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Harald Birgfeld, Webseite seit 1987/ Website since 1987 …da liegt mein Herz, Geschichten aus Niemandsland
2022 -2024 (im Entstehen) z.B.: 100
Jahre „Kafka“, eine herrenlose Fundsache (neu) |
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zu Olympia
– olympische Spiele! |
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online und im Buchhandel |
Lyrik, Prosa und Ingenieurarbeiten |
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Der
Autor sieht sich einem für ihn neuen Phänomen,
Trennung, in seinem ganz normalen Familienleben gegenübergestellt. |
Trennung von B. Phänomen, Trennung, 2017 Harald Birgfeld Jetzt „Trennung
von B.“ direkt online bestellen sowie im Buchhandel, 148 Seiten, Format A5. € 6,99 inkl. MwSt. Zum Buchshop ISBN 9783744838283 „Trennung von B.“ ist auch in den USA,
Großbritannien und Kanada unter obiger
ISBN und bei abweichenden Preisen bestell- und lieferbar. Auch als E-Book, € 4,49 Zum Buchshop ISBN 9783744826280
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"Es lohnt sich, einmal einen heutigen Dichter
kennen zu lernen, der mit der deutschen Sprache einen faszinierend fremden Weg betritt
und trotzdem dem Leser Freiraum lässt für eigene Gedankengänge, ohne dass die
Probleme in erhobener Zeigefingermanier zu zeitkritischen Trampelpfaden
werden." (1986:
Gutachten)
Harald
Birgfeld
Copyright 2017 beim Autor, Harald Birgfeld,
alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser Veröffentlichung darf ohne
schriftliche Erlaubnis des Herausgebers, Harald Birgfeld, reproduziert werden.
Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Verfilmung und
Einspeicherung sowie Verarbeitung in elektronischen Systemen.
Herausgeber, Autor, Redakteur: Harald Birgfeld. Über e-mail: Harald.Birgfeld@t-online.de
Deine Stummheit
Zwang mich zu lieben.
Deine Stummheit
Zwingt mich zu schreiben.
Deine Stummheit
Erreicht mich
Jeden Tag.
Ihrem
Bruder und seiner Frau schrieb ich nach Afrika einen Brief. Ich wollte mich
ihnen mitteilen. Ich selbst brachte den beiden zwar nicht übertrieben viel
Vertrauen entgegen, wusste aber, dass B., Bruder und Schwägerin voll vertraute.
Der Brief wurde ziemlich lang. Das lag daran, dass meine Schwägerin dort im
Ausland mit sehnsuchtsvollen Augen auf Nachrichten aus der Heimat hoffte und
extra, um ganz sicher zu gehen, täglich ihren 'boy' zum post-office schickte.
Es könnte ja sein... Nun, mein längerer Brief sollte sie freudig überraschen
und vielleicht sogar ein wenig für mich einnehmen.
Ich
schrieb in der Hauptsache, wie es zwischen mir und B. stand und wie ich in
meiner Hin- und Hergerissenheit alles versuchte, die Wirklichkeit zu sehen und
gleichzeitig alles Schlimme daran zu übersehen oder doch zum mindesten dessen
Wahrnehmung zu verhindern. Es war eine Art va-banque-Spiel. Ich setzte mit dem
Brief alles auf eine Karte, mit der Gefahr, B. entweder ganz zu verlieren oder
der Aussicht sie mit einer breitflächig angelegten Sympathiewelle und
vermittelnden Worten der beiden aus dem Ausland für mich zurückzugewinnen.
Vieles
von dem, was ich schrieb, betraf meine Familie, die Kinder und die Bekannten.
Ich berichtete so gut ich konnte und so gut ich es wusste: "...B. geht es nach dem Besuch bei euch
anscheinend doch nicht so gut obwohl sie sehr gerne zu euch gereist ist und
sich wohl hauptsächlich durch das Beisammensein auch entspannt hat. Ich habe
sie nämlich, nach ihrer Rückkehr und das erste Mal nach unserer Trennung, auf
ein Glas Wein einladen können. Sie sagte mir Tage danach am Telefon, dass ihr
Kreislauf usw. durch die Begegnung mit mir sehr belastet worden sei. Ihr Herz
hätte wie verrückt geschlagen. Das machte mich traurig und ich habe zu ihr
gesagt: 'B., das war Herzklopfen.'
Sie:
'Du meinst, dass ich Herzklopfen wegen der Begegnung mit dir hatte? Das glaub
ich bestimmt nicht.'
Ich
habe ihr gesagt, dass ich seit meinem sechzehnten Lebensjahr, seit sie mir das
erste Mal über den Weg gelaufen war, dieses Herzklopfen kannte. Das war
siebenunddreißig Jahre her und seit dem mein ständiger Begleiter, wenn ich nur
an sie dachte oder sie sah. Für mich war das ganz normal. Siebenunddreißig
Jahre lang. Im Brief fuhr ich fort:
"...Ich
denke, dass es zurzeit das Wichtigste ist, ihr zu einer besseren Gesundheit zu
verhelfen. Ich werde ein Gespräch mit ihrem Arzt führen und mich beraten
lassen. Vielleicht kann ich dazu beitragen, dass sie sich wohler fühlt und sich
unser Verhältnis sogar wieder bessert.
...Ich
möchte alles tun, um sie gesund und fröhlich zu sehen, mit dem Ziel, ihre Liebe
zurückzugewinnen. Ich möchte das nicht so einfach ausschließen. Wenn ich nur
von der Situation ausgehe, dass dies für uns beide schlechte Zeiten sind, so
habe ich doch irgendwann einmal versprochen, auch in solchen Zeiten zu ihr oder
zu uns zu halten. B. tut sehr viel für die Schule. Das lenkt sie ab. Das ist
gut für sie. Sie hat aber schon in den letzten Jahren viel zu viel an sich
gearbeitet und enorme Schritte gewagt. Sicher wird sie dabei auf die
vorprogrammierten Schwierigkeiten gestoßen sein: mangelnde Anerkennung durch
die Kollegen, eigene Unsicherheit, und immer wieder an die eigenen Grenzen
stoßen.
B.
ist mutig und ich anerkenne alles, was sie macht. Ich bewundere auch ihre
anmutige, freundliche Art und ihr liebes, weibliches Lächeln. Damit verzaubert
sie viele. Dinge packt sie neuerdings aus eigenem Willen an. Natürlich hat sie
unsere Trennung auch nur mit diesem Mut bewerkstelligen und bis jetzt
durchstehen können. Das heißt nicht, dass sie alles richtig gemacht hat, aber
sie handelt jetzt wenigstens, wenn sie überzeugt ist.
In
den letzten Monaten, bis vor etwa vierzehn Tagen, habe ich, um mich von den
vielen Tränen und Verzweiflungsanwandlungen abzulenken, an einem Buch
gearbeitet. Das ist derzeit auf Reisen zu vier Verlagen. Es wäre nicht nur
Glück, sondern auch Zufall, wenn es angenommen
würde. Ich weiß, dass nur ein einziges von 100 eingesandten Manuskripten
angenommen, gedruckt und veröffentlicht wird. Es schildert, unter dem scheinbaren
Anlass von echten Tätowierungen an einem jungen Mädchen, die seelischen
Tätowierungen, die es eigentlich erfährt und hat. Es ist viel von B. dabei und
auch Selbsterfahrenes.
Ich
habe durch das getrennte Wohnen lästige Alltagsprobleme, zum Beispiel, weil ich
nicht selbst koche und in der Woche nur mit Kantinenessen versorgt werde.
Zu
B. habe ich kürzlich am Telefon gesagt: 'Ich muss hier meinen eigenen Fraß
essen und du kochst für andere, die dir überhaupt nicht nahe stehen.' Das war
auch ironisch gemeint, weil ich dabei an den 'Hungerkünstler', H, und unseren
ehemals gemeinsamen Freund, E, samt Tochter dachte. Die profitierten kräftig
von B.'s Kochkünsten.
Das
war aber Wasser auf ihre Mühle: 'Das sagst du? Wo du so oft über mein Essen
gemeckert hast...' usw. usw. Sie reagierte unerwartet heftig und ungewohnt
grob.
Naja,
sie hatte sicher recht, aber ich jetzt auch.
Wir
hatten gestern 20 Grad bei uns und heute sind mindestens noch einmal 18 Grad.
Das ist für diese Jahreszeit sommerlich warm. Morgen soll es wieder kühler
werden. Wenn's nach dem Wetter geht, müssten sich alle pudelwohl fühlen. Für
euch wäre das wohl schon wieder Rückbesinnung auf den Winter, oder?
H.,
du schreibst in deinem Brief, dass B. und ich ja noch jung genug wären, um
unserem Leben eine andere Richtung zu geben.
Das
ist für mich kaum denkbar. Ich glaube nicht, dass ich einfach, wenn Probleme
und Schwierigkeiten in der Ehe auftreten, das Recht habe, einen anderen Weg
einzuschlagen. Ich denke, dass ich das auf gar keinen Fall machen soll. Unsere
Probleme beginnen sich für mich zu konkretisieren und letzten Endes könnte sich
herauszustellen, dass eine Schuld nicht richtig greifbar ist. Bei uns sieht das
doch so aus:
B.
geht es gesundheitlich und seelisch nicht gut. Sie ist offenbar richtig krank.
In dieser Situation will ich sie auf keinen Fall sich selbst überlassen. Das
andere ist, dass ich leidenschaftlich an ihr hänge. Ich war bis jetzt
überzeugt, dass sie auch selbst von mir zurückerobert werden wollte. Das war
aber gerade mein Besitzanspruch an sie, der sie ganz offenbar so krank gemacht
hatte. Daraus ist auch meine dauernde Eifersucht entstanden. Hierüber bin ich
mir, seit ich eine Therapie begonnen hatte, sehr schnell klar geworden. Darin
sehe ich eine Möglichkeit, mein Verhalten zu verändern und uns letzten Endes
die Aussicht für einen gemeinsamen Neuanfang zu schaffen. Ich habe diese
Hoffnung, obwohl ich weiß, dass sich das noch alles in meinem Kopf abspielt und
der Krake in meinem Bauch ein Umsetzen in die Tat mit allen körpereigenen
Mitteln verhindert. Trotzdem spüre ich, wie sich dieses Geschwür, Eifersucht
und Besitzanspruch, mit jedem klaren Gedanken sogar aus den Fingerspitzen und
Zehen zu einem kleinen Häuflein zurück- und zusammenzieht. Eines Tages werde
ich vielleicht damit umgehen können.
B.
kann ich davon überhaupt nicht überzeugen. Das Gespräch mit ihrem Arzt soll nun
helfen, möglichst das Richtige zu tun.
Vielleicht
versteht ihr ein wenig, was ich meine, und dass mir die Lösung, 'neue Wege',
nicht gut genug zu sein scheint. Erst, wenn ich alles ausgeschöpft habe und mir
später keinerlei Vorwürfe machen muss, will ich daran denken. Wie gesagt, heute
bin ich noch voller Zuversicht. Übrigens würde ich wirklich gerne eure Einladung
nach Frankreich annehmen und noch einmal Urlaub auf dem Hof machen, aber
natürlich nur mit B., und ob das jemals etwas wird, hängt von so vielem ab. Ich
hoffe immer noch auf einen Mittler, dem B. traut und glaubt.
Seid
gegrüßt,“ usw. usw.
Wie
viele Briefe habe ich in der Zeit versandt, so oder ähnlich. Niemand traute
sich in eine zerbrechende Ehe, die über mehr als drei Jahrzehnte geführt worden
war, der drei erwachsene Kinder entsprungen waren, der einen oder anderen Seite
Mut zuzusprechen.
Die
im Ausland wollte ich nicht weiter auf dem Laufenden halten. So erfuhren sie
nichts von meinem Besuch bei dem Arzt. Dort verlief es aber so:
Als
ich in die Praxis kam, begrüßte mich eine freundliche Dame um die
fünfunddreißig. Sie war mit dunkelblauen Stricksachen, Rock und Jacke
gekleidet, und trug dazu eine weiße Bluse mit engem Kragen. Daran waren
Spitzen. Sie hatte fast schwarze Strümpfe an. Der Rock hörte oberhalb der Knie
auf. Sie sah B. sehr ähnlich. Das stimmte mich froh und traurig zugleich. Ihre
Stimme und die wenigen Worte, die sie sagte, um meine Adresse zu erfahren,
passten in die Ruhe des großen Flures. Dort stand ihr riesiger weißer
Schreibtisch. Die Dinge auf dem Tisch und der ganze Eindruck, den ich hatte,
ließen mich nicht an den Empfang in einer Arztpraxis denken, sondern eher an
ein Büro in einer Vorstandsetage.
Ihr
Luxussessel, auch ganz in Weiß, hätte besser dorthin gepasst, als an diesen
Ort. Ihre Stimme war warm, weich, zart und sie flüsterte fast, als sie mich
befragte. Ich antwortete normal, nicht zu laut, sah aber auch keinen Grund,
leise zu sprechen. Anfangs waren wir beide allein, dann kam ein hemdsärmeliger
Mann, so in meinem Alter, vielleicht ein wenig jünger, dazu. Er musterte mich
mit huschenden Blicken. Eigentlich bemühte er sich, mich nicht wahrzunehmen,
und wandte sich übertrieben der Dame zu, mit der er etwas zu klären zu haben
schien. Er tauchte mit seinem Gesicht tief in ihre Haare und tuschelte ihr
etwas ins Ohr. Dabei sah er mit schrägem Blick zu mir, grüßte, nickte halb und halb herüber
und zog sich auf leisen Sohlen schnellstens wieder zurück in sein
Zimmer. Er trug eine Lederweste über einem karierten Hemd. Dazu hatte er Jeans
an. In seinem Gesicht wuchs ein grauer Backenbart. Der war auf dem Kinn
ausrasiert. Es entstand so eine haarlose Schneise vom Hals bis zur Unterlippe
in einer Breite von etwa zwei Zentimetern. Er erinnerte mich an einen
Gartenzwerg. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass er der Arzt sein sollte.
Ich
nahm eine Lesemappe, setzte mich in einen flaumweichen Ledersessel und musste
notgedrungen auf die vielen gemalten Bilder sehen, die an der Flurwand hingen.
Der
Flur war gleichzeitig Wartezimmer. Alles hier war hell und in Weiß gehalten.
Alle Bilder hatten etwas Schreckliches gemeinsam. Sie zeigten Menschen, die mit
Doppelkörpern, Doppelgesichtern oder Doppelköpfen herumirrten. Sie irritierten
mich, machten mich schon beim ersten Anschauen nervös und stifteten so
Verwirrung. Die Gesichtszüge darin waren unfreundlich und die Blicke
rücksichtslos vorwurfsvoll auf den Betrachter gerichtet; die Bilder primitiv,
als hätten Kranke sie geschaffen. Sie schienen als abschreckende Beispiele hier
zu hängen: 'Seht, so kann es euch ergehen, wenn ihr nicht brav und gesund
seid.'
Sie
waren aufdringlich und bedrohlich. Ja, sie wollten mich einschüchtern. Der
Arzt, wer immer er war, trieb ein brutales Spiel mit mir, seinem Patienten.
Dagegen lehnte ich mich sofort auf.
Ich
musste noch ein paar Minuten warten, dann kam der Mann erneut aus seinem
Zimmer, ging wieder an mir vorbei zu seiner Empfangsdame, und eilte danach mit
Karteikarte und Zettel bewaffnet, auf mich zu. Er war also doch der Arzt. Er
begrüßte mich jetzt richtig und unerwartet freundlich und bat mich in sein
Zimmer.
Dort
drinnen war eine völlig andere Stimmung. Durch Bücherwände und eine geschickte
Aufstellung von Gegenständen, machte er sich mit einem dunkelbraunen übergroßen
Kippledersessel, der sich als ein Mantel um ihn legte und der hinter einem
schweren ebenfalls dunkelbraunen Schreibtisch stand, zum Mittelpunkt des ganzen
Raumes. Er saß im blendenden Licht vor dem Fenster, während ich dagegen
anblinzeln musste. Das ärgerte mich zusätzlich.
Ich
sollte mich setzen. Mein Sessel, genauso dunkelfarbig, hatte, außer Armlehnen,
nicht solche Bequemlichkeiten wie seiner. Während er sprach, konnte er nämlich
genüsslich in seinem Sessel hin und her schaukeln. Ich dagegen konnte nur auf
dem glatten Ledersitz nach vorne rutschen und musste mich im übrigen an seiner
Schreibtischkante abstützen, wenn ich ihm näher sein wollte oder um deutlicher
erklären zu können.
Ich
bekam den Eindruck, dass der Arzt nicht ehrlich war und es vor allen Dingen
nicht sein wollte. Während des Gespräches vermied er anfangs jeden Blickkontakt
mit mir und sah nur solange auf oder zu mir, wie es unumgänglich war, um eine
Frage oder eine Antwort loszuwerden. Manche Frage stellte er, indem er auf
seiner Karteikarte herumschrieb und überhaupt nicht aufschaute. Ich dachte,
dass er wohl selbst Probleme hätte. Er bestätigte mir dann jedoch in sehr vernünftigen
Worten und in einer mir verständlichen Sprache, dass B. bei ihm in
therapeutischer Behandlung sei: "Ich führe dieses Gespräch mit Ihnen mit
dem Einverständnis Ihrer Frau und ich werde ihr auch danach davon
berichten."
Ich
trug ihm also mein Anliegen vor: "Ich möchte in Zukunft alles Erdenkliche
tun, um meiner Frau bei der Gesundung zu helfen. Ich möchte wissen, was ich
machen kann, damit durch mich nicht noch größere Fehler passieren, als sie
vielleicht jetzt schon geschehen sind."
Das
hörte er sich sehr aufmerksam an: "Es ist sicher, dass das, was ihre Frau
durchmacht, nicht mit einem Verschulden von Ihnen als Partner zusammenhängt
oder so zugewiesen werden kann. Das Problem ist einzukreisen auf gewachsene
Umstände, auf eine über Jahrzehnte geduldete, beidseitige Rollenaufteilung.
Jedem
Mann an Ihrer Stelle wäre es genauso ergangen. Bei Ihrer Frau beginnt alles in
der Kindheit. Das ging so weiter, bis sie Sie traf. Sie waren nur eine
Fortsetzung des bestehenden Zustandes. Das ist so. Sie beide waren in der Ehe
jeweils Kind gegenüber ihrem Partner und wiederum für jeden von Ihnen
Elternersatz. Gleichzeitig strebten Sie die Zusammenführung der Rollen eines
jeden von Ihnen in das eigentliche partnerschaftliche Verhältnis an. Jeder
sollte darin dem anderen Vater, Mutter und Partner zugleich sein. Das musste zu
Spannungen führen. Das konnte nicht ewig halten."
Dann
fragte er mich: "Kann es sein, dass bei Ihnen noch hinzukommt, dass Sie
Schwierigkeiten haben, die Wünsche Ihrer Partnerin zu verstehen und sie zu
berücksichtigen?"
Das
war eine gute Frage. Die wollte ich ehrlich beantworten und sagte: "Das
ist leider sehr wahrscheinlich. Ja, ziemlich sicher sogar." Gleichzeitig
dachte ich, dass es nicht nur eine geschickte Frage von ihm war, sondern
zugleich ein Ablenkungsmanöver sein konnte. Er hatte mich nämlich in sein
Wissen um seelische und andere Zustände meiner Frau so einfach mit einbezogen.
Ich fand das unerhört. Er tat so, als wären meine Frau und ich eineiige
Zwillinge, als hätten wir eine vergleichbare Kindheit erlebt, indem er von mir
vermutete, was er nur von meiner Frau über mich hatte erfahren haben können.
Als Arzt hätte er sich diese Blöße nicht geben dürfen. Es war eine unzulässige
Unterstellung und eine maßlose Unterschätzung meiner Person. Das musste ihm im
selben Augenblick schlagartig klargeworden sein. Vielleicht hatte er seinen
Fehler auch an meinem Gesicht abgelesen und wollte ihn nun nicht mehr zugeben
oder richtig stellen. Er machte mit dem, was er sagte, eine Art Flucht nach
vorne und versuchte mich zu umzingeln. Ich konnte mich gegen die Einbeziehung
so schnell nicht wehren. Das brachte mich in Wut und raubte den Rest des
Vertrauens, dass ich zu ihm hatte, völlig. Ich war empört und enttäuscht; als
er fortfuhr: "Bei Ihrer Frau ist der Bogen, nicht gehört und verstanden zu
werden, überspannt. Er ist zerbrochen. Das ist auch so schnell nicht in Ordnung
zu bringen. Das kann eins, zwei, drei Jahre dauern. Sie wollten ja einen Rat
von mir haben. Deshalb kann ich Ihnen nur sagen, finden Sie sich damit ab. Sie
sollten von nun an ganz für sich selbst sorgen. Denken Sie nur noch für sich
selbst. Das muss auch Ihre Frau lernen. Am meisten Annäherung, wenn diese denn
irgendwann und unter ganz anderen Umständen jemals möglich sein wird, erreichen
Sie nur, wenn Sie ihre Frau völlig in Ruhe lassen."
Ich
antwortete enttäuscht: "Aber wir werden uns dann doch immer weiter
voneinander entfernen, und wie sollen wir uns jemals wiederfinden."
"Das
müssen Sie abwarten und auf sich zukommen lassen können. Je mehr Sie nichts
tun, desto mehr tun Sie für Ihre gemeinsame Sache, falls es denn jemals wieder
eine geben wird."
"Ich
bin der Meinung, dass meine Frau seelisch und körperlich leidet, dass sie krank
ist." Darauf nickte er.
"Wenn
meine Frau also krank ist, kann ich sie doch nicht sich selbst überlassen. Das
halte ich einfach für unfair. Trotzdem werde ich mich nach dem richten, was Sie
mir raten und sie so vollständig wie möglich in Ruhe lassen. Ich werde mich
aber, solange sie krank ist, nicht völlig von ihr abwenden können, selbst wenn
sie es von mir verlangen sollte." Er sah mich zweifelnd an.
Ich
fuhr fort: "Es gibt da noch so eine Sache mit den Begriffen. Meine Frau
sagt zu mir, dass sie sich mit mir versöhnen möchte. Darunter versteht sie
aber, dass sie mit mir in freundschaftlichem Verhältnis Umgang haben möchte.
Auf keinen Fall will sie darunter die Wiederaufnahme unserer Ehe
verstehen."
Er:
"Was sagt sie denn dazu?"
"Wozu?
Zur Ehe?"
"Ja."
"Sie
sagt: 'Ich möchte mich sehr gerne nach wie vor mit dir unterhalten mit dir reden können. Ich möchte aber nie, nie, niemals wieder eine Ehe
mit dir führen. Unter keinen Umständen."
Der Arzt: "Sie müssen es lernen, diesen Wunsch Ihrer
Frau, so, wie sie ihn sagt, zu akzeptieren. Sie versteht unter Versöhnung also
etwas anderes als Sie. Aber ich möchte ja in diesem Gespräch nicht Sie
therapieren sondern Ihnen nur raten und Fragen, die Sie haben, beantworten. Sie
sollten sich ganz darauf einstellen, dass Ihre Frau nicht zurückkehren wird.
Und wenn es jemals für Sie beide eine gemeinsame Basis geben sollte, dann nur
unter völlig anderen Vorzeichen, wie sie in jeder neuen Liebesbeziehung
vorhanden sind. Das sagte ich ja schon. Das ist gewiss ein Schock für Sie.
Damit sollten Sie aber umgehen lernen. Es ist deshalb für Sie ganz wichtig,
dass Sie ebenfalls in einer Behandlung sind. Sie können sich nicht alleine
helfen. Sie müssen in Ihrer Lage Hilfe von außen suchen und in eine Therapie
gehen."
Ich schwieg einige Sekunden, weil ich dem nicht zustimmen
wollte. Erstens, dachte ich, spricht er über Dinge, die sich nur im Herzen von
B. abspielen. Er mag ja recht haben, aber er kann sich dessen nicht so
unbedingt sicher sein. Zweitens hat er den großen Fehler begangen und die
vermeintlichen Probleme meiner Frau einfach auf mich übertragen, und drittens
spricht er davon, dass ich in eine Therapie gehen müsste. Das finde ich nun
auch nicht für jeden machbar. Wie viele Menschen müssen sich selbst helfen oder
müssen ihren Kummer und ihr Leid ertragen, ohne Hilfe von außen bekommen zu
können. Viele kämpfen vielleicht auch mit innerem Anstand darum, weil sie
überzeugt sind, dass es schmerzhafte Erfahrungen geben
muss, dass Leid und Freude, Liebe und Enttäuschung durchlebt
werden sollen. Ich dachte an etwas, das mir in dem Augenblick einfiel. Eine
Kollegin hatte gerade ihren Mann durch eine unheilbare Krankheit verloren.
Nach Monaten der Trauer hatte sie zu ihrer Freundin
gesagt: 'Nun will ich nicht mehr wachsen.' Das hatte die wiederum mir erzählt.
Ich verstand den Satz nicht, so dass die Freundin ihn mir erklären musste: 'Man
wächst doch mit dem Leid. Und nun will sie nicht mehr wachsen.' Da habe ich
erst verstanden, was los war.
Zum Arzt sagte ich: "Es ist schon wieder ein
Ostergruß von mir an meine Frau unterwegs. Kann sie den denn verkraften?"
Er: "Sie muss es lernen, damit umzugehen."
Ich: "Meine Frau hat mir schon zweimal am Telefon
gesagt, dass sie sehr unter dem leidet, was sie mir angetan hat, und ich will nicht
so tun, als ob sie mir nichts angetan hätte. Immerhin hat sie mich aus der
Wohnung geschmissen, und genießt mit den Kindern alles, was mir lieb und wert
war, die Wohnung, das Daheim, auch den persönlichen Luxus. Meine Familie hat
vier Autos und ich habe keines. Es ist mir aber das alles nicht wert, dass sie
deswegen und zusätzlich Seelenqualen erfährt. So kann sie doch erst recht nicht
gesund werden. Diese Qualen sind doch zusätzlich und neu!"
Ich fuhr fort und unterschlug dabei die Bitterkeit:
"Ich möchte, dass Sie meiner Frau sagen, dass sie mir
letzten Endes nichts angetan hat. Ich komme ja ganz gut zurecht. Ich möchte Sie
auch bitten, ihr zu sagen, dass ich keine Wut auf sie habe, dass ich ihr nicht
böse bin und sie nicht hasse, höchstens dass ich darunter leide, nun auch noch
hören zu müssen, dass sie sich unter neuen Gedanken quält. Vielleicht ist sie
froh, das zu erfahren. Vielleicht erleichtert sie das. Können Sie ihr das so
ausrichten?"
Der Arzt: "Darüber wurde in der Gruppe mit Ihrer Frau
bereits gesprochen, aber Sie können ihr das nicht abnehmen. Sie muss da durch
und ich sagte ja, dass ich mit Ihrer Frau über dieses Gespräch reden
will."
Im Laufe der letzten Sätze hatte er sich mir völlig
zugewandt, so dass sich das Gefühl etwas verlor, unehrlich von ihm behandelt
worden zu sein. Richtig munter und aufgekratzt wurde er aber erst, als er mich
fragte: "Ich weiß noch nicht genau, ob ich dieses Gespräch bei Ihrer Frau
mit unterbringen soll..."
Aha, er war schon bei der Abrechnung.
Ich fragte: "Wieso bei meiner Frau? Schicken Sie mir
die Rechnung. Das ist dann in Ordnung."
Er: "Sie sind doch in der Kasse, nicht wahr?"
Ich: "Ja."
Aber er hatte schon weiter überlegt: "... also ... das
machen wir dann ... ja, so geht es ... das reichen Sie dann bei Ihrer Kasse ein
und dann bekommen Sie wenigstens zwei Drittel der Kosten ... nicht wahr ... Sie
verstehen doch ... ja? Also, sie melden sich vielleicht in einem viertel Jahr
wieder bei mir und wir könnten mit dem Einverständnis Ihrer Frau ein weiteres
Gespräch führen."
Damit schob er mich aus der Tür und ich stand im Flur.
Er
kam nach mir heraus und zog vorbei zu seiner Dame. Der flüsterte er wieder
intim ins Ohr. Dabei sah er flüchtig auf eine junge Frau, die meinen vorherigen
Platz eingenommen hatte. Ihr sandte er die gleichen fahrigen Blicke wie anfangs
mir zu. Dann ging er zurück in sein Zimmer. Von dort rief er die Frau auf, kam
ihr aber gleichzeitig entgegen, und begrüßte sie freundlich und zuvorkommend.
In
einem Punkt hatte der Arzt mit Sicherheit recht. Die Trennung von B. war ein
schwerer Schock für mich. Es war ein Schock, den ich mit einem Erdbeben
vergleichen musste. Es war ja nicht genug damit getan, dass alles für mich viel
zu plötzlich gekommen war sondern dass ich den direkten Kontakt zu ihr von
einer Minute zur anderen verloren hatte. Gespräche, Fragen, Rufe gingen ins
Leere, ihre Nähe konnte ich nicht mehr spüren, ihr Dasein war verlorengegangen,
alles was sie an Spuren überall hinterließ, konnte ich nicht mehr ausmachen.
Mir fehlte ihr Körpergeruch, das Rauschen, Rascheln ihrer Kleider, ihre
Kleidung, ihre Bewegung, ihre Stimme, ihre Sprache, ihr Lächeln, ihr Kommen und
ihr Gehen. Mir fehlten ihre spontanen Einfälle zu meinen Bildern und meinen
Gedichten, ihre Intuitionen, die sie für mich aus einer anderen Welt
herübertrug, ohne sich darüber bewusst zu sein. Sie fehlte mir als Muse am
allermeisten. Dazu muss man wissen, dass ich zwei Musen hatte. Erstens B. und
zweitens eine ihrer Freundinnen, jedenfalls eine Kollegin, mit der sie sich des
öfteren traf. Eine Muse zu haben ist für mich unerlässlich, eine Notwendigkeit.
Wer die Abhängigkeit von ihr nicht kennt und nicht weiß, wie unersetzlich sie
ist, dass neben ihr im besten Fall nur andere, schwächere Musen bestehen
können, kann auch nicht wissen, wovon ich spreche. Seine Muse zu verlieren,
heißt dem Tod begegnen. Jeder, der eine Muse hat, fürchtet diesen Augenblick.
Der
Anblick der Freundin reichte aus, um mich mit den überraschendsten Einfällen zu
versorgen. Alles in mir überschlug sich, wenn ich sie nur sah. Ihr Anblick war
ein Sprung in aufgewühltes Wasser, aus welchem ich mich zugleich retten musste.
Bei B. war es aber so, dass mich ein ungleich größeres Gefühl, ein viel
farbenprächtigerer Gedankenreichtum überfiel, sobald ich sie irgendwo und
irgendwie berührte. Ich lud mich an ihr auf, so direkt, wie die Berührung
stattfand. Ihr Verlust war am allerschmerzlichsten, der verwundete mich am
tiefsten, er beschädigte meine Seele. Es riss eine Nabelschnur, mit der ich an
B. bis dahin getreulich gebunden war. Ich hatte sie als ein Geschenk empfunden,
indem sie sich selbst an mich weitergegeben hatte, und nun passierte dies. Ich
war bis zur Handlungsunfähigkeit getroffen. Ich erkannte keinen anderen Weg,
als das zu tun, was sie von mir verlangte, und zog aus unserer gemeinsamen
Wohnung aus. Im Laufe der nächsten Wochen aber erst stürzten die Gebäude meines
bisherigen Lebens eines nach dem anderen richtig über mir zusammen. Unter jedem
der Trümmer wurde ich begraben, neu verletzt, getötet und wieder zum
Weiterleben gezwungen. Es fiel mir schwer, mich gegen Selbstmitleid zu schützen
und vor Gedanken an Selbstmord zu bewahren.
Unrecht
hatte der Arzt allerdings in der Meinung, dass er der Vermittler dieser
Erkenntnis sei. Damit unterschätzte er mich als den Betroffenen. Besser wäre es
gewesen, er hätte mich nachhaltig auf den Verdrängungsmechanismus hingewiesen,
der sich dauernd in mir abspielte. Selbstverständlich wollte ich das Endgültige
nicht wahrhaben. Die eigentliche Gefahr lag darin, mit dem Kopf etwas zu
verstehen, und es mit dem Herzen nicht wahrhaben zu können.
Bis
heute ist mir nicht klar, ob es richtiger ist, das mit dem Kopf Verstandene in
die Tat umzusetzen oder dem Willen des Herzens und der ganzen Gefühlswelt zu
folgen und ihr freien Lauf zu lassen. Wahrscheinlich verhielt ich mich in
meinem Zwiespalt, meinem Aufbegehren, ganz normal.
In
der ersten Zeit versuchte ich die Gründe, die zur Trennung geführt hatten,
herauszufinden. Immer wieder fragte ich mich nach dem 'Warum'. Bis ich endlich
begriff, dass ich einen Gesprächspartner brauchte. Alleine konnte ich das nie
herausfinden.
Ich
begann also mich mit dem Gedanken zu befassen und hatte wenig später den
mutigen Einfall, mich um eine neue Partnerin zu kümmern.
Dazu
suchte ich aus der Zeitung geeignete Anzeigen heraus und stellte mich mit
Antwortschreiben vor. Ich war dabei so ehrlich wie möglich und schrieb, dass
ich zwar getrennt lebte aber eben noch nicht geschieden sei. Das war sicher der
Grund für die Damen, nicht zu reagieren, denn ich bekam praktisch nur zwei
Antworten. Gemessen an meinen vielen Schreiben, war das nichts.
Eine
der Frauen, die geantwortet hatten, traf sich tatsächlich mit mir. Der
Treffpunkt lag ganz in der Nähe meiner Wohnung. Zu der Zeit war mein Telefon
nicht in Ordnung, so dass ich auf die Absprache mit ihr angewiesen war. Sie
konnte den Termin aber nicht pünktlich einhalten. Ich wartete in lausiger Kälte
über eine halbe Stunde lang umsonst. Als ich endlich gehen wollte, und ich war
letzten Endes sogar froh, als alles ins Wasser gefallen zu sein schien, kam
eine muntere Dame auf mich zu, stellte sich kurz vor und befragte mich sofort
nach meinem Telefon, denn sie sagte:
"Ich
hatte mehrfach versucht, Sie zu erreichen. Ich konnte nicht pünktlich
sein."
Sie
war also die Erwartete. Sie machte deutlich, dass sie zu den Frauen gehörte,
die gleich alles überblickten und sich ihrer Sache in allem sicher waren.
Dagegen habe ich nichts, weil sie einem manchmal unbequeme Wege abnehmen
können.
Der
Nachteil solcher Menschen aber ist es, dass sie in ihrer Art zu bestimmen, über
den Partner verfügen und immer sicher sind, das Richtige für beide zu wissen.
Das bekam ich schnell und deutlich zu spüren. Wir gingen zunächst in ein Cafe
und unterhielten uns sehr angeregt.
Sie
erzählte mir von sich und ich erzählte ihr von mir, so dass sie von meinen
Bildern erfuhr. Ich zeigte ihr auch Fotos davon.
Sie
redete viel, und ich denke, dass auch ich viel sprach. Dann gegen sechs, als
das Cafe schließen wollte, waren wir die letzten und mussten hinaus. Ich fand
alles für den Anfang ganz gelungen und wollte mich nun verabschieden.
Sie:
"Ich finde wir sollten noch einen Spaziergang machen. Finden Sie nicht
auch?"
Wir
zogen also entlang dem kleinen Flussufer durchs spärliche Grün. Es war leider
für diese Jahreszeit viel zu kalt, und ich wurde unlustig. Das musste sie
gemerkt haben, denn sie meinte, dass sie gesundheitlich angeschlagen sei:
"Sein Sie bloß vorsichtig. Sie können sich an mir nur anstecken. Es sei
denn, dass Ihnen das nichts ausmacht."
Doch,
das hätte mir etwas ausgemacht. Ich fragte also: "Was haben Sie
denn?"
Sie:
"Keine Leiden, ich bin nur dauernd erkältet."
Ich:
"Dann sollten wir lieber nicht so lange spazieren gehen. Wir sollten
besser umkehren."
Das
sagte ich, weil sie mir leid tat und weil ich dachte, dass das sowieso für ein
erstes Kennenlernen ausreichte.
Sie
willigte ein.
Ich
sah mir dann ihr Gesicht sehr kritisch an. Eine Schönheit war sie nicht. Das
sollte grundsätzlich nicht viel bedeuten. Ihr Gesicht weckte aber auch nicht
den Wunsch in mir, mich gerne und länger in ihrer Nähe aufzuhalten. Aus all
diesen Gründen fand ich, dass wir ruhig umkehren konnten.
Als
wir wieder bei ihrem Auto waren, kam sie auf eine Idee: "Ich bin jetzt
richtig neugierig geworden auf Ihre Bilder. Sie wohnen doch nicht weit von
hier. Wollen Sie mir die nicht zeigen?"
Ich
fand das nett von ihr, denn meine Bilder zeigte ich gerne. Ich hatte aber
zugleich ein schlechtes Gewissen, weil ich dachte: 'Nun hast du ihr so viel von
deinen blöden Bildern erzählt, dass sie sich verpflichtet fühlt, sich die
anzusehen'. Das wollte ich ihr nicht unbedingt antun.
Deshalb
sagte ich: "Sie sagen das jetzt nur aus Höflichkeit. Ich würde sie Ihnen
auch gerne zeigen, aber ich denke, dass das zu aufwendig ist. Meine Bilder sind
wie die von vielen anderen, da ist bestimmt nichts besonderes dran. Die zeige
ich Ihnen lieber später mal, ok?"
"Nein,
nicht ok. Ich finde wir sollten sie uns jetzt ruhig ansehen. Es sei denn, dass
Sie das nicht wollen. Das wäre natürlich etwas anderes." "Doch, doch.
Das möchte ich schon. Ich denke nur, dass Sie sich vielleicht verpflichtet
fühlen, sich die anzusehen, nur weil ich davon erzählt habe". Wir fuhren
mit ihrem Wagen zu mir, parkten und gingen in die Wohnung. Die liegt in einem
Hochhaus. Das war wirklich nicht weit entfernt.
Sie
fühlte sich bei mir gleich wie Zuhause. Meine Nachbarin kam herüber, weil sie
eine Nachricht für mich hatte. Der stellte sie sich selbst vor. Das fand ich
stark. Das zeugte von Selbstbewusstsein, und es gefiel mir irgendwie. Dann
waren wir wieder allein.
Ich
holte etwas zu trinken und dann meine Mappen. Sie zeigte große Aufmerksamkeit,
hatte gute Fragen und kannte sich bestens aus. Ihr Interesse war also ehrlich
gewesen. Es war inzwischen so spät geworden, schon nach zehn, dass ich dachte,
nun müsste sie von sich aus gehen wollen. Daran würde ich sie auch nicht
hindern. Sie blieb aber und wollte die ganze Wohnung sehen. Ich zeigte ihr die
wenigen Räume. Im Schlafzimmer blieb sie vor dem mit einem großen Bettlaken
abgedeckten aber sonst richtig bezogenen zweiten Teil des Doppelbettes stehen:
"Da hinein kommen dann die Neuerwerbungen, oder?"
Ich
war so überrascht von ihrer Frage, dass ich verlegen lachen musste. Die
Verlegenheit kam aus zwei Gründen. Erstens hatte ich das Bett zugedeckt, weil
ich es nicht brauchte. Eine Partnerin war ja gerade das, was mir fehlte. Und
zweitens unterstellte sie mir einen lockeren Umgang mit Bekanntschaften, in die
sie sich auf diese Weise selbst einreihte. Darüber wurde ich ärgerlich, denn
das zweite Bett war in meinem Herzen immer noch für B, reserviert und nur, wenn
es alles, alles anders kommen sollte, konnte es für eine neue Herzensdame sein.
Dieses Bett stand zwar in meinem Schlafzimmer, mir aber eigentlich nicht
wirklich zur Verfügung. Ich sagte deshalb ganz ehrlich zu ihr:
"Das
Bett ist so unbenutzt, wie es gekauft wurde. Da hat noch keine Frau drin
geschlafen." Ich sagte es so ehrlich, dass sie es mir abnahm. Sie guckte
mich zwar ein wenig ungläubig an, aber mehr wegen der Tatsache, dass es so
etwas geben sollte, als dass sie Zweifel an meinen Worten gehabt hätte. Ich
bekam den Eindruck, dass ihr gefiel, was ich geantwortet hatte, denn sie sagte
langsam: "Aha".
Wir
gingen wieder ins Wohnzimmer zurück und ich dachte: 'Die Frau will ganz
offenbar noch ein wenig bleiben. Gut. Das ist ja nicht schlimm'. Ich fragte
deshalb: "Soll ich uns ein kleines Abendbrot machen?"
Sie:
"Ja, das wäre schön."
Ich
ging in die Küche, durch einen Vorhang hindurch, so dass ich weiter mit ihr
reden konnte und schnitt ein paar Brötchen auf. Ich deckte den Tisch und
ärgerte mich darüber, dass sie keinerlei Anstalten machte, mir zu helfen. Sie
kam nicht einmal in die Küche, um sich umzuschauen.
Ich
dachte plötzlich: 'Wenn die denkt, dass ich mit ihr so einfach ins Bett hüpfe,
dann irrt sie sich gewaltig.'
Ich
musterte trotzdem ihren Körper etwas genauer und suchte nach Reizen, ob ich
denen vielleicht erliegen könnte, und war mir meiner Sache nicht mehr so
sicher.
Sie
rief unvermittelt, als hätte sie meine Gedanken erraten, in die Küche:
"Ihr Schlafzimmer gefällt mir. Das sieht gemütlich aus."
Ich:
"Ja, das ist eine Neuanschaffung." Mehr sagte ich nicht dazu. Spät um
halb zwölf saß sie immer noch bei mir.
Ich
hatte Wein aufgemacht und wir tranken den verdünnt mit sehr viel Sprudel. Wir
duzten uns inzwischen und alles hatte sich ein wenig entkrampft. Sie hieß V.
Zufällig
sah ich auf ihre rechte Hand, die gerade das Weinglas anhob.
Sie
führte es nicht zum Mund, sondern als ob ihr jemand einen Stoß gegeben hätte,
schoss das Getränk aus dem Glas nach hinten heraus und ergoss sich über ihre
Bluse.
Ich
fand das witzig, weil es so unerwartet kam, und musste lachen.
Sie
war über ihre Ungeschicklichkeit etwas empört, sah mit schnellen Blicken zu mir
und versuchte sich die Bluse auf ihrer Brust mit einer Serviette trocken zu
wischen.
Es
war eine feuerrote Seidenbluse, und der schwachrosa Wein konnte der nichts
anhaben. Sie selbst war aber darunter ganz nass geworden.
Ich
sagte: "Du, V., das macht nichts, ich kann dir von mir ein Hemd geben. Die
Bluse ziehst du einfach aus und wäschst sie bei dir Zuhause."
Sie:
"Das ist gut. Danke."
Sie
stand auf und ging mir voran gleich los ins Schlafzimmer. Ich holte sie ein,
machte den Schrank auf, zeigte ihr, wo meine Hemden hingen. Dann gab ich ihr
noch ein frisches Handtuch und überließ sie ihrer Umkleiderei.
Im
Wohnzimmer legte ich eine Platte auf und schöpfte erst einmal Atem. Die
Schallplatte war schon über die Hälfte abgespielt, aber sie kam nicht zurück.
Das
konnte ich nicht verstehen. Sie brauchte viel zu lange für sich. Das machte
mich stutzig und misstrauisch.
Ich
sagte wieder zu mir: 'Die kann doch nicht gleich am ersten Tag schon mit dir
ins Bett wollen.'
Dann
dachte ich: 'Vielleicht fehlt ihr etwas und sie traut sich nicht zu fragen.'
Deshalb ging ich zurück. Sie hatte die Schlafzimmertür nicht abgeschlossen. Sie
stand dort in einem meiner Hemden. Es war ein Ungebügeltes, das ihr gefiel. Sie
sah darin zehnmal besser aus, als in ihrer roten Bluse.
Ich
sagte: "Hm, das steht dir bestens. Fast so gut wie deine Bluse."
Sie:
"Meine Bluse ist ein ganz besonderes Stück. Die habe ich vor vielen Jahren
gekauft und ich trage sie nur sehr, sehr selten." Sie betonte das 'sehr,
sehr', und ich musste nun wissen, dass ich also ein besonderer Anlass gewesen
war. Mit meiner vorsichtigen Äußerung hatte ich noch einmal Glück gehabt.
Sie
nahm nun ihre rote Bluse, zog wie selbstverständlich damit ins Badezimmer, fand
sofort alles, was sie brauchte und begann sie ganz langsam und vorsichtig im
Waschbecken zu reinigen und zu spülen.
Zu
meiner Überraschung färbte sich das Wasser rot, als wäre Blut darin. Sie sah in
mein Gesicht und erklärte mir: "Das ist alles noch Farbe von der Bluse,
kein Wein." Sie lachte leicht auf. "Wenn ich die ein bisschen an die
Heizung hänge, kann ich sie fast trocken mitnehmen."
Ich
dachte: 'Mein Gott. Sie will auch noch Wäsche trocknen, das kann ewig dauern.
Das kann doch alles nicht wahr sein.'
V.
sagte: "Ich versteh' gar nicht, wie das passieren konnte. Ich kann mir das
nicht erklären."
Ich
überlegte: 'Wenn sie das ganze nur eingefädelt hat, um einen Grund zu finden,
sich hier auszuziehen, dann hätte sie doch zum mindesten so weit gehen und sich
mir verführerischer zeigen müssen. Das hatte sie aber nicht getan, oder ich
hatte es nicht bemerkt.
Ich
war geneigt, ihr das Missgeschick zu glauben.
Sie
hängte ihre Bluse vor die Heizung. Nach einer knappen halben Stunde, in der sie
sich nun endlich zum Gehen entschlossen hatte, war die völlig trocken.
Ich
dachte: `Jetzt wird sie sich wohl noch einmal umziehen müssen, um das Hemd
loszuwerden. Das wird wieder dauern."
Das
tat sie aber nicht.
Stattdessen
fragte sie: "Darf ich das Hemd anbehalten?"
Es
war ein grünweißgestreiftes Hemd, welches ihren schlanken Körper in eine
anmutige Sportlichkeit hüllte und ihre Figur wirkungsvoll nachzeichnete. Es war
wie für sie gemacht und viel vorteilhafter als die rote Bluse. Bei deren
warmfeuchtem Rot verspürte ich den Hauch einer Azalee, die ihre Farbenpracht
mit einer übernervösen Sinnlichkeit zur Schau stellte. Ihr jetziges Aussehen
erleichterte mich. Sie wurde mir fast vertraut.
"Ja,
natürlich."
Ich
war froh: "Auf ein Hemd mehr oder weniger kommt es mir bestimmt nicht an.
Es ist zwar noch nicht einmal gebügelt, aber es steht dir wirklich sehr
gut."
Ihre
Frage war mir wie eine Erlösung vorgekommen.
Draußen
hatte ein unangenehmer Schneeregen eingesetzt. Deshalb dauerte das Abschied
nehmen nicht lange. Sie machte gleich fest, dass sie sich, auch wegen des
Hemdes, wieder melden würde und startete zu sich nach Hause. Als sie außer
Sichtweite war, atmete ich durch. Die Frau hatte mich geschafft. Ich weiß nicht
warum, aber ich war fertig.
Die
würde ich von mir aus nie wieder anrufen. Mit dem Gedanken ging ich in die
Wohnung, trank ein Bier und ging Schlafen.
Ich
vergaß die ganze Geschichte schon innerhalb der nächsten zwei, drei Tage.
Plötzlich aber war sie wieder in der Leitung: "Hier ist V. Wie
geht's?"
Ich
stammelte vor Überraschung und flüchtete mich in eine Höflichkeit: "Gut
danke. Vielen Dank für den netten Abend neulich. Bist du gut nach Hause
gekommen?"
"Ja,
sehr gut. Ich habe noch lange über unser Treffen nachgedacht. Ich meine, dass
wir uns noch einmal treffen sollten. Ich denke, dass das Sinn hat. Was meinst
du dazu. Übrigens habe ich dein Hemd wunderbar gebügelt und möchte es dir gerne
wiedergeben."
"Ach,
das Hemd. Ja, richtig. Das ist doch gar nicht so wichtig. Aber wir können uns
schon noch 'mal treffen. Hast du einen Vorschlag?"
Sie
gleich: "Ja, ich sagte dir ja, dass ich in einem Chor singe. Vielleicht
magst du hinkommen und bei einer Aufführung zuhören. Vielleicht kann man dann
hinterher etwas machen. Was meinst du."
