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Harald Birgfeld, Webseite seit 1987/ Website since 1987 …da liegt mein Herz, Geschichten aus Niemandsland 2022 -2024 (im
Entstehen) z.B.: 100 Jahre „Kafka“, eine herrenlose Fundsache (neu) |
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zu Olympia – olympische Spiele! |
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online und im Buchhandel |
Lyrik, Prosa und Ingenieurarbeiten |
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Im
vorliegenden Band wird auf 140 Seiten in Anlehnung an „Geschichte eines
Außenlagers KZ Sasel“ der Hamburger Behörde für Schule, 1982, versucht
nachzuerzählen, was sich im KZ Sasel in den letzten Kriegsjahren ereignet hatte.
Es ist wichtig, der Jugend immer wieder davon zu berichten. Die Form eines
Vers-Epos scheint dem Autor dafür die dauerhafteste Art zu sein. |
Sasel, Geschichte eines
Außenlagers Vers-Epos In Anlehnung an: „Geschichte eines Außenlagers,
KZ-Sasel“, Freie und Hansestadt Hamburg, 1982 Jetzt: „Sasel, Geschichte eines Außenlagers“ direkt online
bestellen sowie im Buchhandel, 140 Seiten, Format A5. € 8,99 inkl.
MwSt. Zum Buchshop © 2020 Birgfeld, Harald „Sasel, Geschichte
eines Außenlagers“ ist
auch in den USA, Großbritannien und Kanada unter obiger ISBN und bei abweichenden
Preisen bestell- und lieferbar. Auch in Kürze
als E-Book, € 5,49 Zum Buchshop ISBN 9783751945264 |
Copyright 2020 beim Autor, Harald Birgfeld, alle Rechte vorbehalten. Kein Teil dieser
Veröffentlichung darf ohne schriftliche Erlaubnis des Herausgebers, Harald
Birgfeld, reproduziert werden. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen,
Übersetzungen, Verfilmung und Einspeicherung sowie Verarbeitung in
elektronischen Systemen.
Herausgeber, Autor, Redakteur: Harald
Birgfeld, e-mail:. Harald.Birgfeld@t-online.de
INHALTSVERZEICHNIS
Frau U., die
Lehrerin Steht
auch am Zaun, Und
die Gespräche gehen durcheinander, Sie
berichtet aus der Zeit, Das
ist die Zeit, von der wird hier berichtet, Als
die tausend Jahre Sich
schon zu dem Ende neigten, Und
das tiefe Schwarz Der
Winzigpunkte schwarzer Hemden, Die
einst ineinander liefen, Sich
im Raster wieder aufzulösen schienen, "Damals,"
sagt sie, "hatte ich die Wahl Und
hatte keine Wahl Und
hatte längst gewählt Und
war ein junges Mädchen, Das
versteckte seine Reize ordentlich, Und
meine Wahl galt nicht, Und
eine andre Wahl in meinem Herzen Durfte
ich nicht einmal mit dem Mund berühren. Ich
war noch im Studium, |
Da
fragte mich ein Schwarzhemd mit dem Rutenbündel, Und
es war sehr freundlich, Und
es war ein Mann. Ich
hatte oft von dem Versteck In
seinem Arm gehört Und
wählte aus der Wahl, die er mir gab: Die
war das Kettenwerk der Munitionsfabrik Am
Bahnhof Ochsenzoll, Um
Kriegseinsatz zu leisten, Und
ich brauchte so nicht in den Krieg, Und
andrerseits als Schaffnerin Auf
einer Straßenbahn, Die
hatte keinen Bunker, Und
ich würde meine Angst spazieren fahren. Und
ich ging mit anderen in die Fabrik, Dort
hatte man die Angst vor uns, Weil
wir noch gar nichts wussten, Und
man lehrte uns Die
Hände zu gebrauchen, Und
das, was wir selber hätten lehren können, |
Zu
vergessen, Und
wir lernten schnell Und
produzierten endlich Hülsen
für Granaten." Andrerseits
vom Zaun Erinnert
sich die Jugend nicht. Sie
wurde nie getötet, Nie
befreit, Sie
wurde nie beraubt, Beplündert
mit Gesetz und Ordnung, Und
man wird noch viel, viel schreiben müssen, Um
am Ende nichts zu schreiben, Weil
man's dann versteht Und
endlich kennenlernt Und
das Erkennen lernt. Frau
U. berichtet später über diese Angelegenheit, Die
sie betraf, Noch
ganz ausführlich, Und
es ist nicht nur die Angelegenheit, Die
sie betraf. |
Und
in einem Garten, Der
erlaubt nur junge Menschen, Lebten
fast in einem Paradies, Wenn
sie nicht wüssten, was hier vorher war. Auch
haben sie es nicht gelernt Sich
gegenseitig zu vermissen, Weil
sie, gänzlich ohne alle Sorgen, Niemals
umeinander Sorge hatten finden können, Ja,
sie möchten sich vermissen lernen. Und
ihr Heim liegt mitten in der grünen Landschaft, Die
ist gar nicht grün für sie, Weil sie das tote
Grau des Grauens Überhaupt nicht
kennen, Und sie leben in dem
Alstertal Und gehen an den
Gartenzaun Und horchen auf die
Steine Und auf die
Gespräche dieser Steine, Die befinden sich
noch In dem ersten Echo, Sind noch nicht so
alt, Man kann sie gut
vernehmen, Und die jungen
Menschen schreiben alles in der Eile auf, Die kommt nun fast
zu spät Und rettet doch noch
alles, Was sich schon auf das
Vergessen werden vorbereitete. Die Hast von damals
taucht vor ihnen auf, Und wo sie stehen, Stand zuvor ein
Lager, Das war aufgestanden Und zerfallen bis
auf einen Rest Und einen Stein, der
wurd' behauen Und ist nass von
immer neuen Tränen, Und er ist so grau, Dass man das Grün um
ihn herum erkennen kann. Das alles steht am
Zaun von Sasel, Darin liegt das
Alstertal, Das ist nichts
weiter als Geschichte, Die man vor dem
Untergang Noch schnell
befragt, Und so viel weiß man
noch genau, Das Grau, von dem
sie sprachen, Wird sich
schrecklich |
Mit dem Rot
vermischen, Dass man auf das
Grün, Um dessentwillen man
mit Steinen spricht, Wird kaum noch
hoffen können. Die, die leben Und die überlebten Werden an den Zaun
gerufen und befragt. Sie geben gleich als
erstes Eine Totenliste ab, Die haben sie in
Bergstedt Unter einem Stein
gefunden, Und sie wird
lebendig Ohne einen Gruß zu
übermitteln. Keiner kann sich dem
Bericht entziehen, Keiner der dort
spricht Vermag mit seinem
wahren Namen Wahre Namen
aufzusagen, Und man kürzt sie
alle ab. Es spricht Frau I.,
Herr X., Frau H., Und Bilder die man
machen möchte, Werden nicht
belichtet, Das ist schrecklich
wahr, Weil eine wahre
Sonne ihnen, Nach nun fünfzig
Jahren Der Geburt der
Schwarzhelmtyrannei, Noch nicht zu scheinen
scheint. Von keiner Seite
wirft man einen Stein, Es steht ja auch der
Zaun dazwischen, Und die einen sind
zu jung, Die anderen
vielleicht zu müde, Und das Steine
werfen, sieht man ein, Trifft ausnahmslos
die Falschen, Und sich selbst bewirft
man nicht, Und Spiegel stellte
keiner auf. Die jungen Leute
haben eine Amtsperson, Die übersetzt die
Steingespräche, Das ist aus
Liszkowski in die Gegenwart. Und sie diktiert aus
den Gesprächen Von dem Tage der
Geburt, Die war vor fünfzig
Jahren. |
Die Geburt war eine
Sonnenfinsternis, Die fing mit einer
Sonnwendfeier an Und ließ die
Feuerräder von den Bergen laufen. Damals staunten
viele über diese Wende. Wenige von ihnen
waren später Noch als Zeugen zu
befragen Wie Herr X., Frau
I., Frau H. Die gaben auch nur
von dem Ende Den Bericht. Vor fünfzig Jahren
hatten die, Die in der Krippe
lagen, Sich als Wunder der
Natur allein gezeugt, Allein aus sich
heraus geboren, Sich allein genährt, Dann in der Folge
rascher Dieberei Die Brüste junger Mütter
andrer Kinder Ausgetrunken und
sie, wenn die Mütter schrien, Gezwungen sie zu
säugen, Bis zu deren Tod, Und tranken auch die
Muttermilch, Wenn sie nicht mehr
zu trinken war. Sie wählten sich
alleine aus Und hatten sich ein
Zeichen ausgewählt, Das war die Axt, Die trugen sie
versteckt im Rutenbündel, Das entdeckten die,
die auf sie trafen, Viel zu spät. Die anderen
entdeckten nichts Und sahen nicht in
das Versteck. Die Ausgewählten
kamen schon bekleidet auf die Welt Und trugen unter
ihrer Haut Die schwarzen
Hemden, Als ein
Fruchtbarkeitssymbol, Das legten sie nie
ab, Das war ein Panzer,
der das Überleben Garantieren sollte, Und der die
Verbreitung sicherte, Und ihren
Fortbestand. Den planten sie
sofort Auf über tausend
Jahre. |
Am
Zaun kommt
man nicht weiter, Und man fragt nun in
die Steine. Steine kann man
nicht befragen, Und man muss auf die
Gespräche lauschen, Die sie miteinander
führen, Und für Steine, die
hier liegen, Gibt es neben ihren
Urgesprächen, Auch die frischen
Narben. Für den Stein sind
tausend Jahre gar nichts, Und sie lachten, Als sie von den
schwarzen Hemden hörten, Die an tausend Jahre
