehalten
in vier Zeilen. |
Niemand hier war also in der Lage Abzusingen, und ich horchte tief nach
innen, Ein vielleicht verschüttetes Talent
in mir zu finden. Dann trat plötzlich Ruhe ein. Ich konzentrierte mich nur noch auf
meine Sache Und begann wie einstudiert zu singen, Ich trug jede Silbe, jedes Wort und
jeden Ton Von Anfang an so deutlich, laut und
kräftig wie ich konnte, vor Und machte schließlich eine Pause,
weil das Stück zu Ende war. Ich wollte neu beginnen. Doch bevor es dazu kam Erklang das Lied als Echo von den
vielen Männern. Sie erhoben es zu lautem, donnerndem
Gesang, Das ich erschrak. Man brachte mich hinaus. Ich wurde hier nicht mehr gebraucht. Zusammen mit der Frau, die mich
versorgte, Wurde ich zurückgefahren. Als wir ganz alleine waren, Wollte ich ihr Fragen stellen, doch
sie legte Sich ganz kurz den Zeigefinger auf
den Mund, Hob meine Hand und küsste sie. Das war mir fremd und nicht von mir
gewollt. Sie hatte keine Tränen in den Augen Sondern einen sternenklaren Blick. Den hielt sie Wimpernschläge lang Auf mich gerichtet. Später schrieb ich alles auf und gab
dem Brief die Nummer Dreiundzwanzig. Doch ich wusste nicht, wohin damit und
überließ ihn Einem Windstoß, der ihn mit sich Nahm. |
Namenlos von meiner Insel, 24.
Brief, Ein Spion Auf der Insel ging ich viel spazieren
ohne Je ein grenzenloses Meer zu sehen. Wasser gab es immer wieder, doch ich
sah nur auf die Fernen Ufer andrer Inseln. Als es einmal spät geworden war, und
ich mich in dem Himmelblauen, dann azur- und
königsblauen Dach Weit über mir verlor und Träumen
nachhing, Schaute ich direkt in einen
Lichtstrahl, Der war viel zu hell für einen
Tagesstern, Zu grell für irgendeine Flugmaschine
und als Zufall Äußerst unwahrscheinlich, Denn er kam und schwand, pulsierte
ohne jeden Rhythmus, Und er rückte nicht von seiner
Stelle. Formen waren keine zu erkennen, Und nach wenigen Sekunden war es
schon vorbei. Zuhause sprach ich mit der Frau, die
mich versorgte Und die sich vier Männern teilte,
über das Gesehene. Sie wusste gleich Bescheid und warnte
fast, als sie mir Sagte: „..weder Fluggerät noch Stern, das
ist ein Lichtschirm. Der fängt Sonnenwind, so heißt es. Nur wenn Sonneneruptionen Sturm
erzeugen, Schaltet er sich ab und wird dann
sichtbar. Wer ihn sieht, wird auch von ihm
gesehen. Wer ihn sieht ist ein Spion und wird
gefoltert. Dieser Strafe kann kein Mensch
entgehen.“ „Was heißt Strafe“, fragte ich. |
Sie sah mich wissend an und sagte
dann: „Sie lassen dich nie mehr aus ihren
Augen. Überall und jederzeit spürst du, wie
sie dich Überwachen. Tag und Nacht und beim Intimsten Schauen sie dir zu. Du gehst daran zugrunde. Das Gefühl, dass man dir zuschaut,
wird zur Folter.“ Dabei dachte ich mir gar nichts
Schlimmes Und ging heim, mich umzuziehen, denn
ich war Verschwitzt. Nur kurze Zeit danach verspürte ich
die größte Übelkeit, ich musste mich erbrechen, Und mein Puls ging rasend schnell,
dass ich die Frau, die mich versorgte, rufen
musste, mir zu helfen. Doch sie wusste keinen Rat und
brachte mich ins Bett. Es wurde aber immer schlimmer und ich
fasste mit dem Letzten Willen den Entschluss, mich
aller Kleidung, aller Wäsche zu Entledigen, und was mich körperlich
berühren konnte, Vor die Tür zu werfen und dort zu
verbrennen. Sie aber hielt mich fest zurück: „Nicht so!“, Denn sie verstand sehr schnell und
schickte die vier Männer, denen sie sich teilte, los mit
einem ganz geheimen Auftrag. Als die wiederkamen, trugen sie ein
totes Schwein in einem Sarg, der war noch offen. |
Dort hinein verstopften sie die
Gegenstände, meine Kleidung, Bettzeug, und was ich zur
Körperpflege nutzte. Sie verschlossen dann den Kasten Und begaben sich mit mir im Schlepp, Ganz eng und nackt an sie geduckt,
zum Ufer, wo ich jenes Licht zuvor gesehen hatte. Tief in eine Grube, die sie
schaufelten Und die sich schnell mit Wasser
füllte, Legten sie den Sarg und mich für
kurze Zeit, So wie ich war, darauf. Dann wurde ich mit Tüchern überdeckt,
zurückgezogen Und vom Sarg getrennt. Es wurde alles wieder eingeebnet, und
sie stellten noch ein Schild darauf: „Ein Namenloser“. Darauf gingen wir nach Hause, Doch die Frau, die mich versorgte, Musste mich noch stützen. Die vier Männer aber waren fort als
hätte Nebel sie verschluckt. Ich spürte, wie sich mein
Gesundheitszustand Besserte. Von nun an schaute ich nur noch mit
Augenschutz zum Himmel. Wieder schrieb ich alles auf, Und gab dem Brief die Nummer
vierundzwanzig. Diesen legte ich ganz offensichtlich
auf den Sand, sehr nah am Sarg, Und legte einen Stein darauf. Ich weiß nicht, was daraus geworden
ist. |
Namenlos von meiner Insel, 25.
Brief, BioCurious Einmal wollte ich die Frau, die mich versorgte und die sich Vier Männern teilte, ganz für mich. Ich spürte Leidenschaft und konnte
mir noch Immer nicht erklären, dass ich ihren Namen nicht erfuhr. Mich hatte man zu lebenslänglicher Verbannung und zu Namenlosigkeit
verurteilt Und auf eine dieser kleinen Inseln
tief im Süden abgeschoben. Ich war schuldlos und sehr oft durch
Akte schriller Willkür zu bedenkenlosem Tun
gezwungen worden, Oft erfuhr ich Hilfe von der Frau. Doch stets, wenn es mir schien, dass
ich vertrauter mit ihr wurde, Wurde sie in Wahrheit fremder,
unnahbarer, Trotz der körperlichen Zuwendung und
Nähe, die wir hatten. Ich besuchte sie und lud sie ein zu
einer Fahrt entlang der Küstenstraße, wo
ich eine Reihe kleiner Häuser mit Garagen, die
oft größer als die Häuser waren, wusste, und an einigen,
so hatte ich gelesen, Warb man laut mit „BioCurious“, was
immer das auch war. Sie kam mit mir und lächelte mich
wissend, glücklich an: „Ich freue mich. Ich wusste nicht, dass du dich dafür
intressierst.“ Das irritierte mich, ich wusste nicht
wovon sie sprach. Wir fuhren, und ich malte mir viel Zweisamkeit, Beisammensein und Enge
mit ihr aus. Sie lehnte ihren Kopf und ihre
braunen Haare ganz vertraut an meine
Schulter, Und ich sah im Spiegel ihre weichen
Locken. Dann erreichten wir die Häuserreihe. Hier warb man mit viel zu großen
Schriften an fast allen Häusern und Garagen für das Gleiche: „BioCurious“. Wir hielten und entschieden uns zu
einem Eintritt. Drinnen bot man uns als
selbstverständliches Willkommen Zucker an, in Tüten und in
aufgelöster Form. |
Die Frau an meiner Seite, nahm sofort
von dem Getränk und trank es gierig aus. Ich ließ mir eine Tüte geben, die ich
in die Jackentasche steckte. Dann begleitete man uns an einen
Eingang. Wir betraten die Garage, Wagen
standen nicht darin. Gleich hinter dieser Eingangstür Begrüßte uns die Frau die mich
versorgte. Ich stand hinter ihr. Wir lächelten einander an und ließen
uns vorbei. Die Frau, die mich von Anfang an
begleitet hatte, Übernahm die Führung: „Wir sind biologische Maschinen und
seit neuestem Veränderbar“. Sie hob dabei voll Stolz den
Zeigefinger über sich. Ich sah dann Leute, jeden Alters, die
sich emsig an Mechanischen Maschinen, Mikroskopen
und sehr vielen Menschengroßen Gläsern mühten. Es war alles hell erleuchtet. „Hier“, so sagte sie noch weiter,
„kann ich dir verraten, Dass wir alle über Notausschalter
jederzeit erreichbar sind, Das macht uns unabhängig, und wir
bleiben den Gesetzen unterworfen. Wir sind wie normale Bürger.“ Sie ließ mit zufriedenem
Gesichtsausdruck Die Augen auf mir liegen Und zog mich mit sanfter Hand zu
einem Ausgang, der in einen Wohnbereich entführte. „Nun sind wir allein und ungestört. Du wolltest doch mit mir alleine
sein“. Erst jetzt sah ich mich in der
Liebesfalle, die ich selbst gestellt, Gefangen. Trotzdem blieb ich noch bei ihr und
ließ sie machen. Als ich dann an ihrer Hüfte kein
Tatoo entdeckte, War ich meiner Sache sicher, Und ich fragte, „Wer darf deinen
Schalter wie bedienen,“ |
Daraufhin verlachte sie mich laut: „Natürlich keine biologischen
Maschinen so wie ich. Das können nur die Echten mit dem
bloßen Denken“. Da entschloss ich mich sie
abzuschalten, Und sie fiel als Kartenhaus in sich
zusammen. Auf dem Weg nach draußen ging ich an
der Frau, die mich versorgte und an mir
vorbei. Doch niemand hielt mich auf. Die Rückfahrt unterbrach ich einmal
um mich umzuschauen, Aber weit und breit war ich allein. Zuhause ging ich zu der Frau, die
mich versorgte. Sie war auch allein und wusste nichts
von meinem Ausflug. Sie kam auf mich zu und hatte
ebenfalls den langen Blick auf mich gerichtet. Sie war etwas aufgeregt, weil ich, so
schien es ihr, Vielleicht um ihretwillen
Leidenschaft empfände. Ja, das gab ich zu und nicht, dass
ich nur einen Blick auf das Tatoo erhaschen wollte. Es war da. Doch Leidenschaft empfand ich nicht. Zurück in meiner Wohnung schrieb ich
alles auf. Ich war bedrückt und hatte keinen Halt
gefunden. Hätte ich mich doch mit allem endlich
Abgefunden, um ein wenig Glücksgefühl
zu haben. Diesem Brief gab ich die Nummer Fünfundzwanzig und ließ ihn im Zimmer
liegen. Spät, schon in der Nacht, erhielt ich
dann Besuch. Ich machte keine Lampe an. Es war die Frau, die mich versorgte,
und sie legte sich Zu mir. Ich dachte nicht an Leidenschaft und
war doch voll Davon, ich wollte nichts mehr
kontrollieren. Nächsten Morgen ging die Frau nach
unsrem Frühstück heim. Von meinem Brief war keine Spur mehr
aufzufinden. |
Namenlos von meiner Insel, 26.