Sie
hatte mir tatsächlich von ihrem Chor erzählt. Das hatte mir gefallen, weil ich
selbst einmal eine Zeitlang Chorsänger gewesen war. Damals hatte ich im Tenor
gesungen. Tenöre, das weiß jeder, sind knapp. Auf die machen alle Jagd. Die
werden auch immer ein wenig verhätschelt. Denen spielt man die Melodie gerne
einmal mehr als anderen vor und lieber einmal mehr als einmal zu wenig.
Ich
sagte deshalb zu ihr: "Wollt ihr mich einfangen?"
"Nein,
aber vielleicht findest du ja wieder Gefallen am Chorsingen und machst mit.
Komm doch bitte und höre zu."
"Mitsingen
werde ich bestimmt nicht, weil mich das zu sehr anstrengt, aber gut, ich komme
hin."
Wir
besprachen Uhrzeit und Tag, und während des Gespräches wiederholte sie
mindestens dreimal, dass sie mein Hemd mitbringen würde und dass es wunderbar
gebügelt wäre.
Dann:
"Du wirst doch wirklich kommen?"
"Ja,
ich komme, ganz bestimmt."
Ich
ging hin. An der Kasse lag keine Karte für mich bereit. Das enttäuschte mich
ein wenig. Vor Beginn der Aufführung war sie nicht zu sehen. Es wäre noch Zeit
genug gewesen, aber sie ließ sich nicht blicken. Ich dachte mir, dass sie das
wohl wegen des Einsingens nicht einrichten konnte.
Als
dann der Chor auftrat, suchte sie sofort mit den Augen die Reihen ab. Ich
beobachtete, wie geschickt sie dabei vorging. Sie begann, ganz systematisch mit
der ersten Reihe und hatte mich so nach wenigen Reihen erspäht. Sie lächelte
einmal freundlich herüber und suchte auch während der ganzen Aufführung mit mir
Blickkontakt zu halten. Das war sehr mutig, denn dadurch musste sie ja jedes
Mal den Dirigenten vernachlässigen.
Nach
dem Singen hatten sich die etwa fünfzig Zuhörer schnell verteilt und ich
wartete immer noch in der Bank auf sie.
Das
dauerte und dauerte.
Ich
konnte mir nicht erklären, was sie am Kommen hinderte. Ich war drauf und dran
zu gehen. Da erschien sie und setzte sich zu mir, wie eine Mutter zu ihrem Kind
in die Reihe.
Wir
waren alleine, ganz unter uns.
Sie
hatte Pläne für das bevorstehende Wochenende für uns und holte während des
Erzählens das Hemd aus einer Tasche. Sie überreichte es mir, als hätte sie
einen Schatz.
Ich
sagte: "Bügelst du auch nach Zeit?“ Sie verstand mich nicht: "Was für
Zeit?" "Na, dass du dir vornimmst, das Bügeln eines Hemdes darf nicht
länger als soundso viele Minuten dauern“, und gleich dazu, "bei mir dauert
ein Hemd viereinhalb Minuten. Dann ist es gebügelt. Ich nenne das 'Olympiade
auf dem Bügelbrett', ohne Doping, also ohne Sprays natürlich."
Sie
sah mich völlig fremd an. Sie verstand kein Wort.
Stattdessen
sagte sie vorwurfsvoll: "An deinem Hemd habe ich über eine dreiviertel
Stunde gebügelt." Und dann gleich, als ich es wegstecken wollte:
"Schieb das nicht so einfach in deine Tüte, bitte. Mach das ordentlich.
Gib mal her." Ich staunte.
Ich
hatte ihr das Hemd aus der Hand genommen und wollte es rollen und in eine Tüte
legen. Das ließ sie aber nicht zu. Sie nahm mir alles ab und holte eine feste
Tüte mit breitem Boden. Dorthinein legte sie es wie einen Kranz, der nicht
zerdrückt werden durfte, ganz nach unten. Dann überreichte sie sie mir
vorsichtig an den Handgriffen. Dort sollte ich sie anfassen.
Ich
sagte: "Danke, du gibst dir so viel Mühe." Das meinte ich ehrlich.
Ich konnte den Aufwand aber nicht verstehen.
Ich
dachte: 'Warum gibt sie sich nur so große Mühe damit. Das ist es doch gar nicht
wert.'
Auf
den Einfall, dass mir ihre Mühe gelten konnte, kam ich zwar, er schien mir aber
nicht wahr sein zu können.
Sie
fragte mich: "Wollen wir noch was unternehmen?"
Ich
war unsicher, weil sie sicher wieder eine fertige Vorstellung haben würde und
sagte: "Ja, wenn du eine Idee hast."
Die
hatte sie tatsächlich: "Weißt du, wir wollen im Chor noch ein wenig
feiern, da kannst du dazu kommen. Das wird bestimmt gemütlich. Das machen wir
immer so."
Ich:
"Das kenn' ich von unserem Chor. Ich finde, da hat ein Außenstehender
nichts verloren. Und zum Tenor lass ich mich nicht überreden." Ich lachte
sie dabei freundlich an und auch ein wenig aus.
Sie
sah mich aber so bittend an, dass ich sagte: "Gut, ich komm mit und wir
werden sehen."
Sie
war schon hoch, nahm die Tasche, die ich wieder aus der Hand gelegt hatte, gab
sie mir erneut und ging voran.
Nichts
hasse ich so sehr, wie das sogenannte gemütliche Beisammensitzen bei Topfkuchen
und selbstgemachten Salaten. Trotzdem hätte ich das noch hingenommen.
Eigentlich war ich ja aber mit der Frau verabredet, um mich mit ihr zu
unterhalten und nicht, um in einen völlig fremden Kreis, sozusagen als Gast,
eingeführt zu werden. Der Chor war meiner Meinung nach nicht geeignet, um mich
mit ihr über unsere Beziehung zu unterhalten. deshalb spähte ich nach dem
Ausgang und behielt meinen Mantel über dem Arm.
Dann
sagte in einem einzigen Zug zu ihr: "Das seh' ich so schon: das ist nichts
für mich. Ich empfehle mich. Feiert euren Erfolg schön. Ich geh'. Ich melde
mich. Bis dann. Tschüs." Winkte und ging.
Ich
wollte ihr nicht wehtun und sah doch wie sich ihre Augenlider im Bruchteil
einer Sekunde etwas senkten, verlegene Traurigkeit, Wut und gleichzeitiges
Aufgeben einer sinnlosen Sache anzeigten.
Sie
blieb tapfer und sagte mit ganz fester Stimme: "Dann eben nicht. Auf
Wiedersehen“, drehte sich von mir ab und nahm bei den anderen Platz. Das war
meine erste Begegnung mit einer Dame und mein erster Versuch mich mit jemandem
auszutauschen. Ich erkannte, dass die Möglichkeit, mit einem Menschen
Gemeinsames zu entdecken, eine enge oder sogar sehr enge Verbindung zu
erreichen, nicht zu erzwingen und so jedenfalls auch nicht zu erreichen war.
Ich gab vor mir selber zu, ein schlechtes Spiel gespielt zu haben. Einerseits
hielt ich zwar Augen und Ohren offen, um vielleicht sogar wirklich etwas neues
zu beginnen, machte mir womöglich Hoffnungen, hing aber andererseits so sehr an
B., dass ich gar nicht fähig und innerlich nicht frei für eine neue Liebe war.
Jede
noch so ehrliche Absicht musste von mir enttäuscht werden. 'Das, ‘ so sagte ich
mir, 'ist der Unterschied zwischen Kopf und Bauch.' Meine Erfahrung ließ mich
ratloser als je zuvor zurück.
Der
Misserfolg und mein schlechtes Gewissen konnten mich nicht über die
Notwendigkeit hinwegtäuschen, einen vertrauten und liebenswerten Menschen in
meiner Nähe haben zu müssen. Es war nicht nur die Sehnsucht sondern ein
unumgängliches Bedürfnis, ein Durst, sich auszutauschen, nicht weiterhin die
Hälfte eines Ganzen zu sein. Mir fehlte ein weibliches Wesen, mir fehlte eine
Frau. Das war ganz deutlich. Die Leere an meiner Seite schmerzte unendlich. Ich
suchte also weiter und verfolgte eine zweite Antwort.
Ich
müsste lügen, würde ich behaupten, darin in Wahrheit eine mögliche Lösung
gesehen zu haben. Hoffnung verband ich damit, ja. Es war vor allen Dingen die
Angst, meine Sehnsucht nach B. so einfach auf einen anderen Menschen übertragen
zu wollen, die mich bremste. Hinzu kam die Scheu, meine Wünsche mit all ihren
Folgen zu bedenken, nicht nur, weil es ein Neubeginn werden müsste, sondern,
weil ich schließlich befürchtete, jede neue Bekanntschaft doch an B. zu messen.
B. würde, davon war ich überzeugt, der Maßstab sein. Eine neue Frau müsste B's
kritischem Blick in mir standhalten können, ob ich wollte oder nicht. Diese
Einsicht machte mich fast krank, und sie vereitelte, dass ich überzeugend
auftreten konnte.
Die
zweite Annäherung begann ich aus diesen Gründen, unter übertriebener
Zurückhaltung.
Die
neue Dame hatte mich angerufen und sich ziemlich lange mit mir unterhalten. Sie
fand ein gewisses Interesse an mir. Das sagte sie auch. Am Ende des Telefonates
fragte sie sehr freundlich, ob wir uns nicht einmal sehen wollten. Das war mir
recht und zwar weniger wegen des Treffens als dass ich dadurch überhaupt eine
Ablenkung erfuhr. Trotzdem hoffte ich in einem letzten versteckten Winkel
meines Herzens, dass sich, so wie ich es bei B. erlebt hatte, Liebe auf den
ersten Blick einstellen würde. Die sollte mich mit neuer Leidenschaft erfüllen,
die sollte mich B. vergessen lassen. Alles Hoffnungen, alles Wünsche, und bei
der Anruferin sah es sicher ganz ähnlich aus.
Das
schuf eine Spur von Vertraulichkeit, und ich fragte sie nach ihrem vollen Namen
und der genauen Anschrift. Das alles hätte ich gerne erfahren. Sie war aber,
wie mir schien, dafür viel zu besorgt, denn sie sagte: "Reicht nicht erst
einmal nur mein Nachname? Ich wohne außerhalb. Etwa eine Stunde mit der
Bahn."
Und
dann nach einer kleinen Pause: "Haben Sie trotzdem Interesse?"
Das
widersprach nicht meiner Absicht sie kennen zu lernen. Ich fand es sogar
irgendwie gut und ließ sie das wissen.
Leider
hatte ich kein Auto, so dass ich tatsächlich auf Bus und Bahn angewiesen war.
Das sagte ich ihr gleich. Sie hatte Verständnis, war aber ein wenig irritiert:
"Dann können wir uns ja auf halber Strecke in B. treffen. Ich komme Ihnen
mit dem Auto entgegen, und wir können einen Spaziergang machen."
Das
fand ich in Ordnung. Wir machten eine Uhrzeit aus und verabredeten uns für den
nächsten Samstag. Das war zwar noch ein paar Tage hin und schien mir eigentlich
bis dahin zu lange zu dauern, aber es ließ sich nicht eher einrichten und mal
eben um die Ecke war es ja auch nicht. Als ich zu ihr unterwegs war, stellte
ich mir immerzu vor, wie sie aussehen mochte, was sie tragen würde. Außer ihrem
Nachnahmen, ihrer Größe und dass sie neunundvierzig Jahre alt war, wusste ich
nur, dass sie Chemikerin war.
Mir
hatte ihre sanfte, ruhige Stimme gefallen und zum Ende des Telefongespräches
hatte sie mir gestanden: "Ich habe sehr viel erzählt. Das ist sonst gar
nicht meine Art, aber es hat mir Spaß gemacht." Das hatte mir ebenfalls
gefallen und ich fand sie soweit sympathisch.
Beim
Eintreffen auf dem Bahnhof kam mir eine gutaussehende Frau entgegen. Sie hatte
ein kleines Gesicht, eine hohe Stirn und eine angenehme Frisur. Sie trug die
Haare in sanftem Bogen bis kurz über die Schultern, am unteren Ende mit einer
leichten Innenrolle. Es lag viel Geschmeidigkeit in den Linien. Ihre Haarfarbe
pendelte zwischen graublond, hellgrau und weißblond. Sie war gut gekleidet.
Unter dem Sommermantel, den sie etwas zu früh für diese Jahreszeit trug,
erkannte ich einen hochgeschlossenen dunkelgrünen Pullover in feiner Strickart.
Ich
dachte: 'Der hohe Kragen soll sie wohl schützen. Das ist ihre Angst, etwas von
sich preiszugeben. Sonst brauchte sie nicht so zugeknüpft zu gehen.' Sie trug
silbernen Schmuck. Der stammte aus alter Zeit und strahlte Besonnenheit,
Ausgeglichenheit aus. Ihr ganzes Äußeres machte große Zurückhaltung deutlich.
Die Farben waren nämlich so perfekt aufeinander abgestimmt und unterstützten so
bewusst ihre Haarfarbe, dass es mir schien, als fehlte ihr in jeder Beziehung
Mut, auch nur das kleinste Risiko einzugehen, den kleinsten Fehler zu machen.
So
trieb ich ganz schnell meine Studien an ihr.
Über
ihr Aussehen machte ich ihr aufwendige und keine plumpen Komplimente, indem ich
nach der Herkunft des Schmucks fragte und die feine Zusammenstellung betonte,
bis sie schließlich sagte: "Was meinen Sie, das ist ja auch kein
Zufall."
Mit
dem Satz konnte ich wenig anfangen.
Deshalb
antwortete ich: "Ja, ich weiß. Eine Frau macht sich nur für sich selbst
schön."
Damit
wollte ich sie provozieren, dass sie zugab, sich für mich schön gemacht zu
haben. Das tat sie aber nicht. Sie schaute mich stattdessen verständnislos an.
Sie fühlte sich entweder ertappt, oder sie begriff meine Sprache nicht.
Sei
es wie es sei, mir gefiel, wie sie sich gab.
Sie
hatte ein offenes Gesicht, das von einem leicht mütterlichen Lächeln gekrönt
wurde.
"Ich
habe Ihnen ein paar Blumen mitgebracht." Damit drückte ich ihr einen
kleinen Strauß in die Hand.
Sie
bedankte sich: "Das ist sehr nett. Wir sollten noch mit dem Auto in die
Stadt fahren. Da kann man besser herumlaufen, als hier draußen." Am Auto
fiel mir die verschmierte Fensterscheibe am Beifahrersitz auf. Sie musste das
gesehen haben, denn sie sagte: "Da sitzt immer mein Dackel. Der schnüffelt
ewig mit der Schnauze an der Scheibe herum. Der will immerzu hinaus
sehen."
Ich
durfte also den Platz ihres Dackels einnehmen. Welch ein Tausch. Sie fuhr los
und wir kamen gut ins Gespräch. Sie hatte ein festes Ziel: "Ich weiß ein
Cafe. Dort ist es gemütlich und nicht so voll. Wenn es Ihnen recht ist, gehen
wir dahin. Da können wir gemütlich sitzen und uns unterhalten."
Das
gelang uns aber nicht, weil das Cafe geschlossen war. Das enttäuschte sie sehr.
Sie war so zielstrebig darauf zugegangen, dass ich das Ganze für eine Art
Schlachtplan hielt: 'Das ist sicher nicht die erste Begegnung, die sie mit
Bewerbern hat. Sie verfährt immer so. Heute läuft das aber anders als sonst.
Ich bin gespannt, was sie sich einfallen lässt.'
Ich
hatte bestimmt recht. Denn außer diesem Cafe als Stützpunkt kannte sie sich
überhaupt nicht aus. Wir gingen suchend umher und waren plötzlich beide fremd.
Das schuf für wenige Augenblicke die Wärme einer Gemeinsamkeit. Die hielt aber
nicht lange an, denn der Ort war so klein, so dass wir bereits nach kurzer
Sucherei in einem überfüllten Straßencafe landeten. Dort wurde sehr viel
geraucht. Das gefiel uns beiden nicht. Wir mussten bleiben, eine Auswahl gab es
nicht.
Alles
in allem unterhielten wir uns trotz der Umstände und des Lärms ganz gut, kamen
uns aber währenddessen nicht wieder näher. Zwischen uns wuchs ein
unvermeidbarer Schleier, der den anderen immer unschärfer werden ließ. Das
spürten wir beide. Durch den hindurch zu dem anderen zu gelangen, war keinem
von uns möglich. Wir standen, jeder für sich, vor einer Enttäuschung, für die
er den anderen nicht verantwortlich machen konnte und wollte. Es war eigenes
Versagen. Das spürte ich allzu deutlich. Die berühmte Liebe auf den ersten
Blick war und blieb Wunsch.
Sie
sandte mir einen langen Blick zu und fragte völlig unvermittelt: "Glauben
Sie, dass Sie innerlich schon frei genug sind für eine neue Partnerschaft? Bei
mir hat das fünf Jahre gedauert."
Ich
staunte, dass sie so tief hatte in mein Herz sehen können und blieb ihr eine
Antwort schuldig.
Zu
mir selbst sagte ich: 'Siehst du, geschenkt wird dir gar nichts. Tu etwas,
damit die Sache nicht im Sande verläuft.'
Ich
wollte 'raus aus dem Cafe: "Vielleicht sollten wir noch ein bisschen
herumlaufen und dann irgendwo Abendbrot essen. Wäre Ihnen das recht? Oder
glauben Sie, dass Ihnen das in ihrem schönen Sommermantel schon zu kühl
wird."
Sie
war damit einverstanden: "Das macht nichts. Wir können ruhig gehen."
Wir brachen also auf.
Draußen
war es wirklich sehr kühl und windig, so dass ich meinen Arm ganz spontan um
ihre Schultern legte, ihr ein wenig Schutz zu bieten. Sie wich aber schon vor
der ersten Berührung der Umarmung so heftig aus, als wäre sie elektrisiert
worden. Ich wunderte mich, denn es sollte ja auch ein Annäherungsversuch
gewesen sein. Daran musste ihr doch ebenso gelegen sein. Ich dachte: 'Die Frau
hat Berührungsprobleme. Wie soll ich damit umgehen?'
Ich
beschloss, weil ich nun über sie verärgert war, die Geschichte zu einem Ende zu
bringen und erinnerte mich an den Zug für die Rückfahrt. Es war der letzte. Um
den zu erreichen, blieb noch knapp eine Stunde Zeit. Den Anschluss hatte ich
mir während meiner Herfahrt vom Schaffner sagen lassen.
Sie
fragte wie durch Zufall nach der Uhrzeit. Daraus glaubte ich, dass sie meine
Absicht richtig erkannt hatte: 'Mädchen, du hast verstanden. Dann ist ja alles
in Ordnung.'
Trotzdem
wollte ich noch einen Versuch starten und sagte zu ihr: "Wenn ich meinen
Zug nicht nehmen würde, müssten wir uns etwas einfallen lassen, um den Abend
anders zu gestalten."
Ich
überlegte: 'Jetzt hat sie Gelegenheit, mich zu sich einzuladen oder es mir
wenigstens zu überlassen, selbst einen konkreten Vorschlag zu machen.'
Sie
guckte mich mit schreckensweit geöffneten Augen an und fragte entsetzt:
"Was soll das denn heißen?"
Ich
fühlte mich ertappt und machte einen Rückzieher: "Ich müsste dann genau
wissen, wann der allerletzte Zug fährt und ob ich in H. noch meine Bahn
erreiche. Außerdem müssten wir uns dann um ein kleines Abendprogramm bemühen.
Das ist nun aber alles zu kurzfristig."
Jetzt
blieb sie mir eine Antwort schuldig.
Wir
setzten uns auf ein Glas Wein in ein Restaurant. Für mich war die Angelegenheit
insofern endgültig abgetan, als ich mit ihr nur noch die Zeit bis zur Abfahrt
meines Zuges zu verbringen brauchte. Ich gab mir Mühe, einen guten Abgang zu
finden. Es stellte sich sogar eine gewisse Entspannung ein. Eine kleine
Hoffnung hegte ich zwar noch, rechnete aber nicht ernsthaft damit: 'Wenn sie
wirklich Interesse an mir hat, könnte sie ja immerhin erwähnen, dass heute
Samstag ist und dass ich unter Umständen bei ihr übernachten dürfte. Ich bin
zwar nicht sicher, was ich antworten werde, aber es könnte unseren
Annäherungsversuchen eine konkrete Richtung geben. Dass sie so etwas aber
bisher nicht gesagt hatte, machte mich gleichzeitig zufrieden. Ich konnte mich
jetzt völlig gelassen einem ungezwungenen Gespräch mit ihr hingeben. Diesen
Wandel bemerkte sie sofort, und er gefiel ihr offenbar sehr, denn auf dem
Bahnsteig fragte sie mich: "Werden wir uns denn wiedersehen? Hätten Sie
Lust? Könnten wir uns nicht neu verabreden?" Ich hielt das für
Höflichkeiten und wollte kein Spielverderber sein.
Deshalb
sagte ich: "Find' ich gut. Hätten Sie einen Vorschlag? Ja, ich finde auch,
dass wir uns noch einmal treffen sollten. Ich kann ja wieder anrufen."
Sie
wurde aber konkreter. Das konnte ich nicht einordnen: "Was halten Sie von
Sonntag, morgen, oder besser noch, in der Woche, an einem Abend."
Ich:
"Ja, das ist gut. Ich melde mich. Ich könnte mich ja um Theaterkarten
bemühen, vielleicht klappt es auch für ein Konzert. Wir werden sehen." Sie
zeigte sich zufrieden. Ich dachte aber: 'Warum freut sie sich. Wir wohnen so
weit auseinander. Wenn sie wirklich Gefallen an mir findet, könnte sie sich
selbst etwas einfallen lassen, um mich bei sich festzuhalten. Sie kann nicht
erwarten, dass ich, um sie einmal für eine Stunde in einer fremden Stadt zu
sehen, so viel wie heute unternehme.
Ich
kann nicht glauben, dass sie es aufrichtig meint. Nein, ich melde mich bestimmt
nicht wieder.‘
Sie
strahlte aber und war guter Dinge.
Als
ich an diesem Abend Zuhause war, hakte ich das Erlebnis für mich ab und schrieb
es auf das Konto Erfahrung. Ich war nicht bereit, darüber weiter nachzudenken.
Bei
ihr war das aber offenbar ganz anders.
Schon
am nächsten Tag war sie wieder in der Leitung. Ich war völlig überrascht und
unvorbereitet. Weil bei mir aber eine Zeitung mit den Theateranzeigen auf dem
Tisch lag, behauptete ich, mich gerade um etwas für uns beide bemüht zu haben
und las daraus vor.
Sie:
"Ich hätte nämlich einen Vorschlag zu machen. Ich habe zufällig zwei
Abo-Karten. Die könnten wir benutzen." Ich fragte nach dem Titel des
Stückes und musste ihr ehrlich sagen, dass ich das Stück kannte und es mir außerdem
zu problematisch sei: "Das guck ich mir bestimmt nicht noch einmal an.
Seien Sie mir bitte nicht böse." Das stimmte wenigstens.
Sie
sagte: "Das macht nichts. Ich freu mich immer wenn ich ins Theater kann.
Ich geh auch so gerne hin. Vielleicht gefällt Ihnen ein anderes Stück."
"Ja,
ich bemühe mich um Karten. Was könnte Ihnen denn gefallen."
Sie
erzählte mir, dass sie mit allem einverstanden wäre.
Sie
suchte ganz offenbar nach einem Grund für eine neue Begegnung und ich musste
mir eingestehen, sie völlig falsch eingeschätzt zu haben. Ich war erstaunt über
meine schlechte Menschenkenntnis und über ihre Beharrlichkeit. Ich lenkte also
ein und schlug vor, dass wir uns an einem bestimmten Tag in der kommenden Woche
bei mir zu einem Bummel an einer Uferpromenade treffen konnten. Sie tat mir ein
wenig leid, und ich bewunderte gleichzeitig ihren Mut, mich erneut angerufen zu
haben. Das ließ ich durchblicken.
Sie
antwortete: "Wenn ich schon zurückrufe, mache ich das natürlich nicht ohne
Grund."
Ich
antwortete: "In dieser neuen Beziehung, wenn ich es so sagen darf, habe
ich es mir ganz fest vorgenommen, Ihnen, als der Frau, völlig die Anregungen
für unsere Annäherung zu überlassen. Ich habe sonst und früher vielleicht zu
oft gesagt, was gemacht werden soll. Ich finde es gut, wenn Sie Vorschläge
haben und machen."
Sie:
"Danke. Ich denke aber, dass sie etwas mehr fordernd sein sollten. Sie
könnten ruhig mehr auf mich zugehen. Meine Kraft reicht nicht lange für zwei
aus."
Das
war deutlich. Ich dachte trotzdem: 'Was sie sagt, widerspricht ihrem Verhalten.
Warum ist sie mir sonst aus dem Arm entglitten und warum hat sie mich wohl
sonst nicht zu sich eingeladen.'
Es
blieb also bei der Verabredung, und sie wurde ein fröhlicher Mensch. Ich hatte
ein ungutes Gefühl. Ihre Berührungsangst wog für mich so schwer, dass ich
entgegen der Zusage schon sofort nach dem Anruf über eine Ausrede nachdachte.
Ein paar Tage hatte ich dafür noch Zeit.
Einen
Tag vor dem Treffen bekam ich tatsächlich Migräne. Wenn ich meine
Migräneanfälle bekomme, bricht mein Interesse an allen Dingen und Menschen
innerhalb von Stunden auf das Notwendigste zusammen.
Am
anderen Morgen rief ich sie an und sagte mit wenigen Worten ab. Sie sah das
sofort ein und fragte nicht viel nach.
Ich
sagte: "Mir ist es peinlich, darüber zu reden, weil es so unglaublich
klingt, wenn ein Mann sagt, dass er seine Migräne hat. Bei mir ist es aber
so."
Das
Gespräch blieb kurz. Es gab auch keine neue Verabredung. Wir trennten uns und
ich war sicher, dass die Beziehung nun endgültig beendet sei.
Ich
wollte mich andererseits aber nicht so einfach davonstehlen und schrieb einen
nüchternen Brief: 'Zu viele Umstände haben ein intensives Kennenlernen in
angemessener Zeit verhindert, so dass ich Sie bitte, mit mir darin überein zu
stimmen, unseren gemeinsamen Versuch einer Annäherung abzubrechen.'
Es
folgten ein paar Höflichkeiten. Dann hatte ich nur noch das Problem, ihre
Anschrift herauszubekommen.
Außer
ihrem Namen und ihrem Vornamen, nach dem ich sie bei dem Treffen gefragt hatte
und der Stadt, in der sie lebte, wusste ich nichts weiter.
Sie war auch nicht im Telefonbuch verzeichnet: Ich rief
deshalb alle namensgleichen Personen in der Stadt an und hatte Glück. Eine
ältere Dame kannte sie und sagte mir den Vorort der Stadt in welchem sie
wohnte: "Eine Straße brauchen Sie nicht anzugeben. Sie ist da erst
kürzlich hingezogen. Der Brief kommt bestimmt an. Sie brauchen keine Sorge zu
haben."
Der Brief ging also mit halber Adresse auf Reisen. Es
verging eine Woche, da rief sie wieder bei mir an. Ich hatte damit gerechnet
und war überzeugt, dass sie Erklärungen zu meinem Brief haben oder abgeben
wollte. Den hatte sie aber gar nicht erhalten. Ich konnte das nicht glauben.
Ich fragte nach: "Haben Sie meinen Brief nicht
erhalten?"
"Nein, was für einen Brief."
Ich sagte, was ich ihr geschrieben hatte. Sie ging mit
keinem Wort darauf ein sondern fragte: "Gibt es eine andere?"
Ich verstand zunächst nicht: "Was für eine andere
denn."
Sie: "Eine andere Frau. Dann können wir gleich abbrechen."
Ich lachte kurz auf: "Die gibt es ganz bestimmt
nicht. Nein, keine andere Frau. Ich finde nur, dass wir nicht vorankommen.
Immerzu kommt etwas dazwischen."
Der Brief schien sie überhaupt nicht zu stören, ja, sie
schien ihn nicht einmal zur Kenntnis nehmen zu wollen. Es war für sie so
selbstverständlich, dass nur eine andere Frau unsere begonnen Fäden zerstören
konnte, dass ich mich von einer Sekunde zur anderen wieder zum Handeln
entschloss.
Zu dem Brief sagte sie, als könnte sie ihn damit aus der
Welt schaffen: "Wenn die Anschrift nicht stimmt, kommt der nie an."
Damit war für sie das Thema erledigt.
Ich sagte: "Ich finde, dass es nicht gut ist, wenn
wir uns in fremder Umgebung kennenlernen wollen. Wir sollten uns in unseren
häuslichen Verhältnissen begegnen. Wir sollten uns bei mir oder bei Ihnen
treffen." Sie war ganz begeistert: "Das finde ich richtig. Man lernt
sich dabei besser kennen. Das ist ein guter Vorschlag."
Sie wurde gesprächig und überschlug sich fast: "Ich
hatte schon den Eindruck, dass Sie vielleicht zu unentschlossen seien, dass Sie
sich eigentlich zu einer neuen Partnerschaft noch gar nicht richtig
entschließen könnten."
Es ärgerte mich, dass ich daran erinnert wurde, ihr noch
eine Antwort schuldig zu sein.
Ich wollte sie ein wenig dämpfen und sagte: "Ich
suche eine Partnerin mit der ich nicht nur Gedankenaustausch pflegen kann. Sie
soll in erster Linie eine direkte Beziehung werden."
Ich wurde dann deutlich: "Als Sie neulich meinen
Vorschlag, mit dem Abend etwas anzufangen, so weit von sich gewiesen haben, Sie
sagten doch: 'Was soll das denn heißen', hatte ich gedacht, dass Ihnen an einer
engeren Beziehung gar nichts liegt."
Sie daraufhin: "Daran kann ich mich gar nicht
erinnern. Das habe ich gesagt?"
Sie erinnerte sich wirklich nicht, hatte auch meine
Absichten offensichtlich nicht auf sich bezogen. Sie verstand einfach nicht,
was ich meinte.
Ich aber dachte: 'Das kann sie doch nicht vergessen haben.
Oder habe ich etwas völlig Falsches in ihre Worte hineingedacht?'
Daraus schöpfte ich neuen Mut und sagte: "Heute ist
Freitag, morgen haben wir frei. Ich besuche Sie."
Sie sagte: "Gut und wann werden Sie kommen?"
Ich hatte die Fahrpläne der Züge noch für mich notiert und
sagte: "Der Zug fährt um 19 Uhr 20 ab, dann bin ich gegen 20 Uhr 40 da.
Vielleicht holen Sie mich ab?"
Sie war sprachlos: "Was denn, heute noch?"
"Ja."
Sie fing sich wieder: "Gut. Und erkundigen Sie sich
wegen der Rückfahrt?" Und dann: "Ich freue mich, bis nachher."
Ich dachte: 'Das hätte nun wirklich nicht kommen dürfen. Aber
in Gottes Namen, jetzt ich fahre hin.'
Ich steckte mir eine Zahnbürste in meine Tasche,
verzichtete auf das Abendbrot und machte mich auf den Weg. Sie wusste aus
unseren Gesprächen, dass ich gegen 19 Uhr normalerweise zu Abend esse. Das fiel
nun aus. So hatte sie wenigstens Gelegenheit, eine Kleinigkeit für uns
vorzubereiten. Sie empfing mich auf dem Bahnhof. Ich hatte keine Blumen dabei
und entschuldigte mich dafür. Sie sagte: "Das macht nichts." Daraus
schloss ich, dass sie wohl welche erwartet hatte. Ich konnte nun aber keine
herbeizaubern.
Ich sagte zu ihr: "Können wir uns nicht jetzt gleich
auf ein Du einigen? Das 'Sie' finde ich für uns zu unpersönlich. Ich kann mich
dann auch viel besser unterhalten."
Sie sagte: "Ja, gerne. Ich werde nur meine Schwierigkeiten
damit haben. Ich kann mich so schnell nicht umstellen."
Ich sagte: "Das macht mir nichts. Ich erinnere dich
daran." Damit war eine wichtige Schwelle überwunden.
Der Zug zurück würde schon eine gute Stunde später gehen. Es
war der einzige und der letzte an diesem Abend. Das fand ich in Ordnung, aber
nicht, weil ich meine Enttäuschung über ihre Frage nach der Rückfahrt des Zuges
überwunden hatte, sondern weil ich das als ein geschicktes Manöver von ihr
verstand, mich letzten Endes notgedrungen bei sich übernachten zu lassen.
Für mich sah der Ablauf des Abends nun so aus: Sie würde
mich unter einem Vorwand am Erreichen des Zuges hindern. Sie würde vielleicht
sogar Wein trinken und mich nicht mehr zum Bahnhof fahren können und mich bei
sich zuhause behalten müssen. Sie war allein, ich war allein. Wir hatten beide
gute Absichten und nichts zu versäumen. So war mir das recht. Ich bekam Hunger
und malte mir aus, was sie wohl an Kochkünsten zeigen würde.
Wir fuhren also zu ihr in die Wohnung. Es war ein kleines
Einfamilienhaus. Das lag weiter außerhalb der Stadt. Sie hatte sich die Abfahrt
des letzten Zuges notiert und bat mich, eine Flasche Wein aufzumachen: "Um
Essen zu gehen, reicht die Zeit wohl nicht aus."
Wir tranken nur geringe Mengen.
Sie: "Ich muss aufpassen mit dem Wein, wegen des
Autofahrens." Sie hatte also kein Essen vorbereitet.
Sie zeigte mir stattdessen ihre Wohnräume und sagte gleich
zu Beginn: "Mein Sohn und seine Freundin sind auch zuhause."
Die stellten sich bald vor. Es waren sehr nette Leute. Ich
habe mich eine ganze Zeitlang mit ihnen unterhalten. Beide waren Studenten.
Dann verschwanden sie aber und wir waren allein.
Sie machte keinerlei Andeutungen, dass ich übernachten
könnte und nichts in der Richtung, sondern kam überraschend auf meinen Brief
zurück: "Der ist zwar nicht eingetroffen, aber was du mir daraus erzählt
hast, beunruhigt mich doch sehr."
Pause.
Dann: "Wenn ich mich heute mit dir treffe, zeigt das
doch eigentlich ...muss ich noch deutlicher werden?"
Ich sagte ganz unbedarft, weil ich mir nicht denken
konnte, worauf sie hinaus wollte: "Ja, Deutlichkeit ist besser als
Andeutungen."
Sie sah mich mit langem Blick an. Sie war hilflos. In
ihren Augen waren keine 'Herzchen'. Sie wollte mir nichts versprechen, sondern
sich mir nur erklären. Das war mir zu wenig.
Ihre Wohnung war großzügig und sie erklärte vor einer
Vitrine ihre Sammelleidenschaft von kleinen geschliffenen, gläsernen Näpfen
ohne Deckel. Sie hatte wohl zweihundert Stück davon.
"Die haben mich schon sehr viel Geld gekostet."
Alles, was sie zeigte, war auch ihr Besitz, so dass sie
ihr Zuhause mit zufriedener Miene vorführte.
Mir hätten aber nicht die Gläser, das Haus und alles, was
sie liebte sondern nur sie selbst Besitz sein können. Ich hätte sie irgendwann
lieben können, nicht wegen der Dinge, die sie umgaben sondern einfach
ihretwegen. Die Möbel stammten von vorangegangenen Generationen. Sie hatten
reiche Schnitzereien in schönem Holz. Alles hatte Wert und zeigte Herkunft.
Es herrschte überall eine fast dörfliche Friedlichkeit.
Ich sagte: "Dies ist eine Umgebung in der ich gerne
Urlaub machen würde. Mich überrascht die Ruhe. Von draußen kommen keine
Geräusche."
Das hörte sie gerne. Sie schaute mit zufriedenem aber
nicht selbstzufriedenem Gesicht zu mir.
Die Zeit war 'rum, wir mussten aufbrechen.
Auf der Fahrt zum Bahnhof fragte sie mich dringend und
direkt: "Können wir uns nicht für Sonntag verabreden?"
Ich mochte nicht sofort 'Nein' sagen und redete drum
herum. Sie wollte es aber wissen: "Also ja oder nein."
Ich sah mich in die Enge getrieben und sagte: "Nein,
ich möchte nicht." Damit hatte sie nicht gerechnet.
Sie wiederholte: "Nein? Nicht?"
Ich wiederholte: "Nein, ich möchte nicht“, und erfand
noch einige Ausreden. "Ich habe mir so viel vorgenommen. Nein ich möchte
nicht."
Sie wurde ganz still, dachte nach und es schien mir, als
würden auch ihre wenigen Bewegungen in Langsamkeit erstarren. Wir kamen am
Bahnhof an.
Ich beschloss, ihr eine letzte Gelegenheit zum Handeln zu
geben, weil mich ihre Enttäuschung berührte. So wollte ich sie nicht
zurücklassen.
Als wir durch die Unterführung zwischen zwei Bahnsteigen
gingen, sagte ich: "Warte bitte."
Damit nahm ich sie ruhig in die Arme und küsste sie mit beginnender
Leidenschaft auf den Mund. Sie sah mich mit offenen Augen an, als wollte ich
ihr ans Leben. Mit meinem Kuss konnte sie überhaupt nichts anfangen. Ich brach
ab.
Ich fragte sie: "Wann hat man dich das letzte Mal
geküsst?" Sie antwortete: "Das möchte ich nicht sagen."
Ich: "Aha."
Kein weiteres Wort.
Dann waren wir auf dem Bahnsteig und sie wollte nun
wissen: "War es das, was du letztes Mal meintest?"
Ich war aufrichtig: "Ja."
Sie stand erschüttert vor mir und tat mir leid. Ich nahm
ihren Kopf noch einmal in meine beiden Hände und küsste sie ein zweites Mal. Es
war vergebens. Da kam nichts.
Ich stand in der Zugtür und hatte meine linke Hand auf dem
Handgriff.
Sie reichte jetzt vom Bahnsteig mit ihrer Hand zu meinem
Handrücken hinauf, streichelte ihn mit einem Hauch ihrer Fingerspitzen und
flüsterte fast: "Meldest du dich wieder? Es wäre so schön. Es ist so
schwer, jemanden zu finden, der zu einem passen könnte. Dir hat es bei mir doch
auch gefallen. Melde dich bitte."
Die Tür wurde automatisch zugedrückt. Der Zug fuhr an. Ich
winkte zu ihr hinaus und sie winkte zurück.
Zuhause stellte ich meine Zahnbürste wieder ordentlich in
den Becher und legte auch das schmale Heft mit den Kondomen in die Schachtel
zurück. So endete meine zweite Begegnung mit tiefen Spuren von
Zwischenmenschlichkeit und Sympathie für eine Frau, die ich mir nicht zu
erschließen vermochte.
Während der ganzen Zeit hatte ich sie nicht ein einziges
Mal mit B. verglichen. Sie hätte sich in allem mit jeder anderen Frau messen
können. Das war ihr aber bestimmt nie in den Sinn gekommen. In ihrer Angst:
'gibt es eine andere Frau?', hatte sie preisgegeben, dass sie lieber den
Rückzug antreten würde, als sich zur Konkurrentin machen zu lassen. Immer
wieder dachte ich an dieses sanfte Wesen.
Es war zu schade, dass ich sie durch meine Küsse nicht
hatte wecken können, dass ich sie womöglich und im wahrsten Sinne des Wortes
damit völlig überfahren hatte. Wie wäre sie vielleicht noch enttäuscht, wenn
ich ihr im intimen Umgang statt Zärtlichkeit leidenschaftliche Heftigkeit
entgegengebracht hätte.
Ich
hatte B, in guter Absicht eine Osterkarte gesandt. Darauf standen wenige aber
freundliche Worte: 'Ich wünsche dir ein frohes Osterfest.' Weil ich ihr eine
kleine Aufmunterung zukommen lassen wollte und weil sie vielleicht sonst von
niemandem ein Ostergeschenk erhalten würde, hatte ich meine Kinder
aufgefordert, ihr Blumen hinzustellen.
An
meine Karte, die in einem Briefumschlag war, steckte ich, einfach durch das
Papier hindurch, eine kleine handbemalte Porzellanbrosche. B. liebte Broschen
und welche sie besonders mag, weiß ich genau.
Auf
meiner Karte stand noch: 'Ich hoffe, dass du dich über das kleine Osterei
freuen kannst.'
So
ganz uneigennützig war mein Geschenk natürlich nicht, sondern ich gedachte sie
damit ein winziges Stückchen zurückgewinnen zu können. Eine weitläufige
Freundin, die ich kurze Zeit später anrief und der ich davon erzählte, sagte
sofort: "Geschenke nützen da gar nichts. Die sind eigentlich sogar
falsch."
Ich
fragte nach: "Was soll ich schon denn um Gottes Willen tun. Sie redet ja
nicht mal mehr mit mir."
"Sie
hat bestimmt Angst vor ihrem eigenen Mut und davor, dass Sie sie wieder mit
Beschlag belegen. Mir hätte damals nur eines geholfen, nämlich wenn ich gesehen
hätte, dass mein Mann ein ganz klein wenig auf mich eingegangen wäre. Der
kleinste Schritt hätte ausgereicht. Aber das hat er ja nicht gemacht. Geschenke
nützen da gar nichts."
"Also
hab' ich schon wieder einen Fehler gemacht?"
"Ob
das ein Fehler ist, weiß ich nicht, aber es nützt eben nichts."
Sie
behielt recht. Ich bekam einen gestelzten Brief zurück. Den brachten meine
Kinder beim nächsten Besuch mit. Der warf mich völlig zurück. Er stürzte mich
erneut in Hoffnungslosigkeit. Ich hatte mir schon hundert Mal gesagt, dass ich
B. nun endlich so annehmen sollte, wie sie sich gab, dass ich sie nicht ändern
konnte. Das war aber alles umsonst.
Sie
schrieb: "Mit deinem Geschenk hast
du ganz genau meinen Geschmack getroffen." Diesen Satz konnte ich
schon so nicht hinnehmen. Das war nicht ihr Sprachgebrauch. Der wäre gewesen:
'Dein Geschenk hat mir gefallen', oder 'vielen Dank für die Brosche, ich weiß
auch schon wozu ich sie tragen könnte', oder so ähnlich.
Sie
fuhr fort: "Ich werde aber Probleme mit dem Tragen haben, denn die Brosche ist die Trägerin einer Hoffnung, die ich
nicht erfüllen kann." Das ließ keinen Silberstreif erkennen.
Auf der Rückseite folgte noch ein Satz: "Vielen Dank
für den Osterstrauß. Grüße, B."
Dass sie 'Grüße' und nicht nur 'Gruß' schrieb, war ein Fortschritt.
Der letzte Satz waren wieder ihre eigenen Worte. Sie konnten mich aber nicht
über ihre Absage und die Aussichtslosigkeit, uns irgendwie näher zu kommen,
hinwegtäuschen. Sie hatte mir nicht einmal Ostergrüße gesandt. Das empfand ich
als ganz ungewöhnlich, schmerzlich, fast beleidigend.
Das musste einen Grund haben. Drei Möglichkeiten kamen
meiner Meinung nach in Frage.
Erstens, sie hatte sie einfach vergessen. Das konnte ich
mir von ihr nicht vorstellen. Sie würde nicht eine Osterkarte schreiben, ohne
Ostergrüße darauf zu vermerken. Dafür war sie viel zu umsichtig. Zweitens, sie
konnte so durcheinander sein, dass sie das Fehlen eines Grußes einfach
übersehen hatte. Das mochte vorkommen, hielt ich aber für kaum möglich.
Die dritte Möglichkeit, und die hielt ich für die
wahrscheinlichste, war, dass sie die Grüße mit Absicht weggelassen hatte. Wenn
das stimmte, musste ich mich natürlich sofort nach den Gründen dafür fragen.
Ich müsste herausbekommen, warum sie einen so harmlosen Gruß unterlassen hatte.
Darauf gab es nur eine einzige Antwort: sie hatte ein schlechtes Gewissen.
Ihr schlechtes Gewissen wiederum konnte ich mir nur
erklären, wenn ein anderer Mann im Spiel wäre, und den gab es tatsächlich. Das
war unser ehemals gemeinsamer Freund. Der durfte bei ihr immer noch kommen und
gehen, wann er wollte. Von ihm selbst wusste ich, dass er B. liebte: "Je
mehr ich mit ihr zu tun habe, desto stärker werden die gemeinsamen
Erlebnisse." Er hatte noch gesagt: "Dass ich sie sehr gern' habe, gebe
ich zu“, und weiter, "sicherlich will sie irgendwann auch klare
Verhältnisse haben." Zu dem Punkt hatte B. mich wissen lassen:
"Scheidung? Damit hab ich's nicht eilig." Das glaubte ich ihr auch.
Das schob ich auf ihre Religiosität, das lag nahe. Ihm musste ich deshalb unterstellen,
dass er sein eigenes Wunschdenken formulierte, und das verriet mir seine
Absichten. Meine Frau wusste das alles auch. Ich hatte ihr davon erzählt. Ich
wusste jedoch nicht, wie es in ihrem Herzen aussah. Dort, so hoffte ich, würde
sie mir einfach die Treue bewahren.
Die
Freundin befragte ich nach ihrer Meinung.
Die
sagte: "Ich wäre damals gar nicht in der Lage gewesen, eine neue Beziehung
einzugehen. Wenn Ihre Frau den Freund allerdings mag, dann ist es wohl ziemlich
aussichtslos. Dann können Sie nichts machen. Ich habe die ganzen nächsten Jahre
jedenfalls allein gelebt."
Dem
war nichts hinzuzufügen. Den einzigen Grund, warum B, ein schlechtes Gewissen
hätte haben können, wollte ich aber nicht wahrhaben: Untreue meiner Frau war
mir unvorstellbar.
Ich
litt noch schlimmer als zuvor unter der Trennung und hätte besser daran getan,
diesen Umstand anzunehmen, den Gedanken, dass B. Unabänderliches tat, dass sie
wusste, was sie tat, als mich dauernd mit Wünschen und vagen Möglichkeiten über
Gegebenheiten hinwegzutäuschen. Schlimmstenfalls sollte ich jedenfalls davon
ausgehen, dass sie mit dem Freund doch eine enge Beziehung hatte.
Dem
Freund hatte ich, in versöhnlicher Absicht, ebenfalls einen kurzen, harmlosen
Ostergruß zugesandt. Dabei dachte ich: 'Sollte er darauf antworten, ist alles
zwischen ihm und mir in Ordnung. Ich will diese Freundschaft nicht für alle
Zeiten zerstört wissen, nur weil letzten Endes eine Frau dazwischen steht.'
Ich
war sicher, dass er das so verstehen und entsprechend antworten würde. Ich
machte aber wieder völlig falsche Annahmen. Seine Antwort blieb aus. Es kam
nichts, keine Karte, kein Anruf.
Ich
war gezwungen, mir auch darüber Gedanken zu machen und kam zu dem Schluss, dass
das und der fehlende Gruß von B, in verhängnisvoller Weise meine Befürchtungen
bestätigten. Beide schienen ein schlechtes Gewissen zu haben. Beide schienen
durch ihr Unterlassen Tatsachen schaffen zu wollen.
Da
nützte es nichts, mir einzureden, dass B. nicht gesund sei. Die beiden wollten
mir ganz offenbar die Augen öffnen.
Meine
Frau rief mich nicht mehr an. Das beunruhigte mich noch mehr, brachte mich in
Wut, die ich nicht haben wollte, und ließ den Wunsch nach Klarheit auch in mir
wachsen.
Es
drängte mich tagelang, mich bei ihr zu melden und sie zu befragen. Ich zwang
mich nur mühsam zu Geduld, und lenkte mich mit allem Möglichen ab. Immer wieder
war ich es gewesen, der zu ihr Verbindung aufgenommen hatte. Immer wieder war
ich es gewesen, der gehandelt hatte, und dem Vorsatz, nichts mehr zu tun, sie
in Ruhe zu lassen, untreu geworden war. Von ihr war kaum etwas gekommen.
Wenn
ich außerdem an unser Treffen auf ein Glas Wein dachte, und daran, dass es ihr
hinterher so schlechtgegangen war, bekam ich noch zusätzliche Bedenken, ob ich
nicht wirklich schwere Fehler damit machte, sie immer wieder anzurufen.
Ich
rechnete mir schließlich aus, wie viel Zeit seit meinem letzten Anruf vergangen
war. Ich konnte fast auf stolze drei Wochen zurückschauen. Sie müsste einen
neuen Anruf verkraften können.
Ich
zögerte trotzdem und machte ihn abhängig von einem dreimaligem Klingeln. Würde
sie bis dahin nicht abgenommen haben, dann sollte es nicht sein. Würde sie sich
aber melden, dann würde ich mit ihr reden.