dachten. Aus den Steinen
nimmt die Jugend den Bericht, Den muss sie von den
Urgesprächen trennen Und dann übersetzen
lassen, Und er wird
verlesen: "Wir, die
Steine, lagen nahe beieinander, Und wir lagen an dem
Türeingang der Villa, Und wir hörten
alles. In der Villa lebten
neben den Bewachern Auch die schwarzen
Hemden, Die mit eignen
Schwarzhemdfrauen schliefen. Über den Bewachern
wohnten ihre Wachen Und drei Könige,
Herr P., Herr T., Herr T., Und täglich zogen
sie zu den Baracken Hinter einem
Stacheldraht, Ein Aufenthalt für
fünf mal hundert Frauen, Um sich abzulösen. |
Und die Insassinnen
dort Belebten, nicht
bewohnten, Und bestarben sechs
Baracken. Einmal lag auf einem
Stein, auf uns, Ein Schwarzpapier, Das kam von dem
Kommando Neuengamme, Und die Insassinnen,
hätten Heime zu errichten, Heime für die Not, Die breitete sich
aus, Und Arbeit in der
Ziegelei zu machen Und die Trümmer zu
beseitigen; Sie selbst, so
schrieb man, Seien in dem Falle
ihres Todes zu beseitigen, Und die Bevölkerung, Die lebte gar nicht
weit entfernt, Sei streng von ihnen
abzuschnüren, Und man drohte ihr
und ihnen Harte Strafen an. Das Lager“, Wussten diese Steine
zu berichten, "Nahm im späten
Sommer, erstmals im August des Jahres '44, Und es war der
letzte Dieses
Tausendjahrereiches, Seine Menschen auf Und war kein
Arbeitslager, Und im Wonnemonat
Mai darauf, Der konnte keinem
mehr Ein Wonnemonat sein Und wurde doch zur
Wonne dieser Tage, |
Wieder abgerissen Und dem Boden
gleichgemacht. In dieser Zeit
errichteten die Insassinnen Überall in Sasel
kleine Plattenhäuser, Davon steht noch
heute eins." Die Steine sprechen dann
von einem Lageplan, Den hätte man
gezeichnet, Und man fand ihn in
den Protokollen, Wo er
durchgestrichen war. Die Totenliste gab
es nirgends in den Protokollen, Und sie hatte
fünfunddreißig Namen, Und die Steine
wissen nichts davon Und sprechen sich
nicht weiter aus. Es gilt sich zu
erinnern, Ohne sich noch zu
erinnern, Und die Jugend weiß
nicht, Dass man das
Vergessen wollen kann. Man weiß nun von dem
Lager, Darin lagerte man
Menschen in Baracken, Und das Ende dieses
Krieges stand bevor, Das wusste keiner, Und die meisten
hofften es, Und die in schwarzen
Hemden Fürchteten den Tag. |
Und sie berichtet
viel. Die Jugend fragt in
ihr Gewissen, Und sie spricht von
ihrem Wissen, Und was sie von
allem wusste, Und was die Bevölkerung
gewusst, Gesagt, getan hat. Sie kennt sich noch
gut in Einzelheiten aus Und meint die
Einzelheiten nicht, Sie meint die
Glieder einer schlimmen Kette. Damals hatten sie
dort draußen Auf den Feldern
Licht entdeckt, Das war verboten Und war hier
erlaubt. Man sprach davon mit
vorgehaltner Hand. Am Tage mussten
Frauen, die von dorther kamen, |
"Plattenbüttel"
bauen, Das war eine
Unterkunft für Menschen, Die nicht
unterkamen. Diese Frauen durften
nicht dahin. Ihr Mann, erzählt
Frau B., Trug früher die
Geschehen Auf dem Friedhof
Bergstedt's In ein Grabbuch ein, Nun spielte er nur
noch die Orgel, Und er fand ein
langes großes Grab, Das war frisch
ausgehoben Und mit Stroh
gefüllt, Darinnen lagen
nackte Frauenleichen, Und er wusste ihre
Anzahl nicht, Sie waren nur noch
Haut und Knochen, Und die Köpfe waren
kahl geschoren, Und das Grab lag an
der Friedhofswand, Das war die Wand zum
Gasthof: "Zu der
Linde". |
Und er dachte, Was bleibt einem
Menschen, Wenn man ihm die
Haare raubt. Man sprach nun
wieder in die Hand, Dass davon eine wie
die andren Jüdin wär', Die wurden selbst
der Ruhe In dem Grab beraubt Und später nächtlich
wieder Ausgegraben. Für die Ruhelosen
gab es keine Ruhe, Und man hatte sie in
einen Tod gejagt Und jagte sie noch
nach dem Tod In einen neuen Tod Und wieder aus dem
Grab. Man konnte ihren Weg
nicht mehr Verfolgen. |
Ganz
benommen steht die Jugend, Und sie will es ja
mit eignen Ohren hören, Und Frau E. fällt
hier ins Wort-, Sie weiß noch mehr. Das Lager hatte
unweit ihrer Gartengrenze Seine Grenzen
aufgepflockt, Die Frauen waren aus
Rumänien Und aus Frankreich Und sie waren
strafgefangen, Und sie hatte Äpfel
in den Korb gelegt, Dann in den Weg, Und Brot im Busch
versteckt. Man hatte wenig heimlich
mitgenommen, Und nachher, Als man die
schwarzen Hemden |
Auf der Leine sah Und sich die Freude
noch nicht traute, Waren sieben von den
Frauen In ihr Haus
gekommen, Um sich zu bedanken, Und sie gab danach
noch Kleider ab, Die waren weder schwarz,
noch rot, noch braun, Nur eines hatte sie
für sich behalten, Und es sprach sie
eine an, Die
sprach die Sprache, Und
sie hatte ihre goldnen Zähne noch
im Mund, Sie sei Französin, Und sie hätte in
Paris, In ihrer Heimat, ein
Geschäft gehabt Und schwor nun
tausend Eide, |
Ihr die Dankbarkeit
zu zeigen, Und sie hatte Wort
gehalten Und ihr später Seife
und Parfum gesandt, Und alle Welt
bestand auf Reinigung des Leibes Und des Leibes Und des Leibes. Sie erzählte von
vier Wagen, Die mit Frauen aus dem
Lager fuhren Und es hätte sie ein
Polizist des Ortes aufgehalten, Und er hätt' sie
fliehen lassen, Und man wusste schon
nicht mehr, Wer wen bald fliehen
lassen würde, Wer bald zu den
Fliehenden gehören wurde. |
Von Frau K., die mischt sich ein, Erfahren nun die
Jugendlichen, Dass ihr Mann noch
in den letzten Tagen Aus der Stadt, die
brannte, Frauen bis nach
Sasel fuhr, es waren vielleicht neun, Dort traf er auf ein
Schwarzhemd, Das schlug auf ihn
ein Und ließ ihn
schließlich doch vorbei, Vielleicht, weil er
das Feuer sah, Das bis hierher die
Zunge streckte, |
Und die Frauen hielt
Frau K. Auf ihrem Boden ohne
Decken, Nur mit Kohl und
Mehl am Leben, Bis sie weiter
flohen. Später konnte sie
mit ihrem Mann Das Lager selbst
besichtigen, das stand nun leer Und war nur eine
Kette schmaler, tiefer Einzelzellen Ohne Licht, |
Zwei Meter lang und
aus Beton gestellt, Man sagte, in der
Zelle Habe es die Decke
und den Aborteimer geben dürfen, Und ein Arzt, Herr
Y. Der einer Frau in
schwerer Stunde hatte helfen sollen, Sprach von
unglaublichen Dingen, Und er schwieg
danach davon, Bis in sein Grab. |
Voller Angst und Sorge war Frau I., Und sie sah jeden
Morgen einen Zug Von zwei Mal hundert
Frauen, Der kam ihr
entgegen, Denen hätte sie ihr
Frühstück Gerne in die Reihen
fallen lassen, Und sie hatte es
sich nicht getraut, Und von den Frauen
hätte keine es gewagt, |
Sich nach dem Brot
zu bücken. Links und rechts und
überall War Schwarzhemd's
Gegenwart mit Rutenbüschel. Sie meint, Wenig hätte sie
gewusst, Doch von den
anderen, |
Die näher in der
Nähe, wie die Schreber In den
Schrebergärten wohnten, Wüsste sie, dass die
wohl alles wussten, Und die wohnten Tür an Tür mit
denen. Doch die konnte man
nun nicht mehr fragen, Alle waren längst,
längst tot. |
Weil er zu der Zeit
jung Und in Begeisterung
die Zeit erlebte, Und er war ein
Hitlerjunge, Der war überall und
nirgends Und gehorchte auf
das Wort, Wenn man' s ihm
sagte. Heute lehnt er an
dem Zaun Und weiß auch, wo
das Lager damals lag, Das war ganz in der
Nähe einer Stellung Mit Kanonen gegen
Luftkommandos An dem
Feldblumenweg, Und er meinte, Dass es ein Jahr
älter wäre Als die Steine
sagten, Die verstünden von
so kleinen Zahlen nichts. Das Arbeitslager sei
ein Schutz der Flak gewesen, Nachts stand es im
Licht. Herr N. weiß auch Von fünf Mal hundert
Frauen Und dass viele krank
gewesen seien, Und er habe sie
gesehen, Wie man Menschen
sieht Und nicht, wie sich
ein junger Mann Die Frau ansieht. Sie waren Haut und
Knochen, Und sie trugen
Holzpantinen an den Füßen, Blau- und
weißgestreifte Kleidung, Und darauf stand
eine lange schwarze Nummer. Er hat sie gesehen,
als sie völlig ausgemergelt In der Waschbaracke
standen, Und er hat die
lauten schrillen Schreie |
Noch im Ohr. Man duschte sie mit
eisig kaltem Wasser ab. Er hatte durch das
eine Fenster Auf die Frauen
schauen können, Und sie hätten wegen
dieser vielen nackten Knochen Aneinander schlagen
müssen. Und ein Wachmann war
gekommen, Um ihn zu
vertreiben. Was Frau I.