Brief, Zwillingswesen Die Frau, die mich versorgte und die
sich Vier Männern teilte, hatte mich zu
sich geladen. Draußen schien die Sonne. Sie schlug vor, in ein Cafe zu
fahren. Das war schnell zu finden und Wir fuhren los. Das Haus mit dem Cafe lag völlig
ruhig In der Seitenstraße und war
menschenleer. Das überraschte mich, weil auch Bedienung fehlte. Das jedoch beflügelte die Frau an
meiner Seite, Denn sie kannte sich in allem aus. Sie setzte sich zu mir an einen Kleinen Tisch. Obwohl sie Platz genommen hatte und
dort saß, Stand sie aus ihrem Sitzen auf und
ging zur Küche: „Ich mach uns ein wenig Tee.“ Die neben mir blieb weiter sitzen und
sah hoch, Sich selber hinterher. Sie blickte mich danach aus ihren
Augenwinkeln Und ein wenig von der Seite an. Wie sie zu mir, so schaute ich zu ihr
und ihr Dann nach. Das schien sie hier bei mir im Sitzen
Und zugleich auf ihrem Weg zur Küche
nicht zu stören, Und ich schwieg dazu. Sie kam zurück und goss in meine Und in ihre Tasse Tee. Sie fragte, ob ich Zucker wollte. Die im Sitzen stimmte sich mit einem Nicken zu. |
Der Tee war gut und schmeckte mir
nach Datteln, Feigen und nach Äpfeln. Die den Tee gemacht und eingegossen
hatte, Setzte sich zurück zu sich in sich, Sie wurde wieder eins. Ich holte eine Schachtel, die lag
unweit auf dem Nebentisch. Darin befanden sich zwei Spiele für
Erwachsene. Wir spielten Brett, doch ich verlor, Ich konnte mich nicht konzentrieren. Neben mir, die Frau, sah auf das
Brett vor sich Und hatte ihre Augen auch auf mich
gerichtet, Zwei Gesichter, die ein Ganzes
bildeten. Dass diese Frau sich scheinbar teilen
konnte, Störte mich nicht mehr, In allem blieb sie mir vertraut. Sie stand noch oftmals auf und wurde
zweifach, Las in einem Buch auf ihrem Schoß Und sah zu mir und sprach mit mir. Sie fand sich selber immer wieder. Plötzlich sagte sie wie nebenbei: „Ich scheine nur getrennt und Scheine nur vereint. In Wahrheit bin ich eines dieser
Zwillingswesen, Die sich nicht genau zusammenfügen
und nicht Deutlich unterscheiden lassen, Meine Trennung und Vereinigung Sind das Bedeutsamste daran“. Sie suchte ihren eignen Blick und
stimmte sich Zufrieden zu. |
Ich wollte diese Irrfahrt lautlos Enden lassen und entschuldigte mich
für den Augenblick. Ich ging dann ohne Abschied fort und
fuhr allein Zurück. Ich hielt die Ungewissheit nicht mehr
aus und lief Bei meiner Ankunft gleich zur Wohnung
meiner Nachbarin, der Frau, die mich
versorgte. Die begrüßte mich und fragte: „Können wir zu Ende spielen?“ Auf dem Tisch erkannte ich das Brett. Sie sagte dann: „Du bist nicht konzentriert, du wirst
verlieren.“ Sie war so wie immer, ging in ihre
Küche, Um uns einen Tee zu machen. Dann kam sie zurück und goss in meine
Tasse und in ihre davon ein. Sie fragte, ob ich Zucker wollte. Dieser Tee war mir Erinnerung. Er schmeckte gut, nach Datteln, Feigen und nach Äpfeln. Später las sie noch in einem Buch, Das lag auf ihrem Schoß. Ich konnte mich entspannen Und verbrachte diese Nacht mit ihr
bei ihr. Zuhause schrieb ich alles wieder auf Und gab dem Brief die Nummer
sechsundzwanzig. Anderntags lag eine abgestempelte Kopie auf meinem Tisch. Der eigentliche Brief war fort. |
Namenlos von meiner Insel, 27.
Brief, Der
Besuch des Gartens Der Besuch des Gartens hinter meinem
Haus War streng verboten. Auch die Frau, die mich versorgte und
die sich Vier Männern teilte, Hatte mich gemahnt. An diesem Tag sah ich vor meinem
Fenster fremde Vogeltiere, deren Körper auf zwei Muskulösen Beinen standen, Die, mit einem langen Hals versehen,
in mein Zimmer hätten schauen können. Ihre Schnäbel waren übergroß an sehr,
sehr kleinen Köpfen. Ihr Gefieder schillerte und irisierte
prächtig von Karminrot über Kobaltblau bis zu
Türkis. Sie schienen mir aus einem Märchen, So vertraut, dass ich mich für den
Augenblick Als Reiter auf dem Rücken eines
dieser Tiere sah. Voll Neugier öffnete ich beide
Fensterflügel, Und sie stießen gleich die Köpfe mit
dem langen Hals nach drinnen in den Raum. Es waren drei. Sie schnappten plötzlich gierig nach
den Gegenständen in dem Zimmer, rissen
mir in Windeseile große Stücke aus der
Kleidung. Dabei sah ich in den aufgesperrten
Schnäbeln Doppelreihen spitzer Zähne, Die nach vorne und nach hinten
standen. Selber machten diese Tiere kein
Geräusch. Dann sprang von ihnen eines ganz
herein, Und stürmte auf mich zu, vielleicht
um mich zu Töten. |
Dabei riss das Tier das ganze Fenster
aus dem Rahmen Und verklemmte sich darin. Ich lief ins Nebenzimmer und entkam
von dort Durch dessen Fenster in den Garten, Rannte fort so schnell, so weit ich
konnte. Aus den Augenwinkeln sah ich aber,
dass jetzt alle drei in meiner Wohnung waren. Sie zerbissen und verwüsteten, was
sie mit ihren Schnäbeln und den Krallen packen
konnten. Dann entdeckten sie mich auf der
Flucht. Ich hörte ihre schnellen Schritte als
ein Stampfen hinter mir. Es war kein Baum in meiner Nähe, Und ich wusste nicht, ob ich
hinaufgekommen wäre. Ich besann mich auf die Küste, Die war ziemlich nah, und lief direkt
ins Meer. Die Vogeltiere stoppten ihren Lauf am
Ufer und verfolgten mich mit ihren Augen und dem Schwenken ihrer Köpfe. In nicht allzu großer Tiefe blieb ich
Bis zum Hals im Wasser stehen. So sah ich zu ihnen bis es dunkel
wurde. Sie verließen ihre Plätze nicht. An einem Jucken auf der Schulter und dem Rücken spürte ich
jedoch, Dass sich mein Körper langsam aus dem
Wasser schob. Jetzt kamen auch die Vogeltiere
näher. Ich saß fest auf einer Sandbank, Und das Wasser ging zurück. In ein paar Stunden war ich ihnen
sicher Ausgeliefert. Gegen Morgen aber war das Wasser
wieder angestiegen, Und sie zogen mit der ersten
Helligkeit davon. |
Die Angst, die Kälte und das Wasser
hatten mich so sehr Geschwächt, dass ich noch Stunden wartete und mich erst dann
zur Küste schleppte und zurück nach Haus. Dort fand ich meine Wohnung völlig Unversehrt. Kein Fenster war zerbrochen, und die Tür zum Nebenraum war angelehnt. Ich ging gleich zu der Frau, die mich
versorgte, Um ihr alles zu erzählen. Meine Kleidung hing in Fetzen und ich
War durchnässt bis auf die Haut. Das schien sie nicht zu sehen, Denn sie sprach zu mir als wäre
nichts mit mir: „Die Männer, denen ich mich teile, Sind dort draußen, um den
hochfrequenten Schutzzaun gegen Bios und die großen
Tiere Wieder einzurichten. Der war ausgefallen. Der ist nur zu unsrem Schutz und Kann uns selbst nicht schaden“. Dann ging ich zurück in meine
Wohnung. Heim in meinem Zimmer Schrieb ich schließlich alles auf und
gab dem Brief die Nummer siebenundzwanzig. Der blieb schon am nächsten Tag
verschollen. Niemals sah ich solche Tiere auf der Insel oder gar in meinem Garten
wieder, Und ich würde auch kein zweites Mal
versuchen Die Erlebnisse der Frau, die mich
versorgte, Mitzuteilen. |
Namenlos von meiner Insel, 28.
Brief, Morgen
bin ich keine Zeit für dich An einem Abend
hatte ich Besuch von meiner Nachbarin,
der Frau, die mich versorgte Und die
sich vier Männern teilte. Sie war
mir sehr zugetan und weckte, wie so oft, In mir die
Sehnsucht nach Umarmung und nach Liebe und
nach ihrer Weiblichkeit. Es wurde
spät. Beim
Abschied nehmen sagte sie noch: „Morgen
bin ich keine Zeit für dich.“ Ich sagte:
„…hast du
keine Zeit für mich. Das ist
doch nicht so schlimm.“ Sie aber: „Nein,
dann bin ich keine Zeit für dich.“ „Du willst
verreisen?“ Ich war
neugierig geworden. „Du verstehst
das nicht. Doch, wenn
du willst, besuch mich morgen einfach, Dann will
ich es dir erklären.“ Damit war
sie fort. Am andren
Nachmittag ging ich zu ihr. Sie saß
entspannt auf ihrem Bett und Bat mich
ganz in ihre Nähe, fest an ihren Arm und ihre
Schulter. Sie
erzählte: „Stell dir
vor, dass du den Wurm, der in die Erde
kriecht, aus allernächster Nähe siehst Und jede
der Bewegungen. Du merkst
dir Einzelheiten, Kleinigkeiten, Auch ein
Sandkorn, dass von ihm verschoben wird. Solange du
ihn wahrnimmst, ist er Teil von
deiner Zeit, Er ist
dann Zeit für dich. |
Nun stell
dir vor, dass du an ihm Vorübereilst. Du weißt
von seinem Tun und kannst doch nichts Erkennen. Nur in
diesen kleinen Augenblicken des Erinnerns ist er Zeit für
dich, das ist fast nichts. Du siehst
nicht mehr wie er sich krümmt Und sich
bewegt. Nun aber
stell dir schließlich vor, dass du an ihm in einem Jet
vorüberfliegst. Da wird
das Denken an den Wurm Und was er
machen könnte, unwirklich, Der Wurm
ist nicht mehr Zeit für dich. Ich werde
mich jetzt viel, viel größeren Geschwindigkeiten
anvertrauen und Sehr
großen Räumen wie dem Orbit oder Übergroßen
Zwischenräumen. Dann blick
ich zurück auf meinen Wurm und
was ich sonst noch kannte. Flüchtigstes
Erinnern ist vielleicht was bleibt. Versuch es
auch. Beginn
ganz einfach mit dem Wurm aus
nächster Nähe. Lehn dich
fest an mich.“ Nach einer
kleinen Pause sagte sie: „Ich
fürchte, du wirst frieren, zieh dich wärmer an.“ Ich
machte, was sie sagte. Schon nach
kurzer Zeit befand ich mich in einem Hyperraum,
der war gebogen, nah und fern zugleich, Und nichts
bewegte sich in ihm. Ich hörte
auf die Stille, Alles
schien wie zeitlos festgehalten. |
Ich befand
mich tief in einem Meer, zugleich darüber. Fische, Pflanzen
standen neben mir, verharrten. Wellenkämme
brachen nicht und Gischt
blieb in der Luft. Dann sah
ich Schiffe, die auf Wellenbergen In
Bewegungslosigkeit verblieben. Meine
eigne Zeit schien angehalten. So kam ich
zurück und wusste nicht Durch welchen
Umstand oder Einfluss Ich die
Reise hatte machen können. Dieser
grenzenlose Freiraum, Nur aus
Stillstand und Ereignislosigkeit bestehend, Wäre mir
zuvor in meinem Leben niemals Vorstellbar
gewesen. Es war
weit nach Mitternacht. Mir schien
der Ausflug nur Sekunden lang, Doch hatte
er vom Nachmittag bis jetzt gedauert. Wie zu
Anfang saßen wir noch immer Eng an eng
auf ihrem Bett Und
fröstelten. Sie
unterbrach die Stille mit nur einem Satz: „Ich bin
jetzt wieder Zeit für dich.“ Ich wusste
nicht mehr viel zu sagen, Fragen
wollte oder konnte ich nicht stellen, Und ging
langsam heim. Dort
schrieb ich alles auf. Dem Brief
gab ich die Nummer Achtundzwanzig. Der lag
wochenlang auf meinem Tisch, Dann war
er eines Tages fort Wie all
die anderen zuvor. |
Namenlos von meiner Insel, 29.