Diesen
Entschluss fasste ich mittags gegen halb zwölf. Bis halb drei ließ ich es alle
dreißig Minuten und jedes Mal sechsmal bei ihr klingeln. Dann nahm sie endlich
ab.
Dass
ich ihre Stimme hören konnte, war für mich schon wieder süßes Vergessen aller
Leiden. Es hätte gereicht und ich hätte nichts mehr mit ihr zu besprechen
brauchen. Ich schwieg einen Augenblick und genoss, so dass sie sich schon fast
ein zweites Mal melden musste. Dann gab ich Bescheid.
Ich
fragte: "Wie geht's dir?"
"Ganz
gut. Es geht so. Und dir?"
Wie
ging es mir? Was sollte ich sagen.
Also:
"Es geht so, wie es geht, glaub ich. Ich hatte gehofft, dass du dich
melden würdest, aber ich höre und höre nichts von dir. Machst du das mit
Absicht? Auf deiner Osterkarte stand nicht einmal ein Ostergruß für mich."
Ich
hatte mir so fest vorgenommen, ihr keine Vorwürfe zu machen und war schon
wieder mitten drin.
Sie
fragte: "Bist du bei meinem Arzt gewesen?"
Ich:
"Hat er dir nichts erzählt? Das hatte er mir fest versprochen. Das kann
doch nicht sein."
B.:
"Ich war Dienstag bei ihm, da hat er mir nur ganz kurz davon
erzählt."
Ich:
"Dann weißt du doch, dass ich da war. Warum fragst du denn dann danach.
Das versteh' ich nicht. Du weißt, dass ich da war und fragst mich, ob ich da
war? Na, ist auch egal. Was hat er dir denn über den Besuch erzählt?"
B.:
"Eigentlich nur, dass er meinte, dass du einen großen Teil dessen, was er
dir erzählt hat, wohl ganz richtig verstanden hättest."
Ich:
"Er hat mir gesagt, dass es das Beste ist, wenn ich so wenig wie möglich
mache, dass ich dich am besten ganz in Ruhe lasse."
"Ja,
das hat er mir auch gesagt."
"Das
kann ich aber nicht. Hast du dir eigentlich vorgenommen, kein Wort mehr mit mir
zu wechseln? Hast du dir geschworen, nicht mehr mit mir zu sprechen? Du redest
dauernd davon, dass wir uns keine Schuld geben sollen, aber mit allem, was du
tust, bestrafst du mich immerzu. Ich erfahre nichts mehr von dem, was Zuhause
passiert. Warum hast du mir nicht einmal
Ostergrüße zukommen lassen. Weißt du das? War das Absicht? Sag mir das bitte."
B.:
"Ich hätte es unfair gefunden."
So,
wie sie das sagte, hatte es nichts mit dem schlechten Gewissen zu tun, von dem
ich ausgegangen war. Dafür sagte sie das zu frei, sprach es zu offen aus.
Vielmehr
hörte es sich an, als hätte sie ein schlechtes Gewissen wegen der Misere, dass
sie sich für das verantwortlich fühlte, was sie mir angetan hatte. Da hätte es
wirklich nicht hineingepasst, mir auch noch fröhliche Ostern zu wünsche. Dafür
hatte ich Verständnis, dafür hätte ich sie umarmen können. Ich sagte: "Da
bist du wenigstens ehrlich."
Sie
verstand das wohl als meine aufrichtige Meinung, denn sie erwiderte nichts. Ich
sagte: "Dein Arzt war mir gegenüber unehrlich. Er hat etwas vor mir
verborgen. Ich weiß nicht, ob es dich betraf oder was er mir nicht sagen
wollte. Von mir hat er gesprochen, als ob er mich kennen würde. Dabei war ich
doch das erste Mal in seiner Praxis."
Sie:
"Hat er 'was über mich gesagt?"
Ich:
"Nein, über dich hat er nichts gesagt. Nur, dass die ganze Sache weit
zurückreicht. Er hat mir eine Geschichte erzählt, wonach eine Überlagerung von
Rollen über Jahre stattgefunden hat: Kind, Mutter und Vater, alles in einem.
Ich habe ihn aber gefragt, ob du krank bist, ob es dir gesundheitlich schlecht
geht. Er hat gesagt: 'Ja, Ihre Frau ist seelisch und körperlich krank.' Ich
meine nur, wenn du krank bist, kann ich dich doch nicht so behandeln, als wenn
du gesund wärest. Bist du krank? Bekommst du Medikamente?"
B.:
"Ich bin psychisch ganz schön durcheinander. Ich bekomme von ihm
natürliche Mittel. Naturheilmittel."
Ich:
"Ich habe zu ihm gesagt: 'Wenn meine Frau krank ist, dann muss ich doch
erst einmal alles Erdenkliche tun, um ihr wieder zur Gesundheit zu verhelfen.
Sagen Sie mir bitte, was ich machen soll.' Da hat er dann gesagt: 'Je mehr sie
nichts tun, desto mehr tun sie in Ihrer Sache.' Weißt du, ich war mir immer
sicher, dass du von mir erwartest, dass ich dich dauernd erobern müsste."
B.:
"Was? Die ganze Ehe schon?"
"Ja,
ich sag es dir ganz ehrlich. Das habe ich gedacht. Wenigstens das letzte halbe
Jahr. Von mir habe ich dasselbe erwartet."
Sie:
"Und warum?"
Ich:
"Was weiß ich. Vielleicht weil ich so erzogen bin, und ich bin sicher, du
auch. Du hast mich doch immer in dieser Meinung bestätigt. Immer hast du mich
handeln lassen. Auch jetzt wieder muss ich dich anrufen, um etwas zu erfahren.
Ich muss etwas tun und laufe Gefahr, gegen deinen Willen etwas zu unternehmen.
Das wollte ich aber nicht mehr tun. Das war ja wohl gerade das Verkehrte. Das
war doch das Falsche, oder?"
Sie
sagte: "Du warst immer der Jäger und ich war immer das Wild. Hast du doch
selbst gesagt."
Ich:
"Du hast nie etwas anderes verlangt. Aber so habe ich es trotzdem nicht
gesagt. Ich habe gesagt, dass du die Sammlerin bist und dass ich der Jäger bin.
So stimmt es."
B.:
"Ich habe dir so oft gesagt, dass ich mich als Gejagte fühle, darauf hast
du keine Rücksicht genommen. Du fandst das auch noch gut."
"Ich
sage dir ja, dass ich der Meinung war, dass du in allem von mir erobert werden
wolltest. Damit hängt das zusammen. Du kannst mir glauben, dass ich das jetzt
begriffen habe. Ich möchte, dass du mir das glaubst. Sag mir bitte noch, was es
in der Familie gibt. Gibt es 'was Neues?"
Sie
rappelte jetzt, als ob ihr die Zeit davonliefe herunter: "Für das Geld,
das du mir zu viel überweist, habe ich auf deinen Namen ein Konto
eingerichtet."
Ich
dachte sofort: 'Das macht sie schon wieder in Vorbereitung auf eine Scheidung,
um ja abgesichert zu sein, dass sie nichts zurückzahlen muss, sie macht es auf
die Möglichkeit einer Versöhnung hin, dass sie dann sagen kann, sie hätte schon
zu Zeiten, als ich noch gar nicht damit rechnen konnte, bereits wieder an unsere Zukunft gedacht. Sie war eine Frau mit
zwei Gesichtern. Das fiel mir immer wieder auf. Ich sagte ganz spontan:
"Dann kannst du doch gleich meine ganze Kasse wieder übernehmen." Das
hätte ich zu gerne gehabt.
Darauf lachte sie. Es war das erste Mal seit Monaten, dass
ich sie wieder lachen hörte. Das machte mich zum drittenmal in diesem Gespräch
glücklich.
Sie: "Nein, nein, mein Lieber. Daraus wird nichts.
Der Kleine muss selbständig werden. Das musst du lernen."
Ja, das war ihre Sprache, so konnte ich sie verstehen.
Aber es half kein Jammern: "Weißt du, wie mein Konto
aussieht?"
Das interessierte sie: "Wie denn. Hast du Schulden?
Sag' wie viel? Na, sag's schon."
Ihre Neugier war typisch.
Ich: "Nein, ich sage nichts dazu. Ich finde nur, du
könntest mein Konto wieder führen. Nein, ich sag's dir nicht."
Sie: "Ich schick dir das neue Sparbuch 'rüber. Dann
hast du etwas zum Abheben."
Ich schrie fast in den Hörer: "Nein! Auf gar keinen
Fall."
Ich dachte: 'Die erste Verbindung, die sie wieder
aufgebaut hat, egal aus welchem Grund, werde ich doch nicht wie ein dummer
Junge zerstören. Sie soll ruhig weiter für mich sparen. In Gelddingen hat sie
den Appetit, während er mir vergeht.'
Sie antwortete ein wenig trotzig und ein wenig stolz und
sehr zurückweisend: "Dann eben nicht."
Sie sagte in ihrer Gehetztheit noch, dass einer unserer
Söhne in ärztlicher Behandlung sei: "Der Arzt hat bei ihm Geschwüre im
Darmtrakt festgestellt." Das verschlug mir völlig den Atem. Ich wusste,
warum er die bekommen hatte. Der Junge machte sich Sorgen um seine Eltern.
Schuld über Schuld, gemischt mit ohnmächtiger Wut, stiege
in mir auf, Der Telefonhörer in meiner Hand wurde schwer wie Blei.
Sie fragte dreimal, viermal nach, ob ich noch am Apparat
sei, aber ich konnte nicht antworten.
Sie erzählte und erzählte und überbrückte, um ja keine
Unterbrechung aufkommen zu lassen. Das half mir aber alles nicht.
Einmal fragte ich dazwischen: "Wieso erfahre ich
nichts, warum sagt mir keiner was los ist. Das kann und kann ich nicht
begreifen."
B.:
"Ich hatte mich nicht getraut, dich anzurufen. Nach unserem letzten
Treffen hatte ich solche Angst, weil ich dachte, dass du mit mir nur eine neue
Beziehung beginnen willst. Deswegen hatte ich wirklich schlaflose Nächte.
Glaub' mir das bitte."
Ja,
ich glaubte ihr.
Ich
war unendlich müde und traurig: "Erfahr' ich denn von nun an, wie es
weitergeht, rufst du mich von nun an wenigstens an?"
B.:
"Ja, das mach ich."
Ich:
"Bestimmt?"
Sie:
"Ja, bestimmt, wenn ich mit dir so reden kann, wie jetzt, bestimmt."
Ich verstand sie nicht mehr. Was sollte das nun wieder heißen. Ich war zu sehr
durcheinander. Ich schwieg nur noch. Mir standen Tränen in den Augen. Ich
musste das Gespräch abbrechen und sagte in einen ihrer Sätze hinein:
"Tschüss.“
Sie
schwieg, sprach dann doch schnell noch etwas hinterher. Das konnte ich aber
nicht mehr verstehen. Der Hörer fiel schon in die Gabel.
Ich
war allein in meinem Büro und konnte mich gehen lassen. Ich warf meine Arme
quer über den Schreibtisch und weinte die ganze Verzweiflung darüber, dass mein
Sohn unseretwegen krank geworden war, und meine ganze Wut darüber, dass man
mich die wichtigen Dinge aus unserer Familie nicht erfahren ließ, mich nicht
mehr in das Familiengeschehen einbezog, auf die Schreibunterlage.
Es
ist gut, dass der Mensch nicht immerzu leiden kann. Meine Tränen erzeugten auf
dem Kunststoff einen so widerwärtigen Geruch, dass ich mit dem Kopf hochkam,
mich zusammenriss, und mir die einfache Frage stellte: 'War das Gespräch ein
Erfolg oder war es ein Misserfolg.’
Abgesehen
von meinen schwachen Nerven konnte ich mich nicht beklagen. Ich hatte mich
dreimal in glückliche Zeiten zurückgesetzt gefühlt. B. hatte nicht mehr, wie
sonst, alles stur abgelehnt, sondern einen Einfall, der uns beide betraf, in
die Tat umgesetzt. Sie hatte das Sparbuch sogar eingerichtet, ohne mich um
Erlaubnis zu fragen. Dabei war es gleich, mit welchen Gedanken sie das begonnen
hatte. Alles in allem hätte ich sogar ein wenig stolz auf sie sein können.
Die
Einschätzung mochte völlig falsch sein. Sie half mir aber, die Dinge in dem
Hauch eines schwachrosaroten Lichtes zu sehen. Sie verhalf mir, selbst auf die
Gefahr hin, dass ich mir alles nur einredete, zu einem größeren Abstand und zu
etwas mehr Freude am Leben. Die wollte ich zu genießen versuchen.
Ein
Bekannter sagte: "Wenn es mir schlecht geht, gehe ich in die Stadt und
schau mir schöne Frauen an."
"Und
was machst du, wenn es dir gut geht?"
Er
sagte: "Dann erst recht."
Es
tat wohl, festzustellen, dass ich an dem Humor anderer Leute wieder Gefallen
fand. Schöne Frauen gab es in der Stadt und dort an der Uferpromenade. Wenn das
Wetter morgen so gut sein würde wie heute, würde ich hinfahren und meine Augen
offen halten.
Am
nächsten Tag war stürmisches Wetter. Meine gute Laune war verflogen, ich machte
aber aus Vernunftgründen, weil ich es mir nun einmal vorgenommen hatte, meine
Absicht wahr.
Auf
dem kleinen Binnenwasser wurde eine Segelbootregatta gefahren. Das gefiel mir.
Die Boote hatten angenehme Formen, lagen geschmeidig im Wasser vor dem Wind.
Sie waren noch weit draußen. Hier in der Nähe des Ufers, vielleicht zweihundert
Meter entfernt, war die Wendemarke, die wichtigste Stelle der ganzen Fahrt.
Hier mussten die Segler zeigen, was sie konnten. Hier konnte man den Gegner aus
dem Wind drängen, hier konnten schwere Fehler gemacht werden, wenn man nämlich,
anstatt ein zügiges Wendemanöver durchzusegeln, zur 'Halse' gezwungen wurde.
Dann ging das Boot mit dem weitausladenden, freischwingenden Segel durch den
Wind. Das ließ das Segel schlagartig von der einen Seite über die Köpfe der
kleinen Mannschaft hinweg auf die andere Seite des Bootes fegen. Wurde man
davon überrascht, konnte es leicht das Ende der Regatta, das Kentern des Bootes
bedeuten. Ich blieb stehen, um zuzuschauen. Vor mir, an einem Steg, lagen
weitere Boote. An denen waren keine Segel hochgezogen.
Diese
Bootskörper machten die unruhigen Wellenbewegungen mit und pendelten ruckartig
hin und her. Manchmal kamen sich die Mastspitzen gefährlich nahe. Metallseile
stiegen an ihnen auf, die wurden vom Wind mit klatschenden, metallischen Tönen
gegen das Gestänge gepeitscht. Es war fast eine harte Melodie darin, in welcher
die Lautstärke der Schläge gleich blieb. Mit ihrer gewaltsamen Unregelmäßigkeit
zwangen sie mich zum Hinhören.
Die
Boote schienen die Bewegungen und Geräusche gegen ihren Willen an sich
passieren und entstehen lassen zu müssen. Sie schienen sogar, wenn sie sich
aufrichteten, dagegen ankämpfen zu wollen. Dann wieder lagen sie für wenige
Sekunden in völliger Teilnahmslosigkeit in einer Windstille. Nicht die kleinste
Bewegung, nicht das geringste Geräusch entstand, bis neue Unruhe sie wieder überfiel.
Die Boote kamen vorne hoch, dann hinten, schienen Widerstand zu leisten, einer
Gewalt an sich mit der gleichen Gegenkraft ausweichen zu wollen. Es waren wilde
Spiele, die mir Spaß machten.
Zwei
Boote, die am Rennen beteiligt waren, schlugen draußen um.
Die
Besatzungen kletterten schnell auf die Rücken der nach oben gedrehten
Bootskörper und versuchten sie irgendwie zurückzudrehen. Es waren Untergänge,
die nur die Segel untertauchen ließen. Als Boote schließlich an die Wendemarke
kamen, begannen sie, sich gegenseitig die Vorfahrt nehmend, so stürmisch wie
möglich um sie herum zu fahren.
Die
viel zu schrägen Segel vermittelten ein eigenwilliges Gefühl von Gefahr, ein
Gefühl von Atemlosigkeit, die Lust, an einer Gefährlichkeit teilnehmen zu
können, mich in ihr zu befinden, ohne in ihr handeln zu müssen oder zu wollen.
Mitten
in diesen fast sinnlich erlebten Reizen leistete ich es mir, mich abzuwenden,
und nach den großen Wiesenflächen in meinem Rücken umzudrehen. An deren Rand
standen Bäume in voller Blüte. An ihnen wuchsen ungeheure Mengen rosaroter
Blüten. Es waren Doppelblütler, Tausende von winzigen Tänzerinnenröckchen, die
ineinander steckten, das Auge verführten und verwirrten.
Ich
ging ganz nahe an sie heran, mit den Geräuschen des Wassers, des Windes, der
Segelboote im Rücken, immer näher, noch näher, bis meine Wimpern die kleinen
Beinchen, die aus den Blütenkelchen herausragten, berührten. Gleichzeitig roch
ich den süßen Duft. Den und alles um mich herum würde ich nicht lange ertragen
können. Ich wartete auf einen Schmerz. In meinem Rücken belauschte ich, wie in
einer Art Selbstbetrug, wieder die Boote. Sie waren fast körperlich wahrnehmbar
ganz nahe am Ufer. Das ließ mich herumfahren und erneut zu ihnen schauen. Sie
waren zum Anfassen nahe herangekommen. Geräusche brachen aus dem Wasser und aus
den Segeln. Von dort kam ein sirrendes, vibrierendes Zittern. Der Wind fegte
über die weißen Stoffe und ließ an den Rändern, wo er sie nicht prall genug
füllte, das eigenartige Sirren entstehen. Es hörte sich an, als müssten sie
jeden Augenblick davon zerfetzt werden.
Einige
Boote waren viel zu weit über die Wendemarke hinausgeschossen und bis in die
unmittelbare Ufernähe geraten. Dort erst gelang ihnen das Manöver. Ich glaubte,
sie berühren zu können.
Der
Wind in den gewölbten Segeln drängte die Bootskörper voran, zog alles Gestänge
hinter sich her, wurde, so in Fahrt, zu großen weißen Händen, die auf den
Rundungen lagen und schoben und schoben und schoben.
An
einigen Booten wurde zusätzlich ein übergroßes Vorsegel aufgezogen. Sie standen
vor den Hauptsegeln als Galionsfiguren. Sie wurden zum selbständigen Körper an
den Booten, sie wurden zu Booten an den Booten. Sie verlangten nach
Bewunderung. Man sah sie vom Ufer aus mit Stolz. Die Vorsegel hatten
leuchtende, krasse Farben. Sie mussten weithin auffallen. Die Menschen auf der
Promenade sahen die erst immer größer werdenden Reiter auf sich zukommen und
dann in rasender Eile als himmelsteigende Ballone zu winzigen Punkten in der
Ferne zusammenschrumpfen.
Ich
war begeistert. Ich war bereit Beifall zu spenden und hielt den Atem an, als
der Wind von einem Augenblick zum anderen aus den riesenhaften roten, blauen,
gelben Wölbungen fiel und sie zu schlaffen Säcken werden ließ. Ich musste
zusehen, wie die eben noch runden Kissen in sich zusammenfielen und empfand es
als eine Sekunde der Peinlichkeit. Mehr noch, es wurde mir zu einer mich
persönlich verletzenden Entblößung, die dann jedoch sofort in eine trotzige
Genugtuung umschlug.
Der
Wind fiel erneut in die Segel, dass sie anschwollen, wie Frauenröcke über einem
Luftaustritt mitten in einer Straße, und meine Begeisterung kehrte zurück. Einige der Zuschauer waren so mitgerissen, dass sie
tatsächlich klatschten. Das konnten die dort draußen niemals hören. Zwischen
den Booten schwammen Enten und Tauchervögel, die hier selten zu sehen waren.
Sie wurden vom Wind und den Wasserströmungen abgetrieben oder festgehalten.
Einige Schwäne konnten sich besser behaupten. Sie blieben in Ufernähe. Die
Boote waren für die Tiere scheinbar keine Gefahr. Mit den Schwänen verband mich
eine geheime Sehnsucht, nämlich die Sehnsucht nach einer Sehnsucht selbst.
Sie
brachten mir die Erinnerung an ein Märchen, das ich gerade gelesen hatte.
Die
hochgestellten Flügel über ihren Rücken, wurden zu Lauben mit vielen Öffnungen,
in denen ich mich mit der herbeigesehnten Verkörperung meiner Sehnsucht nach
einer Sehnsucht zu befinden schien.
Ich
gab mich diesen Gedanken weitschweifig hin. Die Ruhe der Schwäne, trotz der
heftig bewegten Boote um sie herum, trotz des heftigen Windes, der Regenschauer
und der Zuschauer in ihrer Nähe, bescherte mir eigenwillige Bilder. In
Gedankenspielen sah ich wehende Frauenhaare, sich umschlingende Frauenarme,
ohne wirklich Gestalt anzunehmen. Es war eine Empfindung für deren Dasein, die
Sehnsucht, mich danach sehnen zu dürfen.
Ich
sah den Tieren lange zu.
An
diesem Tag hatte ich mit noch gar keinem Menschen ein einziges Wort gewechselt.
Ich schaute deshalb oder auch zufällig hoch und wurde in demselben Augenblick
von einer Frau gegrüßt, die ich aus dem Büro kannte. Ich war erschrocken über
den Zusammenhang zwischen meinem Gedanken und dem sofortigen Aussprechen eines
Wortes, als ich den Gruß erwiderte.
Es
kam mir vor, als hätte mich jemand belauscht und machte sich einen Spaß daraus,
mir diesen Wunsch, falls es einer gewesen war, sofort zu erfüllen oder die
Beschwerde, falls es denn eine solche gewesen sein sollte, sofort
zurückzuweisen. Nach etwa zwei Stunden kehrte ich heim.
Auf
der Rückfahrt saß ich einer jungen Frau gegenüber. Sie gefiel mir und ich
erkannte und erinnerte an ihr die vielen Formen, Linien und Bewegungen, die ich
auf dem Wasser, an den Booten, in den Masten, in und an den Segeln und
besonders in den Schwänen gesehen hatte. Das erfüllte mich noch mehr mit Freude
und ich überließ mich wunschlos den verschwenderischen Vorstellungen in der
Verwirklichung meiner Sehnsucht. Es fiel mir dabei auf, dass ich mich auf
meinem Spaziergang überhaupt nicht nach Frauen umgesehen oder nach ihnen
Ausschau gehalten hatte. Das war eine Entdeckung, die mich sehr überraschte.
Jetzt, im Moment, trauerte ich dem zwar nicht nach, aber die Feststellung
beunruhigte mich auch. Bestimmt hatte daran nicht eine Unlust am anderen
Geschlecht die Schuld. Ich dachte, dass ich vielleicht alles aus viel zu großem
Abstand wahrgenommen hatte, dass ich noch weit, weit entfernt war von
eigennützigen Gefühlen, von Eigenliebe und dem Bedürfnis, mir etwas Gutes zu
tun.
Ich
handelte und dachte offenbar noch lange nicht für mich, aus Lust an mir oder
Freude sondern schien ganz von Anfang an neue Erfahrungen damit machen zu
müssen. Das erschütterte mich geradezu und ließ mich, als ich zurückdachte, die
Begegnung mit G., der zweiten Anruferin, in einem ganz anderen Licht sehen. Was
ich ihr alles an Versagen angedichtet hatte, war nur in meiner Phantasie
Wirklichkeit. Welcher Mann hätte sich schon von einer Frau verletzt fühlen
können, wenn die, von ihm mit einem Kuss überfallen, darauf nicht
überschwänglich reagieren würde. Das wäre doch nicht unnormal. Zu jeder anderen
Zeit hätte es mich gereizt, erst recht nicht aufzugeben, sondern sie umso
heftiger zu umwerben. Ich hatte auch bestimmt falsch daran getan, sie nicht
weiterhin mit allen Mitteln für mich gewinnen zu wollen. Ich hatte sicher
übersehen, dass sie sich um Wege bemühte, mit mir in Kontakt zu bleiben. Sie
hatte dabei ihre Scheu überwunden und das hätte ein gewisser Liebreiz an ihr
werden können. Das war mir nicht bewusst geworden. Das verstand ich erst jetzt.
Ich dachte, dass ich noch gar nicht aufnahmefähig, noch gar nicht in der Lage
war, eine enge Beziehung einzugehen und tiefe Gefühle zu empfinden oder sie gar
zu erwidern.
Wie
arm musste ich dran sein.
Die
Liebe zu G. nicht wirklich angestrebt haben zu können, war schon eine schlimme
Erkenntnis. Festzustellen aber, dass ich ihre Liebe nicht an mich hatte
herankommen lassen wollen, sie nichts für mich hatte tun lassen, traf mich
schwer. Traurigkeit und Trostlosigkeit machten sich breit.
Ich
dachte: G. wird mit der Gabe vieler Frauen die Situation gefühlsmäßig erfasst
haben. Sie wird erkannt haben, dass der Zugang zu mir versperrt und nur mit
meiner Hilfe zu finden und zu öffnen war. Deshalb ihre Rückrufe, ihre
Anhänglichkeit und ihre Geduld. Sie wollte sich die Möglichkeit einer
Annäherung, einer beginnenden Liebe nicht nehmen lassen. Sie wusste, wie schwer
es war, einen Gleichgesinnten zu finden. Sie setzte deshalb alles daran, mich
auch unter Verletzung ihrer eigenen Empfindlichkeit, für sich zu gewinnen. Sie
hoffte auf eine Änderung meiner Gefühle, die sie, wenn sie nur Zeit gewänne, an
mir herbeiführen würde. Dem hatte ich mich erst vorsichtig und dann immer
heftiger entzogen. Trotzdem hätte ich ihr raten, ihr meinen wunden Punkt nennen
können: nur ihre dauernde Nähe hätte mich beeinflussen können. Ihre körperliche
Anwesenheit hätte mich in kürzester Zeit aufgeschlossen und alles Gewesene
vergessen lassen können.
Das
wusste sie nicht, das hätte sie nur erahnen können. Aber selbst wenn sie von
sich aus auf den Einfall bekommen wäre, hätte sie sich damit eigene größte
Probleme eingehandelt. Sie hätte nämlich ihre Berührungsangst überwinden
müssen. Die schien mir aber ihr größtes Problem zu sein. Was dem einen von uns
gut tat, wies den anderen zurück. So würden wir nie zusammenfinden können.
Ich
trank trotzdem die Klarheit meiner Gedanken und fühlte mich befreiter. Mir
wurde jetzt vieles verständlicher, aber umso weniger beeinflussbar. Mein
Spaziergang am Ufer hatte einiges zurecht gerückt. Heute war ein arbeitsfreier
Freitag und das ganze lange Wochenende lag vor mir. Ich hätte mich leicht
darauf einstellen können, nahm mir aber nichts Besonderes vor.
Abends
ging das Telefon. Es wurde selten bei mir angerufen, so dass ich neugierig war,
wem ich da eingefallen sein mochte. Ich nahm den Hörer ab, aber es meldete sich
niemand, auch das Freizeichen ertönte nicht. Es musste also jemand in der
Leitung sein. Ich fragte nach. Es meldete sich niemand. Ich legte auf. Ich
machte mir keine weiteren Gedanken und ließ die Sache auf sich beruhen. Der
Samstag verging, alles blieb ruhig. Sonntag, am späten Vormittag ging das
Telefon erneut.
Sie
meldete sich sofort: "Hallo, hier ist G."
Sie
meldete sich mit ihrem Nachnamen. Das sollte doch nicht mehr sein. Ich war
überrascht darüber und dass sie in der Leitung war.
Ich
sagte: "Du? G.? Hallo, wie geht's."
Sie:
"Gut, danke."
Ich
wieder: "Rufst du von hier, aus der Stadt, an, oder von S. Übrigens hast
du schon einmal am Freitag versucht mich zu erreichen?"
Sie:
"Nein, hab' ich nicht. Ich bin Zuhause. Bei mir in der Wohnung." Im
Hintergrund hörte ich ihren Dackel bellen. In Gedanken war ich wieder in ihrer
Wohnung und stellte mir vor, von wo aus sie telefonierte. Ich wusste nichts
weiter zu reden. Das merkte sie, und es fiel auch ihr nichts ein oder sie hielt
sich bewusst zurück.
Ich
machte die Flucht nach vorne und sagte: "Es ist dir sicher schwergefallen,
wieder anzurufen, nicht?"
Ich
dachte, entweder ist sie nun beleidigt und legt auf oder sie ist den Druck los
und wir können uns wenigstens unbeschwert unterhalten.
Sie:
"Ich war ja ganz sicher, dass du dich nicht wieder melden würdest. Aber
ich finde das so schade. Vor allen Dingen, wenn ich daran denke, was du mir bei
mir, als du auf dem Sessel gesessen hast, gesagt hast." Pause.
Ich
wusste natürlich, was sie meinte und sagte: "Du meinst, dass ich mir
vorstellen konnte, bei dir Urlaub zu machen, ja?"
Sie:
"Du hast noch 'was anderes gesagt." Ja, sie hatte recht.
Ich
sprach es aus: "Ich könnte mir vorstellen, mich in dich zu verlieben, habe
ich gesagt. Das meinst du, ja? Das stimmt."
Sie:
"Ja. Sollten wir uns nicht noch einmal verabreden?"
Ich
dachte: 'Jetzt muss ich ihr reinen Wein einschenken, sonst läuft die Sache noch
ewig so weiter.'
Ich
sagte: "Weißt du, wir sind doch keine vierzehn mehr, und als ich zu dir
unterwegs war, hatte ich ganz andere Vorstellungen von dem Verlauf des
Abends."
Sie
sofort: "Ich auch. Ich hatte mich gewundert, dass du für nur eine Stunde
herausgefahren kamst. Ich hatte mich darauf eingestellt, dich noch spät an die
Bahn zu bringen. Ich hatte ja kaum Wein getrunken und hätte dich auch bis zu
dir nach Hause gefahren. Aber du wolltest ja sofort die nächste Bahn
nehmen."
Sie
zwang mich zu antworten: "Als ich dich angerufen hatte, hast du als erstes
gesagt, dass ich mich um die Rückfahrt kümmern sollte. Das habe ich getan. Der
spätere Zug wäre mit Umsteigen verbunden gewesen. Aber ich sage dir ehrlich,
ich hatte damit gerechnet, dass du sagen würdest, dass ich bei dir hätte
übernachten können. Wenigstens, wenn schon nicht bei dir zu Hause, dann doch in
einem Hotel. Als ich bei dir war, hast du mir nur angeboten, mich
zurückzufahren."
Sie:
"Bei mir geht das nicht so schnell. Ich weiß, dass ich in der Beziehung
sehr zurückhaltend bin. Das ist vielleicht ein Fehler."
Ich
sagte: "Du bist 'die Sanfte'. Kennst du das Buch?"
Nein,
sie kannte es nicht. Ich hatte auch keine Lust, es ihr zu erklären.
Sie
wieder: "Du, als Mann, hättest doch sagen können, dass du bleiben wolltest.
Wir hätten niemanden gestört. Die Kinder haben ihre eigenen Zimmer."
Das
fand ich nicht richtig so: "Du, ich war in deiner Wohnung. Wenn sich ein
Mann schon nachts auf Reisen zu einer Frau begibt, dann ist doch ziemlich klar,
dass er an dem Abend nicht wieder zurück will. Du hättest mich wenigstens mit
Andeutungen auffordern sollen. Das habe ich erwartet."
Sie
war enttäuscht. Ich wusste nicht, ob über mich oder von sich. In mir saß auch
immer noch der Ärger darüber, dass sie mir nichts zu essen angeboten hatte.
Deshalb fragte ich: "Kannst du eigentlich kochen?"
Sie
ganz eifrig: "Ja, ich kann kochen. Aber ich gehe genau so gerne außerhalb
essen."
Deutlicher
wollte ich nicht werden, aber ich merkte, wie es in ihrem Kopf arbeitete. Es
wunderte sie sicher, warum ich so plötzlich auf diese Frage gekommen war.
Sie
sagte: "Ich kann dich ja besuchen."
Ich:
"Jetzt? Von mir aus. Das finde ich gut. Komm, wenn du willst. Wir können
gemeinsam Mittag essen. Ich kann für uns beide 'was vorbereiten."
Damit
wollte ich sie nicht an ihr Versäumnis erinnern sondern ich meinte es ehrlich
so.
Sie
sagte: "Heute geht das nicht, weil ich mit meiner Mutter eine Verabredung
zum Mittagessen habe. Es könnte hinterher gehen."
Ich:
"Wann ist das, hinterher. Zum Kaffee?"
"Nein.
Ich könnte so gegen achtzehn Uhr bei dir sein. Das ließe sich machen."
Ich
dachte fieberhaft nach: 'Sollte ich sie nun einladen, bei mir zu übernachten?
Sollte ich zustimmen?'
Ich
sagte: "Morgen müssen wir arbeiten, also früh hoch sein."
Sie:
"Es macht mir nichts aus, wenn ich spät nach Hause komme. Wenn ich meine
Mutter abgeliefert habe, kann ich bei dir vorbeikommen. Das liegt fast auf dem
Weg."
Ich:
"Das wird mir dann zu spät."
Ich
dachte: 'Die begreift überhaupt nichts. Sicher denkt sie nur daran, dass sie
heute Nacht noch mit ihrem Hund nach draußen gehen muss.'
Sie
wieder: "Können wir uns denn in der Woche sehen? Hast du Lust zu mir
'rauszukommen? Bitte. Du weißt doch, dass ich dich mag. Sonst würde ich
bestimmt nicht anrufen."
Das
hatte ich inzwischen begriffen. Ich konnte mich jetzt überhaupt nicht mehr zu
irgendetwas entscheiden. In meinem Kopf ging alles durcheinander. Ich fand
keine Antwort und zögerte. 'Nein', wollte ich nicht sagen, `Ja', konnte ich
nicht sagen, weil ich von ihrer Liebesbereitschaft nicht überzeugt war. Ich sah
zu viele Schwierigkeiten auf mich zukommen, wusste einfach nichts zu antworten.
Sie
begann zu drängen: "Was ist nun, Herr B."
Sie
hatte mich plötzlich und ausdrücklich wieder mit meinem Nachnamen angesprochen.
Das ließ mich aufhorchen.
Ich:
"Ich muss darüber nachdenken."
Was
ich jetzt sagen oder antworten würde, hätte zu weitreichende Folgen, als dass
ich etwas Falsches sagen dürfte. Ich musste nachdenken.
Sie
wieder: "Wir sollten uns treffen, ja?"
Ich:
"Nein. Ich möchte nicht. Ich möchte nachdenken und mich dann bei dir
wieder melden:.." ich machte eine ganz kleine Pause,
"...dürfen."
Das
war eigentlich gemein von mir, denn so nahm ich ihr die Möglichkeit etwas
dagegen zu sagen.
Sie
war beleidigt: "Glaubst du, dass sich das viele Frauen bieten lassen
würden, was du mit mir anstellst."
Ich
musste mich rechtfertigen: "Wenn eine Frau, die von einem Mann geküsst
wird, mit dem Kuss nichts anzufangen weiß, dann macht sie ihn völlig hilflos.
Du hast mich bei dem Kuss so fassungslos angesehen, dass ich gedacht habe: 'Was
soll ich mit einer Frau, die nichts mit einem Kuss anfangen kann.' Ja, das habe
ich gedacht."
Sie:
"Könntest du dir vorstellen, dass zum Beispiel, wenn wir uns drei Monate
kennen würden, du darüber ganz anders denken würdest? Dass du dann darüber
lachen würdest?"
Ich
sagte: "Das ist möglich."
Sie:
"Und außerdem hattest du mir in der Unterführung oder kurz davor gerade
klargemacht, dass wir uns nicht mehr treffen wollten. Und dann der Kuss. Das habe
ich nicht verstanden."
Ich:
"Das ist auch nicht zu verstehen. So bin ich eben."
Sie:
"Also, was ist nun."
Meine
Antwort: "Ich möchte mich bei dir melden dürfen." Diesmal brachte ich
den Satz flüssig heraus.
Pause.
Dann
sie: "Also. Gut."
Pause.
Jeder
horchte, ob der andere etwas sagen würde.
Sie
noch einmal: "War's das?“
Ich:
"Ich muss nachdenken, ok?"
Sie:
"Also, Tschüs."
Ich:
"Ja, Tschüs.“
So
ging das schwache Kerzenlicht, das aus dem zweiten Treffen geboren war,
schließlich unter unseren Augen vor Entkräftung von alleine aus. Wir sahen
hilflos und tatenlos zu.
Wir
hatten herrlich warmes Wetter. Es mussten über dreißig Grad sein. Ich hatte die
Balkontür weit aufgeschoben und ließ die schwüllaue Luft herein. Jetzt zum
Feierabend fing auf der anderen Straßenseite jemand an, seinen Rasen mit einem
viel zu lauten Mäher zu bearbeiten. Der Geruch von frischgeschnittenem Gras,
gemischt mit den Abgasen aus dem Mähermotor oder aus Automotoren kroch bis zu
mir in den vierten Stock herauf. Der frische Grasgeruch war mir lieb, der
Geruch von Abgasen quälte mich. Ich ließ dies Geschehen um mich herum trotzdem
zu und zog es dem "hinter verschlossenen Türen verkümmern" vor. Ich
ertrug auch lieber diesen Krach und den, der von der Hauptstraße und aus einer
Seitenstraße heraufdrang, und bildete mir so ein, mich unter Menschen zu
befinden. Durch die geöffnete Tür drangen Sprachfetzen zu mir. Wenn ich mir
Mühe gab, waren ohne weiteres ganze Sätze zu verstehen. Ich genoss das, weil es
meine Einbildungskraft anregte. Ich versuchte zu erraten, worüber sich die
Leute wohl unterhalten mochten.
B.
hatte im kommenden Monat Geburtstag.
Seit
Wochen arbeitete ich an einem Bild, einer Bleistiftzeichnung, das ich als
Vorlage für eine Seidentuchbemalung benutzen wollte. Mit der Vorlage konnte ich
unterschiedliche Tücher entwerfen, bemalen und das schönste, oder gefälligste
davon wollte ich für sie auswählen.
Mein
Thema war eine Reiterin auf einem Pegasus, dem geflügelten Pferd der Dichter,
dem Fabeltier aus der griechischen Götterwelt, meinem Ego. Das Gelungenste war
jetzt schon für sie bestimmt. Sie sollte auf jeden Fall ein Geschenk von mir
bekommen.
Der
Geburtstag rückte näher. Dass ich sie mit dem Tuch vielleicht gar nicht
glücklich machen würde, lag auf der Hand. Ihr Verdacht, sie wieder zur Trägerin
meiner Hoffnung machen zu wollen, würde mehr als nur eine Vermutung sein.
Würde
ich ihr etwas anderes, also etwas Gekauftes schenken, würde sie sich wegen
meiner Plumpheit und Einfallslosigkeit missachtet fühlen. Ein teures Geschenk
würde sie verschmähen: 'Ich lass mich doch nicht von dir erpressen.' Es blieb
nur etwas ganz Persönliches übrig, etwas, das uns beide betraf, ein Geschenk,
das zwangsläufig zum Boten zwischen ihr und mir werden musste. Das Tuch schien mir
gerade richtig. Das mochte sie berühren, vielleicht. Es hätte sie überzeugen
dürfen, meinetwegen gerne. Das Geschenk durfte aber nur so stark sein, dass sie
sich von ihm nicht überfahren fühlte und mein Liebesbekenntnis, ohne sich von
mir erpresst zu fühlen, gefallen lassen konnte.
Nach
der Zeichnung hatte ich drei Tücher entworfen.
Das
letzte war unter großer Lustlosigkeit, die mich plötzlich überfallen hatte,
entstanden. Aus ihm sprach aber die größte Leichtigkeit und Unverbindlichkeit,
beinahe Gefälligkeit. Es enthielt keinerlei Nebengedanken, sie hinters Licht
führen zu wollen. Ich selbst war ein wenig darin verliebt und auch zwei Frauen,
denen ich es zeigen konnte, strahlten bei seinem Anblick und waren sehr davon
angetan. Ich war also zufrieden.
Während
der nächsten Tage holte ich ab und zu alle drei wieder heraus, verglich sie
miteinander, um vielleicht noch anders zu entscheiden. Aber nein, es blieb
dabei, auch wenn an diesem Tuch scheinbar die wenigste Arbeit aufgewendet
worden war.
Oft
saß ich in meinem Zimmer und dachte über die letzten Ereignisse nach und wie
ich mich in Zukunft verhalten, was ich machen, ob ich überhaupt etwas machen
sollte, ob ich doch lieber und mit ganzer Kraft auf eine Versöhnung mit B,
hoffen und darauf hinarbeiten sollte. Mein Kopf sagte dazu: Das versuche lieber
nicht, denn die Enttäuschung kann nicht nur, sondern wird noch schrecklicher
sein als alles andere.
Ich
fühlte mich zwischen mehreren Stühlen.
Warum
sollte ich nicht auf meinen Bauch hören, meinem Herzen recht geben und einer
Hoffnung trauen. Warum mit B. nicht wieder eine Liebesbeziehung aufbauen
können? Ich ging mit meinen Überlegungen so weit, mich zu fragen: 'Wie würde
ich dastehen, wenn sich sogar unerwartet dazu die Gelegenheit bieten würde?
Würde ich dann handeln können? Schließlich war ich kein Postpaket, das man auf
Abruf zurückgeben oder kommen lassen konnte. Unter welchen Bedingungen würde
mir eine Rückkehr möglich werden. Wie sah es in B. aus. Dachte sie an wahre
Versöhnung oder nur noch an Trennung. War mein Bemühen in ihren Augen das
Zappeln eines Fisches, der an Land geschmissen worden war. Dachte sie
vielleicht schon lange an eine andere Beziehung?' Denkbar war alles. Von ihrer
bisherigen Treue war ich ziemlich überzeugt.
Konnte
und durfte ich mich um eine neue Partnerin bemühen? Bewies ich damit nicht
Untreue und eine noch größere Unglaubwürdigkeit als sie? Handelte ich aus
Verzweiflung? Gab es für mich andere Entschuldigungen als für B.? Mir fehlte
jede Überzeugung, bei wenigstens einem Vorhaben das Richtige oder das Falsche
zu tun oder zu beabsichtigen.
Ich
ging durch meine innere Leere, stieß an Verzweiflung und wurde dabei von
maßloser Traurigkeit begleitet. Sollte ich gar nichts machen, einfach abwarten,
auf die Ereignisse hoffen, auf die Zukunft, den Zufall?
Ihr
Geburtstag stand noch gut vier Wochen aus und ich würde bis dahin tausendmal
hin- und her schwanken. Sollte ich ihr lieber überhaupt kein Geschenk machen?
Nach
wie vor bemühte ich mich darum, mir die Tatsachen der Trennung, die Unumstößlichkeit
einzuhämmern, schaffte es aber nicht. Ich wusste, dass ich mich nicht
überzeugen konnte, sondern dass ich es erfahren musste.
B.
hatte mich vor etwa zehn Tagen im Büro angerufen. Ich hatte darauf gehofft,
aber nicht damit gerechnet.
Sie
hatte merklich Mut in der Stimme. Sie wollte mir die neue Telefonnummer einer
meiner Söhne durchgeben. Die wusste ich aber schon von einem meiner anderen
Söhne. Der hatte am Abend zuvor angerufen.
Ich
sagte trotzdem zu ihr, weil ich mich freute: "Schön dass du anrufst. Ich
hätte mir das schon früher gewünscht. Wie geht’s?"
"Das
ist doch erst eine Woche her, seit wir miteinander gesprochen haben."
"Ja,
eine gute Woche und du wolltest dich wieder melden. Du weißt doch wie sehr ich
darauf warte. Du verlangst von mir Unmögliches: ich darf mich nicht bei dir
melden und die Abstände deiner Anrufe werden immer größer. Du tust, als hätte
ich die Pest."
Sie:
"Nun hab' ich ja angerufen."
Ich:
"Ja, das ist richtig." Sie gab mir die Nummer durch.
Ich:
"Vielen Dank, die hab' ich gestern Abend schon bekommen. Trotzdem, danke,
Was gibt's denn sonst. Hast du Urlaubspläne?"
Sie:
"Urlaubspläne? An so 'was kann ich überhaupt nicht denken. Ich lebe von
einem Tag zum anderen. Ich habe mir gar nichts vorgenommen."
Ich:
"Können wir uns nicht gemeinsam etwas einfallen lassen? Paar Tage
verreisen, oder so?"
Ich
glaube, das verschlug ihr wieder die Sprache. Ich selbst musste einerseits über
meine Frage lachen und war andererseits über mich erschrocken. Wie konnte ich
ihr so etwas vorschlagen.
Sie:
"Du glaubst doch nicht, dass ich.."
Ich:
"Ja, ja. Ich weiß schon, du würdest nicht im Traum daran denken."
Sie:
"Ich würde nie..."
Ich:
"Sag' doch bitte bloß nicht immer 'nie'. Sag' mir doch bitte unter welchen
Umständen wir uns wiedersehen könnten. Zu Anfang warst du doch dafür. Und nun
weichst du mir derartig aus, dass ich denke, dass du mich überhaupt nicht mehr
sehen willst. Können wir uns nicht wenigstens 'mal treffen? Irgendwo.
Hauptsache ist doch, dass wir uns sehen und nicht dies blöde Telefon dazwischen
ist."
Sie:
"Siehst du. Jetzt krieg ich schon wieder mein Herzklopfen. Nur weil du
mich so bedrängst."
Ihre
alte Tante hatte einmal versucht, mich in einem für sie unangenehmen Gespräch
auf diese Weise mundtot zu machen. Der hatte ich gesagt: 'Herzschmerzen habe
ich auch. Und einem unangenehmen Gespräch auf diese Weise aus dem Weg zu gehen,
ist ganz schön leicht. Du wirst mich vielleicht noch um Jahre überleben.'
Darauf
war die Alte ganz friedlich geworden und hatte sich vernünftig mit mir
unterhalten. Die alte Dame lebte immer noch und ich gönnte es ihr. Meiner Frau
wollte ich aber nicht so kommen. Das hätte mir selbst Schmerzen bereitet. B.
liebte ich, die Tante nicht.
Ich
hatte wieder alle Vorsätze vergessen, forderte Unmögliches von ihr und musste
mir nun Vorwürfe gefallen lassen. Das wollte ich wirklich nicht. Sie sollte
sich schließlich erholen können. Jetzt hatte sie endlich einmal von sich aus
angerufen und war nach knapp drei Sätzen von mir derartig in Bedrängnis
gebracht worden.
Ich
sagte: "Entschuldige, dass wollte ich nicht. Ich frag dich 'was anderes.
Ja?"
Sie:
"Was denn."
Ich:
"Du hast doch bald Geburtstag. Da möchte ich dir etwas schenken, aber nur,
wenn du nicht wieder Probleme damit hast."
Sie:
"Ich möchte keine großen Geschenke von dir haben.“
Ich:
"Ich weiß, sie dürfen nicht teuer sein."
B:
"Auf gar keinen Fall will ich ein kostspieliges Geschenk. Nein, das möchte
ich auf gar keinen Fall."
Ich:
"B. das weiß ich doch. Ich möchte dir etwas Persönliches schenken. Etwas
aus eigener Produktion."
Sie:
"Dann hab' ich doch wieder Schwierigkeiten. Das soll mich wieder nur
beeinflussen.“
Ich:
"Du weißt doch, alles, was ich tu und mach', hat nur den einen einzigen
Sinn und Zweck, dass wir auf neuer Basis einen neuen Versuch wagen. Versuch das
doch bitte zu verstehen, nein, versuch das doch bitte dir auch zu
wünschen."
Sie
schwieg einen ganz kleinen Augenblick.
Ich
redete weiter und wusste, dass sie das, was ich nun sagte, bestimmt nicht
wollte: "Komm' doch bitte zu mir. Besuch mich doch bitte, hier in meiner
Wohnung, oder lass mich zu dir kommen, Ja? Jetzt gleich. Lass mich zu
dir."
Zu
meinem Erstaunen sagte sie mit samtweicher Stimme und mütterlichem Unterton:
"Nein. Bitte nicht."
Das
irritierte mich völlig. Ich hatte erwartet, dass sie wütend werden, jedenfalls
ganz anders antworten würde.