erzählte, Konnte er
bestätigen. An jedem Morgen
schleppte sich ein Zug Von zwei Mal hundert
Frauen Bis zum Bahnhof
Poppenbüttel. Dort verluden sie
sich in den Güterzug Und wurden in die
Stadt gefahren, Um die ausgebombten
Viertel Von den Trümmern und
den Leichen zu befreien, Und man habe sie mit
"Schnaps" gefüttert, Und die Übelkeit In ihnen
unterdrückt. Man hatte dreißig
Männer Zur Bewachung
abgestellt, Die waren jeder um
die sechzig Jahre alt Und ausgerüstet und
bewaffnet Wie die Schwarzhemdmänner. Einige von ihnen
hatten Schäferhunde. Schlimmer als das
Eis der Dusche Waren
Schwarzhemdfrauen, Die sie auch
bewachten |
Und sich gar nicht
zierten Und mit scharfen
Schäferhunden, Schlimmen Peitschen,
blanken Stiefeln, Ihre Ordnung
hielten. Und die bildeten
sich viel Auf ihre blauen
Augen Und die kurzen
blonden Haare ein. Und jede war in
einem Unersättlich reifen
Frauenalter Zwischen zwanzig,
dreißig Jahren. Und der Zug, der
durch die Straßen zog, Nahm immer wieder
einen andren Weg, Und viele Frauen,
andre Frauen, Legten Essen oder
ähnliches dahin Und ließen sich auch
von den Wachen Nicht bedrohen, Und man drohte oft
sie 'Abzuholen', Und das nahmen sie
und sie Nicht ernst, Und, wie es schien, Ließ dann die Wache doch
das eine und das andre zu, Und was das war, Das konnte selbst
Herr N. Der Jugend nicht
mehr sagen. Die Bewachung durch
die Männer War, so sagt Herr
N., nicht allzu streng, Sie waren im Vollzug Und sie vollzogen
nicht Wie mancher glaubte. |
Nun
erreicht die Jugend ein Gespräch, Das ist im Telefon Und alle hören mit, Man hat ein lautes
Sprechgerät Dazu geschaltet: "Hier sprech'
ich, Frau P., Ich möchte einiges
ergänzen und bestätigen Und kann nicht
selber zu euch kommen. Damals war ich noch ein
Kind Von zehn, elf
Jahren. Niemand der Familie
hatte je Kontakt Zu den KZ -
Insassen. Das war gar nicht
möglich, War viel zu
gefährlich Und da drang nun
wirklich gar nichts 'raus'. Und niemand blieb an
der Umzäunung Stehen, Und man fürchtete zu
Recht, Dass die Umzäunung
um sich greifen würde, Und sie würde einen
selbst umgreifen. Meine Mutter fuhr Mit ihrem Fahrrad
auf das Lager zu. Sie war nicht mutig Und man sah ihr
ihren Mut nicht an, Ihr Kommen war ein
Eilen, Fliehen, Und sie warf die
Reste Brot vom Tage Und was sie noch
hatte, |
Über deren
Stacheldraht Und warf sehr oft
daneben, Manches blieb im
Gitter hängen, Und sie war schon
fort Bevor sie kamen. Die dort drinnen
lebten nur Von irgendwelchen
Suppen, Die sie gar nicht
hatten, Oder gerne hätten, Das sah man von
weitem, Wenn sie in Kolonnen Hin zum Baden gehen
mussten. Nach dem Lager, Als das Lager nicht
mehr Lager war, Erlaubten meine
Eltern zwei Zigeunerinnen Mit dem Kind den
Aufenthalt In unsrem Haus. Sie hielten sich
nicht lange auf Und sie erhielten
etwas 'Anständiges', Das war Essen,
Kleidung, Trost, Und sie erzählten, Dass sie
Wassersuppen, Bohnensuppen Hatten essen müssen, Und sie waren fast
schon tot. Ich sah sie immer
wieder an, Und jemand sagte, Dass sie's nicht so schlimm Wie die in
Neuengamme hatten. |
Hier in Sasel hatte
es die Kammern, Die aus ihren
Duschen Gas verströmten, Nicht gegeben. Hatte eine Frau
etwas "verbrochen", Wo es nichts mehr zu
verbrechen gab, Dann fügte man ihr
Wunden zu Und die bestreute
man mit Salz und Pfeffer, Oder stellte sie für
Stunden In ein Becken, Das war angefüllt
mit kaltem Wasser. Sonst verzichtete
man hier in Sasel Auf die Folter. Einer der Bewacher
sei ein Mensch gewesen, Und er habe oft den
Frauen Bei dem Tragen
schwerer Kannen mit geholfen, Und man holte damals
Milch Von einem Platz am
Markt in Sasel, Dort ist jetzt ein Lebensmittelsupermarkt
errichtet worden. Meine Eltern hätten
es niemals gewagt, Das Lager auf dem
Foto festzuhalten. Niemand hätte das
gewagt. Man hatte die Gefahr
gesehen, Hätte dann
vielleicht Gelegenheit bekommen, Alles ganz genau zu
sehen, Auch von innen, Um es in sich
aufzunehmen." |
Konnte man noch
einen kurzen Vortrag Abgewinnen, Und er war schlecht
zu verstehen, Und er war doch so, Dass man ihn gut
verstand. |
Sie sprachen
zueinander: "Wir, die
Steine, haben ein Gebot: Von uns darf sich
kein einziger ent-setzen, Und dort, wo wir
stehen, Müssen wir
ver-stehen lernen. |
Das ist unsre Art
sich zu bewegen, Und be-greifen
werden wir nie können." |
Von Frau D. erhielt man einen Brief, Den wollte man nicht
mehr verlesen, Und er war doch
lesenswert, Weil er den
Schlussstrich zog, Den zog so mancher
später, Als man einen
Schlussstrich gar nicht ziehen durfte, Und nachher, das ist
das Jetzt, Stand es, sagt einer
von den Jugendlichen, Stand es gar nicht
an, Den Strich von
damals immerzu zu wiederholen, Und sie wären
kopflos im Verstehen Wenn sie diesen
Schlussstrich ziehen müssten. |
Man las vor: "Von der
Familie hatte keiner Den Kontakt zu den
Insassinnen gehabt. Ich wusste aber von
den andren Frauen, Die, die Essenreste
an die Zäune brachten; Und wir sahen
täglich ihren Zug Durch Sasel bis zum
Bahnhof, Eine Wanderschnecke, Die in abgeschlossne
Wagen kroch. Die hatten nur die
Lappen an den Füßen, Und die hüllten sich
in Decken, Das war ihre
Kleidung. |
Und es waren Männer,
die sie überwachten, Dass sie sich nicht
nach den Essenresten bücken konnten, Ohne dass man auf
sie schlug, Und schlug sie auch, Wenn sich die Schnecke
in die Länge zog. Mit sechzehn,
siebzehn Jahren War mir alles gar
nicht so bewusst, Ich dachte auch,
dass das so sei Und müsste wohl so
sein, Und alles hätte
seine Ordnung." |
Als das Lager nicht
mehr Lager war, Befragte man zwei
Freigelassne Nach den Strafen,
die noch auf der Strafe lagen Und man hörte aus
den Steinen Zwei Berichte: Namentlich war uns
Frau M. bekannt, Das war die
Schwarzhemdfrau, Die sollte ihren
Mann im Krieg verloren haben, Und sie war erst dreißig
Jahre alt. Der Biss der
Peitsche reichte ihr nicht aus, Sie hatte einen
dritten Arm, Das war ihr Arm der
Rache, Und sie schlug so
oft es ging, Wohin es ging mit
einem Gummiknüppel, |
Und sie rächte sich
für sich Und nicht an sich, Und freute sich in
Quälerei an anderen. Die war die
Schlimmste, die dort stand. Sie spielte einmal
"Hinkefuß" Mit einer, die sich
in der Stadt Beim Steine laden
ihren Fuß verletzte, Und die musste bis
ins Arbeitslager Auf dem Bein, das
ihr geblieben war, Nach Hause hinken, Das war Kilometer
weit, Und keine durfte
Hilfe leisten, Und sie hatte kein
Zuhause, Und der Frau
erschien Das größte Ungemach
nun ein Zuhause, Und es kam, dass
sie, die Strafgefangne, |
Die Verschleppte,
den Verschleppern Auf dem Weg für
etwas Hilfe In die Arme hätte
fallen mögen, Und sie hätte sie in
Dankbarkeit geküsst, Und überhörte in den
Schmerzen Dass man sie
verhöhnte Und den Spott in
ihre Wunde träufelte. An Schlägen von Frau
M. Ist keine Frau
gestorben. Und die andere
Insassin: „Meines Wissens Hat es in dem Lager
keine Tötungshandlung Oder Selektion
gegeben. Allerdings schlug
man und viel.“ |
Fielen wieder in die
Urgespräche, Und es war wohl so, Dass sie für kurze
Augenblicke Viel zu lange
lebten, Und sie waren ja
schon dagewesen, Als die anderen vor
ihnen Noch nicht
existierten, |
Und sie dachten an
die Schlauen, An die
Tausendjährigen, Die standen doch mit
denen, Die die Zeit davor, Jahrtausende davor
das Land In Niedertracht und
Glück In Unglück und in
Schicksal aufgerichtet Und gerichtet
hatten, |
Eng im Bunde, Und sie hatten nach
dem Maß der Steine Nichts gebunden, Und sie blieben wie
die anderen davor Und davor und davor. Das musste man
bedenken. |
Es steht ein Zaun, Und diesseits stehen
Jugendliche, Die befragen Zeugen
und die Leute, Die noch etwas
wissen können Aus der Zeit davor,
die sind nun alle alt, Und stehen jenseits, |
Diesseits liegen
noch die großen Steine In dem Rasen, Die sind selber
Zeugnis. Eine Gruppe
Jugendlicher Hat sich
abgesondert, Um den Zaun zu
streichen, |
Das ist eine Tat, Die, meinen sie,
muss sein, Und niemand wagt es, Sie von ihrem Eifer,
ihrem Handeln Abzuhalten. |
Und horcht gespannt.