Brief, Schreib
mich gut Ich war
sehr viel allein auf meiner Insel Und die
Frau, die mich versorgte, Und die
sich vier Männern teilte, War schon
wochenlang nicht anzutreffen, War
verschwunden ohne jeden Abschied. Eines
Tages, in den ersten Wochen, fuhr ein Fahrzeug vor, Dem eine
junge Frau entstieg. Die eilte
kurz ins Nachbarhaus, Dann aber
schnell zu mir. Ich dachte
meine Nachbarin wär wieder heim, Und nahm
sie, wegen ihrer Rückkehr sehr erleichtert, Zur Begrüßung
in die Arme. Den
Begrüßungskuss ließ sie ganz ohne Abwehr
gerne zu, Sie klärte
mich dann aber auf, sie sei nicht jene Frau, die
mich bisher versorgte, Sondern
sei die Neue. Sie schien
deren Zwillingsschwester, Ihr in
Stimme und in Sprache, in Gesicht und Körperbau, Frisur der
Haare und den Gesten völlig gleich. Sie wollte
mich wie jene andere, Ganz ohne
Unterschied in allem, wie es vorher war, Versorgen, Und sie
bat mich um mein Einverständnis. Als ich
fragte, ob sie jemand schickte, Antwortete
sie offen „Nein“, auch über den Verbleib der Frau, Die mich
bisher versorgte, ließ sie keinen Argwohn zu. Sie bot
mir ihr Vertrauen unaufdringlich an Und
stellte sich mir vor: „Ich heiße
Siolon, das ist ein andres Wort für Glück“. Ich
spürte, dass sie ehrlich war und wunderte mich nicht. Sie
wusste, dass ich keinen Namen führen durfte, Und sie
wusste ebenso von der Verbannung. |
Sie war
ein Geschenk von unbekannter Seite, Denn schon
nach nur einem Tag Verbrachten
wir den Abend und auch bald die Nächte in
Gemeinsamkeit. Dabei
entdeckte sie mein Schwarzes
Pflaster zur Verhütung und zum Schutz Und
lächelte dezent: „Das
brauchst du wirklich nicht bei mir, Du kannst
mir glauben,“ Und
entfernte es mit zarter Hand. Sie roch
sehr fein nach Moschus mit Jasmin im
Nachgeschmack. Von da an
liebte ich sie aufrichtig und mehr Als jene
andere und jede andere zuvor, Denn meine
alten Zweifel und die Frage Ob und wie
weit ich Vertrauen schenken oder fassen konnte, Waren wie
verflogen. Große
sehnsuchtsvolle Liebe flammte in mir auf. In ihren
Augen sah ich Herzchen, Und ihr
Lachen war ein süßes Windspiel
aufgehängter Glöckchen. Ich
erlebte eine Märchenfee. Wir
liebten uns und lebten ohne Zeit nur füreinander, Gingen
Hand in Hand und konnten uns von uns Ganz ohne
Angst und Scheu mit Leichtigkeit berichten. Ich
erzählte ihr von meinem ungerechten Urteil Und dass
ich dadurch zum Fremden in der eignen Heimat Und sie
mir, dass sie hier groß geworden sei. Dass beide
Frauen zum Verwechseln ähnlich waren, War ein
Streich des Schicksals, Den ein
Zufall aufgedeckt und der mit großem Lachen von
den beiden aufgenommen worden war, Als diese
nämlich Unversehens
wie im Spiegel voreinander standen. |
Endlich
konnte ich dem Urteil über mich die Sonnenseite
abgewinnen. Plötzlich
stand an einem dieser schönen Tage ein Geparktes
Fahrzeug vor der Tür. Die neue
Frau an meiner Seite löste ihre Hand Mit einem
leisen Aufschrei aus der meinen, Lief
sofort dort hin, stieg ein und rief noch: „Schreib mich
gut, du wirst doch alles niederschreiben, oder“? Doch sie
fuhr nicht ab. So hatte
ich Gelegenheit zu fragen, was Geschehen
war, wohin sie fahren wollte. Nah genug
am Fahrzeug sah ich aber keinen Menschen. Überhaupt
erkannte ich, dass dieses Fahrzeug gar
nicht fahren konnte, Es war
demoliert und selbst die Türen waren nicht zu öffnen. Als ich
suchend um mich schaute, Stand die
Frau, die mich versorgte Und die
sich vier Männern teilte, Auf der
Straße vor der Eingangstür. Sie kam
herüber, sah mir sicher die Verwirrung an. Dann ging
ich wie im Traum mit ihr in meine Wohnung. Sie sah
gleich das schwarze Pflaster Und roch
etwas, das sie kannte, Denn sie
sagte: „Ach, das
Pflaster hast du wirklich nicht Gebraucht,
man hat dir Siolon gegeben. Das riech
ich sofort. Man wollte
dich gesprächig und gefügig machen. Hoffentlich
hast du nicht allzu viel erzählt“. Mein Herz
war nur noch Asche, Und ich
hab geweint. Nach ein
paar Tagen hielt ich trotzdem alles wieder fest. Ich gab dem
Brief die Nummer neunundzwanzig. Den tat
ich in einen Schlitz des Fahrzeugs. Das war
schließlich fort. |
Namenlos von meiner Insel, 30.
Brief, Sie sind unser Ehrengast Vier Männer holten mich erneut mit einem
Helikopter von der Insel, Fesselten mich fest an Händen und an Füßen. Widerstand war völlig zwecklos, Doch ich wurde nicht betäubt. Die Frau, die mich versorgte und die sich Vier Männern teilte, Sah aus einem Fenster zu. Ich hatte große Angst, dass man mich einzig
holte, Um mich irgendwo von Bord zu werfen. Der Pilot hob ab, und niemand sprach mit mir. Wir flogen sehr, sehr hoch und Schwebten schließlich über einer Landschaft Voller
Seen und Flüsse, Bergplateaus mit vielem Baumbestand, Dann über Luxusvillen, über Pools In aufwendigen Parkanlagen, über großen grünen
Flächen. Unser Landeplatz war hell markiert. Dort setzte man mich einfach ab Und schnitt zuvor die Fesseln durch. Der Kapitän hielt einen Sender in der Hand, Den gab er mir: „Du kannst so lange bleiben wie du willst, Und wenn du diesen Knopf bedienst, Wirst du von uns zurückgeholt“. Er sprach in meiner Sprache, Dann war ich allein. Ich ging auf eines der ganz großen Häuser zu. Man musste mich erwartet haben, Denn ich wurde höflich angesprochen, Ob ich meine Kleidung wechseln möchte. Dazu wurde ich in einen lichten, aufwendigen Raum
geleitet, Wo zur Auswahl neue Kleidungsstücke hingen. Dort war auch Gelegenheit zu umfangreicher
Körperpflege. Danach wollte man, dass ich mich der Gesellschaft
zeigte. „Jeder Neuzugang ist uns willkommen, Alle wünschen Ihnen einen guten Aufenthalt, Was Sie auch brauchen, halten wir für Sie
bereit“. Ich sollte mich bedienen und bedienen lassen. |
In dem Haus stand Personal in schlichter Uniform
an allen Türen, Und man half mir umsichtig und Fragte mich dezent nach meinen Wünschen. Als ich fertig war, begab ich mich zu einer Ansammlung von Menschen, nicht sehr weit entfernt
von einem Wasserfall, der schlug hier auf Und bildete im Wassernebel Regenbögen. Offenbar war dies der Treffpunkt einer vornehmen
Gesellschaft. Alle waren bestens angezogen, schienen mir die
Gäste eines großen Festes. Von der Kleidung über Schmuck und die Frisuren Boten sie ein unaufdringliches und doch auch Undurchdringliches Erscheinungsbild. Davor bemühte sich ein Fotograf in emsiger
Geschäftigkeit, Die Posen eines jungen, schöngewachsenen Modelles
festzuhalten. Das war weiß gekleidet, Stand bedenklich nah am Rand des tobenden
Gewässers. Das Modell trug bodenlangen, schweren Stoff, mit
einer Schleppe, Die schon tief im Wasser hing. Das sog sich unbemerkt von ihr in ihren
Kleiderstoff. Ich sah, wie es die junge Frau Behinderte und sie nach hinten zog. Sie wendete sich um und suchte nach dem Grund, Verlor jedoch dabei das Gleichgewicht, fand
keinen Halt und Stürzte in das aufgewühlte Wasser. Sie ging sofort unter, und ich sah sie und die
Stoffe in die Tiefe sinken. Jemand sagte: „Ah“, ein andrer „Oh“ Und eine Frau ganz angetan: „Wie schrecklich schön“. Der Fotograf nahm seine Objektive und Geräte, Legte sie in Fassungen zurück. Kein einziger ging an das Wasser, Um nach ihr zu sehen. Ich jedoch lief panisch hin und sprang ihr
hinterher. |
Schon weit, weit unter mir erkannte ich noch
einen Weißen Stoff, doch den erreichte ich nicht mehr. Ich hatte Mühe mich nun selbst zu retten. Keiner kam
zu Hilfe. Alle, die zuvor herumgestanden hatten, Saßen nun auf Steinen oder feinen Stühlen, Lehnten sich genüsslich gegen irgendetwas, Hatten Gläser, angefüllt mit sprudelnden und
farbigen Getränken in den Händen, Schalen, angefüllt mit Obst und Früchten, standen Auf zerbrechlichen, geschnitzten Dreifußtischen Zum Bedienen, und man plauderte. Ich wurde angesprochen, meine nassen Sachen in der schnell herbeigeschafften, luftigen
Kabine abzulegen Und mich neu zu kleiden. Drinnen fand ich alles vor. Man nahm mir jeden Handgriff ab. Dicht neben mir vernahm ich dann die Stimme einer
Frau. Sie wollte sich bei mir bedanken. Das verstand ich nicht, denn das Modell war sicher tot. Sie aber sagte: „Nein, Sie haben uns den Tag gerettet, Wir sind alle dankbar. Endlich gab es eine Unterbrechung. Dafür feiern wir ein großes Fest, Und Sie sind unser Ehrengast. Der letzte Neuzugang hat so enttäuscht, Dass wir uns davon wieder trennen mussten. Na, Sie haben es ja miterlebt.“ Noch in derselben Nacht ging ich zum Landeplatz
und Löste meinen Sender aus. Ich wurde gegen Morgen abgeholt. Zurück auf meiner Insel schrieb ich alles auf Und gab dem Brief die Nummer dreißig. Der war schon am Tag darauf von meinem Tisch Verschwunden. |
Namenlos von meiner Insel, 31. Brief, Wären doch Soldaten alle so wie Sie Die Frau,
die mich versorgte, Und die sich
vier Männern teilte, Schlief
mit mir. „Du
brauchst dich nicht zu sorgen, Denn die
Männer bleiben fremd für mich, Der
Umgang, den ich habe, ist ganz anders Als du
denkst“. Ich kannte
ihren Namen nicht Und meinen
durfte ich nicht nennen. Als wir
noch beisammen lagen Fing ich
an ihr zu erzählen, Dass nicht
weit von hier ein kleines Dorf Gebrandschatzt
und die Menschen dort von einer Soldateska
massakriert und Frauen
vergewaltigt worden waren. Vieles
davon hatte ich ganz unbemerkt mit angesehen Als ein Fremder
unter Fremden, Keiner
hatte irgendwie Notiz von mir genommen. Weiter
sagte ich zu ihr: „Von den
Soldaten war ein einziger ganz anders, Denn er
half dort einer Mutter, Der mit
ihrer jungen, schönen Tochter, Etwa
sechzehn Jahre, ohne seine Hilfe nicht
die Flucht gelungen wäre“, Und
erzählte weiter, dass das Dorf Verwüstet
worden war. Ich hatte
den Verdacht, dass die Soldaten aus dem Staatsheer
stammen könnten und im Auftrag handelten. Man nannte
einen unter ihnen General, Der
scheinbar unbeteiligt und gelangweilt hier und da Befehle
gab. Er
schirmte ganz gezielt die Mutter und die Tochter ab. Sie
konnten so, durch ihn geführt, entfliehen In ein
abgelegenes und dem Soldaten
scheinbar wohlbekanntes Haus. Die Mutter
schien ihn auch zu kennen, Hielt sich
aber sehr zurück. |
Ich folgte
allen dreien und versteckte mich so gut es ging. Die Frau
und ihre Tochter nahmen Trost von
dem Soldaten an, Und
wähnten sich in Sicherheit, als sie das Haus erreichten. Die
Terrassenfenster ließen sich nicht schließen, Das
gewährte Einblick und Gelegenheit, sie zu belauschen. Drinnen
hörte ich das Mädchen sagen: „Wären
doch Soldaten alle so wie Sie, Dann würd
ich ihnen gerne alles geben Und mein
Herz dazu“. Die Mutter
ging ins Nachbarzimmer, Um das nicht
mit anzuhören. Als sie
fort war, ließ der General die Maske fallen: „Dich nehm
ich beim Wort“, Und stieß
sie gegen einen Tisch. Sie schrie
kurz auf vor Schreck und Schmerz Und drehte
ihm den Rücken dabei zu. Da warf er
sie mit einem Griff der rechten Hand in
ihren Nacken Bäuchlings
bis zur Hüfte auf den Tisch, und hielt sie Fest
darauf gedrückt. Sie schrie
erneut in Panik und vor Angst. Er zog ihr
mit der freien Hand die Hosen fort
vom Unterleib, Und weil
sie weiter schrie Und mit
den Armen auf die Platte schlug, Nahm er
jetzt seine beiden Hände für
den Nacken. Plötzlich
hörte ich ganz dumpf den Bruch, Dann war
es still. Der
General hielt ein in seinem Tun und
lauschte. In dem
Augenblick trat schon die Mutter ein
und schrie entsetzt: „Was machst
du da, was hast du unsrem Kind
getan. Was hast
du unsrer Tochter angetan“. Sie lief
zum Tisch und drehte ihre Tochter um. |
Er rief
fast leise und doch viel zu laut: „Ich ahn
ja nicht, dass du es bist! Du hast
ein Kind, ist das mein Kind, mein eignes Kind?“ Sie aber
sah sich nicht mehr nach ihm um Und
kleidete den regungslosen Körper wortlos wieder an, Dann
stolperte sie aus dem Haus, an mir vorbei. Sie sah
mich nicht. Es fiel
ein Schuss im Hinterzimmer. Als ich
endete, erzählte mir die Frau, die mich versorgte: „Ja, ich
hab davon gehört und von den Toten in dem Haus Und einer
Frau, die man am Kliff gefunden hat. Sie war
gesprungen. Man
vermutet, dass es ein Familiendrama war. Von einem
Überfall durch eine Soldateska
hätten wir bestimmt erfahren“. Da schwieg
ich verwirrt, weil mir das nicht die Wahrheit
schien. An einem
nächsten Tag ging ich zu jenem Dorf, Das ich
zerstört gesehen hatte. Vor dem
Dorf auf einer Wiese lag noch immer Weithin
sichtbar qualmendes Gebälk. Die Häuser
aber sahen mir wie über Nacht von
Zauberhand errichtet aus. An einigen
war noch ganz frischer, feuchter Putz. Zum
Zeugnis drückte ich in eine solche Wand die
linke und die rechte Hand. Es war
kein Mensch zu sehen. Danach
schrieb ich alles wieder auf und gab dem Brief die
Nummer einunddreißig. Den trug
ich zurück und legte ihn auf das erloschene Gebälk. |
Namenlos von meiner Insel, 32.