Es
war eine merkwürdige Ablehnung, so, als sollte ich erfahren, dass sie das aus
irgendeiner Rücksichtnahme heraus nicht annehmen mochte. Es war, als müsste sie
ein Angebot zurückweisen, welches gar nicht für sie bestimmt sein konnte; ja,
als hätte sie ernsthafte Zweifel, von mir überhaupt gemeint worden zu sein.
Ich
sagte zu ihr: "Du kannst mir viel erzählen, aber so dämlich bin ich nicht,
dass ich nicht weiß und sehe, dass du mich liebst. Ja, du liebst mich, das ist
völlig klar und das kannst du mir auch nicht ausreden."
Es
trat eine peinlich Stille ein. Ich hatte sie diesmal zu nichts, zu keinem
Bekenntnis, zu keiner Antwort überreden, sondern hatte sie nur meine
Überzeugung wissen lassen wollen.
Ich
fuhr einfach fort: "Wenn du meine Mutter besuchst, redest du dann nicht
mit ihr über deine Beziehung zu mir? Du besuchst sie doch immerhin noch. Ich
schaff das nicht. Ich schäme mich derartig, dass ich mich da nicht sehen lassen
kann."
Das
erstaunte sie: "Was, bist du die ganze Zeit nicht einmal bei deiner Mutter
gewesen?"
Ich:
"Nein, ich trau' mich nicht. Ich kann sie doch nicht aufsuchen und so tun,
als ob nichts wäre. Worüber sprichst du denn mit ihr. Doch nicht nur übers
Wetter, oder?"
B:
"Über uns jedenfalls nicht. Ich denke, das geht sie nichts an. Mit ihr bin
ich nicht verheiratet."
Ich:
"Da liegst du aber ganz schön falsch. Schließlich ist sie meine Mutter.
Sie will doch wissen was los ist. Kannst du das nicht verstehen? Von deiner
Mutter habe ich auch eine Einladung bekommen. Die nehme ich nur deshalb nicht
an, weil ich selbstverständlich mit ihr über uns reden müsste. Dafür schäme ich
mich aber zu sehr. Als Mutter muss sie doch auch erfahren dürfen, was los ist.
Geht das nicht in deinen schönen Kopf. So brutal könnte ich nicht sein."
Wieder
Schweigen am anderen Ende. Dann sie: "Du willst sie besuchen?"
Ich:
"Ja. Sie hat mich eingeladen. Aber ich kann nicht. Ich schaff das
nicht."
Sie:
"Dann wollt ihr beide euch überlegen, wie ihr mich zurückkriegt?"
Dass sie das sagte, überraschte mich. Es hörte sich an, als ob sie sich von
ihrer Mutter, der sie sonst immer alles nach Wunsch machte und der gegenüber
sie nie ungehorsam war, ein ganz klein wenig abnabeln wollte. Andererseits ließ
das einen Hoffnungsschimmer zu, weil ihre Mutter ganz sicher kein Verständnis
für das hatte, was ihre Tochter machte. B. hingegen schien erstmals überhaupt
aus diesem Gespräch mit mir deren Willen herauszuhören. Wahrscheinlich
unterhielt sie sich nicht einmal mehr mit ihrer eigenen Mutter über ihre
Probleme und litt darunter.
Ich:
"Deine Mutter hat mich zum Essen eingeladen. Ich würde mich mit Sicherheit
mit ihr über dich und uns unterhalten, wenn ich hingehen würde. Das, finde ich,
ist ihr gutes Recht."
Pause.
Ich
weiter: "Ach, B. Wenn ich dich nur irgendwie dazu bringen könnte,
wenigstens über die Möglichkeit nachzudenken, mit mir wieder eine gemeinsame
Basis zu beginnen. Wenigstens darüber nachdenken könntest du doch."
Sie
wurde immer stiller und ich immer redseliger. Mir kamen größte Zweifel, mit
meinem Redeschwall unserer Liebe noch zu dienen. Wahrscheinlich machte ich nur
noch Fehler. Trotzdem setzte ich alles auf diese eine Karte: "Versprich
mir doch bitte, dass du darüber nachdenken willst. Nur Das sollst du mir
versprechen. Ich bitte dich."
Sie:
"Auf die Idee, dass ich zu dem Schluss kommen könnte, dass es keinen Sinn
hat, kommst du gar nicht, oder?"
Ich:
"Nein, darauf komme ich nicht. Den Schluss lasse ich nicht zu. Denkst du
denn nicht auch mal an die Zeit, als wir es gut miteinander hatten? Es waren
doch nicht nur schlechte Tage."
Sie
brach in Tränen aus: "Du weißt ja gar nicht, wie oft ich bei kleinsten
Kleinigkeiten weinen muss. Wenn ich schon alleine eine Tasse aus dem Schrank
nehme und denke, dass du dafür gearbeitet hast und für die vielen anderen
Sachen, die dir ja auch gehören und an die du nicht herankommst."
Ich
war empört: "Dann schreibst du etwa jetzt schon Listen, wem alles im
einzelnen gehört? Denkst du schon wieder an Scheidung und bereitest alles vor?
Wem was gehört?"
Ich
hatte Angst vor ihrer Antwort, denn die würde ehrlich sein. Sie hörte auf zu
weinen, war aber nicht böse über meine Reaktion: "Daran habe ich überhaupt
kein Interesse."
Ich:
"Ich bitte dich, denk' doch über uns nach und wie wir das bewerkstelligen
können. Andere Leute haben doch auch ihre Probleme und versuchen sie zu
überwinden. Versuch es doch wenigstens. Versprich es mir."
Sie:
"Du würdest sofort zurückkehren, nicht?"
Ich:
"Ich würde sofort kommen. Ja, das stimmt. Ich müsste aber auch gewisse
Dinge überwinden. So leicht wäre das nicht für mich."
Sie:
"Ach was. Du würdest deinen Wäschekorb packen und wärst sofort wieder
hier.“
Darüber
ärgerte ich mich. Sie sah gar nicht, welche Hemmungen ich zu überwinden hätte.
Sie sah nur, dass ich keine Wahl hatte; sie wusste, dass ich würde kommen
müssen. Sie wusste mich gefügig, sie wusste mich willenlos und hatte recht.
Ihre eigene Unfreiheit, die ich angesprochen hatte, als ich behauptete, dass
sie mich liebte, gab sie nicht zu. Die hätte ich zu gerne vernommen.
Ganz
offensichtlich war es so, dass meine Abhängigkeit in Wahrheit von ihr ebenso
nur vermutet wurde, wie ihre von mir. Jeder von uns sah sich dem anderen
ausgeliefert, mit dem Unterschied, dass ich dem sofort nachgeben wollte,
während sie das um keinen Preis der Welt zulassen würde. Sie hatte bestimmt
zusätzlich noch die Angst, mit meiner Rückkehr ihr Gesicht zu verlieren. Zu
gerne hätte ich von ihr gehört, dass sie mich liebte und sich über eine
gemeinsame Zukunft Gedanken machen würde. Aber selbst das war ihr nicht
abzuringen.
Sie
war völlig erschöpft. Das hörte ich an ihrem Atem, einem nervösen Husten und
ihrer Stimme. Ihre Sätze wurden immer unvollständiger.
Sie
sagte: "Lass uns aufhören, ja? Bitte."
Ich:
"Darf ich dich denn wieder anrufen, bitte."
Sie:
"Wenn du mich nicht wieder so bedrängst, wie heute. Ich kann nicht mehr.
Ich möchte Schluss machen."
Ich
wieder: "Versprichst du mir denn darüber nachzudenken? Bitte."
Sie:
"Ich will es versuchen. Also, Tschüss ."
Ich:
"Tschüss ."
Wir
legten auf.
Den
ganzen Tag über kamen mir wieder die Tränen. Ich hielt das immer noch für
Zeichen meiner völligen Erschöpfung. Es bedrückte mich auch, zu wissen, dass es
B. genauso schlecht und elend gehen musste. Ich hatte ein schlechtes Gewissen,
weil ich ihr diesen Zustand beschert zu haben schien.
In
der Woche ging ich einmal an ihrem, d.h. an unserem Haus vorbei. Es war sehr
spät. Da sah ich den Wagen unseres früheren gemeinsamen Freundes vor ihrer Tür
stehen. Ich wusste, dass sie jetzt im Garten saßen.
Ich
dachte: 'Der sitzt auf meinem Stuhl, an meinem Tisch, in meinem Garten, bei
meiner Frau. Er genießt das, was mir gehört, was ich liebe.
Wie
lange wird B. das ertragen können.'
Ich
glaube möglichst nur, was ich sehe und ging am nächsten Morgen in aller
Herrgottsfrühe wieder dort vorbei.
Der
Wagen war fort. Das nahm ich als Beweis, dass sie die Wahrheit gesagt hatte,
dass sie in ihm nicht mehr als einen Gesprächspartner hatte.
Das
nahm ich auch für mich zum Anlass, von nun an ihre Worte nicht mehr zu
bezweifeln, selbst wenn sie sich irgendwann einmal als unwahr herausstellen
würden.
Zusätzlich
schwor ich mir jedoch: 'Wenn es je für mich eine Rückkehr geben sollte, würde
dieser Mann das Haus nie wieder betreten dürfen.'
Ich
ging weiter in meine eigene Therapiegruppe. Die wurde von einer Ärztin und
ihrem Ehepartner begleitet. Er war außerdem Pastor. Das machte ihn mir sehr
vertraut. Das sagte ich ihm direkt. Er fragte nach: "Gibt es dafür einen
Grund?" Nein, den konnte ich nicht nennen.
Seine
Frau hatte eine weiche Stimme und pflegte einen verständnisvollen, geradezu
liebenswerten Umgangston. Sie vermittelte etwas Mütterliches. Das gefiel mir
auch. Die erste Zeit fühlte ich mich dort sehr wohl. Die Gruppe bestand aus
acht Personen und wir trafen uns einmal wöchentlich. Eines Tages wurde uns
eröffnet, dass zwei der Anwesenden ausscheiden würden. Das ließ uns
Zurückbleibende verstummen. Wir erfuhren aber, dass Neue kommen würden, eine Frau
und ein Mann, und dass zusätzlich noch eine weitere Frau zu uns stoßen würde.
Ich war sofort neugierig und erwartete gespannt unser nächstes Treffen. Die
Ausscheidenden hatten bereits seit mehr als drei Jahren an den Treffen
teilgenommen. Ich fragte mich, ob mir das etwa auch bevorstehen würde. Wenn ich
meine Situation in der Gruppe betrachtete, schien es, als ob die Therapeuten
mit mir einen anderen Umgang pflegten, als mit allen anderen. Das sah ich an
der Art ihrer Fragestellung. Zu mir sagten sie zum Beispiel: "Bist du mit
der Antwort von ... zufrieden?"
Die
anderen fragten sie aber so: "Fällt dir zu der Antwort von ... etwas ein?
Du bist doch eigentlich ziemlich angegriffen worden und lässt dir das so
einfach gefallen?" Mir schien, dass sie zu mir ein eher
partnerschaftliches Verhältnis aufbauten. Meine seelische Verworrenheit hielten
sie wohl für nicht allzu schlimm. Gemessen daran, dass eine der Frauen
zeitweise freiwillig zur Behandlung in ein Krankenhaus ging, eine andere unter
erheblicher Fresssucht litt, hatten sie mit solchen Unterscheidungen sicher
recht.
Ein
Mann klagte: "Meine Frau hat mich hier hergeschickt: 'Wenn du es nicht
endlich lernst, dich gegen mich zu behaupten, dann ist Schluss mit uns'. Sie
ist so dominierend und erwartet dauernd, dass ich etwas gegen sie
unternehme."
Einmal,
als wir in der Runde saßen, platzte eine andere Frau plötzlich mit der
Bemerkung an mich gerichtet heraus: "Wenn ich dir gegenübersitze, fühle
ich mich immerzu beobachtet. Mit dir möchte ich jedenfalls nicht verheiratet
sein." Das stieß sie so heftig aus, dass ich dachte: 'Die ist wirklich
krank'. Ich fand auch: 'So krank kann ich doch nicht sein.'
Ich
beobachtete ihre Finger mit denen sie die schlimmsten Verdrehungen anstellte,
die sie sich in die Kniekehlen schob und von außen und von innen unter die
Schenkel, mit denen sie nicht wusste, wohin. Ich sah auf meine eigenen Hände,
die lagen einzeln und ruhig im Schoß, nur ab und zu verschob ich sie, wenn ich
mich anders hinsetzte. Das fand ich so ganz normal.
Der
Therapeutin und ihrem Mann schien ich in der Zwischenzeit als Patient
unglaubwürdig geworden zu sein. Das störte sie aber nicht weiter. Ich gehörte
offenbar zu deren Pfründe. Mir sollte das gleich sein. Schaden konnte eine
Behandlung für eine gewisse Zeit sicher nicht.
Zu
der Frau, die mich so scharf angegriffen hatte, sagte ich, weil sie mir leid
tat: "Du, ich setzt mich gerne auf die andere Seite, dann musst du nicht
zu mir herüberschauen."
Ich
stand auf, um den Platz zu wechseln. Ich war sicher, ihr damit helfen zu
können. Das war ihr aber überhaupt nicht recht. Als ob sie mich als ihr
Gegenüber brauchte, bestand sie darauf, dass ich dort sitzen blieb: "Das
gibt es ja gar nicht. Bleib bitte auf jeden Fall da sitzen."
Ich
konnte sie ertragen, deshalb ging ich an meinen Platz zurück. Dachte aber:
'Darauf will ich in Zukunft Rücksicht nehmen.'
Die
beiden Leiter hatten zu dem ganzen Theater kein einziges Wort gesagt. Nun erst
ging das Gespräch weiter.
Zu
allem und jedem, was dort ge- und besprochen wurde, hätte ich zu gerne etwas
gesagt. Das habe ich anfangs auch getan. Einmal beschwerte sich aber einer der
Männer, dass er gar nicht mehr wüsste, warum er noch herkäme: "Mit dem,
was ihr besprecht, kann ich überhaupt nichts anfangen. Wenn ich Zuhause bin,
frage ich mich, wozu ich hier hergekommen bin."
Alle
ließen ihn sich ausweinen, und ich habe von nun an versucht, mich
zurückzuhalten. Die anderen oder die meisten von ihnen hatten offenbar die
Therapie nötig, während ich das Gespräch suchte.
Die
beiden angekündigten Neuen trafen nicht als erste ein, sondern die zuletzt
erwähnte Frau.
Ich
sah sie von weitem im Flur stehen, und ich erfuhr bei ihrem Anblick einen
regelrechten kleinen Schock. Ich musste mich am Nachbarstuhl abstützen, so sehr
traf mich ihr Anblick.
Für
Sekunden schien es, als würde B. persönlich auftreten. Die Neue hatte die
gleiche Körpergröße, Figur, hohe Stirn, die gleichen halbkurzen braunen Haare,
und ihre Augen, die denen von B. nicht ganz glichen, blieben wie verhext an mir
hängen. Sie sah wohl meinen Gesichtsausdruck, mochte ihn für sich deuten,
konnte ihn aber nicht richtig unterbringen.
Sie
trug einen Rock und eine bunte Bluse. Alles an ihr war farblich aufeinander
abgestimmt. Sogar der altmodische Schmuck, den sie trug, passte zu ihrem
Äußeren.
Ich
dachte vom ersten Augenblick an: 'Die könnte meine Frau werden. Sie ist jung
genug, um vielleicht sogar Kinder zu bekommen. Mit so einer kannst du eine
Familie gründen. Die schickt der 'Liebe Gott'. Deswegen hast du hier also so
lange gesessen und ausgeharrt.' In einer Beziehung war ich sehr neugierig:
'Hoffentlich ist sie nicht so dumm.' Sie stellte sich im Kreis mit wenigen
Worten vor: `Ich habe Beziehungsprobleme und hoffe die in der Gruppe und mit
Hilfe der Gruppe aufarbeiten zu können. Ich bin im Kaufmännischen tätig...'
usw. Das gefiel mir alles.
Im
Anschluss an die nächste Sitzung schlug sie mir vor: "Du, ich bring dir
nächstes Mal ein Buch mit, da kannst du nachlesen, wie es dir warum so geht,
wie es dir jetzt geht. Natürlich nur, wenn du willst."
Ich
sagte: "Wenn mir das nicht neue Probleme beschert, würde ich es gerne
lesen."
Sie:
"Wenn's dir nicht gefällt, kannst du's ja wieder zumachen."
Ich
wurde bescheidener: "Ich fände es gut, wenn du es mitbringen würdest,
o.k.?"
Ja,
das war in Ordnung.
Die
ganze folgende Woche dachte ich nur noch an diese Frau.
Als
sie mir das nächste Mal gegenüber stand, und die meisten der anderen befanden
sich in unmittelbarer Nähe, sagte ich: "Du, D., Ich habe mir fest vorgenommen,
dir heute zu sagen, dass ich die ganze Woche über an dich gedacht habe. Dass
ich mich freue, dich heute wiederzusehen."
Von
den anderen horchte keiner auf. Das war gut. Es war aber auch so geheimnislos
von mir gesagt worden, dass man mir die einfache Freude ohne Hintergedanken
anhören musste.
D.
antwortete ganz schnell und wandte sich gleich darauf dem Gruppenraum zu:
"Das kann ich mir gut denken. Und ich weiß auch warum."
Auch
die Ärztin hatte das alles mit angehört. Sie zog mich danach in ihr Büro und
ich vermutete einen Zusammenhang. Sie gab mir aber nur einen Zettel, einen
Vordruck: "Du, H., du hast die Vereinbarung noch nicht unterschrieben.
Willst du das bitte machen?"
Ich:
"Ja, gerne. Wo, hier?"
Sie
zeigte mir wo und ich unterschrieb. Mit den Gedanken war ich aber bei D.
Die
Ärztin sagte: "Du musst dir das gut durchlesen. Nimm es dir mit und
behalte die Kopie für dich."
Ich
sah flüchtig darauf und fand gleich heraus, dass ich zu bezahlen hatte, wenn
ich, ohne mich zu entschuldigen, fernbleiben würde...: "Ja, ich les' es
mir Zuhause durch."
Ich
hätte mich zu gerne hinterher mit D. getroffen und fragte sie noch vor Beginn
der Runde: "Können wir uns nicht anschließend noch für zehn Minuten auf
eine Tasse Kaffee irgendwo hinsetzen?"
D.:
"Ja, gerne, ich habe nichts weiter vor. Prima."
Sie
fand das also gut. Sie hatte auch an das Buch gedacht und händigte es mir aus.
In
dem heutigen Gespräch hatte ich beim Erzählen plötzlich Grundberührung mit
meinen Gefühlen und konnte die Tränen nicht zurückhalten. Die Ärztin reichte
mir Taschentücher. Ich blieb den Rest der Sitzung über sehr durcheinander. Das
Aufwühlen alter Ungerechtigkeiten, die mir in meinem Elternhaus widerfahren
waren, machten mir sehr zu schaffen. Hauptsächlich, weil ich überzeugt gewesen
war, dass diese Dinge ein für alle Mal vorüber waren.
Meine
Verabredung hatte ich zwar nicht vergessen, fieberte aber nicht mehr darauf,
sondern musste mich mühsam daran erinnern. Dafür schien in meinem Kopf kein
Platz mehr zu sein.
Am
Ende nahm ich mich sehr zusammen und fragte D.: "Bleibt es dabei? Auf eine
Tasse Kaffee?"
Sie:
"Ja, komm. Wir suchen uns 'was."
Damit
gingen wir zusammen mit den anderen das Treppenhaus hinunter. Auf der Straße
fiel mir ein, dass ich meine Jacke vergessen hatte.
Ich
blieb stehen: "Du, tut mir leid, ich hab' meine Jacke oben vergessen. Das
wird dauern bis die mir wieder aufmachen. Entschuldige."
Damit
ging ich zur Haustür zurück und klingelte. Die dort oben räumten um, das wusste
ich. Ich musste warten. Im Türglas spiegelte sich D. und ich konnte sie
beobachten. Sie verließ unentschlossen und ganz langsam das Grundstück und ging
auf die Straße. Ich dachte, dass unsere Verabredung in Frage gestellt sein
könnte und wollte mich beeilen. Vom Treppenhaus aus konnte ich auf die Straße
sehen. Sie stieg in ihr Auto. Deswegen beeilte ich mich umso mehr.
Als
ich mit der Jacke im Arm zurückgeeilt kam und nach ihrem Auto schaute, fuhr sie
gerade an und war gleich darauf weg.
Ich
dachte: 'Schade. Aber auch wieder nicht. Ich bin wirklich nicht mehr in der
Lage, große Gespräche zu führen. Vielleicht hatte sie sich das bedacht. Gut.
Vorbei für heute.'
In
der Woche las ich das geliehene Buch und erfuhr sehr viel von der Reihenfolge
und der Heftigkeit der Gefühle, die über den Verlassenen hereinbrechen. Ich
las, dass ich mich irgendwo auf einem Weg zu einer eigenen, neuen Freiheit
befand und diesen Ablauf kaum würde verändern können. Das einzige, was in
meiner Macht stand, las ich dort, wovor ich mich und meine Freunde mich und die
Therapie mich bewahren sollten, wäre die ganze Angelegenheit zu verdrängen. Das
hatte ich nicht vor, sondern war im Gegenteil der Meinung, dass das Erleben von
Traurigem grundsätzlich eine lebenswerte Erfahrung sein musste. Und traurig ohne
Maßen über die Trennung von B. war ich ohne Frage.
Daran
scheitern wollte ich jedoch nicht, wenn auch schlimme Gedanken in meinem Kopf
geboren wurden. Die sollten aber, so das Buch, alle dazugehören.
Ich
verschlang es und war der Frau für diese freundschaftliche Aufklärung dankbar.
Als
das nächste Treffen vor der Tür stand und ich voller Eifer an D. dachte, geriet
mir der Zettel der Ärztin wieder in die Hände, und ich las ihn nun in aller
Ruhe durch.
Ich
hatte bis dahin einen ganz wichtigen Punkt, ja eine höllische Fußangel
überlesen. Es stand dort nämlich, dass außerhalb der Treffen zu den Einzelnen
der Gruppe keinerlei Kontakt stattfinden, keinerlei Adressenaustausch
vorgenommen werden dürfte, und auch außerhalb der Gruppe man sich nicht zu
kennen hatte. Ich las das und war gelähmt von dem Inhalt. Es wurden noch
Rausschmiss und Kostenerstattung angedroht. Da war nichts dran zu drehen. Ich
war machtlos. Alle Hoffnungen auf ein Treffen brachen zusammen und die Ärztin
hatte mich sicher mit dem Erinnern an die Vereinbarung auf diesen Punkt
aufmerksam machen wollen. Sie hatte mein Herumturteln sofort bemerkt und wollte
mich warnen.
Sie
wäre eine schlechte Therapeutin gewesen, wenn ihr das entgangen wäre. Es
überfiel mich ein maßloser Schmerz, den ich nicht in mich hineinfressen mochte.
Ich
beschloss, der Ärztin beim nächsten Mal reinen Wein einzuschenken. Es sollten
keine Unsicherheiten und Heimlichkeiten zwischen ihr und mir geben. Ich sprach
sie, sobald es ging, an: "Du, ich habe mir die Vereinbarung durchgelesen,
und da gibt es einen Punkt."
Sie
schaute mit mir zusammen auf das Papier: "Welchen?"
Ich:
"Dass man sich nicht außerhalb treffen…“
Sie
unterbrach mich: "Das gilt nicht für euch. Das habe ich vergessen
durchzustreichen. Das gilt nur für besondere Gruppen. Ihr gehört jedenfalls
nicht dazu. Den Punkt kannst du vergessen."
Das
war ja wunderbar. Ich strahlte sie an, als müsste sie meine Gedanken lesen
können. Sie reagierte aber nicht, schien davon keine Notiz nehmen zu wollen.
Das fand ich ungerecht und sagte noch: "Ich habe mit D. nämlich schon ein
Buch ausgetauscht und wir wollen uns auch darüber unterhalten."
Sie:
"Jaja. Es spricht nichts dagegen."
Ich
dachte: 'Die Frau wird ihre Erfahrung haben.' Damit trollte ich mich. Nach der
Sitzung fanden wir ein Restaurant. Es war sehr schick und sehr voll, und von
den Gästen wurde erwartet, dass sie großartig speisen würden. Das wollten wir
aber nicht. Man gab uns deshalb einen kleinen Tisch an der Seite. Der war zwar
reserviert, für später, so dass wir uns dort für eine 'kleine halbe Stunde'
niederlassen konnten, aber es reichte. Wir wurden höflich bedient und konnten
uns über die Therapeuten, die anderen, über das Buch und über was wir wollten
in alle Ruhe auslassen. Ich lachte, als ich sagte: "Die wissen ganz genau
wie es in uns aussieht und verdienen damit ihre Brötchen. Die können sich jetzt
schon ausrechnen, wie lange sie etwas von uns haben werden."
Wir
wurden beide lustig. Mir gefiel ihr Lachen sehr. Sie sah angenehm aus, auch aus
der Nähe, und ich war der glücklichste Mensch von der Welt, mich endlich einmal
wieder mit einer lachenden Frau ungezwungen unterhalten zu können. Der leise
Gedanke an ein Liebesabenteuer, auch erst in ferner Zukunft vielleicht,
beflügelte mich ungeheuer.
Es
war sehr heiß. Wir brauchten eine Erfrischung und bestellten uns jeder ein sehr
großes Glas eines Mischgetränkes aus Bier und Brause.
Sie
trug eine süße, verschlungene Goldkette um den Hals. Die war nur im Ausschnitt
ihrer Bluse gut zu sehen. Dort verlief sie, als hätte man einen Knoten in sie
geschlagen, in einer Herzform aus. Das sah wie zufällig aus, war aber so
gewollt. Darin war ein kleiner roter Stein versteckt, der schaute als drittes,
lustiges Auge hervor und schien mich zu beobachten. Ich sagte: "Ich
bewunderte deinen Schmuck. Der steht dir gut."
Sie
griff sofort mit den Fingern der linken Hand unter die Kette, holte sie ganz
hervor und spielte an ihr herum. Dann ließ sie sie langsam und geschmeidig an
ihren Platz zurückgleiten. Sie wusste genau, dass sie selbst es war, die ich
bewunderte, die mir gefiel.
Sie
bestätigte das mit einem gekonnten Blick aus den Augenwinkeln und sagte ohne
jeden Vorwurf: "Verknall dich bloß nicht in mich. Das hat keinen Sinn. Ich
weiß, wie das ist. In meiner Firma hab' ich mir auch einen ausgeguckt. Der ist
genau mein Typ. Der mag mich auch. Hat er mich wissen lassen. Aber eben nur so.
Da kannst du nichts machen. Den hab' ich zu 'ner Party eingeladen. Ist aber
nicht gekommen. Hat auch so lange hin- und hergemacht."
Ich
fragte nach: "Was heißt das denn?“
Sie
wieder: "Naja. Kein 'Bingo'."
Ich
musste dumm geguckt haben, denn sie sagte: "Eben. Kein Bingo. Weißt du
nicht, was das ist?"
Ich
musste raten: "Irgend so ein Spiel, ein Ratespiel?"
D.:
"Bingo heißt: Volltreffer. Schaffte der nicht. Ich mag es nicht, wenn sich
alles so in die Länge zieht."
Damit
schnipste sie mit dem Mittelfinger und dem Daumen, dass es richtig laut
schnappte, und lachte hell auf: "Verstehst du? Klick muss es machen.
Machte es aber nicht. Also verknall dich nicht in mich. Hat keinen Sinn."
Sie
sah mich dabei sehr lieb an, so, als ob sie mich das erste Mal richtig und mit
Bewusstsein wahrnehmen würde.
Ich
war enttäuscht. Eigentlich nicht darüber, dass ich für sie kein Bingo war,
sondern dass man für sie ein Bingo sein musste, um sie zu gewinnen. Der
Ausdruck kam mir so wenig ausgefüllt vor, eigentlich wie ein
Gelegenheitstreffer. Der hätte ich nicht sein wollen. Andererseits wollte ich
mich ja mit ihrer Welt vertraut machen und Bingo gehörte offenbar dazu. Gut, so
war es eben bei ihr.
Ich
erzählte ihr, dass ich Bilder malte und Gedichte schrieb. Das fand sie witzig,
weil ihr geschiedener Mann auch gemalt hatte.
Sie
sagte: "Mein, größter Wunsch war es immer, ihm beim Malen zuzugucken.
Durfte ich aber nicht. Ich wollte einfach sehen, wie es ist, wenn auf einem
leeren Blatt Papier ein Bild entsteht. Das habe ich nie verstehen können. Ich
hätte zu gerne selbst gemalt. Er hat mich aber kein einziges Mal zusehen
lassen."
Ich
wollte nachfragen, aber sie fuhr gleich fort: "Du bist doch noch nicht
geschieden, nicht? Das hab' ich Gott sei Dank hinter mir. Du musst zusehen,
dass du das über die Bühne kriegst. Danach bist du erst frei. Ich kenn das aus
eigener Erfahrung. Das musst du erst hinter dir haben."
Das
alles erstaunte mich, weil sie in der Therapie immer nur von ihrem Freund
geredet hatte: "Ich denke du hattest einen Freund, der dich verlassen
hat."
Sie:
"Stimmt. Aber vorher war ich fünf Jahre verheiratet. Das war nichts. Nach
fünf Jahren wollte der nach Hongkong. Da hab ich mir gesagt, das ist die beste
Gelegenheit. Ich habe mir einem Zettel genommen und mit ihm zusammen
aufgeschrieben, was er alles nicht gebracht hat."
Ich:
"Wie bitte? Was hat er denn nicht gebracht."
Außerdem
hatte ich einen Verdacht und fragte nach: "Kanntest du da schon deinen
späteren Freund?"
Sie
sofort: "Nein. Nein. Den kannte ich da noch nicht."
Dann:
"Quatsch. Mit dem war ich schon fleißig im Bett. Ja, das war ich. Ich
weiß, das war nicht nett. Aber meinem Mann hab' ich aufgeschrieben, was er
nicht brachte."
Ich:
"Was war denn das."
Sie
dachte nach und tat, als hätte sie Papier und Bleistift zur Hand und schrieb
über der Tischdecke in die Luft: "Kein Humor, konnte nicht mit Geld
umgehen, gab zu viel aus, war so ein Karrieretyp. Na und so weiter."
Ich
zu ihr: "Das war er doch sicher von Anfang an gewesen, oder?"
Sie
lachte: "Ja. Eigentlich, ja."
Ich:
"Du hast Gründe gesucht, oder?"
Sie
wieder: "Ja, aber es ging sehr schnell. Er hatte nur noch drei Monate
Zeit, da haben wir alles abgewickelt, bevor wir zum Rechtsanwalt gegangen sind.
Vermögen usw. Sonst wird alles viel zu teuer. So ging das ganz gut."
Ich
wieder: "Du hast ihn also verlassen und nicht er dich, stimmt's?"
Sie
erstaunt: "Ja? Warum?"
"Na,
ich meine nur, weil du doch jetzt im selben Boot sitzt wie dein Mann damals und
trotzdem deine Verlassenheit von dem Freund aufarbeiten willst. Eigentlich
müsstest du doch wissen, was der noch für dich empfindet. Du kennst doch die
andere Seite, oder?"
Sie:
"Nein, nein. Dies ist doch jetzt ganz anders."
Ich:
"Du meinst, weil dein Freund eine Neue hat?"
Sie:
"Ja."
Ich
bohrte weiter, weil ich ihr nicht folgen konnte: "Aber das war bei dir
doch auch so. Ich mein bei deinem Mann."
"Nein.
Das verstehst du nicht. Mein Freund ist doch mit seiner Freundin zusammen
gewesen und hat mir immer alles erzählt. Mein Mann hatte aber keine Ahnung,
damals."
Ich:
"Ist es deinem Mann denn so leicht gefallen, dich verlassen zu
müssen?"
Sie:
"Hab' dir doch erzählt, dass ich ihm gesagt hatte, wo er's nicht brachte.
Außerdem wollte er, dass ich mit ihm ausreise. Das kam gar nicht in
Frage."
Ich
wollte mich nicht weiter in ihre alten Geschichten drängen und sagte deshalb:
"Dein Freund war mit dir und der Freundin gleichzeitig zusammen?"
Sie
lachte: "Also nicht gleichzeitig, aber wenn er von ihr kam, landete er bei
mir. Und umgekehrt war es auch so. Ich weiß gar nicht, wie er das alles
geschafft hat. Der Beruf war auch noch da. Und er dachte immerzu nur ans
Weiterkommen. Weiß gar nicht, was er an der anderen findet. Was hat die nur,
was ich nicht habe."
Sie
schaute sich um im Restaurant, als ob sie dort etwas finden könnte.
Ich
sagte: "Meistens sind es nur Kleinigkeiten. Wahrscheinlich ist sie genau
der gleiche Typ wie du. Vielleicht weiß er selbst nicht, was er an ihr findet.
Sie ist eben nur ein bisschen anders. Irgendwo enger oder weiter, oder der
Rücken ist glatter oder die Füße gefallen ihm oder so etwas. Sonst ist sie
sicher wie du. Wahrscheinlich sogar ganz genau wie du."
Sie
strahlte über das Gehörte: "Sag' mal, kennst du ihn? Habt ihr euch
abgesprochen? Du sagst genau das gleiche wie er. Ja, es sind genau, ganz genau
seine Worte. Das gibt es doch gar nicht."
Sie
schaute mich befremdet und fragend an, als wäre ihr, was ich sagte, unheimlich,
aber gleichzeitig nicht genug.
Ich
fuhr fort: "Er wird der Sache keine große Dauer einräumen. Sicher sagt er:
'Das ist sowieso bald vorüber. Das kann nicht lange halten. Das geht schnell
vorbei.' Bestimmt sagt er das."
Sie:
"Und ob er das sagt. Das sind ganz genau seine Worte. Sag mal, ihr müsst
euch doch kennen, dass du das alles weißt. So wie du das eben erzählst, hat er
mir das auch gesagt. Genau so, mit den gleichen Worten."
Ich
wieder: "Trotzdem wird es lange dauern. Das ist nun mal so."
Sie
schien von mir Neues zu erfahren: "Und du meinst, dass es keinen richtigen
Grund gibt? So einfach soll das sein? Fast ohne konkreten Grund?"
Ich
dachte einen Augenblick nach: "Ja, so einfach ist das. Es wird einer der
Gründe sein, die ich nannte, und er wird bei ihr bleiben."
Sie
wieder: "So einfach soll das also sein? Und die hat in meinem Bett
geschlafen. Von meinem Teller gegessen, aus meiner Tasse getrunken."
Ich
fragte direkt: "Warum hast du ihn denn noch weiter zu dir kommen lassen.
Ich meine, dass du auch noch unvorsichtig warst. Er hätte doch von der Neuen
etwas übertragen können. Hast du keine Angst gehabt?"
Sie:
"Du, daran hab ich nicht gedacht. Überhaupt nicht. Erst jetzt fällt mir
das manchmal ein. Stimmt. Er hätte was übertragen können. Wäre leicht möglich
gewesen."
Ich
hatte aber den ersten Teil meiner Frage nicht vergessen: "Und warum hast
du ihn weiter zu dir kommen lassen, obwohl er doch von dem anderen Mädchen kam
und das auch noch gesagt hat? Das versteh ich nicht. Du hast das doch nicht
mehr nötig gehabt. Der hat dich doch richtig betrogen. Für mich wäre das
Untreue. Verstehst du? Ich würde mich richtig betrogen gefühlt haben."
Sie:
"Mitnehmen. Ja. Einfach mitnehmen. Das war der Grund. Ich wollte es
mitnehmen. Im Bett war es mit uns beiden immer wunderbar. Warum sollte ich das
auslassen. Ja. Deswegen. Zwischen uns klappte es sehr gut. Das hat mir
gefallen."
Ich:
"Eines hätte ich zu gerne noch gewusst. Sag mal bitte, wenn ich das fragen
darf, du hast doch keine Kinder, nicht?"
Sie:
"Stimmt."
"Und
warum nicht? Gab's da einen Grund?"
Sie
dachte nach: "Weißt du, einen richtigen Grund gab es nicht."
Ich
blieb neugierig: "Gab's medizinische Gründe oder so etwas?"
Sie:
"Mein Mann wollte ein Kind. Ja. Das hat er sich sehr gewünscht. Aber dafür
hätte ich jeden Morgen Temperatur messen müssen."
Ich
unterbrach sie: "Das kenn' ich von meiner Frau. Das war ganz schön nervig
für sie. Jeden Morgen hat sie mit dem Thermometer im Mund im Bett gelegen. Das
erinnere ich noch sehr gut."
Sie:
"Na, dann kennst du das ja. Also, zu so etwas hatte ich keine Lust. Nein,
das wollte ich nicht. Ich hab's immer drauf ankommen lassen. Wenn's geklappt
hätte, ok, wenn nicht, auch ok."
Ich
war erstaunt: "Hast du dir selbst denn kein Kind gewünscht?"
Dabei
dachte ich an das, was ich mir alles von ihr hatte erhoffen wollen, mich in sie
zu verlieben, mit ihr vielleicht eine neue Familie...
Ich
sagte, ohne auf ihre Antwort zu warten: "Und wenn ich mich nun doch in
dich verlieben würde, was dann?"
Sie
war nicht verlegen: "Dann liest du mir aus deinen Gedichten vor oder
erklärst mir deine Bilder, ok?"
Damit
langte sie nach meinem Arm und legte ihre Hand darauf. Das war sehr
freundschaftlich, und es machte klar, dass ich mich nicht in sie verlieben
sollte.
Von
der Ähnlichkeit zu B. war nichts übrig geblieben. D. hatte sich dargestellt und
mir ein liebenswertes Bild von sich gezeichnet. Sie war sie selbst geworden und
ich vermisste nichts.
Wir
hatten unsere Gläser fast leergetrunken und wollten gehen. Als sie mir so
gegenüber saß, fielen mir ihre Augen auf. Sie hatten einen leicht rötlichen
Schimmer bekommen. Den bemerkte ich erst jetzt, in diesem Augenblick. Er
erinnerte mich an jemanden, der Kontaktlinsen benutzt, sie aber nicht verträgt.
Viel später erfuhr ich, dass ihr immer noch, wegen ihrer unglücklichen Liebe,
urplötzlich Tränen in die Augen schossen.
Ich
zahlte für uns beide und sie bedankte sich: "War ich damit eingeladen?
Danke."
Vor
dem Restaurant wollten wir uns trennen, und ich sagte: "Als ich dich
letztens abfahren sah, hattest du dich nicht angeschnallt."
Sie:
"Wie hast du das denn sehen können."
"Na,
vom Fenster aus, als ich mit der Jacke zurückkam."
Sie:
"Du hast recht. Ich schnall' mich immer erst bei der nächsten Ampel an.
Ist so ein Spiel mit mir."
Ich:
"Ein gefährliches Spiel. Schnall dich lieber gleich an, bitte."
Sie
dachte nach, wie sie meine Besorgnis einstufen sollte. Das gelang ihr aber
offenbar nicht. Sie war etwas verwirrt und irritiert. Sie machte die Fahrertür
auf, fasste den Gurt an, als wollte sie prüfen, ob er noch da hing, kam zu mir
zurück, machte auf halbem Web kehrt und schaute wieder in den Wagen. Dann gab
sie mir die Hand, um sich zu verabschieden. Ihr Gesicht verlor den unsicheren
Ausdruck und wechselte zu einem überzeugenden Strahlen. Sie gab mir etwas zu
kräftig die Hand, wünschte eine schöne Woche und stieg in ihr Fahrzeug.
Ich
wandte mich in ihrem Rücken vom Wagen ab. Ich wollte sie nicht spüren lassen,
dass ich gerne gesehen hätte, ob sie meinem Rat folgte und sah nicht zurück.
Sie würde mich sicher im Rückspiegel beobachten, um ihrerseits zu erfahren, ob
ich immer noch so unerklärlich besorgt um sie war. Ja, ich war besorgt. Und ich
konnte es mir selbst nicht so schnell erklären. Möglicherweise wollte ich nicht
getäuscht sein, von mir, von ihr, Meine Sorge schien aber immer noch B. zu
gelten, und nicht der tatsächlichen Erscheinung von D. Das wurde mir ganz
deutlich, nur so konnte ich meine 'kleine Angst' erklären, dass ich meine
Gefühle, die ich bis dahin für B. empfunden hatte, zu gerne auf D. übertragen
hätte.
Ja,
das wäre ein schöner Anfang geworden. Dagegen stand aber ihre Warnung:
'Verknall' dich bloß nicht in mich.' Ich meinte sogar, dass sie noch gesagt
hatte: 'Das lohnt sich nicht.'
Erst
eine ganze Weile nach meinem Weggehen hörte ich, wie sie den Motor anließ.
Wieder
überkam mich große Sehnsucht nach B. Tag und Nacht war sie in meinem Kopf. Ich
malte mir aus, was sie zu welcher Stunde gerade machte und überlegte, ob sie
das wirklich machte, oder ob sie mit neuen Dingen, Sachen und Leuten
beschäftigt war, von denen ich keine Ahnung hatte. Es mochte immerhin sein,
dass sie Bekanntschaften geschlossen, Freunde mit ihrem Charme erobert hatte,
sich in fremden Kreisen bewegte.
Ich
erfuhr nichts mehr von Familie und ihr. Unsere erwachsenen Söhne mochte ich
nicht dauernd mit meinen Problemen und Fragen überfallen. In einem der Briefe,
die ich von ihnen erhielt, hatte ohnehin schon gestanden: 'Für uns Kinder ist
das alles, was euch betrifft, auch nicht so einfach.' Das schien mir deutlich,
und ich entschloss mich zum hundertsten Mal, sie endgültig außen vor zu lassen.
Wenn ich nur meiner Unruhe, meiner Neugier, meiner Sehnsucht nach dieser Frau
endlich Herr werden, endlich aufhören könnte, mich ständig selbst zu verletzen.
Ich suchte verzweifelt nach einer Formel, einer Überzeugung, einem Vergleich,
einem Bild, um mich zu befreien. Es hätte etwas sein müssen, dass mir
blitzschnell und immer wieder zeigen würde, wie sehr ich nicht nur mir sondern
auch B. mit meinem Klammern wehtat, uns einengte. Es hätte etwas sein müssen,
dass mir das bewusst gemacht und mich spürbar hätte erleben lassen. Es hätte
mich sofort und unumstößlich von ihr abwenden lassen müssen.
Dann
wieder redete ich mir ein, dass diese Brücke gar nicht mehr nötig sei, weil ich
ja alles erkannt hatte und mich nur noch danach zu richten brauchte. Das waren
sowieso die besseren Voraussetzungen für einen Neuanfang und gemeinsam würden
wir es schon schaffen.
Unter
diesem Zwiespalt geriet ich in Panik und der stärkste Wille, nichts zu tun und
abzuwarten, kam ins Schwanken.
Ich
überlegte: 'Vielleicht wartet sie auf meinen Anruf, vielleicht traut sie sich
nicht, mich anzurufen.'
Zu
gerne hätte ich mich bei ihr gemeldet und begann einen aussichtslosen Kampf für
das, was ich für sie empfand. Ich verbot es mir schließlich, bei ihr anzurufen.
Ich
blieb lange sehr hart gegen mich. Sehnsucht blieb ungestillt. Die Nächte wurden
mörderisch. Häufig genug musste ich die schweißnasse Bettwäsche und den
Schlafanzug wechseln.
In
meiner engen Wohnung war es ein Problem, große Wäschestücke zu trocknen.
Zusätzlich zu meinen seelischen Tiefs musste ich das Hängen der 'großen Wäsche'
als eine Art Spottgesang auf meine missliche Lage über Tage ertragen. Beim
Vorbeigehen berührten mich die nur langsam trocknenden Tücher. Abends blieb ich
manchmal bis spät in der Nacht vor dem Fernseher sitzen, hörte nichts zu Ende,
schaute nur immer wieder in das Gerät und auf die Uhr und horchte nach innen,
ob sich nicht endlich Müdigkeit einstellte. Zu allem Drangsal trank ich
manchmal abends gegen meinen Willen, gegen Durst und gegen mein Verlangen
Alkohol, so dass ich am nächsten Morgen mit schwerem Kopf hochkam. Das wurde
mir aber sehr schnell bewusst, und die Einsicht blieb wenigstens hier Sieger.
Nach kurzer Zeit erfasste mich ein neues Tief. Mit meiner Absicht anzurufen,
konnte ich keine Hoffnung mehr verbinden sondern nur noch den Wunsch, mich auf
eine anhängliche Weise retten zu lassen, ja, Rettung zu erflehen. Wie, wusste
ich allerdings nicht. Darüber konnte ich auch nicht nachdenken. Da war nichts
zu machen und ich beschloss gegen alle Vorsätze zu handeln. Spannend daran war,
wie lange und mit welchen Se1bstbetrügerein ich das hinauszögern würde. Dafür
war es günstig, dass ich zum Beispiel am nächsten Tag nicht alleine im Büro
sein würde. Das war eine kleine Hürde, denn telefonieren wollte ich nur, wenn
niemand anwesend sein würde. Meine Kollegin, die von meinen Schwierigkeiten
nichts ahnte, sollte nicht Zeugin werden. Das geschah mehr aus Rücksicht auf
sie als auf mich. Sie schien mir einfach zu jung für die Probleme und ich würde
mich vielleicht schämen müssen.
Ich
spielte das Spiel: 'Wenn sie den Raum verlässt, rufe ich an, wenn nicht, dann
nicht.'
Es
dauerte aber nicht lange, und sie meldete sich für Stunden ab. Ich musste mich
entschließen, so oder so. Jede Kleinigkeit sollte mir behilflich sein, um alles
hinauszuzögern und schaffte es so bis zum Mittag. Meine Kollegin kam wieder,
und ich ging in die Kantine.
Dieser
Tag schien überstanden. Ein zweites Mal würde sie nicht verschwinden. Das wäre
ganz ungewöhnlich. Dieser ungewöhnliche Fall trat jedoch wider mein Erwarten
ein. Als ich nämlich zurückkam, verabschiedete sie sich ganz selbstverständlich
für den Rest des Tages. Sie hatte von mir einen Termin übernommen. Das hatte
ich gänzlich vergessen. Mir wurde wirklich das Herz schwer. Die Angst vor
großer Enttäuschung lähmte mich. Bis zum Nachmittag verzögerte ich die
Entscheidung, dann gab ich auf. Ich konnte nicht mehr anders und wählte B.'s
Nummer. Meine Frau geht immer sofort an den Apparat, diesmal aber klingelte es
nun schon zum fünften, dann zum sechsten Mal. Ich legte auf und dachte nach.
Natürlich hätte sie um diese Uhrzeit längst in ihrer Wohnung sein müssen. Aber
sie war es offenbar nicht. Vielleicht hatte sie nur im Keller zu tun oder im
Garten. Ich versuchte es nach ein paar Minuten erneut. Ohne Erfolg. Sie war
nicht da. Ich wurde unruhig. Sie konnte etwas vorhaben, etwas Harmloses. Es
bestand überhaupt kein Grund zu Panik oder Besorgnis. Trotzdem überlegte ich
fieberhaft, welche ihrer Gewohnheiten ich übersehen haben konnte. Ich fand
nichts. Ich ging die Personen durch, bei denen sie hätte zu Besuch sein können.
Es gab einige. Die konnte ich aber nicht anrufen. Das wäre zu blöd gewesen, zu
beschämend einfach.
Es
gab noch eine andere Möglichkeit. Einer meiner Söhne würde vielleicht Bescheid
wissen. Den sollte ich anrufen. Dabei würde ich jedoch das mir selbst
abverlangte Versprechen wieder nicht halten und eines der Kinder erneut mit
meinen Sorgen behelligen. Darunter litt ich, weil ich mich so wenig beherrschen
konnte.
Alles
war verteufelt, voller Hindernisse im Detail, überall standen Hürden im Weg.
Mein Sohn war nicht dumm.
Ich
erreichte ihn schnell und er verstand sofort die vorangeschickten Fragen nach
seinem Studium und wie es ihm ginge, nach seinen Freunden und nach dem, was er
zur Zeit gerade machte, als Einstieg in die eigentliche Kernfrage:
"...weißt du, wo Mami sein könnte?"
Er
antwortete ganz frisch: "Du, die ist hier. Sie steht neben mir."
Treffer
nach so viel Zögern und so viel Unsicherheit: "Besucht sie dich?"
"Nein, wir arbeiten etwas auf dem Computer aus. Ich helfe ihr dabei.
Willst du sie sprechen?"
Und
ob ich wollte: "Frag' sie bitte, ob sie mit mir sprechen möchte, sonst hat
es keinen Sinn."
Ich
hörte ihn fragen. Dann: "Sie kommt."