Man winkt von andrer
Seite ab, Man kann Erfahrung doch
nicht übertragen., Und die Jugend
möchte, Dass man alles
unterbricht Und zur Kantine geht Und sich ein wenig
stärkt, Und eine von den
Älteren, Frau H. Ist noch im Telefon, Sie hätte nicht so
viel zu sagen, Und das, was sie
sagen wollte, Wäre eben grad'
gesagt: Die Jugend sollte
nicht zum Essen gehen, Denn sie wollte noch
den Hinweis Auf den Hunger
geben, Und der Hunger wäre
mehr als das Bedürfnis Und viel schlimmer, Und er wäre eine
Frage um die Existenz Und nicht die Frage
um den Preis, wie heute, |
Und das Frauenlager Ist von vielen
völlig übersehen worden, Und der morgendliche
Zug der Frauen War sehr langgezogen Und man hatte ihn
durchschreiten können Und man trat dabei
in offne Münder, Die nur flüstern
konnten, Und sie riefen:
"Hunger, Hunger!' Und die Wache rief
dazwischen-. "Lasst,
verdammt noch 'mal, das Betteln!" Und die Frauen
hatten sich Mit Farben
aufgeschminkt Und ihre Lumpen
aufgebauscht, Das taten sie zu
ihrem Schutz, Erfuhr ich später, Dass man sie nicht
aussortierte Und beseitigte. |
Es gab sehr viele, Die zu der Zeit
schon nichts mehr Von diesen Dingen
wissen wollten. Keiner Jugend dieser
Welt Wünsch ich den
Hunger als Erfahrung, Und ich sage euch, Ihr solltet bis zum
Abend hungern Und nichts trinken, Und ihr habt ein neues
Wort gelernt. An einem Ende hatten
Jugendliche Damit angefangen, Diesen Zaun zu
streichen, Und sie dachten in
dem Eifer nicht ans Essen Und ans Trinken, Und sie wollten ihre
Arbeit Wegen solcher
Kleinigkeiten Auch nicht
unterbrechen. |
Die Jugend war nun aufmerksam geworden Auf das neue Wort Und wollte 'Hunger'
kennen lernen, Weil es mehr sein
sollte, als sie kannten, Und ein Teil von
ihnen War ja mit der
Malerei am Zaun beschäftigt, Und sie legten von
den Steinen, Die sie nicht verstanden, Einige zu einem
Stehpult aufeinander Um darauf zu stehen, Und die Steine
schrien auf, Weil sie ein Pult
wie damals bildeten, Und sie erinnerten
sich nun Und wussten auch die
Textpassagen, Die von dort
verlesen worden waren. Man schrieb mit Und hatte dann die
Übersetzung, Die verlas man so: "Bin euer
Schwarzhemdstandortarzt Und gehe allen
Klagen nach, Und man beklagt das
Essen. |
Essen wurde
untersucht, Die Werte, liegen
wenig unter Werten Wo die Werte für
Verpflegung liegen sollen. Reichen eben aus,
das ist genug. Gehalt an Kalorien
ist festgelegt, Ist wissenschaftlich
untersucht, Stellt ganz und gar
neutrales Amt zufrieden, Weicht nur wenig ab, Mit einer Toleranz
von vier Prozent nach unten, Andre liegen viel,
viel tiefer. Habe auch Vergleiche
mit Tabellen angestellt, Kann hier nur
gratulieren, Wollen ja nicht
Winterspeck ansetzen, Kleiner Scherz, Es ist nicht
angestrebt, Mit der Ernährung
zusätzlich Reserven Anzulegen, Kann nicht Sinn des
Arbeitslagers sein. Es sollen alle alles
geben Und nur wenig dafür
nehmen. Zubereitung,
Sauberkeit in dieser Häftlingsküche |
Ausgezeichnet, Spreche von
vorbildlich, Habe nichts
Bemerkenswertes, Meine Ungesundes, in
mein Protokoll Zu nehmen. Schwarzhemdstandortarzt
befindet alles "Sauber,
einwandfrei", Verwaltung ist
"gerecht"; Ein Glücksfall,
dieses Außenlager, . Andre Lager leben
mit ganz andren Kompromissen und
Entscheidungen. Wir singen jetzt ein
Lied: "Vernichtung
durch die Arbeit" Und danach: "Die Arbeit
macht euch frei". Die Frauen die ihn
hören mussten, Standen still Und lauschten auf
das Lied der Drossel, Die im Grün der
Büsche Spottete. |
Das ist Frau B., Die ist ganz stumm Und hält den Zettel
in der Hand, Den reicht sie durch
die Maschen zu den Jugendlichen, Darauf steht: "Ich bin nun
stumm Und habe noch ein
Band, Das ist ein Tonband, Wie wir es noch
kürzlich hatten. Heute habt ihr eure
Steinkristalle, Darin speichert ihr
die Welt Und ihr wisst alles, Und auf meinem Band befindet
sich ein Interview, Das haben wir, Herr
F., Frau F., Und ich gegeben, Und ihr könnt es
hören, wenn ihr wollt." Sie hat auch das
Gerät, es abzuspielen, Und die Jugendlichen
denken an das Essen, |
Das steht fertig, Und sie sollen es
sich noch nicht nehmen, Und sie wollen die
Geschichte mit dem Hunger Nicht mehr länger
akzeptieren. Man beschließt noch
dieses Band zu hören, Man beschließt zu
warten mit dem Essen, Dann kann die
Erfahrung mit dem Hunger, Die Erfahrung
werden, die noch fehlte, Und sie wollen es
nicht Übertreiben, Und sie einigen sich
auch mit denen, Die den Zaun
bemalen, Ohne deren
Einverständnis, Und die stehen immer
noch auf ihrem Steinpult, Und sind so
besessen, Dass sie nicht ans
Essen denken, Und sie lachen über
ihre "Fressgenossen", Und sie wollen ihre
Arbeit fertig bringen, Und die andre Seite
ihres Zaunes Ist ja auch noch
anzustreichen. |
So beginnt das Band,
es wird zurück gespult, Ein Interview mit
einer Frauenstimme, Und Frau B. hebt
ihren Finger, Das ist also sie: "Die Aufsicht
über jede Aufsicht Hatten drei der
Schwarzhemdmänner Und drei
Schwarzhemdfrauen. Zwei von ihnen
blieben stets im Lager, Vier begleiteten den
Zug der Frauen Nach dem Bahnhof
Poppenbüttel, Und die Aufsicht
über jede Aufsicht Wohnte in zwei
Wohnbaracken, In zwei Augen, Die in ständiger
Betrachtung, Nach den Frauen in
dem Lager trachteten. Sie hatten über
sich, Für das Willkommen,
einen Gruß: "Dies ist das
Arbeitslager Sasel, Stehen bleiben ist
verboten!" |
Der endete nun doch
mit Essen Und Gesprächen, Und der
Lebensmittelsupermarkt Erkannte die
Gelegenheit Und schenkte jedem,
der dort war, Ein Lunchpaket, das
sättigte, |
Und die, die draußen
standen, Das ist außerhalb
des Zaunes, Würden niemals
wieder satt, Die Jugendlichen innerhalb
des Gitters Spürten, dass die
Sattheit sich Unangenehm erinnerte Und die von ihnen, |
Die noch immer an
dem Gitter malten, Waren über alles Maß
erhaben Und verschlangen
ihre Mahlzeit Nebenbei, Und alle
überschliefen diesen ersten Tag Und trafen sich am
zweiten wieder. |
Wir
hören wieder in das Interview vom Band Und
auf Frau B., Die
fährt nun fort: Es
waren etwa vier Mal hundert Frauen in dem Lager, Und
zum Ende, als das Ende kam, Kam
noch ein Schub, Der
brachte zwei Mal hundert neu dazu. Die
Schwester von Frau B. Und
eine andre Frau begaben sich Nach
Poppenbüttel, Um
hier Nahrung den Insassinnen zu bringen. |
Als
die Schwarzhemdfrauen die Kontakte sahen, Schrien
sie ihre Lumpenmannschaft an, Und
doch schien es nach außen, Dass
sie sich nicht an den Häftlingen vergingen. Einer
von der Wache Sah
in eine weite Weite, Die
war intressant für ihn, Sonst
sah er nichts Und
wollte auch nichts sehen Und
er gönnte denen ihre Spenderinnen. Überwiegend
trugen die Insassinnen Den
gelben Stern, der wies sie aus |
Und
zeigte, dass sie Juden waren. Diese
Frauen schufen in Kolonnen., Und
sie bauten fünfzig Plattenhäuser, Daraus
wurden je zwei Eigenheime, Und
sie wurden denen, die sie schufen, Nicht
zu eigen und kein Heim Und
wurden doch sofort bezogen, Und,
die sie bezogen, Hingen
ihre Augen in den Heimen auf Und
sahen nicht nach draußen, Halfen
denen nicht, Die
hier geholfen hatten, Standen
in der Angst, Die
Hilfe könnte schaden. |
Interview mit dem Paar
F., (12 Fragen) Das wohnt noch in
dem Plattenhaus Am Pfefferminzkamp
Nummer (Fragezeichen) |
|
|
Erste Frage: Wie verstanden sie
den Bau des Hauses Und was wussten Sie
darüber Und was über dieses
Lager nebenan? Die Leute, die die Trümmer
ihrer Häuser Überstanden hatten, Konnte man zum Teil Hier unterbringen. Große Firmen
leiteten den Bau der Häuser Und es gab viel
Eigenhilfe. Zweite Frage an das Paar: Was dachten Sie denn
über Juden, Allgemein die Juden? Er sagt ganz
spontan: Ich hatte meine
eigenen Gedanken, Und ich glaubte
nicht, was man mir sagte, Überall traf man auf
Hass, Der richtete sich
gegen sie, Weil man von ihnen
sagte, Dass sie an den
'Fäden' zögen, Ihre Finger hätten
sie in jeder Sache, Und vor der
Vertreibung wären sie als die Geschäftemacher und
Besitzer Aller Wäscherein und
Schuhgeschäfte Überall verschrien
gewesen. Danach hat man sie
verfolgt, Und fliehen konnten
nur die wenigen, Die Bargeld hatten, Und man machte Jagd
auf die und die Und fing sie ein. Das ist nicht nur
bei uns geschehen, Sondern überall wo
sich Ein Schwarzhemd
sehen lassen konnte. Und die eingefangnen
Juden Sprachen oft kaum
unsre Sprache, Und sie kamen aus
den andren Ländern. Über die im Lager Konnte man nur in
dem allerengsten Kreise Der Familie reden. Jeder Fremde, Jeder Außenstehende
stand im Verdacht, Uns zu verdächtigen, Es gab genügend
Leute, die 'gesessen' hatten, Und, wer das nicht
annahm Und nicht glaubte, Wollte es nicht
glauben, Oder war zu dumm. Bei den Kontakten
der Insassinnen Mit Außenstehenden Misshandelte man Diese Frauen, Und sie mussten
immer, immer arbeiten, Das nahm kein Ende. Dritte Frage: Wann begann und
endete der Bau Der Plattenhäuser? Diese Häuser hatten
einen kurzen Weg, Der dauerte ein
Jahr. Sie standen bis zum
Ende Dieses schlimmen
Krieges Nur am Kritenbarg
und an dem Pfefferminzkamp, Das sind kleine
Straßen. Als das Ende kam, Verschwanden alle
Insassinnen, Und sie konnten ihre
Plattenhäuser Nicht zu
Siegeshallen machen. Wenige und restliche
davon Errichteten dann
andere danach. Wir wissen nicht, Wohin die Frauen
gingen, Wohin sie entlassen
wurden, Ob man sie entließ, So dass sie ihrer
Wege gehen konnten, Oder ob man sie am
letzten Tag Noch in die Grube zu
den Brüdern Und den Schwestern stieß Und sie verließ in
der Verlassenheit. Vierte Frage: Hat man die Besitzer
dieser Häuser Etwas übers Lager
wissen lassen, Was hat man erzählt, |
Was wussten Sie? Wir hatten nur
Vermutungen Und wussten nichts
genau Und waren auch in
einer Fremde, Fast so wie die
Frauen. Aber die, das sahen
wir im letzten Winter, Waren schrecklich
dran. In Eiseskälte gingen
sie mit 'Plunder' An den Füßen Und bekleidet mit
den Tüten für Zement, Sie sahen schlimmer
aus Als 'Penner‘, wie
wir heute sagen, Mussten auf den
Pritschen schlafen, Ohne Stroh, so wie
sie waren, Wurden morgens
hochgetrieben, Mussten an die
Arbeit, Dann zurück Und immer neu, und
immer neu Und Tag für Tag, Und schlimmer als
die Männer Waren
Schwarzhemdfrauen, Und er habe selbst
auch einmal Etwas "eingefangen",
sagt Herr F. Das hatte aber keine
Folgen, Weil er in dem
Schutz der Wehrmacht stand. Die
Schwarzhemdfrauen Schlugen in der
Kälte auf die Kälte Und sie schlugen,
was sie trafen, Und es tat sich
mancher Sprödbruch auf Und mancher neue
Riss Lief durch die Haut. Fünfte Frage: Wissen Sie" wie
lang' die Judenfrauen Täglich auf der
Arbeit waren?