Brief, Immer ist der Mensch allein auf dieser Welt Die Frau,
die mich versorgte, und die sich Vier Männern
teilte, war in meiner Wohnung Als sie
seufzte: „Immer ist
der Mensch allein auf dieser Welt.“ Das war
nicht ihre Art, ich fragte nach, sie Gab mir
aber keine Antwort. Wenig
später machten wir, eng aneinander wie Verliebte, Eine
Ausflug ohne Ziel auf unsrer Insel. Trotzdem
fühlte ich mich fern von ihr, und ihre Stummheit
neben mir, stand zwischen uns. Wir kamen
schließlich an ein Tal, das
strahlte, von der Sohle wie beleuchtet, Eigenartig
blau bis an die Höhe, wo wir uns befanden. Ich
erkannte schnell darin ein Gas, das bis hier oben stand. Es war
sehr klar, fast durchsichtig, geschmeidig schwebend, Zog in
sanften, stillen Wellen über einen Sandweg,
der bergab verlief. Tief unten
waren Häuser, Bäume, Straßen, Türme schemenhaft zu sehen. Hinter uns
erschienen, kaum bemerkt, zwei weiß Gekleidete, Ein Mann
und eine Frau, die kannten sich wohl aus. Sie
meinten, als sie sahen, dass ich zögerte, den Abstieg
durch das Gas zu wagen und bezeugten, dass es Ungefährlich
sei und machten Mut: „,Wir arbeiten
dort unten, wir sind Pfleger. Was du
siehst ist überhaupt nicht giftig oder irgendwie gefährlich.“ So ging
ich in Neugier los. Die Frau,
die mich versorgte, traute sich nicht recht, Blieb
lieber mit den anderen zurück. Das Gas
war angenehm zu atmen, und es wurde selbstverständlich, Dass ich
nicht mehr daran dachte. Bis zum
Grund des Tales wanderte ich über eine Stunde. Unten
angekommen traf ich keinen Menschen,
sah auch keine Tiere, hörte nur vereinzelte Geräusche. |
Eine
Turmuhr schlug im Zufall, läutete nicht mehr die Zeit, Es war als
riefe sie nach etwas. Drüben
stand ein Hochrad, an dem pendelten die leeren Gondeln,
ohne Schwung und ohne Schub. Es wurde
später Nachmittag. Ich sah
nach oben in ein scheinbar abendblaues Himmelsdach. In Straßen
und in Häusern gingen nacheinander Lampen an. In einem
großen Haus vermutete ich endlich Leben, Weil ich
Schatten über Fensterscheiben huschen sah und ging hinein. Dort
drinnen standen alle Türen offen. Durch die Räume
schwebten Zeitungen und anderes Papier Als
schwerelose Gegenstände. Überall
entdeckte ich Bestecke, wie für medizinische Behandlung. Viele
Zimmer hatten Betten mit Versorgungsschläuchen, Waren hell
erleuchtet und gewiss seit Jahren nicht benutzt, Das
zeigten schwere Schichten Staub Und große,
hohe Spinnwebnetze ringsherum. Ich dachte
an die beiden Pfleger, die hier ihre Arbeit
hatten haben wollen. Wieder
außerhalb erschien mir, was ich sah, in Tageslicht
getaucht und nicht in Blau. So gab es
letzte Flecken Sonnenlicht in Schatten unter grünen Bäumen. Kleine
Wasserläufe spiegelten die Farben wider. In der
Dämmerung verlief ich mich ganz plötzlich Und verlor
den Rückweg völlig aus den Augen. Als ich
aber einen schmalen Pfad entdeckte, Brachte
der mich vor die Glastür eines Liftes, Der nach
oben, eine Tunnelwand erklimmend, an den Rand des
Tales führte. |
Ich war
vorsichtig und drückte innen auf den Schalter für den Aufstieg,
der hieß Bergfahrt, dann auf den für Rückkehr, der
hieß Talfahrt, ohne einzusteigen. Er fuhr
an, der Lift verschwand nach oben Und kam
dann zurück. Nun stieg
ich selber ein und fuhr hinauf. Nach
wenigen Minuten Fahrt ging eine Tür in meinem Rücken auf
und gab den Ausgang frei. Ich ging
hinaus und er verschloss sich hinter mir sofort, Er wurde
Teil der Felswand. Es gab
nichts, was irgendwie auf eine Tür gedeutet hätte. Nicht so
weit entfernt sah ich die Frau, die
mich versorgte, angelehnt an einen Baum. Ich musste
an heut Morgen denken, Wollte ihr
vom Tal berichten Und der
Menschenleere, die dort unten herrschte, Und war
voller Sehnsucht. Sie kam
mir jedoch zuvor und sagte: „Heute
konnte man dort unten vieles äußerst gut Erkennen
und sogar die Leute sehen und die vielen Tiere. Die zwei Pfleger
sind dir gleich gefolgt, Sie
mussten ihre Schicht antreten. Die dort
unten haben es nicht leicht, sagt man, Und
eigentlich weiß niemand so genau Was sie
dort machen, auch bei guter Sicht,
kann man das nicht erahnen.“ Da ging
ich mit ihr als Fremder
unter Fremden durch die Dunkelheit zurück. Ich
schrieb mir später alles wieder auf Und gab
dem Brief die Nummer
zweiunddreißig. Den ließ
ich an einem schönen Sonnentag, Gefaltet,
dass er segeln konnte, Talwärts
gleiten. |
Namenlos von meiner Insel, 33.
Brief Nachts lieg ich an seiner Seite Die Frau,
die mich versorgte, Und die
sich vier Männern teilte, War mit
mir auf einer Wanderung, Die uns in
Richtung Inneres der Insel führte. Dabei
sagte sie fast nebenbei: „Ich nehme
mir die nächsten Wochen frei. Ich will
mich um die Männer kümmern, Denen ich
mich teile“, und „Es ist
nicht wie du denkst“. Obwohl sie
niemals ihren Namen nannte Und auch
keinen Anspruch auf mich geltend machte, Wurden
mein Gefühl für sie und dass wir Liebe
miteinander haben konnten, Sehr
enttäuscht. Sie sagte
noch: „Sie wohnen oben in den Bergen, Und ich
bleibe jeweils eine Woche“. Das schien
mir zu lange, doch ich schwieg dazu. Sie nahm
mich wie zum Abschied in die Arme, Und ich
machte mich noch vor ihr auf den Weg nach
Hause. Ich ging
anders heim als wir gekommen waren Und
gelangte an ein Grundstück, Dessen
Tore offen standen und mit einem Schild zur
Einkehr und in ein Museum luden. Ich war
intressiert und ging die lange Auffahrt bis
zu einem Haus, das einsam stand, im Mauerwerk
verfallen, angegriffen war, In anderen
Details jedoch noch herrschaftliche Farbenpracht
entfaltete, und Steinfiguren in versteckten Nischen
zeigte, aufgestellt auf Simse, die weit vor die Wände reichten. Um zu
läuten, musste ich an einem Drahtseil vor der Ornamentverzierten
Eingangspforte ziehen, Und, als
hätte man dahinter nur auf mich gewartet, Öffnete
sich gleich die schwere Tür. Es
streckte sich mir einzig eine Frauenhand entgegen. Diese bog
sich wie zum Handkuss leicht herab, als Blasses
Schiffchen, dessen Segel sich verbargen. |
Ich
bediente mich und nahm die Frau mit
aufgestecktem Mähnenschopf dahinter wahr. Sie war
noch jung, dass ich nach ihrer Mutter
fragen wollte, aber sie zog mich, vertraut, Voll Anmut
und in Gastlichkeit ganz sanft ins Haus, Dass ich
bei ihrem mädchenhaften Charme Nur noch
dies eine Wesen sehen wollte. Drinnen,
schon im Flur, begann sie zu erzählen, Dass sie
hier mit ihrem Mann gelebt und beide voller Hoffnung eine
Zukunft hatten finden wollen. Ihre Liebe
war jedoch ein Bett der Ahnungslosigkeit Aus dem
sie schrill gerissen wurden, Als ein
militärischer Konflikt, von weit her kommend Sich als
Flächenbrand auf Haus und Hof ergoss. Sie hatten
nie davon gehört, und diese Dinge
waren ihnen nicht bewusst gewesen, Die
Gefahren nicht bekannt. Ich fühlte
mich sehr schlecht bei ihrer Schilderung,
nicht nur, weil die Erzählung mich berührte, Sondern
schlimmer, weil ich meinen Blick nicht von ihr lassen konnte, Nicht von
ihrer engen Taille und nicht von den Linien, die ihr zarter Körper
durch das Kleidchen drückte. Von dem
Bild besessen wünschte ich mir Augenblicklich
Kohle und Papier Und dass
sie mir Modell gesessen und gestanden hätte. Wir
gelangten in ein großes Zimmer, an ein Fenster,
davor stand ein Mann: „Das ist
mein Mann. Hier wurde
er erschossen, denn er wollte alles sehen, Als die
draußen waren. Er ist
jetzt aus lebensechtem Material gefertigt, Weil wir
ein Museum sind. Ich habe
ihn noch viele Male, In der
Küche und im Bett, im Keller, Überall,
wo er sich gerne aufgehalten hat“. Sie zeigte
mir das Doppelbett, Er lag
darin: „Und nachts lieg ich an seiner Seite“. |
Durch ein
Fenster blickte ich noch einmal auf das Schild zur
Einkehr und erfragte eine Möglichkeit
der Unterkunft. Sie gab
mir Antwort, aber meine Suche war umsonst. Ich kam
zurück und läutete erneut. Als
niemand kam, schob ich die angelehnte Pforte Einfach
auf und ging bis in das Zimmer. An dem
Fenster stand der Mann und diesmal neben ihm Die junge
Frau, wie er aus lebensechtem Material gefertigt. Beide
hatten Schussverletzungen im Kopf und
an der Brust. Die
Fenster waren nicht zersplittert, aber Einschusslöcher zu erkennen. Ich ging
weiter und sah beide wie lebendig, unbewegt In ihrer Küche,
unbekleidet in dem Badezimmer, dann In ihren
Betten. Über allen
Gegenständen, auf den Tüchern,
Teppichen und an den Wänden lag und hing ein feiner Aschestaub
wie von weit her geweht. Von da an
hielt ich mich versteckt auf meiner Insel, bis
die Frau, die mich versorgte, wieder eintraf. Sie war
völlig unbesorgt und sagte, dass sie und die Männer Sanitätsdienst
hatten leisten müssen. Das
beschämte mich. Sie sagte
auch: „Das Haus, von dem du mir erzählst, Ist schon
vor Jahren abgerissen worden, und die jungen Leute
wurden dort begraben“. Trotzdem
schrieb ich alles auf Und gab
dem Brief die Nummer dreiundreißig. Den
vergrub ich auf dem Grundstück wie auf einem Friedhof. |
Namenlos von meiner Insel, 34.