Sie
meldete sich: "Ja? Ich bin's. Was gibt's." Ich hörte ihre freundliche
Stimme, als ob nichts auf der Welt ihr Herz beschweren könnte oder je beschwert
hätte.
Das
machte mich sofort wütend. Ich versuchte mich zurückzunehmen und sagte:
"B., begreif doch bitte. Meine Sehnsucht nach dir ist so groß, dass ich ab
und zu wenigstens deine Stimme hören möchte. Du machst dich so rar, du meldest
dich wieder nicht, ich erfahre nichts. Ich muss einfach deine Stimme hören,
Kannst du das nicht verstehen? Geht es dir nicht auch so?"
"Du,
ich habe so viel um die Ohren. Wir schreiben gerade Zeugnisse." "Ach,
so. Hilft man dir dabei?"
„Ja."
Früher
hatte ich das für sie gemacht. Die Texte mussten dauernd neu ausgedruckt und
nachberichtigt werden. Wenn das nicht schnell genug ging, reichten die Tage bis
zum Ausgeben nicht aus. Dann mussten Nachtschichten eingelegt werden. Ich hatte
ihr damals ein System ausgearbeitet. Das kannte mein Sohn aber nicht. Deshalb
waren beide unter Zeitdruck geraten.
Ich
fing wieder an: "Wenn du wenigstens verstehen würdest, wie es in mir
aussieht. Du könntest mich doch 'mal anrufen."
Sie
antwortete und war erregt: "Ich würde dich gerne anrufen, aber ich weiß
ja, wohin das führt. Du willst gar nicht, dass ich dich anrufe, sondern nur,
dass ich dir ein Zeichen gebe, dass alles wieder so wird, wie es früher war.
Und das kann ich nicht."
"Es
soll und kann doch bestimmt nicht wieder so sein oder werden, wie früher. Wenn
du nur über die Möglichkeit eines gemeinsamen Anfanges nachdenken würdest. Wenn
du es mich nur wissen lassen würdest, dass du darüber nachdenkst, dann wäre ich
ja schon zufrieden."
Sie
wieder: "Du willst nicht hören, dass ich darüber nachdenke, sondern du
redest dir ein, wenn ich sage: 'Ja, ich denke darüber nach', dass ich dann zu
dem Schluss kommen muss, dass es eine Gemeinsamkeit geben kann."
Ich:
"Ja, das ist richtig. Alles andere will ich nicht hören. Nur das möchte
ich wissen. Es soll mir dann letzten Endes auch gleich sein, ob du dafür noch
Zeit brauchst oder wie lange es überhaupt dauert. Hauptsache ist, dass es eine
Aussicht gibt."
Sie:
"Eben. Und ich bezweifle, dass es eine solche geben kann. Ich seh jedenfalls
keine."
Das
war das, wovor ich Angst hatte. Ich schwieg einen Augenblick betreten und
musste mich zusammenreißen, dass mir nicht die Tränen gleich wieder in den
Augen standen: "Du könntest doch darüber nachdenken."
Ich
blieb zwar hartnäckig, wünschte und redete aber fortwährend dasselbe und kam
nicht von der Stelle. Es fiel mir auch nichts anderes ein.
Ich
begann von neuem: "Ich würde aufatmen, wenn du sagen würdest, dass du
darüber nachdenkst."
Sie:
"Neulich zum Beispiel wollte ich dich anrufen. Da war das Rohr von der
Toilette wieder verstopft."
Ich
erinnerte mich, dass wir ungeheuren Ärger mit dem Abflussrohr gehabt hatten,
mit den überquellenden Toiletten und dem ganzen Schmutz im Keller. Ich erschrak
richtig, als ich hörte, dass sie nun allein vor dem Problem gestanden hatte.
"Ich
brauchte die Telefonnummer von der Firma. Ich wusste nicht mehr, wo du die
aufbewahrt hattest. Aber wenn ich dich angerufen hätte, hättest du bestimmt zu
mir gesagt: 'Wegen Scheiße rufst du mich an und sonst nicht."
Ich
musste lachen: "Du hast recht. Das hätte ich gesagt. Und es wäre etwas
Wahres dran gewesen."
Sie:
"Für mich war das aber wichtig gewesen."
Ich:
"Das stimmt. Ja, das glaube ich dir."
Sie
plötzlich wieder: "Ich glaube, du kannst dir nicht vorstellen, dass ich
pausenlos darüber nachdenke."
Ich:
"Ehrlich gesagt bin ich davon überzeugt, dass du nicht eine Sekunde deiner
Gedanken darauf verschwendest. Wenn es aber so ist wie du sagst, dann bin ich
ja froh und glücklich. Mehr will ich gar nicht hören von dir."
Sie
wieder: "Du willst aber nicht wahrhaben, dass ich zu dem Schluss kommen
könnte, dass ich keine Möglichkeit des Zusammenlebens mit dir sehe. Und immer,
wenn ich das sage, fällst du in ein schwarzes Loch. Das merk ich doch. Du
findest da auch alleine nicht wieder heraus. Was machen denn deine Therapeuten.
Kommst du bei denen nicht zu Wort? Sprich doch mit ihnen darüber. Die sollen
dir helfen."
Das
Fatale ihrer Antworten war immer wieder gleich. Mit keinem Wort ließ sie sich
auf eine Gefühlsebene ein. Ich erinnerte mich. Als ich ihr einmal vorgeworfen
hatte: 'Du liebst mich nicht, du hast mich nie geliebt’, und noch
wahrheitsgemäß erweiterte, so dass sie betroffen für einige Sekunden in sich
hineinhorchen musste: 'als wir noch nicht einmal verlobt waren, hast du mir
zwei Dinge gesagt, weißt du das noch?'
Sie
damals ganz unsicher: 'Wieso, ich?'
'Ja,
du.'
Du
hattest gesagt: 'Zwei Sachen wirst du nie von mir hören, dass ich dich liebe
und dass ich mich bei dir für irgendetwas entschuldigen werde.'
Bei
meinen Vorhaltungen schien mir der Hauch eines Lächelns über ihr Gesicht zu
huschen. Dann aber war sie außer sich vor Wut geraten und hatte geschrien: 'Ich
dich nicht geliebt? Ich habe dir sogar die Unterwäsche gekauft.'
Wie
sollte ich ihr näher kommen können. Wie nur, wie!
Jetzt
war ich so ermattet: "Ich weiß nicht, was ich denen sagen soll. Mein
Problem kennen die. Außerdem fühle ich mich da nicht wohl. Ich bin da nicht
richtig. Ich glaube auch, dass die mich nicht vollwertig behandeln. Es gibt
andere, die echte Probleme haben."
Sie:
"Du hast auch echte Probleme. Sprich mit denen."
Ich
sah eine kleine Chance: "Sprich du mit ihnen. Du weißt doch offenbar, was
los ist."
Mein
Hintergedanke war, über diesen Weg mit ihr ins Gespräch zu kommen. Sie sagte
sofort: "Ich bin nicht deine Mami, die sich um alles kümmert. Das musst du
selbst machen, und dein Konto kann ich auch nicht führen."
Ich
wurde spöttisch, um sie zu reizen, denn mit Geld konnte und mochte sie gerne
umgehen: "Das müsstest du auch ablehnen, weil ich mich auf einer direkten
Talfahrt befinde. Das Sparbuch ist leer und ich habe derzeit fast zweitausend
minus.''
Sie:
"Wie machst du das bloß." Dann wurde sie trotzig: "Will ich auch
gar nicht erst wissen. Du musst damit umgehen lernen."
Sie
hatte mich erneut zurückgestoßen. Mein Fall war weich und endlos. Ich sackte
durch. Der Aufschlag blieb aus.
Sie
sagte dann: "Du, ich muss hier jetzt wirklich weitermachen."
Das
sah ich ein. Ich wusste, wie ihr die Minuten in Nacken saßen. Die Belastung war
für sie doppelt, einmal die Schreiberei und dann ich. Sie, für sich, schien
ihre Probleme handhaben zu können. So sah es jedenfalls aus für mich. Das
mochte aber durchaus täuschen. Es konnte zum Beispiel so sein, dass sie selbst
immer mehr in ein schwarzes Loch fiel und sich deshalb darin so gut auskannte.
Ich
sagte: "Du hast Einzelbehandlung, ja? Kommst du damit zurecht? Glaubst du,
dass das besser ist als in der Gruppe?"
Endlich
hatte ich einen Absprung gefunden.
B.:
"Also, ich werde jedenfalls manchmal ganz schön rangenommen. Das ist für
mich bestimmt nicht leicht. Ich habe so viel nachzuholen. Der Arzt wundert sich
immer, dass ich mir das alles so viele Jahre habe gefallen lassen."
Ich:
"Du, das ist so unfair, wie du das sagst, weil es sich wieder anhört, als ob
es nur und ausschließlich meine Schuld wäre, dass es dir so schlecht geht.
Damit haben noch ganz andere etwas zu tun."
Sie
wich aus: "Wenn wir damit wieder anfangen, sind wir dort, wo ich mich
wehren muss. Das will ich nicht. Da könnte ich dir tausend Sachen
vorhalten."
Ich
wehrte mich auch: "Und der Schaden, den du an mir angerichtet hast, zählt
natürlich nicht, nein? Aber o.k. lassen wir das. Eine Einzelbehandlung kann ich
meinen Leuten nicht klarmachen. Die sind ja schließlich die Psychologen und nicht
ich. Wenn die nicht erkennen, was mit mir los ist, wer soll es denn dann. Doch
nicht ich, als Betroffener."
Sie:
"Gut. Das musst du wissen. Ich rat dir jedenfalls, sprich mit denen oder
wechsle die Ärzte. Du kannst deine Versicherung anrufen und denen erzählen,
dass du nicht vorankommst und um einen anderen Arzt bitten. Das geht ohne
Probleme. Glaub' mir."
Ich
glaubte ihr ja. Nur mein Problem war nicht, mich von dem Gedanken an B, frei zu
machen, wie sie es gerne hätte, sondern eine Möglichkeit zu finden, endlich mit
ihr wieder zusammen zu kommen.
Sie:
"Aber du willst ja gar nicht wissen, wie du nicht mehr ins schwarze Loch
fällst, sondern du möchtest nur möglichst schnell wieder mit mir
zusammenkommen. Du, ich muss jetzt wirklich meine Sachen weiter machen."
Ich
raffte mich noch einmal auf und sagte: "Ich hätte noch so viel mit dir zu
besprechen: ein Geburtstagsgeschenk und was soll ich machen wegen der Einladung
von U. Ich habe mich darüber so geärgert, weil sie kein persönliches Wort an
mich gerichtet hat. Und das in meiner Situation und das, obwohl sie doch meine
Schwester ist. Ich muss auch von dir wissen, wie du mit dem Geld zurechtkommst,
ob das reicht, was ich dir schicke. Ach, ich müsste noch viel fragen. Aber
ok...."
Ich
horchte. Es kam keine Antwort.
Ich:
"Bist du noch da?"
Sie:
"Ja."
Ich:
"Du musst aufhören?"
Sie:
"Ja. "
Ich:
"Gut. Dann Tschüss.
"Tschüss.
"
Sie
legte auf. Die Leere in mir war schlimm. Sie weitete sich aus und hielt den
ganzen Abend über an.
Tränen
hatte ich keine mehr. Die Seufzer waren aber oft so tief, dass ich schließlich
keine Befreiung im Aufatmen mehr hatte. Der Brustkorb und der Hals schmerzten.
Ich konnte niemanden mehr, auch nicht mich, beschuldigen und hoffte nur:
'Lieber Gott, lass es bald vorüber sein.' Spät nachts erwischte ich mich immer
noch vor dem Fernseher. Was dort gesandt wurde, nahm ich mit einem Mal ganz
interessiert wahr. Es schien in weitem Zusammenhang etwas mit meiner Situation
zu tun zu haben. Ich schaute gebannt hin und achtete auf jedes Wort.
Eine
Auslandkorrespondentin berichtete aus Russland. Sie zeigte alleinstehende
Frauen mit und ohne Kinder und die hoffnungslosen Zustände unter den
Erwerbslosen, die sich schrecklich brutal in der Wohnungsnot widerspiegelten.
Die wenigen Wohnungen, die vergeben wurden, waren unbeheizt in Altbauten aus
der Jahrhundertwende. Die durften sie aber nicht alleine nutzen, sondern sie
waren darin mit Menschen zusammengepfercht, überwiegend verwahrlosten Männern
in einem eigentlich brauchbaren Alter. Die Frauen hatten überhaupt keine
Möglichkeit, auch nur den kleinsten Verdienst legal zu erwirtschaften und
suchten mit allen Mitteln den Anschluss an bestimmte Männer. Die hätten für sie
eine Lebenssicherung bedeuten können. Die meisten Männer, die diese Frauen
kannten, und sehr häufig waren es die eigenen Männer, konnten keine Versorgung
mehr bieten.
In
ihrer Verzweiflung versuchten die Frauen sich Ausländern vorzustellen,
verbunden mit der Hoffnung, in eine bessere Zukunft heiraten zu können. Einige
von ihnen waren gebildet, viele sehr hübsch. Alle hatten eine klare Vorstellung
von ihrer neuen Zukunft, neben einem solchen Mann.
Eine
dieser Frauen wurde in ihrer Wohnung gefilmt. Sie ließ sich gerade in
Schwärmerei darüber aus, dass es ihr nicht auf eine Besonderheit des Mannes
ankäme sondern nur auf die Tatsache an sich: "Er darf alles sein, sogar
arm. Damit kennen wir uns am besten aus."
Während
der Übersetzung des Gespräches ging die Frau mit einem kleinen Mädchen an der
Hand in einem Flur auf und ab und, ohne dass sie überhaupt Notiz davon nahm,
erschien unterdessen aus einer Flurtür ein Mann hinter ihr. Er blickte
verständnislos, schwerfällig und irritiert in die Kamera, zu dem Kind und
hinüber zur Frau.
Die
stand als schlanke Person in lange Tücher gehüllt, fast elegant da. Um sie zu
verstehen, brauchte man keinen Übersetzer. Der Mann im Hintergrund bot das Bild
der Abhängigkeit von der Frau. Ihr tat sich noch ein Fluchtweg auf, der ihm
versagt blieb. Sie konnte sich loslösen, er nicht.
Dieses
Bild stand wenige Augenblicke fest vor meinen Augen. Es prägte sich intensiv
ein. Das Gespräch wurde unwichtig. Die sozialen Probleme erreichten mich nicht
mehr.
Ich
achtete nur noch auf meine Gedanken und staunte: 'Da sucht eine Frau in
Russland einen Mann und ist bereit Tausende von Kilometern dafür zu reisen,
eine fremde Sprache, eine fremde Kultur auf sich zu nehmen. Sie hält Ausschau
nach einem Mann, obwohl einen Meter neben ihr einer steht und den erreicht sie
nicht. Das ist die völlige Entfremdung.
In
diesem Bild erfuhr ich mich als der von B. Entfremdete. Das gab ich vor mir zu
und erkannte meine Lage. B, floh vor mir. Sie war nicht mehr zu erreichen. Das
sah ich ein.
Mir
fiel es wirklich wie Schuppen von den Augen. Könnte ich aus meiner Gefühlswelt
herausfinden, würde sie mich wieder deutlicher wahrnehmen, würde sie sich ihrer
Liebe zu mir erinnern, käme, sie mir entgegen.
Die
größte Wunde begann sich in Sekundenschnelle mit körperlichem Wohlsein in mir
zu schließen. Es war wunderbar. Eine jubilierende Musik stieg in mir auf. Mein
Tränen, mein Schluchzen verwandelten sich in ein lange vorübergezogenes
Gewitter. Davor brauchte ich keine Angst mehr zu haben.
Es
traten Ruhe und ein großes Glücksgefühl ein. Ich wurde völlig überrascht davon.
Dabei beäugte ich mich vorsichtig. Würde ich wieder trügerischen Hoffnungen
aufsitzen? Ich machte einen Plan. Dazu würde ich mich beobachten und
kontrollieren müssen. Von außen sah ich mir in den kommenden Tagen und Wochen
über die Schulter, blieb mir behutsam auf den Fersen, überwachte jedes Gefühl,
das sich regte. Brachte es mich nur in die Nähe des Verdachtes, meine alte
Abhängigkeit zu erleben, so schob ich das 'stehende Bild' der Russin und dem
Mann dazwischen und wurde wieder froh. Nur so, schaffte ich es.
In
die nächsten Wochen fiel eine Sitzung meiner Therapiegruppe, und ich empfand
mich allen überlegen. Nichts konnte mich mehr zurückwerfen. Mein Vorsprung
schützte mich gerade deshalb, weil ich wusste, wie trügerisch solche rettenden
Einbildungen zu sein vermochten. Immer wieder musste Selbstbetrug von mir
vermutet werden. Nur die Wahrheit war stark genug, zu bestehen. Dies musste die
Wahrheit sein.
Meine
Aufgabe bestand von nun an darin, die Sucht nach B. zu erkennen und meine Liebe
zu ihr auf völlig neue, eigene Füße zu stellen.
Ich
hätte B. am liebsten angerufen und ihr alles erklärt. All das betraf sie aber
nicht mehr. Es war ganz alleine mein Erfolg.
Trotzdem
beschloss ich, ihr ein paar Zeilen zu schreiben. Sie sollte nicht nur von
meiner Entdeckung erfahren sondern vor allen Dingen deren wohltuende Folgen mit
meinen Worten für sich empfinden können.
Ich
wartete noch ab bis ich ganz sicher war und schrieb ihr so:
'Liebe
B.
ab
heute sage ich aufrichtig 'liebe', weil ich nicht mehr in ein Loch stürzen
werde, wie du es richtig gesagt hast. Ich möchte dir das erklären...'
Dann
habe ich mit einfachen Worten beschrieben was ich erlebt hatte: '...ich habe es
begriffen. Ich hatte als ein Ertrinkender an dir gehangen und dir keine Luft
mehr zum Atmen gelassen. Es hat wenig Sinn, dass ich dir, oder mir sage, wie
leid es mir tut. Es ist aber wichtig, es zu wissen. Ich sage 'liebe' zu dir,
weil ich dich auf eine andere und ich
glaube neue Weise liebe Ich möchte dir das alles erklärt haben, damit es auch
dich ein wenig freier macht. ...Lass dir von mir zu deinem Geburtstag ruhig ein
kleines Geschenk machen. Es ist ehrlich und aufrichtig gemeint.
Ich
liebe dich, H.'
Ich
schlug ihr außerdem vor, ein gemeinsames Gespräch bei ihrem Therapeuten zu
bekommen. Darauf mochte ich aber nicht so fest zählen, weil ich zu dem Menschen
sehr ungern erneut gehen würde. Den Vorschlag machte ich ihr auch nur, um sie
wissen zu lassen, dass ich mich ehrlich um sie bemühen wollte, ohne auf alte
Erfahrungen zurückzugreifen. Ich war froh über diese Entwicklung und begann
ausstehende Einladungen, bis auf die bei meiner Schwester, U. anzunehmen. Der
blieb ich gram, weil sie ihren schwesterlichen Pflichten mir gegenüber in den
Tagen, wo ich für jedes Gespräch dankbar gewesen wäre, nicht nachgekommen war.
Sie sollte wissen, dass ich mich von ihr enttäuscht fühlte.
Meine
gute Laune stieg ins Ungewohnte.
Als
der Geburtstag von B. heranrückte, packte ich ihr ein Tuch in einen
Briefumschlag und sandte es, nur mit herzlichen Glückwünschen versehen, an sie
ab, Mein Sohn entdeckte in meiner Wohnung neue Bilder von mir, und nahm davon
eines auf eigenen Wunsch auch noch für sie mit: 'Ich sag Mami, dass ich dich
dazu überredet habe.'
Nichts
war mir lieber als das.
Am
Tage nach ihrem Geburtstag würde sie ein Gartenfest geben. Eine ihrer
Freundinnen hatte mich angerufen und mir davon erzählt. Ich geriet zwar wieder
in die Situation des von der Familie Ausgestoßenen, aber letzten Endes ging es
mir doch ganz gut. Ich stürzte nicht ab, sondern wünschte ihr in Gedanken einen
schönen Tag und ging selbst zu einem Straßenfest. Das wurde weit, weit entfernt
in einem anderen Teil der Stadt gefeiert.
Das
Straßenfest entpuppte sich als ein Gemisch aus einer Angelegenheit für reiche
Leute, die Geld für gutes, kleines Essen, für teure unbrauchbare Dinge ausgeben
wollten und dem geheimnisvollen Angebot eines Flohmarktes mit wunderschönen
abgelegten, scheinbar wirklich mit Geschichten behafteten Gegenständen und
Dingen zum Tragen und zum Nichtsdamitanfangenkönnen für Menschen, die gerne in
die Vergangenheit horchten und dafür diese Gelegenheit annahmen. Sie konnten in
gut erhaltenen, alten Büchern herumstöbern. Sie sahen Handwerkszeug, das nur
noch fremd und zum Anschauen reizvoll war, weil niemand deren Bedeutung so ganz
richtig erinnerte. Sie entdeckten vor allen Dingen in altem Schmuck ihre eigene
Herkunft und ließen sich dessen Erwerb einiges kosten. Sie erstanden damit ein
Stück Vergangenheit.
Bei
Schmuck kannten sich sehr viele sehr gut aus. Sie unterschieden sofort die
Länder der Herkunft, das Alter, die Bedeutung. Bei eingearbeiteten Edelsteinen
wurde der Schliff fachmännisch begutachtet, die Fassung genau betrachtet und
der Preis nicht mehr als Gegenstand des Handelns gesehen, sondern als Frage, ob
der Verkäufer das richtige Gefühl für den wahren Wert seiner Schätze hatte. Wer
dort kaufte, zahlte ohne große Geschichten. Die Höhe der Preise überschritt oft
das, was man auf einem Flohmarkt eigentlich auszugeben bereit sein sollte.
An
altem Schmuck blieb auch ich hängen, allerdings aus anderen Gründen. Ich kam
nämlich nicht umhin, mir die früheren Trägerinnen, deren Nachfolgerinnen oder
Vorgängerinnen bildlich vorzustellen, mit dem Gedanken: 'Ich bin jetzt die
Trägerin des Schmuckes von damals. Ich will wissen, was nach meinem Tod mit dem
von mir so geliebten Schmuck geschehen ist. Habe ich ihn vererbt? Ging er
verloren? Hat ihn eine Verwandte, eine Fremde in die Hand bekommen?'
Mit
diesen Gedankenspielen machte ich mich nicht nur zur Erstbesitzerin sondern
schlüpfte auch in die Haut der Verkäufer hinter dem Stand und betrachtete mich,
den Interessenten davor, mit größter Neugier.
An
einem der Stände sah ich in eine verschlossene Glasschatulle. Mein Blick blieb
an einem kleinen Ring mit zwei Rubinen, einem Smaragd und zwei weiteren
winzigen Südseeperlen, die in einem Karo aufgebaut waren und in dessen Mitte
der weiße Stein saß, während die übrigen das Viereck bildeten, hängen. Es war
eine alte englische Arbeit, sicher über hundert Jahre alt und hatte den
persönlichen Reiz, als Einzelstück geliebt werden zu müssen. Er gefiel mir sehr
gut. Er sollte dreihundertfünfzig kosten. Ich hätte ihn wirklich zu gerne
erstanden, aber für wen? Wem hätte ich ihn schenken können? Niemand fiel mir
ein. Das bedauerte ich außerordentlich.
Der
Verkäufer sah natürlich, wie ich den Ring liebte und hob den gläsernen Deckel
seiner Schatulle an. Alles lag auf blauem Samt. Es war zu schön, mir das
ansehen zu dürfen.
Ich
probierte den Ring: "Meine Frau hat sehr schmale Finger." Ich hörte
mich reden und erstaunte über die Worte.
Ich
sagte: "Wenn der Ring über meinen kleinen Finger, hier rechts geht, dann
passt er auch ihr."
Er
saß ganz genau. Ich erschrak darüber, weil ich den Ring gar nicht kaufen
wollte. So eine Ausgabe wäre bei meiner angestrengten Finanzlage der reine
Wahnsinn gewesen.
Ich
sagte deshalb: "Mehr als dreihundert kann ich sowieso nicht ausgeben“, und
gab den Ring zurück.
Der
Verkäufer war nicht irritiert. Er legte den Ring beiseite, aber nicht in sein
Fach zurück.
Mein
Blick blieb an einer Halskette hängen.
Als
wären ich, der Verkäufer, und die ehemalige Besitzerin nun wirklich ein und
dieselbe Person und, als trüge diese meine Gedanken, ja, als spräche ich zu
mir, sagte der Verkäufer: "Die Kette ist etwas Einmaliges. Sie ist zwar
aus Doublé und die Steine sind nur aus Glas, aber es ist verbürgt, dass sie nur
von Frauen getragen wurde, die sehr geliebt worden sind."
Dann
noch einmal: "Sehr geliebt."
Ich
hätte zu gerne etwas Zauberhaftes gehabt, um die Liebe von B. zurückzugewinnen.
So verrückt war ich inzwischen.
Ich
begann mich mit ihm über B. zu unterhalten: "Das könnte passen. Ja, das
träfe auf meine Frau zu. Sie ist auch sehr empfindlich in Sachen Schmuck. Es
muss nicht unbedingt alles echt sein, sondern, was ihr gefällt, muss
Ausstrahlung haben, Liebreiz sozusagen."
Mein
Gott, wenn ich mich so hörte. Um uns herum standen schon Leute, die einer
Märchenstunde zu folgen schienen. Sie sagten kein Wort, hörten nur gespannt zu.
Der
Verkäufer beobachtete mich und beschrieb die Kette mit ihren Besonderheiten:
"Das Schöne an ihr ist nicht nur die reine handwerkliche Leistung, die
sehen sie an den gelungenen Einfassung der Steine..."
Die
hingen wie Gedanken, wie Erinnerungen in eigenen Kettchen, die von der
Hauptkette abgingen. Links und rechts davon und auch dazwischen verliefen
andere hauchdünne einzelne vergoldete Bändchen, die winzigen Schaukeln gleich,
nur jeweils aus einer einzigen Aufhängung, ohne Sitzbank, bestehend, in- und
durcheinander gerieten. Es herrschte fröhliche Unordnung in dem ganzen. Eine
Miniaturmärchenlandschaft die von den zwei roten und den beiden blauen Steinen,
Glasfenstern als winzige Seen, aufgeheitert wurden.
Bei
jeder kleinen Erschütterung geriet alles in Bewegung und schien zu erzittern.
Er
fuhr fort: "...sondern die Verspieltheit des Ganzen, die dauernden
Bewegungen beim Tragen.."
Es
war ein Schmuck zu dem das Lächeln einer Frau gehörte.
Ich
dachte nur noch an B., an ihre leichte Art und ihre braune Haut: 'Mein Vater
hat immer behauptet, dass ich von Zigeunern abstamme.' Das sagte sie, wenn sie
guter Laune war und jemand ihre Haut bewunderte.
Trotzdem
war ich mir meiner Sache nicht sicher und schaute mich um. Neben mir stand ein
etwa zwölfjähriges Mädchen. Das hatte eine ähnliche Haut wie B. Auch sein
Gesicht kam mir sehr vertraut vor.
Ich
fragte es: "Du, darf ich dir eben
'mal die Kette umhängen? Ich möchte nur sehen, wie sie wirkt. Ja?"
Das
Mädchen hatte ein sanftes Lächeln, nickte stumm und hielt ganz still. Ich
sagte: "Genau das ist es, was sich meine Frau wünscht. Danke, du."
Damit nahm ich ihr die Kette wieder ab und gab sie dem Verkäufer zurück. Der
sagte: "Wenn sie zu lang sein sollte, kann man sie kürzen."
Die
Leute verfolgten das Gespräch immer noch mit Spannung. Ich zögerte. Für einen
Augenblick fiel mir meine Geldmisere wieder ein, und ich hörte meinen Bruder
sagen: 'So wirst du niemals mit deinem Geld zurechtkommen.' Mir fiel siedend
heiß ein, dass ich nicht einmal Gelegenheit haben würde, sie zu verschenken.
Der Geburtstag war ja praktisch vorüber. Mein Geschenk hatte ich abgegeben und
ein 'großes' Geschenk hatte sie nicht haben wollen. Dann war ich wieder in
meiner Wunschwelt, in meinen Traumvorstellungen, und hatte nur noch den Schmuck
vor Augen. Die Zeit meines Zögern deutete der Verkäufer auf seine Weise:
"Also, die könnte ich Ihnen auch für dreihundert lassen. Bei dem Ring
fiele mir das schwerer." Damit hatte er mich herum. Ich kaufte. Die
Zuschauer waren zufrieden und schlenderten weiter. Einige machten noch Bemerkungen
zu ihren Nachbarn. Die verstand ich aber nicht. Für sie hatte die Geschichte
einen glücklichen Ausgang genommen, für sie war es nicht das Erstehen eines
Gegenstandes gewesen, sondern der Entschluss, einem geliebten Menschen etwas
Schönes, um der Liebe willen, zu kaufen. Mich ließ der Gedanke nicht los, dass
dieser Schmuck nur von sehr geliebten Frauen getragen worden war. Natürlich
nahm ich das für mich als ein Zeichen.
Auf
so einem Markt wird beim Verkaufen nichts aufwendig sondern nur harmlos, aber
liebevoll, verpackt. Man wickelt die Gegenstände in Zeitungspapier, gleich wie
viel sie gekostet haben mögen. Manchmal findet sich ein schöner Umschlag, der
selbst ein Eigenleben führen könnte, oder eine Schachtel: „die geb' ich Ihnen
dazu. Sieht die nicht hübsch aus?"
Für
meine Halskette fand sich eine kleine, braune Tüte. Darin hätten auch
Radiergummis liegen können. Mir gefiel es aber so, und ich war mit mir
zufrieden.
Ich
bekam Hunger und kaufte mir eine Portion Champignons. Die wurden in einer
riesigen Pfanne gebraten oder gesotten, dufteten verführerisch und waren mit
vielen Kräutern gewürzt. Die Portion war knapp ausreichend. Da ich die Pilze
sehr mochte, hätte ich gerne mehr davon gehabt, aber eine zweite Portion wäre
wiederum zu viel und mir auch zu teuer geworden. Ich hatte aber Glück. Die
Verkäuferin konnte ein geringes Restgeld nicht herausgeben. Ich wollte schon
darauf verzichten und sagte: "Lassen Sie's oder geben Sie mir noch einen
Pilz extra."
Sie
fand den Einfall gut und gerecht und füllte mir fast die halbe Portion noch
zusätzlich auf den Teller. Sie freute sich, dass jemand ihre Naturalien dem
Geld vorzog.
Sie
fragte: "Ist das gut so?"
"Ja,
danke. Ja, das ist sehr nett von Ihnen."
Dann
trank ich noch ein schönes Bier und genoss an einem anderen Stand, wo
gelangweilte, schlanke Frauen in leuchtende Stoffe gekleidet mit Männern
Champagner tranken, Folkloremusik, die einmalig zu dem heißen Wetter, meiner
Stimmung und meinem Selbstwertgefühl passte. Ich blieb neben den Paaren stehen
und lauschte den Rhythmen bis ganz zum Ende. Niemand fragte, ob ich etwas
bestellen wollte. Dann schlenderte ich zum Ausgang und fuhr nach Hause.
Ich
sah mir meine Erwerbung wieder und wieder an und fand sie immer schöner. Ich
wusste nicht recht wohin damit und hing sie mit zwei Stecknadeln an die Tapete
und zwar über den Nachttisch des unbenutzten zweiten Teiles meines
Doppelbettes. Dort blieb sie aber nicht lange, weil ich die Kette nicht für
eine Wand gekauft hatte, sondern für den Hals von B. So wurde ich traurig, mochte
sie nicht mehr anschauen und wickelte sie endgültig in ein kleines Stück
Seidenpapier. Das steckte ich zurück in das braune Tütchen und das wiederum in
die Nachttischschublade.
Wer
wusste warum, oder wozu ich sie überhaupt gekauft hatte.
Am
späten Abend holte ich sie doch noch einmal hervor und war immer noch ganz
verliebt in ihre Schönheit und in die Vorstellung der Frauen, die sie getragen
haben mochten.
Ich
beschloss, sie für später, vielleicht für ein glückliches Wiedersehen,
aufzubewahren und mir nicht dauernd damit das Herz schwer zu machen. Der
Entschluss war endgültig und ich kam zur Ruhe.
Wir
hatten hochsommerliche Tage. Alle stöhnten unter der Hitze. Spazieren gehen
konnte man nur am Abend. Das nahm ich mir für den nächsten Tag vor.
Lange
nach dem Abendessen ging ich hinaus und geriet, ohne Absicht, in die Nähe der
Wohnung von B.
Ich
sah dort eine Frau, die von einem Hund, wie wir ihn hatten, an der Leine über
die Straße gezogen wurde. Im ersten Augenblick dachte ich, dass das unser Hund
sein konnte, er schien mir aber viel größer zu sein. Ich ging weiter auf die
Frau zu und sie auf mich. Plötzlich zog der Hund sie erneut und diesmal direkt
zu mir. Der Hund hatte mich erkannt. Ich erschrak so sehr, dass ich spürte, wie
ich blass wurde. Mein Herz raste und ich sah die Frau um eine Haussäule
herumkommen und mich nun auch erblicken. Ja, es war meine Frau. Es war B. Ich
sah sie an und war unfähig, ein Wort von mir zu geben.
Sie
schaute mich mit großen, runden Augen an und sagte nach einigen Augenblicken:
"Ich bin kein Geist."
Ich
blieb sprachlos. In meinem Kopf hatte nur ein Gedanke Platz: 'Bevor das Theater
wieder anfängt, geh' ich einfach weg.'
Ich
presste die Lippen fest aufeinander, begrüßte auch den Hund nicht. Der konnte
aber gar nicht von mir lassen und jaulte herum.
Ich
drehte mich ab und ging in meine Richtung weiter. Das ließ der Hund nicht zu.
Er zog mit langer Leine hinter mir her und meine Frau mit sich. Das spürte ich
erst, als ich sie rufen hörte: "Wohin gehst du?"
Ich
blieb stehen. Ich wachte buchstäblich auf und bückte mich zum Hund und begrüßte
ihn. Mein Blick ging noch immer nicht in die Richtung meiner Frau. Plötzlich
aber fiel mir mein Geschenk ein und ob es nicht vielleicht ein glücklicher
Zufall war oder mehr, ob es nicht so hatte sein sollen. Ich war zu allem
entschlossen, ging auf B. zu, nahm sie einfach in die Arme und versuchte sie zu
küssen.
Das
war nun nicht so, dass sie sich das gefallen lassen wollte. Sie bemühte sich,
ihren Mund nicht in meine Richtung zu halten. Trotzdem schaffte ich es, ihn
richtig, aber gegen einen gewissen Widerstand, ausführlich unter meinen zu
bekommen.
Ich
ließ sie wieder frei.
Sie
sagte: "Lass das bitte."
Ich:
"Du weißt doch überhaupt nicht mehr, wie es ist, von einem Mann in den Arm
genommen zu werden. Du weißt, dass ich dich liebe."
Ich
nahm ihre Hand und legte den Rücken auf meine Brust. Mein Herz schlug wie
verrückt.
Dann
fragte ich: "Wie geht's dir?"
Sie
musste spüren, wie ich vor Freude über unser Treffen immer aufgedrehter wurde.
Ich
sagte: "Komm, wir gehen ein Stück zusammen. Komm mit über die Brücke, dann
kann ich dir endlich meine Wohnung zeigen."
Wir
waren jetzt genau ein halbes Jahr auseinander. 'Getrennt von Tisch und Bett',
wie sie mir gesagt hatte.
Sie:
"Nein, ich komm nicht mit. Ich geh' auch nicht mit in deine Wohnung. Ich
weiß, was mich da erwartet."
Ich:
"Ach, was. Komm mit."
Sie:
"Nein."
Ich:
"Was du nicht weißt, ich habe noch ein Geburtstagsgeschenk für dich, ein
richtiges. Etwas ganz Süßes. Das wird dir gefallen. Das konntest du nicht
bekommen, weil du ja nichts Richtiges haben wolltest. Es ist nicht wertvoll,
war zwar teuer, und es ist wirklich ganz süß."
Sie
zögerte unendlich lange herum und wollte uns wohl schonen. Ich wollte aber
keine Schonung, weder für mich, noch für sie.
Ich
packte sie am Handgelenk und sagte: "So, jetzt kommst du mit mir mit.
Jetzt machst du endlich 'mal wieder, das, was ich dir sage. Wir gehen über die
Brücke und ich hol das Geschenk."
Damit
zog ich sie mit mir und sie den Hund über die kleine Brücke zur anderen Seite
der Bahn.
Sie:
"Jetzt geht das schon wieder los. Du bestimmst einfach über mich."
Ich:
"Seit wir uns kennen, denk nur damals an die Wiesen in Österreich, schon
da musste ich dich den Hang runterziehen, bloß weil du dich nicht entschließen
konntest. Nun mach bitte, was ich von dir möchte. Komm."
Ich
behielt sie fest im Griff. Drüben, auf der anderen Seite ließ ich sie los. Es
waren nur noch wenige Meter bis zum Hochhaus, in dem ich wohnte.
Sie
strich sich mit der freien Hand und der Leine darin über den Unterarm:
"Das gibt sicher blaue Flecken. Wie kommst du dazu, mich so zu
ziehen."
Ich:
"Freiwillig wärst du doch nicht mit gekommen. Darf ich dir die Wohnung
zeigen? Bitte, komm mit."
Sie
sah mich sehr prüfend an: "Du willst mich doch nur nach oben
kriegen."
Ich
wurde übermütig: "Na klar, was denkst du denn."
Sie:
"Und ich hätte dir beinahe geglaubt. Keinen Schritt setze ich in deine
Wohnung."
Inzwischen
hatte ich sie noch einmal in den Arm genommen und wieder geküsst. Sie wehrte
sich nach wie vor so gut oder so schlecht es ging.
Ich
sah ein, dass sie nicht zu gewinnen war und lenkte ein: "Gut, dann warte
wenigstens, dass ich dein Geschenk holen kann. Bitte."
Sie:
"Ja, ich warte."
Sie
hatte einen Rock und nur eine dünne weiße Bluse an.
Ich
sah, dass sie fröstelte und hing ihr meine Strickjacke über. Dagegen wehrte sie
sich kaum.
Ich
sagte: "Zieh sie an. Ich seh' doch, dass du frierst."
Dann
wollte ich mich zur Eingangstür wenden, fürchtete aber, dass sie einfach weggehen
würde: "Wirst du bestimmt warten? Bist du weg, wenn ich zurückkomme?"
Sie:
"Wenn ich sage, dass ich warte, dann warte ich. Wenn ich etwas verspreche,
halte ich es auch."
Ich verstand nicht, was sie mir damit sagen wollte, fragte
aber auch nicht nach.
Sie wurde vom Hund hin- und hergezogen. Der wollte mir
folgen und überall herumschnüffeln. Ich ging ins Haus. Dort musste ich mit dem
Fahrstuhl bis in den vierten Stock fahren. Das dauerte seine Zeit. Ich nahm das
Geschenk mit der kümmerlichen Verpackung und beeilte mich.
Im Flur dachte ich dann: 'Sicher wird sie mir die
Strickjacke wiedergeben wollen. Es ist aber besser, wenn sie die anbehält. Dann
braucht sie nicht zu frieren und hat etwas von mir direkt an und bei sich.'
Ich ging also zurück und holte mir eine andere Jacke. Die
zog ich mir an. Dann stieg ich wieder in den Fahrstuhl.
Sie stand noch unten und hatte gewartet. Ich ging auf sie
zu: "Das ist für dich. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag." Damit
küsste ich sie noch einmal. Sie wehrte sich wieder, ohne mich aber richtig
abzuwehren.
Ich sagte: "Du bist nicht so neugierig, wie Frauen
sind, die ein Geschenk bekommen." Und dann gleich: "Aber mach dir das
Päckchen in Ruhe Zuhause auf. Ich wünsche mir, dass du dich darüber freuen
kannst. Es ist ein Schmuckstück. Es hat noch eine Besonderheit. Es wurde nur
von Frauen getragen, die sehr geliebt wurden."
Sie sagte dazu: "Du solltest für mich kein Geld
ausgeben. Ich wollte das nicht."
Es blieb ein ungutes Gefühl bei mir zurück. Ich dachte:
'Sie nimmt das Geschenk jetzt nur an, um mich nicht zu verletzen oder weil sie
im Moment nicht anders kann.'
Ich sagte, um ein wenig abzulenken: "Die Jacke
behältst du bitte an. Ich habe mir eine andere mitgebracht. Wie findest du die?
Hab' ich mir gerade gekauft."
Ich wollte sie auf andere Gedanken bringen und ihr auch
zeigen, dass ich ohne sie zurechtkam.
Sie: "Die gefällt mir."
Dann: "Das sagst du doch nur, damit du wieder eine
Verbindung schaffst, nicht?"
"Stimmt. Behalt sie trotzdem an. Bitte."
Ich begleitete sie über die Straße: "Es ist ein
Kettchen. Vielleicht gefällt es dir ja. Es soll über hundert Jahre alt
sein."
Sie: "Vielleicht nehm' ich das Geschenk jetzt nur an,
weil ich dich nicht verletzen
will."
Sie
ging dabei einen Schritt voraus und schaute über die Schulter mit gespanntem
Gesichtsausdruck zurück. Mich erdrückten ihre Worte. Ich erschrak wieder bis
zur Sprachlosigkeit, vielleicht, weil ich gerade diese Antwort befürchtet
hatte. Ich hielt mitten im Schritt an, schaute ihr finster nach, drehte mich
auf dem Absatz um und ging ohne ein Wort fort.
Die
Tränen standen mir wieder in den Augen. Ich dachte: 'So schaffst du es nie,
nie, nie.' Ich schwor mir, sie das nächste halbe Jahr nicht mehr anzurufen,
anzusprechen und mich nicht mehr bei ihr in Erinnerung zu rufen, um endlich,
endlich Ruhe zu finden.
Anderentags
war ich bei ihrer Mutter zu Gast. Mein Sohn wohnte dort, und ich musste mich
unbedingt bei ihr sehen lassen. Ich ging mit schwerem Herzen hin und bat den
lieben Gott, dass meine Schwiegermutter nicht in einem Anfall von
Schicksalspielenwollen meine Frau ohne mein Wissen mit eingeladen hatte. Das
Auto meiner Frau stand nicht vor der Tür. Ich ging also tapfer hinein. Tapfer
auch deshalb, weil ich ein außerordentlich ungutes Verhältnis zu der alten Frau
hatte. Das herrschte seit Jahren, seit Jahrzehnten und hatte keine Aussicht,
jemals besser zu werden, unter diesen erschwerten Umständen auf gar keinen
Fall.
Ich
hatte Blumen in der Hand und klingelte. Sie machte auf und, als fiele
unerwartet ein milder, warmer Sommerregen, spürte ich, dass dies eine angenehme
Begegnung werden würde.
Beim
Mittagessen, als sich mein Sohn zurückgezogen hatte, berichtete ich ihr
aufrichtig von all den Schwierigkeiten mit B. und hörte mit Erstaunen, dass
sie, als Mutter, praktisch von Brosamen aus dem Munde ihrer Tochter lebte. Ich
erzählte auch von meinem gestrigen Treffen mit ihr und meinem stürmischen
Verhalten.
Sie
schmunzelte vor sich hin als ich sagte: "B. wusste ja gar nicht mehr, wie
es ist, von ihrem Mann in den Arm genommen zu werden."
Anscheinend
hörte sie das gerne.
Wir
kamen auf ihre eigene Vergangenheit zu sprechen. Früher waren für sie alle
Themen im Umgang zwischen Mann und Frau tabu gewesen. Jetzt aber sprach sie
ganz freimütig über ihr eigenes damaliges Liebesleben, den intimen Umgang mit
ihrem längst verstorbenen Mann, ihren Wünschen und wie sie ihr Wissen oder
besser Unwissen oder noch besser ihre völlige Wunschlosigkeit an ihre Tochter
weitergegeben hatte. Ihr Mann war höchstens einmal im Monat zu ihr gekommen.
Dann hatte sie es an sich geschehen lassen. Niemals hätte sie dabei eigene
Vorstellungen gehabt, geschweige denn, sie zu äußern gewagt. Das war, so wie
sie erzogen war und wie sie ihre Tochter erzogen hatte, immer Sache des Mannes.
Es würde dem Verständnis einer Frau, warum er das an ihr tun musste, sowieso
ewig verborgen bleiben. Soviel Vertrauen und Offenheit überraschte mich.
Sie
sagte noch: "B, fühlte sich bei dir immer als Objekt in der Liebe und das hat
sie so kaputt gemacht. Aber woher sollte sie etwas anderes kennen. Verkehr mit
anderen Männern kannte sie ja nicht."
Ich
sagte: "Wir sind beide einander treu. Das ist heute ein Problem für uns.
Wir haben zwar beide keinen Nachholbedarf, aber wir haben auch keine
Erfahrung."
Ich
erzählte dann von dem verspäteten Geschenk und dass ich so begeistert von dem
Kettchen gewesen war.
"Weißt
du, die Kette ist so süß, dass sich eine Frau einfach darüber freuen muss.
Trotzdem traue ich ihr zu, dass sie mir die zurückschickt. Das wäre das
Allerschlimmste was mir im Moment passieren könnte."
Dabei
dachte ich: 'Sie telefoniert bestimmt mit ihrer Tochter, dann wird sie ihr
meine Befürchtungen mitteilen und sie vielleicht davon abbringen. Ich sagte
noch: "Sie hat das Geschenk auch nicht gleich ausgepackt. Sie war nicht
neugierig, wie es eine Frau ist, die ein Geschenk bekommt."
So
verlief das Gespräch.
An
dem Tag waren wir fast zu Verbündeten geworden und vertrauten uns die größten
Geheimnisse an. Das geschah nicht etwa, weil wir die gleichen Probleme hatten,
sondern weil wir eine gemeinsame Sprache gefunden hatten. Meine Schwiegermutter
tröstete sich in Notzeiten mit dem Gebet. Das sagte sie mir wieder: "Ich
kann nur beten."
Es
wäre für mich interessant gewesen, zu wissen, um was oder für was sie betete.
Um mir aber Enttäuschungen zu ersparen, erfragte ich das nicht. Gegen Gebete
hatte ich nichts einzuwenden. Aus früheren Gesprächen mit ihr wusste ich, dass
sie mich als ziemlich ungläubig einstufte und mich deshalb grundsätzlich in
ihre Gebete mit einbezog. Das beruhigte mich zusätzlich und ich vertraute auf
deren Kraft.
Tags
darauf besuchten mich zwei meiner Söhne. Sie wollten gemeinsam verreisen. Wir unterhielten uns sehr angeregt,
wobei wir das Thema, das uns am meisten beschäftigte, außen vor ließen. Nur
ganz zum Schluss sagte einer: "Übrigens hat Mami dir einen Brief in den
Kasten geworfen." Ich war wie elektrisiert und ahnte nichts Gutes.
"Hast du den nicht gefunden?"
Ich: "Kinder, davon weiß ich doch nichts. Wenn wir
nachher runtergehen, hol ich ihn mir raus."
Von nun an musste ich immerzu daran denken, ob sie mir
wohl den Schmuck darein gelegt hatte. Die Kinder verabschiedeten sich
schließlich. Ich entließ sie ungern, weil sie die einzigen wirklichen
Vertrauten in meiner Notlage waren, Von ihnen erhoffte ich mir immer noch eine
erlösende Nachricht, das Aufatmen nach so viel Hoffnungslosigkeit.
Der Brief war freundlich und beschrieb die Wünsche der
Kinder zu ihren bevorstehen Geburtstagen.
Dann fuhr sie fort: "Die Kette ist wunderschön. Ich
werde sie tragen, wenn es passt. Ich möchte dich aber bitten, mir in Zukunft
keine großen Geschenke zu machen. Ich möchte dich nicht verletzen, indem ich
sie zurückschicke, möchte mir aber auch nicht den Vorwurf machen lassen müssen,
mich beschenken zu lassen, dich aber nicht sehen zu wollen. Vielleicht
verstehst du das."
Dann noch ganz kurz: "Grüße, B."
Ich hatte auch meiner zukünftigen Schwiegertochter von dem
Treffen mit B. geschrieben. Die war nun gerade bei ihr zu Besuch. Der hatte ich
meine große Hoffnung mitgeteilt, dass ich zu gerne in dem Treffen einen neuen
Anfang sehen wollte.
Meine Begeisterung und mein Schwanken hielten sich die
Waage. In einem neuen Brief voll glühender Liebe schrieb ich B. davon und dass
ich es so toll gefunden hätte, dass sie sich seit vielen Jahren das erste Mal
nach einem Kuss von mir nicht hinterher den Mund mit der Hand abgewischt hätte.