Das ging mit dem
Hahnenschrei. Sowie die Sonne kam Und sich die erste
Helligkeit Nach draußen wagte, Hatten sie Appell,
dann ging es ab, Und mit dem Dunkelwerden Waren sie zurück. Die Arbeitszeit
empfand man als normal, Es gab auch
Arbeitspausen, Und die Frauen
machten harte Männerarbeit, Das war schwere
Erdarbeit. An Flucht war nicht
zu denken. Sechste Frage: Hatten Sie nun
selber Fragen Auf der Zunge, oder
haben Sie gefragt, Und mussten Sie sich
nicht Gedanken machen Über das, was Sie
vor Augen hatten? Wenn man zu viel
fragte, Hätte man die
Antwort Sicher bald aus
erster Hand gewusst, Das wollte niemand. Sonst erhielt man
eine gute Antwort: "Alles bestens. Hier ist alles
bestens, Kümmern Sie sich
nicht darum." Die Wachen gingen An der Fragerei
vorbei, Und richtig
informieren Konnte man sich
nicht. Die siebte Frage: Hatten Sie
Verbindung Zu Insassinnen? Verbindung gab es
nicht. Die Judenfrauen
waren schüchtern, Und sie waren
eingeschüchtert, Und sie wussten ja
Bescheid Was kommen würde, Wenn sich andere auf
sie beriefen Und mit dem Bescheid
an vorgesetzte Stellen gingen, Und sie konnten
unsre Sprache kaum Und waren nie
allein, Sie standen stets im
Schatten einer Wache. Manchmal haben wir
von unsrer Suppe, Erbsensuppe,
abgegeben, Und wir konnten sie
an zwei, drei Frauen geben, Und die hatten keine
Zeit zum Essen, Nicht zum Schlingen, Sondern haben ihre
Suppe Weggeschluckt, das
dauerte Sekunden. |
Achte Frage: Haben Sie den
Abtransport Von Judenfrauen
miterlebt?
Wir wissen davon
nichts. Hier waren etwa
hundertfünfzig Frauen, Die dieselben
blieben, Und die waren
stationiert im Lager. Das war kein KZ, Das war ein
Arbeitslager. Neunte Frage: Haben Sie gesehen, Dass die Judenfrauen
im Kommando lebten Und die
Arbeitsplätze wechseln mussten, Transportierte man
sie ab? Transporte haben wir
gesehen, Aber niemand wusste
ihren Weg. Ja, wir vermuteten
Verschiedenes Und dachten uns, Die müssen wohl nach
Ochsenzoll, Das ist nicht weit
von hier, Und sollen dort die
Hülsen für Granaten schmieden Oder Panzerketten
bauen. Zehnte Frage: Sagen Sie, wie
wurden die verladen Und wie sahen Züge
aus, Die diese Züge
transportierten? Man nahm alte
Eisenbahnwaggons, Nicht mehr als einen
oder zwei, Die hielt man frei
für Judenfrauen. Jeder Wagen war von
außen abschließbar. Man fuhr nicht mehr
als fünfzig Frauen. Eine Flucht war
ausgeschlossen, Wachen waren
überall. Ich weiß auch nicht, Ob alle wiederkamen. Wenn sie standen, Schwankten sie auf
wackeligen Beinen, Das kam nicht von
ihrer Fahrerei, Das kam von ihrer
Schwäche, Und sie waren nur
noch Haut und Knochen. Manchmal sahen wir
sie sich Um Reste prügeln,
zanken, Die sie aus dem Mist
gezogen hatten, Der war angehäuft, Das ekelte uns an. Die elfte Frage Ging ums Essengeben
an die Frauen, Was die Wache dazu
sagte, Und es hing ganz von
der Wache ab, Die wechselte sehr
oft. Die letzte Frage dieses Interviews: Erinnern Sie siehe Ob man ihnen die
Begründung nannte Für die Arbeit, Die doch so
unmenschlich war, Warum man keiner
Essen geben durfte? Sehen Sie, Die
Schwarzhemdmenschen Hatten eine
Propaganda, Die war, wie sie
sagten, eine Herzensstimme, War die Stimme
unsres Volkes, Die bestimmten sie, Es war die Stimme
eines einzigen, Und diese Stimme
sagte, Dass es sich bei
diesen Menschen Nicht um Menschen
handelte: "…denn das sind
keine Menschen". Sie bekamen nur das
Notwendigste, Und das Volk erhielt
ja auch nicht viel. Wer aus den Wachen Stumpfe Pfeile
machen wollte, Lenkte deren Wut Auf diese
Judenfrauen. Wer hier helfen
wollte, Musste Essen,
Kleidung, Schuhe An die Straße
stellen, Und es war ja keine
Hilfe, wie man half. Die Frauen waren
nicht zu sprechen Und sie sprachen
nicht Und waren nie
allein. |
Aus dem Alstertal
gelaufen, Der bringt eine alte
Ladenkasse, Darin liegt ein
Kassenbuch, Und drückt man auf
die Öffnungstaste, Klingt die Glocke, Die ist eingebaut
und funktioniert noch immer, Und sie ist ein
Kuckucksruf In den Gesprächen, Und es liegt noch
etwas Geld in ihren Fächern. Aus dem Kassenbuch
entnimmt man Die Belege, Und der Jugendliche
sagt, Darunter liegt ein
Brief, den möchte er verlesen, Und den hat der
Kassenwart geschrieben. Der Bestand der
Kasse ist ganz abgerechnet, Und er liest nun
vor: "Die Regelung
und der Bestand: Die Arbeitszeit der
KZ-Außenstelle, Hamburg-Sasel Ist die Zeit vom Sonnenaufgang bis
zum Sonnenuntergang. Als Arbeit haben
alle Frauen Schwerstarbeit zu
leisten, Das ist
"Trümmerräumen" in der Innenstadt, Das sind die
Erdarbeiten für die Plattenhäuser Vor den Toren dieser
Vaterstadt, in Sasel, Das soll diesen
Frauen keine Stadt der Väter werden, Und sie sollen dort
im Pfefferminzkamp graben, Weiter haben sie im Kettenwerk
von Langenhorn Zu schaffen Und sind zu
verwenden In der Produktion
von Hülsen Für Granaten und
Kartuschen. Diese Frauen hat man
zu verbrauchen, Sind erschöpfend zu
verbrauchen, Für Verlegung
kleiner Loren zu den Plattenhäusern, Das sind kleine
Wagen, Die auf Schienen
fahren und geschoben werden, Und den Anfang
nehmen sie am Bahnhof Poppenbüttel, Und sie haben alles
gut zu warten Und zu reparieren. |
Weiter sind sie
einzusetzen In den
Atemschutzfabriken, Das sind Gummiwerke,
die in Barmbek stehen, Dort sind Masken zu
verkleben, Und sie haben
Bombenopfer einzusammeln, Aufzulisten Und in Ohlsdorf zu
begraben. Diese Arbeit kann
man heimatliche Frauen Nicht verrichten
lassen, Weil es eine Schande
wäre, Die fiel aufs
Regime. Beim Einsatz ist kein
Unterschied zu machen Zwischen männlichem
und weiblichem Geschlecht, Und jeder Häftling
ist dem andren gleich zu setzen, Und die Gleichheit
ist hier ausgesetzt, Und die Bekleidung
ist dem Ziel, Den Häftling
auszuschöpfen, anzupassen, Sie muss dürftig sein, Auf Arbeitsschutz
soll man nun ganz verzichten. Unverzichtbar werden
Opfer unter ihnen sein, Die soll man nicht
beklagen, Sondern aus der
Liste streichen, Und es kann ein
Unfall bei der Lorenarbeit sein, In der Fabrik, Es kann ganz einfach
Krankheit sein." (In Sasel ist ein
Totenbuch geführt, man siehe auf die
Bergstedt- Totenliste. Von den fünfmal
hundert Frauen strich man Fünfunddreißig aus.) "Wir rechnen
für den Winter mit noch mehr, Die brauchen einzeln
nicht erfasst zu werden“. Dann beruft der
Kassenwart sich auf den Schwarzhemdhauptverwaltungsleiter
Pohl, Von dem ist ein
Befehl gegeben worden, Der liegt abgedruckt
dabei: „Entscheidung liegt
allein beim Lagerkönig. Anvertraute
Unvertraute sind erschöpfend Zu verwenden Und im wahrsten Sinne
zu verwerten, Zu erschöpfen, Leistung ist als
Höchstmaß zu erreichen |
Danach ist Ernährung
einzurichten, Darf nicht als
Reserve dienen, Ist nicht
Vorratshaltung. Beispiel Sasel lässt
sich gut verwenden". Soweit der Befehl. Der Kassenwart hat
Buch geführt Und keinen Lohn
gezahlt, So, zahlte der sich
aus. Er wurde abgeführt
an eine Schwarzhemdrechnerei. Von den Fabriken ist
pro Tag, pro Frau Ein Tagegeld von
vier Mark auszuzahlen, Das ergibt in einem
Monat Bei den fünf Mal
hundert Frauen, Fünfzigtausend Mark, Und Schwarzhemds
Kasse füllte sich, Und stärkte sie Für neue
'Wirtschaftsunternehmen" dieser Und auch andrer Art. Private Firmen, Und die Väter dieser
Stadt, Vermaßen sich, mit
diesem Maß zu messen Und gewannen
dadurch, Dass sie Unermessliches
verloren Und verloren, was
für sie nicht messbar war, Und waren doch die
Väter einer Stadt, Die waren viel
beschäftigt mit Verstoßen Und Vermessensein. Die Kasse hat noch
Groschen, Die sind nichts mehr
wert, Und sind ein Wert,
den kann kein Mensch bezahlen, Und man zeigt sie,
reicht sie sich Von Hand zu Hand, Lässt den Bericht
die Runde machen, Und man weiß, Es sind die echten
Zeilen. Besser wäre es für
sie gewesen, Dass es nie Papier Für ihre
Niederschrift hätt' geben müssen. So sah man in' s
Lager Als in eine
Wechselstube, Die das Blut direkt
in Groschen tauschte. |
War noch lange nicht
das Ende, Und der Anfang
dieses Endes War für viele noch
das Ende, Und man brachte in
den letzten Tagen Viele der Insassinnen
nach Bergen-Belsen. Keiner kann darüber Eine ganz genaue
Auskunft geben. In den letzten
Tagen, schreibt Frau K., Fuhr man noch Frauen
mit dem Wagen Aus dem Lager. Der Transport wurd'
unerwartet aufgehalten, Als ein Polizist ihn
stoppte, Und es flohen einige
der Frauen. |
Dieser Polizist, So meint Frau K. zu
wissen, Wurde später von der
englischen Besatzungsmacht Verurteilt, Und die Gründe
blieben unbekannt. Der Frühlingsanfang
dieses Jahres War schon
überschritten, Und das Frühjahr war
genau vier Wochen alt, Als in dem Lager
etliche der Frauen starben, Das fiel auf, und
wir vermuteten, Dass man sie tötete, Weil sie von allem