Brief Meine Lust zu malen Die Erlaubnis
des Gerichtes, Mich mit
namenlosen Briefen an die Außenwelt zu wenden, War ein
Zugeständnis, das sofort Verdacht in mir erweckte. Niemand
würde die je zu Gesicht bekommen, Ja, man
gaukelte mir einen letzten Hauch von Freiheit,
Freiraum in Verbannung vor Und suchte
mich so auszuhorchen. Alles
aufzuschreiben war gefährlich, und ich wusste das, Und ich
schrieb gerne. Meine Lust
dazu wich aber eines Tages einer Tapferkeit. Ich wurde
völlig unerwartet von dem Wunsch, zu
malen und mich bildlich mitzuteilen, überrascht. Ich hatte
weder Pinsel, Staffelei noch Farben. Doch ich
spürte Eifer. Um die
Sache richtig anzugehen Brannte
ich mir Kohle, und statt einer Leinwand
und der Staffelei benutzte ich vom Speicher
einen Teil der Wandverkleidung meines Zimmers, eine Holzspantafel,
die sich förmlich anbot. Eigelb,
rote Läuse, brauner Wurzelsaft, gekochter Tee, Besonders
gelber Blütenstaub, ganz fein zerriebene, Sehr weiche Steine,
weiß und grün, Ergänzten
die Palette meiner Möglichkeiten,
Farben mit zerfetzten Stoffen,
die ich rollte, aufzutragen. Mit der
Frau, die mich versorgte, und die sich vier Männern
teilte, sprach ich über meine Absicht. Sie
durchschaute meinen Plan sofort und sagte: „Ich bin
nur bereit als Rückenakt Modell zu sitzen Und
vielleicht noch Kopf, Gesicht und Oberkörper im Profil. Das ist
geheimnisvoller als ein reiner Akt.“ Das war
mehr als ich wünschen durfte. Andrerseits
war sie sich ihrer weichen Schultern
und des schlanken, langen Halses sicher. Als sie
meine Farben sah, erstaunte sie und Hielt die
für Geheimniskrämerei: „Ich weiß,
dass manche Künstler
ihre Farben selber mischen“. |
Danach
stand sie mir Modell. Sie hatte
viel Geduld und brachte offenbar Erfahrung mit, Denn ihre Körperhaltung
blieb stets gleich, Und sie
verzichtete darauf, sich zwischendurch den Fortschritt
meiner Arbeit anzusehen. Ihre Pose
war sehr raffiniert und brachte Spannung
durch Verstecken und durch wenig Zeigen. So hielt
sie den rechten Arm zwar angewinkelt vor den Bauch, Gleichzeitig
aber seitlich einen Spalt breit ab vom Körper, dass die rechte Brust im
Ansatz und dem Übergang zum Oberkörper Durch zwei Blitze weißen Lichtes deutlich wurde. Als
Betrachter meinte man, sie fast von vorn zu sehen. Tag für
Tag stand sie für mich, Und ich,
in ihrem Rücken, schuf mir eine eigne Welt. Ich
änderte an Strichen und den Farben, Die mir
gute Dienste leisteten. Der
Rückenakt verlangte schließlich nach Umarmung
und ich fügte Landschaft, Blumen und ein Sonnendach
hinzu und gab der Arbeit einen Namen. Dann hielt
ich sie für beendet und die Frau, die mich versorgte, Warf das
erste Mal, verhalten und auch neugierig, Den Blick
darauf. Sie zeigte
sich zufrieden, gab trotzdem noch ihre Meinung frei,
die mich zu Nacharbeiten zwang. Sie
wollte, dass die Farben stärker, die Strukturen
auch in größerer Entfernung
vom Betrachter deutlicher Erkannt
und wahrgenommen werden könnten. Sie
verstand etwas von Malerei, das sah ich ein, ergänzte was sie meinte Und
beendete danach erleichtert das gemeinschaftliche Werk. Am
nächsten Morgen schauten wir noch einmal auf das Ganze. Um uns zu
erholen, machten wir dann einen Fußweg an die Küste. |
Hier war
Ruhe, kaum ein Lüftchen wehte, Und das
Meer war spiegelglatt. Ich ging
ins flache Wasser und sah Fische darin schwimmen. Weiter
draußen fiel mir etwas Buntes unter Wasser auf. Es schien
dort halb zu schwimmen und halb abzusinken. Plötzlich
schrie ich aber auf, es stockte mir das Herz, als
ich mein Bild erkannte. Es schien
mir im ersten Augenblick dort zu ertrinken, Meine
Farben hätten das nicht überstehen können, Und ich
ging, um es zu retten, es herauszuziehen. Doch es
war nicht meine Spanholzplatte, die ich packte, Sondern nur
ein übergroßer Bogen aus Papier Darauf der
„Rückenakt mit Landschaft“, Wie das
Bild nun hieß. Die Frau,
die mich versorgte, kam zu mir. Ich hielt
den Bogen hoch, das Wasser tropfte ab. Die Farben
waren unversehrt. Sie rief: „Das ist
ein Flyer, sicher nicht der einzige. Es sind
bestimmt noch Hunderte im Wasser. Möglich,
dass man aus Versehen welche machte, Und die
gar nicht haben wollte. Die sind
dann ins Meer geworfen worden. Sehr
wahrscheinlich aber hat man dir das echte Bild auch
noch entwendet, und es ist jetzt in Gefangenschaft,
man hat es weggesperrt“. Zuhause
angekommen, war das Bild tatsächlich fort. Statt
dessen fand ich eine Staffelei, gerahmte Leinwand, Feinste
Zeichenkohle neben Farben, Pinseln und Paletten vor. Ich musste
mich erbrechen. Meine Lust
zu malen war zerstört und mir genommen. Ich
schrieb trotzdem später alles wieder auf Und gab
dem Brief die Nummer vierunddreißig. Den
versenkte ich, mit einem Stein
beschwert im Meer. |
Namenlos von meiner Insel, 35. Brief Neues aus der Wissenschaft In meinem Zimmer hing ein Spiegel, Eingefasst in goldverziertem Rahmen, In der Größe meines Oberkörpers. Es war mir bis jetzt nicht aufgefallen, Dass ich mich darin nicht sehen konnte. Erst die Frau, die mich versorgte und Die sich vier Männern teilte, Und die sich darin betrachten wollte, Wandte sie sich mir zu und sagte: „In dem Spiegel seh ich fremde Menschen, Fremde Köpfe und Gesichter, die sich frei Bewegen, nur nicht mich. Was soll das, ist das Elektronik oder Spionage oder
sind das Filme. Stimmen hör ich keine.“ Ich war irritiert und sah nun selbst hinein. Es war schon Jahre her, seit man mich namenlos Und fern von meiner Heimat auf dies Stückchen
Fels im Meer verbannte Und mich käfiggleich und ohne jede Schuld darauf
gefangen setzte. Niemand gab sich mir als wahrer Ansprechpartner
zu erkennen, und die Willkür unberechenbarer Obrigkeit brach zu oft Unversehens über mich herein. Ich ging, um mich das erste Mal bewusst im Spiegel wahrzunehmen und fand mich sehr alt geworden. Ich erschrak darüber und erkannte mich fast
selbst nicht wieder. Wollte sie mir das auf diese Weise sagen? Ich betrachtete mich nah am Glas und stieß mit
meiner Stirn dagegen. Noch im selben Augenblick entwich mein
Spiegelbild und machte Platz den Menschen, die die Frau zuvor vielleicht
gesehen hatte. Ich bemerkte, dass der Spiegel sich zu einer Doppeltür erweiterte, dann öffnete und mich
hindurch ließ. Wie im Abschied warf ich einen Blick zurück und
sah die Frau, die leicht gebückt, in Regungslosigkeit
verharrte, So als raste ich mit übergroßer Schnelligkeit und doch im Stillstand von ihr
fort. Sie konnte mir nicht folgen. Dessen ungeachtet hörte ich sie auf der andren
Seite sagen, Dass ich mit ihr kommen sollte. Sie war drüben, ebenso wie ich. Sie schien zutiefst bedrückt. |
Sie war mir mehr als eine gute Freundin, Und wir hatten uns schon oft geliebt. Dagegen blieb sie mir nun fremd und war doch
sanft, Als sie mich an der Hand ergriff, um mich zu
führen. Wir gelangten über eine breite Straße mit
vielspurigem Verkehr. Das alles konnte nicht auf meiner Insel sein. Ich wähnte mich auf Festland. Menschen eilten hin und her und schienen feste Ziele zu verfolgen. Einige versammelten sich einem Hochhaus gegenüber auf der andren Straßenseite. Dorthin gingen wir. Die Leute schauten wie gebannt nach oben, so als
gäbe es am Dach des hohen Hauses etwas zu entdecken. Ich war neugierig und tat wie sie. Da löste sich die Hand der Frau aus meiner. Mit dem Rücken wischte sie sich Tränen von der
Wange. Das verstand ich nicht und fragte vorsichtig: „Warum? Du weinst? Was ist?“ Sie legte mir den feuchten Finger auf den Mund Und ging nach drüben in das Haus. Ich blieb zurück. Nach wenigen Minuten wollte ich sie suchen Und sah noch ein letztes Mal zum Dach. Da sah ich sie alleine oben auf der Brüstung stehen, und sie machte ohne das
geringste Zögern den verhängnisvollen Schritt ins Nichts. Sie stürzte lautlos in die Tiefe. Meinen Aufschrei unterdrückte ich mit beiden Händen
vor dem Mund, Und als sie aufschlug, hielt ich mir die Ohren
zu. Es drängte mich, zu ihr zu laufen. Aber neben mir hielt jemand seine Hand auf meine Schulter und mich leicht zurück: „Das ist bestimmt nicht gut, Sie sollten das
nicht tun.“ Da blieb ich hier und sah nach wenigen Minuten
Helfer einer Ambulanz, Die sie in ein Behältnis legten, Dann in einen weißen Wagen luden und sie mit sich
nahmen. |
Ich war schwer geschockt, sah keinen Grund Und konnte nicht verstehen was geschehen war. Nicht einmal weinen konnte ich, Die anderen, die dieses Unglück mit gesehen
hatten, gingen Langsam auseinander. Ratlos und verstört fand ich den Weg zurück Und stieß sehr schnell auf jene Doppeltür, die
auf der andren Seite Glas gewesen war. Sie ließ sich öffnen und ich ging hindurch. In meinem Rücken schloss sie sich jedoch sofort Und gab den Spiegel wieder frei. Ich sah hinein und mich darin wie jeden Morgen, Wenn ich mich rasierte. In dem Spiegel sah ich auch die Frau, die mich versorgte und die sich vier Männern teilte, auf dem Sofa liegen. Sie war nicht erstaunt und fragte, was geschehen
sei: „Du warst so plötzlich aus dem Zimmer“. Ich war drauf und dran ihr alles zu erzählen. Doch sie selber wusste etwas: „Man berichtet Neues aus der Wissenschaft. Es ist jetzt möglich, lebende Personen über weite
Strecken, ohne jeden Zeitverlust zu transportieren. Dabei sollen sie die Räume wechseln können Und als vollständig perfekte Spiegelbilder
existieren“. Da behielt ich das Erlebte ganz für mich und
sagte nichts. Ich war danach allein und schrieb mir alles
wieder auf. Ich gab dem Brief die Nummer fünfunddreißig. Der hing über Tage angeheftet an dem Spiegel, Bis er irgendwann verlorenging. |