Darin sah ich einen ganz großen Sieg.
Ihre Haare waren mir zu lang, weil sie die Frisur teilten,
was sich unvorteilhaft auf ihre 'Negerkrause' auswirkte. Auch das schrieb ich
ihr. In der Hauptsache aber ließ ich sie wissen, dass sie wieder ihre eigenen
Worte gefunden hätte und dass ich auch mit deren Inhalt leben könnte. Alles in
allem wiegte ich mich in der Sicherheit eines beginnenden neuen Frühlings für
uns beide, machte eine Eintragung in meinen Kalender und fasste den Mut, wenn
dies schon vielleicht der Zipfel eines Neubeginns sein sollte, ihn
festzuhalten. Deshalb rief ich bei ihr an.
Sie
meldete sich knapp und erschreckend kurz und hatte einen so freudlosen Ton in
der Stimme, dass mir das Blut gefror: "Was gibt es, was willst du."
Ich
wusste nichts mehr und fing von dem Besuch bei ihrer Mutter an.
Sie
sofort: "Was glaubst du eigentlich, was du noch alles mit mir machen
kannst. Du zerrst mich über die Brücke und versuchst mich in deine Wohnung zu
kriegen. Und überall erzählst du herum, dass es zwischen uns einen neuen Anfang
gibt. Begreifst du denn überhaupt nichts? Muss ich dir erst eine scheuern,
bevor du verstehst, was los ist."
Es
war mir, als hätte sie mich durch Telefon geohrfeigt. Dazu konnte ich nur noch
schweigen. Sie war so aufgeregt und beschimpfte mich noch mehrfach wegen meiner
Redseligkeit.
Ich
musste etwas Neues ins Gespräch bringen, um sie zu beruhigen, und sagte:
"Ich habe unseren Sohn gefragt, ob ich dich nicht an seinem Geburtstag bei
deiner Mutter treffen könnte. Ob er mir zutraut, dass ich es schaffe, mich dann
'artig' mit dir zu unterhalten."
Sie:
"Und? Was hat er gesagt?"
"Ich
hab' ihn gefragt, ob er sich das vorstellen kann."
Sie:
"Ja, und?"
"Er
hat gesagt: 'Das glaube ich nicht. Das trau ich dir nicht zu. Das wäre auch
unnatürlich."
Sie
sofort: "Für dich."
Ich:
"Nein, das hat er nicht gesagt. Er hat nur gesagt, dass das unnatürlich wäre."
Sie:
"Aber gemeint hat er es."
Ich
gab es auf. Sie wollte streiten oder recht behalten.
Ich
hatte die Antwort meines Sohnes witzig gefunden. Er hatte mir die Augen wieder
ein wenig geöffnet und damit auch etwas Selbstsicherheit zurückgegeben. Für ihn
waren mein Verhalten, meine Liebe zu B., die ja schließlich auch seine Mutter
war, meine Sehnsucht nach ihr 'natürlich'. In ihm hatte ich jemanden gefunden,
der sich zu mir bekannte. Er war das Aufatmen für mich, und ich hatte in meinem
Taschenkalender notiert: 'Anruf meines Sohnes: Vielleicht ein Silberstreif?'.
Trotz
des unleidigen Gespräches mit B. wollte ich dieses Gefühl nicht wieder
verlieren.
Ich
hatte B, schon zuvor gebeten, sich um einen gemeinsamen Termin für uns bei
ihrem Therapeuten zu bemühen. Darin wollte ich eine vielleicht letzte
Gelegenheit nutzen, meinen Wunsch, einen gemeinsamen Neubeginn zu wagen, auch
zu ihrem Wunsch werden zu lassen. Die Antwort stand noch aus, und ich drängte
jetzt darauf. Die bekam ich: "Ich hab' mit ihm darüber gesprochen. Er hat
gesagt, dass ich den Termin bestimmen soll, wenn ich es möchte."
Mehr
war nicht zu erfahren. Weder wann noch ob überhaupt ein Treffen für sie in
Frage kam. Ihr lag nichts mehr an mir.
Das
wollte ich nicht begreifen.
Über
dem Land stand himmelhohe Hitze. Es war eine Welle, die aus der eigenen Hitze
fortwährend heißere und noch trockenere Luft auszubrüten schien. Sie kam nicht
täglich neu zurück, sondern sie war gegenwärtig und wandte sich nicht ab.
Selbst in der Nacht konnte sie zum Monstrum werden.
Mein
Schlafzimmerfenster hatte eine Panzerglasscheibe, um mich vor Einbrechern zu
schützen. Die hätte aber wenig genützt, wenn das Fenster offengeblieben wäre.
So musste ich auf den kleinsten Durchzug verzichten. Anderen ging es ähnlich.
Kaum jemand traute sich, bei offenem Fenster zu schlafen. Die wenigen, die sich
das leisten konnten, ohne Angst haben zu müssen, bekamen dafür den Lärm der
Straße und die Abgase der Autos hereingedrückt. In der Zeitung las ich von
Noternten in der Landwirtschaft, von Waldbränden, von ungeheurem Wachstum
irgendwelcher Kleinpflanzen in den Meeren, die alles andere ersterben ließen.
An mir selbst verspürte ich eine Fiebrigkeit, die mich zwischen übernervösem
Handeln und schlaffem Nichtstun zu keinem klaren Gedanken kommen ließ.
Aus
einer Fachzeitschrift erfuhr ich, dass in einer hundert Kilometer entfernten
Stadt, ein qualifizierter Ingenieur gesucht wurde. Einerseits war ich in einem
Alter, in welchem man nur noch genommen wurde, wenn sich überhaupt kein Jüngerer
bewirbt, in einem Alter also, in welchem man sich lieber gar nicht erst um eine
neue Anstellung bemühen sollte. Andererseits dachte ich in meiner Nervosität,
dass ein entlegenerer Aufenthaltsort zu einer wesentlichen Entspannung zwischen
B. und mir beitragen könnte.
Ich
informierte mich telefonisch, was von dem neuen Stelleninhaber erwartet wurde
und gab auch mein Alter an. Ich wollte wissen, ob sich eine Bewerbung lohnen
würde. Zu meinem großen Erstaunen wurde jemand gesucht, der eine Gruppe von
anderen Ingenieuren in fortgeschrittenem Alter leiten sollte und deswegen
selbst nicht zu den Jüngsten gehören durfte. Ich sollte, so riet man mir, meine
Unterlagen auf jeden Fall einreichen. Man würde dann sehen. Ich bewarb mich
also.
Nach
zwei hinhaltenden Zwischenbescheiden gab ich mein Warten auf, denn ich wusste,
was das bedeutete. Man war ganz offenbar bereits mitten in den
Vorstellungsgesprächen und wollte mich als letzte Reserve aufheben. Davon würde
man kaum Gebrauch machen müssen und, um ganz ehrlich zu sein, hatte ich auch
inzwischen kein sehr großes Interesse mehr. Mir waren erhebliche Zweifel
gekommen, ob ich das Richtige vorhatte. Ich war mir über die Folgen nicht im
klaren.
Für
B. würde ein Wechsel trotz unserer Trennung in jeder Beziehung ein Aufatmen,
vielleicht sogar mehr Freiraum bedeuten. Ich würde davon aber nichts haben und
könnte nur hoffen, dass sie die größere Entfernung zwischen uns zu ihrer
Selbstfindung nutzen würde. Ich müsste dabei in Kauf nehmen, dass sie sie
genauso gut als ein Geschenk des Himmels betrachten und noch mehr zur
Gestaltung eines von mir unabhängigen neuen Lebensabschnittes benutzen würde.
Ich konnte bei diesen Spekulationen nur den kürzeren ziehen und, langfristig
gesehen, bestenfalls meine ungebrochene Hoffnung verlieren. In jedem Fall würde
ein Wechsel Verzicht auf jeden direkten Kontakt zu ihr bedeuten. Zu diesem
Schritt würde ich mich zwingen müssen, und, ob ich das wollte, wagte ich nicht
zu entscheiden. Sicher war nur soviel, der jetzige Zustand, unser derzeitiger
Umgang miteinander, oder besser ihr Nichtmitmirumgehenwollen, empfand ich als
zutiefst beschämend. Das zu beenden hätte schon Grund genug sein müssen.
Zu
gerne hätte ich mich mit jemandem unterhalten, musste diesen Wunsch aber immer
wieder vor mich herschieben. Das lag nicht nur daran, dass alle Freunde bei
meiner Frau geblieben waren, sondern auch wesentlich mit daran, dass jetzt,
während der Ferien, der Therapiekreis pausierte. Aber selbst bei denen hätte
mir wahrscheinlich der Mut gefehlt, in der Langatmigkeit des ganzen 'Wenn und
Aber' meine Unsicherheit zu überwinden und darüber zu reden. Ich beruhigte mich
damit, dass eine Antwort auf meine Bewerbung nicht mehr zu erwarten war und
sich das Thema so von selbst totlaufen würde. Das änderte sich jedoch von einer
Minute zur anderen, als ein Brief mit einem Vorstellungstermin, wie das
Selbstverständlichste von der Welt, vor mir auf dem Tisch lag. Er hörte sich
sehr positiv an. Verschiedene Gremien waren zustimmungspflichtig gewesen, daher
hätte sich die Einladung verzögert. Da stand ich nun und musste mich
entscheiden: Wahre Trennung, endgültige Trennung und auch innerliche Trennung
oder weiter Augen verschließen und nichts wahrhaben wollen.
Bis
hierher hatte ich die Angelegenheit halbherzig betrieben, immer mit der
Hintertür: 'Die werden doch nicht antworten.' Nun aber musste ich mich
festlegen, mit ganzem Herzen die Sache vorantreiben, um nicht unglaubwürdig zu
erscheinen, um nicht letzten Endes als Verlierer auf der Strecke zu bleiben.
Die andere Möglichkeit war, rechtzeitig, am besten sofort, den Termin
abzusagen.
Am
liebsten hätte ich alles mit B, besprochen. Sie war mir am vertrautesten, und
sie betraf es oder hätte es als einzige mit betreffen können.
Ihre
Antwort konnte ich mir aber an den fünf Fingern einer Hand abzählen: 'Das musst
du entscheiden, damit habe ich nichts zu tun', oder: 'Da kann ich dir nicht
helfen. Das ist nicht meine Angelegenheit. Da möchte ich mich nicht zwischen
stellen.'
Himmel,
hilf. Ich wusste nicht ein noch aus.
Ich
rief meinen Sohn an, um mit ihm über eine ganz andere Sache, unseren
bevorstehenden Hochzeitstag zu beratschlagen. Auch da wusste ich nicht wie ich
mich verhalten sollte. Er hatte einen angenehmen Rat: "Du solltest den
Hochzeitstag entschärfen. Schreib ihr vor dem Termin oder danach und schenk ihr
einen Lolly."
Er
nahm die ganze Geschichte schon nicht mehr Ernst. Das stiftete mich dazu an, B.
bereits einige Tage vor dem früher so wichtigen Termin einen Brief zukommen zu
lassen:
"Liebe
B.
ich
möchte unseren Hochzeitstag entschärfen und schreibe dir deshalb schon vorher. Du bist für mich
die Frau mit dem größten Liebreiz, obwohl du bestimmt nicht pflegeleicht bist,
und das nicht erst seit heute. Vielleicht hätten wir uns lieber gegenseitig
adoptieren sollen, wie fändest du das?
Ich
werde ein Glas Wein auf dein Wohl
trinken.
Grüße,
H."
Mehr
wollte ich nicht schreiben. Sie sollte verstehen, dass ich ein wenig Abstand
bekommen hatte, auch wenn ich mir selbst den nicht recht zugestand. Ich wollte
diesen kleinen Abstecher von meiner Ichbezogenheit aber genießen. Sie
antwortete nicht, und ihre Gedanken, beim Lesen des Briefes, mussten mir
verborgen bleiben.
Wegen
meiner Finanzmisere, meiner Reiseunlust und meiner Einsamkeit verreiste ich
während der Ferien nicht. In diesen Tagen erhielt ich ganz überraschend den
Anruf einer Frau von F. Sie hatte mich früher einmal anlässlich einer
Ausstellung meiner Bilder kennengelernt. Sie hatte auch vier meiner Bücher
gekauft und sich damals fast jeden der zehn Tage in meinen Ausstellungsräumen
aufgehalten. Sie war eine Frau, die mich sehr mit ihren sprunghaften Gedanken,
verpackt in halben Sätzen, in Anspruch genommen hatte. Sie hörte sich am
liebsten selbst reden und interessierte sich kaum für die Meinung anderer.
Schon nach kurzer Zeit hatte ich sie zum Teufel gewünscht, war aber höflich
geblieben. Sie hatte bei mir den Eindruck hinterlassen, völlig überdreht, ja
ein wenig geisteskrank zu sein. In eines meiner Bücher hatte sie sich zum
Beispiel augenblicklich von mir ein Gedicht als Widmung schreiben lassen
wollen. Das ganze Buch war voller Gedichte und ich fand das übertrieben. Sie
ließ sich aber mit nichts davon abbringen, bestand darauf und schien böse
werden zu wollen, so dass ich nachgab. Mir fiel in dem Augenblick nur etwas
ein, das sie persönlich, und zwar so, wie sie sich sah, beschreiben konnte.
Davor hatte ich Angst. Es wäre ja denkbar, dass sie das auch so, wie ich es
meinte, verstehen würde und sogar handgreiflich werden würde. Während ich noch
nachdachte, schuf sie eigene Lyrik, fand sich toll und einmalig und widmete das
Ganze dem lieben Gott, dann wieder sich selbst, weil sie ein Teil der Schöpfung
sei, und mir und einer Blume, die irgendwo im Garten aus dem Fenster heraus zu
sehen war. Sie war im Redefluss.
Ich
unterbrach sie: "Das ist ein großer Bogen, den sie da spannen."
Sie
empfand das als Aufforderung noch weitschweifiger auszuholen und war schon bei
ihren Vorstellungen von Gott, sprach von nun an in Deutsch, Französisch und ich
glaube auch Englisch weiter. Das strengte mich sehr an. Um sie auf jeden Fall
loszuwerden, überlegte ich mir schließlich einen Text, der sie nicht mehr
verletzen konnte und der sie in eine Ecke stellen sollte, die zwar harmlos,
aber deswegen nicht weniger anspruchsvoll war. Er bezog sich auf sie, wie sie
sich selbst darstellte und schloss damit, dass sie in ihrem Raum der
Mittelpunkt, Gott in ihr und sie selbst in diesem Zimmer sei. Dieses Zimmer,
unterstellte ich somit, sei also ihre Welt.
Das
schrieb ich im einfachen Versmaß, ohne Reim, auf die erste leere Seite des
Buches. Ich reichte ihr die aufgeschlagene Seite hin. Sie griff begierig
danach, als gäbe ich einer Durstenden ein Glas Wasser, als bekäme sie Nahrung.
Ich erschrak darüber und wich unwillkürlich zurück. Ja, ich hatte meine Hände
ein wenig in Abwehr erhoben. Das fiel mir selbst auf. Sie las hastig zu Ende,
schlug das Buch zu, sah mich voller Hass an, ging zwei, drei Schritte fort,
drehte sich dann um, öffnete das Buch mit kraftvoller Unbeherrschtheit und riss
die Seite heraus. Dann setzte sie sich an den Tisch und zerfetzte die
herausgerissene Seite in allerkleinste Teile. Die stapelte sie sorgsam in einem
leeren Aschenbecher zu einem wackeligen Turm. Dann sah sie auf, und ihre Augen
straften mich mit Verachtung.
Sie
sagte: "So etwas ...Sie ..schreiben Sie doch wohl nicht für mich so... Ich
verlange, ja von Ihnen, verlange ich sofort und zwar ein besseres... ich sage
lieber ein anderes.. so ein Gedicht von Ihnen akzeptiere ich nicht... niemals..
und nur für mich ..verstehen Sie? Für mich allein!"
Sie
war aufgestanden, dicht an mich herangetreten und schaute mit weit nach hinten
gebeugtem Kopf, so gut sie es konnte, wie von Oben herab auf mich. Sie hatte
Mühe dabei, weil sie kleiner war als ich.
Ich
hätte lachen mögen über sie, dachte aber: 'Die ist bestimmt irre. Ich werde ihr
lieber den Gefallen tun. Hoffentlich verschwindet sie dann.'
Ich
schrieb auf eine der anderen Seiten, quer über den Titel des Buches und in den
freien Platz darunter, einen Text mit sämtlichen Ungereimtheiten und Brüchen,
wie er mir in dem Augenblick einfiel. Der Sinn bestand in der Automatik meines
Schreibens. Ich schrieb bis zum Ende der Seite Worte und Satzzusammenhänge ohne
auf einen Inhalt zu achten. Am Ende der Seite war Schluss. Das gab ich ihr. Sie
versuchte es sich durchzulesen. Das dauerte eine ganze Weile. Sie mühte sich,
einen Sinn zu finden, blieb aber wortlos dabei. Dann ging sie mit dem
geöffneten Buch wieder an den Tisch zu dem Aschenbecher und sammelte mit
zusammengebissenen Lippen, wie ein Croupier die Chips, den Schnipselstapel
sorgsam ein und schob ihn wie die größte Kostbarkeit in den Seitenspalt des
geöffneten Bandes. Dann schloss sie das Buch und hielt es fest in ihren zarten,
schlanken, fast krankhaft durchsichtig, weißen Händen. Sie sah mich an und
hatte plötzlich milde Worte. Die waren wie der Duft eines köstlichen
Blütentees: "Vielleicht war es nicht richtig.. man darf Kunst... und die
Kunst anderer Menschen schon gar nicht ..falsch, ja falsch, das erste Gedicht
zu zerreißen. Ich habe kein Recht ..niemand hat ein solches Recht, Kunst zu
zerstören. Ja, aufheben, sammeln.. ich werde es aufheben, lieben... alle Ihre
Gedichte werde ich ..Sie verstehen? Verstehen Sie das? Es ist vielleicht
besser, anders.. man wird sehen.."
Sie
strahlte mich an: "Danke."
Alles
andere hatte ich erwartet, nur das nicht. Sie war mir so nahe gekommen, dass
ich meine Hände fast wieder wie in Abwehr erhoben hatte und sie nun langsam
sinken ließ. Ich hatte das Gefühl, mich ihr ergeben zu müssen. Es war ein
schönes ein anmutiges Gefühl. Danach war sie damals gegangen.
Dieser
Frau war es nun nach so langer Zeit eingefallen, mich anzurufen: "Ich habe
einen russischen Künstler mit seinem Dolmetscher...Sie sollten verstehen.. die
sind bei mir zu Besuch. Ich möchte.. dass sind Leute, die schon einen Namen
..die sind schon sehr bekannt ..dass Sie .." Es kam ein Redeschwall, der
nicht enden wollte. Ich sollte sie besuchen und meine Kunst den Russen
vorstellen.
Sie
sagte: "Es kann sich daraus ...das ist ja auch für Sie wichtig, aber nicht
nur für Sie... denn ich habe ja Gäste, ausländische Gäste, verstehen Sie ..ein
internationales Nachdenken und Vortragen über die Kunst könnte daraus
entstehen, sich entwickeln. Man muss auf alles.. man muss immer gefasst sein
...nicht nur bei diesen Leuten ...die sind so weit gereist ...aber man kann ja
schon für wenig Geld ...wir alle können überall hinreisen, wenn wir
wollen."
Zum
nächsten Nachmittag war ich bei ihr eingeladen. Ich wollte nicht zusagen,
obwohl sie mich mit Engelszungen beredete.
Dann
sagte sie: "Bringen Sie Freunde ..Sie haben doch Freunde, ja?...oder eine
Begleiterin oder wen Sie wollen... Sie leben doch alleine, nicht?" Diese
Frage erstaunte mich, nicht nur wegen der unverhohlenen Neugier, sondern auch,
weil sie mich nur zusammen mit meiner Frau kennen gelernt hatte.
Ich
sagte nichts dazu, gab aber plötzlich nach und sagte: "Gut, ich komme
gerne, vielen Dank für die Einladung."
Sie
konnte das Gespräch noch lange nicht beenden. Obwohl sie auf diesen Punkt nicht
wieder zurückkam, drehte es sich immerzu im Kreis, aus dem sie nicht
herausfand.
Mir
war bei ihrem Vorschlag ein ganz anderer Einfall gekommen. Den setzte ich
gleich in die Tat um. Ich rief B. an.
Alles
was mit Russland und Russen zu tun hatte, übte auf sie eine unerklärliche
Wirkung aus. In dem Augenblick, als ich ihre Nummer wählte, verstand ich auch,
warum Frau von F. vermuten konnte, dass ich alleine lebte. Sie hatte mit
Sicherheit unsere alte, gemeinsame Telefonnummer benutzt und von B. meine neue
erhalten. Sich daraus einen Reim zu machen, durfte für sie kein Problem gewesen
sein.
Meine
Frau war zu mir freundlich und nicht abweisend. Das machte mir Mut. Ich
unterstellte ihr so viel Neugier, dass sie gerne gewusst hätte, wer die
Anruferin gewesen war, und sagte gleich nach einer kurzen Frage, wie es ihr
ginge: "Weißt du, wem du da eben meine Telefonnummer gegeben hast? Hast du
doch ja?"
Sie:
"Ja, hab ich. Na, wem?"
Ich
sagte: "Der Irren von meiner Ausstellung, erinnerst du dich?"
Sie
wusste sofort Bescheid: "Ach, die Verrückte? Mit der 'rausgerissenen
Seite?"
"Ja.
Die hat mich eingeladen zu einem Nachmittagskaffee mit zwei russischen
Künstlern. Ich dachte, dass du vielleicht mitkommen würdest. Dann sehen wir uns
wenigstens einmal wieder. Du bist da immerzu unter Leuten. Kannst hinterher
oder wann du willst gehen. Ich sag dann einfach, dass du noch einkaufen musst.
Mach das bitte. Wir sehen uns doch sonst überhaupt nicht mehr. Das ist so
schade."
Während
sie antwortete, hörte ich sie gähnen. Es war ein gelangweiltes und müdes
Gähnen, als wollte sie mir sagen, dass sie das alles nicht interessierte. Es
war aber auch das befreite alles abschüttelnde, gedankenverlorene,
hingebungsvolle Gähnen, das ich von ihr kannte. Früher hätte sie dazu noch
gesagt, und ich konnte sicher sein, dass sie mir sonst gar nicht zugehört
hatte: 'Du kannst mit mir machen, was du willst, Hauptsache du fragst nicht so
viel.' Nun sagte sie, als ob sie flötete: "Nein, ich möchte das bitte
nicht. Geh doch alleine hin. Ich möchte wirklich nicht."
Das
war zu erwarten gewesen. Ich machte noch ein paar kümmerliche Anläufe, aber es
half nichts.
Ich
sagte: "Ich will dich nicht weiter bedrängen. Ich hätte es nur so schön
gefunden."
Sie
gähnte noch einmal und gab sich überhaupt keine Mühe, mir etwas vorzuspielen
oder sich dafür zu entschuldigen: "Nein, ich möchte wirklich nicht."
Ich
fragte sie, weil sie auch Ferien hatte: "Können wir uns denn nicht so
wenigstens noch mal treffen."
Nein,
sie ließ nicht mit sich reden.
"Und wie ist es mit einem gemeinsamen Termin bei
deinem Therapeuten?"
Sie: "Darüber denk' ich nach, wenn du dich beruhigt
hast."
Was sollte das nun wieder heißen.
Ich spürte die blanke Wut in mir aufsteigen, hielt mich
aber zurück.
Ich wieder: "Kommst du denn in deiner Therapie
voran?"
"Ja. Er nimmt mich jedenfalls ganz schön ran."
Ich dagegen: "Ich habe in meiner Gruppe auch schon
unter Tränen gestanden." Ich wusste nicht warum ich das sagte.
Sie: "Ich weiß, dass du das fertig bringst."
Ich dachte einen Augenblick nach: 'Warum sollte ich das
nicht fertig bringen.' Ich verstand sie nicht.
Sie weiter mit schrecklich verletztem Ton in der Stimme: "Du weißt gar nicht wie wütend
und ärgerlich ich war, als du nach unserer Trennung heulen konntest."
Ich: "Jetzt machst du dich auch noch über mich
lustig."
Sie schrie mir ins Ohr: "Ich habe erst jetzt wieder
gelernt zu weinen! 'Weinen,' hast du immer gesagt, 'ist nur Selbstmitleid.'
Hast gesagt: 'Komm mir nicht mit Tränen, die erfrischen so schön.' Das waren
deine Worte. Nein, mein Lieber, ich konnte nicht mehr weinen. Seit Jahren
nicht. Das hast du mir abgewöhnt."
Mein Gott, wenn ich mich erinnerte. Vielleicht war viel
Wahres in ihren Worten. So wie ich damals gesprochen haben mochte, hatte ich
aber doch niemals gehandelt. Sie hatte vergessen oder nicht bemerkt, dass meine
Reden nur aus Angst vor ihrer Traurigkeit entstanden waren. Vielleicht waren
sie mein Schutz gewesen. Trotzdem hatte es bei ihr Tränen gegeben, aber nur,
wenn es um ihre Mutter oder mein Verhältnis zu ihrer Familie gegangen war.
Ich wusste nicht zu antworten.
Sie: "Ich habe das Weinen erst wieder lernen
müssen."
Ich hörte, wie sie leise schluchzte und zu weinen begann.
Das tat mir unendlich leid.
Ich: "Ich würde dich so gerne trösten."
Sie: "Wie denn. Ach, Mensch. Jetzt ist das zu spät.
Das hättest du dir früher überlegen müssen."
Mir tat sie wirklich leid und ich sagte: "Gut, B.
Genieß die Ferien noch. Lass bitte von dir hören und denk über einen Termin bei
deinem Arzt oder über
ein einfaches Treffen nach. Ganz harmlos. Versuch es bitte. Tschüss."
Sie:
"Tschüss."
Da
war wirklich nichts zu machen. Ich war heilfroh, dass ich sie nicht auch noch
mit meinem Problem, wegen der neuen Arbeitsstelle, belastet hatte. Wenn daraus
etwas werden sollte, müsste ich überzeugen, müsste selbst überzeugt sein. Das
war ich nicht. Ich war so unsicher, was sich aus diesem Schritt alles
entwickeln konnte. Praktisch würde ich B. damit Anlass geben zu glauben, dass
ich sie endgültig aufgeben wollte.
Und?
Wollte ich das? Nein, natürlich nicht. Ein Kreislauf ohne Ende.
Es
musste sich jemand finden lassen, mit dem ich darüber sprechen konnte. Ich
hätte mit meinen Therapeuten reden müssen. Das waren die richtigen Leute. Wenn
ich aber in der Gruppe saß, war mein Herz voll und der Mund gleichzeitig wie
zugenäht. Ich wusste nicht, wo ich beginnen sollte. Ich mochte auch vor den
anderen nicht über meine Probleme reden. Das war überhaupt nicht gut und
zeigte, wie zerrissen ich innerlich war. Ich musste pausenlos nachdenken.
Wenn
die beiden Ärzte gut waren und Erfahrung hatten, mussten sie erkennen, dass ich
nicht mit der Wahrheit 'rüberkam, dass ich mit Eifer von weniger wichtigen
Dingen sprach, als von mir. Sie sollten aber wissen, dass ich gerade um
meinetwillen zu ihnen gekommen war, wegen meiner Schwierigkeiten bei ihnen auf
dem Schoß saß. Ich zog den Schluss daraus, dass die beiden nicht gut genug für
mich waren. Mein Vertrauen in sie reichte offenbar nicht aus, um mich
verständlich zu machen. Ich wurde wütend darüber, dass sie es nicht schafften,
mich, den Betroffenen, dahin zu führen. Ich hatte mich innerlich so weit von
Ihnen entfernt, dass ich mich nur noch als deren Einnahmequelle sah. Das war
nun erst recht nicht hilfreich.
Dann
bedachte ich aber, dass sie meine Entfremdung eingeplant haben konnten. Das
musste ich ihnen unterstellen, ja zutrauen. Vielleicht war ich gerade dabei,
ein Stückchen meines Weges zu erkennen, und es kam nun auf mich an,
durchzuhalten. Es war denkbar, dass die beiden mir zu diesem Zeitpunkt nicht
mehr helfen wollten sondern lieber auf mich hofften.
Fragen
über Fragen, die zu beantworten ich nicht imstande war. Wieder musste unser
Sohn herhalten. Er hörte bereitwillig zu.
Für
ihn war schon nach wenigen Sätzen das Problem umrissen und er meinte, das wäre
keine Frage von Vor- oder Nachteilen für den einen oder den anderen von uns
sondern eine Frage für einen Fachmann. Ich wusste nicht, was er meinte.
Er
sagte: "Warum gehst du nicht wieder zu dem Arzt, bei dem Mami in
Behandlung ist."
Ich:
"Dann muss der doch B. erst wieder um ihr Einverständnis fragen."
Er:
"Wenn du in eigener Sache hingehst, mit deinen Problemen, dann wäre er ein
schlechter Arzt, wenn er nicht versuchen würde, dir zu helfen. Außerdem kannst
du gar nichts verlieren."
Ich
war noch immer unsicher.
Er
fuhr aber fort: "Du musst ihn fragen, was du machen sollst und erzählen,
wie es in dir aussieht. Wenn dir einer raten kann, dann nur so einer. Und mit
Mami hat doch so eine Beratung direkt nichts zu tun."
Das
leuchtete mir ein, aber es fehlte die Vorstellungskraft, dem Arzt das alles
erzählen zu können, und dabei nicht in das Fahrwasser von B. zu geraten.
Mein
Sohn sagte: "Und dass Mami bei ihm auch in Behandlung ist, kann doch nur
von Vorteil sein. Du musst ja nicht davon anfangen. Das weiß der doch auch
so."
Ich
fand das, was er zuletzt sagte, überzeugender, obwohl es mir immer noch
rätselhaft blieb, wie ich dem Arzt alles getrennt von B. verständlich machen
sollte. Der Schlüssel dafür lag natürlich auf der Hand: 'Ich brauchte nur die
Entscheidung von B. endgültig anzunehmen und sie nicht immerzu wieder in Frage
zu stellen.' Dann würde sich auch der Besuch erübrigen.
Während
mein Kopf befahl: 'Du sollst es wahrhaben wollen', rebellierte mein Bauch: 'Ich
will es nicht wahrhaben müssen.'
Das
war der Krake in mir. Wie hätte mir da jemand helfen können? Ich meldete mich
nach kurzem Zaudern mit vielen Vorbehalten in der Praxis an. Dort war eine neue
Sprechstundenhilfe. Die fing mich am Telefon mit ungewöhnlichem Vertrauen ein:
"Wenn es nicht so wäre, wie Sie es schildern, brauchten Sie doch den
Therapeuten nicht. Außerdem werde ich darauf achten, dass Sie nicht unmittelbar
vor oder nach Ihrer Frau einen Termin bei uns bekommen. Das wünschen Sie doch
sicher, oder?"
Sie
schlug mir drei aufeinanderfolgende Termine vor. Wenige Tage später sollte ich
die erste Sitzung bereits haben.
Zuhause
wurde es mir zu eng. Tagelang hatte ich mich fast ununterbrochen in der Wohnung
aufgehalten, hatte sie höchstens zum Einkaufen verlassen. Ich fuhr kurzentschlossen
zum Hauptbahnhof, kaufte mir eine Fahrkarte für eine Kurzreise an die See. Am
nächsten Tag, frühmorgens, ging es los. Ich fuhr auf eine Insel, direkt in den
Ort W. Dort verbrachte ich den Tag mit dem Ohr am Meer, den Augen in den Wolken
und den blauen Flecken dazwischen, und der Haut, so gut es sich einrichten
ließ, an der ungewohnten, rauen Luft. Ich genoss den Geruch von Strand, Wasser
und Seetang, sah manchmal Meerschaum über den Sand huschen und leckte mir ab
und zu den leichten Salzgeschmack von den Lippen. Die Wolkenfelder segelten als
ungewohnte Schattenspender über weite Flächen. Sie brachten Kühlung und taten
gut.
Ich
hatte nichts mitgenommen, um mich sonst vor Sonne zu schützen und achtete auch
am Strand nicht darauf. Als ich spät abends wieder Zuhause eintraf, spürte ich
ein Brennen an den Schienbeinen und auf meinen Füßen. Meine Nase und meine
Stirn waren ebenfalls gerötet. Ich behandelte mich nachträglich mit einer
einfachen Hautschutzcreme. Etwas anderes hatte ich nicht.
Tagsüber
hatte ich einen Strandkorb gemietet. Der schützte vor Wind, Sand und
hauptsächlich vor der Sonne. In ihm hatte ich die meiste Zeit gelegen. Die
Stunden waren langsam vergangen. Ich hatte viel auf die Uhr geschaut. Fand aber
auch für einige Zeit Ruhe und dachte dann an nichts. Das Geräusch der Wellen,
die auf den Sand schlugen, machte mich müde und ich fiel stundenweise in einen
Halbschlaf. Zum Essenholen stand ich auf, ging auch einmal ans Wasser,
verspürte aber keine Lust, mich dort länger aufzuhalten.
Auf
der Rückfahrt fand ich eine Gesprächspartnerin, die etwa in meinem Alter war.
Wir konnten ganz harmlos miteinander reden. Das erfrischte mich. Sie war gut
gekleidet, trug aufwendigen, sehr teuren Schmuck und hatte in einem Buch zu
lesen begonnen, dessen Titel ich spiegelverkehrt vor Augen zu erraten
versuchte, bis ich sie schließlich ansprach und danach fragte. Es war der
Reisebericht eines Journalisten. So konnte ich eine Unterhaltung mit ihr
beginnen. Ich redete mehr als sie.
Sonst
brachte mein Ausflug nicht viel Veränderung. Schon zwei Tage später packte mich
neue Unruhe und ich hatte plötzlich eine Ahnung, wen ich gerne einmal wieder
gesprochen, gesehen hätte. Ich verspürte Sehnsucht nach einer ehemaligen
Freundin, Bä. die ich als Arbeitskollegin kennen gelernt und mit der ich
seinerzeit einen sehr intimen Gedankenaustausch gepflegt hatte. Das lag
mindestens sechs, sieben Jahre zurück. Als ihr das seinerzeit zu wenig wurde
und sie die Vertraulichkeiten auf eine engere Beziehung ausdehnen wollte, hatte
ich die Notbremse gezogen. Wir hatten uns sehr verletzt und sehr weh getan,
waren nicht zusammen gekommen und mussten uns unter Schmerzen aus dem Wege
gehen. Nach einem letzten Treffen hatte sie ganz ruhig gesagt: "Diesmal
möchte ich sagen, wann Schluss ist." Damit hatte sie mir einen Kuss
gegeben und war gegangen, ohne sich umzudrehen. So war das damals gewesen.
Vor
etwa zwei Jahren hatte ich in der Stadt eine Erledigung zu machen und ging über
eine Fußgängerbrücke, die vor ihrem Bürogebäude, einer Bank, begann und über
eine Fernstraße führte. Dort oben liefen wir uns unbeabsichtigt in die Arme,
das heißt, wir vermieden es, uns in die Arme zu fallen. Es wurde nur ein
gemeinsamer Spaziergang daraus.
Wir
hatten beide einiges zu erledigen, das ging schnell.
Dann
sagte sie: "Man kann die Jahre, die vorbei sind, nicht mit drei, vier
Sätzen aufarbeiten. Wir haben beide zuviel Verschiedenes erlebt. Wie sollen wir
uns unterhalten können."
Dann:
"Könntest du mich denn heute noch lieben?"
Ich
hatte geantwortet: "Auch wenn du glaubst, dass ich übertreibe oder es
besser nicht sagen sollte. Ich schwöre dir, es vergeht kein Tag, ohne dass ich
an dich denke."
Das
war die reine Wahrheit. Es war aber nichts Besonderes für mich. Ich lebte damit
und jeden Tag erfuhr ich wenigstens einmal den Gedanken: 'Bä.? War sie schon
da? Ja, jetzt.' Es war, das Wissen um eine Narbe, die an viel berührter Stelle
saß, die nicht schmerzte, aber täglich nach meiner Hand verlangte. Ich hatte
mich längst daran gewöhnt.
Bä.,
hatte mich ungläubig angesehen und sich nicht weiter dazu geäußert. Sie war
über den Zufall, der uns zusammengeführt haben sollte, nicht erstaunt gewesen:
"Das hast du doch mit Absicht gemacht. Ich habe schließlich immer um die
gleiche Zeit Feierabend."
Mich
hatte ihr Misstrauen verletzt: "Bä. wie soll ich das wissen. Woher, von
wem. Nein, glaub' mir, es ist der reine Zufall. Das einzige was stimmt, ist,
dass ich dich die ganze Zeit über gerne gesehen hätte. Vielleicht hat das den
Zufall beeinflusst."
Sie:
"Gleich bist du wieder bei deinen Horoskopen. Wahrscheinlich stand heute
unser Treffen in der Zeitung."
Sie
selbst holte dabei eine Zeitung aus der Tasche und las unter ihrem Sternzeichen
vor: "Bei mir steht: 'Sie machen eine Bekanntschaft. Vorsicht vor
Luftschlössern. Ihr Partner steht zu Ihnen."
Wir
mussten beide lachen. Mein Horoskop wollte ich nicht wissen. Sie las es für
sich. Dann sah sie mich mit ernstem, fast entgeistertem Gesicht an und steckte
die Zeitung wieder weg. Ich fragte nicht nach.
Sie
war von nun an mürrisch und trug wenig zur Unterhaltung bei. Nach zwei Stunden
gingen wir auseinander und hatten uns nichts zu sagen. Mehrmals hatte ich neu
begonnen: "Erzähl mir doch etwas von dir."
Sie:
"Was denn. Von der Firma etwa?"
Ich:
"Ja, wenn du willst."
Sie
erzählte zwar bereitwillig, aber ohne große Anteilnahme: "Ich soll zum
Vorstand befördert werden, ins Sekretariat. Da könnte ich gut Geld machen.
Müsste aber immer für die Heinis da sein. Dazu habe ich keine Lust. Mein
Feierabend ist mir lieber. Mein Geld reicht auch so."
Ich
gab meine Bemühungen nicht auf: "Haben die dich angefordert?"
Sie:
"Ja."
Ich
hatte einen Verdacht, den wollte ich aber nicht aussprechen und auch nicht
weiter andeuten. Ich wusste aber von früher, dass sie keiner Liebesbeziehung
aus dem Weg gegangen wäre. Das hätte leicht der Grund sein können.
Sie
reagierte zwar gelangweilt, wusste aber immer noch, was ich dachte:
"Männergeschichten kann man sich da nicht leisten. Außerdem bin ich aus
dem Alter raus."
Ich
kam mir feige vor und sagte: "Ich weiß, dass du Fremdsprachen kannst, und
ich weiß, dass du gut bist."
Beides
stimmte. Zu unserer gemeinsamen Zeit war sie bereits Vorstandssekretärin
gewesen. Dafür hatte sie Leistung bringen müssen. Unser Treffen frischte keine Erinnerungen
auf, es kam nichts Neues hinzu und wir planten keine Gemeinsamkeiten für die
Zukunft.
Sie
sah blass aus und war sehr schlank geworden. Auch das lag nun alles zurück.
Meine
neuerliche Sehnsucht nach dieser Frau erschien mir als ein lange im Verborgenen
gehaltener Wunsch. Ich brauchte mich nicht mit ihr zu verabreden, um sie erneut
zu treffen. Sie hätte zwar im Urlaub oder krank sein können, es hätte tausend
Gründe geben können, sie nicht zu treffen, aber das zählte alles nicht für
mich. Ich war ganz sicher, dass ich sie irgendwie treffen würde. Dafür hatte
ich ein todsicheres Gefühl. Das trog nicht, darauf konnte ich mich verlassen.
Ich fuhr also in die Stadt und postierte mich gegen Feierabend für eine gute
Stunde am Ende der Brücke auf der anderen Straßenseite. Das tat ich deswegen,
weil sie mir damals gesagt hatte: "Es ist tatsächlich ein Zufall, dass du
mich auf der Brücke triffst. Die benutze ich sonst niemals. Ich gehe immer,
immer bei der Ampel über die Straße."
Der
Fußweg mit der Ampel endete dort, wo die Brücke auf der anderen Seite ihren
Niedergang hatte. Hier stand ich also. Ich war zwar grundsätzlich überzeugt,
dass ich sie treffen würde, war aber ebenso sicher, dass ich den Zeitpunkt
dafür nicht würde beeinflussen können. Nach einer Stunde vergeblichen Wartens
ging ich weg und verschob alles auf einen neuen Augenblick dieses ganz sicheren
Gefühls.
Das
war bei mir so.
Schon
nach zwei Tagen war es wieder soweit. Es überfiel mich nachmittags, Zuhause,
mitten in einer Bummelei. Da wusste ich: 'So, nun triffst du sie, jetzt kannst
du losgehen.'
Ich
brauchte mich nicht zu beeilen. Alles schien für das Treffen eingefädelt zu
sein. Ich fuhr dreißig Minuten mit der Stadtbahn bis zum Hauptbahnhof,
schlenderte durch eine große Einkaufsstraße und ging durch die Geschäfte. Bei
allem, was ich mir ansah, hatte ich die Augen unablässig offen und hielt nach
ihr Ausschau.
Ich
war noch weit entfernt von der Brücke und verließ mich ganz auf meine
Eingebung. Plötzlich überkamen mich aber größte Zweifel, ob ich sie überhaupt
wiedererkennen konnte. Sie mochte doch nur eine andere Frisur tragen, die Haare
gefärbt haben, und schon würde ich sie von anderen Frauen nicht mehr
unterscheiden können. Mein Blick blieb wie zum Beispiel an einer Frau hängen,
die auf Armeslänge an mir vorüberging. Die sah ich fest an, um mir jede
Veränderung vorzustellen, wie das sei.
Zwischen
uns befand sich niemand. Ich machte noch einen angefangenen Schritt und sah ihr
noch ein wenig nach. Die Frau fühlte sich beobachtet, von mir gemustert und
schaute nun direkt zurück und mich an. In dem Augenblick erkannte ich sie. Ja,
sie war es tatsächlich. Sie entdeckte mich auch und erschrak maßlos. Das sah
ich ihrem Gesichtsausdruck an.
Ich
hatte ja auf sie gewartet, mich überraschte die Begegnung nicht, höchstens das
Erkennen. Sie aber wurde kreideweiß und blieb mit halbgeöffnetem Mund stumm
stehen.
Ich
sagte: "Hallo, Bä. Ich wollte dich treffen." Mehr fiel mir nicht ein.
Sie
erholte sich nur langsam: "Du? Hallo. Das ist dir gelungen."
Sie
musste vor Aufregung schnell atmen und legte eine Hand auf ihre Brust. Damit
zwang sie sich zur Ruhe bis sie schließlich einmal tief durchatmen konnte.
Ich
fühlte mich sehr schuldig und sagte: "Es tut mir leid, dass ich dich so
erschreckt habe. Das wollte ich nicht." Damit strich ich ihr mit dem
Rücken der linken Hand über die rechte Wange. Dazwischen hatten sich einige
ihrer Haare geschoben. Die konnte ich gut spüren. Sie trug sie nicht mehr
schulterlang wie früher sondern sie wuchsen glatt herab und endeten wenige
Zentimeter unterhalb der Ohren. Bä. schien ein kleines Stückchen größer oder
wenigstens so groß zu sein wie ich. Das mochte an ihren Schuhen liegen oder ich
hatte ihre wahre Größe nicht mehr in Erinnerung. Es fiel mir jedenfalls auf.
Sie:
"Du hättest vorher anrufen sollen, anstatt mich dermaßen zu
erschrecken."
Ich:
"Du, ich wusste nicht, ob ich dich wirklich treffen würde. Das war nicht
sicher."
Sie
wurde unwillig: "Mich zu treffen, ist doch kein Problem. Du weißt doch
ganz genau, wann ich Feierabend habe."
Ich:
"Habt ihr keine Gleitzeit?"
Sie
schien sich wieder ganz gefangen zu haben: "Nein. In der Hauptfiliale gibt
es die nicht. Wirklich, du hättest mich darauf vorbereiten sollen."
Ich:
"Du, ich war vor zwei Tagen schon einmal hier. Das heißt ich stand an der
Brücke. Fast eine Stunde. Umsonst. Aber heute hab ich eben Glück gehabt. Ja,
ich wollte dich treffen. Dich sehen."
Sie
schwieg.
Ich
setzte nach: "Darf ich dich ein Stück begleiten?"
Sie:
"Wenn du möchtest."
Sie
sagte das nicht richtig freundlich, war aber auch nicht mehr so mürrisch, wie
eben noch. Sie war völlig anders als früher. Sie schien mir erwachsener
geworden zu sein. Ich dachte über ihr Alter nach. Sie musste achtunddreißig
oder vierzig Jahre alt sein. Sie war sehr schmal, und ich dachte: 'Es ist eine
Schande, dass sich die meisten Frauen so mager hungern. Sie tut mir leid. Sie
sieht freudlos aus.'
Ich
fragte sie: "Bist du verärgert, wegen des Überfalls? Du siehst ein
bisschen böse aus oder bist du traurig?"
Sie
sagte: "Ja, ich bin traurig."
Ich:
"Darf ich dir trotzdem ein Kompliment machen?"
Früher
hatte sie mich einmal wegen eines Komplimentes schwer angemacht. Damals hatte
sie gesagt: 'Wenn ich schön sein will, braucht mir das niemand zu sagen. Komplimente
von euch Männern sind beschissen. Alle verlogen. Wollt einen nur ins Bett
kriegen.' Dann hatte sie hell aufgelacht: 'Kannst den Quatsch auch umdrehen.
Wenn ich dir wirklich gefall, dann mach ich das nur, um dich zu vernaschen.
Spielregeln. Das sind meine Spielregeln.'
Ich
hatte Befürchtungen ihr etwas Nettes zu sagen, deswegen meine Frage. Ich wollte
sie aber mit irgendetwas aufheitern, trösten. Ich vermisste ihr schillerndes
Lachen, ein Schmuck an ihr, mit dem sie früher verschwenderisch umgegangen war.
Sie
trug eine weiße Bluse, dazu einen dunklen Rock und eine weinrote Jacke aus
Leinen. Es passte alles gut zusammen. Gegen früher, als sie noch im
aufreizenden, schwarzen Lederkostüm herumlief, mit Reißverschlüssen, Schnallen
und kleinen Gürtelchen, sah sie jetzt geradezu bieder aus.
Ich
sagte: "Du siehst gut aus“, und ließ meine Augen an ihrer Figur
hinuntergleiten. Dann fasste ich mit Daumen und Zeigefinger den Jackenstoff an
und sagte noch: "Das ist ein schöner Sommerstoff. Leicht und luftig. Ja,
der steht dir gut."
Ihr
Blick auf meine Bemerkung verblüffte mich. Es huschte ein glückliches Lächeln
über ihr Gesicht, als sei es Ewigkeiten her, dass ihr jemand etwas Derartiges
gesagt hatte.
Sie
antwortete mit einer mir an ihr fremden, aber angenehmen Zufriedenheit:
"Findest du? Danke."
Ich
lud sie ein: "Wollen wir etwas trinken gehen? In den Arkaden soll es
schattig sein. Hättest du Lust?"
Sie:
"Ja, find' ich gut. Wir können ja sehen, wie es da ist."
Ich
versuchte das Gespräch in Gang zu halten: "Warum bist du denn traurig?
Darf ich das erfahren?"
Sie:
"Von mir aus. Meine Schwester lebt in 0. und hat in diesen Tagen ein Kind
bekommen. Von ihrem Freund."
Ich: "Sie hatte damals doch zwei Freunde.
Gleichzeitig."
Sie: "Das hab ich dir erzählt? Muss ich blöd gewesen
sein. Ich weiß noch ganz genau, dass ich sie darum beneidet hatte. Zwei Kerle
gleichzeitig. Darum hatte ich sie beneidet. Ganz schön blöd. Das Kind ist eine
Frühgeburt."
Ich fragte: "Im wievielten Monat?"
Sie: "Sie war im Siebten."
Vom Kinderkriegen wusste ich nicht viel, aber eines hatte
ich mir gemerkt: 'Alles was im dritten Monat und im siebten Monat passiert, ist
nicht gut.'
Ich sagte: "Und wie schwer?"
Sie: "Neunhundert und ein paar Gramm."
Ich: "Das ist sehr viel zu wenig, oder?"
Sie: "Ganz bestimmt. Ich muss dauernd an das Kind
denken."
"Und wie geht es deiner Schwester?"
Ihr Blick ging in die Ferne, richtig an mir vorbei:
"Soweit ganz gut."