zu viel wussten. |
Die Besatzungsmacht
kam näher Und die ersten
Schwarzhemdfrauen, Die die Wache
machten, Flohen in der
Kleidung Ihrer anvertrauten
Unvertrauten, In der
Sträflingskleidung, Andere, das wusste
man genauer, Flohen in die
"Alte Mühle“, das war nahe bei, Und war ein
Fliegerheim gewesen. Kapitulation war das
Signal Für die
Besatzungsmacht, Die kam mit Jeeps
zum Lager. |
Unter denen auf der andren Seite Das ist diesseits
jenes Zaunes, Ist Herr N., der
hält sich nicht zurück Und schildert allen
wie es war Und sagt: "Die meisten
dachten so wie ich, so dachte ich, Und damals war ich fünfzehn
Jahre alt Und lebte in
Begeisterung In unsrer
Hitlerjugend. Wir erlebten, Wie das Lagertor
geöffnet wurde, Wie man diesen
Knoten aufschlug: An der "Alten
Mühle“ gab es einen Sportplatz, Der war lange schon
ein Abgesperrter
Übungsplatz für Schwarzhemds Leute,
die betreuten dort In Schlaf- und
Wohnbaracken Ihre fliegenden
Kommandos, Die entließen sie
nur nachts in ihren Himmel Um zu kämpfen, Und sie feierten
dort viele Feste Mit den
Schwarzhemdfrauen, Alle waren
stationiert in: "Fuhlsbüttel,
Einsatz für das Vaterland, Das braucht nun
jeden Mann." Mit diesem Ende gab
es plötzlich keine Schwarzhemdfrauen
mehr, Sie waren in ein
Nichts verschwunden, Übrig waren nur die
Wachen. Auch die Flak war
abgebaut und fortgeschafft, Wohin, vermochte niemand
mehr zu sagen, Und Herr N. war zur
Marine kommandiert. |
Viel später kam er
selbst Als Ende eines Endes
wieder, Und es war das Ende
dieses Krieges, Und er stieß auf die
Besatzungsmacht, Die war motorisiert
und fuhr mit Jeeps Und hatte den
Verdacht in Sasel: „…dass da
irgendetwas war“. Im Stacheldraht des
Lagers Hingen die
Gefangenen Und rissen an dem
Zaun, Der hielt der Freude
stand: "Wir sind nun
frei, Sind frei, Sind frei!" Und kamen doch nicht
frei, Weil niemand einen
Schlüssel Für das Tor des Lagers
hatte, Und die Menschen
standen auf der andren Seite Im Gelände und
erstarrten vor dem Zaun Und dem Geschrei, Und die
Besatzungsmacht nahm sich die Macht Und brach das Tor, Damit es sich den
andren endlich öffnete. Die Frauen stürmten
durch Und schrien und
riefen: „Tommys, hurra
Tommys“! Und verliefen sich
nicht in der Gegend Und verliefen sich
sofort, Und sie genossen
ihre Freiheit, Und es konnte
niemand Ruhe über sie vergießen, Und sie brachen aus Und brachen ein in
die Fabrik, ganz in der Nähe, |
Dort entdeckten sie Und wussten sie von
Marmeladefässern, Die zerrissen sie Und hungerten so
sehr nach Süße, Und es waren alles
Judenfrauen, Polinnen und auch
Zigeunerinnen. Dann fing man die
Frauen wieder ein, Sie medizinisch zu
versorgen, Und das Lager wurde
offiziell Erst ein paar Tage
später aufgeschlossen Und befreit. Man fürchtete ein
Chaos, Und man wollte es
vermeiden, Und es kamen
Angehörige aus andren Lagern: Auschwitz,
Buchenwald, Die Frauen
abzuholen. Das betraf jedoch
nur wenige, Und andre gingen
betteln, Und von einer Frau,
die das Dilemma sah, Weiß ich, dass sie
die Kleidersammlung Unter der
Bevölkerung ins Leben rief Und sie
organisierte. Andere beschwerten
sich, dass „die Zigeunerinnen
wieder stehlen, betteln kommen“. Einige Insassinnen
verbeugten sich Und zeigten
Peitschenstriemen, Die sie von den
Schwarzhemdfrauen hatten. |
Die alles wissen
wollten, Noch ein wenig mehr,
und er erinnert sich: Wir hatten zwei
Soldaten aufgenommen, Und mit ihnen ging
ich in die Tannenschonung, Um uns Holz zu
suchen, Als wir zwei
Kolonnen sahen, Darin schwärmten
jeweils fünfzig, sechzig Frauen aus. Die eine kam direkt
vom Wald , Und strebte auf die
Sportbaracke zu, Die andere vom
'Redder Mellingburg' Mit gleichem Ziel. Nun sahen wir noch
eine dritte, Die kam von der
'Alten Mühle', Die entdeckte
jemanden, Der aus dem Fenster
fliehen wollte, Und es war die erste
Schwarzhemdfrau, Die griffen sie
sofort Und zerrten auch die
anderen aus der Baracke, Die war eingekreist, Und ließen ihre Wut
an ihnen aus Und schlugen auf sie
ein Und rissen ihre
Haare aus Und hielten eine nur In einem kleinen
Kreis geschützt, Die hatte ihnen nie
etwas getan, Geholfen, wo es
ging. Die andren mussten dann
ihr Strafgericht beenden, Weil die
"Tommies", ihre Retter, Sich zu falschen
Rettern machten, |
Und die luden sich
die Schwarzhemdfrauen Auf die Wagen. Heute sagt Herr N.
nur: Damals sagten wir
nach vierzehn Tagen: "Alles ist
gelaufen, Alles hatte sich
verlaufen, Niemand war mehr in
dem Lager, Alle hatte man
entlassen. Die Baracken wurden
angesteckt Und abgebrannt, was
dort noch brennen konnte. Man verstand im
Nachhinein Die
Schwarzhemdfrauen nicht, Die sich so nahebei Versteckt gehalten
hatten. Die Bewohner Sasels,
sagt Herr N., Und er sah ab von
wenigen, Sind nicht in der
Partei gewesen, Sondern war'n
verschrien als "Sozis"
und als Kommunisten, Und sie hatten all
die Jahre ihren Mund gehalten: „Schweig“, wenn du
nicht immer schweigen willst, Wenn du nicht
willst, dass sie dich holen, Und die meisten
haben nichts gewusst, So sagt Herr N. Er selbst war damals
überzeugter Hitlerjunge, Und er war das Bild
an sich, Das man von einem
Hitlerjungen hatte, |
Und er idealisierte
es mit seinen blauen Augen Und dem blonden
Haar, Das hatte Auf der linken Seite
einen Scheitel, Und er dachte über
die KZ's: Die haben ihre
Ordnung, Und die haben ihren
Sinn, Und drinnen sitzen
nur die Minderwertigen Und Arbeitsscheuen Und die falschen
Rassen. Auch Herr N. sang
mit im Hitlerjugendchor Und zog mit dem Zwei Jahre an die
Front zu den Soldaten Und in Lazarette, 'Um die Herzen zu
erfreuen Und zu stärken,' Und man sang am
liebsten Lieder von „Blutroter Sonne, Die im Lande
aufging“, Und sprach danach noch
ein Gedicht, Das stand total im
Gegensatz zu dem, Was er zu Hause sah
und hätte sehen müssen Und nicht sah Und auch nicht
übersah. In Wahrheit zeigte
er mit seinen Liedern Die verkehrte Seite, Und er habe nie
darüber Nachgedacht, So sagt Herr N. |
Kaum noch Lieder. Einer Frau, die
später erst gehört wird, Fällt das auf, Und sie fragt nach. Sie meint sie hätte
früher Alle Strophen vieler
Lieder Auswendig gewusst, Und schöne Melodien,
erinnert sie, Hat sie gekannt, Die kennt heut'
keiner von den Jugendlichen mehr. |
Inzwischen haben
sich die Fragenden Mit denen, die die
Antwort geben, überall vermischt, Der Zaun trennt sie
nicht mehr, Und die, die es
bezeugen wollen, Dadurch, dass sie
von dem Zeugnis hören, Sind nun unter
denen, Die das Zeugnis
sind. Die andre Gruppe, Die den Zaun
anstreicht, Ist immer noch
besessen Und kommt gut voran |
Und malt auf beiden
Seiten, Und es haben sich
noch einige der Jugendlichen Angeschlossen, Und sie helfen mit Und fragen nicht
warum Und nicht, an was
sie helfen, Und sie helfen, um
zu helfen, Und erfreuen sich
daran. |
Von einem, der
zusammenfassen möchte Hört
man: "Immer
wieder gibt es Leute, Die
in Listen leben, Die
das Leben anderer durch Siebe gießen Und
den Rest betrachten, Den
vermerken sie, Und
sie vermerken, so wie hier, Die
Grausamkeiten, Sehen
auf das Massenelend, Und
es ist zu schwer für sie Und
fast unmöglich, Nur
ein Einzelschicksal zu erfassen. Was
man bisher hörte, waren Stimmen, Die
als Echo von den Wänden Auf
ganz junge neue Hörer trafen, Und
die Rufer selbst sind dabei Ungehört
geblieben“. |
Man
erinnerte sich ans Geschrei des Nachts, Ans
Schreien unter kalten Duschen, An
die Schreie: "Hunger, Hunger," Und
den Schrei, der sich auf alle Schreie legte: "Wir
sind frei, sind frei, sind frei!" Und
stumme Namensschreie Findet
man nur in den Friedhofslisten Bergstedts, Und
man weiß noch etwas über eine "Kleine Maria", Etwas
über eine Russin, Die
mit sechzehn Jahren in das Lager kam, Weil
sie den Ausweis nicht In
ihren Händen hatte, Weiß
noch etwas über eine unbekannte Jüdin, Die
sich später von Paris aus Bei
Frau K. bedankte. Hat
Adele Enoch hier das Kind geboren, Das
mit dreiunddreißig Tagen starb, War
sie es, der Herr Doktor Y. Den
Beistand bringen sollte? |
Jede
Suche nach dem Einzelschicksal Muss
verebben, Und
es war doch eine Flut, Die
lebte nur aus Einzelschicksalen. Trotzdem
versucht man nun in zwei Berichten, Davon
etwas aufzuzeigen: Erstens
schreibt Frau E. von sich Und
der verstorbenen Sulejka Klein. Dann
hören wir die Lehrerin, Frau U. Und
ihr Gespräch mit einer Unbekannten, Einer
Jüdin aus dem Balkan, nahm sie an, Die
lernte sie in einem Kettenwerk
in Langenhorn in Hamburg kennen. Ganz
am Ende steht dann noch Die
winzige Facette einer Jüdin, Die
aus Lodz berichtete, Dass
andere Insassinnen des Lagers heute in Australien,
in Amerika, in Israel und Frankreich Leben
sollen. |
Die ist Zigeunerin
und wohnte in Berlin Und wurde dort