Namenlos von meiner Insel, 36. Brief In einem sogenannten
Notfall Eines Tages standen Männer vor der Tür, ein
Fahrer in Zivil Und zwei Bewacher, die verschleppten mich erneut. Von meiner Nachbarin, der Frau, die mich
versorgte, Und die sich vier Männern teilte, kam Beruhigung, Denn sie empfahl mir mich zu fügen, mich der
Sache ganzen Herzens Anzunehmen, als man mich in meiner Sprache wissen
ließ, Dass ich für eine Reise in den Orbit vorbereitet werden sollte. Das verstand ich nicht, weil ich mich stets für Unsportlich und untrainiert gehalten hatte, Ich verstand jedoch sofort, dass nur ein simpler Grund auf mich die Auswahl hatte fallen lassen
können: Eine Reise ohne Wiederkehr stand mir bevor. Die Toten hätte ich niemals gefürchtet, Sicher aber waren einige von ihnen oben auf der
Bahn, Und denen wollten mich die Lebenden nun näher
bringen. Fast den ganzen Tag verbrachte ich in einem
Fahrzeug, Nur begleitet von den Leuten. Das Gefährt, in dem ich saß, fuhr dann direkt zu
einem Flugzeugkörper, der mir übergroß erschien. Ich wurde dort an einem Eingang abgesetzt Und meinem Schicksal überlassen. Niemand folgte mir. Ich ging hinein und war in einem großen, runden Raum und sah mich um. Von hier aus konnte ich nur einen kleinen
Ausschnitt überblicken, Darin waren Treppen, die nach oben führten. Fenster waren zwar verdunkelt, Doch der Raum war hell erleuchtet. Nacheinander zählte ich weit über zwanzig
hilfsbereite Stewardessen, die sich ganz dezent um jeden
kümmerten. Ich hörte keinen Triebwerklärm, und die von mir
vermuteten Geräusche von Motoren waren nur sehr schwach. Mir wurden Sitzgelegenheiten angeboten, die ich
in dem großen Raum, mit bunten Sesseln, farbenfrohen Teppichen,
mit Tischen und Getränkeständen, allesamt aus edlem
Holz gefertigt, Wie auf einem Luxusschiff, in Anspruch nehmen
konnte. |
Die Maschine hob dann scheinbar senkrecht ab Und ging in einen Steilflug über. Hier im Flugzeug gab es viele Passagiere, Frauen, kleine Kinder und vereinzelt Männer. Niemand wurde angeschnallt, Es konnte jeder sich bewegen, wie es ihm gefiel,
wohin er wollte. Alle wurden ganz persönlich und sehr Freundlich, aufmerksam und umsichtig betreut Und über alles Maß, fast liebevoll, verwöhnt. Man gab uns weiche Kleidung, eigenartig feste
Schuhe, Fragte jeden vor der Mahlzeit nach den Wünschen
und erfüllte die. Dabei vernahm ich völlig unbekannte Sprachen Und sah Speisen, deren Ursprung ich nicht deuten
konnte. Dieser erste Teil der Reise währte wohl drei Stunden, und wir flogen in sehr großer Höhe, Das gab man auf einem Lichtband, das den Raum durchquerte, an. Die dort gezeigten Dimensionen hatte ich zwar nie
gehört, Trotzdem verstand ich, dass wir außerhalb der Erdanziehung waren, unsre Schwerkraft aber
beibehielten. Plötzlich nahm ich wahr, wie die von mir
vernommenen Geräusche ganz verstummten. Danach wurden Fenster und die Seitenwände automatisch fortgenommen. Schwaches Licht von draußen fiel herein. Die Reisenden und ich erfassten diesen Augenblick Als große Sensation. Wir alle schienen wie barrierefrei ein Teil der Außenwelt und waren doch im Fluggerät. Das Licht kam von der Sonne, die sehr klein
geworden war. Die Erde stand als weit entfernter, blauer Ball mit weißen Feldern tief im schwarzen Raum, Der war milliardenfach durchstochen von dem
Lüsterglanz des Perlennetzes einer weit entrückten Haarpracht. Links verschmolz ihr Rand darin mit einer
schmalen Schattensichel. Es war mir ein kristalliner Anblick, Der statt Ruhe Stille brachte und Erhabenheit,
die ich sonst nur Beim Anblick großer Bergmassive unter Eis
verspürte. |
Ja, es überkam mich eine ungewollt erfüllte und
wie unter Pein erlittene zugleich geschenkte Dankbarkeit in
Demut, Die mich ratlos, beinah hilflos machte. Dieser zweite Teil der Reise ließ mich zu den Auserwählten Menschen werden, denen sich das Glück an ihre Fersen heftet, ohne dass sie etwas
dafür tun. Das tat unendlich gut. Der Rückflug dauerte ein wenig länger und war
lautlos wie zuvor. Man holte mich am Bahnsteig wieder ab und fuhr
mich heim. Es wurde nicht mit mir gesprochen. Als ich nach zwei Tagen spät auf meiner Insel
eintraf, ging ich Zu der Frau, die mich versorgte und erzählte ihr
begeistert Von dem Flug, dass ich dort Einzigartiges erlebt Und ihn von vornherein ganz falsch beurteilt
hatte, Dass ich mich besonders ausgezeichnet glaubte. Ihre gutgemeinten Worte klangen noch in meinem
Ohr. Sie aber sah mich an, als Wüsste sie nicht wie sie es mir sagen sollte. Es verging viel Zeit bis sie mehr flüsterte als
sprach: „Auf diese Reisen werden immer wieder Ahnungslose einfach mitgenommen, Manchmal dann missbraucht in einem Sogenannten Notfall für Organentnahme.“ Darauf wurde ich ganz still und die Gefahr, in der ich mich befunden hatte, wurde mir
bewusst. Sie hatte recht, es gab nur diesen einen Grund
für meine Auswahl, Und ich fühlte mich zutiefst gedemütigt. Nach einer Woche schrieb ich trotzdem alles
wieder auf Und gab dem Brief die Nummer sechsunddreißig. Den verklebte ich ganzflächig mit der Zimmerwand, Doch schon andren Tag war er verschwunden. |
Namenlos von meiner Insel, 37. Brief Gerne hätte ich ihr das geglaubt Es überkam
mich große Sehnsucht nach der Frau, die
mich versorgte und die sich Vier
Männern teilte. Es war spät
am Tag, ich wollte sie besuchen, Ging und
klopfte an die Tür. Sie
öffnete und freute sich verhalten, Bat mich
aber trotzdem in ihr Zimmer. Sie war
nicht allein. Es saßen
die vier Männer völlig teilnahmslos auf Stühlen
und auf einem Sofa, ohne sich um mich zu kümmern. Sie
verstand sofort, dass mein Besuch nur
ihr alleine gelten konnte, Und sie
sagte mit normaler Stimme: „Tu doch
so, als wären sie nicht hier. Es gibt
sie gar nicht in dem Raum.“ Sie hatte
einen frischen Blumenstrauß
auf ihrem Tisch, den traf das Licht der Abendsonne, Dass er
noch in Gelb und Grün, Orange und Weiß erstrahlte. Daraus zog
sie eine gelbe Blüte, deren Duft
verbreitete sich bis zu mir. Sie schob
den Blütenstengel vorsichtig ins Braune Haar,
das glänzte leicht und hing weit über ihre Schultern,
fiel in festen Locken auf den Rücken. Ihre Augen
wandte sie zu einem großen Spiegel, Ging dort
hin und sah sich an. Ich stand
nun hinter ihr. Mit
leichtem Zucken einer Augenbraue
fragte sie mich etwas, was ich nicht erriet, Es war
fast wie die Bitte um Erlaubnis. Ich trat
dicht an sie heran und rätselte Was sie
wohl meinte, das ich ihr gewähren sollte, Und was
nicht schon längst mein eigner tiefer Wunsch an
sie gewesen wäre. Dann
erfasste sie, mit ihren Händen rückwärts tänzelnd, Meinen
Kopf, umschlang ihn liebevoll Und beugte
mein Gesicht zu sich herab. |
Ich aber
streifte ihr das dünne Hemdchen und das T-Shirt
hoch bis zu den Schultern. Ihre Hände
zogen alles über Kopf und Haar. In ihrem Rücken
ließ ich eine kleine Schnalle
aus den Häkchen springen. Sie sah
nun mit mir auf sich, Die fein
gebräunten Arme hielten, für Sekunden
vor der Brust verschränkt, die Kleidung. Doch dann
ließ sie alles fallen, drehte sich in meinen Armen um zu
mir und öffnete mein Hemd. Sie ließ
sich Zeit. Ich küsste
ihre Haut wo ich sie fand, Und sie
entwand sich nicht. Wir legten
unsre letzten Kleidungsstücke
ab und gingen auf ihr Bett. Sie
streckte sich und schloss die Augen. Lange
lagen wir so neben uns und Waren
frei, ein jeder an dem anderen. Ich sah
ganz kurz ins Zimmer zu den Männern, Ob ich
mich durch sie nicht nur gestört, vielleicht sogar Bedroht
gesehen haben müsste. Doch die
waren wie zuvor nur Gäste, die auf Gar nichts
warteten. Ich gab
mich neu der weichen, warmen Haut In einem
Liebesspiel mit vielen Küssen hin, Bedachte
dabei auch sehr flüchtig jenes Kleine,
schwarze Pflaster, zur Verhütung und zum Schutz. Das wollte
ich vermeiden, Weil mich
nichts mehr stören sollte. Doch sie
hielt es schon als Fähnchen in der Hand und
führte es vorbei an ihren Lippen, Angereichert
mit ein wenig ihres Speichels, dass es sich Als
hingehauchter Kuss auf meinem Unterleib
vorübergehend implantieren konnte. Ich
gestand ihr mehrfach meine Liebe, aber ihren Namen
wusste ich noch immer nicht. „Den wirst
du erst erfahren, wenn ich deinen weiß“. |
Sie
wusste, dass man mich zur Namenlosigkeit
verurteil hatte, Und kein
Name konnte deshalb richtig sein. Aus Spaß
ließ sie mich trotzdem raten, das blieb aber nur ein Necken,
ohne dass ich schlauer wurde. Ich erfuhr
auch nicht, ob sie mich liebte, Denn das
wagte ich sie nicht zu fragen. In dem
Augenblick jedoch, als wir uns Liebten,
sagte sie: „Ich lieb
dich auch“, und wiederholte diesen Satz so
oft, bis er in Schluchzen überging. Die Männer
blieben ungerührt und gaben kein Geräusch
von sich. Wir hatten
stundenlang zusammen Eng an eng
gelegen und uns viel berührt Und unsre
Liebe wiederholt. Als ich am
frühen Morgen heim in meine Wohnung gehen
wollte, fragte sie: „Wie geht
es dir“. Ich sagte: „Gut, sehr
gut. Ich lieb
dich immer noch und immer wieder neu“. „Dass du
mich liebst, hör ich sehr gerne und ich glaube dir. Ich bin
mir aber sicher, dass es dir nicht gut geht So wie du
behauptest. Meine
Liebe in Gesellschaft der vier Männer ist
dir fremd geblieben, und sie haben dich gestört. Vielleicht
verstehst du eines Tages selbst, Dass sie
nicht wirklich hatten existierten können“. Gerne
hätte ich ihr das geglaubt. Nach Tagen
schrieb ich alles wieder auf Und gab
dem Brief die Nummer siebenunddreißig. Den gab
ich ihr später unverschlossen, dass sie alles lesen Konnte und
verlangte ihn von ihr auch nicht zurück. |
Namenlos von meiner Insel, 38.