Ich: "Hast du sie besucht?"
Sie: "Nein, sie will das noch nicht. Kann ich
verstehen."
Ich mochte nichts dazu sagen, nicht nur, weil es in ihrer
eigenen Ehe keine Kinder gab. Sie litt und ich wusste, dass sie wusste, an was
ich dachte, an was ich mich erinnerte. Ich konnte mir gut vorstellen, was in
ihr vorging. Damals, als ich mich geweigert hatte, mit ihr ins Bett zu gehen,
hatte sie mir bittend und verbittert zugleich, ja von vornherein enttäuscht,
und zugleich befehlend, gestanden: 'Ich will ein Kind von dir und werde es
bekommen.'
Sie sah mich nun wieder an: "Ich mach mir
Sorgen."
Ich: "Das hab' ich dir gleich angesehen."
Dann, nach einer kleinen Pause: „Was macht dein
Mann?"
"Danke."
Die beiden schienen damals häufiger verschiedene Partner
gehabt zu haben. Ich hatte den Eindruck, dass sie glaubten, sich das gegenseitig
einräumen zu müssen. Dafür hatte ich kein Verständnis zeigen können.
Sie sagte: "Gut."
Dann: "Ganz gut, soweit."
Ich: "Wie weit."
Sie, und dabei sah sie mich aus den Augenwinkeln an:
"Bis jetzt."
Sie
lachte dabei nicht. Das wäre ihre Art gewesen. Sie hatte noch nicht einmal richtig gelacht. Früher war jeder
zweite Satz davon unterbrochen gewesen. Damals, als wir uns trennten, hatte ich
gesagt: 'Bewahr dir dein wunderbares Lachen. Es ist so schön für mich.'
Sie
darauf: 'Mein Lachen ist nicht für dich. Es ist für mich. Es ist mein Lachen.'
Und damit hatte sie wieder lachen müssen, hatte mich ausgelacht. Ich sagte nun:
"Ich lebe von B. getrennt."
Sie
blieb stehen: "Wirklich? Soweit ist es gekommen? Seit wann denn?"
Ich
sagte: "Seit etwa einem halben Jahr. Zu Weihnachten durfte ich noch einmal
bei ihr Zuhause und den Kindern sein."
Sie:
"Wie gnädig. Ganz schön zickig von ihr. Wohnst du nicht mehr in dem
Haus?"
Ich:
"Nein. Ich bin gleich gegangen. Das heißt, sie hat mich rausgeschmissen.
Hat gesagt: 'Getrennt von Tisch und Bett."
Sie
belustigt: "Das hast du dir gefallen lassen? Die wohnt jetzt allein in
eurem Haus? Und du bist raus?"
Ich:
"Ja."
Ich
merkte, dass es in ihrem Kopf arbeitete. Sie schwieg dazu eine ganze Weile.
Wir
fanden ein Cafe und einen kleinen Tisch für zwei Personen direkt am Wasser. Ich
wollte ihr ein Eis einreden oder ein Bier oder irgendetwas mit Geschmack und
Farbe, dass sie auch etwas fürs Auge hätte.
Sie
wehrte aber ab: "Ich kann mir allein bestellen."
Also
bedrängte ich sie nicht weiter. Mir bestellte ich eine Mischung aus Bier und
Brause und sie wollte nur ein Mineralwasser haben.
Wir
wurden schnell bedient. Ich staunte nicht mehr über ihre abgemagerte Figur.
Auch die Zitronenscheibe am Rand des Glases passte dazu.
Ich
fragte: "Darf ich dir eingießen?"
Früher
hätte sie das nie zugelassen. Jetzt aber war sie es offenbar so gewohnt, denn
sie sagte nur: "Jaja. Bitte."
Dann
schoss es aus ihr heraus: "Ich möchte nur wissen, was du dir von diesem
Treffen versprichst!"
Aha,
es war soweit.
Ich
sagte mit aller Ehrlichkeit und Offenheit: "Ich hatte Sehnsucht nach
deiner Stimme. Ich möchte dich gesehen, gehört und einmal wieder mit dir
gesprochen haben. Sonst nichts. Sonst ist überhaupt gar nichts. Nur einmal
wieder mit dir reden."
Sie:
"Dann ist es gut."
Ich
konnte ihre Entrüstung verstehen. Wenn ich sie zum Trost hätte aufgesucht haben
wollen, hätte ich das bestimmt geschickter angefangen. Das glaubte sie mir
also. Sie schien aber hinter ihrer Maske eine gewisse Enttäuschung zu verbergen.
Das bisschen bisherige Gesprächigkeit versiegte zu Tröpfchen. Wir saßen uns wie
stumm gegenüber. So ging es etwa eine halbe Stunde und ich dachte: 'Vielleicht
sollte ich lieber alles abbrechen.'
Dann:
"Wenn du möchtest, können wir auch wieder aufbrechen."
Das
war ihr gar nicht recht: "Wenn du erlaubst, möchte ich wenigstens in Ruhe
austrinken."
Sie
hatte tatsächlich kaum etwas getrunken, und ich war beruhigt. Ich fragte:
"Hast du Hobbies? Ich meine machst du irgendetwas nach Feierabend?"
Sie:
"Ich hab' ein Atelier. Dahin geh ich abends sofort nach der Arbeit."
Das hatte ich nicht erwartet: "Ein Atelier? Für dich alleine?"
Sie,
ganz ungehalten: "Warum nicht? Glaubst du, ich würde es noch mit anderen
teilen?"
Darauf
wollte ich nicht hinaus: "Ich wusste nicht, dass du malst oder zeichnest.
Ich dachte, du schreibst. Du malst also richtig in einer bestimmten Technik
oder so?"
Sie
vermied jeden Stolz und guckte sich die Fingernägel ihrer Hände in ihrem Schoß
an: "Ich mal für mich. Und die Technik habe ich in einer Schule gelernt.“
Sie
zögerte: "Ich lebe sehr zurückgezogen. Ja, sehr. Ich kenne nur noch meine
Arbeit und mein Atelier. Sonst kenne ich gar nichts mehr. Keine Leute, keine
Kollegen. Wir haben die Räume noch in Ordnung zu bringen, aber das macht mein
Mann für mich."
Ich:
"Ist der eifersüchtig auf deine Kunst?"
Sie:
"Nein. Überhaupt nicht. Ohne ihn könnte ich sie mir gar nicht
leisten."
Ich
fragte nach: "Hast du viel Platz, da?"
Sie:
"Glaub ich nicht. 56 Quadratmeter."
Ich:
"Das ist doch riesig. Du kannst froh sein."
Sie:
"Das sind mehrere Zimmer."
Ich
wieder: "Machst du auch mal eine Ausstellung?" Sie mit dem Hauch
einer Selbstgefälligkeit: "Ich hatte eine. Im Oktober soll noch eine
kommen."
Ich:
"Nur deine Arbeiten, oder?"
Sie,
fast entrüstet: "Glaubst du, ich brauch noch jemanden dazu?"
Ich
beschwichtigte: "Nein, nein. War nur 'ne Frage. Hätt doch sein
können."
Sie,
heftig: "Nein, hätte nicht!"
Ich
gebe es zu, für den Bruchteil einer Sekunde hatte ich den für mich witzigen
Gedanken, wie es wohl wäre, wenn wir gemeinsam ausstellen würden.
Sie
bekam wieder ihren fernen Blick: "Meine Eltern haben sich auch getrennt.
Schöne Scheiße. Jetzt wo sie es gut haben könnten, macht mein Vater so einen
Mist. Woran liegt’s denn bei euch?"
Sie
fand in meine Augen zurück.
Ich
dachte nach. Ich suchte einen Anfang und sagte: "Sie hatte den Umgang mit
mir satt. Sie konnte mich nicht mehr ertragen. Sie hatte ihre eigene Freiheit
vermisst. Sie fühlte sich zwanzig Jahre nicht berücksichtigt. Verstehst du? Ich
hatte zu lange zu wenig Rücksicht auf sie, auf ihre Wünsche, auf ihr Leben
genommen. Und das hat sie jetzt so richtig mitbekommen."
Sie
machte sich gleich ein Urteil: "Die spinnt ja. Sie hat sicher recht, was
dich betrifft, aber was sie betrifft, hätte sie ja inzwischen was machen
können."
Das
ließ mich aufhorchen. So ähnlich hatte sie schon vor sieben Jahren zu mir
gesprochen.
Sie
sagte weiter: "Ein Glück, dass wir beide damals nicht zusammengezogen
sind, dass du dagegen warst. Es wäre dramatisch geworden."
Ich:
"Wir hätten uns zerfleischt."
Sie:
"Und ich bin dir nachgelaufen. Richtig nachgelaufen bin ich dir."
Ich
schämte mich für sie: "Ich weiß nicht.."
Sie:
"Es stimmt aber. Stimmt ganz genau. Ich bin dir nachgelaufen. Ach."
Ich:
"Du hast nicht einen Tag so sehr an mir gehangen, wie ich all die Jahre an
dir. Ich sagte dir doch, es vergeht nicht ein Tag, an dem du mir nicht
einfällst."
Sie:
"Und warum?"
Ich:
"Wenn ich das wüsste. Vielleicht darum. Könnte doch sein."
Sie
war nicht verbittert, war aber wieder meilenweit von mir entfernt.
Es
schien, als träumte sie von der Vergangenheit: "Wir sind beide viel zu
egoistisch für ein gemeinsames Leben. Jeder hätte nur an sich gedacht."
Ich
warf ein: "Und ich dachte, ich hätte mich inzwischen geändert."
Sie
kam zurück: "Das kann ich nicht beurteilen. Damals war zwischen dir und
deiner Frau schon etwas nicht in Ordnung. Wer weiß, vielleicht wolltest du ja
die Trennung."
Ich
war empört und überrascht: "Ich? Wie kommst du denn darauf?"
Sie:
"Du warst doch mit so vielem an ihr nicht zufrieden. Du warst sehr
unzufrieden. Hast keinen Mut zur Trennung gehabt und vielleicht trotzdem darauf
hingearbeitet."
Ich
sah sie ungläubig, erstaunt und auch ertappt an.
Sie
fuhr fort: "Man kann auch darauf hinleben, hinlieben. Man kann alles
auseinanderlieben. Du weißt schon wie ich das meine. Du wärst dabei
gewesen."
Pause.
Dann:
"Dabei glaube ich dir, dass du es ohne Absicht gemacht hättest, unbewusst
sozusagen, weil du deine B. abgöttisch geliebt hast. Du," und dabei machte
sie eine kleine Pause, "hättest ihr nicht wehtun wollen und nicht können.
Das ist deine ganz besondere Art von Egoismus: 'Tu ich ihr nicht weh, tu ich
mir nicht weh."
Neue
Pause. Ich wartete.
Sie
sah mich fest an: "Ich sag dir noch mehr oder ich sage es andersherum: du
hast es bis heute, bis jetzt, nicht verstanden, zwischen der Bildlichkeit in
deinem Kopf, der Sprachlichkeit darin, und den dich umgebenden Menschen eine
Verbindung zu schaffen. Für dich hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Du
stellst deine Umwelt diesen Dingen, deinen Bildern, deiner Literatur und was
weiß ich noch, gegenüber und überlässt sie der Hilflosigkeit. Du beutest deine
Menschen aus, du benutzt sie für deine Kunst. Und weil du das mit aller
Ehrlichkeit machst, merken die es natürlich. Du gibst keinem Menschen
Gelegenheit, Teil deiner Kunst zu werden, und deine Kunst wird niemals zum
Bestandteil der dich umgebenden Menschen. Es bleibt ein Spalt. Den ertragen die
nicht, die dich mögen oder lieben."
Ich
wartete ab, ob noch mehr kommen würde. Sie schwieg.
Ich
fragte: "Geht es dir auch so?"
Sie
wich aus: „Ich spreche von früher, nicht von jetzt."
Ich
sagte: "Es fällt mir schwer, mich zu beurteilen. Aber vom Gefühl her sage
ich dir, dass du wohl vollständig recht hast und dass mir das noch nie so klar
geworden ist, wie jetzt."
Ich
war dabei begeistert von ihrer Weiblichkeit, von ihrer Eingebungskraft:
"Das ist das, was ich an euch Frauen so liebe“, war aber nicht ehrlich
genug, um statt an ‚euch Frauen’ ‚an dir' zu sagen. Ich wusste aber, wie es in
ihrem Herzen aussah.
Ich
zögerte deshalb: "Ich weiß, was du von mir denkst. Trotzdem bitte ich
dich, mir zu glauben, dass ich dich nicht ausnutzen möchte."
Sie:
"Tust du aber."
Ich
wusste, dass sie recht hatte und setzte mich darüber hinweg: "Gut. Gib mir
trotzdem bitte eine Antwort auf nur eine einzige Frage. Die stelle ich nur dir,
weil du mich besser kennst, als jeder andere Mensch. Gibt es für B. und für
mich eine Chance?"
Sie
antwortete schnell, ohne nachzudenken, als schlüpfte sie in die Rolle von B.,
ja, als spräche sie für sich: "Wenn überhaupt, dann ist sie dies."
Ich:
"Kann ich etwas dazu beitragen?"
Sie
sah mich lässig und auch spöttisch an: "Ja. Dazu musst du erfinderisch
sein."
Mehr
fragte ich nicht. Mein Kopf war voll mit diesen Neuigkeiten, die mir ein
illusionsfreieres Denken verschafften. Damit konnte ich besser umgehen als mit
dem Wahrhabensollen und dem Nichtwahrhabenwollen, das von außen kam,
hauptsächlich, weil das, was sie sagte, eine größere Tiefe, eine größere
Dramatik mit sich brachte. Es machte mich zum Bestandteil eines Ganzen. Es nahm
mir aber auch viel meiner Verantwortlichkeit und schob sie der Kunst in die
Schuhe. Ja, Bä., schien es mir, machte sich mit ihren Äußerungen ein wenig zu
meiner Komplizin.
Sie
stand auf: "Ich glaube, dass ich gehen muss."
Ich:
"Würdest du deinen Mann bitte von mir grüßen?"
Sie:
"Ich weiß nicht, ob ich ihm überhaupt von dem Treffen erzählen
werde."
Ich
fragte nichts weiter. Wir gingen zur Bahn. Sie schwieg während des ganzen
Weges.
Als
wir auf dem Bahnhof waren, schaute sie mich an und sagte einfach:
"Tschüss."
Sie
wollte es wissen und gab mir nicht die Hand. Das fand ich nicht richtig. Das
würde ihr ewig leidtun. Sie war immer noch trotzig, wenn etwas nicht nach ihrem
Kopf ging. Ich musste innerlich lachen, weil ich an frühere Augenblicke
erinnert wurde. Damals hatte sie mich einmal fest angepackt: 'So, jetzt kommst
du mit mir mit.'
Jetzt,
kurz vor dem Auseinandergehen, drängte es mich ihre Hand zu nehmen, und ich
sagte: "Tschüss, Bä. Grüß deinen Mann von mir."
Einen
Kuss wagte ich ihr nicht zu geben.
Sie
zog ihre Hand schnell aus der meinen, drehte sich um und ging die Treppe zum
Bahnsteig hinunter.
Ich
ging in meine Richtung: 'Mein Gott, ich danke dir für die Begegnung.' Mich
überkam ein Hochgefühl, als hätte ich etwas ganz Besonderes geleistet. So ein
Gefühl kenne ich. Es befällt mich immer, wenn ich eine neue Zeichnung beginne
und das Bild zu leben und mit mir zu sprechen beginnt.
In
einem der Gänge stand ein Mädchen. Das spielte die silberne Flöte und bettelte
mit dem offenen Instrumentenkasten um Geld.
Mein
Gefühlshoch hielt nur wenige Tage an. Danach wusste ich schon nicht einmal mehr
genau, wie ich mich in einer anderen als traurigen, hoffnungslosen Lage hatte
empfinden können. Der kurze Sonnenschein war verflogen, so schnell und so
überraschend wie er in mein Inneres eingedrungen war.
Die
Ferien waren überstanden. Die tägliche Arbeit hatte mich wieder und diente
dazu, um abschalten zu können und die Gedanken an die Trennung von B.
wenigstens vorübergehend zu vergessen. Das Spiel war mörderisch, denn, wenn ich
nicht meine Malerei und meine Schreiberei gehabt hätte, wäre die Versuchung,
mir etwas anzutun, wesentlich größer gewesen. Davon war ich überzeugt. Während
der Ferien hatte ich mein Durchhaltevermögen nicht stärken können.
Meine
Sehnsucht nach B. überfiel mich immer wieder unerbittlich. Ich stand ihr nicht
nur machtlos gegenüber und liebte sie, sondern wartete direkt auf ihr
Zurückkommen und darauf, dass sie wieder Besitz von mir ergreifen würde, trotz
der Kämpfe, aller Versuche, sie abzuschütteln und mich vor ihr zu schützen. Ja,
es schien, dass ich außerhalb der Schutzzonen: Malen, Schreiben, Arbeiten, mit
besonderer Fähigkeit alles umging was meine Sehnsucht hätte eindämmen können,
nur um einen neuen Grund zu finden, B. wieder anrufen zu können.
Wie
die Male zuvor war es eine Frage der Zeit. Sie war sofort in der Leitung und
überraschte mich mit einem friedlichen, freundlichen, versöhnlichen Ton. Ihr
Unterricht hatte auch wieder begonnen und ich wusste wie sehr sie in den ersten
Tagen des neuen Schuljahres unter Spannung stand. Umso mehr wunderte ich mich
über den friedfertigen Klang in ihrer Stimme. Ich hörte eine gewisse Melancholie
heraus, die ich an ihr nicht kannte. Das mochte zusammenhängen mit einem Brief,
den ich am letzten Ferientag an sie gesandt hatte und den sie vielleicht seit
drei, vier Tagen in Händen hielt. Darin hatte ich mich anfänglich beschwert:
"...wenn nicht ab und zu mal die Kinder vorbeikämen, wüsste ich überhaupt
nicht mehr, wie es dir geht. Wir sollten unbedingt miteinander reden. Mir sind
aber inzwischen die Hände gebunden. Wenn du mich nicht einmal mehr durch die
Kinder von dir grüßen lässt, denke ich, dass du keinen Kontakt wünschst. Das
ist so schmerzlich. Muss das unbedingt sein?..."
Ich
hatte ihr dann noch geschrieben, dass ich mich um eine neue Stelle in einer
anderen Stadt bemühte: "...Sie wird zwar besser bezahlt, als meine jetzige
hier. Beworben habe ich mich aber nur aus Verzweiflung, um uns beiden
vielleicht einen größeren Freiraum zu schaffen. Als ich mich vor einem Jahr
nach der Stadt L. bewarb, war deine Antwort gewesen: 'Nach L? Das brauchst du
nicht. Dahin brauchst du nicht zu gehen.' Ich bin nun völlig verunsichert. Ich
hätte zu gerne mit dir darüber gesprochen. Aber wie? Außerdem kann ich mir
deine Antwort vorstellen: 'Das musst du selbst entscheiden, dazu kann ich
nichts sagen.' Es wäre mir aber lieb, wenn du etwas dazu gesagt hättest. Deine
Meinung! Du bist die einzige, außer mir, die es betrifft."
Ich
hatte sie dann noch um ein Glas ihrer selbstgemachten Erdbeermarmelade gebeten:
"Ich reihe mich damit ein in die von ‚Babette‘, versorgten
'Hungerleider'."
Das
war eine Anspielung. Babette war die überaus liebenswerte, weibliche Figur aus
einem kleinen Roman, dessen Verfilmung wir gesehen hatten. Sie war eine
Kochkünstlerin genau wie B. und hatte ihre Hohe Schule an einfache Leute
verschwendet, eigentlich an arme Leute verschenkt.
B.
hatte sich über Jahre ähnlich verhalten und ihre Freunde oder diejenigen, denen
sie eine kleine Freude machen wollte und die häufig genug nicht zum Kochen
kamen oder einfach nichts zum Essen hatten, ebenso versorgt. Das gehörte mit zu
ihrer heilen Welt. Ein wenig eifersüchtig, ja neidisch war ich zum mindesten in
meiner derzeitigen Situation noch nachträglich auf all diese Leute. Ich wollte
auch mein Glück bei ihr versuchen, in der Hauptsache aber, um wenigstens wieder
etwas aus ihren Händen zu erhalten. Unabhängig davon gehörte ihre Marmelade
unbestritten zu den Höhepunkten ihrer Küche. Meine Absicht würde sie
selbstverständlich sofort durchschauen. Ich baute ihr und mir deshalb die
Brücke mit B. und verpackte so mein Anliegen im Vorwege.
Einer
meiner Söhne hatte mir wenig später eine kleine Tragetasche mit der Marmelade
und einem lieben Brief vorbeigebracht und sie von außen an meine Wohnungstür
gehängt. Der Brief war allerdings nicht von ihr sondern von meinem Sohn
gewesen. Er schrieb mir darin: 'Auch von Mami soll ich dir Grüße ausrichten.'
Das
war wenigstens etwas, aber nicht das, was ich mir erhofft hatte. Mein Appetit
auf die Köstlichkeit war verflogen und ich stellte das Glas in den Kühlschrank.
Sie hätte mir selbst einen Gruß senden sollen.
In
meinem Brief hatte ich sie noch aufmerksam gemacht auf etwas, das eine ihrer
Versicherungen betraf. Im übrigen hatte ich mich sehr zurückgehalten und keine
gefühlsbetonten Dinge gesagt. Bei ihr sollte der Eindruck entstehen, dass ich
Abstand gewonnen hatte. Das entsprach auch irgendwie den Tatsachen. Der Brief
war nun aber wieder Tage alt, und meine Gefühle tobten sich erneut aus. Es war
zum Verzweifeln.
Ich
fragte sie nun: "Wie geht's dir?"
Sie
hatte eine Antwort parat, die mich irgendwo traf, die aber auch zugleich witzig
und schnippisch war: "Ich hab nicht geheiratet in der Zwischenzeit."
Ich
wusste absolut keine Antwort darauf. Ich musste trocken schlucken. Das war ihre
Art. Sie erschien mir als Watteengel ohne jede Angriffsfläche. Sie hatte sicher
an meinem Atem gehört, wie ich über ihre Antwort gestolpert war. Vielleicht
hörte sie sogar heraus, dass sie etwas Falsches gesagt haben konnte.
Nach
meiner Atempause, und es schien mir als wartete sie auf ein Echo, fragte sie:
"Wie ist denn deine Bewerbung ausgegangen?"
Ich
sagte: "Du, das wird vier Wochen dauern, bis die antworten. Außerdem war
das wie vor einem Taubenschlag. Viele Leute aus vielen Städten haben sich
vorgestellt." Mehr sagte ich dazu nicht, denn jeder Rat von ihr käme zu spät.
Ich
dachte: 'Wenn sie eine Meinung hat, könnte sie mich die ja auch jetzt noch
wissen lassen.' Das tat sie aber nicht. Sie hatte von sich aus Rückfragen zu
der Versicherungsgeschichte und bedankte sich insofern für den Brief. Ich
reagierte darauf nicht, so dass sie annehmen konnte, ich hätte den Dank
überhört. Sie ging nur noch auf die Versicherungsgeschichte ein, die ich ihr
ausführlich erklärte. Ich glaubte aber in ihrem Bedanken und in der Rückfrage
wegen meiner Bewerbung ein winziges Aufflammen von Interesse zu sehen. Das
wollte ich nicht durch eine ungeschickte Äußerung verlöschen lassen.
Sie
fragte: "Hast du die Marmelade bekommen?"
Mit
dieser Frage konnte ich im ersten Augenblick überhaupt nichts anfangen.
Dadurch, dass ich das Glas weggestellt hatte, nichts mehr davon essen wollte,
hatte ich es auch vergessen.
Ich
fragte ganz verwirrt zurück: "Jaja. Was für Marmelade? Ach, die! Ja, doch,
die hing in einer Tüte an der Tür. Danke."
Sie:
"War ein Brief darin?"
"Ja,
es hatte einen Brief dazu gegeben mit dem Hochzeitstermin von M. und noch was.
Aber das hat ja noch Zeit."
Sie
wieder: "Und? Hat er von mir gegrüßt?"
Ich
wurde unehrlich und sagte: "Weiß nicht genau. Es stand drin, dass sie
heiraten wollen und wo..."
Die
Sache war ihr aber wichtig und sie sagte das, was ich hören sollte und vor
allen Dingen hören wollte: "Ich hab' ihm gesagt, er möchte einen Gruß von
mir reinschreiben."
Darüber
wurde ich ärgerlich und sagte: "Ich hätte es schön gefunden, wenn du dich
selbst zu einem Gruß aufgerafft hättest."
Sie
sofort: "Wie hätte ich das wohl machen sollen. Meinst du, ich steh immerzu
dabei und warte, wann er zu dir rübergeht und sag ihm dann, dass er dich grüßen
soll? Außerdem war der Schlüssel für deine Wohnung nicht da."
Das
war eine wachsweiche Ausrede. Das wusste sie selber. In Wahrheit wollte sie
sich nicht die Blöße geben, mich nach all dem, was sie mir angetan hatte,
grüßen zu lassen. Das wäre in ihren Augen eine schreckliche Unaufrichtigkeit
mir gegenüber gewesen. Andererseits verstand sie sehr gut und sah es auch ein,
dass sie mir Grüße zukommen lassen sollte. Das entsprach durchaus ihrem
Empfinden. Deshalb also ihre fadenscheinige Ausrede. Ich antwortete
entsprechend heftig und gleichzeitig wie ein Vater, der es gut mit seiner
Tochter meint, so dass sie sich nicht ganz ernstgenommen, sehr wohl aber auf
frischer Tat ertappt fühlen konnte und musste: "Du weißt doch ganz genau,
was ich meine. Du bist eine gestandene Frau und benutzt die Ausreden eines
zwölfjährigen Mädchens."
Sie:
"Wieso." Da war wieder der Watteengel.
Ich:
"Du stellst dich ganz schön dumm. Ich erinnere mich jedenfalls, wie du es
bei anderen Leuten gemacht hast. Und wenn du in meinem Fall wirklich nicht
gewusst hast, wann jemand von euch vorbeikommen würde, dann hättest du einen Gruß
auf einen Zettel schreiben und ihn mit einem Gummiband an dem Glas befestigen
können. Dann hätte derjenige, der zu mir wollte, einfach das Glas mitnehmen
können. Fertig. Bei anderen Leuten hast du sogar noch buntes Papier über den
Deckel gezogen."
Ich
wurde am Telefon ein bisschen albern und imitierte ihre Stimme: "Nein, das
kann man doch nicht einfach mit Buntpapier machen. Das muss ein karierter Stoff
sein... Nehm' ich nun rotkarierten oder blaukarierten? Ja, ich nehm den
blaukarierten. Der passt so gut zur Marmelade, das sieht auch so selbstgemacht
aus. Und dann schreib ich noch einen netten Gruß darauf. Ja, das passt gut
zusammen." Solche Überlegungen hatte sie damals angestellt.
Und
wieder mit meiner normalen Stimme: "Du weißt ganz gut, wie man das macht
und ganz genau, was ich meine.“
Ich
lauschte auf eine Antwort. Es war einen Augenblick Ruhe. Dann sagte sie, fast
verschüchtert: "Rotkarierter Stoff und blaukarierter? Aha." Es hörte
sich an, als erzählte ich ihr etwas aus einer längst vergessenen Vergangenheit.
Ich
sagte: "Ja. So hättest du es normalerweise bei anderen gemacht. Aber
trotzdem: danke."
Ich
wollte deswegen keinen Streit, zumal ich das Gefühl hatte, dass sie mit
Entgegenkommen gewappnet war. Das erstaunte mich immer noch.
Ich
sagte: "Wir sollten miteinander reden. Wir müssen miteinander reden. Es
ist unwürdig, dass wir, als Eheleute, die so viele Jahre miteinander
verheiratet sind, nicht miteinander reden. Zu Anfang hattest du große Töne:
'Wir können uns gerne regelmäßig sehen. Dagegen hab ich nichts. Und jetzt
schreibst du" und das Wort betonte ich stark, "schreibst du mir
sogar, dass du mich nicht sehen willst."
Ich
hätte gerne gehört, dass sie das nicht so gemeint habe und dass sie mich würde
sehen wollen. Das kam aber nicht.
Sie
dagegen: "Mit dir kann man sich ja nicht vernünftig unterhalten. Das hab
ich neulich gesehen, als wir uns an der Brücke getroffen haben."
Ich
sagte: "Oh Gott. Nun fang doch nicht schon wieder mit der Brücke an. Du
hättest ja freiwillig mitkommen können. Dann hätte ich dich nicht auf die
andere Seite gezogen."
Ich
merkte, wie sie begann sich aufzuregen: "Du weißt anscheinend gar nicht,
wie es in mir aussieht. Sonst würdest du das nicht gemacht haben."
Ich
war ihr Geplärr einfach leid und sagte: "Wenn du dich nicht so zickig und
dich nicht so jungfernhaft angestellt hättest, hätte ich dich auch nicht
mitzuzerren brauchen. Außerdem weißt du ja wohl, wie ich reagiere, wenn du dich
so verhältst. Aber wenn du wirklich so darunter gelitten hast, dann hättest du
dich nicht so zieren sollen, sondern hättest mir das richtig sagen
müssen."
Vom
anderen Ende der Leitung hörte ich, wie sie leise und mit erstaunter Stimme
wiederholte: "Zickig? Und wie sagst du? Jungfernhaft? Aha."
Ich
dachte, dass sie nun wieder losschreien würde und sagte zu ihr: "Ich
möchte dich nicht aufregen: Erzähl mir, wie es auf deinem Seminar war."
Das war ihr sehr recht: "Es hat alles geklappt. Die Vorbereitungen waren
zwar anstrengend, aber die Leute waren nett. Trotzdem, hätt ich das bloß nie
angefangen."
Das
ließ mich aufhorchen. Nicht, weil ich es begrüßt hätte, was sie sagte. Darin
sah ich eher eine Enttäuschung. Ich wusste von ihrer Mühe und konnte mir nicht
vorstellen, dass sie ihre Kräfte überschätzt haben sollte. Das hätte mir leid
getan. Es wäre deshalb aber noch lange nicht alles für sie verloren. Nein, ich
horchte auf, weil sie das in einem Augenblick sagte, in welchem eigentlich
unsere Beziehung das Thema war, und ich mit einer hintergründigen Vermutung
wünschte, heraushören zu können, dass sie das auf unsre Trennung bezog. Ich
wünschte mir in diesem Augenblick, dass sie mich das auf einem solchen Umweg
wissen lassen würde. Das stimmte mich mild, ja es wiegte mich fast in
Versöhnlichkeit. Wenn sie auf dem Weg war, das ganze zu bedauern, was hätte ich
dann noch mehr erreichen können? Alles würde so zu einer allerdings ganz
anderen Frage der Zeit werden, als ich es bisher kennengelernt hatte. Ich
versuchte deshalb äußerst vorsichtig mit ihr umzugehen und fragte: "Hast
du dich jetzt ein wenig beruhigt?"
Sie:
"Ja."
Ich
fing wieder von vorne an: "Können wir uns nicht wirklich treffen? Das ist
doch so wichtig."
Sie:
"Wir könnten einen Termin bei meinem Arzt..."
Ich
wollte ihr ins Wort fallen, weil ich wusste, wie es weitergehen würde: '...aber
du willst das ja nicht.' Stattdessen hörte ich wie sie sagte: "Aber das
finde ich nicht gut."
Ich
traute meinen Ohren nicht. Sie fand das nicht gut und berief sich nicht auf
mich.
Ich
sagte: "Ich brauche keinen Dritten, um mich mit dir zu treffen. Und von den
Kindern möchte ich auch keines dabei haben. Ich finde, dass ich kein Recht
habe, sie derartig mit unseren Problemen zu belasten." Sie schien mir gar
nicht richtig zuzuhören. Vielleicht dachte sie über andere Möglichkeiten nach.
Ich
sagte: "Dir fällt bestimmt etwas ein. Lass es mich wissen. Denk darüber
nach."
Sie
sagte nur: "Ja."
Ich
wollte sie noch auf etwas anderes stoßen, nämlich auf ihren Freund E., der
offenbar immer noch bei ihr kommen und gehen durfte, wann er wollte, was mich
unsagbar schmerzte, beleidigte und immer wieder in ohnmächtige Wut versetzte.
Deshalb
sagte ich: "Jedenfalls machst du ganz schöne Umwege mit deiner
Persönlichkeitsfindung oder deinem Freiheitsdrang oder deinem Abschütteln von
Zwängen, die dich belasten oder, was immer es ist."
Darauf
würde sie reagieren. Sie sagte auch prompt: "Umwege? Was für Umwege,"
"Wenn
ich dir das sage, wirst du mich hinterher wieder in der Luft zerreißen und es
mit deinem Freund schön ausdiskutieren."
Sie:
"Umwege? Also das möchte ich jetzt bitte wissen, was du damit meinst. Das
würde mich wirklich interessieren. Das musst du mir erklären."
Ich:
"Damit du es mit ihm so richtig auseinandernehmen kannst und sich deine
Wut noch mehr gegen mich richtet? Aber von mir aus. Mach' damit, was du
willst."
Ich
erklärte ihr: "Wenn ich bedenke, dass du dich dein Leben lang gegängelt
gefühlt hast, erst von deiner Mutter, von der du nur mit allergrößter Mühe
Abstand gewinnen kannst, und wenn ich weiter bedenke, dass du dich von mir
anscheinend hast weiterhin gängeln lassen, was du mir jetzt vorwirfst, obwohl
du es für dich gesucht und für dich auch bei mir gefunden hast und, wenn ich
dann bedenke, obwohl ich für deine Erziehung und dein neues Gefühl, diese
Abhängigkeit so schrecklich zu erleben, gar nichts kann, dann halte ich es für
einen Umweg, wenn du, knapp sechs Tage nachdem du mich los bist, dich von dem
nächsten, der dir über den Weg läuft, genauso, wie zuvor, an die Hand nehmen
lässt, nur eben auf eine andere, widerstandfreiere Art und Weise. Das kann ich
nicht verstehen, und das halte ich dann für einen Umweg."
Sie
holte ein wenig aus: "Macht ihr mir man alle Angst. Dein Bruder hat mich
auch schon angerufen und mir erklärt, was E. für eine Type ist: 'dass der nicht
einmal seine eigene Tochter erziehen kann."
Ich
erinnerte sie: "Ich hab dir ja gesagt, dass du dich gegen mich wenden
wirst." Ich spürte dabei ganz genau, dass sie meine Äußerungen auf
bestimmte Gedanken brachten. Es waren aber nicht nur meine Worte, sondern sie
musste diese Gedanken uneingestanden schon längst selbst gehabt haben. Deshalb
machte sie mein nächster Satz neugierig.
Ich
sagte nämlich: "Du brätst mit ihm in demselben Saft. Denn, wenn du seine
eigene gescheiterte Ehe betrachtest..."
Sie
unterbrach mich: "Jetzt bin ich aber gespannt, was nun kommt."
Ich
sagte: "Bei denen hat sich genau das gleiche abgespielt, wie bei
uns."
Sie:
"Ja, das stimmt, aber," und sie machte eine Pause, "mit
umgekehrtem Vorzeichen."
Ich
darauf: "Das glaubst du nur, weil er es dir so erzählt hat. Ich weiß es
aber besser."
Sie
wieder: "Ich weiß, dass seine Frau ihn verstümmeln wollte. Sie wollte ihm
was abschneiden, weil es ihr nicht oft genug war. Sie wollte dauernd was von
ihm. und das hat er nicht mehr mitgemacht. Warum hätte sie sich sonst wohl bei
jeder Gelegenheit so aufreizend, so männermordend angezogen, he? Kannst du mir
das erklären?"
Ich
sagte: "Was du nicht weißt, sind seine heimlichen Tonbänder, die er von
seiner Frau aufgenommen hat. Da will sie ihm tatsächlich sein Ding abschneiden,
aber weil er außer dem einen nichts von ihr wollte. Das sagte sie und nicht das
Umgekehrte, was du sagst. Seine Frau hatte schlimmste Schimpfwörter dafür. Und
dass sie sich so angezogen hat, war nicht, um ihn zu reizen, sondern um ihn zu
strafen. So sah das bei denen aus. Ich möchte dir trotzdem raten, es nicht mit
ihm zu diskutieren. Aber ich habe die Wahrheit gesagt. Jedenfalls das, was ich
gehört habe und was er mir seinerzeit erzählt und vorgespielt hat. Und insofern
ist es bei denen ganz genauso gewesen wie bei uns. Allerdings mit dem
Unterschied, dass wir uns wenigstens noch unterhalten konnten. Das konnten die
schon lange nicht mehr."
Das
letzte hatte ich ganz locker gesagt. Nicht, um mich zu rechtfertigen sondern
als Beispiel für die eigentlich vernünftigen Gespräche, die wir miteinander
hatten.
Sie
sagte darauf höhnisch, fast zynisch: "Unterhalten, ja."
Ich
fragte nach: "Du, das möchte ich wissen. Wir haben uns doch immer gut
unterhalten können, oder etwa nicht. Nun sag aber die Wahrheit."
Sie
wieder, aber etwas unsicher: "Unterhalten, ja."
Ich
wieder: "Also konnten wir uns nun gut unterhalten oder etwa nicht. Jetzt
sei aber bitte ehrlich."
Sie:
"Ja, du hast recht. Wir haben uns gut unterhalten können. Das stimmt. Ja,
es stimmt. Wirklich."
Ich:
"Also, das meinte ich."
Ihre
Zustimmung beruhigte mich, und ich war der Meinung, dass sie es nicht mir zum
Gefallen sagte, sondern dass sie sich darauf besonnen hatte. Es konnte ja
trotzdem sein, dass sie etwas anderes unter einer Unterhaltung verstand.
Vielleicht war es ihr inzwischen bewusst geworden, dass sie eigentlich mit
niemandem, auch nicht mit mir, über ihre persönlichsten Gefühle hatte reden
können, dass sie das weder bei mir hatte erreichen noch von sich hatte
erzwingen können.
Ich
sagte: "Ich möchte dir eine Frage stellen. Eigentlich sind es zwei. Du
solltest mir bitte nur zuhören. Weiter nichts."
Sie:
"Aha. Und was ist das?"
Ich:
"Glaubst du nicht, und ich bitte dich, dich selbst zu fragen, dass es
genug ist. Dass es genug Zeit für dich, für deine Selbstfindung, für deine
Rückeroberung oder Eroberung von Freiheit, für deine ich weiß nicht was noch
alles, Besinnung oder Befreiung von Zwängen, ob es nicht genug Trennung und
Zeit für dich gewesen ist. Ich frage dich: glaubst du nicht, dass es
reicht?"
Ich
schob, noch ehe sie antworten konnte, sofort nach: "Ich bitte dich,
darüber nachzudenken und auch darüber, ob wir nicht, und das biete ich dir von
mir aus an, aus meiner Situation heraus, ob wir nicht völlig sang- und
klanglos, ohne große Debatten und Diskussionen wieder zusammenleben
sollten." Und auch darüber ließ ich sie nicht zu Wort kommen sondern fuhr
fort: "Und wenn es dir unmöglich oder nicht machbar scheint, dann sollten
wir wenigstens den Versuch machen wollen und es ausprobieren. Wenn wir dann sehen,
dass es nicht geht, überhaupt nicht geht, müssen wir eben den bitteren Schluss
daraus ziehen."
Ich
wurde noch eindringlicher: "B., das ist ein Vorschlag und ich bitte dich,
darüber nachzudenken."
Ich
hatte mich auf eine heftige Reaktion, oder auf eine größere abwartende Pause
bei ihr eingestellt. Sie aber antwortete sofort: "Ja, ich denk darüber
nach."
Ich
war unsicher, ob sie mich verstanden hatte und wiederholte langsam, wie zum
Mitschreiben: "Ich bitte dich also über zwei Dinge nachzudenken. Einmal,
ob du nicht die Sache beenden solltest, ob es nicht genug ist, ob es nicht
reicht, und zweitens, ob wir nicht ohne großes Theater, ohne Wenn und Aber,
ohne Vorwürfe, ohne Vorbehalte, gemeinsam neu beginnen sollten. Ich biete dir
das von mir aus an. Ohne alle Einschränkungen."
Sie
wieder: "Ja, ich denk darüber nach."
Sie
sagte das so unverbindlich, gleichgültig, so einfach, dass ich mir dachte,
vielleicht hat sie auf einen solchen Vorschlag gewartet und ist froh, dass ich
ihn ausgesprochen habe. Gleichzeitig warnte ich mich aber: ‚Vielleicht hat sie
darin auch zu lange eine Illusion mit sich herumgetragen und kann sich in
diesem Augenblick der schönen Verlockung nicht entziehen.‘
Die
dritte und die gemeinste Möglichkeit war leider, dass sich mein Vorschlag und
damit ich mich derartig fern von jeder Wirklichkeit befand, dass sie keine
Kraft mehr hatte, darüber auch nur noch nachzudenken, dass sie es nur
versprach, um mich loszuwerden. Ich würde nie erfahren, was in ihrem Kopf
vorging.
Mir
blieb einzig, mich auf ihre frühere Äußerung zu verlassen: 'Ich sage nur das,
was ich auch halten kann und will.' Darauf musste ich mich blind verlassen.
Zur
Sicherheit begann ich noch ein drittes Mal: "Du denkst also darüber
nach?"
Das
war kaum noch eine Frage, sondern eine Forderung, und sie sagte fast mit
Fröhlichkeit in der Stimme: "Ja, ich denke darüber nach."
Es
war, als lachte sie mich ein wenig aus. Wir machten eine Pause. Ich konnte mir
ihr gespanntes Gesicht vorstellen, wie sie lauschte, ob noch etwas käme.
Dann
sagte ich: "Das ist gut. Hör ich dann von dir?"
Sie:
"Ja, ich melde mich."
Ich
wieder: "Gut."
Ich
konnte das ganze nicht glauben. Alles schien sich in Bewegung gesetzt zu haben.
Anscheinend war sie wirklich bereit über einen Neuanfang und weniger über ein
probeweises Zusammenleben nachdenken zu wollen. Ja, sie schien bereits ,darüber
nachgedacht zu haben.
Wir
trennten uns mit einem freundlich klingenden 'Tschüss'. Dann legten wir auf.
Ich
schwor mir, von nun an geduldig zu bleiben. Sie sollte in Ruhe nachdenken
können.
Ich
wartete so fast zehn Tage. Dann entschloss ich mich, ihr statt eines Briefes,
ein Gedicht zu senden. Ich dachte, dass ich ihre Gefühlswelt mit einem Gedicht
besser erreichen könnte als mit einem Brief. So schrieb ich ihr, ohne sie
anzureden und ohne sie mit Worten einlullen zu wollen, in der Absicht, sie zu
beschreiben, wie ich sie sah und wie sie sich meiner Meinung nach selber sehen
konnte. Dabei zögerte ich nicht, sie gleich in der ersten Strophe ein wenig
zurechtzuweisen.
Du sagtest dann:
"Ich denk
darüber nach,"
Und hast dich
Aufgemacht
Und jagst noch immer
Deinen
Freiheitsträumen nach.
Die können doch nicht
anders sein
Als sie vor Jahren
waren.
"Ich steh
dauernd unter Strom bei dir,“
Sagst du,
Und recht hast du
damit.
Ich kenn mich besser
als du denkst
Und weiß, dass du
Die Spannung in mir
bist,
Mein Tor zur Welt.
Das hab ich dir
Am ersten Tag gesagt,
Und du hast nicht
gefragt,
Wie lang sie hält.
Das weißt du nun.
Du bist es, die ich
Morgens immer wieder
An der Tür zum Bad
vorüberhuschen seh,
Die das Geräusch von
Kleiderstoffen
Mit sich führt,
Die eilt, und immer
noch
Sechs Schritte vor
mir geht,
Nicht wartet, deren
Augen,
Die nach vorne gehn,
Trotzdem nach hinten
sehn.
Du bist es, die
Strukturen sucht und
Die das Feld
begrenzt,
Und alles, alles,
alles offen hält.
Du bist es, die von
mir den Sinn
Den Übersinn erwartet
und erhält,
Verlangt, ihn haben
will, besitzt,
Und gar nicht darauf
zählt.
"Ich bin nun
einmal so“,
Sagst du,
Als brauchtest du,
die sich
In etwas füllen kann
und selber füllt
Und leert,
Als brauchtest du,
Die mir Gedanken
legt,
Und dabei lacht und
es nur
Wissen wollte,
Ja, als brauchtest du
Noch vor dir selber
Trost.
Denk wirklich nach.
Ich liebe dich.
Darunter
stand noch mein Name.
Ich
hatte keine Ideen mehr. Alles, was mir einfiel, mündete in der Feststellung,
dass ich B. nur beeinflussen und vor allen Dingen bedrängen wollte. Sie aber
brauchte ganz offenbar Zeit um zu sich selbst zu finden. Das konnte lange
dauern. Ich war aus ihrem Leben ausgeschieden.
Einmal
rief ich sie noch an. Ich hatte eine Kleinigkeit, wegen der Sparkasse, die
musste sie mit mir gemeinsam erledigen. Dabei fragte ich vorsichtig nach:
"Bist du schon dabei, nachzudenken?"
Sie
geriet gleich wieder in Abwehr: "Du redest mir immer wieder ein, dass ich
nachdenken soll. Ich muss es lernen, mit mir selbst umzugehen."
Da
war es wieder. Als ich sie danach noch ein weiteres Mal anrufen musste, wagte
ich einen weiteren Schritt auf sie zu: "Ich würde dich gerne in die Oper
einladen. Auch auf die Gefahr hin, dass du absagst." Ich fuhr gleich fort:
"Vielleicht hast du ja Glück und brauchst dir keine Ausrede einfallen zu
lassen. Es ist an eurem ersten Ferientag. In den Herbstferien."
Sie
wusste gleich Bescheid: "Dann kann ich tatsächlich nicht. Da fahre ich
schon für ein paar Tage nach Dänemark."
Von
der Reise hatte ich über meinen Sohn erfahren und ich fand es gut, dass die
beiden unterwegs sein würden. Vielleicht würde B. dann endlich Abstand gewinnen
und von ihrer, wie es mir nun langsam schien, Bauchnabelschau einer
Zwölfjährigen ablassen. Dass ich vorsorglich noch zwei Karten für einen anderen
Termin besorgt hatte, wagte ich ihr nicht mehr zu sagen. Ich fragte lediglich:
"Würdest du denn an einem anderen Termin mit mir mitgehen?"
Sie
sofort: "Darüber denke ich nach."
"Erfahre
ich das irgendwie?"
Sie
ganz kurz: "Ich werde darüber nachdenken."
Diese
von mir erfundene Formel schien ihr zu gefallen. Alles in allem entsprach sie
ihrer Einstellung, sich niemals mit einem 'Ja' oder einem 'Nein' festzulegen.
Ich drang nicht weiter in sie und wünschte ihr noch einen schönen Tag. Das
erwiderte sie recht freundlich, und ich stellte mich auf eine längere
Trockenzeit ein.
Zu
der Zeit hatte die Tante von B. Geburtstag. Sie wurde zweiundneunzig Jahre alt.
Es war üblich, dass sie die ganze Familie dazu einlud. Auch jetzt, als sie ihre
Tage im Altersheim zubrachte, hatte sie den Wunsch. Mich hätte sie gerne mit
eingeladen, aber das wollte sie ihrer Nichte, nicht antun. Deswegen rief sie
mich an: "Ich würde dich gerne sehen, aber mit allen
geht es ja leider nicht. Komm doch an einem
anderen Tag zu mir." Ich fand einen solchen Vorschlag für eine Dame in
ihrem Alter und, dass sie überhaupt an mich gedacht hatte, sehr nett und
willigte ein. Wir verabredeten uns bei ihr, und ich brachte einen Strauß
künstlicher Blumen mit. Die würde sie nicht ins Wasser stellen müssen, und die
Blumendüfte konnten ihr auch nichts anhaben. Das musste ich bedenken, weil sie
in demselben Zimmer, in welchem sie sich tagsüber aufhielt, auch schlafen
musste.
Sie
war ein Mensch, der diese praktischen Vorteile liebte, und sie freute sich
tatsächlich darüber. Wir kamen schnell ins Gespräch. Sie bot mir etwas zu essen
an. Es waren Gurkenscheiben, die sie von ihrem eigenen Abendbrot übrigbehalten
oder aufgespart hatte. Damit konnte ich mich beim besten Willen nicht
anfreunden.
Ich
reagierte entsprechend: "Du, darauf hab' ich gar keinen Appetit.
Vielleicht hast du 'was zu trinken." Damit ging ich selbst an ihren
Kühlschrank. Darin fand ich aber nichts. Es standen noch einige unausgepackte
kleine Geschenke auf dem Tisch und ich fragte: "Weißt du, was darin
ist?"