vernommen Und dann festgenommen Und nach Ravensbrück
verschleppt Und ins KZ gesteckt, Dort wurde sie zur
Straßenarbeit eingesetzt. In diesem Lager traf
Frau E., Das erste Mal auf
ihre eigene Kusine, Die war ungewöhnlich
schön Und hieß Sulejka. Eines Tages machte eine
neue Hoffnung Eine neue Runde
unter den Gefangenen: Man suchte, So berichteten die
Frauen, die es wussten, Ein paar Frauen als
Modell, Die würden als
Belohnung Ihre Freiheit ganz
und gar zurück erhalten, Und Frau E. verstand
sofort, Dass man wohl nicht
Modelle suchte, Sondern hübsche
Frauen fürs Bordell Und hörte auch, dass
diese Frauen Einem
Schwarzhemdkönig selbst gefallen mussten. Das verstand sie
alles richtig, Und sie lud sich
Abfall auf den Leib Und wälzte sich in
Asche, Und sie ging
freiwillig in die erste Reihe Zum Appell, Und man beschimpfte
sie: „Du alte
Drecksau" Und verjagte sie mit
einem Fußtritt, Das war eine
Rettung, Die sie für sich
wünschte. Von fünfhundert
Frauen, Die man fand, Und ihre eigene
Kusine war nicht unter ihnen, Kamen nur zwei
wieder. Alle andren wurden
in demselben Lager Gegen 'Krankheiten’
gespritzt, Man spritzte sie mit
Waschbenzin Zu Tode. Danach kam sie in
das Arbeitslager Barth in Pommern. Die Kusine blieb
zurück. |
Sie selber musste
Nieten lernen Und vernietete an
siebzehn, achtzehn Stunden täglich, Flugzeugteile, Und sie durfte nicht
den kleinsten Fehler machen. Jeder der nur einen
Fehler machte, War ein Saboteur Und wurde an die
Wand gestellt. Zwei junge Mädchen
hatten an dem Arbeitsplatz, Sie waren vierzehn
Jahre alt und fünfzehn, Aus Versehen und aus
Überforderung Ein Werkzeug
eingenietet, Und sie wurden noch
am selben Tag Erschossen. Dort blieb sie drei
Monate, Dann wurde sie ins
Kettenwerk Nach Langenhorn
gebracht. Dazwischen lagen andere
Transporte, Dabei wurde jedes
Maß an Grausamkeit, Unmenschlichkeit
erreicht Und überschritten. So wurd' den KZ-
Insassinnen gesagt, Sie würden ein paar
Stunden Unterwegs sein, Und man sperrte sie
in Wagen ein, Die schloss man
einfach ab Und ließ sie reisen, Und es waren
manchmal Wochen, Die sie in Waggons
verbringen mussten, So dass viele unter
ihnen starben, Die ließ man am
Boden liegen, Und es trieb sie
Durst und Hunger Zu den
Schreckenstaten, Dass sie Fleisch in
Fetzen von den Körpern rissen Und es aßen, Und sie tranken
ihren eigenen Urin. Die Leichen blieben
später in den Wagen. Nur in
Häftlingskleidung kam Frau E. Vom Langenhorner
Kettenwerk Zum KZ-Außenlager
Sasel. Dort traf sie noch
einmal auf Sulejka K. |
Die einst so schöne,
junge Frau Von siebzehn,
achtzehn Jahren Lag nun auf dem
Steinfußboden, Der war kalt, im
Sterben. Die Kusine war von
einem Schwarzhemd Vergewaltigt worden Und sie starb an
einer Totgeburt, Die hatte sie grad'
hinter sich. Sulejka hatte mit
der Mutter Einen Leidensweg
beschreiten müssen, Der begann in
Königsburg Und führte gleich
nach Auschwitz, Wo man ihre Mutter
von ihr trennte Und vernichtete. Das wusste ihre
Tochter nicht, Die war noch
arbeitsfähig, Und man steckte sie
nach Ravensbrück Und dann nach Sasel, Wo sie jämmerlich
zugrunde ging Und auch beerdigt
wurde, Das war in den
letzten Tagen dieses Krieges, Und sie hatte eine
Nachricht An die Mutter
hinterlassen, Die blieb bei Frau
E. Frau E. erlebte dort
das Ende mit, Als man das Lager
öffnete Und sie befreite, Und es hatte zu der
Zeit Um tausend Frauen
aufgenommen, Die aus ganz
verschiednen Lagern kamen Und in Poppenbüttel Plattenhäuser hatten
bauen müssen, Und sie wurden von
den Schwarzhemdfrauen
überwacht. Die flohen plötzlich In der
Häftlingskleidung, Und sie wurden
abgelöst von Zollbeamten, Die sehr nett und
freundlich Zu den Frauen waren. Die erwarteten das
'Rote Kreuz‘, Das sie in ihre
Heimat bringen sollte. Das geschah zum
großen Teil., Wenn es geschehen
konnte, Und das Lager wurde
abgebrannt, Und für Frau E. Ließ man doch eine
der Baracken stehen, Darin wollte sie von
nun an wohnen Und in Sasel
bleiben. |
Am Zaun ein wenig
eingerichtet, Und die Zeugen, die
ja Zeugnis waren, Wehrten sich ein
wenig, |
Eine Einrichtung zu
werden, Und sie gaben doch
Bericht, So gut sie konnten
und vermochten, Und die Jugendlichen
hatten sonst |
Ja nur die Steine, Die bewegten sich Nicht von der
Stelle. |
Und die berichtet
nun. Die Jugendlichen
hatten sie Schon einmal
angesprochen, Weil sie wussten,
dass die Frau Als junges Mädchen
in den Kettenwerken Einer
Munitionsfabrik am Bahnhof Ochsenzoll Im Zwang gestanden
hatte. Damals war der
Krieg, Und sie und andere
Studenten Hatten Kriegseinsatz
zu leisten, Und man hatte sie
gezwungen Und sie vor die Wahl
gestellt. Sie war sich schnell
mit ihrer Freundin einig Und entschied sich, Nicht als
Schaffnerin auf einer Straßenbahn zu
fahren. Ihre Angst vor
Bomben war zu groß. Als Schaffnerin auf
einer Straßenbahn, So dachte sie, Wär' nie ein Bunker
in der Nähe, Und sie ging zur
Munitionsfabrik. Hier kam sie in ein
Kettenwerk, In einen extra Raum, Der wurde den
Studenten zugewiesen, Und man wollte diese
jungen Mädchen Nicht sofort an die
Maschinen schicken, Und man bildete sie
aus, So gut es ging, So schnell es ging, Das dauerte zwölf
Wochen, Dann fand man sie in
den Hallen wieder. |
Und Frau U. war
klein, Die Hallen waren
riesengroß, Da drinnen standen
elf Maschinen, Die bis an die Decke
reichten. Die Maschinen
pressten Hülsen für Granaten, Und sie hatte deren
Größen nachzumessen. Alle Frauen die dort
saßen, Saßen auf dem Stuhl, Das war erlaubt, Und die Maschinen
warfen immer nur Die Hülsen aus Und spuckten sie den
zwanzig Frauen Vor die Füße, Fast in ihre Schöße. Sie und ihre
Freundin glaubten Unter Jüdinnen zu
sitzen, Und die Frauen sahen
nicht verwahrlost Und nicht
ausgemergelt aus Und waren hübsch und
gut genährt Und um die dreißig
Jahre alt. Die beiden durften
nicht Mit diesen Frauen
sprechen. Hinter den Maschinen
saßen Männer, Die sehr freundlich
auf sie schauten, Und sie glaubten
diesmal, Dass es Russen
wären, Und die schliffen
sich aus Abfallresten Heimlich scharfe
Messer, So dass sie sich fürchteten, Das sei ihr
unheimlich gewesen, sagt sie schnell. |
Gespräche konnte sie
nur mit der Freundin führen. In der Halle war der
Lärm fast unerträglich. Mit den andren
Frauen durften sie nicht sprechen, Und am Eingang und
am Ausgang Wachten Schwarzhemdfrauen,
Die die Augen nicht
von ihnen ließen. Und die Frauen
fanden einen Weg, Dass sie doch
miteinander reden konnten, Trotz des Lärms und
trotz der scharfen Augen, Weil die Frauen So nicht miteinander
schweigen wollten, Und es unterhielten
sich die Freundinnen Und sprachen im
Gespräch, Was sie den andren
sagen wollten, Und sie sprachen
laut, Die andren sprachen
unter sich In einem anderen
Gespräch Und unterhielten
sich so gut es ging Auf' diese Weise und
befragten sich. Sie stießen bei den
Frauen Nicht auf Bitterkeit
und Abwehr, Wie sie es
befürchtet hatten, Und die Sorge, Dass sie Abscheu
ernten würden, War umsonst. Die Frauen kamen aus
Rumänien Und aus Ungarn, Und sie baten gleich
um Kleinigkeiten, Die sie sehr
vermissten, Die erhielten sie,
indem die Freundinnen Sie
"zufällig" in ihrer Nähe Fallen oder liegen
ließen. |
Und sie erinnert
sich an eine Bitte, Die war
ungewöhnlich. Eine Jüdin hatte sie
nach der Ballade angesprochen, Die von Theodor
Fontane stammte, Und sie wusste nur
den Anfang Und auch den nicht
mehr genau, Sie meinte, dass sie
so begann: "Getragen hab'
ich's sieben Jahr..." Das war nicht ganz
getreu Und doch verstand
Frau U. sofort, Wovon sie sprach Und hatte keine
Möglichkeit, Den Text in die Fabrik
zu schmuggeln, Und sie lernte alle
dreiundzwanzig Strophen Und sprach sie ihr
vor So oft sie es nur
wollte. Ich selber und die
Freundin Wohnten in privaten
Häusern. |
Täglich hatten wir
acht Stunden In dem Kettenwerk zu
arbeiten, Und wir erhielten
Lohn dafür. Und ich empfand die
Arbeit, Die ich machen
musste, als unangenehm, Ganz unnütz, sinnlos
und "nervtötend", Wenn ich an den Lärm
in diesen Hallen denke. Frau U. wurd' nun
von vielen Jugendlichen Unterbrochen, die
von der Ballade, Von dem König Jacob
und dem Grafen Douglas Gar nichts wussten, Und man holte aus
der Bücherei das Buch Und las die Verse
allen vor, So dass man ahnen
konnte, Welcher
Freiheitswille, Friedenswille, Welcher demutsvolle
Geist, Von einem freien
Stolz emporgehoben, In dem Kopf der
Jüdin leben musste. Und Frau U. fuhr
fort: |
Die Judenfrauen, Die zur Arbeit
kamen, Kamen nur zu dritt Und wir erfuhren
nicht, woher sie kamen, Wir vermuteten
daher, Dass sie auf dem
Fabrikgelände In Baracken wohnen
mussten, Und der Eingang, den
sie nahmen, War auch vom Gelände
aus. Gleich nach dem