Brief Es war nicht Platz genug in mir Tagelang empfand
ich mich von Blank
poliertem, dünnsten Glas umhüllt, in dauernder Gefahr, es
könnte jemand seinen Fingerabdruck
darauf hinterlassen oder nur ein Tropfen
seine lange Spur. In dieser
Zeit erreichte mich Musik, die wehte aus dem Fenster
eines der Gebäude ganz in meiner Nähe bis
hierher in meine Zimmer. Die Musik
klang fremd. Es schien
als ringe sie mit Ritual und Tradition Vielleicht
erfüllte sie den Wunsch nach Lebenslust
in unbekannter Art. Es wurde
dabei nicht gesungen sondern Instrumente,
wie Bandoneon, Klavier und Violine
spielten konzertant und zögerlich und Leidvoll,
immer wieder neu, sehr lange Melodien. Sie
schienen sich zu unterstützen und sich zu ergänzen. Ich
bedachte mich in meinem Glasgebäude,
wusste nicht ob es mit mir darin Gut gehen
konnte oder ob es reißen würde. Ich ging
vor die Tür, vielleicht nur um Gewissheit
zu erhalten. Da kam
unerwartet meine Nachbarin, die Frau, die
mich versorgte und die sich Vier
Männern teilte, auf mich zu. Sie schien
das, was ich hörte, gar nicht wahrzunehmen, Denn sie
hatte ihre eignen Instrumente
auf den Lippen, Hatte
etwas auf dem Herzen und auch nicht. |
Sie
sprudelte heraus: „Ich liebe
diesen Tag und weiß doch nicht warum, Ich liebe
dieses Leben und ich möchte weinen. Ich weiß
nicht wohin damit, Ich bin
allein, auch wenn ich nicht alleine bin.“ Ich sagte: „Hörst du
die Musik, die kommt von drüben, aus dem großen Haus. Vielleicht
wird dort gefeiert und getanzt.“ Sie aber
hörte nichts und sah nicht hin, Und ich verstand
sie nicht und doch auch gut. Ich wollte
ihr vom gläsernen Gefühl Erzählen,
das von mir Besitz ergriffen hatte, Ließ es
aber sein und fragte: „Brauchst
du Trost“? Ich hätte
sie in Pflege nehmen können Doch es
war nicht Platz genug in mir für ihre Wünsche
oder Sehnsüchte. So wurde
sie für mich die Hand, die ihren Abdruck Auf mein
Glasgebäude drückte, die es ohne Willen
springen und zerbrechen ließ. Sie sah,
dass etwas in mir riss, Und bot
mir schnelle Hilfe an: „Was ist,
kann ich dir helfen, Oder etwas
für dich tun“? In meiner
hoffnungslosen, aussichtslosen Lage, erst
zum Tod verurteilt, Dann in
Namenlosigkeit verbannt auf diese Insel,
konnte keine Hilfe Hilfe sein. |
Die
Scherben aber fielen nicht auf mich, Sie
trieben langsam weit hinaus, Fast
schienen sie den Orbit anzustreben. Einige von
ihnen standen lange still Als
warteten sie auf Beschleunigung. Das alles
weckte meine Neugier. Mein
Gefühl realisierte sich noch im Zerbrechen, Das war
neu für mich und Hoffnung
kehrte heim. Ich wusste
nun, dass ich die Frau, die
mich versorgte und die sich vier Männern
teilte, gut verstand und bot ihr Unterschlupf
in meinem Herzen an. Ich wärmte
sie, und wir gefielen uns in engster Zweisamkeit. Ich konnte
ihre Glücksgefühle, ihre Zweifel
plötzlich gut verstehen. Doch von
meinem Glasgebäude sagte ich ihr Nichts. Die Musik
spielte ohne Unterlass, Und
endlich stimmte sie auch mich mit mir Zufrieden. Es verging
viel Zeit bis ich das alles Niederschrieb. Ich gab
dem Brief die Nummer achtunddreißig. Den hielt
ich vor ihr versteckt. Als ich
ihn aber eines Tages wieder lesen wollte, War er,
wie die anderen davor, verschwunden. |
Namenlos von meiner Insel, 39.
Brief Hilfe oder Menschenraub Man holte
mich erneut von meiner Insel. Diesmal waren
es drei Frauen, die sich ohne Waffen,
ohne Uniform, ganz in Zivil in meine Wohnung drängten, Aber
dennoch militärisch waren. Alle
sprachen meine Sprache gut, dass ich Vertrauen
schöpfte. Sie
erklärten mir, dass sie auf meine Hilfe
angewiesen wären. Durch mein
Aussehn und durch mein Erscheinen
sei ich unauffällig und für eine gute Sache
bestens vorbereitet. Weit
entfernt, in einem Kriegsgebiet vermisste man ein Kind mit
seiner Mutter, das sei aufzufinden Und zu
retten. Solch ein
Einsatz müsste vorbereitet sein. Die Frauen
waren jeweils der Ersatz für jede andere. So ging
ich mit und nahm in ihrem Fahrzeug Platz. Zu meiner
Überraschung sollte auch die Frau, die
mich versorgte und die sich vier Männern
teilte, mit mir reisen. Die war
gar nicht überrascht: „Das
Kriegsgebiet liegt sehr weit weg, Wir werden
hingeflogen werden müssen“. Die drei
Frauen hielten sich von nun an sehr Bedeckt
und sagten nur das Nötigste. Nach
langer Fahrt erreichten wir die Küste und ein Flightship
mit dem Namen „Ground Effect“, ein Bodengleiter, Der mit
kurzen Flügeln, deren Enden sich nach unten senkten, Auf dem
Wasser schwamm, und stiegen ein. Der
Gleiter eilte nach dem Start in
knapper Höhe über Meer und Wellen, Dann fast
in Berührung über flaches Land und Inseln,
später wieder über Wasser
einem unbekannten Ziel entgegen. Eine
Laserschrift im Raum gab Reisewerte an: Wir flogen
nahezu mit Schallgeschwindigkeit. Im Innern
dieses Bodengleiters war viel Platz. Die
Einrichtung war äußerst komfortabel, und Der Raum
bot sehr viel Wohnlichkeit. Ich spürte
keinerlei Erschütterungen. Gegenstände,
Tassen, Gläser mit Getränken blieben Ohne
Zittern, wo sie standen. |
Nach sechs
Stunden sagte man die Landung an. Die wurde
von Soldaten überwacht und abgeschirmt. Wir mussten
unsren Gleiter schnell verlassen, Und man
führte uns vom Flugplatz
in ein luftiges Gebäude voller Schalter, Gates und Tausenden
von Menschen. Die drei
Frauen kannten sich hier aus und stellten sich und uns An einen
Schalter, der nur einzeln Passagiere zuließ. Dort stand
eine Frau mit einem kleinen Kind auf ihrem Arm. Sie schien
zu warten. Plötzlich
tauchte eine schwarz gekleidete Matrone auf, Verlangte
nach dem Kind und nahm es ihr wie selbstverständlich Aus den
Händen, drückte es an ihre übergroße Brust, als
wollte sie es rauben. Für
Sekunden schien der Mutter alles zu versagen, Sie war
einer Ohnmacht nahe und erblasste, Hielt die
rechte Hand auf ihren Mund und
unterdrückte einen Schrei. Nach
kurzen Augenblicken gab die Frau das Kind zurück, Verschwand
mit Tränen in den Augen unter all den Menschen. Eine der
drei Frauen klärte mich in Windeseile auf: „Das war
die Schwiegermutter, die ihr Enkelkind verliert. Der Mann
der Mutter ist schon lange ausgereist. Man hält
sie nun als Pfand mit ihrem Kind zurück. Sie
denken, dass er niemals wiederkommt. Die beiden
werden streng bewacht“. Die Frauen
schoben mich nun nah genug zur Mutter. Die schrie
auf, als sie mich sah, und fiel mir um den Hals. Sie hielt
mich für den wahren Ehemann Und konnte
meine Heimkehr gar nicht fassen. Sie war
überglücklich. |
Die
Bewachung wurden sofort aufgehoben, als man meinen Passport
prüfte und den Namen ihres Mannes darin fand. Man
brauchte sie als Pfand
nicht mehr und gab ihr ihre Pässe wieder. Doch die Frau,
die mich versorgte, sprang nun ein Und gab
sich aus als meine Ehefrau. Das wurde
von der Mutter völlig falsch verstanden. Sie
verklagte mich vor Ort der Bigamie
und ließ sich augenblicklich von mir scheiden. Das schien
alles gegen ihren Willen zu
geschehen, doch die drei Soldatinnen verstanden ihre Rolle,
Helferinnen in der Not zu sein, sehr gut Und
führten sie mit ihrem Kind zum
Bodengleiter. Ich und
auch die Frau, die mich versorgte, wurden vor ein Schnellgericht
gestellt. In einem
Eilurteil verwies man uns als unerwünscht des Landes. Unsren
Gleiter mussten wir sofort besteigen. Die
Bewachung wurde abgezogen. Drinnen
hörten wir, dass sich die Mutter und
das Kind bereits in Sicherheit befänden. Dann
begann für uns der Rücktransport. Dies alles
aufzuschreiben, fiel mir schwer. Die Frau,
die mich versorgte, half jedoch dabei. War es nun
Hilfe oder Menschenraub, was man uns abgefordert hatte. Sicher
würden wir das nie erfahren. Meinem
Brief gab ich die Nummer neununddreißig. Tagelang
blieb er im Zimmer liegen Bis er
eines Tages, wie die anderen, nicht mehr zu Finden
war. Ich
forschte auch nicht nach. |
Namenlos von meiner Insel, 40.
Brief Das sagte alles. Es
erreichte mich ein Brief aus alter Zeit, Der nur
die Anschrift trug: „An Namenlos
auf Alpha 7, 4“. Sonst
waren weder Absender noch Stempel auszumachen, Und der
Schreiber wäre mir für immer unbekannt geblieben, Hätte ich
nicht eine wohl vertraute Schrift erkannt: Ich selbst
war damals der Verfasser dieser Zeilen, Die an mich
gerichtet waren. Damit ging
ich zu der Frau, die mich versorgte Und die
sich vier Männern teilte, Sie um
ihren Rat zu fragen, Wie und
auch warum war dieser Brief zu mir gelangt? „Hast du
dir überhaupt noch einmal durchgelesen, Was du
seinerzeit an dich geschrieben hast,“ Erkundigte
sie sich. Ich war
zunächst verlegen, gab dann aber meine Antwort: „Ja“, Und las
noch einmal halblaut vor: „Wenn ich
mir jemals etwas wünschen darf, dann möchte ich als Fremder
unter Fremden und in Einsamkeit
auf einer Insel wohnen. Namenlos
und unerkannt und ungenannt Will ich
dort eine nie zuvor geahnte Freiheit
kennenlernen und mein Leben leben. Ach was
gäbe ich darum, dass es geschieht“. Wir sahen
uns für Augenblicke fragend an, Dann sagte
ich: „Wie war
ich damals dumm und unerfahren“. Nur
verhalten stimmte sie dem zu: „Es ist
doch immer sehr gefährlich, sich herbeizusehnen Was man
gar nicht kennt, Denn dabei
wird die Rückkehr nicht bedacht, Und sei es
nur Erinnerung an das, was man verlassen hat. Erinnerung
kann leicht zur Rückkehr in dein altes Leben
führen und zur Falle werden.“ |
Ich war
sehr verwirrt und traurig. Doch
Erinnerung in mir war längst verblasst, und Rückkehr
war schon lange ausgeschlossen, Denn in
meiner Heimat glaubte man mir meine Unschuld nicht. Die Frau,
die mich versorgte, und die sich Vier
Männern teilte, Holte ihre
Okarina aus dem Schrank. Sie
spielte eigentlich darauf, wenn sie alleine war. Dann
konnte ich sie noch in meiner Wohnung hören. Was sie
aber spielte und der Rhythmus Waren
meistens ungewohnt für mich. Die
Okarina kannte ich trotzdem. Sie war
aus weißem, schwerem Porzellan,
verziert mit blauen Ornamenten, und sie Wurde
aufbewahrt in einer Schachtel. Die
ergriff sie nun und nahm das Instrument heraus. Zu meiner Überraschung
aber sah ich sie ein Federleichtes,
schillerndes Gerät entnehmen und an ihre Lippen
führen. Darauf
spielte sie nun Weisen, die wie süßer Trost und
Lobgesang in meine Ohren
spülten und mich wärmten. Sie
erinnerten an jene Tage, als ich Selbst
gesungen und mich voller Lebenslust auf einem Instrument
begleitet hatte. Gerne
hätte ich gewusst, woher die Frau die
Lieder kannte und sie so gut spielen konnte. Ihre
Finger schlossen oder öffneten in Leichtigkeit
und Schnelligkeit die Löcher
ihrer Okarina, Und ich
schaute auf den Mund der Frau, der Töne Hauch um
Hauch entstehen Und der
Ton um Ton mit ihrem Leib verschmelzen ließ. Sie wurde
selbst das Schillernde
und Bunte Ihrer Melodien, in Gelb und
Scharlachrot, Perlmutt und Ocker, Karmesin
und Grün, die trugen sie in Schwerelosigkeit, Und sie,
ihr Instrument und ihre Lieder, wurden eins. |
Vor meinen
Augen wurde alles, einem Album aus
der Tierwelt gleich, zu leuchtender Unwirklichkeit.