Sie:
"Nein. Schau doch nach."
Ich:
"Vielleicht etwas zu trinken?"
In
einem der Päckchen fand ich drei kleine Flaschen mit Schaumwein. Das war mir
gerade recht und ich überredete sie, mit mir ein Glas zu trinken. Das tat sie
auch. Sie wurde sehr redselig, ohne sich zu vertun und erzählte aus ihrer
Vergangenheit. Ich versuchte ihr etwas von B. und mir mitzuteilen, weil sie
sicher wissen wollte, was denn nun eigentlich die Ursache für unsere Trennung
war. Ich brachte es schnell auf einen Punkt: "Das schlimmste für B. ist es
ganz ohne Frage, dass ich sie so oft mit meiner Liebe in Anspruch genommen
habe. Dadurch hat sie ihr Selbstwertgefühl offenbar völlig verloren. Das ist
ganz schlimm, vor allen Dingen, weil sie meinte, mir das oft genug gesagt zu
haben. Ich habe aber offenbar ihre Sprache nicht verstanden. Dabei empfinde ich
keine Schuld, denn ich bin mit ihr umgegangen, wie ich dachte, dass ein Mann
eben mit seiner Frau umgeht. Das war aber anders, als sie es erwartete. Das
kann sie mir nicht verzeihen. Ich hätte ihre Not erkennen sollen. Weißt du, ich
sagte immer zu ihr: 'B. du redest Chinesisch und ich spreche Englisch. Und
deshalb können wir uns nicht verstehen.'
Jetzt,
durch die Trennung und meine Therapie versuche ich jedenfalls eine gemeinsame
Sprache zu finden, um mir Klarheit zu verschaffen und mit ihr sprechen zu
können, falls es dazu kommt. Das wird sicher sehr schwierig, aber vielleicht
gelingt es mir ja. Für sie allerdings kommt das viel zu spät, sagt sie."
Dann:
"Es gibt ja noch jemanden über uns. Vielleicht hilft der."
Das
hatte ich gesagt, weil sie sehr eng mit ihrem Gott und den Heiligen umging.
Insbesondere verehrte sie einen Antonius, der verlorengegangene Gegenstände
wieder herbeischaffen konnte. Dafür hatte sie genügend Beispiele. Das eine Mal
war es ihr Portemonnaie, das sich wieder anfand, das andere Mal waren es Schmuckstücke
und so weiter. Sie mochte ihn meinetwegen in die Suche nach B., im übertragenen
Sinn natürlich, für mich mit einbeziehen. Damit wollte ich sie nicht verspotten
sondern griff in meiner Hilflosigkeit einfältig nach jedem Strohhalm. Die alte
Frau musste verstanden haben, was ich über B. erzählen wollte, denn sie begann,
mir von einem Ereignis zu berichten, das Jahrzehnte zurücklag und welches sie
für sich nicht hatte verarbeiten können. Es gehörte zu den Rätseln in ihrem
Leben, die sie nicht zu lösen in der Lage gewesen war.
"Weißt
du“, begann sie, "vielleicht habe ich schon einmal etwas Ähnliches erlebt
wie du. Ja, es könnte sein. Damals hatte es keiner bei uns im Dorf richtig
verstanden. Unser Dorf bestand ja nur aus wenigen Häusern. Fast alle waren ebenerdig,
mit ausgebautem Dachgeschoss vielleicht. Nur ganz wenige Häuser hatten ein
zweites Stockwerk. Wir kannten uns alle untereinander und es ist doch klar,
dass jeder von jedem alles wusste. Ich kann nicht sagen wie es begonnen hat. Es
lebte dort ein Malermeister mit seiner Frau. Die hatten ein besonders hohes
Haus. Damals arbeiteten Frauen nicht so selbstverständlich wie heute. Ich war
Lehrerein. Ja, ich musste arbeiten. Krankenschwestern und Pfarrhelferinnen, die
arbeiteten auch. Aber sonst war eine Frau immer zu Hause. Da gehörte sie hin.
Auch die Bäuerinnen waren von der Vorstellung her immer auf dem Hof, während
der Mann draußen auf dem Feld war. So war das damals. Also diese Frau des
Malers war auch in dem Alter wie B. heute. Ja, das stimmt. Wenn wir nun an dem
Haus des Malers vorübergingen, sahen wir die Frau eines abends und danach immer
häufiger im zweiten Stock auf der Fensterbank sitzen. Das war ungewöhnlich. Das
sah nicht nur müßig aus, als hätte sie nichts zu tun, sondern es war auch viel
gefährlicher, als wenn sie sich, wie eine normale Hausfrau, vielleicht mit
einem Kissen unter der Brust, zum Fenster hinausgelehnt hätte.
Direkt
gab es nichts dagegen zu sagen und solange das Wetter schön war, mussten wir
einsehen, dass ein gewisser Genuss darin zu liegen schien. Vielleicht war die
Höhe von oben nach unten nicht so schlimm wie wir sie von unten aus
einschätzten.
Die
Leute fingen aber an darüber zu reden. Die Frau kletterte nämlich nur auf die
Fensterbank, wenn ihr Mann nach Hause kam. Dann, dachten wir alle, hätte sie
eigentlich am wenigsten Zeit für derartige Späße haben dürfen. Der Mann
erwartete schließlich sein Abendbrot und sie hätte sich mit ihm unterhalten
sollen, vielleicht auch wollen. Sie saß stattdessen dort oben und schaute auf die
Leute unter sich. Sie grüßte wenig und kaum zurück, wenn man sie von unten
ansprach, so dass die Leute bald nur noch hinaufblickten, sich vergewisserten
und weitergingen. Wir dachten: `Ach, die sitzt da wieder.' Mehr nicht. Das ging
eine sehr lange Zeit so und es fiel nicht sonderlich auf, dass sie dort
schließlich auch bei schlechtem Wetter saß.
Ich
erfuhr nicht, wie lange sie immer aushielt und schon gar nicht den Grund dafür.
Alle bemerkten aber, dass sie bald nicht mehr nach draußen, auf die Straße, sondern
unverwandt nach drinnen ins Zimmer schaute. Die dort draußen waren für sie
überhaupt nicht mehr vorhanden.
Anfangs
waren alle neugierig, was sich da drinnen wohl abspielen mochte. Wir hörten
aber und erfuhren nichts, und gewöhnten uns nun völlig daran, bis sie ganz
plötzlich wieder im Gespräch war: 'Die Frau des Malers steht jetzt jeden Abend,
wenn ihr Mann nach Hause kommt, auf der Fensterbank. Ja, sie steht darauf und
hält sich oben am Fensterrahmen und am Fenstersims fest. Sie schreit nach drinnen
ins Zimmer. Sie schreit aber keine Worte. Sie schreit auch nicht nach Hilfe.
Sie schreit nur und hält sich dabei mit beiden Händen fest.'
Ich
war sehr neugierig und bin gleich hingegangen. Da konnte ich sie sehen und in
das Zimmer hinein schreien hören. Es waren wirklich keine Worte. Unten stand
ein Feuerwehrmann, der rief ihr etwas zu und wollte auf sie einreden. Den hörte
sie auch sehr gut. Sie sah plötzlich hinunter, und wir dachten, dass sie
springen würde. Sie war aber für Augenblicke ganz gefasst und rief allen zu:
'Kümmert euch nicht um mich. Geht weiter. Das geht keinen von euch etwas an.
Habt ihr gehört?'
Dann
sagte sie noch: 'Das geht nur meinen Mann und mich etwas an! Nur meinen Mann
und mich! Habt ihr verstanden?'
Damit
wandte sie ihr Gesicht wieder zum Zimmer und begann von neuem zu schreien. Das
hatte alle Leute beschämt. Auch ich fühlte mich ertappt, in die Geheimnisse
einer Ehe hinein gelauscht haben zu wollen. Jeder, der das gehört hatte, ging
fort. Keiner sah dabei den anderen an, und niemand sprach mehr darüber zu einem
anderen. Die Dorfbewohner vermieden von nun an diese Straße in der Abendzeit.
Ganz selten hörte ich noch, dass jemand sagte: 'Ja, die Frau des Malers schreit
immer noch. Wenn sie allerdings unter Leuten ist, ist sie eine so nette,
reizende, wirklich liebenswerte und hilfsbereite Frau, dass keiner sie auf ihr
Schreien anzusprechen wagt."
Die
Tante wandte sich direkt an mich: "Kannst du dir vorstellen, dass es bei
B. etwas ähnliches ist?"
Sie
wollte aber keine Antwort von mir und sagte gleich weiter: "Ich glaube,
dass ich die Frau des Malers jetzt ein wenig verstehen kann. Ich war ja nie
verheiratet. Und B. hat auch mit mir nicht über eure Probleme gesprochen. Ich
fühle aber, dass das etwas Ähnliches ist. Ja, das fühle ich ganz
deutlich."
Ich
fragte nicht nach und schwieg.
Die
Tante sagte dann: "Wir mussten das Dorf wieder verlassen. Ich weiß nicht,
was aus denen geworden ist."
Von
nun an war diese Geschichte in meinem Kopf. Ich begann darüber nachzudenken und
hätte zu gerne gewusst, ob die Frau des Malers immer von sich aus wieder in das
Zimmer zurückgeklettert war, ob ihr Mann sie hereingeholt hatte oder ob er
selbst vielleicht, das Haus verlassen hatte, um abzuwarten, bis sie sich wieder
gefangen hatte.
Wir
unterhielten uns noch ein wenig über ganz andere Dinge, auch darüber, wer alles
am Geburtstag bei ihr zu Besuch gewesen war und wie das Essen geschmeckt hatte.
Sie:
"Alle waren zufrieden, glaub ich. Es hat allen gut geschmeckt." Mir
fielen die Gurkenscheiben wieder ein. Andererseits wusste ich aber, dass B. das
Fest ausgerichtet hatte. Da konnte nichts schiefgegangen sein.
Schließlich
musste ich gehen und sagte noch: "Vielleicht hat der da oben ja ein
Einsehen mit B. und mir und lässt zwischen uns alles wieder gut werden."
Sie:
"Das will ich euch beiden wünschen."
Ich
dachte, dass sie mit dem 'euch' doch sehr aufmerksam war, weder mir noch B.
allein sondern uns das zu wünschen. Danach ging ich ganz zufrieden fort. Sie
hatte mir noch etwas mit auf den Weg geben können.
Wenn
die anderen aus der Familie sagten: 'Bei Tanti müsst ihr aufpassen, die bringt
jetzt immer mehr durcheinander, die versteht immer nur die Hälfte und macht
sich selbst einen Reim daraus,' dann hätte ich nur vom Gegenteil berichten
können. Alles hatte Hand und Fuß und war für mich von großer Bedeutung. Was ich
von ihr erfahren hatte, brachte mich zwar nicht voran, ich hatte aber einmal
mehr die Einsicht gewonnen, dass auch andere Menschen und zu anderen Zeiten
ihre Nöte kannten. Es beruhigte mich zu wissen, dass ich nicht alleine war.
Ich
dachte viel über die Geschichte nach. Die Tatsache, dass die Frau des Malers in
das Zimmer guckte, brachte mir die Erkenntnis, dass ich selbst mich viel zu
wenig nach außen öffnete. Es kam vor, dass ich mit niemandem außerhalb der
Therapiegruppe über meine Gefühle sprach. Wenn es dennoch geschah, dann waren
es fast ausschließlich meine erwachsenen Kinder. Die aber, so hatte ich mir
fest vorgenommen, wollte ich nun nicht mehr belästigen. Ich konnte sicher sein,
ihnen damit einen Gefallen zu tun. Als ich danach wieder einmal meinen Sohn
anrief, tat ich es in der Absicht, wirklich alles, was meine Misere betraf,
außen vor zu lassen. Wir hatten ein wunderbares Gespräch, zunächst über sein
Studium, über Literatur, Bilder, die Sprache, über die Herkunft einzelner
Wörter, über Dinge, die mich für Minuten alles vergessen ließen. Dann
unterhielten wir uns über eine große Kunstausstellung, die derzeit lief, und
ich erzählte ihm von einer jungen Frau, die ich dort als Führerin unserer
Gruppe erlebt hatte. Sie hatte mich bis zur Atemlosigkeit begeistert. Das
erklärte ich ihm und beschrieb, wie geschickt und fast theatralisch sie mit
Wörtern umgegangen war und wie spielerisch, ja geradezu künstlerisch sie ihren
Worten mit den Händen Gestalt geben konnte. Sie hatte die wie selbständige
Tänzerinnen bewegt und ihren eigenen Körper so bis in die Füße zum Bestandteil
der Erklärungen gemacht. Die wurden selbst fast nebensächlich. Ich hatte ihr
begeistert zugehört, als wäre sie eine Märchenerzählerin aus einer fremden
Welt, als erschlösse das, was sie sagte, wie sie es sagte und dass sie es
überhaupt sagte, eine eigene Kunstausstellung. Ich hatte es mit Leidenschaft
genossen. Das Besondere dieser jungen Frau war den meisten aufgefallen. Ich
blieb so gefangen von ihr, dass ich sie in einer kleinen Pause angesprochen
hatte. Sie war Studentin und verdiente sich mit den Führungen ihr Geld. Sie
studierte die deutsche Sprache.
"Wissen
Sie“, hatte sie zu mir gesagt, "das setzt eigentlich schon voraus, dass
man die Wörter liebt. Zuvor habe ich Theater gespielt. Sehr intensiv. Und ich
pflege und liebe seit dem meine Körpersprache und auch meine Sprache und meine
Aussprache über alles."
Davon
musste ich meinem Sohn überschwänglich berichten, und er hörte aufmerksam zu.
Auf der Ausstellung war er selbst gewesen, so dass er wusste, was sie erklärt
hatte.
Die
Beschreibung der Studentin gefiel ihm. Ganz zum Schluss, nachdem wir etwa eine
Stunde so miteinander gesprochen hatten, fragte ich ihn, ob es irgendetwas
Neues gäbe. Er zögerte ein wenig, dann sagte er: "Eigentlich nichts
Besonderes. Du bist doch neulich bei der Tante gewesen, ja?"
Ich
war erstaunt über seine Frage: "Warum? Es war sehr nett bei ihr. Nur zu
essen hatte sie nichts. Das sollte zwar eine Einladung gewesen sein, aber sie
hatte mir nur Gurkenscheiben aufgehoben."
Er:
"Das ist witzig. Nein, ich meine etwas anderes. Sie hat noch nachts um elf
Uhr bei ihrer Schwester, bei Omi, angerufen."
Ich:
"Und, warum? Ist sie im Krankenhaus?"
Er:
"Ach, was. Sie hat sich Sorgen um dich gemacht."
Ich:
"Sorgen? Wieso."
"Ja,
weil du gesagt hast, wenn es mit B. und dir nicht wieder in Ordnung kommt,
weißt du nicht, was du tust."
Ich
war erschrocken, und entsetzt über diese Wendung: "Das hat sie gesagt?"
"Ja."
Ich:
"0, Gott."
Er:
"Ja."
"Dann
hat deine Großmutter natürlich noch in der Nacht bei B. angerufen und ihr das
weitererzählt? Ja?"
Er:
"Stimmt."
"Und
Mami denkt, dass ich sie damit erpressen will, über die Tante als Umweg."
Er: "Ja."
Ich zu ihm: "Denkt ihr das alle?"
Er: "Schon."
Ich war verzweifelt: "Du glaubst doch nicht, dass ich
zur Tante geh und so etwas erzähle, damit ich Mami unter Druck setzten kann.
Ich müsste ja verrückt sein."
Es war während des Gespräches mit meinem Sohn an diesem
Abend noch nicht allzu spät geworden. Ich dachte krampfhaft nach, wie ich
diesen Irrtum so schnell wie möglich aus der Welt schaffen konnte. Meinen Sohn
wollte ich auf gar keinen Fall für meine Interessen einspannen. Ich sah aber
keinen anderen Weg und sagte zu ihm: "Sprichst du heute noch mit Mami?
Kannst du mit ihr sprechen und die Sache aufklären? Es ist wahrhaftig so, dass
ich mit der Tante ein sehr nettes Gespräch gehabt habe. Zum Schluss fiel eine
Bemerkung von mir. Die hat sie vielleicht falsch verstanden. Weißt du, ich habe
gesagt, weil sie doch so einen heißen Draht zum lieben Gott hat: 'Es gibt noch
jemanden da oben und vielleicht kommt ja doch alles wieder in Ordnung', oder so
ähnlich. Und sie hat gesagt, dass sie uns beiden das wünscht. Das ist doch
etwas ganz anderes."
Er: "Ja, das hört sich anders an. Aber du weißt ja,
wie sie ist. Sie versteht vieles nicht richtig oder gar nicht. Manchmal erzählt
sie das auch so weiter, wie sie es verstanden hat. Dann kommt eben so etwas
dabei heraus."
Ich konnte das ganze nicht glauben, mich kaum beruhigen
und fragte noch einmal nach: "Würdest du das bitte für mich bei Mami
aufklären und richtig stellen? Du verstehst, dass mir das ganz wichtig ist.
Könntest du sie heute noch anrufen? Würdest du das machen?"
Er blieb ganz gelassen: "Ich wollte sie heute sowieso
noch sprechen. Dann stell ich das richtig."
Ich hätte ihn umarmen können. So wichtig war mir die
Sache. Ich bedankte mich und wir verabschiedeten uns.
Ich durchdachte noch einmal das Gespräch mit der Tante, ob
ich vielleicht doch etwas Derartiges gesagt haben konnte, denn sie war mir so
sicher im Gespräch vorgekommen, dass ich ihr diese Verwirrung nicht
unterstellen mochte.
Sie musste aber meine letzten Bemerkungen anders verstanden oder so in Erinnerung
behalten haben, dass das dabei herausgekommen war. Wenn nicht meine Angst
gewesen wäre, dass sich B. von mir hätte erpresst fühlen können und meine Sache
dadurch verschlimmert worden wäre, hätte ich selber bei ihr angerufen. Dass die
alte Dame vieles durcheinander brachte, hatte ich ja vorher gewusst. Das war
natürlich auch B. bekannt. Glauben konnte ich es allerdings immer noch nicht.
Ich war unsicher, wie ernsthaft B. das Erzählte aufgefasst hatte. Immerhin
hätte ja auch sie Gelegenheit gehabt, bei mir nachzufragen, ob es damit seine
Richtigkeit hatte. Darüber länger zu spekulieren blieb aber müßig. Genauso, wie
meine Selbstvorwürfe, dass ich nun doch meinen Sohn zu meinem Boten gemacht
hatte.
Wie
hilflos kam ich mir vor. Ich kam wirklich keinen einzigen Schritt voran. Ich
dachte an B. Wie mochte es in ihr aussehen. Konnte sie so versteinert sein, wie
sie mir vorkam, oder war alles viel harmloser. War ich ihr ganz schlicht
gleichgültig geworden. Diese Gedanken belasteten mich schwerer und schwerer,
machten mich unendlich traurig und ließen zwischendurch immer wieder Wut in mir
aufsteigen. Die wollte ich aber nicht zulassen, weil ich sie allzu schnell als
Selbstmitleid entlarven konnte.
Darunter
hatte ich zu lange und zu schlimm gelitten.
Ich
wurde sehr krank. Es hatte mit monatelangen Herzschmerzen begonnen, die ich vor
mir selbst versteckt und öfter und öfter auf meine Lebensweise geschoben hatte.
Das eine Mal redete ich mir ein, zu wenig Vitamine zu mir zu nehmen, das andere
Mal glaubte ich felsenfest, dass es vom Alkohol, meiner abendlichen Dose Bier
und einem Schnaps kam. Dann war ich mir ganz sicher, dass es nur ein
schmerzhafter Ausdruck meines Körpers war, den die Trennung von B. mit sich
brachte.
Die
Schmerzen wurden aber immer deutlicher, mir bewusster und bedrohlicher, so dass
ich schließlich, als keine Besserung eintrat, einen Arzt aufsuchte. Die
Ergebnisse, die er von seinen Apparaturen ablas, waren nicht beunruhigend, aber
kleine störende Rhythmusabweichungen machten ihn unsicher, so dass er mich zu
immer neuen Internisten schickte, die mich mit Spezialgeräten untersuchten und
das auch auf Monitoren während der Behandlung zeigten. Die Ärzte waren sich
scheinbar einig, dass ich ein neugieriger Mensch sein musste und selbst deren
Erläuterungen an Monitoren begierig hören wollte. Ich gab es schon nach kurzer
Zeit auf, zu erklären, dass ich vor derartigen Bildern eine tiefe Angst empfand
und suchte mir deshalb zu Beginn der Untersuchungen in der Nähe der Ärzte oder
Ärztinnen einen Blickpunkt, auf den ich mich konzentrierte, um mich abzulenken.
Entsprechend dürftig blieb mein Wissen um die Ursachen meiner Beschwerden. Wenn
ich vor meinem inneren Auge einmal alles Revue passieren ließ, dann war kein
greifbares Ergebnis zustande gekommen. Das hätte mich sehr beruhigen müssen.
Ich war auch zufrieden, konnte aber meine anhaltenden Herzschmerzen damit nicht
aus der Welt schaffen. Es gab auch keine besonderen Umstände unter denen sie
verstärkt aufgetreten wären. Ein halbes Jahr nach dem ersten Aufsuchen meines
Arztes saß ich schließlich wieder dort. Er stellte durch eine Nachuntersuchung
fest, dass die Unregelmäßigkeiten der Kurven nun schon bei weit geringerer
Belastung als zu Anfang auffielen. Das ließ ihn erneut nach Fachleuten Ausschau
halten und er überwies mich in ein Krankenhaus. Mit Geräten, die ihm nicht zur
Verfügung standen, sollte mein Herz von innen betrachtet werden. Insbesondere
sollten alle Herzkranzgefäße untersucht und eine drohende Gefahr entweder
erkannt oder ausgeschlossen werden. Mir machte das sehr viel Angst, die ich
unverhohlen zeigte. Auch die beruhigenden Worte des Arztes und seine Aufklärung
über das, was gemacht werden müsste, konnten mir nicht helfen. Der Termin, den
er für mich vereinbarte, lag so weit voraus, dass ich das Warten bis dahin
nicht ertragen würde. Ich rief deshalb von mir aus erneut beim Krankenhaus an
und bat darum, mich vorzuziehen. Ich wollte diese schlimmen Tage möglichst
schnell hinter mich bringen. Man kam mir entgegen und ich erreichte es, dass
mir schon für die kommende Woche ein Bett zugewiesen wurde.
Als
ich am Tag davor meine Sachen zusammenpacken wollte, der Aufenthalt dort sollte
immerhin wenigstens drei Tage dauern, stellte ich fest, dass ich nicht einmal
einen Koffer, keine größere Tasche oder etwas Ähnliches besaß. Ich musste noch
einmal in meine Firma fahren und mir von dort den leergemachten
Instrumentenrucksack ausleihen. Mit dem erschien ich auf der Station. Ich
brachte viel Zeit mit und bekam, nachdem die ganzen Formalitäten erledigt waren,
ein Bett zugewiesen.
Die
Station wurde von einer wortkargen Ausländerin als Oberschwester geleitet.
Sonst huschten oder schlurften blutjunge Krankenschwestern und sehr junge
Pfleger über die Flure und machten ihren Dienst. Selten kam ein Arzt vorbei. Der
wurde dann von der Oberschwester dirigiert. Nur die Professoren nahmen sich
einige Selbständigkeiten heraus. Aber auch sie gingen nicht alleine in die
Krankenzimmer. Das lag hauptsächlich daran, dass sie zwar ihre ‚eigenen Betten'
hatten, sich aber manchmal zwei von ihnen ein Zimmer 'teilen' mussten. Ich
konnte dieses Treiben am ersten Tag sehr schön beobachten, weil ich untätig
herumsaß. Mit mir sollte außer einer Blutentnahme noch nichts weiter geschehen.
Darüber dachte ich aber nicht weiter nach. Ich las ein Buch.
In
dem Zimmer, in welchem mein Bett stand, lag noch ein anderer Patient. Der war
etwa siebenunddreißig Jahre alt. Er hatte ein Telefon am Bett. Das klingelte
unentwegt, als stünde es in einem Managerbüro. Den Mann strengte das an, aber
wenn es klingelte, meldete er sich mit gewollt fester Stimme. Ich hatte den
Eindruck, dass er jedem Anrufer den Eindruck vermitteln wollte, dass er hier
nur liege, weil es offenbar ein Versehen der Ärzte oder seiner eigenen
Befindlichkeit war und dass er ganz bestimmt sehr schnell wieder herauskommen
würde. Die Ärzte aber, die ihn besuchten, fanden mehr und mehr durch die
Untersuchungsergebnisse bestätigt, dass sich eine äußerst ernst zu nehmende
Blutkrankheit in seinem Körper ausgebreitet hatte.
Sie
drangen in ihn: "Die können wir nur gemeinsam besiegen. Sie müssen
unbedingt mit uns gemeinsam einen starken Willen zeigen und auch dagegen
ankämpfen wollen."
Die
Ärzte deuteten zwar noch gewisse Unsicherheiten in der endgültigen Diagnose an.
Für diesen Mann, als Patienten, musste es aber heißen, sofort mit
gesundheitlichen Strapazen wie Rauchen und Kaffeetrinken aufzuhören. Das
brachte der jedoch nicht fertig. Er war zwar stolz darauf, dass er die alte
Menge an Zigaretten nicht mehr brauchte, ging oder besser schleppte sich aber,
ohne auf die Ermahnungen zu achten, heimlich auf die Toilette oder in eine
Flurecke, um dort mit einer Zigarette einen Hauch verlorener oder alter
Lebenslust zurückzugewinnen.
Sein
sehr lieber Freund, ein griechischer Student, betreute ihn jeden Nachmittag
über viele Stunden, manchmal bis in die Nacht hinein und versorgte ihn wie
gewohnt mit Kaffee. Der war, wie er mir heimlich sagte, inzwischen koffeinfrei,
so dass hier wenigstens die größte Gefahr gebannt zu sein schien. Alles in
allem richtete sich der Patient auch nicht nach den Essregeln der Station
sondern ließ sich von der Familie zusätzlich mit Obst, Torten, Keksen,
Schokolade versorgen. Ihm ging es einerseits durch die Kunst der Ärzte langsam
besser, weil sein Fieber zurückging. Andererseits hing er aber Tag und Nacht an
einem Tropf, der ihn sehr behinderte, und seinen Körper konnte er nur unter
immer größer werdende Schmerzen bewegen. Sein Freund litt mit ihm und wollte
ihm alles so bequem wie nur irgend möglich herrichten. Es war schon fast
aufdringlich, wie er sich um ihn kümmerte.
Am
zweiten Tag musste ich nüchtern bleiben. Dann, gegen Mittag, schickte man mich
los. Nur mit Schlafanzug und Bademantel, bei einer Außentemperatur von höchsten
sechs oder acht Grad, bekleidet, hatte ich mich in einer Kellerstation eines
anderen Gebäudes zu melden. Dort sollten die Untersuchungen durchgeführt
werden. Ich verirrte mich im Gelände und traf mit ziemlicher Verspätung ein.
Trotzdem musste ich noch lange warten. Als ich an der Reihe war, begrüßte mich
der Professor. Dem eröffnete ich sofort meine bedrückende Angst, die er mir
wohl auch so vom Gesicht abgelesen haben musste. Er und eine Ärztin redeten auf
mich ein, ohne etwas zu beschönigen und ich konnte nur erreichen, keinen
Bildschirm in meinem Blickfeld zu haben. Stattdessen schaute ich unentwegt aus
nächster Nähe auf ein Ohrläppchen der mitbehandelnden Ärztin. Sie trug schöne
Perlenohrstecker, wie sie B. auch trug. Ja, sie hatte tatsächlich auch sonst
entfernt Ähnlichkeit mit ihr. Sie war liebenswürdig und lächelte häufig.
Manchmal schaute sie mich an. Einmal sagte sie: "Was glauben sie, warum
wir hier mit so Vielen sind. Sie brauchen wirklich keine Angst zu haben."
Während der Untersuchung, die mit einem unmerklichen Schnitt begann, schauten
der Professor und sie wie gebannt in eine Ecke. Ab und zu hörte ich sie
staunen: "So sollte es immer sein. Sehen sie hier?"
Sie
zeigten sich gegenseitig Interessantes und waren glücklich, dass es bei mir 'so
schnell wie noch nie zuvor' voranging.
"Es
ist kein Befund. Alles ist in Ordnung. Organisch können wir nichts feststellen.
Da können wir nur gratulieren."
Ich
wurde aufwendig mit einem Druckverband versorgt. Den legte die Ärztin an.
Darüber freute ich mich. Ich sagte ihr das.
Dann:
"Ich habe die ganze Zeit nur auf ihren Ohrstecker geschaut. Dabei habe ich
darüber nachgedacht, was für ein Frauentyp sie sind."
Sie
wurde neugierig. Sie suchte aber auch das Gespräch, weil sie für die nächsten
zwanzig Minuten die Hauptschlagader in meiner rechten Leiste abdrücken musste.
Das ging nicht schneller, nicht so leicht und kostete Kraft. Das sah ich ihr
an.
Sie:
"Und? Ergebnis?"
Ich
zögerte ein wenig, weil ich sie nicht falsch einschätzen wollte.
"Einerseits sind Frauen, die Perlen in den Ohren tragen, romantisch
veranlagt, andererseits wissen sie genau, was sie wollen." Das schien sie
gehört haben zu wollen.
Sie
sagte: "Das müssen sie dem Doktor sagen."
Ich
wusste nicht genau, von wem sie sprach. Außer dem Professor und ihr kam nur
noch ein jüngerer Arzt in Frage. Den musste sie meinen, und Doktor hatte sie
nur gesagt, um ihn vom Professor zu unterscheiden.
Ich
sprach langsam, weil ich so viel Zeit hatte, und fragte: "Was soll ich ihm
sagen, dass ihnen die Perlen in den Ohren stehen? Dass Sie sie tragen? Dass sie
romantisch sind und wissen was sie wollen? Wollen sie wirklich, dass ich ihm
sowas sage?"
Dann
fragte ich noch einmal: "Wollen Sie wirklich, dass ich ihm das sage?"
Sie:
"Ja. Sagen sie ihm alles, was sie mir gesagt haben. Bitte. Sagen sie es
ihm."
Das
erstaunte mich und ich dachte: 'Soll ich Liebesbote spielen oder gibt es andere
Gründe. ‘ Ich verstand ihre Absicht nicht.
Ich
fragte unvermittelt: "Habe ich stark geblutet?"
Sie:
"So stark hat keiner vor ihnen geblutet. Die Hauptschlagader war einmal
ganz auf. Das spritzte bis an die Decke. Das konnten sie nicht sehen."
Pause.
Das
Abdrücken strengte sie sehr an.
Dann:
"Während der Operation ist auch noch viel Blut geflossen." Dabei sah
sie mit Neugier auf mich herab. Ich schwieg dazu. Als sie schließlich fertig
war, bedankte ich mich. Mehr sprachen wir nicht miteinander.
Ich
blieb verbunden und verpackt über eine Stunde im Bett auf dem Flur stehen. Dann
kamen zwei Krankenträger, die mich mit einem Auto zurückfuhren und bis in mein
Zimmer brachten. Vierundzwanzig Stunden lang durfte ich das Bett nicht
verlassen.
Das
Wasserlassen war für mich das größte Problem. Der Arzt aus dem Operationsraum
besuchte mich. Dem erzählte ich mein Problem.
Er
meinte: "Wenn es nicht geht, können wir einen Katheter legen. Dann
sprudelt es."
Ich
dachte an die Ärztin und dass nun Gelegenheit wäre, ihm die Botschaft zukommen
zu lassen. Das tat ich aber nicht.
Der
Arzt sagte: "Morgen schaut der Professor nach Ihnen." Ich bedankte
mich, dann ging er.
Er
kam aber gleich zurück: "Sie können dann auch entlassen werden."
Daran hatte ich überhaupt nicht mehr gedacht. Der Gedanke war in diesem
Augenblick völlig überraschend für mich. Ja, er brachte mir etwas Schlimmes,
ein Gefühl von Gefahr. Das konnte ich nicht unterbringen. In den wenigen Tagen,
die ich von meiner Wohnung fort war, hatte ich sie schon völlig vergessen. Sie
war mir so fremd geworden, dass ich Mühe hatte, mich an sie zu erinnern. Ich
musste innerlich schmerzlich darüber lächeln, dass ich nach Hause sollte. Es
war ja gar nicht mein Zuhause. Das wurde mir hier richtig bewusst. B. war mein
Zuhause. B. war meine Heimat, sie war meine Wohnung. Ich beschloss, den
Gedanken an Heimkehr einfach beiseite zu schieben und widmete mich wieder völlig
der Gegenwart, als handelte es sich um einen gewollten Aufenthalt.
So
gut es in meiner Bettlägerigkeit ging, unterhielt ich mich mit meinem Nachbarn.
Ich schenkte ihm eine handtellergroße Zeichnung, die ich von ihm am ersten Tag
angefertigt hatte. Die war ganz gut gelungen, aber er verstand nichts von Kunst
und benutzte das Blatt später als Untersatz für seine Kaffeetasse. Ich
bedauerte diese Missachtung, sein geringes Verständnis. Vielleicht war er durch
seine Leiden zu sehr abgelenkt. Trotzdem hätte es nicht dazu führen dürfen, die
kleine Arbeit zu missbrauchen. Solche Menschen traf ich immer wieder an. Sie
waren selten fähig, das Kunstvolle zu erkennen, das Handgemachte, das
Liebevolle und das Geschenk an sich. Seinem griechischen Freund schenkte ich
ebenfalls ein Bild. Der wiederum war zu bescheiden. Er wollte es unter gar
keinen Umständen annehmen. Dabei hatte er sich so gut zeichnen lassen. Ohne ihn
zu einer bestimmten Position aufzufordern, nur durch seine Anwesenheit entstand
das Bild. Er schien mir eine lebendig gewordene griechische Statue zu sein. Ich
war von ihm begeistert. Das Bild legte ich ihm zwar hin, aber er ließ es liegen
und nahm es nicht an. Zurücknehmen mochte ich es auch nicht, obwohl ich es
sowieso am liebsten selbst behalten hätte. Weil mir das Zeichnen Spaß machte, widmete ich mich nun einem Stillleben.
Es stand ein wunderschöner Rosenstrauß in einer Vase. Daraus umschloss ich eine
Blüte mit einem Stückchen bis zur Hälfte eingerissenen Papier, so dass sie
allein übrig blieb und bedeutungsvoll wurde. Ich zeichnete sie, zusammen mit
dem Papierschnipsel. Eine andere Rosenblüte schaute wie zufällig über den
Papierrand. Sie schienen sich zu unterhalten. Das Zeichnen machte mich
genießerisch, ja geradezu glücklich. Meine trüben Gedanken waren völlig
verflogen. Das kleine Bildchen ließ mich alles vergessen. Die zwei Rosen wurden
fast zu einem Liebespaar, das durch den mitgezeichneten Papierschnipsel wie
durch einen See voneinander getrennt war. Eine Rose schwamm im See aus Papier,
die andere stand sehnsuchtsvoll an dessen Ufer. Auf das gezeichnete Papier
legte ich, wegen der räumlichen Wirkung noch ein paar Tautropfen. Die regten
die Phantasie zusätzlich an und brachten Räumlichkeit. Sie hatten sonst keine
Bedeutung. Sie waren ein Spiel mit Schatten. Alle drei Zeichnungen hatte ich
nur mit Kugelschreiber herstellen können. Ich musste mir daher sehr große Mühe
geben, um Helligkeit, Bedeutendes und Unwichtiges darin voneinander zu
unterscheiden. Leider begann ich einige der Striche schon von Anfang an zu
stark. Deshalb mussten die dunklen Stellen noch dunkler werden. Dadurch
gewannen aber gerade diese Bildchen besonders an Tiefe. Ach, ich tauchte ein in
eine andere Welt. Es war zu schön. Nur, dass ich nicht aufstehen konnte, erwies
sich als sehr lästig. Eine der Krankenschwestern, sie war etwa zweiundzwanzig
Jahre alt, strahlte ebenfalls große Ähnlichkeit mit B. aus. Die lag nicht so
sehr in ihrem Äußeren, als vielmehr in ihrem Verhalten, wie sie mich ansprach
und wie sie "Guten Morgen" sagte und abends eine gute Nacht wünschte.
Dass ich hier wegen eines Leidens lag oder wegen keines Leidens war mir ganz
und gar entfallen. Schlagartig aber, als sich diese Krankenschwester von uns
verabschiedete, weil sie in Urlaub fahren würde, holte mich die Vergangenheit
von einer Sekunde zur anderen wieder ein.
Kurz
vor meinem Aufenthalt hier, hatte ich B. in einem Brief alles mitgeteilt, dass
ich ins Krankenhaus müsste und auch, was mein Hausarzt dazu gesagt hatte:
"Entweder finden die im Krankenhaus etwas, dann wissen wir, was Sie haben
oder es bleibt beim 'Herzeleid'. Das kommt dann von der Trennung."
Das
mit der Trennung hatte ich ihr nicht geschrieben, das würde sie sich selbst denken
können. B. hatte mit meinem Sohn ihre Reise ins nahe Ausland gebucht und würde
mich während des Krankenhausaufenthaltes nicht besuchen kommen. Sie rief aber
kurz vor ihrer Abreise noch bei mir an und wünschte mir alles Gute. Das sagte
sie mit spärlichen Worten, als hätte sie Angst vor jedem Wort zuviel.
Ich
hielt ihr vor: "Jetzt ruf ich schon einmal um Hilfe und nichts passiert.
Ja, ich hätte gern, dass du wenigstens erreichbar bist, wenn ich im Krankenhaus
verrecke."
Das
hat sie aber wenig gerührt. Jedenfalls ließ sie es mich durch Worte nicht
spüren. Meinem Sohn hatte ich die Telefonnummer des Krankenhauses gegeben und
versprochen, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen, sobald ich etwas wüsste.
Damit verbunden war meine Annahme, dass sich B. bei ihm melden würde, um sich
nach mir zu erkundigen. Denn, dass sie über meinen Zustand hätte informiert
sein wollen, nahm ich in jedem Fall an. Die Angst vor dem Krankenhaus hatte
mich aber so sehr bedrängt, dass ich ein Testament und unter unendlich vielen Tränen
einen Abschiedsbrief an B. verfasst hatte. Die beiden Briefe lagen in meinen
Akten. Die würden gefunden werden, falls mir etwas zustoßen sollte. Das alles
fiel mir, als sich die Schwester verabschiedete, ein. Es überrollte mich die
Lawine von Mutterlosigkeit, Sehnsucht nach B., den Gefühlen nicht geliebt zu
werden und nicht vermisst zu werden, die Panik des Verlassenseins und am
schlimmsten die, schutzlos dem Verletztwerden ausgeliefert gewesen zu sein.
Sorge, Sehnsucht, Trauer und verzweifeltes Hoffen auf ein Einlenken von B.
machten sich wieder breit. Ich wollte das nicht zulassen und wehrte mich
verzweifelt dagegen. Ich zwang mich zum Handeln und bat meinen Bettnachbarn bei
meinem Sohn anzurufen und ihm zu sagen, dass ich am nächsten Tag entlassen werden
würde. Das machte der sofort. Mein Sohn ließ grüßen und übermittelte uns beiden
seine Genesungswünsche. Gleich danach erschien die Krankenschwester um sich
endgültig von den Patienten zu verabschieden. Ich fragte sie, als würde ich sie
seit Ewigkeiten kennen: "Darf ich Ihnen ein kleines Bild schenken? Aus
Freude, weil sie mir so gefallen." Sie sah mich an, nahm mir das Bild aus
der Hand, und sagte artig: "Danke." Dann schaute sehr interessiert
darauf. Sie sah jede Einzelheit, die sie mit Freude über die Entdeckung mit
ihrem Gesichtsausdruck beschrieb. Sie sagte: "Sie können wirklich sehr gut
zeichnen. Das sieht man sofort."
Ich
sagte: "Sie könnten meine Tochter sein. Aber wenn ich zwanzig Jahre jünger
wäre, würde ich mich wie ein Verrückter in sie verlieben. Ja, wie ein
Verrückter." Damit deckte ich mich etwas zu und sah halb zur Seite. Sie
schaute aber auf mich. Es lag ein Bedauern in ihren Zügen. Dann ging sie
rückwärts aus dem Raum. Sie hielt die kleine Zeichnung fest in ihrer Hand,
immer noch dicht vor ihrem Gesicht, schaute dann über den Rand des Zettels und
ließ den Blick nicht von mir. Danach habe ich sie nicht wieder gesehen. Die
Leichtigkeit meines Aufenthaltes war dahin. Ich überlegte, ob ich für die Nacht
ein Beruhigungsmittel nehmen sollte. Das tat ich, weil ich auch Kopfschmerzen
bekam. Die setzten mit großer Heftigkeit ein.
Am
anderen Morgen sollte der Professor zur Visite kommen. Mir ging es, soweit wie
ich es beurteilen konnte, gut. Der Verband würde abgenommen werden können, aber
daran, dass ich nach Hause konnte oder sollte, wollte ich nicht denken.
Der
Professor erschien gegen Mittag mit dem Arzt und zwei Schwestern. Sie erklärten
mir viel und beschrieben es, dann gratulierten sie mir: "Sie sind völlig
gesund. Wir haben nichts gefunden. Darüber können sie sich freuen."
Dann
nach einer Pause des Erstaunens über meine Interesselosigkeit: "Das kommt
sehr selten bei uns vor."
Sie
waren sich einig: ich war kerngesund. Jeder gab mir die Hand, als wäre meine
Gesundheit ihr Werk, oder als könnten sie meine Ungläubigkeit nicht verstehen.
Eine Schwester sagte und fragte deshalb: "Sie können sich wirklich freuen.
Freuen Sie sich nicht darüber? Sie sollten sich wirklich freuen." Ich
hörte das alles, als sprächen Menschen von einem anderen Stern mit mir.
Ich
dachte einen Augenblick an meinen kranken Mitpatienten und war froh, dass der
nicht mit zuhören musste. Er war unterwegs zu einer Behandlung. Dann
verabschiedeten sich alle. Ich spürte meinen Verband, er drückte stark und
sollte eigentlich entfernt werden. Davon hatte ich aber nichts gesagt. Als alle
draußen waren, überfiel mich ein unangenehmes Gefühl. Eine grausame Schwäche
und Eiseskälte stieg in mir auf. Ich begann zu schwitzen, obwohl ich
schrecklich fror, und hob die Bettdecke ein wenig an. Als ob ich mit Wasser
übergossen würde, lief der Schweiß auf das Laken. Mich verließen die Kräfte so
schnell, dass die Decke meinen Händen entglitt. Ich dachte daran, Hilfe
herbeizurufen und langte mühsam nach dem Alarmknopf. Dann traute ich mich aber
doch nicht zu drücken. Ich schämte mich, jetzt, nach der Visite, Alarm zu
geben. Ich spürte, dass mir nur noch wenig Zeit blieb. Alles ging so schnell.
Selbst die Kraft, um diesen kleinen Knopf zu drücken, schwand rasend schnell.
Als ich wieder zu mir kam, stand mein Bett ganz schräge. Der Kopf hing tief
nach unten, die Beine waren hoch oben. In meinem linken Arm steckte eine Nadel
und aus einer Flasche tropfte es in eine Leitung und von dort lief es direkt in
die Nadel. Alle Vier standen wieder um mich herum.
Der
Arzt sagte: "Jetzt wissen wir, was sie haben. Ihr vegetatives Nervensystem
wollte sich von Ihnen verabschieden."
Ich
fühlte mich mit jeder Sekunde wohler und dem Leben näher. Ich fragte nicht,
warum sie zurückgekommen waren. Ich glaube aber, dass ich doch noch auf den
Knopf gedrückt hatte. Ich wollte wissen, was das ist: vegetatives Nervensystem
und fragte. Alle überschütteten mich gleichzeitig mit Auskünften. Merken konnte
ich mir davon nur, dass mein Hausarzt mit seinem 'Herzeleid' wohl die Sache recht
gut beschrieben hatte.
Ich
sagte dann, als wäre es etwas Verbotenes: "Unter diesen Umständen würde
ich gerne noch einen Tag länger hier bleiben. Zuhause bin ich allein, und wenn
sich so ein Zwischenfall wiederholt, kann ich mir nicht helfen." Die Gesellschaft
der Ärzte wurde dadurch sehr belustigt. Dass jemand freiwillig im Krankenhaus
bleiben wollte, war neu und nicht normal. Das Bett wurde aber nicht gebraucht
und man ließ mich machen, was ich vorhatte. Nachmittags wurde der Verband
entfernt und ich genoss noch einmal einen Anflug des heiteren Gefühls.
Am
nächsten Tag gelang der Abschied von den Menschen schnell. Im Gelände lief ich
jedoch ziellos umher. Mit meinen Rucksack auf dem Buckel konnte ich die Welt
nicht verstehen. Der Gedanke an mein Zuhause wollte sich nicht einstellen. Nach
etwa einer Stunde nahm ich mir vor, einzukaufen, und zwar dort, wo ich immer
einzukaufen pflegte, um dann in Selbstbetrug die eingeübten Pfade nach Hause zu
finden und sie einfach zu benutzen. So kam ich, als wäre ich nur für einen
Einkauf fortgewesen, wieder Zuhause an. Meine Herzschmerzen sind seit dem Tage
geringer und mir nicht mehr so bewusst. In Wahrheit denke ich aber, dass ich
ihnen nur nicht mehr die Beachtung schenke, wie früher.
Ich
schrieb B. einen allerletzten Brief. Der entstand, weil ich in einer
Beratungsstelle für Trennungsprobleme doch noch Hilfe suchen wollte.
B.
war aber weder bereit mit mir gemeinsam dort hinzugehen, noch von sich aus
einen Termin zu vereinbaren.
"Wenn
ich mitkomme, „ sagte sie am Telefon, "dann nur, um vor einer neutralen
Person noch einmal deutlich zu sagen, dass ich nicht wieder mit dir
zusammenleben möchte."
Sie
war erregt und sagte gleich: "Wenn die mich auch nur ein einziges Mal
auffordern, es mit dir wieder zu versuchen, steh’ ich auf und gehe sofort
hinaus."
Ich
machte den Termin also nur für mich ab und wollte sie mit dem Brief einfach
wissen lassen, was ich erfahren hatte.
Ich
schrieb: "...und habe mit einer völlig fremden Frau gesprochen. Das hat
etwa eine Stunde gedauert. Die Frau war vielleicht fünfundvierzig Jahre alt.
Sie hat sich weniger für die Zusammenhänge interessiert, die anscheinend zur
Trennung geführt haben, als vielmehr für das letzte dreiviertel Jahr. Sie
fragte mich schließlich: 'Ist Ihnen schon der Gedanke gekommen, dass Ihre Frau
Rache nehmen will?'
Ich
kann damit wenig anfangen, weil mir der Gedanke nicht gekommen ist. Ich
schreibe es dir so auf, wie sie es
gesagt hat.
Übrigens
habe ich einen neuen Kanarienvogel. Der bemüht sich auch nach Kräften.
Ich
liebe dich, …“
Es
wäre zu schrecklich, wenn ich auch noch ihren Hass ertragen müsste. Hoffentlich
würde ich das nie erfahren.
B.
auf einer Postkarte an mich: "...Rache? Ist mir fremd."
Mich
packte die schreckliche Kälte dieses Satzes. Er ließ mich erahnen, wie sehr sie
all die Jahre darunter gelitten haben mochte, ihrer Liebe zu wem auch immer,
keinen körperlichen und gefühlswarmen Ausdruck gegeben zu haben. Nur ihr Hund
war eine sichtbare Ausnahme. Den konnte sie in den Arm nehmen, den konnte sie
streicheln, der kam ihr nahe, der war Ersatz für jeden Verlust und alle
Sehnsucht. Er half ihr über allen Kummer hinweg.
An
ihm verschwendete sie ihre Gefühle in angstvoller Weise. In sein Fell konnte
sie weinen. Wie liebeseingeschlossen und leidenschaftslos schien mir ihr Herz.
Mit welchen Gedanken und über wie lange Zeit mochte sie, zum Tun fest
entschlossen und doch völlig handlungsunfähig, ihre Lage und mich darin, vor
Augen gehabt haben.
In
meiner Wohnung habe ich ein großformatiges Bild begonnen. Der zukünftige Titel
ist wie aus einem Traum: „Polarfuchs auf der Jagd nach Schneeganseiern."
Im
dritten Jahr nach der Trennung von B. wurden die Ehe geschieden. Es war mein
Wunsch.
ISBN 9783744826280
Herstellung und Verlag: BoD, Norderstedt