"Zusammenbruch" Begegnete ich vor
der Kirche in Fuhlsbüttel, Die war evangelisch, Einer Jüdin, die ich
hätte kennen müssen, Und ich traute mich
doch nicht sie anzusprechen; War es Schamgefühl, Ich machte mir auch
Selbstvorwürfe, Ach, ich weiß es
nicht.. Ich hatte ja gehört, Wie es den Jüdinnen
ergangen war Und hätte ihr
vielleicht mit einem Mantel Helfen können.... |
Es entbrennt nun eine Diskussion Um das Gedicht, das man
gehört hat, Die soll ganz getreu Dem Leser
vorgetragen werden. Es ergibt sich
dieses Bild:. Die Häftlingsfrau
erkennt sich In dem Grafen
Douglas wieder, Der aus dem
Geschlecht der Douglas' stammt, Das lebt, vom König
Jacob unterdrückt, Im Elend, das ist
hier in Not Und auf verdammter
Erde. In dem König sieht
sie die Schwarzhemdnation, Die ist nur eine
einzige Person, Der steht sie
gegenüber, Die spricht ihre
Hoffnungen Und ihre Wünsche an. Sie hätte sich Frau
U. so gerne mitgeteilt, Das ging nicht,
wegen der Bewacherinnen, Und sie wünschte
sich, Wie es in dem
Gedicht geschah, Ein "Happy
End" für sich. Sie wollte ihr
Geschick als Judenfrau Nicht mehr ertragen, Ja, sie hätte sich
zu gerne Mit dem Wagnis auf
den Schultern Vor die Schwarzhemdschar
gestellt Und sie um Gnade
angefleht Und ihr die
Knechtschaft angeboten. Sie war innerlich
maßlos erschöpft Und in der
Lagerkleidung Unwürdig gekleidet Und verkleidet Und entstellt Und dachte dabei
auch an ihre Leidenskameradinnen. |
Sie hielt sich nicht Mit zweifelhaften
Fragen auf, Und gab die
übergroße Macht Des Königs Jacob zu Und auch, dass sie
in Schuld verstrickt, Nun vor ihm stehe. Diese Schuld, so
schien es, meinte sie, Sei zwar die Schuld
des Volkes, Und sie habe selber
nichts verbrochen, Doch sie wusste, Dass der König sie
nicht aus dem Kollektiv Entlassen würde, Und das wäre ihr
auch nicht genug, Und sie gab alles
zu. Der König aber gab
ihr selbst die Schuld am Krieg, Der sei um
ihretwillen Und um ihres Volkes
willen Ausgebrochen. Ihre Sehnsucht ist
die Hand des Königs, Die will sie
berühren Und ihn damit
rühren, Und ihn an die
Zeiten festen Friedens Zwischen ihren
Völkern denken lassen, Als die Völker
ineinander leben konnten, Wie es die
Geschichte Und das Wissen um
die Dinge Tausendmal bewiesen
haben. Und der König gab
dies zu Und ließ sie dennoch
auf den Knien liegen, Und verwies sie auf
ihr Judentum, Das wäre so nicht
abzutun, Es wäre wohl am
besten, Würde er sie
übersehen Und die Augen über
sie hinweg Ins Weite schicken, Dann müsst' er, der
König, |
Nicht die Nähe sehen Und sie töten. So, erinnern sich
die Alten, Die das Zeugnis
geben sollen, Haben viele sich
verhalten, So zum Beispiel
einige Bewacher, Die nicht sahen, was
sie sehen sollten. Diese kleine Judenfrau Gibt noch nicht auf Und bietet ihrem
König ihre Hilfe an Und denkt an echte
Dienerschaft, Die soll ihr recht
sein, Und sie will nur
eines, Sie will frei, will
akzeptiert seine Und sie hofft, wie
in den Strophen, Auf die Geste, Die sie hoffen lassen
könnte, Und sie lebt von
dieser Hoffnung Und erfleht ein
Endenlassen dieser Grausamkeiten Und erfleht
Besinnung auf Gerechtigkeit In Frieden. So besprechen sie
nun alle, Was die Jüdin sich
beim Hören der Ballade Hatte denken können, Und sie sagen auch, Dass sich die
Wahrheit von der Illusion Sehr unterscheidet, Denn es hätten nicht
die Juden Diesen Grund gehabt, Sich schuldig zu
bekennen, Sondern jedes
Schwarzhemd, Das sie mit dem Bild
des Königs Jacob überdeckte, Und die hätten eigentlich Um Gnade bitten Und in Wahrheit ihre
Schuld bekennen müssen. |
Die Jugendlichen und die anderen Begeben sich noch
einmal zu den Steinen, Und sie hören tief
hinein. Die Steine haben
einen Rhythmus, Der sich wiederholt, Verraten eine Kette nur
aus Worten, Eine dünne
unsichtbare Fährte, So, als könnten
Steine bluten, Und man übersetzt
den Singsang laut: |
"Aus
Hilfsbereitschaft, Scham und Angst, Gelassenheit und
Abgestumpftheit, Ahnungslosigkeit und
Schwarzhemdtragerei, Ergibt sich dieser Tanz, Der macht uns Steine
schwindeln, Die Erinnerung
verblassen. Auskristallisiert
ist unser Blut, Ein Gut, Das kann man mit den
Händen fassen." |
Daraus lässt sich
eine schwere Klage fassen, Die nimmt man mit
heim Und lässt den zweiten
Tag sich auf die Steine setzen, Um mit sich allein
zu sein, Denn morgen ist ein
neuer Tag, Das ist der dritte
Tag, Den sollte man dem
Singsang widmen, Und man wird noch
einmal neu zusammentragen Und berichten
lassen. |
Mit einer
Lesestunde, Die ist gut für
alle, Und es ist durchaus
nicht gut für alle Was sie hören, Und sie hören es mit
Sorge Die hat nun die
Jugendlichen eingenommen, Und sie ist den
anderen Besitz, Den haben die
erhalten Oder achtlos liegen
lassen Und verloren. Dieses steht in den
Erinnerungen Des Herren D.: „Man hatte der
Besatzungsmacht Drei Tage für die
Plünderung der Stadt gegeben, Das war gleich im
Anschluss An das Ende dieses
Krieges. Der Bevölkerung
verbot man in der Zeit Die Häuser zu verlassen. Diese Tage waren
schon vorbei, Da ging es vor den
Toren unsrer Stadt, Hier draußen, Doch noch
turbulenter zu. Wir hatten durch die
aufgelösten Lager Plötzlich neu zu
leiden, Und wir hatten kaum
von deren Existenz gewusst. Die Wachen hatte man
vertrieben Oder sie nach Haus'
geschickt, Damit war die
Beköstigung im Lager Auch beendet. |
Außerhalb war alles
rationiert, Und harte Strafen Wurden für Verstöße
angedroht Und ausgeführt. In Trillup, auf dem
Hof, Verköstigte man
weiterhin Die russischen Gefangenen. Die waren frei Und hatten die
Befreiung oft besprochen, Und die einen
freuten sich, Die andren hatten
Angst vor einer Heimkehr, Und man würde sie
vielleicht erneut Ins Lager stecken,
weil sie von dem Land, Aus dem sie kommen
würden, zu viel wussten, Und sie hatten von
Sibirien gehört, Das war für sie der
schrecklichste der Schrecken. Sie erbettelten sich
erst einmal ein Fahrrad, Um die Gegend zu
erkunden. Die Bevölkerung
erfuhr dann von dem Lager Auf dem Saselberg, Das hatte Jüdinnen
und Ukrainerinnen freigelassen, Die um Lebensmittel
fragen kamen, Und sie irrten in
der ganzen Gegend Hin und her." Herr D. erinnert
sich auch noch: „Ich ging zur
Polizei nach Hamburg In der
Dammtorstraße, |
Die vermittelte mir
eine Nummer der Besatzungsmacht, Die könnte ich im
Notfall schnell erreichen. Als nun zwanzig
Ukrainer kamen Und vor meiner Tür Und in den Fenstern
standen, Rief ich an Und ließ mich mit
dem Obersten verbinden. Fast im selben
Augenblick Erschien ein
Offizier im Hof, Und wenig später
zogen jene Ukrainer ab, So dass ich mich
beim Obersten entschuldigte Und ihn nicht kommen
ließ. Ich ahnte jedoch
nicht, Dass unsre
Wirtschaftsfrau, den Speck, Den wir noch hatten, Kräftig diesen
Männern aufgeschnitten hatte, Und der Offizier
verlangte nun von mir Zwei
„Springhens", Das sind fette
Hühner, für die Siegesfeier, Und ich lachte über
ihn, Und seine Hühner
müsste er sich selber fangen, Und ich sagte auch
von meiner Nachricht An den Obersten, Der müsste sehr bald
kommen, Und die Hühner
ließen sich nicht fangen, Und der Offizier
wollt' sich vom Obersten Nicht fangen lassen Und zog ab." |
Das war aus den Erinnerungen des Herrn D., Und alle haben
zugehört, Und so viel ist
gewiss, Herr D. stand nicht im
Schock des Lagers Und war nicht
betroffen. In der Sorge um sich
selbst Vergaß er jedes
Mitleid Und erfasste nicht
die Tiefe des Problems Und hatte auch kein
Mitgefühl Und dachte an die
eigenen Probleme, Und ihn intressierte
wirklich nicht das Lager Und die Menschen,
die von dorther kamen. Noch im ersten
Atemzug der neuen Freiheit Starben zwei der
Lagerfrauen. Dass das Unrecht,
das gewesen war, Nun Unrecht blieb Und nicht
zurechtzubiegen war, Verstanden die, die
das beschrieben, Damals nicht, Und alles spielte
sich im Auge derer, Die es sahen, ab, Und die Bevölkerung, Die auch mit diesem
Auge sah, sah nichts. |
„Herr D." so
sagt ein Jugendlicher, „Schreibt nur seine
Wahrheit, Denn wir wissen ja, Dass viele die KZ-
Insassinnen an jedem Tage sahen, Nur, sie kannten
nicht die Hintergründe, Und sie sahen nur
den Vordergrund, Dass war die
Propaganda, Das, was jedes
Schwarzhemd sagte: „Die im Lager sind
nur eine Bande Kriegsgefangener und
Sträflinge." Und: „Das sind alles
Arbeitsscheue, Denen werden wir's
schon zeigen, Und wir bringen
ihnen bei Was Arbeit ist, Sie werden uns auf
Knien dafür danken!" Und sie sagten: "Es ist
nützlich, Wenn sie uns beim
Hausbau helfen, Und die Juden haben
uns geschadet, Und es ist gerecht
für sie Hier etwas wieder
gutzumachen," Und sie sagten: „Das sind
Untermenschen, Das sind fremde
Rassen, Die sind gar nichts
wert.," |
Und sagten: „Wir verstehen |