Es reizte
mich, was meine Augen sahen,
mit den Händen zu berühren. Ich stand
auf. Nur mit
der Spitze meines Zeigefingers
wollte ich etwas an ihr ertasten. Dabei
schien sie mich nicht wahrzunehmen, Und bevor
ich sie erreichte, Löste sich
die Okarina dicht an ihren Lippen auf in Abertausend
kleinste Mosaiken, Und ihr
Kopf, ihr ganzer Körper Barst fast
in Bewegungslosigkeit zuerst in eine Farbenwolke,
dann zu Staub Und
schließlich formte sich daraus ein Regenbogennebel, Der im
Raum verschwand. In
gleicher Langsamkeit verklangen auch die Weisen. Plötzlich
fand ich mich allein und in der größten Stille. Auf dem
Tisch erkannte ich nur noch die leere Schachtel. Wie im
Abschied ging ich heim in meine Wohnung, Auch
vielleicht, um sie zu suchen. Doch
beinahe wagte ich den Augen nicht zu glauben, Als ich
sie dort unbeteiligt auf mich warten sah. Ich wollte
sie befragen, aber sie trat nah an mich Und legte
mir den Zeigefinger auf den Mund. Das sagte
alles. So schwieg
ich und schrieb mir das Erlebte wieder auf. Dem Brief gab
ich die Nummer vierzig, Und ich
wunderte mich nicht, dass er nach ein paar Tagen
nicht mehr aufzufinden war. |
Namenlos von meiner Insel, 41. Brief Die Sehnsucht schläft,
die Sehnsucht wacht Ich weiß
nicht wie ich es erzählen, Und wo ich
beginnen soll, vielleicht fang ich am Ende an, Weil es
der Anfang ist. Es klopfte
eine Frau an meine Tür Mit einem
Kind im Arm. Das Kind
war noch sehr klein und konnte kaum die Augen
offen halten. Seine
Mutter sah sehr liebevoll auf es herab, Als wollte
sie auch meine Augen darauf lenken. Wenig
später aber schaute sie mich an, Und ich
war sicher sie zu kennen, Mehr als
jeden andren Menschen auf der Welt, Doch
konnte ich mich nicht erinnern. Sie
hingegen hatte das vielleicht erwartet, Denn sie
half mir, als sie sagte: „Darf ich
nicht mehr zu dir kommen? Bittest du
mich nicht herein? Du tust,
als sähst du mich das erste Mal“, Und trat
in meine Wohnung. Dort nahm
sie gezielt aus einem Schrank
ein Bündel Wäsche, Windeln, Höschen,
Jäckchen und begann ihr Kind zu
wickeln. Zu mir
sagte sie: „Mach
bitte schon das Fläschchen für den Kleinen. Ach, wir
haben dich die ganze Zeit vermisst, Und du
hast sicher schon vergessen, wo du Alles
findest, oder?“ Ich stand
regungslos an meinem Platz und
ließ sie wirken. Sie war
flink, fand alles was sie brauchte und gab ihrem Baby erst
die Brust und dann ein wenig von dem Fläschchen, Das sie
dann, mit ihrem Kind im Arm, beiseite stellte. Von den
Gegenständen, die sie in die Hände nahm, War mir in
all den Jahren, die ich in Verbannung lebte, Nie ein
einziger begegnet. |
Sie war
stolz auf ihren Kleinen und bat mich ihn auf den Arm zu
nehmen. Das war
angenehm, ich tat es gerne. Vorsichtig
versuchte ich herauszufinden, wer sie war Und fand
die rechten Worte nicht: „Woher,
ich meine..“ Sie sah
erst zurück auf ihren Kleinen,
dann auf mich und sagte: „Er ist
dir so ähnlich, wie aus dem Gesicht
geschnitten. Denkst du
manchmal noch an früher“? Ich war
irritiert, weil ich nicht wusste, Was sie
meinte, und ich sagte: „Haben wir
uns sehr geliebt, ist dies dein Sohn, bin
ich der Vater
deines Kindes“? Darauf
lachte sie und warf den Kopf zurück. Sie hatte
glattes, dunkelbraunes Haar, das sie als Knoten
trug, den hielt ein dünnes, schwarzes Netz
zusammen. Von den
schmalen Schultern fiel ein buntes Trachtenkleid
bis über ihre Knie. Das hatte
einen weißen, Filigranen
Ausschnitt, der dezent den Ansatz
ihrer Brust umschloss. Wenn sie
mich ansah, hatte sie in ihren Augen
Mütterliches, Frauliches und Liebes, Das sie
mir zutiefst sympathisch machte. „Nein,
mein Lieber, du erkennst mich wirklich nicht. Ich habe
einen Kinderwagen vor der Tür Und gehe
mit dem Kleinen meinen Weg, den
ich gekommen bin“. Sie legte
ihren Kleinen voller Umsicht in den Wagen Und ging
los. Sie sagte
nicht wohin. Ich sah
ihr nach, bis sie zum Punkt verschmolz. Sie
schaute sich nicht um. Dann ging
ich in mein Haus und wartete Und dachte
nach. Die Frau
kam aber nicht zurück. |
Da ging
ich schließlich zu der Frau, die mich
versorgte und die sich Vier
Männern teilte, und erzählte ihr von dem Besuch. Die kam
mit mir und fand in meinen Schränken
nichts von dem, was ich ihr Aufgezählt
und gestenreich beschrieben hatte. Selbst die
Babyflasche war nun fort. Die Frau,
die mich versorgte, fragte: „Kann es
sein, dass deine Mutter dich besuchen kam“? Ich war
empört: „Die ist
schon lange tot. Was meinst du denn damit“. „Vielleicht
kam deine Mutter dich mit dir Besuchen,
denn wer kennt schon seine eigne Sehnsucht
so genau“. Dabei ließ
sie die Träger ihres Kleides von den Schultern
gleiten, und ich sah, dass sie darunter Gar nichts
trug. Sie kam
ganz nah zu mir: „Die
Sehnsucht schläft, die Sehnsucht wacht, Sie kommt
und geht, Sie weint
und lacht“, Und ihre Hände
kletterten mit spitzen Fingern über meine Brust und
Schultern bis zum Hals Und zogen
mich zu ihr hinab. An diesem
Abend saß ich lange wach und Schrieb
mir alles wieder auf. Dem Brief
gab ich die Nummer einundvierzig. Der lag
tagelang bei mir, bis er fast unbemerkt Von einer
Unbekannten mitgenommen wurde. |
Namenlos von meiner Insel, 42. Brief Die Beine aber liefen mir vorweg Am Strand der Insel lag ein Boot. Es war aus Aluminium und vorbereitet wie für eine
Überfahrt. Ich sah mich um. Es war kein Mensch zu sehen. Ja, es stimmt, ich hatte oft an Flucht gedacht,
doch immer nur mit Halbem Herzen, denn die Frau, die mich versorgte und die sich vier Männern teilte, ließe ich zurück. Ich liebte sie und wollte beides, sie und auch
mein Glück versuchen. Ziemlich weit entfernt lag eine Nachbarinsel, die ich gut erkennen konnte, die
war zu erreichen. An dem Boot entdeckte ich den Außenmotor, Wagte aber nicht ihn anzuwerfen sondern nahm die Ruderblätter, das war leise. Die Gelegenheit schien günstig, alles war wie
vorbereitet. Ich kam schnell voran, Doch fast schon auf der Gegenseite, schien man
meine Ankunft zu erwarten. Eine Handvoll Frauen, die in edlen, langen,
gleichermaßen blauen Kleidern barfuß gingen, Rafften ihre Röcke, um mein Boot ganz nah ans Ufer und dann auf den Strand zu ziehen. Sie begrüßten mich mit fremden Worten, aber ich verstand sogleich, dass sie mich
sehr Willkommen hießen. Ja, man freute sich, In meinen Armen hielt ich noch ein Kleiderbündel,
das schien mir Verräterisch, und ich versteckte es im Boot. Es war hier alles eigenartig leicht und
transparent. Die
Kleider täuschten Fetzen eines Himmels
vor, der nach Ergänzung strebte, um als Ganzes zu
erblühen. |
Ein paar Männer, strahlend weiß gekleidet,
hüllten sie als Wolken ein und blieben unauffällig stets in ihrer
Nähe. Man bewirtete mich überschwänglich, Und es ging mir gut, denn ich nahm an, dass man
mir Helfen wollte. Es verging nur wenig Zeit, dann kamen einige der Frauen auf mich zu und führten mich in einen Pinienwald und zeigten dann auf einen Weg. Den sollte ich nun gehen. Es erreichte mich von dort ein angenehmer, warmer Duft nach Harz, Lavendel und nach Pilzen. Jetzt erlaubte ich mir neu an Flucht zu denken, Und sah vorsichtig zurück, Die Beine aber liefen mir vorweg. Die Menschen waren klein geworden, Und von hier aus schienen sie mir ein umwölkter Traum aus Kinderzeit zu sein, Es traf nun Herz auf Seele. Nach nur kurzem Weg begegnete ich einer neuen Gruppe scheinbar in sich selbst vertiefter Menschen,
deren Frauen sich in langen Silberkleidern zeigten. Die Gewänder leuchteten als Mondschein in der Finsternis des Waldes. Dieser Anblick rührte mich im Innersten, Als wäre er ein Teil
von mir. Die Frauen gingen lichtergleich durch sich und
mich hindurch, Und zwei von ihnen wurden Eins und Eines teilte sich in zwei. Ich konnte sie und ihre Kleider spüren und das Knistern ihrer Stoffe hören. Ich befand mich mitten unter ihnen und in einem Märchenwald, Die Männer waren schwarz gekleidet und verschwanden Fast in Dunkelheit. Ich hatte viel Vertrauen und verspürte keine Angst. Ich dachte an das Boot. Es lag wohl zu weit hinter mir. |
Die ganze Gruppe wiegte sich in stillem Tanz und schließlich war ich in der Mitte. Jemand reichte ein Getränk herum. Ich trank davon und atmete in Seligkeit, dass ich nun auch das Tanzen wagte. Einige der Männer kamen auf mich zu und lenkten
meine Schritte fort von allen anderen bis an die neue
Küste. Dort entdeckte ich ein Boot wie meines. Darin sah ich gleich mein Kleiderbündel und noch
reichlich Speisen und auch Trinken. Ich stieg ein und wortlos stieß man mich vom Ufer
ab. Es war noch immer Nacht. Die Strömung nahm mich mit. Ich fürchtete die Last des Motors und versenkte
ihn. Ein Ruder brauchte ich zum Steuern. Gegen Morgen, rammte mich ein kleines Frachtschiff, dass ich in Gefahr geriet, Ich wurde aber schnell gesehen und an Bord
geholt. Man fragte nicht woher ich kam und Nicht nach meinem Namen. Ich erfuhr jedoch das Ziel der Reise. Es war eine Hafenstadt im letzten Zipfel meiner wahren Heimat. Dort ließ man mich gehen, und ich wurde
schließlich Aufgenommen als ein Findelmensch wie viele
andere, Um die sich eine freundliche Gemeinschaft
kümmerte. Das war für mich besonders eine Frau, die sich
vier Männern teilte und mich fragte, ob sie mich
versorgen dürfte. In der Hand hielt sie ein Bündel Briefe, die erkannte ich an meiner
Handschrift: „Die hab ich an mich genommen", sagte sie, „Und aufbewahrt“. Als wir alleine waren, nahm ich sie in meine Arme Und gestand ihr meine lange, lange Liebe. |